Egon Friedell
Kulturgeschichte des Altertums
Untertitel: Kulturgeschichte Ägyptens und des alten Orients / Kulturgeschichte Griechenlands / Leben und Legende der vorchristlichen Seele
Die Kulturgeschichte des Altertums steht zur dreibändigen Kulturgeschichte der Neuzeit in keiner unmittelbaren Beziehung: sie setzt deren Lektüre nirgends voraus, auch nicht an den seltenen Stellen, wo sie sich auf sie beruft; sie will aber auch nicht umgekehrt eine Art nachträgliche Einleitung zu ihr bilden; und sie stellt nicht einmal ein Parallelwerk dar, denn sie ist nach einer anderen Methode angelegt und ausgeführt. Man kann daher ebenso gut dieses Werk vor jenem lesen wie jenes vor diesem, aber auch nur dieses oder nur jenes und sogar beide nebeneinander; und man kann auch keines von beiden lesen.
Zum Buch
Inhalt
ERSTES BUCH. Kulturgeschichte Ägyptens und des alten Orients: Leben und Legende der vorchristlichen Seele – Einleitung
Die Dissonanz
Der unbekannte Gott
Das Licht der Gnosis
Der größte Ketzer
Die Marcioniten
Die Verschwörung
Das Neue Testament
Der gute Fremde
Der gerechte Demiurg
Messias
Das Buch der Rache
Der Sündenfall
Der Fürst der Welt
Die Weltschöpfung durch Luzifer
Das Satansspektakel
Im Unsichtbaren
Das Gewissen
Geschichte der Geschichte
Die ästhetische Urteilskraft
Die teleologische Urteilskraft
Die historische Urteilskraft
Der Autor der Geschichte
Der historische Kontakt
Geschichte und Philosophie
Die Vorgeschichte
Platos Atlantis
Die Atlantis der Zugvögel
Das Licht vom Westen
Die okkulte Atlantis
Das magische Organ
Die vitale Technik
Hörbigers Atlantis
Erdzeitalter
Die Welt in Eidechsenbesetzung
Der ewige Mensch
Diluvium
Die Höhlenkultur
Neandertaler und Rhodesiamensch
Die Cromagnards
Der Bildzauber
Die Jungsteinzeit
Die Metallzeit
Spengler
»Planetarische« Weltgeschichte
Der Raum des Altertums
Kleinafrika
Die Ägäis
Das Klima Mediterraniens
Die politischen Einheiten
Undine
Die Toga als Alibi
Perlippe, perlappe
Der Tierkreis
Die Heilige Nacht
1. Kapitel: Das Geheimnis Ägyptens
Das anonyme Volk
Das Namensbabel
Das stumme Land
Boden und Geist
Volk, Staat, Sprache
Die Antinomie
Die Variationen
Die Religionsrassen
Die Geburt aus dem Unsichtbaren
Die Ethik des Zimmers
Typus und Idee
Die Wunderlampe
Das potamische Tempo
Der Nil
Die Nilschwelle
Die große Oase
Die ägyptische Luft
Die ägyptische Landschaft
Die ägyptische Wirtschaft
Die ägyptische Rasse
Das China der Antike
Der Ägyptizismus
Antinous
Antonius
Die ägyptische Finsternis
Herodot
Die Dynastien
Die Neuzeit der Europologen
Die vordynastische Zeit
Horus
Der heilige Pillendreher
Die Hochsteinzeit
Die Religionspsychologen
Der Pharao
Der Hof
Der Kalender
Der Stein von Rosette
Die Bilderschrift
Die Buchstabenschrift
Die Deutzeichen
Die Schriftarten
Die Pyramiden
Die Zwiebeltheorie
Instinkt oder Magie
Die Mathematik der Pyramide
Re
Die Bürokratie
Feudalismus und Bolschewismus
Das Gespräch des Lebensmüden
Ägypten und Amerika
Die zwölfte Dynastie
Die Literatur des Mittleren Reichs
Sinuhe
Die Wissenschaft
Der Hyksos
Der Henotheismus
Der Ka
Das Grab
Ti
Der Ägypter und der Tod
Der Bauer
Der Handel
Die Moral
Der Luxus
Die Ehe
Die Adelphogamie
Das Amüsement
Die Küche
Die Tracht
Der Obernachtigallbringer
Der Geometrismus
Der echte Expressionismus
Die Schattenmalerei als Irreligion
Die objektive Kunst
Der Traditionalismus
Der Utilitarismus
Das epische Volk
Das barocke Volk
2. Kapitel: Der Turm von Babel
Gut und Böse
Die Welt ohne Individuen
Das Zweistromland
Der Boden Mesopotamiens
Die toten Städte
Sumer und Akkad
Die Keilschrift
Chaldäa und Elam
Assur
Die »Kleinasiaten«
Die hethitische Kultur
Die »Sidonier«
Die phönizische Kultur
Charakter der babylonischen Geschichte
Das mesopotamische Altertum
Sargon der Große
Die wahren Sagen
Naramsin und Gudea
Hammurapi
Die Kossäer
Die Religion
Der Klerus
Die Regierung
Die Reform des Hammurapi
Die Wirtschaft
Münzen und Banken
Der Pessimismus
Die Wissenschaft
Die Zahlen
Die Lexika
Die Kunst
Gilgamesch
Tägliches Leben am Euphrat
Essen und Trinken
Die Vertreibung der Hyksos
Das Neue Reich
Hatschepsut
Das ägyptische Weltreich
Der Amarnafund
Echnaton
Aton
Die Orthodoxie des Ketzers
Naturalismus
Nofretete
»Josefinismus«
Dekadenz
Der Amarnastil
Der Ausgang der Amarnazeit
Die Gegenreformation
Das Grab Tutenchamons
Haremhab
Die Schlacht von Kadesch
Ramses der Große
Das Gästehaus
Der Kirchenstaat von Theben
Der «Westen« von Theben
Die Liebeslyrik
Das Märchen
Zwei ägyptische Mysterienspiele
Ein Gelehrtenstreit vor 3200 Jahren
Das Heer
Die Verwaltung
Die Syromanie
Der Luxus
Das Kunsthandwerk
Die Totenbücher
Der ägyptische Rabbinismus
Das Gespenst
3. Kapitel: Gott und Erde
Samum
Die nomadische Gesinnung
Blutrache und Gastrecht
Die semitische Fantasie
Das Heilige Land
Das Naturbild Palästinas
Die orientalischen Großmächte
Die Saïten
Die Chaldäer
Die Erzväter
Mose
Die Richter
Saul
David
Salomo
Leben im alten Israel
Das israelitische Recht
Die israelitische Naturreligion
Jahwe
Ba'al
Der Urmonotheismus
Der Untergang Samarias
Der Untergang Jerusalems
Das Exil
Esra
Die Theokratie
Der Talmud
Das Volk des Buches
Masoretentext und Septuaginta
Die hebräische Sprache
Die Pentateuchkritik
Die Geschichte des Alten Testaments
Der Jahwist
Der Elohist
Der Deuteronomist
Der Priesterkodex
Die historischen Bücher
Echt und unecht
Die ersten Historiker
Alter und Neuer Bund
Die Prophetie
Die Gaukler Gottes
Elia
Amos
Hosea
Jesaia
Zephanja und Habakuk
Jeremia
Deuterojesaja
Der »Knecht Jahwes«
Das Buch Jona
Hiob
Der Vorschatten
4. Kapitel: Die verzauberte Insel
»Kompliziert«
Die Vorindogermanen
Die Etrusker
Die Urgriechen
Die Perioden
Die Vasenprovinzen
Die mykenische Kultur
»Mittelalterlich«
Altgriechischer Glaube
Gigantenbauten und Heroengräber
Die Ritterheere
Homers Quellenstudien
Schliemann
Neunmal Troja
Das »olympische Ilion«
Das Reich des Minos
Kretische Wirklichkeitskunst
Kretischer Symbolismus
Der Kretazismus
Die Traumstadt
Das England der Ägäis
Das Paradies der Damen
Die Ägäische Wanderung
Nacht und Morgen
ZWEITES BUCH. Kulturgeschichte Griechenlands: Leben und Legende der vorchristlichen Seele – 1. Kapitel: Ionischer Frühling
Seele und Umwelt
Die griechische Szene
Die Berge
Die Inseln
Die Schifffahrt
Der Norden und die Mitte
Der Peloponnes
Die Kleinräumigkeit
Die Temperaturen
Sonne, Wasser und Luft
Das Volk des Vordergrunds
Blumen
Bäume
Früchte
Öl
Minerale
Frugalität
Jagd
Pferd, Hund und Katze
Rind, Schwein und Schaf
Geflügel
Fische
Purpur
Das griechische Naturgefühl
Das griechische Genie
Das griechische Ethos
Die Sophrosyne
Der griechische Individualismus
Der Schein des Scheins
Die griechischen Buchstaben
Die griechischen Formen
Die griechische Aussprache
Die griechischen Dialekte
Homer als Rundbildner
Homer ohne Homer
Homers Komposition
Homer als Fachmann
Homers Welt
Hesiod
Der Olymp
Die Unterirdischen
Die Heroen
Das Jenseits
Die Mysterien
Die Vorzeichen
Die griechische Religion
Die griechischen Epochen
Nachhellenische Geschichte Griechenlands
Die griechischen Stämme
Die griechische Kolonisation
Kroisos
Untergang der Monarchie
Drakon
Solon
Das griechische Geld
Sparta
Der Lakonismus
Kreta
Die ionische Stadt
Die Tyrannis
Polykrates
Peisistratos
Die Polis
Die Kalokagathie
Der Sport
Die Päderastie
Die Antibanausie
Die Vasenmalerei
Die Skulptur
Das erste Monument
Der Tempel
Die Säule
Die Musik
Archilochos
Alkman
Die Elegie
Alkaios und Sappho
Anakreon
Theognis
Simonides
Äsop
Die dorische Komödie
Thales
Anaximander
Pythagoras
Die Eleaten
Die Dialektik
Heraklit
Mathematik
Historia
Die Apenninenhalbinsel
Die Etrusker
Rom
Die Könige
Charakter der Urrömer
Leben der Urrömer
Das Lateinische
Die römische Religion
Der römische Kult
Der Mazdaismus
Die zarathustrische Ethik
Iran
Das Achämenidenreich
Die persische Post
Die persische Kunst
Der Fall Milets
Miltiades
Themistokles
Xerxes
Leonidas
Salamis
Die Ereignisse der Weltgeschichte
Zweites Kapitel: Der Welttag Athens
Die Maske
Der wirkliche Mensch
Das Wunschbild
Das Indianerdorf
Der Attische Seebund
Themistokles und Kimon
Der griechische Westen
Soziale Entwicklung
Lebensstandard
Lebensform
Perikles
Der Peloponnesische Krieg
Alkibiades
Die athenische Demokratie
Der athenische Staatshaushalt
Die Frauen
Die Sykophanten
Platos Gegenstaat
Die Sklaven
Der Tag eines Atheners
Die Kunst des »strengen Stils«
Das griechische Theater
Der Chor
Die Katharsis
Antikes und christliches Drama
Aischylos
Pindar
Polygnot
Herodot
Sophokles
Phidias
Myron
Polyklet
Empedokles und Anaxagoras
Die Sophisten
Protagoras
Gorgias
Prodikos und Kritias
Nachleben der Sophistik
Der Prozess des Sokrates
Die Philosophie des Sokrates
Demokrits Atomistik
Demokrits Theorie der Sinneswahrnehmung
Demokrits Ethik
Hippokrates
Das antike Buch
Thukydides
Euripides
Die Komödie
Die Maler
Die Nachkriegszeit
Die beiden Dionyse
Die Anabasis
Epaminondas
Das römische Mittelalter
Die Kelten
Die Makedonen
Philippos
Chaironeia
Das Geheimnis Alexanders
Die Seele Alexanders
Alexander und das Schicksal
Pauperismus und Plutokratie
Hetairokratie
Priëne
Die Rhetorik
Aristipp
Die Kyniker
Die Ideen
Der erste Professor
Der aristotelische Rationalismus
Die Bilanz des Aristotelismus
Theophrasts »Charaktere«
Theophrasts Psychologie
Eudoxos
Apelles
Praxiteles
Skopas und Lysipp
Effektkunst
Ende des Welttages
Diese Kulturgeschichte des Altertums steht zu meiner dreibändigen Kulturgeschichte der Neuzeit in keiner unmittelbaren Beziehung: Sie setzt deren Lektüre nirgends voraus, auch nicht an den seltenen Stellen, wo sie sich auf sie beruft; sie will aber auch nicht umgekehrt eine Art nachträgliche Einleitung zu ihr bilden; und sie stellt nicht einmal ein »Parallelwerk« dar, denn sie ist nach einer anderen Methode angelegt und ausgeführt. Man kann daher ebenso gut dieses Werk vor jenem lesen wie jenes vor diesem, aber auch nur dieses oder nur jenes und sogar beide nebeneinander; und man kann auch keines von beiden lesen.
E. F.
»Es ist mein tiefster Glaube, dass eine jegliche Arbeit, die das Recht auf diesen Namen hat, eine Berufung vom Sichtbaren ist, eine Anrufung höherer Mächte.« (Carlyle)
Die Mär der Weltgeschichte:
»Versinke denn! Ich könnt’ auch sagen: steige!
's ist einerlei. Entfliehe dem Entstandnen
In der Gebilde losgebundne Reiche!
Ergetze dich am längst nicht mehr Vorhandnen!«
(Faust)
Durch den donnernden Flutgang der Jahrtausende tönt eine Stimme, tröstend und warnend: des Menschen Reich ist nicht von dieser Welt. Aber daneben erklingt eine brausende Gegenstimme: Diese Erde voll Glanz und Finsternis gehört Dir, dem Menschen; sie ist Dein Werk und Du das ihrige: Ihr kannst Du nicht entfliehen. Und Du dürftest es auch gar nicht, selbst wenn Du es könntest! Wie sie geschaffen ist, furchtbar und wunderbar: Du musst ihr die Treue halten. Diese unaufgelöste Dissonanz bildet das Thema der Weltgeschichte.
Man sollte nun meinen, ja man müsste geradezu fordern, dass jeglicher Geschichtsbetrachtung die Deutung dieses rätselhaften Widerstreits vorauszugehen habe. Denn sonst ist alle Historie ein verschleierter Schlüsselroman. Ehe wir dies nicht erklärt haben, können wir ja gar nicht anfangen. Aber wir können es nicht erklären! Hier sich Klarheit oder gar ein Wissen eintäuschen zu wollen, wäre eine Art feinerer Atheismus. In diesem Dilemma besteht das Wesen der Geschichtsphilosophie.
Jeder Mensch, ob er sich dessen deutlich bewusst ist oder nicht, ringt unaufhörlich mit dieser dunkeln Frage. Sie ist die Wurzel und Krone aller Religion, ja: Sie zu stellen, ist bereits Religion. Sie verwandelt unsere farbenmächtigsten Künste und unsere fruchtbarsten Wissenschaften in grauen Dunst. Sie erfüllt unseren oberflächlichsten Alltag mit Tiefgang und nimmt unseren wuchtigsten Taten das Schwergewicht. Aber nur ein einziges Mal im Gange des uns bekannten Weltgeschehens ist der Versuch gemacht worden, sie ganz zu Ende zu denken und dadurch zu lösen; und dieser ist misslungen. Er ist misslungen; aber trotzdem verdient er unsere ernste und nachdenkliche Betrachtung.
Der griechische Kunstschriftsteller Pausanias, der zur Zeit der antoninischen Kaiser seine »Rundreise«, eine Art Cicerone durch die hellenischen Sehenswürdigkeiten, verfasste, berichtet in Übereinstimmung mit anderen Autoren, dass es in Griechenland von alters her Altäre gegeben habe, die »dem sogenannten unbekannten Gotte« geweiht waren, darunter einen neben der Bildsäule des Zeus von Olympia, dem weltberühmten Goldelfenbeinwerk des Phidias.
Und der Kompilator Diogenes Laertius, der etwa ein halbes Jahrhundert später gelebt haben dürfte, erzählt in seinem Buch über »Leben, Lehren und Aussprüche der berühmten Denker«, einem mehr belletristischen als philosophischen, aber in den Angaben sehr zuverlässigen Werk, dass sogar »anonyme Altäre« vorhanden waren, die überhaupt keine Aufschrift trugen.
Man versichert uns zwar, dies seien bloße Äußerungen einer religio eventualis gewesen, einer Religion für alle Fälle, die besorgte, man möge vielleicht einen Gott übersehen haben, der in Vergessenheit geraten oder nur im Ausland bekannt geworden sei, auch habe es auf jenen Altaraufschriften nur ganz allgemein geheißen: »Den unbekannten Göttern«, und die Berichterstatter hätten sich bloß verlesen, aus den anonymen Opfersteinen aber spreche die Verehrung einer Art von namenlosen »Gattungsgöttern«; indes, alle diese späten Kalküle einer engbrüstigen Philologenspitzfindigkeit tragen, so »belegt« sie sein mögen, den Stempel superkluger Unglaubwürdigkeit.
Viel natürlicher und menschlicher, größer und einfacher wäre es, anzunehmen, schon in den Alten habe ein dunkles Gefühl dafür gelebt, dass der ganze Kreis der Olympischen und selbst der zur »reinen Vernunft« geläuterte Zeus nicht das Wesen der Gottheit umspanne, dass vielmehr einer noch fehle, der sich noch nicht geoffenbart habe und daher unbekannt sei; und zugleich namenlos, da er über allen Namen sei.
An ein solches Heiligtum, das in Athen dem unbekannten Gotte geweiht war, knüpft die Predigt an, die der heilige Paulus auf dem Areopag hielt. Er sagte: »Ihr Männer von Athen! Ich verkündige euch eben diesen Gott, den ihr bisher, ohne um ihn zu wissen, verehrt habt. Denn er ist ja nicht fern von einem jeglichen unter uns: In ihm leben, weben und sind wir.«
Jenes »Wissen um Gott« war auch das Ziel der gnostischen Bewegung, deren Blütezeit in die erste Hälfte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts fällt. Gnosis ist Eingeweihtsein in die Mysterien des Himmels und der Erde, der Natur und der Geschichte, aber nicht durch Spekulation oder Empirie, sondern durch Offenbarung; sie ist mathesis, höhere Erkenntnis, gnosis soterias, Wissen des heiligen Weges. Sie ist das »Licht«, ein erleuchtetes Schauen, eine innere Erfahrung, man könnte auch sagen: Erfassen durch Intuition, wenn dieser Begriff durch seine heutige Anwendung auf das Schaffen des Künstlers und Forschers nicht schon zu sehr rationalisiert wäre.
Diese höchst suggestive Geheimlehre, bilderwütig und orakelsüchtig, verwirrt durch mystifizierenden Formelspuk, barbarische Kultsymbole, abenteuerliche Allegorik, nebulose Weltentstehungslehren, schwankte zwischen Heidenchristentum und neuplatonischer Philosophie, sublimem Spiritualismus und massivem Zauberglauben, Ekstase und Begriffsspalterei unentschlossen hin und her und war auch in der Lebenspraxis halb Askese, halb Libertinismus, da beides sich als eine Konsequenz aus der grundsätzlichen Verachtung der Sinnenwelt rechtfertigen ließ. Denn das Herzstück aller Gnosis ist das Wissen des Geistes um seine Befreiung vom Erdenrest, die Erinnerung der Seele an ihren göttlichen Ursprung.
Die vier Grundkräfte, die im Kosmos walten, sind die Materie, die Seele, der Logos und der Geist. Nach ihnen ordnet sich die Hierarchie der Wesen: Zuunterst stehen die Gesteine, die bloß Materie sind; auf sie folgen die Pflanzen, die eine Ernährungsseele, und die Tiere, die eine Sinnenseele besitzen; über sie erhebt sich der Mensch, begabt mit der Kraft des Logos, der Vernunft, und befähigt zum Geist zu gelangen, dessen Stufen durch eine immer höher steigende Schar immaterieller Potenzen repräsentiert werden und vor dem Throne Gottes endigen.
Auf dieser Leiter entspricht die Seele etwa dem Nervenleben, der Logos den rationalen Fähigkeiten, der Geist aber, das Pneuma, einem Vermögen, das nicht von dieser Welt ist.
Dementsprechend gliedert sich auch die Rangordnung der Menschen in die Sarkiker, die bloß dem Fleisch leben, die Psychiker und die Pneumatiker. Reiner Geist und Gott sind dasselbe; aber, sagt der berühmte Basilides, der Hauptvertreter der sogenannten ägyptischen Gnosis, alles Positive und alles Negative, das man von Gott aussagen könne, habe nur den Wert eines Zeichens.
Dem über alles Denken erhabenen göttlichen Urwesen, dem »Unaussprechbaren, Unnennbaren, mit Schweigen Angerufenen« völlig entgegengesetzt ist die Materie, der Grund alles Bösen, aber zugleich das Nichtseiende. Sie ist das Werk des Bildners oder Demiurgen, eines von der Gottheit geduldeten untergeordneten Geistes, eines bösen, aber reuigen Wesens.
Die Welt ist also eine Art Gegenschöpfung und zugleich eine Scheinschöpfung. Dies erkannt zu haben, ist identisch mit der Rückkehr zu Gott. Dieses Wissen bereits erlöst; aber nur dieses Wissen. Ohne Gnosis ist der Mensch verdammt.
Die Gottheit, ungeworden, unsichtbar, unfassbar, wie sie ist, war auch dem Demiurgen unbekannt; aber sie hat sich Christus offenbart und durch ihn allen, die der Gnade der Gnosis teilhaftig geworden sind.
Nach der Auffassung des syrischen Gnostikers Saturnilus ist der Weltschöpfer einer der Engel Gottes; aber, fügt Valentinus hinzu, der Stifter einer der angesehensten gnostischen Sekten, der Mensch ist mehr als die Engel, die ihn schufen. Zwar herrscht auch im Reich der Seele der Demiurg: Sie ist, wie Valentinus es sehr anschaulich ausdrückt, eine schmutzige Kneipe, in der die Dämonen aus- und eingehen. Aber der Mensch trägt in sich einen Funken des göttlichen Lichts, er ist »groß und elend«.
Es ist dieselbe Formel, zu der anderthalb Jahrtausende später der größte Christ der gallischen Rasse, Blaise Pascal, gelangte: »Alles Elend des Menschen erweist seine Größe. Es ist das Elend eines großen Herrn, das Elend eines entthronten Königs.«
Indes hat es die ganze gnostische Bewegung nirgends zu mehr gebracht als zu verstreuten unterirdischen Gedankenkeimen, halben Ahnungen und widerstreitenden Aperçus. Zu Licht und Frucht sind sie erst im Geiste Marcions gelangt, eines religiösen Genies von großartiger Einfachheit, profunder Frömmigkeit und rasanter Denkschärfe, der aber seit vielen Jahrhunderten für die Nachwelt kaum einen Namen bedeutet. Marcion ist für das religiöse Bewusstsein der Gegenwart verschollen. Für die meisten Historiker der christlichen Kirche ist er »ein Gnostiker«.
Er war aber weder dieses, vielmehr ein abgesagter Gegner der gnostischen Sekten: ihres buntgewürfelten Synkretismus, ihrer geheimniskrämerischen Esoterik, ihrer gewalttätigen allegorischen Methoden, noch war er überhaupt einer unter anderen, sondern eine einmalige Erscheinung von unwiederholbarer Prägnanz, die hart bis an die Grenze der Bizarrerie und Monomanie streift.
Alle Mysterienweisheit, ja alle Philosophie gilt ihm als »leerer Betrug«, und er verhält sich zu den Gnostikern ähnlich wie Sokrates zu den Sophisten, dem ja auch das paradoxe Schicksal widerfuhr, dass er von seinen Zeitgenossen gerade jener Schule zugerechnet wurde, die er sein Leben lang aufs Heftigste bekämpfte.
Er war, um es mit einem Worte zu sagen, der größte Ketzer, der jemals aus dem Christentum hervorgegangen ist. Adolf von Harnack erklärt, keine zweite religiöse Persönlichkeit nach Paulus und vor Augustin könne an Bedeutung mit Marcion rivalisieren, und in der Tat bezeichnen diese drei die gewichtigsten Marksteine in der Entwicklung der katholischen Kirche: der größte Apostel, der größte Kirchenvater und der größte Häretiker.
Bei Polykarp heißt er der Erstgeborene des Satans, bei Tertullian »antichristus Marcion«, Origenes hingegen rühmt ihm feurigen Geist und göttliche Gaben nach, ohne die er eine solche Häresie nie hätte stiften können, und Clemens Alexandrinus nennt ihn einen Giganten und Theomachen.
Er wurde um das Jahr 85 in Sinope am Pontus geboren, als Sohn des dortigen Bischofs, der ihn wegen der Irrlehren, mit denen er schon früh hervortrat, selbst exkommunizierte: Ein Geist von diesem diamantenen Ernst und Diogenes, der Buffo der griechischen Philosophie, in dem diese wie in einem Satyrspiel sich selbst den Epilog spricht, waren Söhne derselben Stadt.
Marcion begab sich zunächst nach Kleinasien, wo seine Doktrin zurückgewiesen wurde; dasselbe widerfuhr ihm in Rom: Die dortige Gemeinde verdammte seine Thesen und schloss ihn aus. Damals war Marcion schon fast sechzig Jahre alt; der Tag seines Bruchs mit Rom wurde von der marcionitischen Kirche als Stiftungsfest gefeiert, ähnlich wie der Wittenberger Thesenanschlag von der lutherischen; er fiel in den Juli des Jahres 144. Ort und Zeit seines Todes sind unbekannt.
Die Marcioniten waren nicht etwa eine Sekte wie die Montanisten, die Basilidianer, die Valentinianer und zahlreiche andere, sondern eine mächtige Gegenkirche, die im zweiten Jahrhundert mit der werdenden katholischen Kirche um die Vorherrschaft rang. Sie verehrten Marcion als ihren Stifter: sein Hauptwerk, die Antithesen, stand in ihrem Kanon, galt also als eine Art heilige Schrift; sie sahen im Himmel zur Rechten des thronenden Heilands Paulus sitzen, zur Linken Marcion.
Er selbst aber hat sich niemals für etwas anderes gehalten als für einen getreuen Verkünder des Evangeliums und den wahren oder vielleicht auch einzigen Schüler des Paulus. Sein Zeitgenosse Justinus bezeugt bereits: »Sein Evangelium erstreckt sich über das ganze Menschengeschlecht«, und etwa ein halbes Jahrhundert später versichert Tertullian: »Marcions häretische Tradition hat die ganze Welt erfüllt.«
Kompakte Marcionitengemeinden fanden sich um jene Zeit in ganz Kleinasien und Syrien, auf Kreta und Zypern, in den Weltstädten Rom und Alexandria; ihr Ausbreitungsradius reichte von Persien bis Lyon. Noch im vierten Jahrhundert hielt man es in einzelnen asiatischen Gemeinden für notwendig, in das Glaubensbekenntnis einen Passus einzufügen, der sich gegen den Marcionitismus richtete; letzte Reste seiner Anhänger gab es im Orient noch im zehnten Jahrhundert.
August Neander, einer der feinsten Kirchenhistoriker des Vormärz, hat Marcion den ersten Protestanten genannt. Wollte man diese Auffassung gelten lassen, so wäre der Protestantismus älter als der Katholizismus; jedenfalls aber hat es sich um ein gewaltiges Schisma gehandelt, das an Bedeutung hinter der Reformation nicht zurücksteht, nur hat es das umgekehrte Schicksal erlitten: Es ist von der katholischen Kirche aufgesogen worden und in dieser Form aufbewahrt geblieben.
Man kann daher sagen: der Marcionitismus hat sich behauptet, so gut wie der Protestantismus, nur in der Gegenreformation, etwa wie wenn eine Erneuerung der römischen Kirche seinerzeit das Luthertum, hegelianisch gesprochen, »aufgehoben«, nämlich zugleich negiert und konserviert hätte. Der Katholizismus hat vieles, das dadurch anonym weiterlebte, von Marcion übernommen, nur gerade den Wurzelgedanken seiner Lehre nicht, der auch in der Tat, wie wir bald sehen werden, für die Kirche unannehmbar war.
Wir können uns den Gedankengang, durch den Marcion zu seiner Doktrin gelangte, noch heute ohne jede Mühe und Gewaltsamkeit nachkonstruieren. Die einzige heilige Schrift, die die Urchristen besaßen, war das Alte Testament.
Indem er nun dessen Bücher als frommer Christ las, kam ihm eines Tages die Erleuchtung: Christus ist gar nicht der dort verkündete Messias, Christus ist ein ganz anderer! Daher sind die Juden vollkommen im Recht, wenn sie den Messias noch erwarten; Jesus aber, dessen Name nirgends im Alten Testament erwähnt wird, hat das Gesetz nicht erfüllt, sondern aufgelöst. Sein ganzes Leben war ein Kampf gegen das Gesetz und seine Lehrer. Er hat mit dem Alten Testament völlig gebrochen, das Band zerrissen, sich von Mose in allem geschieden und deutlich davor gewarnt, einen neuen Lappen auf ein altes Kleid zu flicken, neuen Wein in alte Schläuche zu gießen. Nur durch die allegorische Erklärung gewisser Bibelstellen kann überhaupt das Weissagungsprinzip aufrechterhalten werden; im Alten Testament darf aber nichts allegorisch, muss alles wörtlich und buchstäblich ausgelegt werden. Demnach ist Christus nirgends geweissagt, er ist unerwartet und plötzlich erschienen: Der Sohn Gottes braucht keine Propheten, die ihn »bezeugen«; seine Zeugen sind seine Heilandsworte und seine Wundertaten.
Man wird bei dieser Deduktion Marcions an einen Ausspruch Lagardes erinnert, eines der wenigen Menschen des neunzehnten Jahrhunderts, in denen der echt protestantische Geist des Protestierens noch einmal Fleisch geworden ist: »Es gibt ja noch Leute genug, welche das Verhältnis des Alten und Neuen Testaments als das von Weissagung und Erfüllung ansehen, während in Wirklichkeit nie eine Weissagung erfüllt ist. Erfüllt in dem gemeinen Verstand des Worts werden nur Wahrsagungen, und auf Wahrsagungen lässt sich eine Religion niemals ein.«
Wie aber konnte diese einfache und fast selbstverständliche Wahrheit den Christgläubigen so lange verborgen bleiben? Dies vermochte sich Marcion nur dadurch zu erklären, dass sogleich nach der Entrückung des Heilands eine ungeheure Verschwörung einsetzte und ihr finsteres Werk verrichtete. Dieses bestand in einer systematischen Verfälschung der Botschaft, die der Heiland in die Welt gebracht hatte. Nur ein Christentum, das von allen judaistischen Elementen völlig rein ist, kann als wahres Christentum gelten. Die vier Evangelien enthalten aber solche Bestandteile, also sind sie alle vier falsch. Paulus spricht immer nur von einem Evangelium, welches das Evangelium ist: Also kann es nicht vier geben; eines aber muss es wiederum geben, folglich ist eines von den vieren bloß verfälscht.
Die Wahl Marcions fiel auf Lukas, der in der Tat von allen Evangelisten am meisten Heidenchrist ist. Alle zwölf Apostel haben den Heiland nicht verstanden; darum musste dieser sich in Paulus einen neuen Apostel erwecken, der die wahre Lehre verkündigte. Wie ein einziges Evangelium, so gibt es auch nur einen Apostel; aber auch dessen Briefe enthalten viel Judaistisches. Also sind auch sie falsch oder vielmehr, wie Lukas, verfälscht.
Von diesen Überzeugungen ausgehend, unternahm es Marcion, den Christen eine heilige Schrift zu schaffen, bestehend aus dem Evangelium des Lukas und zehn Paulusbriefen, wobei er aber in aller Naivität selbst eine gewaltige Fälschung beging, indem er durch Kürzungen, die zum Teil sehr beträchtlich, und Zusätze, die allerdings meist nur geringfügig waren, einen »gereinigten« Text herstellte. Andrerseits ist es aber höchst merkwürdig, dass er dem Alten Testament, das er völlig verwarf, kein derartiges Misstrauen entgegenbrachte; er erachtete es für ein durchaus zuverlässiges Geschichtswerk und hat keine Zeile darin redigiert.
Indes durch dieses sonderbare Verfahren, das sich nur aus dem geringen Verantwortungsgefühl erklären lässt, das die Antike dem geschriebenen Wort entgegenbrachte, ist Marcion der Schöpfer des Neuen Testaments geworden.
Vor Marcion galten die Evangelien weder als heilige Schrift noch befanden sie sich im Besitz sämtlicher Gemeinden; und Paulus wurde den Uraposteln keineswegs im Range gleichgestellt, da er nicht den Umgang des Herrn genossen hatte. Noch um 160 verweigerten die »Aloger«, die so genannt wurden, weil sie die Gleichung Jesus = Logos nicht billigten, dem Johannesevangelium, das diese Lehre vertritt, ihre Anerkennung; und andrerseits stand das »Ägypterevangelium«, dem später die Kanonisierung versagt wurde, noch vielfach in Gebrauch. Auch war der Text noch keineswegs in dem Maße fixiert, wie dies beim Alten Testament der Fall war.
Hierin bestand die große theologische Tat Marcions: Er setzte Urkunde gegen Urkunde, Schrift gegen Schrift, Evangelium gegen Gesetz, Apostolat gegen Prophetie. Erst durch Marcion ist die werdende katholische Kirche dazu geführt worden, dasselbe zu tun und ihren eigenen neutestamentlichen Kanon dem marcionitischen gegenüberzustellen. Paulus zitiert immer nur aus dem Alten Testament; andere schriftliche Autoritäten kennt er nicht.
Erst um 200, als Marcion sicher schon tot war, besaßen die großen Kirchen des Westens ein »Neues Testament«: vier Evangelien und dreizehn Paulusbriefe, dazu die Apostelgeschichte, die als Bindeglied eingeschoben wurde, und die Apokalypse Johannis, die aber hundert Jahre später von den meisten Griechen wieder aufgegeben wurde. Die syrische Kirche hielt an einem einzigen Evangelium fest, dem »Diatessaron«, das Tatian, allerdings einer anderen Methode folgend als Marcion, aus den vier kanonischen Evangelien komponiert hatte.
Aber erst im Jahr 367 proklamierte Athanasius den Kanon von siebenundzwanzig Büchern, den wir heute besitzen, indem er die sieben »katholischen« Briefe (zwei von Petrus, drei von Johannes, je einen von Jakobus und Judas) hinzufügte und den lange umstrittenen Hebräerbrief dem Paulus zuerkannte.
Die Kirche hat, in der Weitherzigkeit ihrer Auswahl viel weniger dogmatisch als der Ketzer Marcion, einen bewunderungswürdigen Takt bekundet, indem sie, vor Widersprüchen der Überlieferung nicht zurückschreckend, das urchristliche Leben in seiner ganzen Gnade und Fülle durch die Zeiten gerettet hat.
Wenn aber Christus nicht der Messias war, was war er? Der Sohn Gottes! Aber welches Gottes? Doch nicht des alttestamentlichen, dessen Gesetz er zerstört hat?
Hier erhebt sich das ungeheure Problem, dem Marcion mit der größten Kühnheit ins Auge geblickt hat. Er entschloss sich, nicht nur Altes und Neues Testament, sondern auch den Gott Mosis und den Gott Christi völlig voneinander zu trennen.
Dieser Scheidung und Gegenüberstellung diente eben sein Werk Antithesen, worin in streng zweigliedriger Anordnung die beiden Welten miteinander konfrontiert wurden. So sagt zum Beispiel der Judengott zu Mose beim Auszug aus Ägypten: Seid bereit, beschuht, die Stäbe in den Händen, die Säcke auf den Schultern, und traget alles Gold und Silber mit euch davon; der Herr aber sprach zu seinen Jüngern bei ihrer Aussendung in die Welt: Habt keine Schuhe an den Füßen, keinen Sack auf dem Rücken, kein Geld in den Gürteln! Josua hat mit Gewalt und Grausamkeit das Land erobert, Christus verbietet alle Gewalt und predigt Barmherzigkeit und Frieden. Im Gesetz heißt es: Aug' um Auge, Zahn um Zahn, im Evangelium: Wenn dich jemand auf die eine Backe schlägt, so biete ihm auch die andere dar. Der Gott des Alten Testaments verlangt Gehorsam und richtet die Ungehorsamen, der Gott Jesu verlangt nur Glauben und straft die Sünder nicht. Der alte Gott war schon Adam und allen folgenden Geschlechtern bekannt, der Vater Christi war unbekannt, wie Christus selbst bezeugt hat: Niemand hat den Vater erkannt außer der Sohn. Und als Petrus in Cäsarea das große Bekenntnis zur Gottessohnschaft seines Meisters ablegte, musste dieser ihm Schweigen auferlegen, denn Petrus hielt ihn fälschlich für den Sohn des anderen Gottes.
Wie verhält sich nun nach Marcions Konzept der bekannte wie der unbekannte Gott zur Welt und zum Menschen? Der Bekannte hat die Welt geschaffen: Er ist der Demiurg; der Unbekannte hat bloß seinen Sohn gesandt. Er ist außer der Welt, ein hyperkosmisches Wesen, die Welt geht ihn nichts an. Er ist der »Fremde«, der »gute Fremde«: In allen marcionitischen Gemeinden und allen Sprachen, deren sie sich bedienten, war dies die Bezeichnung für die Gottheit.
Das Evangelium ist die frohe Botschaft vom fremden Gott: Unser Raum ist die Welt, die grauenvolle Welt des Schöpfergottes, der gute Gott aber winkt uns in eine selige Ferne. Wir leben auf der Erde nicht etwa im Exil: Sie ist unsere Heimat, und wir können ihr nur entrinnen, wenn wir uns von ihrem und unserem Schöpfer lossagen. Dies ist die großartigste Leugnung der Materie, die vielleicht jemals durch eines Menschen Haupt gegangen.
Der fremde Gott ist reine Güte und nichts als Güte; keine anderen Eigenschaften können von ihm ausgesagt werden. Sein ganzes Wesen erschöpft sich in erbarmender Liebe, seine Wirksamkeit in Selbstoffenbarung, die identisch ist mit Erlösung.
Eben weil dieser Gott ganz Liebe ist, hat er sich aus purer Gnade eines Gebildes angenommen, das ihm völlig fremd ist: Er ist die unbegreifliche Liebe. Und eben weil er ganz und gar nicht von dieser Welt, nicht einmal als ihr Schöpfer mit ihr verbunden ist, vermag er die Menschen über die Welt zu erheben.
Dies ist das unfassliche Mirakel der christlichen Heilsbotschaft. »O Wunder über Wunder, Verzückung, Macht und Staunen, dass man gar nichts über das Evangelium sagen, nichts darüber denken, es mit nichts vergleichen kann«: So lauteten die ersten Worte der Antithesen.
Betrachten wir es recht, so ist jener geheimnisvolle Fremde niemand anders als der »liebe Gott«, zu dem noch heute jedes kleine Kind betet. Denn die Metaphysikerfrage, ob Gott die Welt »geschaffen« habe, bekümmert eine reine und ursprüngliche Frömmigkeit nicht; ihr genügt, dass er ist.
Welche Eigenschaften aber besitzt der Demiurg?
Er ist, sagt Marcion, weder gut noch böse, sondern gerecht und schlimm, nicht malus, aber conditor malorum, Urheber der Übel: Ein Gott, der seine Sache schlecht gemacht hat. Er sandte die Sintflut, den Brand Sodoms, die ägyptischen Plagen, er bestraft die Väter an den Kindern und begünstigt sündhafte Menschen: den ehebrecherischen David, den unzüchtigen Salomo, den betrügerischen Jakob.
Das vernichtendste Argument gegen ihn aber ist die Welt selbst, seine ganze Schöpfung. Und es reut ihn auch, dass er sie gemacht hat. Dass aber in einer solchen Welt für den Menschen die Askese das einzig mögliche Verhalten ist, ergibt sich von selbst.
Und auch hier ist Marcion bis ans Ende gegangen: Er gebot nicht nur größte Enthaltsamkeit in Speise und Trank (die Ernährung, sagt Tertullian, halten die Marcioniten gewissermaßen für etwas Entehrendes), sondern untersagte auch seinen Gläubigen jeglichen Geschlechtsverkehr und taufte nur Ehelose oder die Verehelichten, die Keuschheit gelobten; denn wer sich fortpflanzt, hilft die Welt des Demiurgen verewigen, und weil wir Söhne des Höchsten geworden sind, soll die leibliche Sohnschaft aufhören.
Der Demiurg ist nicht etwa der Widersacher des fremden Gottes: Dies kann er schon deshalb nicht sein, weil er ihn ja gar nicht kennt, und seine Welt ist auch keineswegs teuflisch, viel mehr so gut, wie sie eben, aus Materie gemacht, sein kann.
Er ist nicht das Prinzip des schlechthin Bösen wie Satan oder Ahriman oder wie »Mâra, der Versucher« in der buddhistischen Religion.
Aber was ist er? Hier gelangt Marcion zu einem der zartesten und erhabensten Gedanken, die je ein Mensch gedacht hat: der Schöpfer der Welt ist gerecht! Deshalb ist er nicht böse; aber deshalb ist er auch nicht gut. Deshalb konnte er nur die »schlimme Welt« schaffen, in der alles gerecht zugeht, aber nicht gut, in der gerichtet wird, aber nicht geheiligt, in der die Rache herrscht, aber nicht die Gnade.
Christus aber, der Sohn des fremden Gottes, hat die Liebe gebracht, die von der Welt erlöst, von allem in dieser Welt, auch von ihrer Gerechtigkeit. Sogar in die Unterwelt ist er hinabgestiegen und hat alle Verworfenen befreit: den bösen Pharao, die Sodomiter, alle Heiden, selbst Kain.
Nur Abel, Henoch, Mose, alle Patriarchen und Propheten konnten nicht gerettet werden. Denn sie glaubten an den Schöpfergott und seine Welt der Gerechtigkeit. Nur der Sünder kann erlöst werden, denn er vermag die grundlose Gnade und uferlose Liebe des fremden Gottes zu erkennen, der Gerechte aber nicht, denn er ist im Gesetz verhärtet, in Gesetzestreue und Gesetzesstolz blind für das Licht aus der Fremde.
Versuchen wir uns das theologische System Marcions in großen Zügen zu vergegenwärtigen, so springen als seine reformatorischen Hauptgedanken ins Auge: die Leugnung der Messianität Jesu, die Ausscheidung des Alten Testaments aus dem christlichen Kanon und der Dualismus des fremden Gottes und des Schöpfergottes.
Dass Christus nicht der jüdische Messias war, kann wohl von keiner vorurteilslosen Betrachtung geleugnet werden. Ursprünglich ist der Messias bekanntlich ein weltlicher Nationalheros, aber auch in der geläuterten Auffassung des späteren Judentums ist er niemals der leidende Messias, der die Schuld der ganzen Menschheit sühnt. In keinem einzigen der Zukunftsbilder, sosehr sie sich im Laufe der vielen Jahrhunderte gewandelt haben, ist von seinem Opfertode die Rede. Die berühmte Stelle aus Deuterojesaja, die einzige, die so gedeutet werden könnte, versteht unter dem »leidenden Gottesknecht« ein Kollektivum und ist überhaupt nicht Weissagung, sondern Rückblick.
Ist aber der Heiland nirgends im Alten Bunde verkündigt, welche Beziehung besteht dann zwischen den beiden Teilen der Bibel? Nach Marcion verhalten sie sich wie polare Gegensätze, nach der Auffassung der Kirche wie Stufen: Das Alte Testament ist legisdatio in servitutem, das Neue Testament legisdatio in libertatem.
Aber ist das Judentum wirklich eine Art Vorhalle des Christentums? Wenn man will, ist alles Vorhalle, und eine im vorigen Jahrhundert sehr beliebte, heute glücklicherweise schon im Verschwinden begriffene Geschichtsmethode pflegte jedes historische Phänomen mosaikartig aus »vorbereitenden Momenten« aufzubauen. Dann freilich sind nicht bloß Mose und Daniel, sondern auch Plato und Philo, Buddha und Zarathustra Vorläufer des Christentums.
Aber das Christentum hat keinen »Unterbau«! Eben weil Marcion das schlechthin Neue, Weltumwandelnde des Evangeliums so erschütternd empfand, wollte er von einem Alten Testament als Heiliger Schrift nichts wissen, ohne dass er geleugnet hätte, dass darin viel Nützliches und Schönes zu lesen sei. Deshalb erlaubte er auch seinen Jüngern dessen Lektüre; jedoch nur an der Hand der Antithesen.
Aber es ist schon so, wie Harnack sagt: »Was christlich ist, kann man aus dem Alten Testament nicht ersehen.«
Dasselbe hatte bereits Schleiermacher erkannt. Aber auch Nietzsche empfand mit voller Deutlichkeit, dass es sich hier um zwei ganz verschiedene Ebenen handelt, als er (natürlich von seinem Standpunkt des »Antichrist«) in Jenseits sagte:
Dieses »Neue Testament, eine Art Rokoko des Geschmacks in jedem Betrachte, mit dem Alten Testament zu einem Buche zusammengeleimt zu haben, als ›Bibel‹, als ›das Buch an sich‹: das ist vielleicht die größte Verwegenheit und ›Sünde wider den Geist‹, welche das literarische Europa auf dem Gewissen hat«; und in der Morgenröte spricht er von dem »unerhörten philologischen Possenspiel«, das man um das Alte Testament herum aufgeführt habe: »Ich meine den Versuch, das Alte Testament den Juden unter dem Leib wegzuziehen, mit der Behauptung, es enthalte nichts als christliche Lehren und gehöre den Christen als dem wahren Volke Israels: während die Juden es sich nur angemaßt hätten ... überall sollte im Alten Testament von Christus und nur von Christus die Rede sein ... alles Anspielungen und gleichsam Vorspiele des Kreuzes!«
Gerade weil das Alte Testament in einzelnen Teilen ein Dokument der reinsten und erhabensten Ethik ist, die überhaupt vor dem Erscheinen des Heilands möglich war, darf man jene anderen Partien nicht geflissentlich übersehen, in denen der Gegengeist sich offenbart: die Predigt der Rachsucht und Rohheit, des Hasses und Hochmuts. Man denke zum Beispiel an die Eroberung des Gelobten Landes: nichts als Mord und Tücke, giftige Schadenfreude, teuflische Grausamkeit, ein einziger langer Jubelschrei des Blutrausches: »Keiner blieb übrig!«
Man darf freilich diese kranken Halluzinationen einer zügellosen Vernichtungswut nicht allzu wörtlich nehmen, denn die nachexilischen Juden (von denen diese späte Schilderung stammt) waren groß im Aufschneiden; aber es bleibt das barbarische Behagen an diesen in der Fantasie wollüstig nachgeschmeckten Animalitäten. Nirgends die geringste Anwandlung, die Seele des Feindes zu achten, ja auch nur zu beachten: Er ist nur Schlachtvieh. Dieser erschütternde Kampf zwischen zwei Welten, der sich durch das ganze Alte Testament zieht, macht dieses zu einem der dramatischsten Bücher der Weltliteratur.
Man sagt uns zwar, diese Dinge müssten »entwicklungsgeschichtlich« betrachtet werden: dieser Jahwe der Wüste sei nur eine Art »Vorjahwe«, es handle sich hier (und anderwärts im Alten Testament) um eine frühe Schicht der israelitischen Gottesvorstellungen, die sich nur gleichsam illegitim behauptet habe.
Aber ist der Gegenstand der Bibel die hebräische Geschichte oder der christliche Glaube? Was wir aus dem Buch der Bücher zu empfangen wünschen, ist Anleitung zum seligen Leben, nicht zur Religionswissenschaft. Wir wollen daraus erfahren, wie wir zu Gott gelangen können, nicht, wie die Juden allmählich zu ihrem Gott gelangten. Dieses gewiss höchst lehrreiche, ja sogar erbauliche Thema möge der Ethnolog, der Altertumsforscher, der Geschichtspsychologe, der Kulturphilosoph ergründen: ein christliches Problem ist es nicht.
Das Alte Testament ist, wie jedermann weiß, eine Sammlung von literarischen Produkten sehr ungleichen Alters und sehr ungleichen Werts. Eine Sichtung und Redaktion hat wohl im Lauf der Zeiten stattgefunden; aber sie geschah nie nach religiösen Gesichtspunkten: nämlich nicht nach den Gesichtspunkten der einzigen Religion, die diesen Namen verdient: der christlichen.
Als Christus erschien, war der Text des Alten Testaments bereits unwiderruflich fixiert, und wir haben bereits gehört, dass es bis auf Marcion die einzige heilige Schrift auch für die Christen bildete und dass selbst Marcion es nicht wagte, seinen Inhalt durch Streichungen oder Änderungen zu korrigieren.
Das Judentum, wie es sich nach dem Exil entwickelt hat, ist von allem Anfang an eine Buchreligion gewesen, im Gegensatz zum Urchristentum, das in erster Linie Botschaft, Predigt, Gemeindebewusstsein war. Es liegt in der Natur einer solchen Religion, dass sie einen übertriebenen Respekt vor dem »Es steht geschrieben« bekundet und dazu neigt, alles »Alte«, soweit es literarisch bezeugt ist, kritiklos für »heilig« hinzunehmen; und dazu kommt noch, dass die Juden immer eine besondere Vorliebe für Schriftliches hatten: Alles in Buchstaben Fixierte ist für sie eine Wahrheit höherer Ordnung und daher bis zu einem gewissen Grade sakrosankt; nur ein geschriebener Vertrag ist wirklich gültig, dieser aber unter allen Umständen: und das ganze Alte Testament ist ja eigentlich nichts anderes als ein immer wieder erneuerter Vertrag zwischen Jahwe und Israel, der fortlaufende Schriftsatz eines Prozesses zwischen Volk und Gott. So kam es, dass sie in der Auswahl wenig rigoros waren und vieles mitschleppten, was sie selbst nicht mehr glaubten.
Aber es gibt ein Stück im Alten Testament, um deswillen man fast versucht wäre, alles Übrige in den Kauf zu nehmen, und es steht ganz am Anfang: Es ist die Geschichte vom Sündenfall.
Die Sünde der ersten Menschen besteht darin, dass sie vom Baum der Erkenntnis essen; der Verstand ist also das Böse, er ist nicht von Gott, sondern vom Teufel, »des Teufels Hure«, wie Luther sich drastisch ausdrückte, die Mitgift der Schlange, auf deren Rat es zum Genuss der verbotenen Frucht kommt. Er ist die große Versuchung des Menschen, die dieser nicht bestanden hat. Und seine Strafe dafür ist die Arbeit, zu der er verflucht wird. Erkenntnis und Arbeit sind fortan das Los des Menschen, seine Erbsünde und sein Erbfluch. Und seitdem muss er sterben.
Aber wo in der grauen Geschichte des Alten Bundes kehrt dieses machtvoll angeschlagene Leitmotiv wieder, obgleich es doch, so sollte man annehmen, wie ein eherner Glockenton durch das ganze fernere Menschheitsdrama schallen müsste? Als Adam und Eva vom Apfel gegessen hatten, sahen sie, dass sie nackt waren, das heißt: Sie erkannten, dass sie Mann und Weib waren: also auch Geschlechtlichkeit ist Sünde. Die höchsten Güter aber, die alle Frommen Israels preisen, Könige und Propheten, Priester und Patriarchen, sind unbegrenzte Fruchtbarkeit des Menschen, unerschöpflicher Segen der Erde, unfehlbares Wissen um das Gesetz: Brunst, Arbeit, Erkenntnis; der dreifache Adamsfluch.
Und in der Tat ist der Anfang der Genesis ein eingesprengter Fremdkörper. Schon eine sehr alte babylonische Abbildung zeigt einen Baum, zur Rechten einen Mann, zur Linken ein Weib und dahinter eine Schlange. Das Paradies entspricht den Inseln der Seligen in der epischen Dichtung der Babylonier. Dort findet sich auch die Verführungsgeschichte. Die Entstehung des ganzen Abschnittes fällt in die Zeit der Assyrerherrschaft, die in Palästina eine Periode des religiösen Synkretismus war.
Deshalb sagt auch Schopenhauer: »Die Verbindung des Neuen Testaments mit dem Alten ist im Grunde nur eine äußerliche, eine zufällige, ja erzwungene, und den einzigen Anknüpfungspunkt für die christliche Lehre bot dieses nur in der Geschichte vom Sündenfall dar ... der im Alten Testament wie ein hors d'œuvre dasteht.«
Zwischen der Gottheit des Alten und der Gottheit des Neuen Testaments kann es daher nicht Identität oder Harmonie, auch nicht das Verhältnis halber und voller Offenbarung geben, sondern nur schroffe Alternative.
»Ihr müsst«, sagt Kant, »zwischen Jahwe, dem deus ex machina, und Gott, dem deus ex anima, wählen, für beide ist nebeneinander nicht Platz.«
Warum aber hat Marcion Adonai nicht einfach als falschen Gott verworfen?
Weil er überzeugt war, dass dieser die Welt wirklich regiert. Als sein Werk verkündet sie seinen Namen. Und der Mensch ist sein Ebenbild, ein kleiner Gott, freilich: ein Judengott.
Auch hierfür ließe sich manche Andeutung im Neuen Testament finden. Im ersten Brief Johannis heißt es: »So jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters ... denn alles, was in der Welt ist ... ist nicht vom Vater, sondern von der Welt«, und in dem Evangelium desselben Johannes sagt der Heiland zu den Juden: »Ihr seid von Eurem Vater, dem Teufel.«
Von hier bedurfte es für Marcion offenbar nur eines Schritts, um dem Demiurgen, dem Vater des Bösen, dem Herrn der Erde oder wie man ihn sonst nennen will, Schöpferkräfte zuzuerkennen und ihm die Welt zuzuschreiben.
Auch Augustinus lehrt im Einklang mit fast allen Kirchenvätern, das Reich der Welt sei ein magnum latrocinium, eine große Räuberhöhle, von Dämonen regiert.
Das Böse, sagt Kant, ist der Fürst dieser Welt, das Gute ist nicht von dieser Welt, das Böse ist nur von dieser Welt.
Der gute Gott muss daher notwendig der fremde Gott sein. Er ist, wie Meister Eckhart sagt, von der Welt »abgeschieden«: »Wisst ihr, wovon Gott Gott ist? Davon, dass er ohne alle Kreaturen ist! Selbst als er Himmel und Erde schuf und alle Kreatur, das ging seine Abgeschiedenheit sowenig an, als ob er nie etwas geschaffen hätte.«
Und der fremde Gott kann nur der unbekannte sein; auch dies predigt Meister Eckhart: »Wollt ihr Gott aber in Wahrheit erkennen, so müsst ihr einsehen, dass er etwas Unbekanntes ist! Dionysius hat das gesagt«; und in der Tat lehrte dieser, Gott lasse sich nur durch Verneinungen, lautlos und im Dunkel erkennen.
Insofern kann man sagen, dass jeder wahre Christ zugleich Gnostiker und Agnostiker ist.
»Erhabener, lebendiger Wille«, ruft Fichte in der »Bestimmung des Menschen«, »den kein Name nennt und kein Begriff umfasst, wohl darf ich mein Gemüt zu Dir erheben, denn Du und ich sind nicht getrennt ... Wie Du für Dich selbst bist und Dir selbst erscheinst, kann ich nie einsehen. Nach tausendmal tausend durchlebten Geisterleben werde ich Dich noch ebenso wenig begreifen als jetzt, in dieser Hütte von Erde.«
Wir sehen, wie die tiefsten christlichen Denker um den Marcionitismus ihre Kreise ziehen, ohne dass sie ihn doch jemals zu berühren wagen. Denn in der Tat: hier herrscht in rätselhafter Durchdringung lauterstes Licht und dazwischen schrecklichste Finsternis: nämlich Zweigötterei! Wäre dies nicht, so wären wir vielleicht heute alle Marcioniten. Der Marcionitismus ist etwas Schauerliches, zweifellos: Und trotzdem kann man ihn nicht unchristlich nennen.