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Niklaas Manley

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Roman

 

Niklaas Manley

© 2016

 

 

 

 

Lektorat: Angela Rotermund

 

1. Kapitel Die Entscheidung

 

Benny schreckte aus einem nervösen Schlaf hoch. Er hatte es lange kommen sehen. Die Katastrophe war unvermeidlich. So wie ein abgekoppelter Waggon früher oder später, wenn er ungebremst eine abschüssige Strecke zu Tal donnert, an einer Kurve aus den Schienen springen muss. Emily hatte die Schiebetür zu seinem Raum in der Hotel-Suite aufgestoßen und stand dort schwankend wie eine Silhouette aus einem thailändischen Schattentheater im Halbdunkel und lallte: „Steh’ auf, du Penner, und gib mir den Stoff. Mach endlich!“

Seit dem Abschlusskonzert in Sydney war körperlich Emily am Ende. Die Mitglieder der Band waren nach dem letzten Konzert der Welt-Tournee gleich am nächsten Tag zurück in die Staaten geflogen. Emily dämmerte ausgebrannt vor sich hin und wollte nur noch schlafen. Als sie nach dem letzten Konzert auf ihrem Hotelzimmer waren, verzichtete sie auf die Ringe und Piercings und schminkte sich auch nicht mehr. Sie warf ihr Punker-Outfit mit roten Irokesen-Haarteil in die Ecke. Mit ihren nachwachsenden Haaren auf dem kahl geschorenen Kopf sah sie hinfällig und ausgezehrt wie eine essgestörte Studentin vor der Examensarbeit aus. Sie hatte stark abgenommen und blickte erschöpft aus verschatteten Augen.

Benny machte seine Nachttischlampe an und setzte seine Brille auf.

„Gib mir Stoff und du kannst mich heute bumsen! Oder vögelst du noch immer die kleine Rothaarige aus der Leihbücherei in unserem Dorf? Du warst ihr bestimmt treu und hast während der Tournee gewichst, was?“

Sie zog ihren Bademantel fröstelnd enger um sich, wie eine Schmetterlingsraupe, die sich für ihre Verpuppung zurückzieht.

„Emily, was soll das? Ich habe kein Heroin mehr. Ich kann auch keinen Dealer ins Hotel kommen lassen, wir sind nicht mehr auf Tournee. Wenn wir hier in Sydney geschnappt werden, wandern wir in den Knast. Die Aussies verstehen da keinen Spaß. Das hast du doch an Dr. Hardy erlebt, als sie ihn in Handschellen abgeführt haben.“

Wie immer, wenn Benny mit Emily allein war, nannte er sie bei ihrem richtigen Vornamen. Sie kamen beide aus Leston, einem kleinen Ort in Colorado und kannten sich von Kind an.

„Ich heiße Bac, - Baby Anaconda“, schrie Emily und stampfte mit dem Fuß auf wie ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekam, „auch für dich, du Penner! Und besorge dir endlich mal ein vernünftiges Toupet für deine Platte. Und Kontaktlinsen, damit du dieses Brillengestell von der Fürsorge beiseite legen kannst. Die Leute denken sonst, ich bezahle dich nicht vernünftig.“

Benny hatte sich aufgesetzt und die Beine über den Bettrand geschwungen.

„Ach, Emily, damit ich so wie du aussehe? Was ist an dir noch echt? Du bestehst nur noch aus Verkleidungen und einstudierten Gesten. Du bist jetzt nicht mehr auf der Bühne. Die Tournee ist vorbei, begreife das! Meinst du etwa, ich nehme das hier alles für Geld auf mich? Nein, der einzige Grund ist, dass ich die wahre Emily noch nicht vergessen und aufgegeben habe.“

„Das sollst du aber, Dr. Benny Fasolt, du Klugscheißer, nichts anderes sollst du. Nur für Schecks und Bares. Erledigen, was ich dir sage und nichts weiter! Und noch was: selbst wenn du der einzige Mann auf Erden wärst, du halber Hahn, - ich würde immer noch einen Vibrator vorziehen.“

Wie immer, wenn sie gereizt war, zog sie Benny mit seinem akademischen Titel auf. Zu Beginn ihrer Karriere als Sängerin hatte sie mit ihrem ersten Manager schlechte Erfahrungen gemacht, die zur Trennung führten. Nachdem Benny in London über Shakespeare promoviert hatte, besuchte er seine Eltern in Leston und zeigte stolz seine Visitenkarte mit seinem akademischen Grad. Seine Eltern waren Rinderzüchter und hatten sein Studium mit harter Arbeit finanziert.

Im Supermarkt in Leston traf er Emily wieder. Er hatte sie fast nicht erkannt. Sie hatte sich stark verändert, trug eine rote Punk-Frisur, zerrissene Jeans und schwere Stiefel. Man sah ihr an, dass sie herum gekommen war und jetzt im biederen Leston mit ihrem grellen Outfit wie eine Exotin von einem anderen Stern wirkte.

„Na, Doktorchen“, pflaumte sie ihn an, „auch mal wieder hier im heimischen Nest am Ende der Welt?“

Sie waren dann zusammen etwas essen gegangen.

„Hast du wahrscheinlich in London nicht mitbekommen“, sagte sie, als sie sich eine Zigarette ansteckte, „ich habe kurz nach deiner Abreise nach London eine Band gegründet. War mir auf die Dauer zu langweilig, im Kirchenchor zu trällern. Ich machte die Leadsängerin. Wir sind nach New York gegangen und hatten sogar einigen Erfolg. Jeden Abend ein anderer Club. Leider ist unser Manager, dieses verfickte Schwein, mit der Kohle abgehauen. Wir hatten gerade noch so viel, um wieder nach Leston zurück zu kommen. Die Scheiße ist, Benny, du kannst in diesem Geschäft niemandem vertrauen. Ich will mich eine Zeit lang hier bei Mama erholen, aber dann starte ich wieder durch. Ich will hier nicht versauern.“

Wie zur Bekräftigung ihrer Aussage, hatte sie in ihren Hamburger gebissen. „Und, was machst du so, Benny? Willst du hier etwa in diesem Nest ein Theater eröffnen und Shakespeare aufführen?“

„Ich werde einige Zeit auf der Ranch meiner Eltern arbeiten. Im Büro natürlich. Auf einem Pferd gebe ich keine besonders gute Figur ab. Ich will mich auch von meinem Studium ein wenig erholen und die frische Luft hier genießen. Dann werde ich mal weiter sehen.“

Emily hatte aus ihrer Jackentasche einen Flachmann hervor gezaubert und sich mit einer verdeckten Handbewegung routiniert einen Schuss in ihren Plastikbecher gegossen.

„Ich werde in den nächsten Wochen einige Lieder komponieren, ich will nämlich ganz nach oben“ sagte sie und trank den Becher auf einen Zug leer. Sie erhob sich und ließ Benny ohne zu bezahlen im Lokal sitzen.

„Man sieht sich.“

 

Es vergingen zwei Monate, ehe sie sich im Supermarkt wieder sahen. „Lass uns ein Bier trinken gehen, Benny,“ schlug Emily vor. Sie landeten in Emilys Stamm-Pinte und setzten sich an den Tresen.

„Ob du es glaubst oder nicht, Benny“, sagte sie nach dem ersten Schluck Bier, „du bist einer der wenigen Menschen, denen ich vertraue. Hast du nicht Lust, mein Manager zu werden?“

„Wie kommst du denn auf diesen blödsinnigen Gedanken, Emily?“

„Ich hab's drauf, Benny! Ich habe das Zeug zu einem Star, das weiß ich. Aber ich weiß auch, dass ich jemanden brauche wie dich. Jemand, der alles für mich und meine Band organisiert, die Verträge aushandelt und den ganzen Scheiß. Und dir vertraue ich. Ich will nicht noch einmal übers Ohr gehauen werden. Na, was sagst du? Bist du dabei?“

Benny hatte einen Schluck aus seiner Bierdose genommen und um ein paar Tage Bedenkzeit gebeten. Nach einer Woche hatte er Emily trotz einiger Zweifel zugesagt. Zunächst für ein Jahr. Seine Eltern waren mit diesem Abenteuer nach dem Studium einverstanden und sagten ihre finanzielle Unterstützung zu.

 

Mit einem monatlichen Scheck von Bennys Eltern als Sicherheit im Rücken flogen sie nach New York und quartierten sich dort im Künstlerviertel Green Village ein. Benny hatte seine Klarinette im Gepäck dabei. Sie klapperten die Clubs ab, wobei Benny vorsprach und Emily aus dem Stegreif immer eine Kostprobe ihrer Stimme gab. Sie hatte eine kräftige, heisere Stimme und konnte alle Felder von sanfter Lyrik bis zum harten rauchigem Rock abdecken. „Habt ihr auch eine Band?“ wurden sie gefragt. Benny fing ab da an, Emily auf seiner Klarinette zu begleiten. Ihre heisere Stimme stand in einem reizvollen Kontrast zu seinem filigranen Klarinettenspiel. Sie kamen bei ihrem ersten Auftritt gleich gut an. Das „Duo aus Leston“ sprach sich als originelle Neuigkeit herum und sie wurden an die anderen Clubs weiter gereicht. Benny stellte schnell einen Kontakt zu einer Band her, deren Auftritt sie in einem Club verfolgt hatten. Die Band bestand aus zwei Gitarristen und einem Drummer. Mehrere Männer aus dem Umfeld boten sich als Manager mit todsicheren Verbindungen an, doch Benny klärte gleich, dass er für diesen Posten zuständig sei. Eines Abends nach ihrem Auftritt wartete im Umkleideraum ein Marc Kenneth auf sie. Er wirkte als „Creative Manager“ eines Musikverlags. Von da an entwickelte sich alles rasant. Bennys akademischer Titel kam zum Tragen, er handelte einen guten Vertrag aus, bei dem die anderen drei Mitglieder der Band prozentual fair beteiligt wurden. Emily nannte sich jetzt in Absprache mit Kenneth „Baby Anaconda“.

„Habe ich dir zu viel versprochen, Benny? Ich hab' das Zeug zum Star!“

 

Emily schrieb in einem kreativen Rausch mehrere Lieder, die gut ankamen. Durch die Musikszene kam sie in Berührung mit anderen Drogen als nur Alkohol. Bald kiffte sie regelmäßig und nahm Kokain. Sie schlief mit den Mitgliedern ihrer Band abwechselnd und wurde der Rolle einer Anaconda gerecht: einer Kreatur, die die Welt an sich reißt und umschlingt, um sie in einem Stück zu verschlingen; immer hungrig und nie satt. Das erste Jahr war noch nicht vorbei, als Emilys Songs von den Radio-Stationen gespielt wurden und eine CD in den Handel kam. Die ersten Werbeverträge für Emily flatterten ins Haus. Das war die Zeit, als Benny sie das erste Mal beim Heroinspritzen überraschte. Sie war in kurzer Zeit weit gekommen und befand sich auf der Überholspur.

„Bennylein, mein kleiner Shakespeare“, sagte sie auf seine Vorwürfe, „mein Programm stehst du nicht mit Knoblauchpillen, Buttermilch und ein paar Kniebeugen durch, glaube es mir. Wir sind hier nicht mehr im Kirchenchor. Ich arbeite in einem brutalem Geschäft, wenn ich auftrete, muss ich immer voll da sein! Einen Aufsatz über Shakespeare, den kann man wohl mit einer Kanne Kaffee und einer Packung Zigaretten hinkriegen. Oder hast du doch mal nebenbei gekifft?“

„Nie, Emily! Kamillentee und Wasser. Ich musste einen klaren Kopf bei meiner Dissertation haben. Da kannst du nicht mal eben mit den Hüften wackeln und dir in den Schritt greifen, wenn du den Text vergessen hast. Meine Droge war und ist Shakespeare.“

„Alle in meiner Branche nehmen Drogen, aber mach dir keinen Kopf, Benny. Ich habe das im Griff. Wir sind auf der Treppe hinauf zum Olymp der Musikszene, da fehlen nur noch ein paar Stufen.“

 

Im Jahr darauf trat sie im Fernsehen auf und wurde in Talkshows eingeladen. Sie kaufte für ihre Eltern in Leston einen prächtigen Bungalow. Sie trug jetzt auf ihrem kahl geschorenen Kopf ein rotes Irokesen-Haarteil, hatte sich die Arme tätowieren lassen und war an den Ohren und der Zunge gepierct. Ihre Karriere ging weiterhin zügig steil bergauf. Neue Songs und neue Liebhaber, männlich wie weiblich und immer neue Trips. Benny ließ den Vertrag mit der Band mit einer großzügigen Abfindung auslaufen und engagierte bessere Musiker für die erste Tour durch die Staaten. Die Tour wurde ein fantastischer Erfolg. Emily hatte ihre erste Million verdient und Benny wurde an den Einnahmen beteiligt. Emily bestand darauf, dass sie die finanzielle Unterstützung seiner Eltern auf Heller und Pfennig zurückzahlten. Nach dieser ersten Tournee musste Emily für zwei Wochen zur Entgiftung in eine Klinik.

 

„Jetzt ist wieder alles okay, Benny, - ich habe dir doch gesagt, ich habe alles im Griff,“ meinte sie, als Benny sie mit seinem Wagen bei ihrer Entlassung aus der Klinik abholte, „ich bin wieder fit, wir können wieder Gas geben.“

 

Zwei „Baby Anaconda-Fan-Clubs“ waren gegründet worden. Benny kümmerte sich um die Aufnahme von Video-Clips und engagierte eine Show-Choreographin. Im dritten Jahr ihrer Karriere musste Emily wieder eine Auszeit nehmen und sich entgiften lassen. Diesmal ließ sie in der Klinik ihr Blut austauschen. Kurze Zeit ging es ihr prächtig, aber ihre guten Vorsätze hielten nicht lange. Sie waren im fünften Jahr ihrer Karriere, als ihnen eine besonders lukrative Tournee angeboten wurde.

„Es soll über Singapur, Yokohama, Tokio, Bangkok und Neu Seeland gehen. Die Tournee soll in Australien mit dem Abschluss-Konzert in Sydney enden. Danach bist du endlich der Welt-Star, der du immer sein wolltest“, erklärte Benny, „ich habe allerdings Bedenken, ob du das körperlich durchhältst. Du spritzt schon wieder regelmäßig und müsstest eigentlich mal wieder in eine Klinik.“

„Ich schaffe das schon, Benny. Ich habe bisher alles geschafft, oder?!“

„Ja, das stimmt schon, aber wenn du bei dieser Tournee einbrichst oder irgendwelche Zicken machst, dann gibt es Konventional-Strafen in einer Höhe, - da singst du die nächsten Jahre umsonst.“

„Benny, ich verspreche dir, dass ich durchhalte. Nach der Tournee gehe ich in eine der besten Kliniken, und höre mit dem Zeug endgültig auf. Versprochen?! Ich merke selber, dass es mich ruiniert.“

Mit dieser Absprache hatten sie die Verträge für die Tournee unterschrieben.

 

„Du bist Benny? Trinken wir erst mal einen“, lächelte er ihn durch seinen dunklen Vollbart an und gab dem Aborigines hinter dem Zapfhahn das Zeichen für zwei weitere Biere. Mit den Bieren gingen sie an einen freien Tisch im hinteren Teil der Kneipe, wo in einem offenen Nebenraum eine Partie Poker lief.

Benny nippte an seinem Bier und erzählte in kurzen Sätzen, was er sich vorstellte. Als er geendet hatte, zündete sich Carl eine Zigarette an und schob seinen Hut in den Nacken und orderte mit lässig erhobener Hand weiteres Bier.

„Ich weiß nicht genau, Carl, wie sich die Dinge entwickeln und ob ich deine Dienste tatsächlich in Anspruch nehmen muss. Aber hier hast du schon mal eine Aufwandsentschädigung, um alles bereit zu stellen.“

„Wenn wir abreisen, ohne deine Hilfe zu beanspruchen, dann rufe ich dich an und du bekommst die zweite Hälfte am Flughafen. Wenn wir die Aktion starten, bekommst du jeden Tag 5.000 Dollar. Ist das okay?“

„Das geht auf meine Rechnung“, erklärte Carl und griff sich aus dem Umschlag ein paar Scheine, die er dem Mann reichte, „das ist das Zeug, das du brauchst. Mein Kumpel nimmt dich in seinem Wagen zurück zu deinem Hotel. Übrigens, draußen der Aborigine mit dem Didgeridoo, das ist unser Fährtenleser.“

Noch immer stand Emily schwankend vor Bennys Bett.

„Gib’s her und halt’s Maul, du Penner! Kümmere dich um den Nachschub!“

„Bist ein Schatz, Benny. Das mit dem Toupet war nicht so gemeint. Deiner Rothaarigen gefällt es bestimmt, du siehst mit deiner schwarzen Hornbrille so vernünftig und väterlich aus, als würdest du die Ratenzahlungen immer pünktlich überweisen.“ Sie erhob sich und ging durch die offene Schiebetür in ihr Zimmer zurück. Benny hörte, wie sie sich eine Zigarette ansteckte und sich auf ihr Bett warf.

„Carl, es ist jetzt so weit. Du hast alle Sachen zusammen? Gut! Wann kannst du hier sein? Zwei Stunden nach Mitternacht. Mit Krankenschwester und Führer. Okay! Ich sage an der Rezeption Bescheid. Sie sollen dich am Lieferanteneingang hinten parken lassen. Wir werden dort sein.“