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Brennpunkt Schule

 

Herausgegeben von

 

Fred Berger

Herbert Scheithauer

Wilfried Schubarth

Heinrich Ricking/Tobias Hagen

Schulabsentismus und Schulabbruch

Grundlagen – Diagnostik – Prävention

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2016

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-029366-3

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-029367-0

epub:    ISBN 978-3-17-029368-7

mobi:    ISBN 978-3-17-029369-4

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Inhalt

 

 

  1. Einleitung
  2. 1 Grundlagen zum Schulabsentismus und Dropout
  3. 1.1 Schulpflicht und Schulzwang
  4. 1.2 Formen und Bedingungen des Schulabsentismus
  5. 1.2.1 Risikofaktoren für Schulabsentismus und Dropout
  6. 1.2.2 Schulschwänzen
  7. 1.2.3 Angstbedingte Schulmeidung/Schulverweigerung
  8. 1.2.4 Zurückhalten/Eltern billigen Absentismus
  9. 1.2.5 Angrenzende Phänomene im Kontext des Schulabsentismus
  10. 1.3 Dropout und Schulabbruch
  11. 1.3.1 Schulabbruch in Deutschland im Überblick
  12. 1.3.2 Zur Situation der Förderschüler
  13. 1.3.3 Die europäische Ebene – Frühzeitige Schulabgänger
  14. 1.3.4 Dropout aus der Schule in den USA
  15. 1.3.5 Empirisch abgesicherte Bedingungsfaktoren für schulischen Dropout
  16. 1.3.6 Die Entwicklung zum schulischen Dropout
  17. 2 Diagnostik
  18. 2.1 Erfassung und Analyse von Fehlzeiten
  19. 2.2 Prozess der Diagnostik
  20. 2.3 Diagnostische Verfahren im Überblick
  21. 2.3.1 Die Einschätzungsskala der Schulverweigerung (ESV)
  22. 2.3.2 Lehrereinschätzliste für Sozial- und Lernverhalten (LSL)
  23. 2.3.3 Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ) zur Erfassung der psychosozialen Belastung
  24. 2.3.4 Skalen zur Erfassung der Lern- und Leistungsmotivation (SELLMO)
  25. 2.3.5 Verfahren zur Erfassung des Klassenklimas und der sozialen Integration
  26. 2.3.6 Verfahren zur Erfassung der Schulleistungen im Überblick
  27. 3 Prävention von Schulabsentismus und Dropout
  28. 3.1 Ein Rahmenkonzept der Prävention: Der Response-to-Intervention-Ansatz
  29. 3.2 Schulische Rahmenbedingungen für Prävention und Intervention
  30. 3.2.1 Rechtliche Aspekte
  31. 3.2.2 Pädagogische Schwerpunkte
  32. 3.2.3 Präventive Schule
  33. 3.3 Klassifikation und Voraussetzungen erfolgreicher psychologischer Prävention
  34. 3.4 Präventive Ansätze in der Schule
  35. 3.4.1 Präventive Leitlinien
  36. 3.4.2 Unterricht und Klassenführung
  37. 3.4.3 Schulsozialarbeit
  38. 4 Schulische Interventionskonzepte
  39. 4.1 Evidenzbasierte Maßnahmen zur Vermeidung von schulischem Dropout
  40. 4.1.1 Individuumbezogene Förderprogramme
  41. 4.1.2 Ökologische Ansätze
  42. 4.1.3 Transitionsprogramme
  43. 4.2 Wirksamkeit von Programmen zur Vermeidung von Schulabbruch
  44. 4.3 Rahmenkonzept zur Förderung der schulischen Partizipation und Prävention von Dropout
  45. 4.4 Zusammenarbeit mit Erziehungsberechtigten/Elterntrainings
  46. 5 Alternative Beschulung
  47. 6 Fazit und Ausblick
  48. Literatur

Einleitung

 

 

Die heute für bedeutsam erachteten Kompetenzen und Bildungsinhalte aus dem Fundus menschlicher Kultur an die nächste Generation weiterzugeben ist Aufgabe von Schule. Schulische Bildung gilt so als wichtige Voraussetzung für ein integriertes Leben in der heutigen Gesellschaft. Dazu hat der Staat durch Gesetze zur Schulpflicht auf Länderebene alle Kinder und Jugendliche für eine Dekade verpflichtet, eine staatliche oder staatlich anerkannte Schule zu besuchen. Dass es angesichts dieser umfassenden und langandauernden Auflage, die mit einem deutlichen Eingriff in die Freiheitsrechte der jungen Staatsbürger einhergeht, Ausnahmen von der Regel gibt, liegt auf der Hand. Krankheiten oder wichtige Ereignisse entbinden temporär vom Gebot des werktäglichen Schulbesuchs. Dabei gilt die Schulpflicht für alle Kinder und Jugendlichen, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben. Solche mit geistiger Behinderung wurden allerdings lange für nicht oder lediglich praktisch bildbar gehalten und können erst seit den 1960er Jahren von einer kontinuierlichen schulischen Ausbildung profitieren.

In wissenschaftlicher Perspektive wird das unrechtmäßige Versäumen von Unterricht unter dem Oberbegriff Schulabsentismus zusammengefasst. Es zeigt vordergründig stets dasselbe Bild – der Stuhl in der Klasse bleibt unbesetzt; bei näherer Betrachtung der Hintergründe entpuppt es sich jedoch als komplexes Phänomen mit vielfältigen Einflussfaktoren und oft ohne einfache Lösungen. So wird das Aussetzen von Unterricht zugunsten einer angenehmeren Aktivität v. a. im außerhäuslichen Bereich während des Vormittags mit Schulschwänzen bezeichnet. Die Schüler haben oft eine beträchtliche Schulaversion entwickelt, die geprägt ist von abweisenden Gedanken und Gefühlen gegenüber der Schule. Eine Fülle negativer Schulerfahrungen – schlechte Noten, Klassenwiederholungen, soziale Akzeptanzprobleme, Schulstrafen und -ausschlüsse, ein konfliktreiches Interaktionsgeschehen – kennzeichnen nicht selten die schulische Lerngeschichte der Betroffenen. Auch im familialen Bereich sind durch Bildungsdistanz, Erziehungsinsuffizienz und unzureichende sozio-emotionale Haltstrukturen häufig eher ungünstige Bedingungen für Schule erkennbar.

Daneben gilt Angst als gewichtiges Motiv für schulbezogenes Meidungsverhalten. Die Schulpflichtigen haben aufgrund ihres Angsterlebens erhebliche Schwierigkeiten, den Unterricht zu besuchen und ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit. Sie klagen oft über Krankheitssymptome und somatisieren emotionale Problemlagen. Dabei sind konkrete Furchteinflüsse (z. B. Mobbing durch Mitschüler oder Lehrer), erfahrungsbedingte Versagensängste wie auch emotionale Störung (z. B. im Rahmen von Trennungsangst) hervorzuheben, bei denen sich zwanghaftes und langandauerndes Meidungsverhalten entwickeln kann.

Verschiedene Problemstellungen in den Familien können darüber hinaus dafür sorgen, dass Eltern ihre Kinder vom Schulbesuch zurückhalten. Gleichgültigkeit, Desinteresse oder Aversionen der Erziehungsberechtigten gegenüber Schule, kulturelle Divergenzen im Kontext von Migration oder die Pflegetätigkeit eines Kindes für einen erkrankten Elternteil werden als Gründe angeführt, sodass eine weitere Beschulung nicht für notwendig oder möglich erachtet wird (Ricking, Schulze & Wittrock 2009).

Auch die Intensitäten und Zeitmuster variieren stark. So geht es in einem Fall um zwei einmalig umgangene Randstunden, im anderen um einen Zeitblock von mehreren Wochen, ein dritter Schüler ist seit drei Monaten nicht mehr aufgetaucht. Während mancher selektiv ein bestimmtes Fach oder einen Lehrer wöchentlich meidet, fällt es dem Mitschüler schwer, montags pünktlich in der Schule zu erscheinen. Intervallartige Fehlzeiten sind genauso zu beobachten wie beständige Unregelmäßigkeit.

Verlassen Schüler die Schule endgültig ohne Schulabschluss und vor Beendigung der Schulpflicht, wird von Schulabbruch bzw. Dropout gesprochen, dem Endpunkt der schulischen Ausgliederung (Hagen 2014; Hillenbrand & Ricking 2011). Ohne die auf dem Arbeitsmarkt relevanten Mindestqualifikationen sind sie zu der Hochrisikogruppe für soziale Devianz (Arbeitslosigkeit, Drogenkonsum, Delinquenz, psychische und gesundheitliche Probleme) und Armut zu zählen (Prichard, Cotton & Cox 1992; Beekhoven & Dekkers 2005).

Vor dem Hintergrund der Entfremdung zwischen Schüler und Schule setzt der Absentismus und Dropout jedoch selten plötzlich ein; zu beobachten ist eher ein langsames Wegdriften von Unterricht und Schule mit früher Initiation, sich latent aufbauender Aversion und erst nachfolgend expandierenden Versäumnissen. Folglich kommt es zu Fehlpassungen zwischen Schüler, Eltern und Schule, die desintegrative Wirkungen entfalten. Schulabsentismus ist in einem interaktionistischem Sinne durch unausgeglichene Relationen definiert, d. h. es mangelt an Balance zwischen den Voraussetzungen, Möglichkeiten und Intentionen des Schülers und den Anforderungen und Zielen der Schule. Da sich bereits in der Grundschule aversive Schemata bei Schülern aufbauen können, ist sie ein relevantes Präventionsfeld (Hickman et al. 2008).

Immerhin etwa die Hälfte der Schülerschaft der Sekundarstufe I zeigt eine grundsätzliche Bereitschaft zu Schulpflichtverletzungen; die weitaus meisten Schüler gehen jedoch verantwortlich damit um und fehlen allenfalls selten oder gelegentlich ohne gültige Entschuldigung (Wetzels & Wilmers 2001; Simon 2002; Stamm et al. 2009). Wenn sich demgegenüber Schüler dafür entscheiden (oder keinen anderen Weg sehen als), nur unregelmäßig oder gar nicht mehr am Unterricht der Schule teilzunehmen – massivere Formen von gewohnheitsmäßigem Schulabsentismus weisen etwa 3–5 % eines Jahrgangs auf (Weiß 2007) –, entstehen komplexe Problemlagen mit deutlichen Einschränkungen im Lernerfolg und -ertrag. Der unregelmäßige Schulbesuch ist als einschneidende und nachhaltige Lernbarriere einzuschätzen, deren Auswirkungen sich jedoch nicht auf den Kontext der Schule beschränken (Walter & Döpfner 2009). Die betroffenen Schüler begeben sich zumeist in negative Entwicklungen, die von einem hohen Delinquenzrisiko, Fehlen eines Schulabschlusses und einer deutlich erschwerten beruflichen Integration gekennzeichnet sind (Sälzer 2010; Hibbett & Fogelman 1990). Schulische Desintegration bleibt insofern kein schulisches Problem – ihr folgen mittelfristig mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit prekäre Lebensverhältnisse in beruflicher und sozialer Hinsicht (Ricking & Schulze 2012). Da diese Folgen aus gesellschaftlicher Perspektive aufgrund der entstehenden sozialen und wirtschaftlichen Einbußen abzuwenden sind, haben bereits europäische Initiativen zur Senkung der Schulabbruchquote (z. B. das Programm Schulverweigerung die »2. Chance«) sowie Maßnahmen auf Länderebene versucht, für Abhilfe zu sorgen. Teilerfolge sind erkennbar – so wurde eine Senkung der sogenannten Schulabbruchquote erreicht, sie liegt bei 6,5 % (2014) und schließt alle Schulabgänger ein, die nicht mindestens einen Hauptschulabschluss erreichen (vgl. Europäische Kommission 2011). Während sich für notorische Schulverweigerer eine Zukunft mit vielen Hürden abzeichnet, bedeutet eine hohe Fehlquote für eine Schule oftmals, dass sie mit ihrem pädagogisch-didaktischen Angebot ihre Zielgruppe nur teilweise erreicht und so ihrem Auftrag nicht gerecht werden kann. Im Schulabsentismus und Dropout verdichtet sich im weiteren gesellschaftlichen Sinne die Frage der Partizipation von Heranwachsenden am Bildungssystem in einem Staat, dessen wichtigster Rohstoff Bildung ist (Ehmann & Rademacker 2003). Habitueller Schulabsentismus bzw. der Schulabbruch können somit als Entwicklungsergebnis gefasst werden, das in eine Lebensperspektive zu setzen ist, zumeist ins soziale Abseits führt und mit Delinquenz und Arbeitslosigkeit im Erwachsenenalter wie auch geringer wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Teilhabe in Verbindung steht (Hibbett & Fogelman 1990).

Präventive und interventive Handlungsstrategien weisen aus diesem Blickwinkel auf Veränderungen hin, die zu höheren Passungen führen. Ansatzpunkte dafür können sowohl in der Schule, beim Schüler selbst, bei den Erziehungsberechtigten oder bei den politisch-institutionellen Rahmensetzungen für schulische Bildung gefunden werden. Zur Frage schulischer Handlungsmöglichkeiten liegen diverse Konzeptentwürfe vor. Sie lassen sich unterschiedlichen Ebenen zuordnen (pädagogische, organisatorische oder unterrichtliche Ebene) und können über die Absentismusproblematik hinaus zu einer positiven Schulkultur beitragen. Grundlegende Strategien umfassen Regelungen zum Umgang mit Fehlzeiten und strukturieren den Handlungsprozess. Dabei stehen die regelmäßige Anwesenheitskontrolle, die schnelle Reaktion der Schule auf eine Versäumnisphase, die Fallklärung, die Beratung des Schülers und der Erziehungsberechtigten sowie die Kooperation mit unterstützenden Diensten im Mittelpunkt (Ricking 2014). Für wenige Schüler mit komplexen Entwicklungsrisiken reichen die schulischen und kooperativen Ressourcen zur angemessenen Förderung nicht aus. Sie benötigen zumindest temporär intensive Maßnahmen in spezifischen Einrichtungen (Hellmann 2007).

Ausgehend von einer kurzen Betrachtung der historischen und gegenwärtigen Lage der Schulpflicht in Deutschland schafft das zweite Kapitel dieses Buches eine theoretische Grundlage zu den Phänomenen Schulabsentismus und Dropout (Schulabbruch). Eine umfassende Klärung und Definition der Begrifflichkeiten sowie ein Überblick über die Situation von Schulabbruch in europäischen Ländern und in den USA wird gegeben. Zudem erfolgt eine ausführliche Differenzierung in unterschiedliche Formen und Bedingungen von Schulabsentismus (Schwänzen, angstbedingte Meidung und Zurückhaltung). Darauf wird in Kapitel 3 eine Darstellung verschiedener diagnostischer Verfahren zum Einsatz bei Schulabsentismus präsentiert. Im vierten Kapitel werden ausgehend von dem Response-to-Intervention-Ansatz (RTI) Aspekte der Prävention von Schulabsentismus vorgestellt. Auf verschiedenen Ebenen (rechtlich-organisatorisch, pädagogisch, unterrichtlich) werden Handlungsmöglichkeiten und Leitlinien dargelegt sowie Möglichkeiten der Schulsozialarbeit miteinbezogen. Anschließend gibt das fünfte Kapitel einen systematischen Überblick über konkrete evidenzbasierte Interventionsprogramme bei Dropout/Schulabsentismus, wobei Verhaltensmuster des Schwänzens im Mittelpunkt stehen. Die Programme sind insbesondere in den USA weit verbreitet und im deutschen Sprachraum noch wenig etabliert (Hillenbrand & Ricking 2011). Die Interventionen bei Schulabsentismus setzen an verschiedenen Schwerpunkten an und beinhalten z. B. kognitiv-behaviorale Maßnahmen, spezifische Lernförderung, Mentoring-Konzepte, Elterntrainings oder Unterstützung beim Übergang Schule-Beruf. Das sechste Kapitel stellt schließlich Konzepte zur alternativen Beschulung für Jugendliche vor, die aufgrund umfassender Förderbedarfe in Verbindung mit langjährigem unregelmäßigem Schulbesuchsverhalten keinen Anschluss mehr an die Regelschule finden und zumindest vorübergehend besondere pädagogische Beschulungsmaßnahmen benötigen. Das Buch schließt im siebten Kapitel mit einer Schlussbetrachtung und dem Aufruf, insbesondere in Zeiten der Inklusion Schule so zu gestalten, dass sie zu mehr Chancengleichheit beiträgt und allen Schülern – auch Risikoschülern – eine umfassende Bildungsbeteiligung und Partizipation ermöglicht.

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Grundlagen zum Schulabsentismus und Dropout

 

1.1       Schulpflicht und Schulzwang

Die allgemeine Schulpflicht bildet die rechtliche Grundlage dafür, dass Schulversäumnisse ein Problem darstellen. Historisch betrachtet ist sie ein Produkt der Aufklärung und wurde in vielen Staaten das wesentliche Rahmengesetz für die Alphabetisierung der Gesellschaft. Aus ideengeschichtlicher Perspektive stellt die Schulpflicht eine Voraussetzung für den aufklärerischen Durchbruch in das Zeitalter der Mündigkeit dar, in dem der rational seine Welt begreifende Mensch entdeckt wurde. Um sich diesem Ideal zu nähern und somit eine »bessere« Gesellschaft zu schaffen, sollte aus Sicht der Aufklärer die Erziehung unter staatlicher Aufsicht, umsetzbar durch eine allgemeine Schulpflicht, als vorrangiges Mittel genutzt werden (Blankertz 1982). Ohne ein Minimum an Bildung in breiten Bevölkerungsschichten konnte sich ein Staat den absehbar steigenden wirtschaftlich-technologischen Herausforderungen der Zukunft nicht stellen. So bringen erste gesetzliche Regelungen im 16. und 17. Jahrhundert den Anspruch auf eine staatliche Bildungsträgerschaft zum Ausdruck, Preußen folgte 1717 mit einem Gesetz zur Unterrichtspflicht und suchte damit Anschluss an den allgemeinen Trend der Zeit. Die Pflicht zur schulischen Bildung für die Heranwachsenden richtete sich auch an die Eltern und verpflichtete diese, den Kindern für die Lernzeit freizugeben und sie zumindest vormittags aus der Erwerbstätigkeit herauszunehmen, die in der Landwirtschaft, im Bergbau und in den Fabriken eine alltägliche Erscheinung war (Ricking 2003). Seit Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das moderne Schulrecht, dessen Umsetzung durch den Aufbau der nötigen Strukturen und die Überwindung von Widerständen jedoch noch ein weiteres Jahrhundert andauerte. Die Voraussetzungen für Schule waren zu diesem Zeitpunkt noch denkbar ungünstig. Erst Ende des 19. Jahrhunderts konnte die Aufgabe und Pflicht des Staates, alle Schüler zu erfassen und für sie ein geeignetes, ausreichendes und erreichbares Netz von Schulen bereitzustellen, erfüllt werden. In diesem Kontext kann man das Reichsgrundschulgesetz von 1920, das vier Pflichtschuljahre für elementare Bildungsinhalte vorsah, als erstes gesamtdeutsches Schulpflichtgesetz betrachten (Dunkake 2007). Die Grundschule wurde dabei als verbindliche Gesamtschule etabliert und sollte einer klassenspezifischen Ausdifferenzierung des Bildungswesens entgegenwirken (Hartmann-Kurz 1998).

Nach Jahrhunderten hat sich die Schulpflicht gegen viele Widerstände durchgesetzt. Sie ist eine relativ junge Erscheinung und Errungenschaft, die zwar fest etabliert ist, sich jedoch gegenwärtig und auch in der Zukunft sozialen Entwicklungen stellen muss.

Heute ist die Schulpflicht in Deutschland durch die Kulturhoheit der Länder in den einzelnen Landesverfassungen geregelt. Darunter wird die Verpflichtung von Kindern und Jugendlichen verstanden, ab dem sechsten Lebensjahr zehn bzw. zwölf Jahre lang staatliche oder staatlich anerkannte Schulen zu besuchen. Dieses impliziert auch Lehrer- und Elternpflichten, zum Beispiel den Schulbesuch des Kindes zu beaufsichtigen und es zum Schulbesuch anzuhalten (Ricking 2003).

In den bisher ergangenen juristischen Urteilen in Deutschland wurde die Schulpflicht als unbedingte Zwangsnorm bestätigt. Aufgrund dieser im Vergleich mit anderen westlichen Ländern (in denen zumeist eine Bildungs- oder Unterrichtspflicht herrscht, die auch außerhalb der Schule erfüllt werden kann) rigiden Haltung, ist es Eltern in Deutschland grundsätzlich nicht gestattet, ihre Kinder dem Zugriff der Schule zu entziehen. Solche, die dennoch aus unterschiedlichen Gründen den Versuch unternahmen, sie selbst oder im privaten Umfeld zu unterrichten, unterlagen stets dem Anspruch der Absolutheit der Schulpflicht. In den USA beispielsweise ist die Unterrichtung zu Hause (home schooling) durchaus verbreitet und betrifft etwa 5 % der dortigen Schülerschaft.

Unterwirft sich ein Schüler andauernd oder wiederholt nicht der Schulpflicht, sehen sich staatliche Stellen in der Verantwortung, rechtliche Zwangsmaßnahmen umzusetzen. Der Begriff Schulzwang umschreibt die betreffenden Sanktionen zur Durchsetzung der Schulpflicht. Die Schulpflichtverletzungen entsprechen rechtlich in der Regel einer Ordnungswidrigkeit und haben Bußgelder, Zwangszuführungen durch die Polizei sowie – in schweren Fällen – Arreststrafen zur Folge.

1.2       Formen und Bedingungen des Schulabsentismus

Unter den Oberbegriff Schulabsentismus fallen Verhaltensmuster, bei denen Schulpflichtige sich während der Unterrichtszeit weder im Klassenraum noch in der Schule aufhalten und zeitgleich alternative Räume bevorzugen (engl. school absenteeism). Es handelt sich um einen deskriptiven Klammerbegriff, der diverse Muster und Schweregrade schulbezogener Meidung zusammenfasst (Walter & Döpfner 2009; Ricking 2003). Zentrales Merkmal ist somit die illegitime körperliche Abwesenheit aus dem Wirkbereich Schule, somit eine Schulpflichtverletzung. Schulabsentismus ist ein facettenreiches Phänomen mit vielen möglichen Ursachen, Verläufen, Intensitäten und Folgen. Allen Ausprägungen gemeinsam ist lediglich der fehlende Schüler. Es lässt sich folgendermaßen definieren:

Schulabsentismus umfasst diverse Verhaltensmuster illegitimer Schulversäumnisse multikausaler und langfristiger Genese mit Einflussfaktoren der Familie, der Schule, der Peers, des Milieus und des Individuums, die einhergehen mit weiteren emotionalen und sozialen Entwicklungsrisiken, geringer Bildungspartizipation sowie einer erschwerten beruflichen und gesellschaftlichen Integration und die einer interdisziplinären Prävention und Intervention bedürfen.

Die schulmeidenden Verhaltensmuster sind komplex strukturiert und lassen sich hinsichtlich der Bedingungskonstellationen in drei Formgruppen, das Schulschwänzen, die angstbedingte Schulverweigerung und das Zurückhalten (Eltern verhindern den Schulbesuch oder billigen Schulversäumnisse), untergliedern. Diese Klassifikation bezieht sich auf den ätiologischen Kontext, legitimiert sich durch deutlich unterscheidbare Bedingungsfaktoren und ist international anerkannt (Thambirajah, Grandison & De-Hayes 2008). Die Dreiteilung ist nicht streng separierend aufzufassen, sondern wirklichkeitsgerechter wird sie als Konstrukt mit orientierender Funktion in einem Feld von Verhaltensbildern zum Schulbesuch verstanden. So muss ein bestimmter Anteil der Fehlzeiten sogenannten Mischformen in Rechnung gestellt werden, in denen bei Schülern einzelne Merkmale zusammen auftreten oder phasenweise wechseln (Berg, Nichols & Prichard 1969; Walter & Döpfner 2009). Die Differenzierung in drei Subformen dient sowohl zur formellen Strukturierung des Gegenstandes als auch als Folie zur diagnostischen Einschätzung eines Falles. Lehrkräfte und andere Professionelle benötigen diagnostische Hilfen, die in der Lage sind, die Komplexität des Feldes und die Variabilität der Erscheinungsformen, Motive und Bedingungen in Struktur zu bringen.

1.2.1     Risikofaktoren für Schulabsentismus und Dropout

Risikofaktoren werden als Bedingungen verstanden, die die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung, psychischen Störung oder Erkrankung (über die Grundrate der diesen Bedingungen nicht ausgesetzten Personen) erhöhen. Es handelt sich dabei um ökologische, sozio-ökonomische, psychische oder physische Bedingungen beim oder im Umfeld des Heranwachsenden, die eine positive Entwicklung beeinträchtigen oder hemmen und die Wahrscheinlichkeit für Fehlentwicklungen erhöhen (Beelmann & Raabe 2007).

Hilfreich ist die Unterscheidung von proximalen Faktoren, die sich direkt auf das Kind (z. B. unzureichende Beaufsichtigung) und distalen Faktoren, die sich eher indirekt über Mediationsprozesse auswirken (z. B. dauerhafte Arbeitslosigkeit der Eltern). So steht materielle Armut nicht in direktem Zusammenhang mit Lern- oder Verhaltensstörungen, sondern stellt lediglich einen Marker einer Risikogruppe dar und benötigt Konkretisierungen, um Aussagekraft und Erklärungswert zu gewinnen. In diesem Kontext ist zu berücksichtigen, dass der Einfluss von Risikofaktoren auf das Lernen oder Verhalten auch das Ergebnis kognitiv-emotionaler Verarbeitungsprozesse darstellt. Kinder verarbeiten Probleme in ihrer Lebenswelt je nach Anlagen und erworbenen Merkmalen (z. B. Selbstwirksamkeitserwartung, Selbstwertgefühl, Kontrollüberzeugungen) unterschiedlich (Mietzel 1998). Dieser wichtige Aspekt in der Handlungsregulation wird in Fachdiskussionen zumeist mit dem Begriff Coping gekennzeichnet und verdeutlicht die hohe interindividuelle Variabilität der Ausgangsbedingungen in Entwicklungsprozessen. Zu sehr wirken in einer biopsychosozialen Perspektive situative und personale Umstände in der Entwicklung zusammen (Petermann, Kusch & Niebank 1998).

Ob und wie Lebens- und Lernbelastungen verarbeitet werden können, ist auch stark abhängig von den zeitlichen Ausmaßen, in denen die Heranwachsenden ihnen ausgesetzt sind. Häufig wiederkehrende und langandauernde Negativeinflüsse (persistente im Gegensatz zu situativen Risikofaktoren), zu Verbünden gehäuft, sind nur schwer konstruktiv zu verarbeiten, wirken sich am massivsten aus und überfordern mitunter die Möglichkeiten der konstruktiven Bewältigung. Zur näheren Einschätzung der Belastung eines Kindes sollte die Anzahl bzw. Kumulation, die Kombination und die Abfolge der Faktoren ebenso betrachtet werden wie die mögliche Wirkungen verstärkende Interaktion im Prozess. Diese variablen Größen sind vor dem Hintergrund der psychischen Widerstandsfähigkeit des Betroffenen und seiner Personenmerkmale (Alter, Geschlecht, Entwicklungsphase, Vulnerabilität, …) zu interpretieren (Beelmann & Raabe 2007). Vor diesem Hintergrund schlagen Beelmann & Raabe (2007, 55) folgende Charakterisierung für Fehlentwicklung vor:

»Fehlentwicklung (gleich welcher Art) kann nach dieser Konzeption als das Resultat eines dynamischen Entwicklungsprozesses verstanden werden, der durch ein relativ ungünstiges Verhältnis von Vulnerabilitäten (als personale Risiken) und Stressoren (als soziale Risiken) zu Resilienz (personale Schutzfaktoren) und Ressourcen (soziale Schutzfaktoren) gekennzeichnet ist.«

Tab. 1: Signifikante Risikofaktoren für schulischen Dropout

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KategorieRisikofaktor

Dabei sind festgestellte Fehlanpassungen nicht dichotom und kategorisch von gelungenen Anpassungen zu differenzieren. Fließende Übergänge oder aktuelle Positionen in einem Polaritätsprofil charakterisieren die Entwicklungsergebnisse dynamischer Interaktion zwischen normgemäßem und -abweichendem Verhalten besser. Es ist davon auszugehen, dass bei Individuen in belastenden Lebenssituationen regelhaft mehrere Risikofaktoren wirken (Multikausalität), die leicht kumulieren und interagierende Belastungskomplexe bilden. D. h. eine multiple Risikobelastung ist eher die Regel als die Ausnahme.

Ein häufiges oder dauerhaftes Fernbleiben von der Schule kommt i. d. R. erst durch ein komplexes Wechselspiel zwischen den Merkmalen eines Schülers und dessen Umweltbedingungen zustande. Schulabsentismus kann als multikausal bedingtes Verhalten aufgefasst werden, in dem die relevanten Einflussgrößen aus unterschiedlichen Bereichen in komplexen Regelsystemen kumulieren und in dynamischem Interaktionszusammenhang stehen (Shute & Cooper 2014; Corville-Smith et al. 1998). In der Entwicklung schulmeidender Verhaltensmuster bis zum Dropout sind Risikoeinflüsse v. a. hinsichtlich psycho-sozialer Dispositionen des Schülers, familiärer Interaktions- und Lebensbedingungen, schulischer Rahmungen und Bindungen sowie Wirkungszusammenhängen zu berücksichtigen, die von Gleichaltrigen(gruppen) ausgehen (Kearney 2001; Ricking 2003).

Beispiel Langeweile

Das jedem vertraute Alltagsphänomen Langeweile wird seit kurzem auch in Bezug auf die Schule wissenschaftlich untersucht. Ihre Bedeutung in diesem Kontext ergibt sich u. a. aus möglichen Folgeproblemen der handlungsbegleitenden Emotionen im Unterricht wie Verhaltensbeeinträchtigungen, Schulabsentismus und Dropout (Schreiber-Kittl & Schröpfer 2002; Simon 2002; Wagner, Dunkake & Weiß 2004; Götz & Frenzel 2006). Langeweile wird verstanden als Emotion mit (leicht- bis mittelgradig) negativer Bedeutung, die in Verbindung mit einer aktuellen Situation steht und durch sie (z. B. eine Aufgabe) initiiert wird (Lohrmann 2008). Ein sich langweilender Mensch ist ohne Aufgabe oder mit einer konfrontiert, die ihn nicht interessiert und motiviert oder in der er keinen Sinn erkennt. Langeweile ist zumeist klar erkennbar an fehlender körperlicher Spannung, an ausdrücklichem Abwenden vom gewünschten Fokus, an abschweifenden Gedanken, emotionaler Indifferenz oder Unzufriedenheit und dem motivationalen Drang nach Veränderung oder Vermeiden der Situation. Götz und Frenzel (2006) skizzieren in ihrer Taxonomie auch eine »reaktante Langeweile«, die stark negativ erlebt wird und in Aggression mündet. Wird davon ausgegangen, dass sich ein Lernender, um effektiv zu lernen, aktiv und emotional involviert in eine anregende Lernsituation begibt und in der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand viel aktive Lernzeit verbringt, ist ein Zustand der Langeweile mit fehlendem Interesse, ausbleibender Stimulation und Konzentration lernfeindlich (Belton & Priyadharshini 2007). Die empfundene Bedeutungslosigkeit der Gegebenheit, in der sich der Schüler befindet, das Abschalten und in der Folge die erfahrene Leere durch die ausbleibende Beschäftigung wie auch das Gefühl einer sich zäh ziehenden Zeit bedingen Passivität und lähmendes Nicht-Engagement. Didaktisch bringt diese deaktivierende Emotion eine Fehlpassung zwischen den Lernvoraussetzungen und Neigungen des Kindes bzw. Jugendlichen und dem konkreten unterrichtlichen Angebot zum Ausdruck. Schulische Langeweile sollte angesichts der überwiegend negativen Folgen wie ausbleibende Lernfortschritte somit nicht oder in so geringem Ausmaß wie möglich in Erscheinung treten. Nach der Analyse von Götz, Frenzel und Pekrun (2007, 316) wird schulische Meidung als subjektive Lösungsstrategie gegen Langeweile eingeschätzt:

»Meidensorientierte Bewältigung meint die behaviorale oder mentale Flucht bzw. die Vermeidung einer Konfrontation mit einer Situation, indem man sich erst gar nicht in diese begibt (mentale Ablenkung; Verlassen der Situation wie beispielsweise zur Toilette gehen oder vortäuschen, dass einem unwohl ist; Zuspätkommen, Absentismus).«

Insofern ist Langeweile in der Schule eine häufige, ein erheblicher Teil des Unterrichts im Erleben vieler Schulkinder ist davon geprägt, (vgl. Götz, Frenzel & Pekrun 2007; Simon 2002), aber pädagogisch unerwünschte Erscheinungsform und kann als wichtiger Indikator für Veränderungen im Unterricht fungieren (Shute & Cooper 2014).

1.2.2     Schulschwänzen

Beim Schulschwänzen (engl.: truancy) handelt es sich um ein Verhaltensmuster, bei dem Schüler im Rahmen einer ablehnenden Einstellung Schule, Unterricht oder Lehrer missbilligen und dieses durch Fernbleiben vom Unterricht oder Zuspätkommen deutlich machen (Goldstein, Little & Akin-Little 2003). Die bedingende (Doppel-)Motivation kommt durch das Vermeiden der unlustgetönten schulischen Leistungssituation und das Überwechseln in befriedigendere Verhaltensweisen außerhalb der Schule zum Ausdruck. Schüler, die schwänzen, versuchen, ihr Verhalten möglichst zu verbergen, suchen während des Vormittags eine attraktivere Beschäftigung oft außerhalb des elterlichen Hauses auf und zeigen sich schulischen Erwartungen gegenüber aversiv oder gleichgültig. Starke schulbezogene Ängste sind zumeist nicht anzutreffen.

Nicht überraschend zeigt das Schulschwänzen enge Bezüge zu schwierigen Lebens- und Erziehungslagen in den Familien (Reid 1999; Dunkake 2010). Vor allem die Lebensverhältnisse in der primären Sozialisationsinstanz, die vielfach durch sozioökonomische Erschwernisse und ein ungünstiges Familienklima bestimmt werden, bedingen für einen Teil dieser Kinder und Jugendlichen keinen positiven Entwicklungsrahmen. Als familiale Risikofaktoren gelten u. a. ein niedriger sozioökonomischer Status, Trennung der Eltern, geringe familiale Bildungsambitionen, unzureichende erzieherische Aufsicht und allgemein wenig Unterstützung für schulische Belange durch die Erziehungsberechtigten (Corville-Smith et al. 1998; Dunkake 2010). Die Untersuchungen liefern vor dem Hintergrund häufiger Armut, Arbeitslosigkeit, eines problembelasteten Stadtteils wie auch bildungs- und schulaversiver Einstellungen prägnante Hinweise auf z. T. massive Belastungslagen auf der Elternseite, die die Erziehungskompetenz und -performanz sowie Möglichkeiten eigener Verhaltenssteuerung einschränken (Reid 1999). Daneben sind eine geringe Aufmerksamkeit hinsichtlich der kindlichen Bedürfnisse als Faktoren der Gefährdung zu nennen, wie auch nicht ausreichendes, aber pädagogisch notwendiges Kontrollverhalten (Epstein & Sheldon 2002; Dunkake 2010). Insofern findet Schulschwänzen oft in für Bildungsziele ungünstigen familialen Bedingungen des Aufwachsens einen frühen Ausgangspunkt. Diese benachteiligenden Bedingungen können mitverantwortlich dafür gemacht werden, dass einerseits die Kinder bei Schuleintritt nicht über die von der Schule erwarteten Lern- und Verhaltensvoraussetzungen verfügen, andererseits die nötige Beaufsichtigung und Kontrolle, aber auch Hilfe und Unterstützung bei schulischen Aufgaben und Schwierigkeiten von den Erziehungsberechtigten nicht oder nur unzureichend geleistet werden (zusammenfassend Ricking 2006). In deutlichem Maße zeigen sich für einige Kinder und Jugendliche ein Verlust an normativer Orientierung und eine Schwächung stützender sozialer Netzwerke (Castello & Schutzbach 2014). Einen besonders ungünstigen Entwicklungsrahmen schaffen degenerierende Familien, in denen kaum noch Gemeinsamkeit erlebt wird, in denen Kinder nicht ausreichend versorgt werden und selten positive Beziehungsangebote bekommen, sondern stattdessen unangemessene Erfahrungsangebote über die Medien (Rehbein, Kleimann & Mößle 2009). Insofern ist Schulabsentismus auch als Marker für soziale Problemlagen zu werten, die in den Familien vielfach nur wenig Raum für eine angemessene Aufsicht und Unterstützung des Kindes in schulischen Belangen lassen (Beekhoven & Dekkers 2005). Die Folgen sind pädagogisch hoch bedeutsam: Erzieherische Qualität bricht für eine beträchtliche Zahl von Kindern ein, während die Bedeutung von schulischen Bildungsverläufen und v. a. Abschlüssen steigt (Corville-Smith et al. 1998; Garnier, Stein & Jacobs 1997).

Schulisch zeigt sich der Zusammenhang zwischen Schulschwänzen und Leistungsversagen