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Originalausgabe, 1. Auflage 2017

© 2017 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

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Redaktion: Matthias Michel

Umschlaggestaltung: Manuela Amode

Umschlagabbildung: Shutterstock/PhotoMediaGroup

Abbildungen im Innenteil: S. 56/57: Sonja Löser 2017 with easel.ly; S. 71/72: Sonja Löser 2017; S. 129: Shutterstock/Alexey Blogoodf; S. 134: Shutterstock/Tefi, Shutterstock/Alila Medical Media

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN Print 978-3-86882-776-7

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-011-4

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-012-1

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Inhalt

  1. Vorwort
  2. Einleitung: Warum Introvision bei Kopfschmerzen?

    Warum ein weiterer nicht-medikamentöser Behandlungsansatz?

    Theoretische Überlegungen

    Warum gerade Introvision?

  3. Introvision: Die Kunst, innere Konflikte aufzulösen

    Das Muss/Darf-Nicht-Syndrom

    Die Folgen des Muss/Darf-Nicht-Syndroms

    Subjektive Imperative

    Gewohnheiten erkennen und verändern

    Introvision bei Kopfschmerzen

    Selbstbeobachtung mit dem Kopfschmerztagebuch

    Zusammenfassung: Sensibilisierung der Wahrnehmung

    Die theoretischen Säulen der Introvision

    Woran erkennt man innere Konflikte?

    Bewusstseinsinhalte unter den subjektiven Imperativen

    Konfliktumgehungsstrategien: Dem inneren Ausrufezeichen (vorübergehend) entkommen

    Wie kommt es zu einer Imperativverletzung und was passiert dann im Bewusstsein?

    Psychotonus: Wie geht es Ihrem Gemüt?

    Der Imperativverletzungskonflikt: Wenn ein subjektiver Imperativ nicht eingehalten werden kann

    Zusammenfassung: Die theoretischen Säulen

  4. Konstatierendes Aufmerksames Wahrnehmen: Wie man lernt, die Dinge zu sehen, wie sie sind

    Exkurs: Was ist eigentlich Stress?

    Wie lässt sich Gelassenheit trainieren?

    Imperative und Scheinriesen

    Exkurs: Kopfschmerzen und Hypnose

    Erfahrungen mit dem Kopfschmerztagebuch

    Konstatierendes Aufmerksames Wahrnehmen

    Einige Überlegungen, bevor Sie mit den praktischen Übungen anfangen

    Praktische KAW-Übungen

    Was kann sich durch die Anwendung des KAW verändern?

    Das Zentrum des Unangenehmen: mögliche Auslöser für Kopfschmerzen und Migräne

    Wenn Sie allein nicht weiterkommen

    Zusammenfassung

  5. Kopfschmerzen aus medizinischer Sicht

    Diagnose: Migräne oder Spannungskopfschmerzen?

    Wie verbreitet sind Migräne und Spannungskopfschmerzen?

    Beeinträchtigung durch Migräne/Kopfschmerzen

    Forschungsstand

    Wie und warum entstehen Schmerzen?

    Wie entsteht Migräne?

    Stand der Migräneforschung

    Wie läuft eine Migräneattacke (wahrscheinlich) ab?

    Wie entstehen Spannungskopfschmerzen?

    Wie entsteht der Medikamentenübergebrauchskopfschmerz?

    Kopfschmerzbehandlung aus neurologischer Sicht

    Medikamentöse Attackenbehandlung

    Nicht-medikamentöse Attackenbehandlung

    Vorbeugende Maßnahmen

    Medikamentöse Vorbeugung

    Nicht-medikamentöse Vorbeugung

    Introvision bei anderen Kopfschmerzarten

    Exkurs: Introvision zur Gewichtsreduktion bei idiopathischer intrakranieller Druckerhöhung (IIP, früher Pseudotumor cerebri)

  6. Übungen zur Introvision
  7. Anmerkungen
  8. Weiterführende Informationen
  9. Weiterführende Literatur
  10. Über die Autorinnen

Wichtiger Hinweis:

Alle Empfehlungen in diesem Buch wurden von den Autorinnen und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autorinnen bzw. des Verlags für Personen-, Gesundheits-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) sind im Buch nicht unbedingt besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann aber nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass die Autorinnen und der Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Indikationen, Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann von den Autorinnen und vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Arztes festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Einnahme, Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers.

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Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit haben wir uns dazu entschlossen, geschlechtsbezogene Wörter in eingeschlechtlicher Form zu verwenden. Selbstverständlich gelten alle Bezeichnungen gleichwertig für Frauen und Männer.

Vorwort

Es ist einem Spiegel-Artikel aus dem Jahre 2011 zu verdanken, dass wir uns kennengelernt haben und nun diesen Ratgeber Introvision bei Kopfschmerzen und Migräne herausgeben. Das Nachrichtenmagazin berichtete über Introvision als Psychoregulationsmethode. Monika Empl, eine von uns Autorinnen, ist als Neurologin auf Migräne und Kopfschmerzen spezialisiert und war gleich von dem Thema fasziniert. Sie hatte ihre Kopfschmerzpatienten im Blick, die allein aufgrund der häufigen oder chronischen Kopfschmerzen gestresst waren, häufig einen Medikamenten-Übergebrauchskopfschmerz hatten und zudem mentale Blockaden zeigten, wenn es darum ging, einen Weg aus dem Stress zu finden. Introvision schien ihr ein sehr geeignetes nicht-medikamentöses Instrument, um all diese Problemfelder zu bearbeiten.

Monika Empl besorgte sich das Introvisions-Grundlagenwerk Gelassenheit durch Auflösung innerer Konflikte von Prof. Angelika C. Wagner und entschied sich für eine Qualifizierung zur Introvisionsberaterin an der Universität Hamburg. Diese Kurse leiten Sonja Löser und Petra Spille, die beiden anderen Autorinnen. Seit ihrem Studium bei Prof. Wagner sind sie von der nachhaltigen Wirksamkeit von Introvision zutiefst überzeugt, haben langjährige Coachingerfahrung mit Introvision als achtsamkeitsbasierte Methode und sind Gründungsmitglieder des Introvision e.V.

Unser gemeinsames Anliegen mit diesem Buch ist, Ihnen eine praktisch orientierte Einführung in die Introvision zusammen mit detaillierten Informationen zu Kopfschmerzen zu geben, damit Sie Ihre Kopfschmerzen besser behandeln und (auch selbstgemachten) Stress als Auslöser reduzieren können. Da Patienten allein aufgrund der häufigen oder ständigen Kopfschmerzen gestresst sind, ergänzt eine nachhaltige Stressreduktion die Kopfschmerzbehandlung passgenau. Mit Introvision erleben viele auch ihre eigene Einflussnahme bewusster und wir hoffen, dass es Ihnen ebenso ergehen wird.

Wenn Sie im Folgenden lesen, »mit den Kopfschmerzen bewusster umgehen«, sollte Sie dies nicht abschrecken. Es ist uns durchaus bewusst, dass Sie Ihre Schmerzen sehr intensiv wahrnehmen. Wer die biologische Grundlage der Migräne kennt (dazu mehr im Buch), kann jedoch verstehen, warum eine Technik, die sich mit einer Änderung der gewohnten Wahrnehmung beschäftigt, besonders vielversprechend ist. Denn die Migräne wird als neurologische Erkrankung zunehmend als Störung der Sinnes-Verarbeitung, also der Wahrnehmung und ihrer Steuerung und Filterung verstanden. Introvision wird nicht von heute auf morgen Ihre Kopfschmerzen oder Migräne verschwinden lassen. Sie kann Ihnen aber dabei helfen, einen gelasseneren Umgang damit zu entwickeln, sodass Sie beispielsweise weniger und leichtere Attacken, eine schnellere Erholung nach einer Attacke und eine entspanntere schmerzfreie Zeit haben können.

Mit der Methode Introvision – und hier liegt ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zu vielen anderen Entspannungsverfahren – werden nicht nur die Symptome bearbeitet und eine vorübergehende oder auch langfristige Entspannung erreicht, sondern es werden auch die Ursachen von Stress, Anspannung und mentalen Blockaden aufgespürt und aufgelöst. Viele Studien belegen, dass mit diesem Verfahren der Stress dauerhaft gesenkt werden kann. Dabei spielt es eine große Rolle, dass Sie als Leserinnen und Leser eine Reihe von Instrumenten zur mentalen Selbstregulation an die Hand bekommen. Diese Instrumente helfen Ihnen dabei, sich zu entspannen, sich selbst besser zu verstehen und leichter eine andere Perspektive einnehmen zu können. Die Introvision setzt an der Stelle an, wo Ratschläge oder gute Vorsätze genauso wenig helfen wie die eigene Einsicht, dass es gut wäre, öfter mal einen Spaziergang an der frischen Luft zu machen oder sich weniger über den Chef zu ärgern. Wenn ich immer wieder entgegen besserem Wissen handle, dann fragt die Introvision, was mich denn davon abhält, so zu handeln, wie ich es mir wünsche, und hilft mir, etwas daran zu ändern.

Mentale Blockaden zeigen sich natürlich nicht nur bei Kopfschmerzpatienten. Jeder kennt dieses unangenehme Gefühl, das nicht nur in Extremsituationen wie schwerer Krankheit, drohendem Arbeitsplatzverlust oder Trauer, sondern auch bei Alltagsbanalitäten spürbar ist – wie die schon lange aufgeschobene Steuererklärung, die unliebsame Aufräumaktion, eine lange Liste mit noch zu erledigenden Dingen oder ähnlichem. Mit Introvision erkundet man dieses unangenehme Gefühl und hinterfragt, was einen daran hindert, seine Vorhaben umzusetzen.

Eine grundlegende Idee der Begründerinnen der Introvision ist, die Methode möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Diese Position vertreten auch die Wissenschaftlerinnen, die unter Federführung von Angelika C. Wagner die Theorie und Praxis der Introvision über viele Jahre gründlich erforscht und weiterentwickelt haben. In diesem Buch möchten wir Ihnen diese wissenschaftlich fundierte Methode so gründlich wie nötig und so alltagstauglich wie möglich nahebringen. Wenn Sie merken, dass Sie doch nicht so gut alleine mit dem Erlernen der Introvision zurechtkommen oder sich den Austausch mit Menschen in ähnlichen Situationen wünschen, finden Sie Tipps und Hinweise am Ende dieses Buches.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre und viel Erfolg bei allen Veränderungen, die Sie sich wünschen!

Sonja Löser, Monika Empl, Petra Spille

März 2017

Einleitung: Warum Introvision bei Kopfschmerzen?

Endlich ist der große Tag da! Es steht die Hochzeit von Freunden, eine Wanderung oder der lang geplante Segelausflug auf dem Programm. Doch schon beim Aufwachen merken Sie: Der Kopf wird unter Umständen nicht mitmachen. Leicht pulsierende Schmerzen an den Schläfen und ein diskret flaues Gefühl im Magen, und das schon beim Aufstehen – vorsichtshalber lieber gleich eine Tablette nehmen? Aber in der zurückliegenden Woche gab es bereits zwei Tage mit Tabletteneinnahme, und wenn Sie jetzt noch eine nehmen, haben Sie die Hälfte Ihrer Monatsration aufgebraucht. Und das ausgerechnet heute, wo noch so viel zu tun ist: packen, einkaufen, Geschenk besorgen … Kann vielleicht doch ein Kaffee alleine helfen?

Kennen Sie diese Situation? Da Sie zu diesem Buch gegriffen haben, vermuten wir: ja, vielleicht sogar zur Genüge. Zwar spricht an einem so großen Tag wenig gegen eine dritte Tablette in der Woche, wenn sie eine Ausnahme bleibt, doch wir möchten Ihnen hier eine andere Möglichkeit zeigen: eine nicht-medikamentöse Methode, mit deren Hilfe Sie lernen, mit Ihren Kopfschmerzen besser umzugehen, sie teils behandeln und ihnen vorbeugen können. Und nebenbei auch noch mehr Gelassenheit in Ihr Leben bringen können.

Denn mag die Veranlagung zu Migränekopfschmerzen auch eine (meist ererbte) biologische Grundlage haben, lassen sich die komplexen Vorgänge im Gehirn bei der Entstehung von Kopfschmerzen mental beeinflussen. Das zeigt die Beobachtung, dass Stress häufig Attacken auslösen kann, ebenso wie Entspannung und eine gelassene Grundhaltung die Zahl der Attacken reduzieren, wenn sie die Migräne auch nicht heilen können. Und nach Erlernen der Introvision lässt sich in einer Situation, wie sie gerade beschrieben wurde, vielleicht sicherer und bewusster auch die Frage »Jetzt schon eine Tablette oder noch nicht?« entscheiden.

Dieses Buch ist ein praktischer Ratgeber für Betroffene mit Migräne oder Spannungskopfschmerzen, informiert aber auch über die Entstehung und übliche Behandlung von Kopfschmerzen nach dem aktuellen Stand der Forschung. Sie finden darin neben einer Einführung in die Introvision und ihren theoretischen Hintergrund ganz praktische Anleitungen zu Wahrnehmungsübungen, die Ihnen dabei helfen, diese Methode zur mentalen Selbstregulation schrittweise zu erlernen.

Warum ein weiterer nicht-medikamentöser Behandlungsansatz?

Als schulmedizinisch orientierte Neurologin schätze ich, Monika Empl, prinzipiell Medikamente und betrachte insbesondere die neueren Migräne-Arzneistoffe wie die Triptane – ebenso wie viele Patienten – als Segen und nicht als Fluch. Das gilt auch für die vorbeugenden Medikamente. Dennoch gibt es gute Gründe, nicht nur bei chronischen Kopfschmerzpatienten, für einen nicht-medikamentösen Ansatz.

Viele Patienten stehen einer medikamentösen Behandlung grundsätzlich sehr zurückhaltend gegenüber. Sei es, weil sie selbst negative Erfahrungen mit Nebenwirkungen von Medikamenten gemacht haben, sei es, weil sie darüber gelesen und Angst davor haben, oder weil sie bei vorbeugenden Medikamenten ein prinzipielles Unbehagen gegenüber einer täglichen Tabletteneinnahme empfinden.

Auch von ärztlicher Seite gibt es selbst bei Patienten, die offen für eine medikamentöse Behandlung sind, Einwände gegen eine allzu freie medikamentöse Behandlung: Es kann ein Medikamentenübergebrauchskopfschmerz entstehen, wenn man zu häufig Kopfschmerzmedikamente einnimmt, der paradoxerweise eine eigenständige Ursache für chronische Kopfschmerzen darstellt. Der Medikamentenübergebrauchskopfschmerz kann nur mit einer reduzierten Einnahme von Schmerzmitteln bzw. einem Entzug unterbunden werden – eine schwierige Situation für Patienten mit häufigen Attacken. Zudem ergeben sich manchmal ganz praktische Probleme mit Medikamenten, nämlich die tatsächliche Verfügbarkeit. Tabletten kann man zu Hause vergessen, sind unvorhergesehen doch schon aufgebraucht oder im Urlaub im Ausland nicht verfügbar, oder man muss sich vorher erst ein neues Rezept besorgen.

Auch bei nicht-medikamentösen Ansätzen gibt es Einschränkungen: Akupunktur ist nicht immer vor Ort zur organisieren; das gilt noch mehr für eine Biofeedback-Behandlung. Die erheblichen Kosten der nicht-invasiven Vagusnervstimulation werden von der Krankenkasse meist nicht übernommen, und bei Summen von 99 bis über 250 Euro pro Monat werden viele Patienten eine solche Dauerbehandlung, auch wenn sie wirksam ist, nicht aus eigener Tasche bezahlen können.

Für chronische Schmerzpatienten kann manchmal eine Psychotherapie empfehlenswert sein. Doch ist sie meist nicht von heute auf morgen zu organisieren, sondern es muss erst ein geeigneter Therapeut gefunden und die Kostenübernahme geklärt werden. Dass sich eine Psychotherapie in der Regel über einen längeren Zeitraum, bisweilen über Jahre erstreckt, spricht zwar nicht prinzipiell gegen sie, kann für die akute Situation aber manchmal wenig Entlastung bringen.

Theoretische Überlegungen

Neben diesen praktischen Aspekten sprechen auch theoretische Überlegungen dafür, dass Introvision gerade bei Migränepatienten besonders empfehlenswert sein kann. Migränepatienten haben eine gestörte Reizverarbeitung, mit fehlender Gewöhnung an wiederholte Reize; der Fachbegriff dafür lautet reduzierte Habituation. Das heißt, dass ihr Gehirn auf Reize empfindlicher reagiert als es bei Patienten ohne Migräne der Fall ist. Neuerdings wird die Migräne sogar als Erkrankung der Sinnesverarbeitung verstanden, d.h. dass eine veränderte Verarbeitung von Sinneseindrücken als Grundlage der Krankheit angesehen wird.1

Ein Behandlungsansatz, der mittels einer erlernbaren Technik (Konstatierendes Aufmerksames Wahrnehmen) eine Veränderung der Wahrnehmung zur Stressreduktion nutzt, scheint bei einer Erkrankung mit gestörter Sinnesverarbeitung schon von der biologischen/neurophysiologischen Warte aus besonders vielversprechend.

Aber auch von einer mentalen Seite aus betrachtet, bietet der Ansatz der Introvision eine grundlegende Verbesserung bei Migränepatienten: Ähnlich wie bei Patienten mit chronischen Nackenverspannungen, für die bereits Untersuchungen zur Wirksamkeit von Introvision vorliegen, geht die Introvision bei Migränepatienten davon aus, dass bereits eine sich ankündigende Migräneattacke einen inneren Konflikt auslöst, der als automatisch ablaufende Reaktion selbst zu Stress führt: Der Gedanke »Nicht schon wieder eine Migräneattacke, ich muss doch noch so viel erledigen. Ich darf nicht schon wieder ausfallen!« führt durch die Verletzung des Selbstbefehls (in der Introvision Imperativ genannt) »Ich darf gerade jetzt keine Migräneattacke haben!« zu einer Verstärkung des psychologischen Drucks und der physiologischen Anspannung. Dadurch erhöht sich noch der Stress und die sich ankündigende Migräneattacke kommt mit größerer Wahrscheinlichkeit als bei (gelassenen) Patienten mit wenigen Attacken und weniger Angst vor Attacken.

Hier ist der Ansatz der Introvision besonders erfolgversprechend: Indem der zugrunde liegende innere Konflikt aufgelöst wird, entfällt die bei Migränepatienten wahrscheinlich noch ausgeprägter ausfallende stressauslösende automatische Reaktion (oder wird zumindest abgeschwächt). Da Stress ein wohlbekannter Auslöser ist, ist anzunehmen, dass somit ein Teil der Attacken nicht zum Ausbruch kommt und Introvision bei Migränepatienten besonders gut wirksam sein könnte.

Für achtsamkeitsbasierte Verfahren allgemein ist eine normalisierende Wirkung auf die Reizwahrnehmung nachgewiesen.2 Ein Effekt auf die Balance der schmerzverarbeitenden Systeme wurde auch in bildgebenden Studien beobachtet.3 Eine weitere Studie mit bildgebenden Verfahren ergab, dass die Aktivität der Amygdala (der Teil des Gehirns, der für Angst und die emotionale Bewertung von Situationen zuständig ist) bei der Anwendung von Selbstreflexion und emotionaler Introspektion abnimmt.4 Mit anderen Worten: Wenn es mir gelingt, mich selbst zu beobachten und in mich hineinzuschauen, hat dies spontan eine messbar positive Wirkung. Bei dauerhafter Anwendung kann es zu Veränderungen in den Verknüpfungen von Ereignissen und Emotionen kommen.

Studien zu Kopfschmerzen

Die Wirkung von Introvision auf Migräne ist noch nicht in klinischen Studien nachgewiesen. Es ist hierzu eine Studie an der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg, Forschungsgruppe Introvision, geplant.

Neben vielen Studien über die Effektivität von Introvision bei anderen Erkrankungen, wie z. B. Tinnitus,5 liegt für chronische Nackenschmerzen bereits eine Studie der Universität Hamburg vor, die bei 83 Prozent der Teilnehmer eine dauerhafte (6 Monate Nachbeobachtungszeit) Reduktion der Nackenverspannungen gezeigt hat, bei 5 Prozent der Studienteilnehmer waren die Nackenverspannungen ganz aufgelöst.6

Warum gerade Introvision?

Nach all diesen Ausführungen mag die Frage naheliegend sein, warum dann nicht einfach Achtsamkeitsübungen wie die Mindfulness-Based Stress Reduction anbieten, vielleicht zusammen mit Muskelrelaxation oder Yoga? Hier kommt ein besonderer Aspekt der Introvision zum Tragen: Die Introvision ist nicht (nur) eine Art standardisierte Wahrnehmungsübung zur Entspannung oder Meditation, sondern quasi eine Meditation mit einem Ziel, ähnlich wie in der Traumatherapie. Das Ziel lautet, dem subjektiv eigenen Schlimmsten ins Auge sehen zu lernen und den zugrunde liegenden inneren Konflikt dauerhaft aufzulösen und somit eine dauerhafte und nachhaltige Entspannung und Stressreduktion zu erreichen sowie mentale Blockaden aufzulösen. In Einzelfällen konnte Introvision im Frühstadium eine Migräneattacke beenden.

Introvision ist, nachdem man sie (unter Anleitung) gelernt hat, überall verfügbar, man kann sie nicht zu Hause vergessen und man benötigt kein Rezept. Ein »Übergebrauch« von Introvision führt nicht zu eigenständigen Kopfschmerzen, wie das bei Medikamenten der Fall sein kann. Sie ist selbstständig immer wiederholbar und (fast immer) ohne Nebenwirkungen durchzuführen. Doch es besteht eine Einschränkung: Falls Sie an einer aktiven Psychose leiden, dürfen Sie Introvision nicht anwenden!

Die Introvision ist kein Wundermittel. Sie wird nicht bei jedem wirken – wie das bei allen Methoden und Verfahren ist –, und eine Anwendung zur Akutbehandlung wird nur in einem frühen Stadium einer Migräneattacke möglich sein. Aber sie kann einen Teil dazu beitragen, die Behandlung, insbesondere die vorbeugende Behandlung zu ergänzen und zu verbessern. Die Gelassenheit, die man durch die Introvision erlangen kann, wirkt sich meist positiv auf viele weitere Lebensbereiche aus.