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Über dieses Buch:

Schottland, im 16. Jahrhundert. Vertraue niemanden! Diese Warnung ihrer Mutter hat Laura Percy niemals vergessen. Als Tochter eines Hochverräters ist sie zur Flucht gezwungen – schutzlos, aber mit dem festen Willen, sich niemanden zu beugen. Im rauen Norden Schottlands sucht sie verzweifelt, den Verfolgern zu entkommen. Doch dann fällt sie dem Highlander William of Blackfearn in die Hände. Der rebellische Hitzkopf entführt die junge Lady. Doch womit er nicht gerechnet hat: Laura hat zwar eine englische Erziehung, aber eine schottische Seele – schon bald ist er der willensstarken jungen Frau verfallen. Aber kann Laura dem rauen Krieger vertrauen?

Der zweite Band der sinnlichen Highland Treasure-Reihe um die drei Percy-Schwestern: Lassen Sie sich von den schottischen Romanzen von Bestsellerautorin May McGoldrick verzaubern!

Über die Autorin:

May McGoldrick ist das Pseudonym des Autorenehepaars Nikoo und Jim McGoldrick. Für ihre gefühlvollen und vielschichtigen historischen Romanzen haben sie mehrfach Preise gewonnen und ihre Bücher sind in über 12 Sprachen übersetzt worden. Sie leben mit ihren beiden Söhnen an einem kleinen See in Connecticut.

Von May McGoldrick erscheinen bei venusbooks die Romane der Highland Treasure-Reihe

Das stürmische Herz des Earls
Das feurige Herz des Rebellen
Das flammende Herz des Highlanders

sowie die historischen Romanzen
Scottish Dreams – Die Lady und der Lord

Das Versprechen der Highlanders

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eBook-Neuausgabe März 2017

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch erschien bereits 2002 unter dem Titel Das feurige Herz bei 2002 im Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München.

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel The Enchantress bei Onyx, an imprint of New American Library, a division of Penguin Putnam Inc.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2010 by Nikoo McGoldrick and James A. McGoldrick

Copyright © der deutschen Ausgabe 2002 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Lizenzausgabe 2017 venusbooks GmbH, München

Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Bildmotives von shutterstock/Paula Fisher, FX Quadro

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ER)

ISBN 978-3-95885-490-1

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May McGoldrick

Das feurige Herz des Rebellen

Ein Highland Treasure-Roman. Band 2

Aus dem Amerikanischen
von Beate Darius

venusbooks

Für Hilary, unseren geliebten Ross

Kapitel 1

Fearnoch, Northern Highlands
Dezember 1535

Langsam rollte das Goldstück über die Fingerknöchel des Highlanders, der schweigend an einer Sandsteinmauer lehnte. Als die über den Marktplatz schlendernde Gruppe an dem Stand eines Garnhändlers Halt machte, verharrte die Münze ebenfalls – die mit der Tudor-Rose geprägte Seite blitzte im schwachen Lichtschein auf.

»Der mit dem Schweinsgesicht hat sie Laura genannt, Herr.« Der zahnlose Bauer spie in den frostkalten Morast und spähte über den Marktplatz. »Das Mädchen mag vielleicht nur die Lumpen tragen, die sie ihr gegeben haben, dennoch ist sie zweifellos vornehmer Herkunft.«

Über den kalten zugigen Marktplatz hinweg beobachteten die beiden, wie die Sinclair-Männer die Frauen weitertrieben. Das Goldstück hüpfte abermals über die kräftigen Fingerknöchel des hoch gewachsenen Highlanders.

»Sie ist zwar noch ein junges Ding, aber so wie sie redet, muss sie Engländerin sein, ganz ohne Frage. Ich wette, wenn es anders wäre, hätten Eure Pachtbauern sie längst aus der Hand dieser Halunken befreit.« Abermals spuckte er. »Ja, es ist wahrlich eine Schande, Herr. Nun, wenn ich 20 Jahre jünger wäre, würde ich …«

William Ross of Blackfearn verließ den Bauern ohne ein Wort, steckte die Goldmünze in seinen breiten Ledergürtel und trat aus dem Schatten der Kathedrale von Fearnoch in die Mittagssonne. Als er durch die Reihen der Dorfbewohner und Bauern auf einen Karren zuschritt, der vor dem alten, steinernen Kreuz inmitten des Platzes stand, liefen unvermittelt zwei seiner Leute auf ihn zu.

»Sie ist es, Herr! Es ist die von Euch gesuchte Frau!«

Geistesabwesend grub William seine Finger in die rauen Wollstränge auf dem Karren.

»Die anderen indes nicht. Ihre beiden Begleiterinnen sind Nonnen aus dem verfallenen Konvent in der Nähe von Little Ferry«

Sobald die Gruppe an einem anderen Stand verharrte, fixierte William den Rücken der Engländerin, den ein kapuzenartiger Überwurf verhüllte. Inmitten der brutalen Sinclairs schien sie ihm ein hilfloses, ja beinahe zerbrechliches Geschöpf. Er mochte gar nicht darüber nachdenken, welche Qualen sie während der vergangenen drei Monate als Gefangene dieses Lumpenpacks durchlitten hatte. Er gemahnte sich, dass es kein Blutvergießen geben durfte. Jedenfalls nicht, solange er sie zu retten suchte. Das hatte er seinem Bruder versprochen.

»Sollen wir sie jetzt befreien?«, schlug sein Gefolgsmann mit einem Blick auf den narbengesichtigen Bauern, der bei ihnen stand, vor. Die Hand des anderen glitt zu dem Knauf eines Dolchs, halb verborgen unter dem rotschwarzen Wollstoff des Ross-Tartans. Seine Miene spiegelte Kampfeslust. »Sie waren lange genug grob zu ihr. Der Hässliche hat sie – ohne ihr Einverständnis – aus dem Zelt des Tuchhändlers geschleift.«

»Man munkelt etwas von den Kerkern auf der Burg Rumster.«

»Dort haben sie sie Monate lang eingesperrt, Herr.«

»Das Mädchen hat die Kapuze ins Gesicht gezogen, um ihre Tränen zu verbergen.«

»Ganz recht, und ihre Schmach, die arme Frau.«

»Es sind nur sechs Sinclairs bei ihr. Wir können sie überwältigen, Sir!«, knurrte der Erste. »Es wäre eine gute Gelegenheit, der Kleinen zu helfen und diese Halunken in ihre Schranken zu –«

»Wartet hier.« William kehrte den beiden Männern den Rücken, die ihm verständnislos nachblickten, als er gemessenen Schrittes das steinerne Kreuz passierte und in Richtung des Tuchhändlers strebte.

Als William näherkam, erstarrten die Sinclair-Männer sichtlich. Sie wussten, wer er war. Er. beachtete sie nicht weiter.

Die beiden Nonnen, die vor dem Zelt des Tuchhändlers standen, unterhielten sich leise, und William schnappte einige französische Wortfetzen auf. Auch sie schienen ihn zu kennen, obschon er sich beileibe nicht vorzustellen vermochte, woher. Er hatte noch nie mit der kleinen Gruppe französischer Ordensfrauen zu tun gehabt, die in der Abtei am Loch Fleet lebten.

William stürmte an den Sinclairs vorbei in das Zelt, griff wahllos nach einem Stück Tuch und warf es wieder zurück. Sogleich nahm die Engländerin den Wollstoff und legte ihn auf einen anderen Stapel. Derweil sie leise und unaufhörlich auf den Kaufmann einredete, schien sie fest entschlossen, eine gewisse Ordnung in die durchwühlten Stapel zu bringen, die der Mann zum Markt gekarrt hatte.

Unversehens horchte William auf, gefesselt von dem sanften Klang ihrer Stimme. Obgleich ihr zaghaftes Bestreben, den Dialekt der Highlander zu imitieren, ganz reizend war, verriet sie ihr englischer Akzent sogleich – genauso wie Ren, der alte Bauer, es beteuert hatte. Als er verstohlen zu ihr spähte, gewahrte er eine schwarze Locke, die sich unter ihrer zerschlissenen Kapuze hervorkringelte. Sobald sein Blick abermals auf ihre schmalen, von harter Arbeit und Kälte geschundenen Hände fiel, begriff er, dass sie Garne und Tuchwaren nach Farbe und Beschaffenheit sortierte.

Ein belustigtes Lächeln trat in seine Mundwinkel.

Aus seinem Augenwinkel bemerkte er, dass der Anführer der Sinclairs ihn unverhohlen beobachtete. William nahm ein weiteres Stück Tuch, auf dem sich noch die Spuren schwarzen Teers abzeichneten. Willkürlich ließ er den Stoff zu Boden fallen und trat einen Schritt beiseite.

Sogleich hob die englische Frau es auf, unterdes drangen laute Stimmen vom Marktplatz herüber. Als der Highlander sich umdrehte, fiel sein Blick auf die lautstarke Auseinandersetzung zwischen einer hochnäsigen Städterin und einem Kleinbauern, der eine struppige Herde Schlachtvieh über den Marktplatz trieb, was die Aufmerksamkeit der Sinclairs vorübergehend ablenkte.

William sah zu der Engländerin. Völlig ungerührt von dem Lärm stand sie da, das Stück Tuch in der Hand. Sie wirkte sichtlich unentschlossen, in welchen Stapel das Vlies nun gehörte. Wortlos nahm er es ihr aus den Händen und legte es zu den Stoffen, die sie der schlechtesten Qualität zugeordnet hatte.

Entsetzt über seine Kühnheit drehte sie sich um und blickte ihn ungnädig an. In diesem Augenblick stockte William Ross of Blackfearn der Atem, und die Welt schien für Sekundenbruchteile still zu stehen. Vielleicht waren es ihre Augen, die ihn gefangen nahmen. Ein so tiefes Blau hatte er noch niemals gesehen. Außer vielleicht bei Molly, dem Freudenmädchen, das er gelegentlich im Three Cups auf der Straße nach Inverness besuchte. Nein, diese Augen waren noch dunkler, noch violetter als Mollys.

Eine Ewigkeit verging – William war sich nicht sicher – und doch ertappte er sich dabei, dass er sie weiterhin betrachtete. Vielleicht war es das Erstaunen, das sich auf ihrem blassen Gesicht spiegelte, das seinen Herzschlag augenblicklich aussetzen ließ. Sie besaß das Gesicht einer bezaubernden Schönheit, ob Engländerin oder nicht.

William meinte, sie wolle etwas sagen, doch die Frau zögerte, da einer ihrer Häscher sie bedrohlich anfunkelte. Darauf schwieg sie und wandte den Kopf ab.

Als er abermals zu den Sinclairs spähte, hätten sich die Normen von der Gruppe entfernt. Jede strebte zu einem anderen Teil des Marktplatzes. William wandte sich ab, schlenderte betont lässig aus dem Zelt und hielt einen jungen Burschen an, der im Vorübergehen Äpfel feilbot. Der Tumult war abgeebbt und das Vieh über die schmutzige Straße verschwunden.

»Beeilt Euch, Kleine!«

Ein kurzer Seitenblick und William sah, dass die Engländerin noch immer in dem Zelt des Händlers verweilte. Die Sinclair-Männer hatten kein Erbarmen, ihr Anführer zerrte an ihrem Ellbogen.

»Wenn Ihr zur Vesperzeit nicht zurückgekehrt seid«, knurrte dieser, »bedeutet das ein Dutzend Hiebe … habt Ihr mich verstanden?«

Hastig nickend ließ sie den Tuchwaren-Stand hinter sich, und die Gruppe strebte durch die Menschenmenge in Richtung einiger Zelte, die fahrenden Kaufleuten aus der Gegend um Inverness gehörten.

Am nächsten Stand verweilte die Frau erneut, diesmal indes nur für einen kurzen Augenblick, um Damenschuhe zu begutachten. Die üblen Beschimpfungen eines der Sinclair-Krieger erhoben sich über dem Lärm des Markttreibens.

William warf den Apfel einem herumlungernden Straßenbengel zu, überquerte den Platz und glitt in die Gasse zwischen den Kaufmannsständen und dem niedrigen Mauerwerk dahinter. Ein Abwassergraben verlief entlang der Wand, gesäumt von einer Baumgruppe.

Er passierte Dienstburschen, die träge auf halbleeren Güterkarren hockten, und schlüpfte geräuschlos in den Spalt zwischen dem dritten und dem vierten Zelt. Ein Kaufmann, der leuchtend bunte flämische Trachten feilbot, rief der von Wachen umgebenen Frau etwas zu. Die vermummte Engländerin strebte auf seinen Stand zu, und William wich zurück in den Schutz der Zelte.

Unterdes kam eine Gruppe ausgelassener Zigeuner daher. Tambourine und Glöckchen und auch die glutäugigen Frauen zogen sogleich die Blicke der Sinclair-Krieger auf sich.

Der Highlander witterte seine Chance. Mit einem warnenden Blick zu dem Kaufmann packte William das Handgelenk der verdutzten Frau und zerrte sie mit einer flinken Bewegung in die schmale Gasse.

»Ich bin ein Freund!«, raunte er ihr ins Ohr.

Trotzdem bedeckte William mit einer Hand ihren Mund, umschlang mit der anderen ihre Taille und trat geschwind den Rückzug durch die Gasse an. Als sie das Ende der niedrigen Mauer erreicht hatten, wandte er sich um, gab die strampelnde Frau frei und drehte ihr Gesicht dem seinen zu. Ihre Kapuze war nach vorn gerutscht, eine Locke ihres kräftigen schwarzen Haars fiel ihr in die Augen.

»Uns bleiben nur Augenblicke, bis sie Euer Verschwinden bemerken. Aber dort hinter dieser Baumgruppe warten meine Pferde. Ihr seid jetzt in Sicherheit.« Die Engländerin war völlig verwirrt. Williams Mundwinkel verzogen sich zu einem schiefen Grinsen. »Ihr habt nichts zu befürchten. Ihr seid gerettet.«

Der forschende Blick der Frau streifte ihn, heftete sich auf die Münze, die er unvermittelt aus seinem Ledergürtel zog. Die Tudor-Rose blitzte im Sonnenlicht auf.

»Jetzt ist nicht die Zeit für lange Erklärungen. Wenn wir Euch von Fearnoch fortschaffen wollen, müssen wir …«

William Ross’ Worte erstarben auf seinen Lippen, denn der gellende Schrei der Frau – laut genug, um bis nach Edinburgh zu dringen – durchtrennte wie ein Schwert die kalte Winterluft.

Kapitel 2

Gilbert Ross steckte seinen Kopf in den Kamin und versuchte, nach oben zu spähen. Als er nichts entdecken konnte, erhob sich der junge Geistliche und stellte das an der Wand lehnende Eisengitter wieder vor das Gesims. Der Rauch strömte weiterhin in die Kammer und hing wie eine bleierne Dunstglocke über seiner blonden Tonsur.

Hinter ihm ertönte das Knarren der Tür, und er drehte sich um. Zwei Geistliche lugten vorsichtig in die Kammer.

Er deutete zum Kamin. »Vater John, es ist an der Zeit, dass wir den Steinmetz holen lassen.«

Mit einem bekräftigenden Nicken zog sich der jüngere der beiden Männer zurück und verschwand in Windeseile durch den Gang.

»Und Vater Francis, wenn Ihr diese Kammer zu stickig findet, um darin zu arbeiten …«

»Ich bin daran gewöhnt, Propst.« Der ältere Priester betrat den Raum und schloss die Tür. »So lange ich denken kann, qualmt dieser Kamin. Und ich glaube, Vater Jerome hat schon vor langer Zeit resigniert.« Er schüttelte den Kopf. »Während der Wintermonate ist es eine rechte Plage.«

Zu resignieren, schien der Leitsatz seines Vorgängers gewesen zu sein, das hatte Gilbert Ross rasch begriffen, nachdem er das Amt des Propstes in der Kirche von St. Duthac übernommen hatte. Gilbert trat über Willie, seinen riesigen Hund, der unbekümmert weiterschnarchte, während sein Herrchen ein mit Läden verschlossenes Fenster öffnete. Gilbert füllte seine Lungen mit der kalten Winterluft, die sich mit dem entweichenden Rauch vermischte.

»Einer der Dorffischer ist gerade vom Markt aus Fearnoch zurückgekehrt, Propst. Sie ist dort.«

Gilbert drehte sich um und gewahrte, dass der Priester bereits seinen gewohnten Platz am Schreibtisch eingenommen hatte: Seine gichtgekrümmten Hände lösten das schwarze Band, welches ein gewaltiges Rechnungsbuch verschloss.

»Und mein Bruder?«

»Er ist ebenfalls dort. In Begleitung seiner Pachtbauern, aber ohne einen einzigen seiner Söldner.«

Der kritische Unterton in der Stimme des alten Priesters war unüberhörbar, und Gilbert versteifte sich unwillkürlich. Er und sein älterer Bruder William waren bereits im Kindesalter Schüler von Vater Francis gewesen. Ihre Mutter hatte sie gegen den Willen ihres Vaters und ihres ältesten Bruders Thomas in das altehrwürdige Schulstift geschickt. Obgleich William inzwischen Gebieter über den Ross-Clan war – und Gilbert der Propst von St. Duthac würde Vater Francis in ihnen zweifellos stets die Knaben sehen, die es zu schulmeistern galt.

Und eben deshalb wusste er genau, was nun kommen würde.

»Gilbert äh, Propst … für einen Mann von Williams Stellung ist ein solches Gebaren –«

»Vater Francis, ich dachte, William hätte große Umsicht bewiesen, als er mir versicherte – und Ihr habt genau dort gesessen, wo Ihr jetzt sitzt – als er mir versicherte, dass er sich des Problems annehmen werde, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen.« Er trat ebenfalls zum Schreibtisch und baute sich vor seinem früheren Lehrer auf. »Haltet Ihr es angesichts der Tatsache, dass der Ross- und der Sinclair-Clan seit Thomas Tod vor zwei Jahren nicht mehr ernsthaft aneinander geraten sind, nicht auch für sinnvoll, dass William jede neue Fehde vermeiden will?«

Francis grummelte etwas Unverständliches und fuhr mit seinem Finger über die Seiten.

Stirnrunzelnd überflog der betagte Geistliche die Zeilen, vorgeblich auf der Suche nach dem letzten Eintrag. Gilbert verschränkte die Arme vor der Brust. Er wusste genau, dass Vater Francis noch nicht fertig war. Ob nun Propst oder nicht, er würde sich die häufig wiederholten Maßregelungen ein weiteres Mal anhören müssen.

»War da noch etwas, Vater?«, fragte Gilbert sanft.

Der alte Mann explodierte. »Wahrhaftig, da war noch etwas, wie Ihr sehr wohl wisst! William darf nicht länger dem tolldreisten Unfug aus seinen Jugendtagen frönen. Bei allen Heiligen, William ist jetzt ein Laird! Der Anführer vom Clan Gille Aindrias, der Herrscher über alle Ländereien vom Fearnoch Firth bis zum Minch. In seinen Adern fließt das Blut seines berühmten Namenspatrons, William, Earl of Ross, der bei Bannockburn unsere eigene Sippe unter dem Bruce angeführt hat. Seine Hand war es, die das Siegel der Ross auf die Deklaration von Arbroath gesetzt hat!«

»Ich weiß, Vater Francis, ich weiß«, beschwichtigte Gilbert den betagten Priester und unterbrach dessen glühenden Wortschwall. »Ich bin Williams Bruder. Ich weiß besser als alle anderen um unseren Namen, unsere Herkunft … und um Williams Verantwortung.«

Der Gottesmann nickte mit ernster Miene. »Gewiss. Ihr seid ein feiner Mensch, Gilbert, und ich bin so stolz auf Euch, als wäret Ihr mein eigener Sohn. Indes ist es an der Zeit, dass Ihr Euren Einfluss als Propst von St. Duthac geltend macht, nicht nur zum Wohle der Wallfahrer, sondern auch zugunsten der Ross-Sippe.«

»Vater Francis, ich bin jetzt seit einem guten Monat Propst dieser Kirche und ihrer Ländereien, und wenn Ihr damit sagen wollt, dass mein Anliegen, eine gewisse Ordnung in diese Gemeinde zu bringen, und dass mein Vorhaben, den schlechten Zustand von St. Duthac zu beheben, unverantwortlich gegenüber meinen Mitmenschen ist –«

»Das sage ich beileibe nicht.« Der greise Priester stützte beide Ellenbogen auf dem Tisch auf und sah Gilbert beschwörend an. »Was ich damit sagen will, ist, dass Ihr zum ersten Mal in Eurem Leben eine gewisse Autorität über Euren älteren Bruder ausüben könnt. Ihr könnt William beeinflussen, ihn in dieser Angelegenheit –«

»William ist der Laird of Ross, Pater. Ich bin ein Geistlicher.«

»Ganz recht. Ihr besitzt die Macht des Geistes.« Vater Francis deutete mit seinem langen, knochigen Finger auf Gilbert. »Ich habe gesehen, wie er mit Euch umgeht – jetzt, da Ihr Propst seid. Er behandelt Euch nicht mehr wie in Eurer Kinderzeit als Ihr lediglich der jüngere Bruder wart, mit dem es ständig zu streiten und zu raufen galt. Inzwischen zollt er Euch mehr Respekt.«

Nur in Gegenwart Dritter, dachte Gilbert bei sich. »Also denn, was sollte ich nach Eurer Einschätzung mit meiner neu gewonnenen Macht über meinen Bruder anstellen?«

Der Anflug eines Lächelns glitt über das faltige Gesicht des alten Mannes.

»Ihr müsst bewirken, dass er sich ändert.«

»Ändert?«, wiederholte Gilbert verständnislos. »William?«

»Gewiss doch! Es ist an der Zeit, dass William Ross of Blackfearn erwachsen wird. Dass er seinem eigenen Leben mehr Wert beimisst. Bei allen Heiligen, Gilbert, er denkt mehr an das Wohlergehen der ärmsten Schafhirtin als an sein eigenes! Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass er in seinen Stallungen nächtigen würde, wenn er das Gefühl hätte, dass irgendeine alte Bettlerin in seinen herrschaftlichen Gemächern besser aufgehoben ist.« Der alte Priester beugte sich vor und fuhr mit gesenkter Stimme fort. »Es wird Zeit, dass er lernt, wie ein Gutsherr zu handeln. Ich habe versucht, ihn darauf vorzubereiten. Er sollte fortsetzen, was Thomas begonnen hat: die Instandsetzung seines Anwesens, um der Burg Blackfearn etwas von ihrem früheren Glanz zurückzugeben. Blackfearn ist die größte Festung auf dieser Seite von Inverness. Er darf seine gesellschaftliche Stellung nicht länger vernachlässigen. Er muss aufhören, sich wie ein gewöhnlicher Kleinbauer zu verhalten. Es ist ein Unding, auf den Feldern und in den Ställen zu essen und zu schlafen! Er muss seinen Platz als Führer seiner Soldaten und seines Volkes einnehmen.«

Gilbert öffnete die Lippen zu einer Erwiderung, doch der Geistliche grantelte weiter.

»Zwar wurde der Grafentitel Eurem Urgroßvater vor vielen Jahren aberkannt, aber in den Augen dieses Volkes und aller Adligen in den Highlands ist William jetzt der wahre Earl of Ross. Er ist ihr Stammesfürst. Er ist der Laird.« Vater Francis legte seine gichtgekrümmten Finger auf Gilberts Handrücken. »Und als solcher obliegt ihm die Pflicht, standesgemäß zu heiraten und einen Stammhalter zu zeugen, der Euren berühmten Namen weiterführt.«

Wieder wollte Gilbert etwas erwidern, doch Vater Francis hob die Hand und deutete auf eine schlichte Zeichnung, die auf dem Kaminsims stand. Die Skizze eines kleinen Mädchen-Gesichts.

»Ganz zu schweigen von Williams Versagen, Thomas’ kleine Tochter Miriam zu ihrer eigenen Sippe zurückzuholen.«

Gilbert lehnte sich in seinem Sessel zurück und nickte dem alten Priester nachdenklich zu. Sinnlos, ihm zu widersprechen. Die Hälfte dessen, was der Kaplan gesagt hatte, traf zu. Mehr als die Hälfte. Dennoch sah Gilbert keinen Weg, wie er seinen Bruder zu einer Heirat bewegen sollte.

Zu Gilberts größtem Kummer zog William die Gesellschaft der gefallenen Mädchen im Wirtshaus Three Cups ganz offensichtlich jeder wohlerzogenen Jungfer vor. Und in der Tat, im vergangenen Herbst, als er Gilberts Drängen schließlich nachgegeben und gemeinsam mit ihm die Tochter des Earl of Caithness unter dem Vorwand einer Jagdgesellschaft aufgesucht hatte, hatte William dem bedauernswerten Mädchen Selbiges eingestanden. Innerlich wand sich Gilbert bei der Erinnerung an die junge Frau, die entsetzt aufgesprungen und über die heidebedeckte Wiese in die Arme einer zutiefst empörten Mutter geflüchtet war.

Gilbert und William trennten nur zwei Jahre, wohingegen ihr Bruder Thomas mehr als zwölf Jahre älter gewesen war. Aufgrund des geringen Altersunterschieds waren die beiden jüngeren Brüder in ihrer Kindheit unzertrennlich gewesen. Und auch später, als Gilbert sein Leben in den Dienst der Kirche stellte und William zur St. Andrew’s geschickt wurde und danach auf das Gut von Lord Herries, standen sich die beiden sehr nahe. Sie waren nicht nur Brüder, sondern auch Freunde. Und in seiner Eigenschaft als Freund und nicht als Blutsverwandter hatte Gilbert Ross entschieden, dass sein älterer Bruder völlig zufrieden sei mit seinem Dasein – und das trotz des Umstandes, dass er zum Laird berufen worden war. William an diesem Punkt seines Lebens zu ändern, wäre genauso schwierig wie das Ausmeißeln eines Steinquaders mit einer Weidengerte.

»Es liegt bei Euch, Gilbert! Ihr habt die Macht und den Einfluss, etwas sehr viel Besseres zu bewirken als die Reparatur eines baufälligen Kamins. St. Duthac wird weiterhin bestehen. Ihr indes besitzt die Befähigung, den Namen derer von Ross zu erhalten und diesen undisziplinierten Burschen zur Vernunft zu bringen, den Ihr Bruder nennt.« Vater Francis’ Blick senkte sich auf die geöffnete Seite seiner Aufzeichnungen. »Ihr seid so umsichtig, dass Ihr ihn zu einem gesetzteren und ehrbareren Leben bewegen könnt. Damit er das richtige Mädchen findet. Das ist es, was er braucht, Gilbert. Die rechte Maid, die ihn zu zügeln weiß.«

Vielleicht, dachte Gilbert mit einem resignierten Grinsen. Diese Frau tat ihm allerdings jetzt schon Leid.

William Ross fluchte lautstark, als der kreischende, tretende Kobold einen schmerzhaften Hieb in sein Rückgrat gelandet hatte. Wer hätte gedacht, dass es leichter war, eine Horde von Sinclairs abzuwehren als die Frau in Schach zu halten, die er über seine Schulter geworfen hatte?

Ihr Geschrei hallte ihm noch immer in den Ohren. In dem Augenblick, als er sie über die niedrige Mauer hatte zerren wollen, hatte sie angefangen zu keifen, wie William es nie zuvor gehört hatte. Für ein so zartes Geschöpf war sie … resolut.

Bei der tätlichen Auseinandersetzung, die nun folgte, stürzten Karren und wurden Zelte umgerissen. Rasch strömten die Sinclairs in die Gasse, doch die Ross-Bauern waren genauso schnell und wimmelten sie ab, sobald sie erkannten, dass der Laird beteiligt war.

Mit einem vor Schmerzen verzogenen Gesicht richtete William sein Schwert gegen den vorpreschenden Anführer der Sinclairs, und das Klirren des Stahls übertönte das Gebrüll der Menge.

William drängte den Sinclair-Krieger zurück in die Menschenmassen und versuchte dann erneut, über die niedrige Mauer zu setzen. Als der Anführer ihn abermals angriff, überwältigte der alte, zahnlose Bauer vom Marktplatz ihn so flink, wie William es ihm nie zugetraut hätte: Der Hinterkopf des Mannes traf unsanft auf dem gefrorenen Erdboden auf und sein Schwert prallte gegen das Mauerwerk zu Williams Füßen.

Während der Bauer feixend auf dem Brustkorb des Mannes thronte, krallte die auf den Schultern des Lairds zappelnde Frau ihre Finger schmerzhaft in Williams Gesäß. Er schob sie höher auf seine Schulter und vernahm ihr angsterfülltes Seufzen, dass ihr Kopf gegen die Mauer stoßen könnte.

»Wir nehmen die südliche Gasse zu den Booten am Uferdamm«, brüllte er dem alten Bauern zu. »Haltet diese Halunken noch eine Weile auf.«

»Wird gemacht«, brüllte der Pachtbauer zurück, ehe sich zwei weitere Raufbolde auf ihn. stürzten.

Unterdes traktierte sie mit ihren Fäusten seine Kehrseite und seine Schenkel.

»Hört auf zu kreischen«, knurrte William, derweil er sich über Mauer und Abwassergraben schwang. »Sonst verdresche ich Euch, dass Euch Hören und Sehen vergeht, Jungfer.«

»Lasst mich los, Ihr brutaler Dreckskerl, oder ich kratze Euch eigenhändig Eure hässlichen Augen aus dem Kopf.«

Er strebte zu dem entlegenen Deich und zu einer Baumgruppe, wo die Pferde festgemacht waren. »Ist das nicht ein bisschen grausam für eine wohlerzogene englische Maid? Nein, lasst mich darüber nachdenken. Ihr kratzt mir die Augen aus, damit Ihr sie mir nach Gutdünken wieder einsetzen könnt. Nach welchen Kriterien beurteilt Ihr die Augen eines Menschen, Mylady? Nach ihrer Farbe oder –?«

»Ich würde Euch Euer Großmaul damit stopfen, auf dass Ihr daran erstickt!«

»Nun, daran hätte ich nie gedacht.« Die Zügel der beiden wartenden Pferde umfassend, zögerte William und schob sein Schwert in die Scheide. Vom Marktplatz drang der Lärm der Rauferei, immer noch in vollem Gange. Unmöglich, dass die Frau, die sein Hinterteil umklammert hielt, allein ritt. Er ließ einen der Zügel los und gab dem Pferd einen Klaps, worauf es seiner Wege trottete.

Ihr entsetzter Aufschrei, als er sie wie einen Sack über den Sattel des anderen Pferdes warf, brachte ein satanisches Lächeln auf seine Lippen. Dann saß er selber auf. Sobald William den Hengst anspornte, packte er sie energisch am Kragen ihres Umhangs und drückte sie auf den Pferderücken.

»Ich werde Euch umbringen«, kreischte sie und entlockte ihm damit ein raues Lachen. »Bei meinem Wort!«

Doch sobald die Pferde über eine niedrige Steinmauer und einen vereisten Bach sprangen, schlugen ihre Drohungen in Entsetzensschreie um. Als er über seine Schulter spähte, umklammerte sie mit ihren Händen verzweifelt seinen Stiefel. Drei der Sinclair-Männer hatten sich von dem Tumult gelöst und rannten über den Marktplatz, um sie zu verfolgen.

Innerhalb von Augenblicken hatten William und seine Trophäe das lichte Kiefernwäldchen im Süden von Fearnoch passiert, und er lenkte sein Streitross unvermittelt nach Westen, galoppierte über steinigen, unebenen Boden – und fort von der Bootsanlegestelle am Damm.

»Lasst mich hoch, Ihr Lump.« Sie wand sich erneut. »Das Wenige, was ich im Magen habe, wird sonst … wird sonst …«

»Tut Euch keinen Zwang an, Jungfer. Es wäre weitaus besser, wenn es auf dem Boden landen würde statt in meinem Schoß.«

Nach wenigen Minuten wilden Galopps verließen sie den Wald und stießen auf eine viel befahrene Straße, die von der Stadt über das Gebirge nach Westen führte.

Mittlerweile stöhnte die Frau bei jeder Unebenheit im Straßenpflaster, indes war William nicht bereit, ihre Geschwindigkeit zu drosseln. Als die Straße wieder nach Süden und in Richtung des Fearnoch Firth verlief, lenkte der Laird sein Pferd scharf nach rechts, verließ die Hauptstraße und galoppierte durch dichtes Kieferngehölz nach Westen.

Als William abermals über seine Schulter spähte, fehlte von den Sinclairs jede Spur. Sie waren zu Fuß und strebten nach Süden zum Ufer. Sobald sie ihren Irrtum bemerkten, wäre es zu spät. In der Zwischenzeit konnten ihre Verfolger sie nicht mehr einholen.

Er duckte sich gerade noch rechtzeitig, um einem tief hängendem Ast auszuweichen, und presste den Kopf der Frau fest gegen die Pferdeflanke, um zu vermeiden, dass ihr Gesicht vom Unterholz gestreift würde.

Nach einigen weiteren Sprüngen über umgestürzte Bäume wateten sie durch einen halb zugefrorenen Strom. Am anderen Ufer verlangsamte er und spähte zu ihr hinab. Sie wehrte sich nicht länger, selbst ihr Stöhnen war abgeebbt.

William lockerte den Druck auf ihren Kragen und hob ihr Gesicht etwas an. Es hat eine seltsam grünliche Färbung angenommen, dachte er bei sich. Nun, dann war ihre Übelkeit nicht nur vorgeschoben gewesen. Die Pferdeschulter war von den Resten ihres Frühstücks gezeichnet.

Vor einem Felsen am Flussufer griff der Highlander in die Zügel und saß ab. Ihr Anblick, wie ein Lumpensack über den Sattel geworfen, ließ ihn die Stirn runzeln. Er griff über das Tier und zog die Engländerin an sich. Sein Stirnrunzeln verstärkte sich, als sie reglos in seine Arme sank. Auf das Ufergestein gekauert, wiegte er sie in seinen Armen.

William schob die Kapuze ihres schweren Umhangs zurück und musterte sie. Ihr bleiches, mitgenommenes Äußeres dauerte ihn zutiefst. Ihr schwarzes Haar hatte sich teilweise aus dem Flechtenkranz gelöst und umschmeichelte zerzaust ihr vollkommenes Antlitz. Ihre Lider waren halb geschlossen, ihre vollen Lippen leicht geöffnet, ihr Atem ging unregelmäßig. Selbst in ihrem bedauernswerten Zustand – nein, vielleicht gerade deswegen – erkannte William, dass sie das schönste Geschöpf war, das er je gesehen hatte.

Verächtlich schnaubend fegte er solche Gedanken beiseite, stattdessen zupfte er an dem Band, das den Umhang an ihrem Hals verschloss. Alsbald sank das wärmende Kleidungsstück zu Boden und enthüllte die feine Stickerei auf ihrem weich fließenden, grauwollenen Gewand. William gewahrte den flatternden Puls unter ihrer alabastergleichen Haut. Sein Blick glitt tiefer, über weibliche Rundungen, die selbst ihr sittsames Kleid nicht verbergen konnte. Schnell sah er fort, auf den murmelnden Strom, denn er verspürte ein plötzliches Ziehen in seinen Lenden beim Anblick einer so schönen … und so verletzlichen Frau.

»Ruhig Blut, William«, gemahnte er sich. »Sie ist keine Frau für dich.«

Als er Sekundenbruchteile darauf erneut zu ihr spähte, hatte sie die Lider aufgeschlagen. Ihre amethystfarbenen Augen maßen sein Gesicht für eine lange Weile ohne ihn wiederzuerkennen, doch dann wurden sie unvermittelt schmal. Ein verstohlenes Lächeln trat in seine Mundwinkel, indes unterdrückte er es rasch und wandte den Kopf ab. Er schlang seinen Arm um ihre Schulter, richtete sie auf und führte sie vorsichtig zum Flußufer.

»Wie ich sehe, seid Ihr keine begnadete Reiterin.«

»Ich hasse Euch!« Ihre Stimme war nur mehr ein Flüstern.

»Nein, das tut Ihr gewiss nicht.« William setzte sie an den Rand der gurgelnden Wassermassen, tauchte seine Hand in das eisige Nass und benetzte ihr Kinn, ihre seidenzarten Wangen, ihre Stirn. »Ihr seid mir dankbar. Weil ich Euer Lebensretter bin.

Weil ich Euch aus der Gewalt dieser Halunken befreit habe.«

Ihre Augen waren auf sein Gesicht geheftet, und als er ihren Blick erwiderte, sah er den darin schwelenden Zorn. Unwirsch schob sie seine Hand von ihrem Gesicht, worauf er ein stummes Dankgebet gen Himmel sandte. Vermutlich war es besser für ihn, wenn er dieses Antlitz nicht berührte.

Der Highlander erhob sich und trat einen Schritt zurück. Doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte seine Augen nicht von ihrem biegsamen Rücken losreißen, als sie, über das Wasser gelehnt, ihr Gesicht erfrischte und einen eisigen Schluck nahm.

Ein langer Augenblick verstrich. Die Frau kniete am Fluss und glättete ihr Haar, ihm den Rücken zugewandt. Schlagartig dämmerte William, dass ihr kalt sein musste. Er schritt über den losen Kies und wollte soeben ihren Umhang aufheben, als ihm ein weiterer Gedanke kam. Obschon sie Monate lang eine Gefangene gewesen war und er alles daran gesetzt hatte, um sie zu befreien, so war sie doch im Grunde genommen eine verwöhnte Adlige. Und, schlimmer noch, eine englische Edeldame!

»Seid Ihr ein Verrückter?«

Sie war aufgestanden und musterte ihn, die Hände in die Hüften gestemmt, ihre Augen sprühten Blitze. Er warf ihr den Umhang zu, und sie fing ihn auf. Sie schlang ihn um ihre Schultern und verknotete eilig die Bänder an ihrem Hals. Sie wirkte wie ein Krieger, gerüstet für die Schlacht.

»Ein Verrückter? Nein, ich bin ein Ross.«

In ihrem zornesfunkelnden Blick flackerte Unsicherheit auf. Für einen kurzen Augenblick krauste sie die Stirn, ehe ein leises Lächeln über ihre Lippen huschte. Mit einem leichten Kopfschütteln wandte sie sich ab und wischte sich mit einem Umhangzipfel ihr Gesicht. Es forderte ihn seine ganze Willenskraft, nicht zu ihr zu treten und ihr zu helfen. Wäre sie nicht diejenige, für die er sie hielt, würde er mit Freuden eine schlaflose Nacht verbringen und jene glitzernden, perlgleichen Tropfen wegküssen, jeden einzelnen mit der sanften Berührung seines Mundes trocknen.

»Ich weiß nicht viel über die Clans und über die Sitten und Gebräuche der Highlander. Darf ich das so verstehen, dass es dasselbe ist, ob man nun ein Verrückter oder ein Ross ist?«

»Hütet Eure Zunge.«

Behutsam schob sie eine lose Haarsträhne in ihren Flechtenkranz, spähte zu ihm und ertappte ihn dabei, dass er sie anstarrte. Sogleich verfinsterten sich seine Züge und er blickte zu seinem Pferd.

»Warum habt Ihr mich denn aus dem Dorf entführt?«

»Ich … ich habe Euch nicht entführt. Ich habe Euch befreit.« Kopfschüttelnd knurrte er: »Euch vermutlich sogar das Leben gerettet.«

Ungläubig verdrehte sie die Augen und zog die schwere Kapuze über ihren Schopf.

»Pah«, schnaubte William. Wie töricht von ihm anzunehmen, dass sie sein Tun wahrhaft zu würdigen wüsste. »Es war nicht meine Entscheidung, Euch zur Seite zu eilen. Und wenn Ihr mir Schwierigkeiten macht, Frau –«

»Dann werdet Ihr mir etwas antun?«

Leise fluchend drehte der Highlander sich um und pfiff seinem Pferd. »Genau wie die anderen!«

»Welche anderen?«

»Alle von Eurem Schlage! Selbstsüchtiges Pack, das seid Ihr, alle miteinander! Es ist Euch angeboren und wird Euch auf Schritt und Tritt verinnerlicht. Und undankbar dazu. Ihr beißt in die Hand, die Euch füttert! Daran habe ich keinen Zweifel.«

»Undankbar?«

Er führte sein Pferd zum Fluss. Hörte, wie sie hinter ihn trat. Ihr keine Beachtung beimessend, kauerte er sich neben den Hengst und reinigte dessen Schulter und Flanke.

»Ich soll dankbar sein, weil Ihr einen friedvollen Marktflecken im Handumdrehen in ein Schlachtfeld verwandeln könnt? Weil Ihr mich gegen meinen Willen von den Leuten weggeholt habt, die …«

»Unser Gespräch ist beendet, Frau. Je eher ich Euch loswerde, umso besser.« Er trat neben sein Pferd. »Wenn Ihr mir Euer Wort gebt, dass Ihr Euch untadelig verhalten werdet, lasse ich Euch diesmal hinter mir aufsitzen. Zweifellos wird Gilbert denken, dass ich …«

Der Hieb auf seinen Schädel war gewaltig und kraftvoll, und William taumelte gegen sein Pferd. Tausend rotglühende Sonnen schienen vor seinen Augen zu explodieren, gleichwohl drehte sich der Highlander halb um, in dem Bestreben, die Frau hinter sich zu fixieren.

»Aber … Eure … Nachricht …«

Er versuchte, einen Schritt auf sie zuzugehen, sie indes schwang abermals den Felsbrocken. Wie benommen betrachtete er das Schauspiel, unfähig seinen Arm zu heben und den Schlag abzuwehren.

»Schwester.«

Und dann, plötzlich, stürzte er. Die Frau verschwand aus seinem Blickfeld. Die zuckenden Sonnenblitze waren ausgeblendet. Ja, sogar die Flusskiesel waren fort, und vor ihm tat sich ein Abgrund auf, so schwarz und schweigend wie ein Grab.

Kapitel 3

»Wenn Ihr mich fragt, so ist sie das sanftmütigste Geschöpf, das ich kenne.« Die betagte Nonne schürzte ihre faltigen Lippen. »Ganz gewiss ist sie die liebenswerteste und umgänglichste junge Frau, die mir je begegnet ist. Oui, ich sage Euch, Laura Percy war ein von Gott gesandter Engel, der uns in einer Zeit größter Not zur Seite stehen sollte.«

Der hagere, schweinsäugige Mönch bedeutete den drei stämmigen Schotten aus den Lowlands, im Gang zu verharren, derweil er der greisen Ordensfrau in die kalte Dienststube folgte. Nach einer kritischen Musterung der spärlich möblierten Kammer verweilte der Blick des Geistlichen auf dem winzigen, im Kamin züngelnden Feuer.

Die Nonne deutete auf zwei niedrige Schemel vor dem Kamin, und der Mönch nahm wortlos einen kleinen Korb mit bunten Garnspulen von einem der beiden und stellte diesen zu Boden. Die alte Frau setzte sich auf den anderen, hob einen mit Leinen bespannten Stickrahmen auf und harrte seiner Worte.

»Nun, dann muss sie seit wenigstens drei Monaten hier sein.«

Sie nickte. »Sie traf in einer äußerst schwierigen Zeit hier ein. Ich litt seit Tagen an der Ruhr und war ans Bett gefesselt. Meine Nonnen waren erschüttert von der Vorstellung, dass ich sterben könnte und sie sich ganz allein durchs Leben schlagen müssten. Wo doch die Ernte von unserem winzigen Stück Ackerland eingeholt und das fertige Leinen auf den Herbstmärkten feilgeboten werden musste – das war einfach zu viel für sie, so Leid es mir tut. Und dann … nun, überflüssig zu erwähnen, dass wir uns in großer, großer Not befanden.«

Abwesend hob der Mönch ein kantiges Stück Torfkohle vom Boden auf und betrachtete es von allen Seiten. »Ich nehme an, sie ist mit dem Schiff gekommen?«

»Oui«, antwortete sie, während sie emsig das kunstvolle Muster nachstickte. »Ich war viel zu geschwächt, um davon Notiz zu nehmen, aber nach Aussage meiner Ordensschwestern trieb sie derselbe Sturm zu uns, der auch unser Flachsfeld neben dem Lagerschuppen verwüstet hat. Wie mir berichtet wurde, handelte es sich um ein entsetzliches Unwetter, und das Schiff, das Laura nach Norden bringen sollte, musste hier im Hafen von Loch Fleet Zuflucht suchen, statt Kurs auf den Fearnoch Firth zu nehmen. Selbstverständlich erfuhr ich die Einzelheiten erst, als ich Wochen später genesen war. Gottes grenzenloser Güte sei Dank, dass Laura ungefragt die Führung übernommen, meine Nonnen beruhigt und wieder Ordnung in den Orden gebracht hat. Nun, das Mädchen hat sich sogar meiner Pflege angenommen.«

Die Hände der Mutter Oberin hielten in ihren flinken Bewegungen inne, ihre dunklen Augen fixierten den Mönch.

»Einige meiner Nonnen glauben, dass es ihre Gebete waren, die den Stürmen – und jenem Schiff mit Laura an Bord – den Weg zu unserem schmalen Küstenstreifen gewiesen haben.«

Der Gottesmann maß sein Gegenüber für einen kurzen Moment, dann warf er den Torfbrocken ins Feuer.

»Gewiss, zweifellos«, brummte er. »Und Ihr sagt, dass Ihr sie jeden Augenblick zurückerwartet?«

»Oui.« Geschäftig wandte sich die Nonne abermals ihrer Arbeit zu. »Vor Einbruch der Dunkelheit, um genau zu sein. Aber zuerst muss ich Euch so viel als möglich über die guten Taten berichten, die Laura Percy hier geleistet hat. Da Euch das Privileg zuteil wird, sie zu ihrer Mutter zurückzubringen, möchte ich, dass Ihr es in allen Einzelheiten erfahrt. Bitte, dankt Lady … Lady … wie war noch gleich ihr Name?«

»Percy!«, schnaubte der Geistliche und warf ein weiteres Stück Torfkohle aufs Feuer.

»Aber ist sie denn nicht schottischer Abstammung? Nach dem, was Laura erzählt hat …«

»Gewiss, Nichola Erskine Percy. Sie ist Schottin.«

»Oui! Ganz recht, Lady Erskine!« Die Nonne nickte bekräftigend und ignorierte den zunehmend aufgebrachteren Ton des Mönchs. »Sie hat ihre Tochter hervorragend erzogen.«

Nervös erhob sich der Mönch und schritt zu dem kleinen Fenster, das die Straße nach Fearnoch überblickte. »Ich werde es Lady Nichola ausrichten.«

»Ich glaube, Laura besitzt die Gabe, das Wesentliche zu erkennen. Ein Blick und schon –«

»Wie viele haben sie heute nach Fearnoch begleitet?«

Die Ordensfrau überlegte, verwundert über die Frage des Geistlichen. »Ah! Nun, Ihr habt völlig Recht mit der Annahme, dass wir sie nicht allein dorthin schicken. In Anbetracht der Tatsache, dass unser kleines Kloster St. Agnes in unmittelbarer Nachbarschaft der Burg Rumster liegt, sah ich keinen Sinn darin, ihr Leben unnötig in Gefahr zu bringen. Ich habe schlicht und einfach Sir Walter, unseren Wohltäter, um einen Gefallen gebeten, und er hat sich freundlicherweise einverstanden erklärt.«

»Was für einen Gefallen?« Der Mönch drehte sich halb zu ihr um und rieb sich sein stoppliges Kinn.

»Um die Gunst einer Begleitung an Markttagen, natürlich. Da Laura zur Hälfte Engländerin ist … und, nicht zu vergessen, ein hübsches Ding …« Die Hände der Nonne verharrten mitten in ihrer Stichfolge. »Ich hielt es für das Beste, alle Beteiligten einzuweihen. Soweit ich weiß, sind Sir Walters Männer in den vergangenen Monaten recht fürsorglich mit ihr umgegangen. Angesichts des ganzen Gesindels hier an der Küste ist es überaus wichtig, dass ein so wertvoller Mensch wie unsere Laura beschützt wird.«

Der Mönch nickte und blickte dann stirnrunzelnd wieder aus dem Fenster auf die unter ihm liegende Straße. Die Schatten wurden bereits merklich länger.

»Die einzige Klage, die mir gelegentlich zu Ohren kommt, ist die, dass unsere Laura sich viel Zeit lässt, wenn sie in Fearnoch ist. Habe ich Euch schon erzählt, dass sie recht gut ist im –«

»Gewiss, gewiss«, warf der Mönch ungehalten ein und drehte sich erneut zu der Nonne. »Ist sie mit vielen Gepäckstücken hier angereist?«

»Besitztümer? Nein, doch nicht unsere Laura.«

»Wie viele? Eine Truhe?«

Argwöhnisch schwieg die Oberin für einen langen Augenblick, ehe sie schließlich verständnisvoll nickte. »Aber natürlich. Um sie zurückzubringen, müsst Ihr genau wissen –«

»Wie viele, Mutter Oberin?«

»Ach, es war kaum der Rede wert«, entfuhr es der Nonne unwirsch. »Nichts, was eine Truhe erforderlich gemacht hätte. Sie besaß lediglich eine kleine Reisetasche.«

»Und was war darin?«

»Persönliche Dinge. Nur das Nötigste. Sonst nichts.« Abrupt hielt die Ordensfrau inne und maß den Mönch ärgerlich. »Ich glaube nicht, dass der Inhalt von Mistress Lauras Reisetasche auch nur irgendjemanden etwas angehen –«

»Hat sie seit ihrer Ankunft etwas von ihrer Mutter geschickt bekommen?«

»Von ihrer Mutter?« Verwundert schüttelte sie den Kopf. »Nein, ich glaube aber, dass sie sehr, sehr einsam ist …«

»Also hat sie nichts von der Mutter gehört?«

Abermals ließ sein scharfer Ton die Ordensfrau von ihrer Stickerei aufsehen. »Nein, nichts. Das ist richtig. Ihr seid der Erste, der über die Grenze Nachricht bringt von ihr.«

»Oder von ihren Schwestern? Hat sie irgendein Lebenszeichen von ihnen erhalten?« Er trat in die Mitte der Kammer. »Eine Nachricht? Oder vielleicht … ein Päckchen?«

»Ein Päckchen?« Misstrauisch kniff die Ordensvorsteherin die Augen zusammen. Unvermittelt sprang sie auf, warf ihre Handarbeit in den am Boden stehenden Korb. »Ich glaube nicht, dass mich diese Fragen zu kümmern haben. Vermutlich habe ich bereits mehr enthüllt, als ratsam ist. Ich habe wahrhaftig nicht den Wunsch, Euch etwas anzuvertrauen, was Laura Euch lieber selber sagen würde.«

»War da ein Päckchen?«

»Laura wird bald hier sein. Wenn sie es so wünscht, kann sie all Eure Fragen beantworten. Bis dahin könnt Ihr hier verweilen, wo Ihr es warm und bequem habt. Ich hingegen muss aufbrechen und Sorge tragen, dass genug auf den Tisch kommt für alle.«

Darauf trat der Geistliche zwischen Nonne und Tür und versperrte ihr den Weg.

»War da ein Päckchen?« Seine Stimme klang finster und bedrohlich. »Wenn Ihr nicht reden wollt, so bin ich gewiss, dass eine Eurer Betschwestern mir Rede und Antwort stehen wird.«

Trotzig biss die greise Ordensfrau die Kiefer aufeinander. »Ich bin die Oberin in diesem Kloster. Nun, ich weiß zwar nicht, inwieweit ein solches Verhalten im Grenzland – oder wo immer Ihr herkommt – geduldet wird, aber hier gibt Euch niemand das Recht, so zu reden.«

»Vergesst nicht, dass ich geschickt wurde von –«

Mit einer wegwerfenden Handbewegung brachte sie den verblüfften Geistlichen zum Verstummen, ihre Augen funkelten bedrohlich.

»Für jemanden in einer Vertrauensstellung, wie man sie Euch bei dieser jungen Frau gegeben hat, enttäuscht Ihr mich wahrlich. Und jetzt setzt Euch wieder ans Feuer … und sammelt Euch. Ich werde Laura zu Euch schicken, sobald sie von Fearnoch zurückkehrt.«

Mit einem knappen Nicken schlüpfte die Ordensvorsteherin von St. Agnes flink an dem Mönch vorbei und strebte aus der Kammer.

»Was ist mit meiner Schwester?« Laura warf den Felsbrocken zurück in Sand und Geröll, kniete sich neben den bewusstlosen Highlander und tippte mit einem Finger auf seine Schulter. Als er nicht reagierte, schüttelte sie ihn. »Was wolltet Ihr mir von meiner Schwester sagen? Welche Schwester?«

Sie erhielt keine Antwort. Vielleicht hatte sie zu fest zugeschlagen, überlegte sie. Flink rutschte sie auf seine andere Seite und maß das von Sand und Staub verkrustete Gesicht. Behutsam wischte Laura etwas Sand weg, der in den langen Wimpern des Mannes hing. Vorsichtig presste sie ihre Hand seitlich der Kehle des Kriegers. Sie fühlte den Pulsschlag unter der rauen Haut, doch sein Gesicht hatte eine aschgraue Färbung angenommen. Er sah nicht sonderlich gesund aus.

Sie tastete seinen dichten, welligen haselnussbraunen Schopf nach einer Beule ab und zuckte unwillkürlich zusammen, als ihre Finger etwas Warmes, Feuchtes – Blut – auf seiner Kopfhaut ertasteten. Als Laura sein Haar teilte, biss sie sich beim Anblick der riesigen Platzwunde, die sie ihm zugefügt hatte, auf die Lippen.

Aus ihrem Ärmel zog sie das fein bestickte Taschentuch, das ihr die Mutter Oberin zum Zeichen ihres Dankes geschenkt hatte, und betupfte behutsam die Verletzung. Innerhalb von Augenblicken war das weiße Leinen blutrot.

Während sie das Tuch in dem eisigen Strom auswusch, überlegte Laura, was als Nächstes zu tun sei.

Sie hatte ihm den Schlag in der Annahme versetzt, dass der Mann in den Diensten des abscheulichen Sir Arthur Courtney stünde … oder eines anderen Statthalters des englischen Königs. Auch die Tudor-Münze, die er hochgeworfen hatte, als er sie vom Marktplatz gezerrt hatte, hatte darauf hingewiesen.

Gleichwohl, wenn sie den Ohnmächtigen betrachtete, der verletzt und geschunden neben ihr lag, kamen Laura ernsthafte Zweifel an ihren bisherigen Vermutungen.

Was hatte er gesagt?, überlegte sie. Er schien den Eindruck zu haben, dass sie der Rettung bedürfe. Aber von wem, das fragte sie sich? Und auch seine letzten Worte vor … nun ja, ehe er das Bewusstsein verlor. Laura war sich gewiss, dass er die Begriffe ›Nachricht‹ und ›Schwester‹ geäußert hatte!

Es war nicht auszuschließen, dass Catherine oder auch Adrianne tatsächlich diesen Mann angeheuert hatten, um ihr eine Nachricht zu überbringen. Es war ebenso denkbar, dass der Mann geglaubt hatte, sie bedürfe seiner Hilfe, als er sie in Begleitung jener Sinclair-Söldner gewahrte. Schlagartig fühlte Laura sich etwas unwohl in ihrer Haut.