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Die Safranfälscherin

 

Historischer Roman

von Paula Kalhaty

Vollständige E-Book-Ausgabe der Druckausgabe

 

 

 

ISBN 978-3-943531-70-1

ISBN 978-3-943531-69-5 (Kindle E-Book)

ISBN 978-3-943531-68-8 (Print Ausgabe)

 

© Burgenwelt Verlag | Jana Hoffhenke

Hastedter Osterdeich 241 | 28207 Bremen

Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Tatjana Stöckler

Umschlaggestaltung | Coverillustration: Detlef Klewer

Satz | Gestaltung: Eridanus IT-Dienstleistungen

Erstes Kapitel

 

Flattern, dumpfes Pochen wie ein rascher, erregter Herzschlag hallte durch den Khiel, jene schmale Gasse, die vom Badehaus zum Badertürchen in der Stadtmauer führte. Els’ Kopf schoss hoch. Über ihr, über der Enge zwischen den Bretterwänden, segelte eine Taube mit gespreizten Schwanzfedern davon.

Täubchen, nimm mich mit! Sehnsüchtig folgte Els’ Blick dem Vogel, bevor sie mit ihren beiden Eimern weiter durch den Morast stakste. Zertretene Federn pflasterten ihren Weg; Hühnerschnäbel hackten nach einer toten Ratte und ließen den Leib zucken, als wäre er noch lebendig. Wie alle dunklen, feuchten Flecken der Stadt war der Khiel das Reich der Hühner, Mägde, Schweine.

Beim Badertürchen angekommen bückte sich Els und zerrte am Riegel. Geronnener Taubendreck färbte das Holz weiß. Ein frischer Wind lockte von der Donau her, als Els das Türchen aufstieß – eine Wohltat nach dem scharfen Kot- und Uringestank des Khiels. Sie schob ihre Eimer unter der Stadtmauer hindurch, kroch selbst hinterdrein und trat mit einem Fuß das Türchen zu, ehe ein vorwitziges Huhn aus dem Khiel an ihr vorbeilaufen konnte.

Ein dumpfer Aufprall und Gackern drangen an ihr Ohr, während sie die dünnen Träger des weißen Kittels auf ihren Schultern zurechtzerrte und aus dem Schatten der Mauer in den blendend hellen Himmel blinzelte. Dampfige Wolken bedeckten ihn, als hätte Petrus den Mägden in seinem himmlischen Badehaus befohlen, mehr Wasser über die Kiesel zu gießen. Für ein paar lange Atemzüge hockte Els nur da und genoss das Gefühl, entronnen zu sein – dem Badehaus, dem stinkenden Khiel, vor allem aber Hanns, dem Scherer mit seinen groben Händen …

… die sie gleich wieder zu spüren bekommen würde, wenn sie trödelte! Der Scherer war freigiebig mit Ohrfeigen und auch mit der Rute. Ihr Vater hatte nie die Hand gegen sie erhoben. Kaum dachte sie an ihn, musste sie sich auf die Lippe beißen, dass es schmerzte.

Sie schulterte ihre Eimer und trottete hinab zum Fluss.

Dort auf dem Wasser und auf der Donaulände herrschte eifriges Treiben. Mehr Förgen, verwegen aussehende Fährleute, als sonst lagerten vor dem Urfahrtor oder kämpften auf der Donau gegen die Strömung an, um Marktgänger aus Freistadt, aus Leonfelden, vielleicht sogar aus Neuhaus überzusetzen. Statt wie sonst zwei bewachten gleich vier gut gewappnete Knechte das Tor. Seit die Glocken am Laurenzitag die vierwöchige Marktfreiung des Bartholomäusmarkts eingeläutet hatten, strömte alle Welt nach Linz, um hier zu feilschen, Gelder zu wechseln oder Rechnungen zu begleichen, denn eine Linzer Bartholomäusmarkt-Schuld galt als die sicherste aller Schulden.

Lebzelter kamen und Löffelkrämer, Tuchhändler aus Nürnberg und Gürtler und Beutler aus Augsburg, Käser aus Passau, Fischhändler aus Freistadt, Braunauer und Pilgramer. Und mit ihnen streunte das fahrende Volk nach Linz, zu Fuß, zu Esel, auf klapprigen Wagen und manch einer ebenso klapprigen Schindmähre oder auf Stelzen: Affenbändiger und Possenreißer und Musikanten, Seiltänzer, Feuerschlucker, Messer werfende Krüppel, Quacksalber und all ihre Gesellen. Ein bunter Vogel in hundert, vielleicht sogar einer in zehn mochte ein Mädchenräuber sein, ein Dieb oder gar ein Ketzer mit einem Dolch im Gewand. Die galt es in Gewahr zu nehmen und … nein, Els neidete den Knechten am Tor ihre Aufgabe nicht.

Auf dem Waschfloß in der Donau priesen Hafner ihre Töpferwaren an. Während sie Wasser schöpfte, lauschte Els dem rauen Gelächter.

Empörtes Gackern begrüßte sie, als sie sich mit den vollen Eimern ins Dunkel unter der Stadtmauer zwängte. Das Huhn hatte seine vereitelte Flucht weder vergessen noch verziehen.

»Glaub mir: Da draußen gibt es für dich nichts«, versicherte ihm Els.

Wie gut sie den Wunsch des Huhns verstand! Nur dass es Hühnern einerlei sein konnte, in welchem dunklen Khiel sie hausten. In der Suppe landeten sie hier wie da, und einstweilen fanden sich für sie überall Körner und Würmer; leichter jedenfalls als Pfennige und Brei und ein neuer Kittel oder was eine Bademagd sonst für ihr armseliges Leben brauchte.

Noch vor einem Jahr hätte Els nicht so gedacht. Vor einem Jahr wäre sie nirgendwo lieber gewesen als hier. Aber damals hatte man sie Els, die Tochter des Baders Gilig und seiner Hausfrau Apolonia, genannt, und nicht bloß Els, die Bademagd. Els Niemandstochter.

 

Sie kehrte zurück ins Badehaus, goss das Wasser aus ihren Eimern in Hinz’ Kessel und eilte rasch genug in den Khiel, um dem Scherer fürs Erste zu entfliehen. Das Huhn plusterte sich auf, als es sie kommen sah.

Dann wieder durchs Türchen auf die Lände, den weißen Kittel gerafft, damit er nicht noch schmutziger wurde, und auf die Knie. Beim Schöpfen riss ihr die Strömung fast den Eimer aus der Hand. Fort, fort, fort, schienen die braungrünen Wellen zu locken. Aber jeder Bader und jede Baderstochter wussten, dass dem Ruf des Wassers nicht zu trauen war.

Mit einem Seufzer wandte Els den Kopf. Von hier hatte sie einen guten Blick über die Lände: die Froschau mit ihren Markthütten der Hafner und Schwarzpulver-Meister; dahinter entlang der Stadtmauer die Fleischbänke, deren Abfall an Schlachttagen die Wellen blutrot färbte. Ein Stück stromabwärts zweigte der stinkende Ludl-Arm von der Donau ab und umschloss das Wörth, die Insel der Fischer und Gerber.

Zuletzt schweifte Els’ Blick nach vorn über das braungrüne Band des Flusses zu den Häusern des Dorfes Urfahr und den bewaldeten Hügeln dahinter, die sich bis ins Windische, bis nach Böhmen und noch weiter zogen. Dort mochten Ketzer und Räuber stecken, aber wenigstens nicht Scherer und Ohrfeigen und Badegäste.

Ihr Vater hätte über die Tagträumereien gelacht: »Nach Mordbuben sehnst du dich, Elslein, mein Söhnlein? Wohl nur, bis einer sein Messer zückt! Wir sind sicher hier hinter unseren Mauern. Uns schneidet keiner um der paar Pfennige willen die Kehle durch.«

Seine Stimme, sein Lachen, das zärtliche Kosewort »Söhnlein« vermischten sich mit dem Lockruf der Donau. Haltsuchend umklammerte Els ihren Eimer und starrte dabei ihr Spiegelbild an, das die jähen Tränen und das Schwappen des Wassers verschleierten. Morastbraune Haare waren unter dem Kopftuch hervorgerutscht und hingen wie Rattenschwänze herab. Das Gesicht wirkte eingefallen und hager, nicht rosig und rund wie noch vor einem Jahr.

Sie sah aus wie ihre Mutter, erkannte Els mit Schrecken, wie Apolonia, die »Badhexe«, als man das Leichentuch über ihrem Kopf zusammengeschlagen hatte.

Dass du mich so erblicken müsstest, Vater! War der Seufzer Dankbarkeit, weil ihm das erspart blieb, oder doch ein böser Wunsch? Zur Strafe kniff sie sich hart in den Schenkel. Sie nahm ihre Last auf und stolperte zurück zum Türchen in der Mauer.

Ehe sie hindurchschlüpfte, fiel ihr Blick auf einen fremden Kaufmann, der vor dem Urfahrtor auf und ab spazierte und immer wieder hoch zum Wehrgang sah. Welch geckenhafte Kleider er trug! Spitze Schuhe, wahre Teufelsnasen, und erst seine Strümpfe! Einer rot, einer grün; die Ärmeljacke darüber so kurz, dass unter ihr das Weiß der Bruche, des Untergewands, hervorblitzte. Er mochte gut zehn Jahre älter sein als Els.

»Na, mein Elslein«, hätte ihr seliger Vater gescherzt, wenn ihm ihre Musterung aufgefallen wäre. »Wär das ein Friedel für dich?«

»Mit seinem spitzen Fuchskinn und seinen Haaren so rötlichbraun wie staubige Straßen? Nein, danke!«, hätte Els im gleichen Ton erwidert. »Ein Fuchs ist gut genug für meinen Kragen, aber nicht gut genug für mein Bett!«

Wie sehr sie ihres Vaters Neckereien, seine Scherze und sein liebevolles »Söhnlein« vermisste! Gilig, der Bader, war weise und ehrbar gewesen, bedächtig mit seinem Rat und tatkräftig mit seinen Händen. Und Gott hatte ihn ihr wegnehmen müssen! – hatte ihn an sich gerafft, wie der Scherer am Ende jedes Badetags die Pfennige an sich raffte. Gott hatte einem Raufbold den Dolch in die Hand gedrückt und Els alles geraubt, was sie besaß. Mochten die Bademägde der Hölle für den Mörder einen Platz auf der Schwitzbank besonders nah am Ofen bereithalten!

Sie trottete zurück ins Badehaus und mit schmerzenden Armen, schmerzendem Nacken und frisch geleerten Eimern ein letztes Mal auf die Lände. Der fuchsgesichtige Kaufmann beugte sich über die Ware eines Lautenmachers. Jener Meister schien ganz aus dem Häuschen vor Freude, dass ein so feiner Herr Gefallen an seinem Handwerk zeigte. Belustigt sah Els zu, wie er wohl ein halbes Dutzend Instrumente anpries. Doch obwohl der Fuchs begehrlich über so manchen Lautenhals strich, wandte er sich zu guter Letzt kopfschüttelnd ab.

Kein reicher Kauf-, sondern gar ein armer Spielmann? Nein, wohl eher ein wählerischer Kaufmann, der abends gern seine Knechte und manch hübsche Wirtstochter mit Gesang unterhielt.

»Und dich, mein Elslein? Welches Lied möchtest du von ihm hören?«

Zuerst wusste Els darauf keine Antwort, und dann war die einzige, die ihr einfiel, das Lied des Wassers: Fort, fort, fort. Komm mit mir. Ich bringe dich fort.

 

Schweiß und Dampf erfüllten die niedrige Stube, vermischten sich mit dem Sommerduft von Heublumen und dem scharfen, säuerlichen Uringestank der Brennnesseln. Aus dem Zuber in der Mitte ragten Köpfe wie Rüben aus dem Korb einer Marktfrau. Andere Badegäste hockten als teuflisch anmutende Gestalten auf Holzbänken und drohten mit Ruten und Quasten, als gälte es, arme Sünder zu peinigen.

Els’ Magen knurrte. Die schwüle, stickige Luft war mit einem Mal so überwältigend, dass sie sich am Türrahmen abstützen musste, um nicht zu taumeln. Allzu laut und zugleich seltsam fremd hallten die Stimmen der Badegäste in ihren Ohren – als beteten tausend Mönche lateinische Psalmen.

Aus dem Stimmengewirr schälte sich ein Kichern, gefolgt von kehligem Gelächter. Els rieb sich die müden Augen, bis das Bild klarer wurde: Fleischige Finger tätschelten einen zarten Mädchenkopf; schwarze Ringellocken, aus dem Kopftuch befreit, klebten an errötenden Wangen. Die Hand strich eine Locke hinters Ohr und wurde mit erneutem Kichern belohnt.

Sophei.

Die Bademagd Sophei schlüpfte aus der nackten Umarmung und winkte Els zu sich, wies auf zwei Gäste, die auf einer Bank schwitzten. Handwerker, und, ihren breiten Schultern und wuchernden Bärten nach zu urteilen, keine hiesigen … vielleicht Schlosser oder Schmiede aus Steyr, denen der Markt noch zu wenig Pfennige für ein Wasserbad eingebracht hatte, wohl aber genug für die Schwitzbank – und um ein paar davon zu verspielen. »Hol ihnen ein Puff-Spiel!«, befahl Sophei.

Die Hand des einen streifte Els’ Hinterteil, als sie das Gewünschte brachte. Empört fuhr sie herum. Sein Grinsen wirkte gezwungen, doch nicht verlegen – eher enttäuscht, als hätte ihn die dampfige Luft hier drin glauben lassen, Els wäre fülliger. Nur mit Mühe widerstand sie dem Drang, ihm das Puff-Brett über den Schädel zu ziehen!

»Heda, Magd!« Schon verlangten die Nächsten aus dem Zuber und von den Bänken nach Brot, Wein, heißem Wasser, nach Puff- und Kartenspielen. Els hetzte hierhin und dahin, um alles zu besorgen. Erneut wurde ihr schwummerig, lockte sie die Schwärze vor den Augen, wie es die Donau getan hatte. Sie taumelte – und jaulte vor Schmerz, als ihr nackter Arm die Kiesel auf dem Ofen streifte.

Wimmernd sank sie hinter dem Ofen nieder, stieß den Arm bis zum Ellbogen in kaltes Wasser und war dankbar für die kurze Pause, für die Taubheit, die den Schmerz überstrahlte. Müdigkeit und Hunger stürmten auf sie ein. Sie schwankte in der Hocke; der Eimer schwankte mit ihr und auch das Haus, die Bänke, der Zuber – ein Schiff auf unruhiger See. Als Kind war sie im Spiel mit dem Badezuber bis nach Venedig gesegelt, um Zimt und Muskatblüte und den Safran zu kaufen, den ihre Mutter so geliebt hatte …

Voll Sehnsucht schloss Els die Augen und für einen kostbaren Herzschlag glaubte sie Apolonias Lachen zu hören, den Zimtduft zu riechen, die bittere Süße des Safrans auf der Zunge zu schmecken.

Schwere Schritte kamen! Els riss die Augen auf. Zwischen den Bänken wälzte sich der Bader auf sie zu. Ein paar wilde, verrückte Augenblicke lang drohte Els’ Herz vor Freude aus ihrer Brust zu springen. Doch es war natürlich nicht der Bader, sondern der Scherer, der das Vortüchel, den Schurz ihres toten Vaters trug. Vom Boden aus gesehen wirkte er mächtig wie ein Kaiser.

»Drückst dich vor der Arbeit, schwarze Els?« Kräftige Finger krallten sich in ihre Schulter. »Da rein, und hilf!«

Der Scherer zerrte Els hinter dem Ofen hervor und stieß sie in die Kammer daneben, wo der Badeknecht Hinz das Wasser aus seinen Kesseln mit dem kalten aus der Donau vermengte. Els taumelte gegen den Jungen; zwar fing er sie und presste ihren hauchdünn bedeckten Körper an seinen, um sie vor den glühenden Kesseln zu schützen, doch auch als sie ihr Gleichgewicht wieder fand, ließ er nicht los. Sie boxte und trat und stieß ihm den spitzen Ellbogen in die Seite.

Erst da gab er sie frei. Mit beleidigtem Blick rieb er sich die Rippen, dann das Schienbein. »Hab dich nicht so«, murrte er. »Hier, mach dich lieber mal nützlich und bring das dem alten Örtlein.« Brüsk wies er auf einen Becher Wein und ein Stück Brot. Für sie stand keines bereit.

Auf dem Weg in die Abziehstube zwackte Els das halbe Brot ab und aß es, nippte am Wein und verzog das Gesicht – saurer, verwässerter Trester war dem Scherer gerade gut genug für seine Knechte! Sie stellte Örtlein die magere Kost hin und wollte davonschleichen, ehe er sie wegen der stibitzten Bissen züchtigen konnte. Auch wenn die Finger des Gewandhüters längst zu zittrig waren, um noch Bärte zu scheren, gebrauchten sie die Rute meisterlich.

Örtleins krumme Beine vertraten Els den Rückweg ins Bad. Zornig hieb er mit einem Bündel geknickter Weidenzweige nach ihr – und staunte nicht schlecht, als sie kurzerhand die Tür zur Gasse aufriss und floh.

Els taumelte in blendende Helligkeit und das Gelächter kleiner Jungen, der Badherolde, zu denen auch die Brüder des Badeknechts Hinz gehörten.

»Verratet mich nicht!«, zischte sie und duckte sich in den Khiel. Schon hörte sie hinter sich Örtleins Knurren, den Spott der Kinder, und schlüpfte, während Örtlein die Jungen mit seiner Rute verjagte, zurück ins Haus. Ihre Holzschuhe klapperten auf der Treppe. Oben riss sie die Tür zu ihrer Kammer auf, die sie sich mit Sophei teilte. Oh, ihr waren Prügel sicher!

Aber die würde es nun mal setzen, ob sie Anlass dazu gab oder nicht. Dennoch zog Els ihr Schicksal dem der anderen Bademagd vor. Nie hatte sie dem Himmel inständiger dafür gedankt, dass sie knochig und dürr wie ein Junge war, als an dem Tag, an dem man sie in den Kittel einer Bademagd gesteckt hatte. Des Scherers Abscheu war besser als des Scherers Lust; mochte er sie dafür prügeln, wie er wollte.

Sie hockte sich aufs Bett, zog die Knie an und lauschte an der fensterlosen Bretterwand. Unten tobte Örtlein, und auf dem Platz, am Ende der Badgasse, vernahm Els schon das Treiben der Marktleute.

Johlen und Lachen und Keifen: »Zartes Rindfleisch!« für die Ratsbürger und »Hammel! Kastraun!« für die Knechte; »Stiefel, rot und schwarz, sechzig Pfennig das Paar!« All die Rufe, die zu ihr drangen, versetzten ihr Stiche ins Herz, und dennoch konnte sie nicht weghören.

»Lauf, Els Neugierdsnäschen!« Als Kind hatte sie der Vater oft mit einem Klaps und ein paar Pfennigen ausgeschickt, damit sie den Händlern auf die Finger sähe. Und gegen Ende der Marktzeit, die er seine »fetten Tage« nannte, hatte er Els zusammen mit der Mutter ausgesandt. Für Lebzelten und Schuhe, Gürtel und Taschen und windisches Tuch hatte das Geld immer gereicht. »Kauf dem Elslein ein paar Elllein«, hatte der Vater mit der Mutter zu scherzen gepflegt.

Els kniff sich in den Schenkel. Die Haut dort war längst rot und wund, aber der Vater blieb dennoch in ihren Gedanken, die Fältchen um seine Augen und das Lachen aus tiefster Kehle.

Jetzt riefen sie wieder, die Gerber und Kürschner, Metzger und Sattler, Schuhmacher und Schneider, die unter Sankt Bartlmeis wohlwollendem Blick vom Mauthaus am nördlichen Ende des Platzes bis zum Schmiedtor in seinem Süden feilschten. Alle da – nur Els fehlte.

Der Linzer Bartholomäusmarkt begann zu Laurenzi und endete zu Mariä Geburt. Dazwischen lagen das Kirchweihfest der Stadtpfarrkirche und das Fest von Sankt Bartlmei, der dem Markt seinen Namen verliehen hatte. Vorige Woche war Sophei zur Kirchweih gegangen und mit leuchtenden Augen, einem Ablasszettel und einem Bildchen der heiligen Mutter heimgekehrt. Els hatte bleiben und den Zuber schrubben müssen.

Es war nicht rechtens, dass Sophei zur Kirchweih hatte gehen dürfen und sie nicht.

Eine Weile starrte Els zur Tür. Sie dachte an Sophei und Prügel und an ihres Vaters Stimme, und dann sprang sie auf und zog sich an. Der Kittel musste als Untergewand herhalten; darüber kam ihr grüner, ärmelloser Rock. Während Els den Brustschlitz des engen Oberteils zuknöpfte, erwog sie, welche Ärmel es anzulegen galt. Sie zögerte; aber weil Markt war und sie für eine Weile wieder die Baderstochter sein wollte, nestelte sie doch ihre liebsten ans Oberteil, die lang und rot waren und bis vor einem Jahr ihrer Mutter gehört hatten.

Nun noch das ärmellose Überkleid, den Suckl. Els schlüpfte hinein und verschloss mit Hafteln den seitlichen Brustschlitz. Der Suckl war aus braunem Tuch und einst mit Perlen verziert gewesen, die Els abgeschnitten und dem Vater zum Geld für einen Arzt gegeben hatte, als ihre Mutter krank geworden war. Um die Hüften legte sie den schmucklosen Gürtel, den sie – zusammen mit drei Pfennigen – für ihren reich verzierten eingetauscht hatte.

Sie zerrte enge Strümpfe über ihre Schenkel und band sie unter dem Knie, schlüpfte in die spitzen Schuhe und warf sich den Mantel über. Auch er hatte ihrer Mutter gehört und er war grau, so grau, wie Apolonias Gesicht gegen Ende ausgesehen hatte.

Zuletzt zog sich Els das Kopftuch von den Haaren, kämmte ihre feuchten Rattenschwänze mit den Fingern und flocht sie zum Zopf und vervollständigte ihn mit einer roten Schleife.

Alsdann trat Els, die Tochter Giligs des Baders und seiner Hausfrau Apolonia, in ihren schönsten Marktkleidern vor die Tür.

 

Die Jungen vor dem Bad glotzten, als sie mit wehenden Röcken an ihnen vorbeistürmte. Sie zog den Kopf ein, aber trotzdem hatte sie das Gefühl, der Blick aus den blutunterlaufenen Augen des Scherers müsste ihr folgen.

Vor dem Haus der Stubenvollin tränkten deren Söhne die Pferde der Gäste. Aus den Fenstern duftete es nach Erbsenbrei, Karpfen und Kraut, einem Freitagsmahl, wie man es sich nicht schmackhafter wünschen konnte. Els schnüffelte neidisch, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Ach, wäre sie das Söhnlein ihres Vaters, wie er so oft gescherzt hatte! Dann hätte wohl ein Linzer einen Platz in seinem Haus für sie gefunden. Als Tochter ohne Eltern aber, als Erbin ohne Erbe galt sie nichts.

Ihre Beine trugen sie auf Ulreich Pecks Haus zu, das dort stand, wo die Badgasse in den Platz mündete. Der Inhalt eines Nachttopfs war in die Gasse gesickert, und der Gestank vermengte sich mit dem Duft frischen Brotes. Die Peckin und ihre Töchter mühten sich ab, schwere, gewaschene Bettüberzüge auf die Leine zu hängen. Beide Mädchen warfen sehnsüchtige Blicke an Els vorbei.

Außer Atem hetzte Els auf den Platz. Erst dort blieb sie stehen, spitzte die Ohren und sog das Gewirr fremder Stimmen in sich ein, den Duft nach Käse und Stockfisch und Leder und Abenteuern, nach fort fort fort …

 

Manch auswärtiger Badegast spottete, der Platz sei viel zu groß für eine Stadt wie Linz. Zu Marktzeiten aber wirkte er klein. Die beiden Holzbrunnen verloren sich im Gewühl und in der Mitte ragte die Prangerspitze gerade eben über jene Hütten hinweg, die sich bis zu den steinernen Prangerstufen drängten.

Els bahnte sich ihren Pfad zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Mägden und Knechten, Handwerkern und Kaufleuten und Krüppeln und rotznasigen Kindern. Auch Bettler boten ihre Ware feil: Sie gaben ein Vergeltsgott für einen Pfennig und beteten den Rosenkranz für drei. Schreie und Gelächter schwappten über Els hinweg. Vor ihr auf der Ostseite des Platzes reihten sich die Häuser der Ratsherrn eins ans andere. Jedes war drei Stock hoch und drei Fenster breit, und jedes beherbergte zu Marktzeiten süddeutsche Händler, denn dort in den Höfen und Gewölben, hinter eisenbeschlagenen Türen, fand der wahre Markt statt, der Markt für die Reichen. Dort hieß es nicht mehr »fünfzig Pfennig für die Elle Werder Tuch«, sondern »zwanzig Pfund für hundert Ellen, hundertachtzig Pfund für tausend«.

Els’ Mutter hatte ihr von den Nürnbergern in den Tuchlauben erzählt, die sich wie Kaiser gebärdeten, und von den Walchen, den Italienern, die meist zum Ostermarkt nach Linz kamen. Schätze des Meeres brachten sie mit – Pfeffer und Safran, schwarzes und rotes Gold. Apolonias erster Mann, Erasem Wurz, war ein Gewürzkrämer gewesen. Sie hatte Gilig, den Bader, mehr geliebt als ihn, doch ihre Augen hatten geglänzt und gefunkelt, wann immer sie Els von den Wurz’schen Reichtümern, von Pfeffer und Ingwer und Safran vorgeschwärmt hatte.

Els stolperte auf die Ostseite des Platzes und lehnte sich ans Eckhaus, um zu verschnaufen. Nun noch durch die Pfarrgasse und sie wäre bei der Kirche, wo man die Spielleute fand. Einen Jungen gab es, der auf den Händen lief und mit seinen Zehen brennende Fackeln warf und fing; Frauen, die alles wussten – das hatte Sophei hoch und heilig versprochen. Ihr hatte bei der Kirchweih eine Ungarin für zwei Pfennige geweissagt, dass sie einen Fasszieher heiraten würde, blondgelockt und ehrbar sollte er sein und bald schon in der Abziehstube vor ihr stehen.

»Els?«, riss eine vertraute Stimme sie aus den Gedanken. »Ja, du bist’s.«

Erschrocken fuhr Els hoch und versuchte zu lächeln, als sie sich ihrem Vetter Chunrat Wurz gegenüber sah. Mochten sich andere Männer in der Kürze ihrer Jacken und der Buntheit ihrer Strümpfe übertreffen, mit seinen langen, schweren, grauen und blauen Gewändern konnte man den Krämer für einen geistlichen Herrn halten – wäre da nicht sein Hut aus Biberfell nach Art der Walchen gewesen, der wohl jene beeindrucken sollte, für die der Name Wurz nicht genügte.

»Chunrat!« Ihr Lächeln erwies sich als störrisch, wollte nicht kommen. »Eine Überraschung! Ich war auf dem Weg …« Ja, wohin? Zum Bad? Zweifellos hatte er gesehen, wohin ihre Füße sie trugen. Nichts entging je Chunrats blassem Blick.

»Zum Kirchplatz?« Er lächelte mit dünnen Lippen. »Mein Mühmlein, komm doch herein.« Sie hasste es, wenn er sie »Mühmlein« nannte. So hatte er sie als kleines Mädchen genannt, und schon damals hatte darin ein besitzergreifender Unterton gelegen, ein Haben-Wollen.

Für einen Herzschlag dachte Els bange an den Scherer und sehnsüchtig an den Jungen mit den Fackeln; dann hob sie wohl oder übel ihre Rocksäume und folgte dem Vetter in seinen Laden. Der überwältigende Kräuterduft, der würzige Geruch wie aus der Küche ihrer Mutter versetzte ihr einen Stich durch Magen und Herz.

Chunrat schloss hinter ihr die Tür. Er war allein; Johann, der Junge, der ihm half, lief sich gewiss auf Botengängen die Füße wund. Verstohlen glitt Els’ Blick durch den Raum. So vieles – ein Sack hier, ein gut verschnürter Ballen da, Kästchen und Schatullen – weckte ihre Neugier.

Sie liebte Chunrats Laden mit all seinen Kostbarkeiten, liebte die Bitterkeit des Alauns und den Faule-Eier-Gestank des Schwefels, das Indisch zum Blaufärben von Stoffen, die Tintenäpfel, den streng riechenden Salmiak. Sie liebte die feinen Stoffe – Doppeltaft und Zenndl, Samt und Damast; die Schwindelkörner, die man in Brot buk, die Bockshörndl vom Baum Johannes’ des Täufers und die Feigen aus Jerusalem – liebte die Geschichten, die an ihnen klebten, und den Geruch ferner Länder, der sie umhüllte, selbst nachdem sie durch Chunrats schmale, gierige Finger geglitten waren.

Vor allem aber liebte sie die Kräuter und Gewürze: Barbajovis und Thymian; Frauenhaar und Salbei; Paradeiskörner, wie ihre Mutter sie als Witwengut mit in die Ehe gebracht hatte. Wann immer Els als Kind hier gewesen war, dann mit ihrer Mutter, und die Schärfe des Pfeffers, der warme, blumige Zimtduft, der harzige Geschmack der Muskatblüte – all das war untrennbar verbunden mit Apolonias Lächeln und Apolonias Wärme und Apolonias Hand, die sanft an Els’ Zöpfen gezogen hatte, um sich davon zu überzeugen, dass sie fest saßen.

»Warte.« Chunrat durchquerte den Raum und verschwand im Lager. Els blieb allein zurück.

Auf dem Tisch stand ein Bronzemörser, verziert mit einem Fries aus Fischen und zwei Schilden, von denen einer das Glockenzeichen des Gießers, der andere das Freistädter Wappen trug. Nach einem raschen Blick zur Tür beugte sich Els über den Mörser und schnüffelte. Süßlich-bitterer Duft entströmte ihm – wie Heu und Honig. Das Prickeln in ihrem Bauch ließ keinen Zweifel daran, was es war.

Chunrat war ihr und ihrer Mutter gegenüber freigiebig gewesen; Apolonias Erröten und Els’ Staunen hatten ihnen manch einen Schatz erkauft. Safran aber – das rote Gold, vierundzwanzig Schilling das Pfund, was dem Wert eines Pferdes entsprach – hatte Els nie kosten dürfen. Ihr Wissen darüber kam einzig von der Mutter, die den Safran mehr geliebt hatte als alles andere.

Seine Farbe war die Farbe der Ringelblumen. Auch diese hatte Apolonia geliebt, die »Totenblumen« in ihrem winzigen Gärtchen. Sie hatte Blüten in Els’ Haar geflochten oder sie sich und ihr in den Mund gesteckt. Noch immer erinnerte sich Els an den schwach bitteren Geschmack, sah den Vater vor sich, der über Frau und Tochter lachte, wie sie Ringelblumen kauten.

Der Geruch des Safrans erzählte von Abenteuern, von verschlungenen Pfaden, auf denen Kaufleute, Mönche und Soldaten seine Zwiebeln geschmuggelt hatten. Sein Geschmack war süß und bitter. »Heu und Honig«, »Erde und Rauch«, so hatte ihn Apolonia beschrieben. Oder »wie der Brautkuss deines Vaters« – dies mit einem verschmitzten Lächeln.

Safran, hatte sie Els gelehrt, schmeckte nach Liebe.

Els hörte Chunrats Schritte und fuhr hoch. Ehe sie bemerkte, was sie tat, krallte sie die Hände in die Säume ihrer langen Ärmel: eine Geste des Ertapptseins, die von klein auf unfehlbar jede ihrer Sünden verraten hatte.

Chunrat musterte sie argwöhnisch, die dünnen Lippen zu einem Strich gepresst. Els’ Vater hatte sie gescholten, wann immer sie die Augen des Wurz mit denen eines toten Karpfen verglichen hatte, aber die Schelte hatte Chunrats Augen nicht lebendiger, nicht weniger blass und unheimlich gemacht.

»Komm mit«, sprach er zuletzt. »Das wird dir gefallen.« Nun, da sie wusste, wonach sie zu suchen hatte, glaubte sie zu sehen, dass Daumen und Zeigefinger seiner Rechten gelblich glänzten. Rotes Gold hatte seine Spuren hinterlassen.

Gehorsam folgte sie Chunrat ins Lager und zu einem Ballen Stoff. Er schlug eine Handbreit davon zurück. Els hielt den Atem an.

Karmesinroter Samt! Eine Elle mochte an die hundert Tageslöhne kosten. Ihre Finger kamen ihr schmutziger und rauer denn je vor, und sie wagte erst mit einer Kuppe über den Samt zu streichen, als Chunrat selbst ihre Hand zum leuchtenden rot führte.

»Wunderschön«, wisperte sie. Und weil sie Els Neugierdsnäschen war: »Wer wird ihn kaufen?«

»Wer weiß?«, erwiderte Chunrat leichthin. »Der Stadtrichter? Oder ein Ratsherr, dessen Frau sich ein Kirchgangskleid schneidern lässt. Vieleicht wird daraus auch ein … Brautkleid.« Da war es wieder, in diesem letzten Wort, das Haben-Wollen.

Mit einem Mal schien Els der schimmernde Stoff heiß genug, um ihre Hand zu verbrühen.

Chunrat tat, als bemerkte er ihr Erschrecken nicht. »Mein Mühmlein, ich bin ein reicher Mann.« Unwillkürlich spähte sie hoch zum Biberhut auf seinem krausen Haar, seinem Beweis des Reichtums. Böse Zungen munkelten, Chunrat verkaufe seine Ware an jeden, der ihm einen guten Preis bot – gleich ob nun Deutscher oder Walche, Ketzer, Mordbube, gar Henker. Doch eine Familie, so reich und ehrbar wie seine, musste Neider haben. Chunrats Oheim war Ratsherr in Freistadt, seine Base, wie es hieß, die schönste aller Frauen.

»Sankt Bartlmei sei Dank, ich habe gut geborgt und noch besser verliehen«, fuhr Chunrat fort. Er sah an ihr vorbei, während er sprach. »Gottes Gunst und mein Geschick erlauben mir, ein zweites Haus auf dem Burgfeld zu kaufen, dazu einen Krautacker und Bäume und ein Gärtchen. Wir werden alles haben, was dein Herz begehrt.«

Wir?

Wir!

Chunrat sah sie erwartungsvoll an. Ich will dich haben. Ich wollte dich schon immer. Hatte er sein Begehr laut ausgesprochen?

»V-verzeih mir, lieber Vetter«, stammelte sie, »ich bin …« … halb verhungert und halb zu Tode geschunden? Sie hatte ihren Stolz! »… ein wenig müde.«

»Ich will dich als meine Frau, Mühmlein.« Eine lange Pause. »Els.«

Sie platzte mit dem Erstbesten heraus, was ihr in den Sinn kam. »Chunrat, ich bin arm! Ich komme ohne Mitgift! Mein Vater hat mir nichts als Schulden hinterlassen.«

»Ich weiß das, und ich nehme dich trotzdem. Tausend Schock Pfennige wiegen keine tugendhafte Frau auf«, erwiderte Chunrat salbungsvoll.

Tugendhaft? Sie hätte heulen können – oder lachen. »Ich bin eine Bademagd!«

»Eine Baderstochter«, verbesserte er sie.

Ich war Els, die Baderstochter, dachte sie bitter. Jetzt bin ich Els, die Bademagd. Aber sie konnte Chunrat nicht dafür hassen, dass er sie tugendhaft nannte. So Gott sich ihrer erbarmen wollte, würde sie niemals sein wie Sophei. Sie hasste den Scherer, die Badegäste, den Schweißgestank und Dampf und selbst den Zuber, der für sie kein Schiff mehr war; sie fühlte sich gefangen im Haus ihres Vaters, das sie nicht länger ihr Heim nennen durfte.

Chunrat war bereit, ihr das Wurz’sche Reich mit all seinen Schätzen zu eröffnen: ein Paradies, das nach Schwefel und Safran roch.

»Fragst du mich aus Mitleid?«, entfuhr es ihr.

»Als Christ stünde es mir schlecht an, keins zu haben.« Sie starrte ihn an, bis er ungeduldig fortfuhr: »Ich wollte dich immer zur Frau. Deine Mutter wusste das; weshalb sonst hätte sie dich zu mir gebracht? Du hast ihren Segen.«

Meine Mutter brachte mich zum Safran, nicht zu dir! Aber schloss denn das eine das andere aus? Was hätte die Witwe eines Wurz für ihre Tochter gewollt? Den Scherer und das Badehaus – oder die Düfte Venedigs? Dazu einen Krautacker und Äpfel genug, um Els’ Magenknurren für immer zu stillen; ein Hochzeitskleid aus karmesinrotem Samt und Chunrats fettig glänzende Finger, die das Ehebett mit Safran bestreuten …

Er griff nach ihrer Hand; sie ließ es geschehen. Zu gern hätte sie an seinen Fingern geschnuppert und den bittersüßen Duft eingesogen. Safran, süß und bitter wie Liebe. Sollte ihr das ein Zeichen sein?

Wär der Fischäugige ein Friedel für dich?

Els schnappte nach Luft. Als wäre sie taub gewesen, stürmte von draußen der Marktlärm auf sie ein, Pfeifen und Trommeln und Gelächter, das schrille Plärren eines Kindes und das Zanken alter Weiber.

Marktpatron, Patron der Venediger Kaufleute, steh mir bei!

»Gib mir drei Tage!«, bat sie. »Bis zu Sankt Bartlmei. Unser Verlöbnis soll unter seinem Schutz stehen.« Wenn ich denn ja sage.

Chunrat musterte sie lange. »Nun gut. Ich verspreche, dich nicht vor Sankt Bartlmeis Tag zu fragen.« Sie merkte ihm die Enttäuschung an, den Unwillen über die Frist, die sie ihm setzte, und sie fühlte sich kindisch, lächerlich, frei – fast wie eine Schwachsinnige. Wer war sie denn, die Bademagd, und was maßte sie sich an, den Wurz zu verschmähen?

»Du sollst eins noch wissen …« Chunrat verstummte jäh und lächelte ein Lächeln, das diesmal fast seine Augen erreichte.

»Halt dich heut Abend bereit«, befahl er. »Nach Sonnenuntergang, wenn du frei hast. Ich gehe mit dir auf den Markt und kaufe dir Bänder, Zuckerwerk – alles, was du willst.«

Els hatte nie frei, war mehr Sklavin als Magd, aber zu stolz, um es zu sagen. Sie nickte. Vielleicht, dachte sie, wenn erst der Scherer hörte, dass ihr reicher Vetter … Aber wenn sie Chunrat nicht heiraten wollte, wie konnte sie ihm dann schulden?

Wie ihm mein Vater geschuldet hat, antwortete sie bitter auf ihre eigene Frage. Wie er der halben Stadt geschuldet hat, und ich wusste von nichts.

»Heute Abend«, versprach sie, und damit ließ Chunrat sie gehen.