Gunthard Weber Claude Rosselet (Hrsg.)

Organisationsaufstellungen

Grundlagen, Settings, Anwendungsfelder

2016

Danksagung

Wir danken allen Autorinnen und Autoren dieses Buches für ihre anregenden und innovativen Beiträge. Markus Pohlmann und dem Lektorat des Carl-Auer Verlags, Dr. Ralf Holtzmann und Weronika J akubowska, danken wir für die aufwendige und sorgfältige Überarbeitung der Beiträge. Der Buchsatz von Melonie Drißner gefällt uns sehr.

Gunthard Weber & Claude Rosselet Einleitung

Einleitung

1 Gunthard Weber und Claude Rosselet im Gespräch über Entwicklungen in der Aufstellungsarbeit

CLAUDE ROSSELET Die Organisationsaufstellung hat sich aus der Praxis der Familienaufstellung heraus entwickelt. Dabei hat sie bei letzterer – zumindest in den Anfängen – viele Anleihen genommen: auf der Ebene der Interventionstechniken, des Settings und natürlich auch auf der Ebene von Erklärungsversuchen hinsichtlich dessen, was im Prozess des Aufstellens passiert. Erst nach und nach wurden neue Formate und Settings entwickelt sowie Erklärungsansätze von Organisationstheoretikern wie Edgar Schein, Karl E. Weick, C. Otto Scharmer und Dirk Baecker einbezogen. Du warst von Beginn an dabei und hast so manches auf den Weg gebracht. Magst du erzählen, was damals geschah?

GUNTHARD WEBER Da hatte der nicht zufällige Zufall seine Hand im Spiel. Und es verlief ähnlich wie im Jahr 1986, als ein paar Wiener Organisationsberater an Fritz Simon gelangten mit der Frage, ob er versuchen könne, mit ihnen die Prinzipien und Vorgehensweisen der systemischen Familientherapie auf die Organisationsberatung zu übertragen. Fritz Simon bat mich, mit ihm gemeinsam ein Seminar durchzuführen. Diese Veranstaltung war eine der Keimzellen, wenn nicht die Geburtsstätte der systemischen Organisationsberatung.

Acht Jahre später – 1994 – fragten die beiden Organisationsberater Thomas Siefer und Michael Wingenfeld dann Bert Hellinger, ob er in einem Seminar ausprobieren wolle, die Grundlagen und das Vorgehen aus den von ihm entwickelten Familienaufstellungen auf Beziehungen in Arbeits- und Organisationskontexten anzuwenden. Bert Hellinger bat Brigitte Gross und mich dazuzukommen, weil er damals noch wenig Erfahrung in der Bearbeitung von Themen aus der Welt der Organisationen bzw. Unternehmen hatte.

Ich war einigermaßen skeptisch: Gibt es nicht zu große Unterschiede zwischen Organisationen und Familien, was die Formen der Emergenz betrifft? Wie würde das hier mit der repräsentierenden Wahrnehmung funktionieren? – Auf überzeugende Art und Weise wurde ich eines Besseren belehrt: Ich stellte dort in Kufstein meine damalige Arbeitssituation auf. Ich war am Heidelberger Institut für systemische Therapie und Beratung (IGST) tätig. Ohne auf die Details der Aufstellung einzugehen, möchte ich die entscheidende Intervention von Bert Hellinger beschreiben. Er nahm zu einem bestimmten Zeitpunkt der Aufstellung meinen Stellvertreter aus dem Beziehungsgefüge des Instituts heraus, stellte ihn ans Fenster mit Blick nach draußen und bemerkte: »Man könnte ja auch noch woanders arbeiten.« Die Miene des Stellvertreters veränderte sich unmittelbar; sein Gesicht hellte sich auf und er atmete tief durch: »Hier ist Leichtigkeit, hier ist Freiheit und Kreativität. Hier ist neue Energie!«, sagte er und schien dabei große Erleichterung zu verspüren. Darauf bemerkte Bert Hellinger in seiner unverwechselbaren Art »Hier lass ich‘s!« und beendete die Aufstellung. Ich war beeindruckt. Zum einen widerspiegelte die Aufstellung tatsächlich vieles, was sich damals im Institut abspielte. Zum anderen gab es mir den Impuls, das Institut – das ich mit aufgebaut hatte, dem ich lange vorstand und das mir viel ermöglicht hatte – zu verlassen und in Wiesloch ein neues Institut zu gründen. Und dort waren wir auch kreativ und es fühlte sich leicht an.

Am Schluss des Seminars sagte Bert Hellinger zu mir: »Organisationsaufstellung ist für mich nicht so von Interesse – entwickle du das weiter.« Dieser »Auftrag« kam mir nicht sehr gelegen, hatte ich doch eigene Pläne. Doch im Verlaufe meiner weiteren Tätigkeit machte ich vermehrt Aufstellungen zu Themen aus dem Arbeits- und Organisationskontext. Ich begann mich zunehmend mit der Frage zu beschäftigen, welche Dynamiken in Organisationen als sozialen Systeme wirksam sind und welchen Gesetzmäßigkeiten sie unterliegen. Das Ergebnis war faszinierend. Und weil die Organisationsaufstellung rasch Interesse hervorrief, entschloss ich mich, 1998 in Wiesloch eine erste Tagung dazu durchzuführen. Auch schrieb ich einen Artikel, der eine gute Resonanz fand, und gab dann im Jahr 2000 das Buch »Praxis der Organisationsaufstellungen« heraus. Bis heute hat mich das Thema nicht losgelassen und die Organisationsaufstellung ist ein fester Bestandteil meiner Arbeit geblieben.

CLAUDE ROSSELET Mich interessiert, wie du zu den Ordnungsprinzipien – Klarheit hinsichtlich Zugehörigkeit, Vorrang des Ranghöheren, Vorrang des Dienstälteren, Vorrang des besonderen Einsatz Leistenden und Vorrang des wichtigeren Leistungsträgers – gekommen bist. Hast du diese direkt aus der Familienaufstellung abgeleitet oder haben sie sich in der Arbeit– durch Experimentieren – selbst herausgeschält? Ein wichtiges Element in Organisationsaufstellungen ist ja neben den involvierten Akteuren die Aufgabe als konstituierendes Moment, das du oft mit aufstellst.

GUNTHARD WEBER Ausgangspunkt waren die in der Familienaufstellung relevanten Ordnungsprinzipien. Meine Fragen lauteten: Gelten ähnliche Prinzipien in Organisationen? Gibt es eine entsprechende Platzierung der Stellvertreter im Raum? Was entspricht in Organisationen eventuell dem Vorrang der Eltern vor den Kindern? Das testete ich aus und schaute auf die Wirkung. Über Versuch und Irrtum kam ich zu den von dir angeführten Prinzipien und der entsprechenden Platzierung der Stellvertreter für die Leitung, die Mitarbeitenden und die Aufgabe im Raum. Wichtig war mir auch der Kontakt zu den Stellvertretern, die ich nach einer Umstellung immer fragte: »Ist es da besser oder schlechter? Gibt es einen Impuls zur Veränderung?« Dabei stellte sich heraus, dass es Konstellationen gab, die sich leicht und richtig anfühlten.

Ein weiteres Thema war jenes der Zugehörigkeit. Zur Familie gehört man durch Geburt. Diese Bande lässt sich nicht auflösen. Das gilt hinsichtlich der Organisation nicht: Zu ihr gehört man aufgrund eines freien Entscheides. Dieser kann jederzeit rückgängig gemacht werden. Ich beobachtete aber, dass die Länge der Zugehörigkeit zu einer Organisation Wirkung zeigt: Dienstältere Mitarbeiter wollen entsprechend geachtet werden. Ich sah auch die Folgen für das ganze System, wenn jüngere Mitarbeitende sich einen zentralen Platz anmaßten. Und ich entdeckte, dass der besondere Einsatz für die Organisation anerkannt und gewürdigt werden wollte. Ja, und dann ist immer eine (gemeinsame) Aufgabe zu bewältigen. Ihr – und vor allem der Ausrichtung auf sie – kommt in Organisationen eine zentrale Bedeutung zu. Organisationen werden kreiert, um spezifische Aufgaben zu erfüllen. Zu oft konzentriert man sich auf die Gestaltung der Beziehung zueinander und vergisst, dass die gemeinsame Aufgabe im Zentrum stehen sollte. Ist die Aufgabe im Blick, dann kommt es zur Fokussierung und zur Konzentration.

CLAUDE ROSSELET Mit Blick auf deine langjährige Erfahrung würde mich noch Folgendes interessieren: Was haben die Klienten gesucht, wenn sie bei dir eine Organisationsaufstellung machen wollten?

GUNTHARD WEBER Das variiert sehr – eher weniger Antworten auf Fragen des Managements, sondern Anliegen wie »Wie komme ich in der Organisation in meine Kraft?«, »Ich plane, ein Unternehmen oder Institut zu gründen, und möchte das mal aufstellen«, »Soll ich bleiben oder gehen?«, »Wie kann ich Konflikte mit Kollegen lösen?«, »Ich hätte gern Unterstützung bei einer Entscheidungsfindung.« Viel habe ich zu Themen in Familienunternehmen aufgestellt. Dabei kam mir zugute, dass ich mich sowohl in Familiendynamiken als auch in Organisationsdynamiken gut auskenne. So konnte ich beide Seiten in den Blick nehmen. Denn zwischen den beiden Systemen gibt es ja immer Kontextvermischungen, Interferenzen und Überschneidungen. Natürlich kamen auch Manager zu mir mit Fragen wie: »Welche Auswirkungen könnte die geplante Umgestaltung der Holdinggesellschaft haben? Was wäre möglich? Worauf sollte man besser verzichten?«

Schon recht früh entwickelte ich die Überzeugung, dass die Aufstellungsarbeit zu Organisationsdynamiken eher in die Hand von Organisationsberatern gehört. So gab ich den Anstoß zur Gründung der »Ostergruppe«, aus der im Jahr 2004 das »Internationale Forum für Systemaufstellungen in Arbeits- und Organisationskontexten« (Infosyon) hervorging. Darin haben sich vor allem Coachs und Organisations- bzw. Unternehmensberater zusammengeschlossen.

CLAUDE ROSSELET Dort stellte sich von Beginn an die Frage: Wie lässt sich die Aufstellungsarbeit – außer im Einzelsetting und im Standardsetting des offenen Seminars – auch organisationsintern im Rahmen von Workshops mit Teams einsetzen? Damit taten sich viele Berater schwer. Ich erinnere mich an folgende Äußerung eines sehr erfahrenen Organisationsberaters: »Ganz selbstverständlich wende ich die Aufstellungsarbeit im Rahmen meiner Coaching-Sitzungen – also im Einzelsetting – an. Doch es fällt mir nicht leicht, in einem Strategie Workshop beispielsweise meinen Kunden eine Organisationsaufstellung vorzuschlagen.«

GUNTHARD WEBER Wären Aufstellungen im Kontext der Organisationsberatung entstanden, so wäre dies möglicherweise anders gewesen. Aufstellungsarbeit wurde oft belächelt und die Menschen, die sie anboten, nicht ganz ernst genommen. Diese Vorstellungen haben dann wohl auch, wie eine Art Schere im Kopf, Berater daran gehindert, Aufstellungen ganz selbstverständlich im Workshopsetting anzubieten. Die Fälle allerdings, die mir bekannt sind, verliefen oft erfolgreich und die Manager waren überzeugt von der Effektivität und Effizienz des Verfahrens.

CLAUDE ROSSELET Manager mit Erfahrung in der Organisationsaufstellung zeigen sich immer beeindruckt davon, was alles ans Licht kommt. Allerdings bleibt bei manchen ein Rest an Skepsis der Aufstellungsarbeit gegenüber bestehen: Manager – und Berater – haben letztlich keine Erklärung dafür, wie das Verfahren funktioniert. Auch lässt sich in der Welt des Managements eine Entscheidung nicht unter Hinweis auf eine Aufstellung rechtfertigen: Die Methode hat keinen angestammten Platz im »Business as usual«. Ein Manager sagte einmal zu mir: »Wenn ich den Zufall ins Spiel bringen will, dann werfe ich lieber eine Münze!«

Gelegentlich setzen Manager Organisationsaufstellungen mit Familienaufstellungen und deren manchmal heftigen Emotionen gleich und äußern sich abwehrend: »Bloß nicht in meinem Unternehmen!«

GUNTHARD WEBER Ich wende die Aufstellungsarbeit im Setting der offenen Seminargruppe an: Einzelne Klienten kommen zu mir und wollen ihre berufliche Situation oder Fragen aus ihrer Organisation klären. Du hast einen etwas anderen Weg gewählt: Du arbeitest organisationsintern mit Gruppen und Teams im Rahmen von Workshops zur Klärung von Fragen zur Lenkung, Gestaltung und Entwicklung der Organisation als Ganzes. Dabei setzt du die von der Fragestellung Betroffenen als Stellvertreter ein. Davor habe ich früher immer gewarnt. Wie genau gehst du da vor?

CLAUDE ROSSELET Auch dabei war Zufall im Spiel. Nach meiner Weiterbildung in Familienaufstellung – damals gab es noch keine Trainings für Organisationsaufstellungen – bot ich regelmäßig Seminare für Manager an. Ich hatte natürlich gehofft, dass die Manager in Scharen herbeiströmen und diese einzigartige Gelegenheit nutzen, um Fragen zu klären. Ich wurde eines Besseren belehrt: Es kamen vor allem Beraterkollegen und nur sehr zögerlich Manager. Ich erkundigte mich im Rahmen einer kleinen Umfrage nach dem Grund für die Zurückhaltung und erhielt eine klare Antwort: Den Managern war es zuwider, so viel Zeit – die Dauer eines mehrtägigen Seminars – für die Lösung eines Problems aufzuwenden; auch wollten sie nicht ihre Themen und Fragestellungen in einer Gruppe mit ihnen fremden Menschen offenlegen und schon gar nicht die Information preisgeben, wie ihr Unternehmen sich einen Marktvorteil verschafft.

Wenn also die vielbeschäftigen – und etwas misstrauischen – Manager nicht zur Aufstellungsarbeit kommen, dann muss die Aufstellungsarbeit zu ihnen gehen! Also beabsichtigte ich, die Organisationsaufstellung organisationsintern in Workshops mit Managementteams anzubieten. Dabei wollte ich nicht Kollegen in die Workshops mitbringen, die sich als Stellvertreter zur Verfügung stellen – ein solches Prozedere schien mir zu riskant und zu aufwendig. Nein, ich wollte die anwesenden, von der Frage selbst betroffenen Mitglieder des Managementteams als Stellvertreter einsetzen. Doch dem stand ein Hindernis im Weg: Du hattest, wie gesagt, immer Bedenken hinsichtlich des Einsatzes von Betroffenen in Aufstellungen.

Und wieder kam der Zufall zuhilfe. Ein Beraternetzwerk, mit dem ich zusammenarbeitete, hatte Schwierigkeiten, eine Dienstleistung zu vermarkten. Bei einem Treffen, an dem ich zugegen war, wurde ich angesprochen: »Du arbeitest doch mit Aufstellungen. Könntest du dieses Thema nicht mal aufstellen?« Ich war bereit, aber es standen nur die betroffenen Berater als Stellvertreter zur Verfügung. Der Dreh war folgender: Ich ließ nicht Stellvertreter für die einzelnen Berater aufstellen, sondern für Personengruppen – das Beraternetzwerk als Ganzes, die an der Entwicklung der Dienstleistung beteiligten Berater und die potenziellen Kunden – sowie für die drei Elemente Mission des Berater-Netzwerkes, Dienstleistung und Nutzen der Dienstleistung. Die Aufstellung brachte ans Licht, dass Uneinigkeit hinsichtlich der Mission bestand. Das gab einen entscheidenden Ruck im Beraternetzwerk. Und mir wurde klar: Es ist sehr wohl möglich, von der Fragestellung Betroffene als Stellvertreter aufzustellen!

Ein weiterer Zufall war, dass der CEO Dr. Luigi Pedrocchi auf mein Angebot einging, ihn und sein Managementteam bei der Bearbeitung einer Reihe wichtiger strategischer Entscheidungen zu begleiten und dabei die Organisationsaufstellung einzusetzen. In dieser Zusammenarbeit entwickelte sich ein Setting, das die Organisationsaufstellung mit anderen Interventionstechniken in einen gestalteten Prozess der intuitiven Entscheidungsfindung integriert.

Bei einem Treffen der Ostergruppe erzählte ich von meiner Arbeit. Georg Senoner war Zuhörer und sagte zum Schluss: »So arbeite ich auch.« Das war der Anfang einer langen und fruchtbaren Zusammenarbeit und Freundschaft. Gemeinsam mit Henriette Lingg – sie brachte die Konzepte und Interventionspraktiken der Strukturaufstellung ein – publizierten wir 2007 das Buch »Management Constellations«. Mein Fazit lautet: Wenn ein Managementteam seinem Berater vertraut und der Teamleiter keine Vorbehalte gegenüber Organisationsaufstellungen hat, kann man die Aufstellungsarbeit getrost einsetzen. In der Regel ist es einfacher, bereits in einer frühen Phase des Beratungsprozesses mit Aufstellungen zu arbeiten: also bereits bei der Auftragsklärung mit dem Leiter – hier verwende ich meine Holzfiguren oder auch Gegenstände auf dem Sitzungstisch – oder bei der Situationsanalyse zu Beginn eines Workshops.

GUNTHARD WEBER Ich vertraue gänzlich auf die direkte Wirkung der Aufstellung, auf die Impulse, die ein Klient dadurch erhält. Nach meiner Erfahrung sind in offenen Seminaren nach Aufstellungen keine längeren Ausführungen nötig. Du machst es anders: An die szenische Arbeit schließt du ein Gespräch, einen Dialog, an. Schmälert das die Wirkung dessen, was man in der Aufstellung erfährt, nicht? Oft habe ich beobachtet, dass Berater während der Aufstellung beratend intervenieren oder Kommentare abgeben. Meiner Ansicht nach stört dies den Fluss des Aufstellens, die schwachen Signale aus dem impliziten Wissen werden gleichsam übertönt.

CLAUDE ROSSELET Der Dialog nach der szenischen Arbeit ist im Workshopsetting ein wichtiges Element. Er schmälert keineswegs die Wirkung, sondern dient der Abstimmung der Einsichten zwischen den Teammitgliedern und der Vereinbarung konkreter nächster Schritte zur Umsetzung des Lösungsimpulses. Oft werden dabei zusätzliche Themen angesprochen. In der Aufstellungsarbeit zeigen sich ja Schwierigkeiten als Folge dysfunktionaler Dynamiken im System als Ganzem. Das hat etwas Entlastendes: Ein Scheitern wird nicht einem einzelnen Teammitglied als persönliches Versagen zugeschrieben. Man steht gemeinsam für das Ganze ein. Zusätzlich fokussiert die Aufstellungsarbeit auf Lösungen statt auf Probleme.

Während der szenischen Arbeit, also während der Aufstellung, halte ich es so wie du: Ich gebe weder Kommentare ab, noch interpretiere ich, was sich in der Aufstellung zeigt. Aufstellung ist in meinen Augen ein kokreativer Prozess: Gemeinsam bestimmt man, was aus dem schöpferischen Impuls werden soll.

GUNTHARD WEBER Für mich schälen sich nun zwei unterschiedliche Vorgehensweisen heraus. Ich prüfe, welche persönlichen Muster aktiviert werden in einer bestimmten Situation des Arbeits- und Organisationskontextes. Muster, die durchaus zu tun haben können mit Dynamiken in der Herkunftsfamilie des Klienten. Die Organisation des Klienten bildet dabei gleichsam den Hintergrund. Bei dir hingegen rückt dieser Hintergrund in den Fokus: Gegenstand deiner Arbeit sind die Dynamiken der Organisation. Kannst du kurz zusammenfassen, was die zentralen Momente dieser Praxis sind?

CLAUDE ROSSELET Ich arbeite bei meinen Kunden im Rahmen eines organisationsinternen Workshops. Diese Kunden sind nicht Einzelpersonen, sondern Teams. In der Regel stecken sie in einer Situation fest, die von mehrdeutiger Information, Komplexität und Turbulenz geprägt ist. Sie wollen nicht nur Einsicht in die Situation nehmen, sondern gemeinsam ins Handeln kommen. Oft haben sie bereits vergeblich versucht, das Problem mit ihren gewohnten betriebswirtschaftlichen Methoden zu lösen.

Bei meinen Interventionen geht es um Sinn- bzw. Orientierungsstiftung unter Einbezug des impliziten Wissens. Eher selten suche ich die Vergangenheit der Organisation nach Ereignissen ab, die das Gewissen belasten. Gewinnbringend scheint mir zu sein, sich dem schöpferischen Impuls anzuvertrauen, der zu ersten Schritten in eine immer offene Zukunft ermutigt.

GUNTHARD WEBER Wenn ich in einem offenen Seminar arbeite, erstaunt mich immer, in welch kurzer Zeit eine vertrauensvolle, ja intime Atmosphäre entsteht. Ist das im Setting des Teamworkshops auch so?

CLAUDE ROSSELET Nicht ganz. Teamentwicklung ist nicht intendiert, tritt aber als Nebeneffekt auf. Bei meiner Arbeit im Workshopssetting fokussiere ich nicht auf die Beziehungen zwischen den einzelnen Teammitgliedern. Diese wie auch persönliche Themen der einzelnen Mitglieder rücken in den Hintergrund. Das haben in einem Fall einzelne Mitglieder eines Managementteams denn auch bemängelt. Diesbezüglich hätten sie mehr Klärung gewünscht. Zur Klärung der Beziehung zwischen einzelnen Teammitgliedern setze ich im Workshopsetting jedoch nicht die Aufstellungsarbeit ein, sondern andere systemische Vorgehensweisen oder, wenn ich szenisch arbeiten will, das räumliche Soziogramm. Aber es ist ja bekannt: Wenn etwas gut läuft, dann möchten die Klienten mehr desselben. Dann liegt es im Ermessen des Beraters zu bestimmen, wann und wo er eine Grenze setzt. Und natürlich ist es hilfreich, über mehrere Interventionsmethoden zu verfügen.

GUNTHARD WEBER Wenn wir auf die Entwicklung der Aufstellungsarbeit schauen, gab es Ende der 1990er Jahre bei der Familienaufstellung einen regelrechten Hype – mit allem, was dazu gehört: Euphorie und teilweise sehr abwertende Kritik. Die Entwicklung der Organisationsaufstellung scheint anders zu verlaufen. Sie sickert mehr in die Welt der Beratung und des Managements ein. Siehst du das auch so?

CLAUDE ROSSELET Ja, einen Boom der Organisationsaufstellung gab es nie und ich vermute, es wird auch keinen geben. Aber zunehmend mehr Berater kennen und schätzen die Aufstellungsarbeit und wollen sie gerne anwenden. Viele von ihnen beherrschen dieses Handwerk tatsächlich. Es könnte durchaus sein, dass die Organisationsaufstellung über diese Berater in die Welt des Managements einsickert – mir gefällt dieses Bild! Das wird dann ganz selbstverständlich geschehen.

Organisationsaufstellung sollte man nicht anpreisen, schon gar nicht als ultimativen Heilsweg. Ich finde, man muss das Verfahren auch nicht zwingend in Verbindung bringen mit Prinzipien, die aus der Morallehre abgeleitet sind und systemisch genannt werden, was recht häufig passiert und Verwirrung stiftet. Man kann ja durchaus der Meinung sein, dass der kokreative Prozess des Aufstellens, also der Akt des Sich-Aufeinander-Beziehens und des gemeinsamen Gewahrwerdens, selbst schon eine gute Tat ist.

GUNTHARD WEBER Ich kann nachvollziehen, wenn Manager ambivalent gegenüber Aufstellungen sind. Vieles verstehe ja auch ich noch nicht: wie die repräsentierende Wahrnehmung funktioniert und ein schöpferischer Impuls entsteht. Von außen betrachtet, üben wir tatsächlich etwas aus, das unüblich und merkwürdig ist. Was mich bei dieser Arbeit hält, sind die positiven Feedbacks der Klienten. Bestärkend ist auch die kürzlich in Heidelberg erstellte erste universitäre Studie zu Systemaufstellungen. In ihr wird nachgewiesen, dass die Wirkung einer Aufstellung mindestens über ein Jahr hinweg anhält, zu einer Verbesserung der psychischen Befindlichkeit führt, zu einem höheren Grad der Erreichung subjektiver Ziele sowie einem verbesserten Erleben zwischenmenschlicher Beziehungen. – Vielleicht lässt sich das Interesse von Universitäten an der Aufstellungsarbeit ja noch weiter wecken.

CLAUDE ROSSELET Du gibst mir das Stichwort. Es freut mich sehr, dass sich 2014 Therapeuten und Berater, die die Aufstellungsarbeit seit vielen Jahren ausüben und (international) weitervermitteln, mit interessierten Vertretern aus der universitären Lehre und Forschung zu einem Forschungskreis zusammengefunden haben. Dieser Diskurs über Praktiken und ihre Grundlagen wird die »Community of Practice« mit Sicherheit stärken. Und das – so denke ich – wird sich wiederum positiv auf die Rezeption der Arbeit, sei es in der Therapie oder in der Beratung von Organisationen, auswirken.

GUNTHARD WEBER Und das wird vielleicht auch zur Entmystifizierung der Aufstellungsarbeit beitragen. Möglicherweise entwickelt sich gar eine Theorie mit schlüssigen und ausdiskutierten Konzepten. Damit würden wir in die Phase der Ernüchterung treten und die erste Phase – die der Grandiosität – hinter uns lassen. Diesen Weg beschreiten ja alle neuen Methoden.

Wichtig ist, dass die Aufstellungsarbeit in ihrer stringenten Form erhalten bleibt, nicht in andere Interventionstechniken diffundiert und dort fast unkenntlich wird. Diese Tendenz lässt sich aber im Augenblick beobachten. Deshalb ist es gut, dass sich die Deutsche Gesellschaft für Systemaufstellung (DGfS) weiterhin für die Einheit der Methode und ihre spezifische Wirkungsweise einsetzt. Ich befürworte ein Zusammenrücken der unterschiedlichen Vereinigungen unter einem gemeinsamen Dach. Schließlich ist das Verfahren in seiner Grundstruktur immer dasselbe. Es wird bloß in unterschiedlichen Kontexten angewendet.

1  Grundlegendes