Die Kurfürstenklinik 23 – Romanze unter freiem Himmel

Die Kurfürstenklinik –23–

Romanze unter freiem Himmel

Wenn eine Reise zum Schicksal wird

Roman von Nina Kayser-Darius

»Mußt du wirklich morgen schon zurückfliegen?« fragte Alexander von Ravensburg die schöne blonde Frau in seinen Armen. »Sieh mal, Sabrina, ich muß erst in einer Woche nach Bahia. Das heißt, ich bleibe hier in Rio, und du fliegst nach Berlin zurück. Was für eine Verschwendung! Überleg doch nur mal, wie herrlich das wäre, wenn wir…«

»Ich weiß«, unterbrach sie ihn leise. »Aber ich kann es doch nicht ändern. Ich muß einfach zurück, Alex, ich habe Prüfungen, und die darf ich nicht versäumen.«

Er sah ihre traurigen Augen und änderte sofort den Tonfall. »Entschuldige«, bat er. »Ich bin gedankenlos. Wir machen einfach das Beste aus unserem letzten Abend und unserer letzten Nacht!«

»Und bis du nach Berlin kommst, sind es ja nur ein paar Monate«, sagte sie in dem rührend vergeblichen Bemühen, sich ihre Verzweiflung nicht allzusehr anmerken zu lassen.

Er nickte, antwortete jedoch nicht. Er hatte Sabrina wirklich gern, verflixt gern sogar, aber er konnte ihr unmöglich sagen, daß das mit ihm und den Frauen leider nie für lange war. Ein Abschied wie dieser war ihm nichts Unbekanntes.

Allerdings ertappte er sich dieses Mal dabei, daß er selbst auch traurig war. Sabrina war etwas ganz Besonderes, er war gern mit ihr zusammen. Aber war er nicht mit all seinen Freundinnen gern zusammen gewesen? Er wußte einfach, daß es schon bald eine andere schöne Frau in seinen Armen geben würde. Jedenfalls war es bisher immer so gewesen, und es würde dieses Mal nicht anders sein.

Der blonde Alexander von Ravensburg war der Typ Mann, von dem viele Frauen träumen: Er war groß, durchtrainiert und sah ausgesprochen gut aus mit seinem klassischen Profil, den immer etwas zu langen Haaren und den blauen Augen, die so übermütig blitzen konnten wie bei einem kleinen Jungen. Er war außerdem charmant und klug, und er hatte eine ausgesprochen attraktive Stelle bei einem Institut in Brasilien, das deutschen Geschäfts- und Privatleuten den Einstieg in das fremde Land erleichterte. Er mußte viel im Land herumreisen und verfügte über genügend Geld, um sich das Leben so angenehm wie möglich zu machen.

Eigentlich war er also perfekt – fast zumindest. Denn treu war er nicht, und ehrlich war er, zumindest Frauen gegenüber, ebenfalls nicht. Wenn er das gewesen wäre, hätte er mit ihnen sicher nicht so leichtes Spiel gehabt. Sein Kollege Volker Henstein, der oft mit ihm zusammen an den gleichen Projekten arbeitete, schüttelte über Alexanders Frauengeschichten regelmäßig den Kopf und sagte: »Du wirst eines Tages noch mal richtig auf die Nase fallen, Alex! Auf Dauer kann das nicht gutgehen, was du da machst.«

»Was später ist, interessiert mich nicht, im Augenblick geht es jedenfalls sehr gut«, erwiderte Alexander in solchen Fällen regelmäßig. »Was will ich mehr? Die Welt ist voller wunderbarer schöner Frauen – warum soll ich mich mit einer einzigen zufriedengeben?«

Daraufhin zuckte Volker gewöhnlich die Achseln, und wechselte das Thema. Er selbst war mit einer Brasilianerin verheiratet, hatte bereits drei Kinder und war ein begeisterter Familienvater. Er gehörte nicht zu denen, die Alexander wegen seiner zahlreichen Abenteuer beneideten – viele Kollegen, die weniger Glück bei Frauen hatten, taten das. Nein, Volker Henstein bedauerte den anderen insgeheim sogar ein wenig, aber das behielt er für sich. Eines Tages würde selbst Alexander vernünftig werden – zumindest hatte er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß das passieren würde.

Und nun stand also Alexanders Abschied von Sabrina bevor. Nachdenklich sah er die junge Frau an. In den letzten vier Wochen waren sie unzertrennlich gewesen. Sie hatte sich hilfesuchend an das Institut gewandt, für das Alexander arbeitete, weil sie eine brasilianische Großmutter gehabt hatte, die allerdings bei ihrer Geburt schon nicht mehr am Leben war. Jedenfalls hatte sich Sabrina in den Kopf gesetzt, die Spuren dieser Großmutter in Rio de Janeiro zu suchen – und das hatte sie dann auch mit so viel Ausdauer getan, daß er davon höchst beeindruckt gewesen war. Tatsächlich hatte sie noch Leute gefunden, die ihre Großmutter gekannt hatten, und darüber war sie so glücklich gewesen wie ein Kind.

Sabrina Schirmbeck, dachte er. Sie war erst fünfundzwanzig und studierte in Berlin Sprachen, weil sie davon träumte, die ganze Welt zu bereisen. Sie kam ihm sehr viel jünger vor als er selbst, obwohl sie nur sieben Jahre auseinander waren. Aber sie schien ihm so unverbildet zu sein, so begeisterungsfähig. War er im Vergleich dazu nicht geradezu zynisch und illusionslos?

Er zog sie näher an sich. Es würde merkwürdig sein nach ihrer Abreise. Offenbar hatte er sich tatsächlich ein wenig an sie gewöhnt. Fast hätte er über sich selbst gelacht, er kannte sich schließlich. Spätestens zwei Tage nach ihrer Abreise würde die nächste Frau in seinen Armen liegen…

»Alex?« fragte Sabrina. »Was meinst du dazu?«

Er küßte sie zärtlich. »Entschuldige, ich habe nicht zugehört.«

»Das habe ich gemerkt. Du hast ein ganz komisches Gesicht gemacht«, stellte sie fest und fuhr ihm mit den Fingern sanft über die Wange. »Ich habe dich gefragt, ob du nachher noch einmal mit mir auf den Zuckerhut fährst. Ich weiß, daß dich die Touristenmassen da oben nerven, aber ich möchte noch einmal auf die Stadt hinuntersehen und mir den Anblick ganz fest einprägen, damit ich ihn niemals vergesse – falls ich nicht irgendwann zurückkomme.«

Er schüttelte den Kopf. »Wir waren schon dreimal da oben, Sabrina«, meinte er. »Du mußt den Anblick doch schon auswendig kennen. Außerdem: Du kommst doch garantiert nach Rio zurück?«

»Wer weiß?« fragte sie leise. »Bitte, Alex!«

Wieder küßte er sie. »Na, schön, ich schenke dir zum Abschied einen Besuch auf dem Zuckerhut.«

Als er das Wort »Abschied« aussprach, zuckte sie zusammen, und er bereute seinen Leichtinn sofort, doch Sabrina lächelte ihn tapfer an und sagte: »Danke. Ein schöneres Geschenk hättest du mir nicht machen können!«

Verdammt dachte er, wieso rührt mich diese Frau so? Warum kommen mir fast die Tränen, wenn ich sie so traurig sehe wie jetzt? Ärgerlich verscheuchte er diese Gedanken. »Dann laß uns mal langsam losgehen!« schlug er mit betont fröhlicher Stimme vor.

Sie nickte nur, schlang einen Arm um seine Hüften und dann machten sie sich auf den Weg. Morgen ist sie weg, dachte er, und wieder kroch ein ganz merkwürdiges Gefühl in ihm hoch, das er sich nicht erklären konnte.

Was war nur mit ihm los? Sie war eine tolle Frau, sicher, aber davon gab es nun wirklich eine ganze Menge – niemand wußte das besser als er.

*

Stefanie Wagner betrat das Büro ihres Chefs und sagte freundlich: »Guten Morgen, Herr Wingensiefen.«

Er sah verdrießlich aus, das bemerkte sie sofort, und sie stöhnte leise. Das fehlte ihr gerade noch, daß er heute schlechte Laune hatte, wo sie ihn ausnahmsweise mal um einen Gefallen bitten wollte – normalerweise war es ja immer umgekehrt.

Andreas Wingensiefen war der Direktor des exklusiven King’s Palace Hotels in Berlin. Die Angestellten des Hauses sahen jedoch in Stefanie Wagner, seiner Assistentin, die eigentliche Chefin des Hauses, denn sie war es, bei der alle Fäden zusammenliefen. Und sie war es auch, die im Zweifelsfalle bis zum Umfallen arbeitete, während der Direktor zwar gern repräsentierte, die eher unangenehme und mühsame Kleinarbeit aber doch lieber anderen überließ.

Er war ein charmanter Mann, der erhebliche Anziehungskraft auf Frauen ausübte und das auch sehr genoß. Stefanie kam in der Regel ganz gut mit ihm klar, zumal sie es zu schätzen wußte, daß er sie so selbständig arbeiten ließ. Sie hätte keinen Chef ertragen können, der ihr ständig Vorschriften machte. So hatte also die Zusammenarbeit mit Andreas Wingensiefen für sie sowohl Vor- als auch Nachteile.

Er sah sie trotz seiner offensichtlich schlechten Laune wohlgefällig an, was er eigentlich immer tat. Er wußte es zu schätzen, eine so schöne, und dabei so zuverlässige und kluge Mitarbeiterin zu haben. Stefanie war elegant wie immer – im hellgrauen Kostüm mit dunkelgrauen Pumps. Die dichten blonden Locken fielen ihr bis auf die Schultern, das Make-up war dezent, aber perfekt. Das Schönste an ihr waren ihre Augen, deren Blau ein wenig ins Violette spielte – sie erinnerten an Veilchen.

»Nun, Frau Wagner?« fragte er. »Was gibt’s denn?«

»Eine Freundin von mir kommt morgen aus Rio zurück, und ich würde sie gern vom Flughafen abholen«, erklärte Stefanie. »Das bedeutet allerdings, daß ich gegen achtzehn Uhr das Haus verlassen müßte.« Normalerweise ging sie immer erst im Laufe des Abends. Sie war sich nicht sicher, ob ihr Chef das überhaupt wußte, aber es spielte auch keine Rolle. Sie ging eben immer erst, wenn sie das Gefühl hatte, ihre Arbeit wirklich getan zu haben.

Er sah sie prüfend an, und einen schrecklichen Augenblick lang dachte sie, er werde rundheraus ablehnen.

Schrecklich wäre das gewesen, weil sie genau wußte, das sie ihm in dem Fall deutlich die Meinung gesagt hätte – und das wäre bestimmt sehr unangenehm geworden. Sie war ein geduldiger Mensch, aber wenn sie erst einmal wütend war, dann war sie so leicht nicht mehr zu bremsen. Auch Andreas Wingensiefen hatte das schon erlebt…

Jedenfalls legte sie im Moment keinen gesteigerten Wert auf Streß, und den hätte sie mit Sicherheit gehabt, wenn sie ihrem Chef mal wieder gründlich die Meinung hätte sagen müssen.

Doch er zeigte ihr sein charmantestes Lächeln und sagte: »Natürlich können Sie um sechs gehen, Frau Wagner. Sie bleiben ja oft genug bis in den Abend hinein, da wird es wohl auch einmal ohne Sie gehen.«

»Das denke ich auch, aber das bedeutet, daß Sie morgen den Empfang der amerikanischen Delegation übernehmen müßten«, erwiderte Stefanie und bemerkte sofort, daß er daran nicht gedacht hatte.

Solche Aufgaben überließ er mit Vorliebe ihr, es sei denn, er konnte sich bei der Gelegenheit ins rechte Licht rücken. Da sie seine Eitelkeit kannte, fügte sie rasch hinzu: »Die Presse wird auch da sein, Sie wissen ja, die geplante Fusion eines deutschen und eines amerikanischen Unternehmens hat eine Menge Wirbel gemacht. Es wäre also schon wichtig, daß jemand von der Direktion anwesend ist…«

Das waren die richtigen Worte gewesen. Wenn die Presse kam, bestand die Möglichkeit, daß sein Bild am nächsten Tag in der Zeitung erschien, und diese Aussicht gefiel ihrem Chef. »Schon gut, ich übernehme das«, erklärte er lässig. »Müssen wir sonst noch etwas besprechen?«

»Von meiner Seite aus nicht«, sagte Stefanie und verabschiedete sich höflich. Auf dem Weg zu ihrem Büro dachte sie darüber nach, warum ein so kluger Mann wie Andreas Wingensiefen trotzdem so berechenbar war. Es war zweifellos auch sein Verdienst, daß das King’s Palace eines der ersten Häuser in Berlin war, aber nachdem er ein paar Jahre lang die Ärmel aufgekrempelt hatte, schien ihn jetzt ein wenig die Lust verlassen zu haben.

Oder ich nehme ihm zuviel ab, und er hat sich daran gewöhnt, dachte sie, als sie die Tür zu ihrem Büro öffnete.

Aber das ist jetzt erst einmal gleichgültig. Ich kann Sabrina morgen abholen, das ist die Hauptsache!

*

Dr. Adrian Winter, der junge Chefarzt, der die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik in Berlin-Charlottenburg leitete, war in der Cafétéria des Krankenhauses in eine heftige Diskussion mit seinem älteren Kollegen Dr. Christian Halberstett vertieft.

Der achtundfünfzigjährige Gynäkologe war normalerweise die Liebenswürdigkeit in Person, doch im Augenblick wirkte er so erregt wie selten. »Was ist das denn wieder für eine Idee von der Verwaltung?« rief er. »Ich dachte, seit wir diesen tüchtigen neuen Verwaltungsdirektor haben, würden diese unsinnigen Sparmaßnahmen endlich aufhören – und nun das! Bei uns werden mehr Kinder zur Welt gebracht als in jedem anderen Krankenhaus der Stadt – und sie streichen uns eine Stelle. Ist denn das die Möglichkeit?« Er schaffte es nicht, sich wieder zu beruhigen.

»Ich bin ja ohnehin nicht so sicher, ob Thomas Laufenberg wirklich der tüchtige Verwaltungsdirektor ist, für den ihr alle ihn haltet«, meinte Adrian und fuhr sich mit der Hand durch die dichten dunkelblonden Haare.