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Wichtiger Hinweis

Sämtliche Inhalte dieses Buchs wurden – auf Basis von Quellen, die der Autor und der Verlag für vertrauenswürdig erachten – nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und sorgfältig geprüft. Trotzdem stellt dieses Buch keinen Ersatz für eine individuelle Fitnessberatung und medizinische Beratung dar. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.

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2. Auflage 2021

© 2017 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die englische Originalausgabe erschien 2016 bei Human Kinetics unter dem Titel New Functional Training for Sports. Second Edition. Copyright © 2016, 2014 by Michael Boyle. All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Wir danken Mike Boyle Strength and Conditioning in Woburn, MA, für die Bereitstellung der Trainingsräume für die Fotoproduktion.

Übersetzung: Markus Hederer

Redaktion: Gerdi Killer, bookwise GmbH

Umschlaggestaltung: Manuela Amode

Umschlagabbildungen: Human Kinetics

Layout: Sabine Krohberger

Abbildungen im Innenteil: Human Kinetics,

mit Ausnahme von S. 17: Fotolia/karaboux,

S. 30: Jimmie48 Photography/Shutterstock.com,

S. 39: istockphoto/walik, S. 277: istockphoto/strickke

Videoproduzent: Doug Fink

Satz: Cordula Schaaf für bookwise GmbH

Druck: Firmengruppe APPL, aprinta Druck,

Wemding

Printed in Germany

ISBN Print 978-3-7423-0148-2

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-592-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-591-1

ISBN enhanced E-Book (EPUB3) 978-3-95971-669-7

Weitere Informationen finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

MICHAEL BOYLE

Erweiterte und komplett
überarbeitete Neuausgabe

FUNCTIONAL

TRAINING

DAS ERFOLGSPROGRAMM DER SPITZENSPORTLER

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INHALT

Video-Inhalte

Zugang zu den Online-Videos

Vorwort

Einführung

1 Bringen Sie Funktionalität in Ihr Training

Drei Fragen, um funktionelles Training zu definieren

So funktioniert Functional Training

Die Wissenschaft hinter dem funktionellen Training

Zur Kontroverse des funktionellen Trainings

2 Analysieren Sie die Anforderungen Ihrer Sportart

Tests, die zur jeweiligen Sportart passen

Langsam trainieren, langsam spielen

Leistungsbestimmende Faktoren erkennen und verbessern

3 Bestimmen Sie Ihre funktionelle Kraft

Die funktionelle Kraft des Oberkörpers bestimmen

Die funktionelle Kraft des Unterkörpers bestimmen

Die Grenzen funktioneller Krafttests

4 So stellen Sie Ihr Trainingsprogramm zusammen

Grundlegende Vorüberlegungen

Prinzipien der Trainingsplangestaltung

Das Kontinuum des funktionellen Trainings

Funktionelles Training von Frauen

5 Hartschaumrolle, Dehnen und dynamisches Aufwärmen

Hartschaumrolle

Statisches Dehnen

Beweglichkeit und Mobilität

Mobilitätstraining

Dynamisches Aufwärmen

Lineares Aufwärmen

Laterales Aufwärmen

Agilität und Richtungswechsel trainieren

6 Unterkörpertraining

Squats mit eigenem Körpergewicht

Squat und Kreuzheben unterscheiden

Die richtige Squat-Tiefe

Basisübungen, Regressionen und Progressionen

Einbeinige Kraft aufbauen

Entwicklung von einbeiniger Stabilität

Hüftstreckung und gesunde Oberschenkelrückseite

7 Core-Training

Die Funktion des Core

Das Trainingsprogramm für den Core

Progression im Core-Training

Brückenübungen

Progression im Vierfüßlerstand

Get-ups und Sit-ups

Medizinballtraining

8 Oberkörpertraining

Zugübungen als Mittel zur Verletzungsprävention

Kraftstandards

Vertikale Zugbewegungen

Horizontale Zugbewegungen

Druckübungen für den Oberkörper

Drücken über Kopf

Schultertraining

Schlussbemerkungen zum Oberkörpertraining

9 Plyometrisches Training

Wesentliche Faktoren plyometrischen Trainings

Progressionen von plyometrischen Übungen

Plyometrisches Training und Kreuzbandrissprävention

10 Gewichtheben

Das spricht für Gewichtheben

Gewichtheben lernen

Die wichtigsten Grundpositionen beherrschen

Hebebänder verwenden

Alternativen zum Gewichtheben

11 Programme zur Leistungsverbesserung

Schnell- und Maximalkraftprogramme zusammenstellen

Konditionsprogramme entwickeln

Der Autor

Quellen

Bezugsquellen

Register

VIDEO-INHALTE

Hartschaumrolle, Dehnen und dynamisches Aufwärmen

1. Rolle: M. gluteus maximus (Gesäß) und Hüftrotatoren (Übungsbeschreibung auf Seite 63)

2. Rolle: unterer Rücken (Seite 63)

3. Rolle: oberer Rücken (Seite 64)

4. Rolle: M. tensor fasciae latae und M. gluteus medius (Seite 64)

5. Rolle: Adduktoren (Seite 65)

6. Rolle: hintere Schulter (Seite 65)

7. Rolle: Brustmuskulatur (Seite 66)

8. Dehnen: Hüftbeuger mit Kasten (Seite 71)

9. Mobilisation: Brustwirbelsäule 2 (Seite 76)

10. Mobilisation: Brustwirbelsäule 3 (Seite 76)

11. Mobilisation: Sprunggelenk 1 (Seite 77)

12. Mobilisation: Sprunggelenk 2 (Seite 77)

13. Mobilisation: Hüfte 2 (Seite 78)

14. Mobilisation: Hüfte 3 (Seite 79)

15. Mobilisation: Bodengleiten (Seite 79)

16. Ausfallschritte rückwärts mit Dehnen der Oberschenkelrückseite (Seite 84)

17. Rückwärtsgehen mit Standwaage (Seite 85)

18. Skippings mit gestrecktem Bein (Seite 88)

19. Seit-Skippings (Seite 96)

20. Überkreuz-Skippings (Seite 97)

21. Carioca (Seite 98)

22. Seitwärtskrabbeln (Seite 98)

23. Breiter Shuffle mit Innehalten (Seite 101)

24. Schneller Shuffle mit Innehalten (Seite 102)

25. Vorn kreuzen (Seite 103)

26. In-in-out-out (Seite 104)

27. Schere (Seite 105)

28. Hüften drehen (Seite 106)

Unterkörpertraining

29. Split Squat (Seite 126)

30. Ausfallschritt auf dem Slideboard (Seite 133)

31. Einbeiniges Kreuzheben mit gestrecktem Bein und diagonal nach vorn gestrecktem Arm (Seite 140)

32. Einbeiniges Kreuzheben mit gestrecktem Bein am Kabelzug (Seite 141)

33. Bein-Curl mit Gymnastikball (Seite 145)

Core-Training

34. Roll-out mit Gymnastikball (Seite 155)

35. Körpersäge (Seite 156)

36. Roll-out mit Ab Wheel (Seite 157)

37. Chop im Halbkniestand (Seite 163)

38. Lift im Halbkniestand (Seite 164)

39. Chop im Ausfallschritt (Seite 164)

40. Chop im Stand (Seite 165)

41. Lift im Stand (Seite 165)

42. Transversaler Chop im Stand (Seite 166)

43. Lift mit einbeinigem Hochsteigen (Seite 166)

44. Get-ups (Seite 173)

45. Medizinball: seitlicher Wurf mit Drehung im Halbkniestand (Seite 180)

46. Medizinball: seitlicher Wurf mit Drehung im Stand (Seite 181)

47. Medizinball: frontaler Wurf mit Drehung (Seite 182)

48. Medizinball: einbeiniger frontaler Wurf mit Drehung (Seite 183)

49. Medizinball: Überkopfwurf im Stand (Seite 184)

50. Medizinball: Brustpass im Kniestand (Seite 185)

Oberkörpertraining

51. Katzenbuckel–Pferderücken (Seite 201)

52. Einarmiges Rudern mit Rotation (Seite 204)

53. Hoch-Tief (Y-W-Kombination) am Sports Flex (Seite 212)

54. T am Sports Flex (Seite 212)

55. Außenrotation im Stand (Seite 212)

Plyometrisches Training

56. Total Gym Jump Trainer (Seite 216)

57. Kastensprung (Seite 223)

58. Einbeiniger Kasten-Hop (Seite 224)

59. Einbeiniger Kasten-Hop seitwärts (Seite 225)

60. Bound seitwärts mit kurzem Innehalten (Seite 226)

61. Hürdensprung mit kurzem Innehalten (Seite 227)

62. Einbeiniger Hürden-Hop mit kurzem Innehalten (Seite 228)

63. Einbeiniger Hürden-Hop seitwärts mit kurzem Innehalten (Seite 228)

64. 45-Grad-Bound mit kurzem Innehalten (Seite 229)

65. 45-Grad-Bound seitwärts (kontinuierlich) (Seite 232)

66. Power Skippings (Seite 232)

Gewichtheben

67. Umsetzen aus dem Hang (Seite 243)

68. Reißen mit engem Griff (Seite 243)

69. Einarmiges Kurzhantelreißen (Seite 246)

70. Einbeiniges Umsetzen oder Reißen (Seite 247)

71. Kettlebell Swing (Seite 249)

ZUGANG ZU DEN VIDEOS image

Jede Übung, die im Buch mit diesem Abspiel-Button image versehen ist, findet ihre Unterstützung durch bewegte Bilder. In dieser Enhanced Version sind die Videos bereits direkt im E-Book integriert. 

Sie können die Videos aber auch im Internet ansehen.

Um zu den Videos zu gelangen, gehen Sie schrittweise wie unten beschrieben vor.

1. Besuchen Sie die zunächst die Internetseite www.m-vg.de/boyle-functionaltraining

2. Wenn Sie noch kein Konto bei der Münchner Verlagsgruppe haben, werden Sie aufgefordert, sich mit Ihrer E-Mail-Adresse zu registrieren.

3. Wenn die Online-Videos in der Liste auf der Seite nicht erscheinen, klicken Sie in eben dieser Liste auf »Passwort eingeben«. Geben Sie das hier abgedruckte Passwort ein, und zwar mitsamt aller Bindestriche. Klicken Sie den Button, um die Online-Videos freizuschalten. Passwort für die Online-Videos: BOYLE-9NXR-OV

4. Wenn Sie die Seite aufgerufen und das Passwort eingegeben haben, sehen Sie nun die Online-Video-Seite mit ausgewählten Informationen wie in den Abbildungen unten und rechts gezeigt. Sie können direkt die jedes Thema begleitenden Videos ansteuern, indem Sie auf die nummerierten blauen Links klicken.

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5. Am Kopf der Seite gibt es eine Suchfunktion, mit der Sie nach einer Übungsnummer bzw. einem nummerierten Video suchen können, und eine Reihe von Buttons, die zu den Themen im Text passen, die von Videos unterstützt werden:

image Hartschaumrolle, Dehnen und dynamisches Aufwärmen

image Unterkörpertraining

image Core-Training

image Oberkörpertraining

image Plyometrisches Training

image Gewichtheben

6. Sobald Sie auf ein Thema klicken, erscheint ein Abspielelement (Player). Sie können mit den Buttons am Fuß des Players auf Vollbildschirm stellen, das Video anhalten und es schneller vorwärts und rückwärts laufen lassen.

VORWORT

Nachdem Michael mich gebeten hatte, ein Vorwort für sein Buch zu verfassen, hallte am lautesten das Wort »unqualifiziert« in meinem Kopf wider. Ich wusste nur wenig über die Wegbereiter auf dem Gebiet des Kraft- und Konditionstrainings, und mehr als oberflächlich hatte ich die vielen Publikationen zum Thema Fitnesstraining nicht gelesen.

Nach einiger Zeit fragte ich mich allerdings, ob ich nicht doch mit etwas mehr Selbstbewusstsein an diese Aufgabe herangehen sollte. Vielleicht war gerade ein Anfänger in Sachen Fitnesstraining wie ich am besten dazu geeignet, die Qualität von Michael Boyles Programmen zum funktionellen Training zu beurteilen. Wer sollte am Ende Michaels enormes Wissen und seine Methodik besser bewerten können als ein Sportler, den er trainiert hat?

Ich war 14 Jahre lang Baseball-Profi, davon die letzten neun Jahre in den Major Leagues. Ich wurde transferiert und entlassen, war verletzt und gesund. Ich habe zweimal mit meinem Team die World Series gewonnen, bin aber auch Letzter geworden. Es gibt wenig, was ich nicht gesehen, und noch weniger, was ich nicht gehört hätte.

Als ich in die Welt des professionellen Baseballs eintrat, gab es zwei Klassen von Spielern: die Positionsspieler (oder Athleten) auf der einen und die Pitcher (oder Nicht-Athleten) auf der anderen Seite. Positionsspieler absolvierten Krafttraining und eiferten Bodybuildern nach, die Pitcher dagegen rannten nur um Stangen. In den vergangenen zehn Jahren gab es in der Herangehensweise an (funktionelles) Training einen Paradigmenwechsel. Pitcher gelten heute als Athleten (wer hätte das je gedacht?), und Athleten trainieren Athletik.

Michael Boyle gilt mit seiner dynamischen Herangehensweise an das Kraft- und Konditionstraining als Wegbereiter. Zu seiner Methode gehören Komponenten aus der Physiotherapie sowie Beweglichkeit, Stabilisation, Maximal-und Schnellkraft. Ich weiß das, weil ich den Winter 2014 in Michael Boyles Fitnessfabrik zugebracht habe.

Ich lernte Michael 2012 kennen, kurz nachdem ich zu den Boston Red Sox transferiert worden war. Er arbeitete als Fitness- und Konditionsberater für die Organisation. Unsere wenigen kurzen Unterhaltungen imponierten mir. Also blätterte ich die Originalausgabe von Michaels Buch Fortschritte im Functional Training durch und war beeindruckt. Seine Herangehensweise leuchtete mir ein. Im Vorwort dieses Buchs bezog sich Michael auf einen Freund, der eine Trainingseinheit als ein Ereignis auf den Punkt gebracht hatte, in dem ein Athlet »etwas drückt, etwas zieht und etwas mit den Beinen macht«.

Die Einfachheit und Klarheit dieser Aussage schlug in mir einen Akkord an. Für mein eigenes Programm des funktionellen Trainings musste ich den Satz nur leicht abändern in »etwas heben, etwas gegen die Wand werfen und über etwas springen«.

Im Lauf der Zeit habe ich mich mit Michael mehr als einmal angeregt über Wurfmechaniken, Verletzungsprävention und Geschwindigkeitserzeugung unterhalten. Ich habe Michael beobachtet, wie er während des Lehrens lernt. In der Tat: Michael ist mit ganzem Herzen ein Lehrer – und zwar ein ganz ausgezeichneter. Was Michael im Profisportbetrieb so einzigartig macht, ist seine Fähigkeit, die physiologischen und kinesiologischen Grundlagen, auf denen seine Trainingsanweisungen beruhen, klar zu vermitteln und die Programme so zusammenzustellen, dass sie zu den individuellen Zielen und Bedürfnissen eines Athleten passen. Michael hat Tausende Athleten jeder wichtigen Profisportart betreut. Was er empfiehlt und lehrt, beruht nicht auf Hypothesen und Spekulation, sondern auf immer wieder durch Erfolg bestätigten Ergebnissen.

In dem hier vorliegenden Buch stellt Michael sein ganzes Wissen über die Leistungsentwicklung im Sport zur Verfügung – mitsamt den Programmen, die er nach jahrzehntelanger Forschung und Erfahrung auf der Grundlage der Daten Tausender Sportler immer weiter verbessert hat. Es wird kaum eine Seite geben, auf der er nicht mit neuen Fakten überrascht oder neuen Übungstechniken begeistert. Michael hat nichts ausgelassen, um uns die besten und aktuellsten Trainingsmethoden zu präsentieren. Herausgekommen ist dabei eine unschätzbare Wissensquelle, die dem Wochenend-Fitnessstudiogänger genauso nutzt wie jedem professionellen Fitnesstrainer. Ich freue mich sehr, wenn dieses Buch für Sie genauso aufschlussreich ist wie für mich.

Craig Breslow
Boston Red Sox

EINFÜHRUNG

Im Jahr 2002 trat Human Kinetics mit der Bitte an mich heran, ein Buch über funktionelles Training zu schreiben. Das war eine schwierige Aufgabe, denn damals war ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt wusste, was funktionelles Training ist. Also fragte ich, ob ich nicht einfach darüber schreiben könne, was ich aktuell mit meinen Kunden praktizierte. Der Verlag war einverstanden und überdies der Meinung, dass unsere Art zu trainieren das neue Konzept des funktionellen Trainings am besten erläuterte. Nach meiner Überzeugung entsprachen unsere Trainingsmethoden dem gesunden Menschenverstand und gründeten auf dem aktuellen verfügbaren Wissen. Ich hatte keine Ahnung, dass das Buch und die darin veröffentlichten Konzepte und Programme einen so umfassenden Einfluss auf die ganze Szene nehmen würden.

Neben dem vorliegenden Buch stehen Ihnen zusätzlich noch viele anschauliche Videos zur Verfügung. Sie ergänzen die Anleitungen, die das Buch zu jeder Übung gibt. Innerhalb der Kapitel 5 bis 10 sehen Sie neben bestimmten Übungen ein »Play«-Zeichen. Es zeigt an, wenn eine Übung auch als Video betrachtet werden kann.

Seit ich die erste Ausgabe von Functional Training geschrieben habe, hat sich vieles verändert. Fitnesstraining, Personal Training und Physiotherapie haben sich weiterentwickelt und sind bis zu einem gewissen Grad in das eingeflossen, was heute von einigen als Leistungsentwicklung bezeichnet wird. Funktionelles Training ist mittlerweile auf der ganzen Welt als bedeutsame Trainingsmethode anerkannt. Große Fitnessketten reißen sich um Kunden, die funktionelles Training buchen, und so müssen immer mehr herkömmliche Maschinen Platz machen für plyometrische Geräte, Schlitten und Kettlebells. Fitnessstudios stehen im Wettbewerb um Mitglieder, denen sie nicht nur den Raum zum Trainieren, sondern auch Anleitung und Betreuung anbieten, damit effektiv trainiert werden kann, um bei geringstmöglichem Verletzungsrisiko optimale Leistung zu entwickeln.

Einer der Pioniere im Berich funktionellen Trainings zu sein war beruflich erfreulich, aber nie meine Motivation. Ich habe zu keiner Zeit danach gestrebt, anders oder führend zu sein; mein einziges Ziel war, meinen Athleten und damit meinen Kunden besser zu dienen. Ich habe meine ganze Kraft in die bestmöglichen Trainingsprogramme investiert, dank derer die von mir betreuten Athleten immer besser werden und gleichzeitig gesund bleiben sollten.

Etwa um das Jahr 2000 fühlte ich mich durch einen – so empfand ich es – faustischen Handel desillusioniert, der in der Fitness-Community akzeptiert wurde. Ja, wir machten die Sportler stärker und wohl auch besser, aber um welchen Preis? Mein Kollege Gray Cook beschrieb es sehr treffend: »Wir waren sehr gut darin geworden, Kraft und Stärke auf Dysfunktion aufzubauen.«

Als ich über eine neue Ausgabe dieses Buchs nachdachte, wollte ich zunächst nur den Sinn funktionellen Trainings untermauern und einige der Übungen und Geräte auf den neuesten Stand bringen – ein bescheidener Versuch, ein Werk zu modernisieren, das schon Altersspuren zeigte. Als ich allerdings das Buch aus dem Jahr 2004 durchsah, wurde schnell klar, dass es in keiner Weise so zeitlos war, wie ich gehofft hatte. Vieles musste gestrichen, geändert oder hinzugefügt werden. Zentrale Bestandteile unserer aktuellen Programme wurden nicht einmal erwähnt. Eine viel umfänglichere Überarbeitung war nötig – und daraus wurde im Grunde ein neues Buch!

Diese erweiterte und komplett überarbeitete Neuausgabe von Functional Training bringt alle Informationen aus dem Originalband auf den neuesten Stand. Zusätzlich gibt es neue Kapitel, die Bereiche wie Selbstmassage mit der Hartschaumrolle und Beweglichkeit abdecken – Themen, die 2004 nicht erwähnt wurden. Die meisten Kapitel sind komplett neu geschrieben, um wissenschaftliche Fortschritte, philosophische Veränderungen und neue Erfahrungen aus den vergangenen zehn Jahren abzubilden.

Jedes Mal, wenn ich mich daranmachte, ein Kapitel lediglich zu aktualisieren, stellte ich fest, dass ich es neu schreiben musste. Der Abschnitt über das Core-Training – einer der längsten im Buch – musste sogar komplett aktualisiert werden, um der Unzahl an Änderungen und Fortschritten in diesem Bereich Rechnung zu tragen. Das Gleiche gilt für die Kapitel über das Unterkörpertraining: Es galt an dieser Stelle, die Trennlinie zwischen Squat und Kreuzheben deutlicher zu ziehen. Von Hex-Bars und Kettlebells hatte man 2004 noch nicht einmal eine Ahnung; jetzt sind sie unverzichtbare Bestandteile unseres Unterkörpertrainings. Tatsächlich hat sich mehr verändert, als gleich geblieben ist. Wenn Sie das Buch lesen, werden Sie die Ähnlichkeit mit dem Original bemerken und die Aktualisierungen genießen. Das gilt auch für die neue Präsentation in Text und Bild.

Wir unterteilen unsere Übungen für Ober- und Unterkörper in Basis, Regression und Progression. Die Übungen sind im ganzen Buch gemäß dieser drei Typen kategorisiert. Die Basisübungen sind der Ausgangspunkt für den Durchschnittsathleten. Von hier ausgehend, macht er entweder Fortschritte oder muss seine Ansprüche reduzieren. Die Progressionen sind nummeriert, aufsteigend von einfach zu schwierig. Die Rückschritte sind gleichfalls mit Nummern versehen, aber man bezeichnet sie am besten als einfach – einfacher – am einfachsten. Das bedeutet: Progression 3 ist eine ziemlich schwierige, Regression 3 dagegen eine sehr einfache Übung.

Ich nehme meine Rolle als Autor dieses Buchs sehr ernst. Nach der ersten Ausgabe bin ich um die ganze Welt gereist und weiß deshalb die positiven Anregungen sehr zu schätzen, die ich unterwegs erfahren und mitgenommen habe. Für mich ist der neue Band eine fantastische Möglichkeit, Sie zu trainieren und zu unterstützen. Mit diesem Buch möchte ich Ihnen eine klare, exakte Herangehensweise an die sportliche Leistungsentwicklung anbieten, die auf dem aktuellen Wissensstand funktionellen Trainings gründet. Ich hoffe, dass die vielen Empfehlungen, Übungen und Programme auf den folgenden Seiten Trainer und Athleten auf der ganzen Welt befähigen, ihre Rolle hervorragend auszufüllen. Nichts würde mich mehr freuen.

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Funktion bedeutet im Wesentlichen Zweck. Wenn wir das Wort Funktion benutzen, meinen wir, dass etwas einen Zweck hat. Angewendet auf sportliches Training, sprechen wir von zweckgebundenem Training. Die Idee zu funktionellem Training oder funktionellen Übungen stammt ursprünglich aus der Sportmedizin. Wie so oft haben die Überlegungen und Übungen aus der Rehabilitation ihren Weg über die Physiotherapie und das Athletiktraining in den Kraftraum zurückgelegt. Der Grundgedanke: Übungen, die einen Athleten wieder gesund machen, könnten auch die besten Übungen zum Beibehalten und Verbessern der Gesundheit sein.

Seit der ersten Anwendung im Sport ist das Konzept des funktionellen Trainings von vielen Athleten und Trainern missverstanden und falsch etikettiert worden. Begriffe wie »sportartspezifisch«, die implizieren, dass bestimmte Bewegungen und Bewegungsmuster spezifisch für einzelne Sportarten wären, wurden verwendet, um die Konzepte des funktionellen Trainings zu beschreiben. Aber: Sportartspezifisches Training findet mit dem Athleten auf der Matte, der Bahn und dem Platz statt, wohingegen wir im Fitnesstraining daran arbeiten, den Sportler allgemein und in einzelnen Bereichen zu verbessern. Funktionelles Training ist deshalb eher allgemeines sportliches als sportartspezifisches Training.

Obwohl wir uns in diesem Buch auch mit den Details sportartspezifischer Anpassung beschäftigen, ist es wichtig zu verstehen, dass sich die meisten Sportarten mehr durch Ähnlichkeiten als durch Unterschiede auszeichnen. Aktionen wie sprinten, schlagen, springen und sich seitwärtsbewegen kommen in vielen Sportarten vor. Ein Sportgeneralist ist davon überzeugt, dass Schnellkrafttraining in allen Sportarten ähnlich ist. Schnell ist schnell, egal, ob wir American-Football-Spieler oder Fußballer trainieren. Das Core-Training für Golfer unterscheidet sich nicht von dem für Tennisspieler. Tatsächlich variieren Schnellkraft- und Core-Training von Sportart zu Sportart nur minimal.

Im funktionellen Training betrachten wir die Gemeinsamkeiten von Sportarten und stärken sie. In meinem Trainingszentrum haben wir bemerkenswert ähnliche Programme verwendet, um Goldmedaillengewinner sowohl im Judo als auch im Eishockey zu trainieren. Wenn Sie die Programme gesehen hätten, wäre Ihnen zuerst aufgefallen, dass sich die Programme alle ähnelten, auch wenn die Athleten völlig unterschiedlich zu sein schienen.

Drei Fragen, um funktionelles Training zu definieren

Damit wir uns dem Konzept des funktionellen Trainings annähern und es besser verstehen können, sollten wir uns zunächst ein paar einfache Fragen beantworten:

1. Wie viele Sportarten werden im Sitzen absolviert?

Soweit ich weiß, sind es nur ein paar wenige Sportarten, wie etwa Rudern. Wenn wir diese Grundvoraussetzung akzeptieren, wissen wir, dass Muskeltraining im Sitzen für die meisten Sportarten nicht funktionell wäre.

2. Wie viele Sportarten finden in starrer Umgebung statt, in der die Stabilität von außen kommt?

Die Antwort muss »keine« lauten, denn Sport findet in Stadien oder auf Spielfeldern statt. Der Athlet kümmert sich selbst um seine Stabilität, er wird nicht von außen gestützt. Angesichts dieser Tatsache kommen wir darauf, dass die meisten Trainingsmaschinen per Definition nicht funktionell sind, weil sie die Last für den Athleten stabilisieren. Befürworter des Maschinentrainings können vorbringen, dass es sicherer sei, aber es gibt eine klare Abwägung für die relative Sicherheit im Kraftraum. Zwar führt das Maschinentraining in der Theorie zu weniger Trainingsverletzungen, allerdings birgt auch der Mangel an propriozeptivem Input (interne Rückmeldungen des Körpers über Körperstellung und Bewegung) und Stabilisation die viel größere Gefahr, dass es im Wettkampf häufiger zu Verletzungen kommt.

3. Wie viele sportliche Fertigkeiten beruhen auf einer eingelenkigen isolierten Bewegung?

Die Antwort ist wieder »keine«. Funktionelles Training konzentriert sich, wenn immer es möglich ist, auf Bewegungen mehrerer Gelenke. Vern Gambetta und Gary Gray, zwei anerkannte Experten für Functional Training, sagen hierzu: »Eingelenkige Bewegungen, die einen speziellen Muskel isoliert beanspruchen, sind als unfunktionell zu bezeichnen. Funktionelle Bewegungsformen integrieren immer mehrere Muskeln und Muskelgruppen gleichzeitig.« (Gambetta und Gray, 2002, Absatz 13)

Auf der Grundlage dieser Antworten können wir uns darauf einigen, dass funktionelles Training überwiegend aus Übungen besteht, bei denen der Sportler mit beiden Füßen auf dem Boden steht und – mit wenigen Ausnahmen – nicht von einem Kraftgerät unterstützt wird. Widerstand gegen funktionelles Training kommt oft in Gestalt von Sätzen wie: »Das haben wir doch immer so gemacht.« Lee Cockrell hält in seinem Buch Creating Magic treffend dagegen: »Was aber, wenn wir es immer falsch gemacht haben?«

So funktioniert Functional Training

In grundlegender Anwendung bereitet das funktionelle Training einen Athleten auf das Ausüben seiner Sportart vor. Im Gegensatz dazu bedeutet funktionelles Training nicht, einen Athleten mit einer speziellen Sportart auf eine andere Sportart vorzubereiten. Das wäre Cross-Training. Viele akademische Krafttrainingsprogramme verwechseln die beiden und trainieren beispielsweise Basketballer, als wären sie gleichzeitig auch Powerlifter und Gewichtheber.

Andererseits finden im funktionellen Training viele Konzepte Anwendung, die zum Trainieren von Schnelligkeit, Kraft und Explosivität entwickelt wurden – mit dem Ziel, die sportliche Leistung des Athleten zu verbessern und seine Verletzungsanfälligkeit zu minimieren. Werden also Übungen aus Sportarten wie der Leichtathletik oder dem Powerlifting übernommen, so ist auf einen intelligenten Übertrag auf den Athleten zu achten, anstatt auf einen blinden Transfer von einer Sportart auf die nächste zu setzen. Ein gutes Trainingsprogramm mischt sorgsam Konzepte und Erfahrungen aus der Sportmedizin, der Physiotherapie und dem Leistungssport, um für einen bestimmten Athleten das beste Szenario zu schaffen.

Im funktionellen Training lernt der Sportler, mit seinem eigenen Körpergewicht zu arbeiten, die Übungen ähneln damit in gewisser Weise den im frühen 20. Jahrhundert populären Turnübungen. Der Trainer setzt am Anfang nur das Körpergewicht als Widerstand ein und strebt nach Haltungen, die dem Sportler einleuchten.

Funktionelles Training integriert durch einseitige und einbeinige Übungen auch Balance und Propriozeption (Körperbewusstsein) in den Trainingsprozess. Gambetta und Gray (2002, Absatz 8) stellen fest: »Funktionelle Trainingsprogramme versetzen den Athleten gewollt in eine instabile Lage. Der Sportler muss reagieren und mit gezielten Bewegungen Stabilität wiederaufbauen.«

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Funktionelles Training dient der Entwicklung von Schnelligkeit, Kraft und Explosivität, um die sportliche Leistung zu verbessern und die Verletzungshäufigkeit zu reduzieren.

Die einfachste und beste Methode zum Einbringen von Instabilität ist die Aufforderung an einen Athleten, eine Übung auf einem Bein zu absolvieren. Funktionelles Training nutzt einbeinige Übungen, die das Gleichgewicht fördern, um die Muskeln so zu entwickeln, wie sie im Sport eingesetzt werden. Das simple Erzeugen von Kraft unter schwerer Last auf zwei Beinen ist für die meisten Athleten unfunktionell.

Funktionelles Training basiert auf Übungen wie Kniebeugen und Ausfallschritten sowie Zugund Drückbewegungen. Es lässt sich am besten als ein Kontinuum von Übungen beschreiben, das den Sportler lehrt, sein eigenes Körpergewicht auf allen Bewegungsebenen zu kontrollieren.

Ein letzter wichtiger Punkt: Funktionelles Training trainiert Bewegungen, nicht Muskeln. Es legt keinen Wert auf die Überentwicklung von Kraft in einer bestimmten Bewegung. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf dem Gleichgewicht zwischen Druck- und Zugkraft und zwischen kniedominanter (Quadrizeps, Gesäßmuskeln) und hüftdominanter Hüftstreckung (Oberschenkelrückseite, Gesäßmuskeln).

Die Wissenschaft hinter dem funktionellen Training

Wer das Konzept des funktionellen Trainings verstehen möchte, muss sich zunächst mit einem neuen Erklärungsmodell für Bewegungsabläufe befassen. Dieses wurde in den 1990er-Jahren von dem Physiotherapeuten Gary Gray in seinen Kursen über Bewegungsketten eingeführt. Gray warb um eine neue Sicht auf die Muskelfunktion, die nicht auf den hergebrachten Definitionen von Beugung, Streckung, Adduktion und Abduktion beruhte, sondern auf kinetischen Ketten und funktioneller Anatomie.

Früher lehrte uns eine eher dysfunktionale Anatomie, wie ein Muskel arbeitet, um ein einzelnes Gelenk zu bewegen. Man spricht hier auch von Ursprungs-Ansatz-Anatomie, die sich gut dazu eignete, um potenzielle Bewegungen eines auf einem Tisch liegenden Skeletts zu beschreiben. In der Ursprungs-Ansatz-Anatomie musste man wissen, wo ein Muskel beginnt (Ursprung) und wo er endet (Ansatz), ebenso musste man seine isolierte Handlung kennen. Man verschwendete keine Gedanken daran, wie dieser Muskel arbeitet, wenn eine Person steht oder sich bewegt. Im Gegensatz dazu beschreibt die funktionelle Anatomie, wie Muskeln agieren, um mehrere in Wechselbeziehung zueinander stehende Gelenkgruppen zu bewegen, und wie sie zusammenarbeiten, um komplexe Bewegungsabfolgen zu absolvieren.

Indem er die Begriffe aus der funktionellen Anatomie verwendet, beschreibt Gray die Funktion des Unterkörpers während Bewegungen in etwa folgendermaßen: Sobald der Fuß auf dem Boden aufsetzt, hat jeder Muskel des Unterkörpers nur eine Aufgabe. Gesäßmuskeln sowie vordere und hintere Oberschenkelmuskulatur arbeiten zusammen, um Fuß-, Knie- und Hüftgelenke zu stabilisieren und ein Nach-vorn-Fallen zu vermeiden. Sie alle haben die Aufgabe, die Bewegung der Gelenke zu verlangsamen beziehungsweise zu kontrollieren. Diese Sichtweise ist für diejenigen schwer zu akzeptieren, die mit der Ursprungs-Ansatz-Anatomie groß geworden sind. Aber sieht man genauer hin, ist der neue Ansatz einleuchtend. Ist der Quadrizeps in der Landephase des Sprints ein Kniestrecker? Nein. Wenn der Fuß den Boden berührt, kontrahiert der Quadrizeps exzentrisch, um Kniebeugung zu verhindern. Sind die Muskeln der Oberschenkelrückseite jetzt Kniebeuger? Nein. Sie agieren in einer Doppelrolle und verhindern die Knie- und Hüftbeugung.

Je mehr Sie darüber nachdenken, umso klarer wird die Antwort. In der Landephase des Gehens oder Laufens arbeiten alle Muskeln der unteren Extremitäten zusammen, um eine Bewegung zu verhindern, nicht um sie auszuführen. Alle Muskeln bremsen per exzentrischer Kontraktion die Beugung von Fuß-, Knie- und Hüftgelenk.

Sobald Sie das neue Konzept verinnerlicht haben, fallen die nächsten Schritte leichter. Jetzt gilt es zu verstehen, dass nach dem Aufsetzen des Fußes auf den Boden und der gebremsten Beugung alle Muskeln der unteren Extremitäten zusammenarbeiten, um die Streckung im Fuß-, Knie- und Hüftgelenk einzuleiten. Dabei streckt der Quadrizeps nicht nur das Knie, sondern unterstützt mit Plantarflexion des Sprunggelenks auch die Hüftstreckung.

Man kann also sagen, dass alle arbeitenden Muskeln in der ersten Sequenz damit beschäftigt sind, eine Bewegung zu bremsen und Millisekunden später eine Bewegung zu erzeugen. Wenn diese Sichtweise für Sie Sinn ergibt, sind Sie auf dem richtigen Weg, die Wissenschaft hinter der funktionellen Anatomie und das Konzept des Functional Training zu verstehen.

Zudem wird Ihnen klar, dass ein Athlet, der im Krafttraining die Beinstreckung am Gerät trainiert, eine Bewegung ausführt, die beim Gehen oder Laufen nicht vorkommt. Er führt sogenanntes Open-chain-Muskeltraining aus. Open chain (»offene Kette«) heißt, dass der Fuß keinen Kontakt mit dem Boden hat. Wer dagegen den Muskel so realitätsgetreu trainieren möchte, wie er auch gebraucht wird, der muss die Kette schließen und den Fuß auf dem Boden aufsetzen. Erst dann werden alle Muskeln aktiviert, die an der Bewegung beteiligt sind. Speziell bei Übungen für die Beine sind Open-chain-Bewegungen, die nur ein einziges Gelenk isoliert bewegen, unfunktionell.

Zur Kontroverse des funktionellen Trainings

In den vergangenen 20 Jahren wurden vermehrt neue Ansätze gesucht, Training funktionell zu gestalten und so den Sportler vor Über- oder Fehlbelastung zu schützen. Viele Trainer sind nach und nach von den typischen beidbeinigen und langhantelorientierten Programmen abgekommen. Inzwischen legt man mehr Wert auf einbeinige Übungen, bei denen Kurzhanteln und Kettlebells zum Einsatz kommen. Die Arbeit und die Impulse Gary Grays haben Früchte getragen.

Die Verlagerung des inhaltlichen Schwerpunkts ging von der Physiotherapie aus, aber das Konzept des funktionellen Trainings wurde stetig auch von Fitness- und Personal Trainern übernommen. Es ist hilfreich, das Krafttraining als Ganzes zu betrachten – mit Grays Herangehensweise vom Einbeziehen aller Bewegungsebenen auf der einen und dem Langhantel-Powerlifting auf der anderen Seite.

Der Grund für die rasche Ausbreitung und Akzeptanz des funktionellen Trainings ist einfach: Es leuchtet Trainern wie Athleten ein und wird durch deren Erfahrungen im Trainingsraum und Wettkampf immer wieder bestätigt.

Einer der ersten Hinweise, dass funktionelles Training keine Eintagsfliege bleiben würde, kam aus der Industrie. Die großen Hersteller der früher populären Eingelenks-Muskelisolations-Trainingsmaschinen stellten ihre Produktion um, führten neue Geräte ein, mit dem die Sportler ground-based (»am Boden«) trainieren konnten. Sie produzierten nun auch Squat Racks und Gewichtsbänke. Seitdem selbst Breitensportler verstärkt funktionell trainieren, hat die Beliebtheit des Maschinentrainings mehr und mehr abgenommen.

Functional Training ist mittlerweile so anerkannt, dass man Geräte wie Hartschaumrollen, Kettlebells und elastische Bänder in jedem Sportgeschäft kaufen kann. Viele Fitnessclubs haben eigene Bereiche mit Kunstrasen ausgestattet, wo Kunden mit einer Reihe funktioneller Geräte trainieren können. Funktionelles Training in Kleingruppen verzeichnet in der Fitnesswelt die größten Wachstumsraten.

In der anfänglichen Phase der Ausbreitung des funktionellen Trainings gab es allerdings viele Diskussionen, was letztlich an Missverständnissen wegen fehlender Informationen und mangelhafter Erläuterung lag. Nur so konnte es geschehen, dass funktionelles Training in manchen Kreisen für bräsige Gleichgewichtsübungen mit Gymnastikbällen stand. Diese Sichtweise wurde zum Teil gestützt durch eine Fraktion von Befürwortern funktionellen Trainings, die die Unterschiede in ihrer Herangehensweise betonen und eine klare Botschaft verbreiten wollten: Funktionelles Training muss ohne Maschinen stattfinden, im Stand ausgeführt werden und mehrere Gelenke einbeziehen. Das erschien sinnvoll und war nur schwer zu widerlegen. Aber viele Trainer sahen funktionelles Training als eine Abkehr vom beidbeinigen Heben und von Langhanteln und eine Hinwendung zum Heben von Gewichten auf Balancebrettern und Gymnastikbällen.

Es gibt aber auch Trainer, die sich einerseits auf die Seite des funktionellen Trainings stellen, auf der anderen Seite aber Konzepte einsetzen, die augenscheinlich nicht funktionell sind. Dieser Einsatz unfunktioneller Übungen durch angebliche Befürworter funktionellen Trainings sorgte für weitere Verwirrung. Die Gründe für diesen scheinbaren Widerspruch sind simpel: Die Funktion variiert je nach Gelenk. Übungen, die die Funktionen von stabilisierenden Gelenken unterstützen, unterscheiden sich von Übungen für Gelenke, die nach Bewegung streben.

Die Hauptfunktion bestimmter Muskeln und Muskelgruppen ist Stabilisation. Funktionelles Training für diese Muskeln bedeutet, sie zu noch besseren Stabilisatoren auszubilden, oft durch einfache Übungen mit kleinen Bewegungsumfängen. Im Bestreben, möglichst alles funktionell zu machen, vernachlässigten Trainer und Athleten in vielen Fällen die Bedeutung der stabilisierenden Funktion bestimmter Muskelgruppen. Die drei wichtigsten, die Stabilisations-training brauchen, sind

image die tief liegende Bauchmuskulatur,

image die Hüftabduktoren und Hüftrotatoren und

image die Schulterblattstabilisatoren.

Viele Trainer waren der Auffassung, dass Übungen für diese Bereiche in die Rehabilitation oder Verletzungsvorbeugung gehören. In Wirklichkeit aber sind sie nur eine andere Form funktionellen Trainings. So verbessert beispielsweise eine stabile Hüfte nicht nur die Funktion des Hüftgelenks, sondern wirkt sich ebenso positiv auf die Funktion von Knie- und Sprunggelenk aus.

Manche Sportler müssen zunächst isoliertes Hüfttraining betreiben, um so die Muskelgruppen zu aktivieren, die ihre Hüfte stabilisieren. Konditionsexperte Mark Verstegen von EXOS (früher Athletes’ Performance) in Phoenix, Arizona, spricht von »Innervation durch Isolation«. Manchmal müssen bestimmte Muskelgruppen, besonders die tief liegende Bauchmuskulatur, die Hüftabduktoren und die Schulterblattstabilisatoren, isoliert werden, damit ihre Funktion gesteigert werden kann. Aus diesem Grund verbessern einige scheinbar unfunktionelle Eingelenkübungen tatsächlich die Funktion des gesamten Unterkörpers. Dies ist eines der Paradoxe des funktionellen Trainings.

Die Funktion des Schultergelenks verbessert sich durch Training der Schulterblattstabilisatoren und der Rotatorenmanschette. Viele Sportler trainieren die Rotatorenmanschette, nur wenige aber die Schulterblattstabilisatoren. Aber sportliche Bewegungen ohne starke Schulterblattstabilisatoren sind vergleichbar mit dem Abschießen eine Kanone von einem Kanu aus. Die meisten unserer Sportler leiden unter zu schwachen Rotatorenmanschetten und zu schwachen oder schlecht kontrollierten Schulterblattstabilisatoren. Um das zu beheben, setzen wir oft Übungen ein, die scheinbar unfunktionell, aber für das Entwickeln dieser Bereiche und die langfristige Gesundheit des Schultergelenks unerlässlich sind.

Auch in der Stabilisierung des unteren Rückens sind die Physiotherapeuten Vorreiter. Das Verbessern der Bauchmuskulatur zur Stabilisation des unteren Rückens ist nicht neu, aber die speziellen Methoden ändern sich schnell.

Der Schlüssel zum Ausarbeiten eines wirklich funktionellen Trainingsprogramms liegt darin, in keine Richtung zu weit zu gehen. Die meisten Übungen finden im Stand statt und sind mehrgelenkig, aber gleichzeitig gilt die Aufmerksamkeit auch der Entwicklung der wichtigen Stabilisatoren in Hüfte, Core und (hinterer) Schulter.

Ein weiteres Problem stellen multiplanare, also auf mehreren Ebenen auszuführende Bewegungen dar, die in einer sportartspezifischen Position eingeübt werden. Befürworter dieser Form des funktionellen Trainings begrüßen nämlich auch den Einsatz von Zusatzgewichten wie Kurzhanteln oder Gewichtsgürteln, während die Wirbelsäule gebeugt ist und die Füße nicht anatomisch günstig gerade stehen.

Das Absolvieren solcher Übungen wird damit begründet, dass diese Bewegungen im sportlichen Alltag der Athleten regelmäßig vorkommen. Mit gezielten Übungen möchte man die Sportler auf Spiel- und Wettkampfsituationen vorbereiten. Hier sollte der Trainer abwägen, inwieweit er Bewegungen, die im sportlichen Alltag vorkommen, wirklich mit Zusatzgewichten im Kraftraum imitieren möchte. Ein Baseballspieler zum Beispiel beugt sich im Spiel regelmäßig hinunter, um einen Ball zu erreichen. Ihn mit gebeugter Wirbelsäule und zusätzlichen Gewichten Kniebeugen machen zu lassen setzt seine Wirbelsäule allerdings großen Belastungen aus und könnte mehr schaden als nützen. Doch wo ist die Grenze zu ziehen zwischen sicherem und gefährlichem Training? Inwieweit sollten solche Bewegungen, die im sportlichen Alltag vorkommen, auch im Kraftraum trainiert werden? Unser Standpunkt heißt klar: Wir gehen im Kraftraum keine Risiken ein, nur weil bestimmte Bewegungen in einer Sportart häufig vorkommen. Im Krafttraining darf die Sicherheit des Rückens zu keiner Zeit einer sportspezifischeren Haltung der Übung geopfert werden.

Wenn Sie das Konzept des funktionellen Trainings verstehen wollen, sollten Sie darüber nachdenken, wie und warum sich Athleten in ihrer Sportart bewegen. Das Training soll dazu dienen, Bewegungsabläufe zu verbessern, nicht bloße Kraft aufzubauen. Viele Athleten lehnen den Einsatz von Krafttraining ab, weil sie dessen leistungsfördernde Komponente für ihre Sportart nicht nachvollziehen können. Sie akzeptieren nur Trainingsformen, bei denen sie einen direkten Zusammenhang mit der Leistung in ihrer Sportart sehen. Die Aufgabe des Trainers besteht also darin, dem Sportler den Sinn seines Trainings zu vermitteln. Bewegungen auszuführen, die im sportlichen Alltag nicht vorkommen, hat keinen Sinn. Daher muss ein Trainingsprogramm entwickelt werden, das die Sportler spezifisch auf die Anforderungen ihrer Sportart vorbereitet. Es müssen Übungen ausgeführt werden, die die Muskeln genau so trainieren, wie sie im sportlichen Alltag gebraucht werden. Das ist das Ziel des funktionellen Trainings.

Für den professionellen Kraft- und Konditionstrainer sollte das wichtigste Ziel seines Programms die Verringerung von Verletzungen sein. Im Leistungssport misst sich Erfolg oder Scheitern eines Konditionsprogramms viel mehr in der Gesundheit der Spieler als in Siegen oder Niederlagen. In der National Football League gibt es eine Statistik, die verpasste Einsätze in der Startaufstellung aufführt, im Baseball zeichnet man Tage auf der Verletztenliste auf, und im Eishockey schaut man nach wegen Verletzung verpassten Spielen. In allen Fällen gibt es eine Verbindung zwischen gesundheitsfördernden Konditionsprogrammen und dem Teamerfolg. Die Kehrseite: Wenn Coaches ein Trainingssystem einsetzen, das zwar wenige Verletzungen im Training, dafür aber viele im Wettkampf zur Folge hat, machen sie dann ihren Job oder schützen sie ihn nur?

Der Schlüssel für ein wirkungsvolles funktionelles Trainingsprogramm liegt darin: Tue, was du sagst, und halte dich daran.

EIN PLÄDOYER FÜR SPORTARTUNSPEZIFISCHES TRAINING

Olympiasiegerin Kayla Harrison ist ein großartiges Beispiel dafür, wie ein Athlet von einem sportartunspezifischen Training profitieren kann. Unser Trainingsprogramm umfasste keine Judowürfe, sondern sah vor, grundlegende Bewegungsmuster zu stärken. Für Kayla war es wichtig, Kraft im Drücken, Ziehen und Rumpfdrehen sowie im Squat und Ausfallschritt zu entwickeln. Die Übungsauswahl berücksichtigte neben ihrer Verletzungsgeschichte auch generelle typische sportartspezifische Anforderungen.

Judo verlangt einen hohen Trainingsumfang und bringt enorme Belastungen des Bewegungsapparats mit sich. Wir entschieden uns daher für zwei kurze Trainingseinheiten pro Woche, in denen wir uns auf Drücken, Ziehen, Übungen mit Knie- und Hüftdominanz sowie für den Core konzentrierten.

Da Judo eine Ganzjahressportart ist, haben wir unser Programm für Kayla als Variante des Basis-Zweitageprogramms gestaltet, das Sie im letzten Kapitel kennenlernen werden. Judotechniken selbst kamen so gut wie nicht vor, dafür legten wir sehr viel Wert auf die Entwicklung von Kaylas grundlegender Kondition.

Ein typischer Trainingstag sah folgendermaßen aus:

image Arbeit mit der Hartschaumrolle

image Dehnen

image dynamisches Aufwärmen

image Schnellkrafttraining mit Medizinball und plyometrische Übungen

image Krafttraining mit Drücken (Kurzhantel-Bankdrücken), Ziehen (Ringe-Rudern), kniedominanten (einbeiniger Squat) und hüftdominanten (einbeiniges Kreuzheben mit gestrecktem Bein) Übungen

image Core: zwischen den Sätzen Basisübungen wie Unterarmstütz, Seitstütz und Gewichttragen

image Spezifische Ausdauer: Vier-Minuten-Runden, die zu den energetischen Anforderungen von Judo passen und vor allem auf einem Fahrradergometer ausgeführt wurden, um eine zusätzliche Gelenkbelastung zu vermeiden.

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Bevor Sie ein effektives Programm funktionellen Trainings zusammenstellen können, müssen Sie die Anforderungen der jeweiligen Sportart analysieren und verstehen. Entwickeln Sie ein Bild im Kopf: Um welche Art Sport handelt es sich?

Die meisten Sportarten sind entweder Ausdauer-, Schnellkraft- oder Schnelligkeitsdisziplinen. Fast alle Mannschaftssportarten werden durch Schnelligkeit und Schnellkraft bestimmt. Das Gleiche gilt für Einzelsportarten wie Turnen und Eiskunstlauf und Schlägersportarten wie Tennis. Nun überlegen Sie, wer aktuell die weltbesten Athleten der Sportart sind: die mit der größten Ausdauer oder die mit maximaler Beweglichkeit? Meist ist beides nicht der Fall. In der Regel sind die besten Akteure die, die sich am explosivsten und effizientesten bewegen. Schnelligkeit und Wendigkeit sind die wertvollsten Qualitäten in fast jeder Schnellkraftsportart.

Tests, die zur jeweiligen Sportart passen

Als Teams aus dem Profisport und Top-Athleten aus Einzelsportarten in den frühen 1980er-Jahren erstmals um Trainingsunterstützung baten, wandten sie sich oft an die falschen Leute. Die von den Teams oder von Sportverbänden beschäftigten Ratgeber waren in vielen Fällen Sportphysiologen, die selbst meist aus dem Ausdauersport kamen und wenig oder keine Erfahrung mit den Bedürfnissen der Athleten in Schnelligkeits- und Schnellkraftsportarten hatten. Anstatt also ihre Untersuchungen auf diese Sportarten zuzuschneiden, gingen die Trainingswissenschaftler damals nach diesem Schema vor:

1. Leistungsdiagnostik des Spielers

2. Auswertung der Ergebnisse

3. Anwendung der Ergebnisse im Training

Leider steckte diese einfache Methode zum Verbessern der Fitness und Leistungsfähigkeit voller Fehler, und selbst nach mehr als 30 Jahren leiden viele Sportler noch immer unter inadäquatem Training.

Die meisten Schnelligkeits- und Schnellkraftsportler schneiden in Ausdauertests (VO2max) sehr schlecht ab. Zur Vereinfachung finden solche Tests grundsätzlich auf Fahrradergometern statt, aber Schnellkraftsportler trainieren für gewöhnlich nicht auf dem Rad. Auf Grundlage der VO2max-Ergebnisse waren sie nicht fit. Also legte der folgende Fitnessplan den Schwerpunkt auf das Verbessern der aeroben Kapazität, und zwar mit der Begründung, dass ein Spieler mit größerer Sauerstoffaufnahmefähigkeit länger spielen und sich schneller erholen könne. All das schien wissenschaftlich belegbar zu sein. Es gibt aber eine Reihe von Gründen, warum diese Herangehensweise an den Bedürfnissen von Schnellkraftsportlern vorbeizielt:

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