Cover

Mark Spoerer

C&A

Ein Familienunternehmen
in Deutschland, den Niederlanden
und Großbritannien

1911–1961







C.H.Beck

Zum Buch

Die Geschichte von C&A steht paradigmatisch für die Ökonomisierung und Rationalisierung der Herstellung und des Verkaufes von Kleidung seit Ende des 19. Jahrhunderts. Mark Spoerer beschreibt die wechselvolle Geschichte des Familienunternehmens vom Start in Deutschland bis in die Jahre des Wirtschaftswunders. Dabei untersucht er auch, wie sich die Tradition der Familie Brenninkmeijer, den Unternehmernachwuchs nur aus den eigenen Reihen zu rekrutieren, auf die Unternehmensstrategie auswirkte.

Ursprünglich aus dem westfälischen Wanderhandel kommend, begannen die Brüder Clemens und August Brenninkmeijer 1841 ein Unternehmen in den Niederlanden aufzubauen, das 1911 nach Deutschland und 1922 nach Großbritannien expandierte. Trotz der Schwierigkeiten, die die Brenninkmeijers als Ausländer, Kapitalisten und Katholiken im Dritten Reich hatten, nutzten sie die geschäftlichen Chancen, die das Regime Unternehmen bot, etwa bei der „Arisierung“ von Immobi-lien. Nach 1945 verzeichnete das Unternehmen in der beginnenden Konsumgesellschaft ein stürmisches Wachstum und entwickelte sich zu einer der größten europäischen Modeketten.

Über den Autor

Mark Spoerer, geboren 1963 in Köln, studierte Geschichtswissenschaft und Volkwirtschaftslehre an der Universität Bonn. Nach seiner Promotion 1995 an der dortigen Philosophischen Fakultät und seiner Habilitation 2003 an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Hohenheim (Stuttgart) folgten Gastprofessuren in Barcelona, Tokio und Paris. Seit 2011 ist er Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Regensburg.

Von ihm erschienen zahlreiche Publikationen zur Wirtschafts-, Unternehmens- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, z.B. „Neue deutsche Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts“ mit Jochen Streb (2013).

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: Einleitung

Kapitel 2: Der Aufstieg der Brenninkmeijers (1600–1918)

Von Wanderhändlern zu Ladeninhabern

Die Expansion von C&A in den Niederlanden

Neue Schichten, neue Kunden

Der Einstieg in die Herrenmode

Änderungen in der Corporate Governance

Der Sprung nach Deutschland 1911

C&A im Ersten Weltkrieg

Kapitel 3: C&A im Auf und Ab der Zwischenkriegszeit (1919–1938)

C&A Holland

Der Sprung nach Großbritannien 1922: C&A Modes

C&A in Deutschland

In der Weimarer Republik (1919–1932): C&A auf Expansionskurs

Die Zeit der Inflation: Flucht in die Sachwerte und in die Produktion

Wiederbeginn der Expansion: mehr Filialen, neue Kunden

Freche Werbung in einem umkämpften Markt

C&A Deutschland in der Weltwirtschaftskrise

C&A im Dritten Reich (1933–1939): Zwischen traditionellen Werten und opportunistischem Gewinnstreben

Konfliktfelder: Ausländer, Katholiken und Kapitalisten

Anzüge, Kleider oder Uniformen? Ausweitung der Produktion

Ausweitung des Filialnetzes und politische Widerstände

Wohltätigkeit und Schutzgelder: das «Konto A»

Werbung im totalitären Staat

Immobilien ja, Firmen nein: C&A und die «Arisierung»

Ein hochprofitables multinationales Unternehmen

Kapitel 4: Freund oder Feind? Als niederländischer multinationaler Konzern im Zweiten Weltkrieg (1939–1945)

C&A Holland unter deutscher Besatzung

C&A Deutschland in der Kriegswirtschaft

Der Einzelhandel im Krieg: Kleiderkarte statt Werbung

C&A als Produzent: Wehrmachtsaufträge, Auftragsverlagerung ins Ausland, Ghetto-Produktion und Zwangsarbeit

C&A Modes im «Blitz»

Gewinn und Verlust: die Geschäfte von C&A im Zweiten Weltkrieg

Kapitel 5: C&A im Zeichen des Kalten Krieges und des «Golden Age» (1945–1961)

Flucht nach Westen: der holprige Start in den Vereinigten Staaten

Wiederbeginn in den Niederlanden

C&A Modes

Totalverlust und Wiederaufbau: C&A Deutschland in Ost und West

Ostdeutschland: Verlust aller Häuser

Westdeutschland: Schwarzmarkt und Währungsreform

Expansion im «Wirtschaftswunder»

Auf- und Ausbau der Eigenfabrikation

«Barkauf ist Sparkauf bei C&A»

C&A und der Kampf um den Ladenschluss

Werbung im «Muff» der Wiederaufbaujahre

Goldene Jahre: C&A im Nachkriegsboom

Kapitel 6: Familie oder Markt? Unternehmernachfolge, Führungskräftenachwuchs und Corporate Governance bei C&A

Das Nachfolgeproblem in der Terminologie des Principal-Agent-Modells

Kinderreichtum, Ausbildung, interner Wettbewerb und Unitas als Antworten auf das Nachfolgeproblem

Ausbildung des Führungskräftenachwuchses

Karriere in der «Firma»

Weibliche Führungskräfte

Von jongelui zu ondernemers

Ausscheiden mit 55 Jahren

Unitas

Corporate Governance à la C&A: die institutionelle Umsetzung der Unitas

Entscheidungsfindung im Unternehmerkreis

Wandlungen der Konzernstruktur

Kapitel 7: Zusammenfassung

Anhang

Die Unitas-Regeln

Übersichten

Bei C&A tätige Unternehmer der Familie Brenninkmeijer

Die C&A-Unternehmer in den Niederlanden, Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten 1911–1961

Die Anzahl der Mitarbeiter von C&A Deutschland und C&A Modes

Verzeichnis der C&A-Firmen

Umsätze, Gewinne und Rentabilität der C&A-Konzerne in den Niederlanden, Deutschland und Großbritannien 1841 bis 1961

Marktanteile der C&A-Einzelhandelsfirmen in den Niederlanden, Deutschland und Großbritannien 1930 bis 1961

Die Spenden der C&A-Konzerne in den Niederlanden, Deutschland und Großbritannien 1926 bis 1961

Wechselkurse des Gulden, der Mark und des Pfunds zum US-Dollar 1913 bis 1961

Dokumentensammlung

Schreiben des C&A Hauptbüros an Hermann Göring am 15. Oktober 1937

Schreiben von Franz Brenninkmeijer an die leitenden Angestellten von C&A Deutschland am 4. September 1939

«Feldpostbrief» von Dr. Rudolf Brenninkmeijer an die einberufenen Mitarbeiter von C&A-Deutschland am 16. Juli 1941

«Feldpostbrief» von Franz Brenninkmeijer an die einberufenen Mitarbeiter von C&A-Deutschland am 2. Dezember 1942

Verzeichnisse

Verzeichnis der Abkürzungen

Verzeichnis der Abbildungen

Verzeichnis der Übersichten

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Register

Fußnoten

Vorwort

Dieses Buch ist Resultat eines mehrjährigen Forschungsprojekts an der Universität Regensburg, das vom C&A-Unternehmerkreis der Familie Brenninkmeijer finanziert wurde. Die Mitglieder dieses Kreises sind seit der Gründung 1841 bis heute alleinige Eigentümer von C&A. Zielsetzung des Forschungsauftrags war, eine heutigen historiografischen Standards entsprechende Geschichte von C&A zu schreiben. Der geografische Schwerpunkt sollte auf Deutschland liegen, wo C&A seit 1911 Filialen betreibt, und der zeitliche auf dem Dritten Reich (1933 bis 1945). Für diesen Zeitraum wurde eine möglichst lückenlose Aufarbeitung aller unternehmensrelevanten Sachverhalte angestrebt. Von Interesse war dabei insbesondere die Zeit des Zweiten Weltkriegs. In diesen Jahren befanden sich das Stammhaus in den besetzten Niederlanden und die beiden Schwestergesellschaften bei den Kriegsgegnern Deutschland und Großbritannien.

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Werbeplakat von C&A Holland aus dem Frühjahr 1924

Quelle: DCM, Sig. 128548.

Alleiniger Autor und alleinverantwortlich für den Inhalt bin ich. Im Rahmen des Projekts arbeiteten Uwe Balder, Anna Pauli und Julia Schnaus als Doktorand/inn/en an Studien zum deutschen Textileinzelhandel und der deutschen Bekleidungsindustrie, also denjenigen Branchen, in denen C&A im Untersuchungszeitraum 1911 bis 1961 hauptsächlich aktiv war. Ihrer schnell wachsenden Expertise habe ich zu verdanken, dass ich einige Fehler und vorschnelle Interpretationen revidieren konnte. Martin Götz, Arthur Haberlach, Silvana Hofmeister, Joshua Hruzik, Johannes Kiechle, Julia Langholz, Alfred Reichenberger und Michael Rösser haben mich in verschiedenen Phasen der Recherche und der Manuskripterstellung unterstützt. Roswitha Geiger hat uns mit ihrem unermüdlichen Engagement von den organisatorischen Lasten befreit, die ein solches Projekt mitbringt. Auch die Verwaltung der Universität Regensburg hat unkompliziert zum termingerechten Gelingen des Projekts beigetragen.

Mein Dank gilt aber auch dem Unternehmerkreis der Familie Brenninkmeijer, der mir mit viel Vertrauensvorschuss den Zugang zu Material ermöglicht hat, in dem gelegentlich auch familieninterne und somit für diese Untersuchung nicht relevante Vorgänge dokumentiert sind. Das von diesem Kreis eingesetzte «History Gremium» unter der Leitung von Joseph Brenninkmeyer, dem zudem Kai Bosecker, Bert und Erik Brenninkmeijer, Aloys Buch, Bernd Hillekamps und Arie Tervoort angehörten, hat das Projekt mit viel Anteilnahme und Engagement begleitet und Interviews mit Zeitzeugen ermöglicht. Albert, Ernest, Nico und Rudolf Brenninkmeijer sowie Karl-Heinz Henrichfreise, Edgar Klees und Paul Meyer haben mir in interessanten Gesprächen wichtige Hintergrundinformationen und Einsichten vermittelt. Die Diskussionen mit dem History Gremium über insgesamt drei Manuskriptfassungen fanden in sehr guter und konstruktiver Atmosphäre statt und haben in erheblichem Maße zur Qualität des Textes beigetragen. Herrn Hillekamps möchte ich in diesem Zusammenhang besonders danken.

Von unschätzbarer Bedeutung war die hervorragende Unterstützung von Kai Bosecker, der für das Unternehmensarchiv Mettingen (Westfalen) zuständig ist. Er stellte unter sachkundiger Mitarbeit von Annegret Buller kurzfristig die Akten zusammen, erkundete schon vor Beginn des Projekts viele Bestände in öffentlichen Archiven, gab zahlreiche Hinweise und schrieb wichtige Hintergrundberichte, etwa zur sogenannten Arisierung in Deutschland. Für externe Archivrecherchen danke ich außerdem Frau Annemarie Vriezen, die im Nationaal Archief Den Haag recherchierte, Adrian Leonard und John Loughlin (National Archives, Kew), Alfons Adam und Alena Buršíková (Brünn) und vor allem Roman Smolorz (Breslau, Brünn, Łódź, Ostrau, Warschau). Wichtige Informationen erhielt ich unter anderem von Johannes Bähr, Frans van Poppel sowie Ben Wubs und zur Projektorganisation von Joachim Scholtyseck.

Ute Siepermann schließlich hat über etliche Jahre das Projekt und zum Schluss auch das Manuskript mit Wohlwollen, Humor und einer gesunden Abneigung gegen überlange Satzkonstruktionen begleitet.

Ihnen allen sei herzlich gedankt.

Mark Spoerer, Mitte März 2016

Kapitel 1

Einleitung

«Klamotten kaufen» – dieser Ausdruck ist für die deutsche Schriftsprache erst seit dem Jahr 1972 nachgewiesen.[1] Im Begriff «Klamotten», der 1882 erstmals schriftsprachlich auftauchte und Mitte der 1930er Jahre in Deutschland populär wurde, schwingt, etwas herablassend, die schnelle und billige Verfügbarkeit von Kleidungsstücken mit. Doch der Erwerb von Kleidung war für die meisten Bevölkerungsschichten bis mindestens im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts mit Ausgaben verbunden, die wohlüberlegt sein wollten. Neue Kleidungsstücke nähte man (beziehungsweise frau) selbst mit dafür gewebten oder erworbenen Stoffen, oder man ließ sie vom Schneider herstellen, der den Stoff passgenau zuschnitt und nähte. Eine solche Dienstleistung hatte natürlich ihren Preis und kam für Konsumenten der unteren Schichten meist nur bei Kleidung für besondere Anlässe infrage.

In west- und mitteleuropäischen städtischen Unterschichtenhaushalten gab man in den 1850er Jahren immer noch gut 65 Prozent des gesamten Haushaltseinkommens für Nahrungsmittel aus und jeweils knapp 15 Prozent für Kleidung und Wohnung (einschließlich Heizung und Beleuchtung). Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts stieg im Zuge der Industrialisierung die gesamtwirtschaftliche Produktivität in Deutschland und den Niederlanden nachhaltig an. Damit erhöhte sich auch der Lebensstandard, der sich langsam demjenigen in Großbritannien, der führenden Wirtschaftsnation, annäherte. Mit steigendem Wohlstand wuchsen die Ausgaben für Lebensmittel unterproportional – man isst kaum mehr, wenn man wohlhabender wird, allenfalls kauft man sich qualitativ hochwertigere Lebensmittel. Die Ausgaben für Kleidung und Wohnung entwickelten sich dagegen proportional zu den steigenden Einkommen.[2] Um die Wende zum 20. Jahrhundert betrug der Anteil, den (die besonders gründlich untersuchten) belgische Arbeiterhaushalte für Kleidung (einschließlich Schuhe) ausgaben, nach wie vor um 15 Prozent.[3] Dies war in den sich zu dieser Zeit ebenfalls industrialisierenden Nachbarstaaten nicht anders. Gemäß einer groß angelegten deutschen Studie für die späten 1920er Jahre, der neben Arbeiter- auch Angestellten- und Beamtenhaushalte in jeweils zwei Einkommensklassen zugrunde lagen, betrug die Spanne der Ausgabenanteile für Lebensmittel zwischen 48 (arme Haushalte) und 22 (wohlhabende Haushalte) Prozent, während die Ausgabenanteile für Kleidung um 12 Prozent schwankten, bei Angestellten und Beamten jedoch etwas höher lagen als bei Arbeitern.[4] In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fiel der Ausgabenanteil für Kleidung dann von knapp 14 Prozent 1952 über 12 Prozent 1961 auf heute noch etwa fünf Prozent.[5]

Soziale Distinktion durch Tragen besonders eleganter, modischer oder ausgefallener Kleidungsstücke gab es natürlich immer schon, doch blieb diese lange Zeit auf die höheren gesellschaftlichen Schichten beschränkt – allenfalls im «Sonntagsstaat» leisteten sich die weniger Wohlhabenden einen gewissen textilen Luxus. Was man werktags anzog, wurde so lange getragen und «gewendet», bis es nicht mehr zu reparieren oder in der Öffentlichkeit tragbar war. Erst dann nähte oder kaufte man sich Ersatz, der noch im späten 19. Jahrhundert keineswegs neu gefertigt sein musste, sondern auch aus gebrauchten Kleidungsstücken bestehen konnte. Der Markt für Letztere war zu dieser Zeit noch viel bedeutender als heute – «second hand» war für die einfachen Leute der Normalfall. Insbesondere die Unterschichten kauften bis ins späte 19. Jahrhundert fast ausschließlich gebrauchte Kleidung.[6]

Angesichts des Stellenwerts von Kleidung im Rahmen der menschlichen Grundbedürfnisse ist es nicht überraschend, dass die Geschichte sich früh industrialisierender Staaten – weltweit gesehen England, deutschlandweit vor allem Sachsen – eng mit Innovationen im Textilsektor verbunden war. Nachdem zunächst die Produktion von Garn mechanisiert worden war, verlagerte sich der Produktionsengpass vom Spinn- zum Webvorgang und führte auch in diesem Bereich zu neuen Erfindungen. Davon profitierte die beginnende Maschinenbauindustrie, die neben den breiter bekannten Dampfmaschinen für den Bergbau und Lokomotiven für den Bahnverkehr Mitte des 19. Jahrhunderts ganz überwiegend Spinn- und Webmaschinen für den Textilsektor produzierte.

Während die Herstellung von Garn und Geweben einen raschen Prozess der Mechanisierung mit entsprechender Rationalisierung und Konzentration der Produktion durchlief, blieben das Bekleidungsgewerbe und der Texileinzelhandel zunächst kleingewerblich organisiert, oft in Personalunion des Schneiders um die Ecke. Der Grund ist offensichtlich: Der Spinn- und Webprozess ist im Wesentlichen zweidimensional, doch das Anpassen des gewebten Stoffs an den menschlichen Körper ist weitaus diffiziler und entzieht sich einfacher Standardisierung, der Vorbedingung von Massenproduktion. In größeren Serien wurde noch Anfang des 19. Jahrhunderts allenfalls für das Militär produziert. Dicke und dünne, große und kleine Soldaten benötigten unterschiedliche Uniformgrößen. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die ersten Standardisierungen in der Textilproduktion für das Militär eingeführt wurden.[7]

Steigenden Einkommen mit proportionaler Ausgabenneigung für Kleidung standen also zunehmend standardisierte Produktionsverfahren in der militärischen Beschaffung gegenüber. Es war nur eine Frage der Zeit, wann findige Unternehmer begannen, auch für den zivilen Massenbedarf auf Vorrat zu fertigen, sodass «von der Stange» verkauft werden konnte. Die Geburtsstunde der «Konfektion», also der Herstellung von textilen Massenprodukten auf Vorrat anstelle der individuellen Produktion auf Bestellung, fand in mehreren entwickelten Staaten gleichzeitig etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts statt. Kurz danach trat die Nähmaschine ihren Siegeszug an. Im Unterschied zu Spinnmaschinen und mechanischen Webstühlen war sie bald sehr billig und wurde daher in viel stärkerem Maße von Privathaushalten erworben als Spinnräder oder Webstühle.[8] Mit ihr ließen sich noch nicht ganz perfekt passende Kleidungsstücke – oder solche, denen der Körperumfang entwachsen war –, schnell anpassen.

Die im Kleiderhandel tätigen Unternehmer realisierten schnell, dass hier ein Markt entstanden war, auf dem man Größenvorteile nutzen konnte. Mit größeren Einkaufsmengen ließen sich höhere Rabatte bei den Konfektionsherstellern heraushandeln und umgekehrt mit größeren Verkaufsmengen die Fixkosten (Miete, Verwaltung, sehr früh auch Werbung) besser verteilen. Eine geringere Spanne zwischen Verkaufs- und Einkaufspreis konnte durch hohen Umsatz überkompensiert werden. Warenhäuser entstanden, ebenso erste größere Textilkaufhäuser und bald auch Textilketten, in deren Filialen man neben Stoff auch die neuen vorgefertigten Kleidungsstücke kaufen konnte.[9]

Eine dieser frühen in den Niederlanden und ab 1911 auch in Deutschland tätigen Einzelhandelsketten ist C(lemens) & A(ugust) Brenninkmeijer. Ein Zweig der schon seit mindestens dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts im westfälisch-niederländischen Gebiet tätigen Familie Brenninkmeijer[10] betrieb seit 1841 unter der neu gegründeten Firma C. & A. Brenninkmeijer ein für den Wanderhandel genutztes Lagerhaus im niederländischen Sneek. Dort eröffnete das Unternehmen am 14. August 1860 einige Häuser weiter auch sein erstes Ladengeschäft für Stoffe und Damenoberbekleidung.[11] Seit Anfang des 20. Jahrhunderts konzentrierte sich C&A ganz bewusst auf den Massenmarkt für die unteren (Einkommens-)Schichten und warb offensiv damit, «moderne, schicke, solide Kleidung jeglicher Art für Damen und Kinder zu durchweg ungewohnt billigen Preisen» anzubieten.[12] Im Jahr 1911 wagten die Brenninkmeijers den Sprung nach Deutschland mit der Eröffnung ihrer ersten Filiale in Berlin, der mit Abstand größten deutschen Stadt und Zentrum der deutschen Damenoberbekleidungsindustrie. C&A sollte sich binnen zwei Jahrzehnten zu einer der größten europäischen Modeketten entwickeln, nach dem Zweiten Weltkrieg sogar Marktführer in Westeuropa werden und diese Position bis in die 1980er, teils bis in die 1990er Jahre halten. Parallel zur Entwicklung in den Niederlanden und Deutschland gründeten die Brenninkmeijers ab 1922 auch in Großbritannien zahlreiche weitere Filialen. Ende 1961 verkaufte der Konzern in 101 europäischen C&A-Filialen und zwei weiteren in New York Kleidungsstücke im Wert von umgerechnet über 500 Millionen Euro an eine Kundschaft, die überwiegend aus der Angestellten- und Arbeiterschicht kam.[13] Deutschland war seit 1929 der wichtigste nationale Markt für den C&A-Konzern und blieb es im Untersuchungszeitraum.[14]

Dieses Buch zeichnet die Geschichte von C&A mit Schwerpunkt auf der Entwicklung des 1911 gegründeten deutschen Unternehmenszweigs bis zum Jahre 1961 nach, als Westdeutschland die Vollbeschäftigung erreichte (1960) und sich die DDR Mitte August durch den Bau der Mauer abschottete. Für den westeuropäischen Textileinzelhandel stellten die 1950er Jahre eine wichtige Zäsur dar, da sich der Markt von einem «Verkäufermarkt», auf dem die Warenbeschaffung das Problem war, zu einem «Käufermarkt» wandelte, auf dem sich die Anstrengungen des Einzelhandels auf den Absatz konzentrieren mussten.[15] Seit 1963 errichtete C&A in vielen weiteren Staaten Modeketten, was hier nicht weiter nachgezeichnet wird.[16] Auch wenn der Schwerpunkt der Darstellung auf der Entwicklung in Deutschland liegt, werden sowohl das Stammunternehmen in den Niederlanden als auch die 1922 in Großbritannien gegründete C&A Modes mit einbezogen, weil viele organisatorische Veränderungen bei C&A Deutschland nur im Verbund mit dem Konzern und letztlich der Unternehmerfamilie zu verstehen sind. In diesem Zusammenhang wird auch der Beginn von C&A in den Vereinigten Staaten kurz nachgezeichnet, wo die Brenninkmeijers unter dem verheerenden Eindruck der Folgen des Zweiten Weltkriegs und des darauf folgenden Kalten Kriegs für einige Jahre ihre geschäftliche (und private) Zukunft sahen.

Die Geschichte eines Unternehmens zu schreiben, ist methodisch stets ein heikles Unterfangen. Zunächst muss man sich klar machen, dass es in aller Regel eine Gewinnergeschichte ist – das Unternehmen existiert immer noch, und es kann es sich leisten, seine Vergangenheit wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen. C&A steht geradezu paradigmatisch für einen solchen Ausleseprozess, ist es doch eines der letzten Unternehmen, das aus den Ursprüngen des sogenannten Tödden-Wanderhandels als solches übrig geblieben ist.[17] Über untergegangene Unternehmen lässt sich dagegen normalerweise nur wenig in Erfahrung bringen.[18]

Außerdem sind Unternehmen Bestandteil einer Branche und einer Volkswirtschaft. Welcher Anteil des Erfolgs oder Misserfolgs ist dem Unternehmen oder seiner Leitung zuzuschreiben? Lag die Entwicklung des Unternehmens über oder unter dem Branchentrend, und lag die Branche über oder unter dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt? Hätte ein klug geführtes Unternehmen im Strukturwandel geschickt diversifiziert und rechtzeitig die Branche gewechselt, um nicht mit ihr unterzugehen?

Die Konzeption des Projekts, aus dem das vorliegende Buch hervorgegangen ist, war daher von Beginn an darauf ausgerichtet, das wirtschaftliche und politische Umfeld, in dem sich das Unternehmen C&A bewegte, in den Blick zu nehmen. Insbesondere verfolgt es den Anspruch, die Geschichte von C&A vergleichend und im Kontext der Branche darzustellen, weil nur so die Spezifika des Unternehmens herausgearbeitet werden können. Dazu wurden im Rahmen des Gesamtprojekts drei Promotionsthemen vergeben, die sich mit der Geschichte der Bekleidungsindustrie, des Textileinzelhandels und der Werbung im Textileinzelhandel von ca. 1900 bis 1945 beziehungsweise 1975 in Deutschland auseinandersetzen. In den ebenfalls vergleichend angelegten Studien von Anna Pauli über Werbung im Textileinzelhandel und von Julia Schnaus über die Bekleidungsindustrie ist C&A ein Fallbeispiel von mehreren. Ergebnisse aus diesen beiden Studien sind in verschiedene Kapitel dieses Buchs eingeflossen.[19] Nicht nur mit der Studie über die Werbung, sondern auch mit den beiden Branchengeschichten wurde Neuland betreten – Low-Tech-Branchen werden von der wirtschafts- und unternehmenshistorischen Forschung meist links liegen gelassen.[20] Dies gilt in ganz besonderem Maße für den Handel.[21]

Die Frage des unternehmerischen Erfolgs oder Misserfolgs stellt einen Schwerpunkt dieser Darstellung dar. Damit verbunden ist eine tiefergehendere Analyse des Charakters eines Familienunternehmens, das C&A – wie viele andere – zu Beginn des 20. Jahrhunderts war und – im Gegensatz zu fast allen anderen großen, international agierenden Konzernen – immer noch ist. Unter dem Begriff des Familienunternehmens lassen sich viele Varianten von Unternehmenseigentum und Unternehmensführung subsumieren. C&A jedoch war und ist ein Familienunternehmen im ganz engen Sinne des Wortes: Bis Mitte der 1990er Jahre konnten nur männliche Nachkommen in ununterbrochener direkter Linie von Clemens und August Brenninkmeijer in den Kreis der am Gewinn beteiligten Unternehmenseigner aufsteigen. Im Untersuchungszeitraum gab es nur zweimal kurzfristige und von Beginn an als temporär angesehene Ausnahmen, die mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen zusammenhingen. Im Normalfall stellten also ausschließlich Brenninkmeijers das Top-Management (Direktoren), und alle Unternehmensanteile lagen in ihren Händen. Dieses Prinzip wirft interessante Fragen auf: Wie wurde die unternehmerische Nachfolge gesichert, wie erfolgte die Auswahl der Führungskräfte und wie wurden unternehmenspolitische Konflikte gelöst?[22]

Ein weiterer Aspekt, der die Geschichte von C&A so interessant macht, ist die Internationalität der Unternehmerfamilie und ihres Konzerns. Die ersten beiden Unternehmergenerationen der Brenninkmeijers hatten bis Anfang des 20. Jahrhunderts ein pragmatisches Verhältnis zur Staatsbürgerschaft – je nach Opportunität war man Niederländer oder Preuße beziehungsweise Deutscher.[23] Die Niederlande waren im Ersten Weltkrieg neutral und wurden im Zweiten Weltkrieg eines der ersten Opfer des deutschen Expansionsdrangs. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs war C&A in den Ländern der beiden Kriegsgegner Großbritannien und Deutschland präsent, während sich die Zentrale in den besetzten Niederlanden befand. Auch unabhängig vom Zweiten Weltkrieg ist der Vergleich der C&A-Schwestergesellschaften in diesen drei Ländern sehr reizvoll, liegt doch die niederländische Variante des Kapitalismus zwischen den beiden Polen Großbritannien (wirtschaftsliberal und kompetitiv) und Deutschland (korporativ mit viel staatlichem Einfluss), die nach den beiden Politikwissenschaftlern Hall und Soskice in ihrem einflussreichen Buch das Netz der «Varieties of capitalism» in Europa aufspannen.[24] Wie koordinierte man einen solchen Konzern? War die niederländische Staatsbürgerschaft der Brenninkmeijers im Ersten Weltkrieg und vor allem im Dritten Reich eine Belastung oder ein Vorteil? Wie verhielt sich das Management eines Unternehmens, das sowohl im Lande des Siegers als auch im Lande der Besiegten seinen Geschäften nachgehen wollte?

Dieses geschäftliche und, vor allem was das Dritte Reich angeht, ethische Dilemma lenkt den Blick auf einen dritten Aspekt. Die Familie Brenninkmeijer hat ihre Wurzeln im nördlichen Westfalen, wo die Bevölkerung nach der Reformation katholisch blieb. Auch als die Familie ihren geschäftlichen Schwerpunkt in die protestantischen Niederlande, zunächst Friesland, verlegte, behielt sie ihre Konfession bei. Sie hat ihren Glauben in einem ungewöhnlichen Maße gepflegt und sich als Konsequenz daraus stets ethischen Maßstäben verpflichtet gefühlt – seit mindestens 1921 werden in der Regel etwa zehn Prozent des Nachsteuergewinns für wohltätige Zwecke zur Verfügung gestellt.[25] Gleichwohl hat sich der deutsche Zweig der Brenninkmeijers im Dritten Reich an Arisierungen beteiligt, Aufträge an das Ghetto in Łódź vergeben und in mindestens einer Produktionsstätte sowjetische Arbeiterinnen unter miserablen Lebens- und Arbeitsbedingungen beschäftigt. Wie passt dies zum selbst gewählten ethischen Anspruch? Auch in weniger politischen Zusammenhängen wie etwa den betrieblichen Sozialleistungen stellt sich die Frage, inwieweit der Katholizismus das unternehmerische Handeln beeinflusste.

Es sind vor allem Fragen dieser Art gewesen, die den Unternehmerkreis der Brenninkmeijers veranlassten, die Geschichte von C&A wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Um den mittlerweile üblichen historiografischen Ansprüchen zu genügen, ist mir und meinem Team zugesagt worden, Einblick in alle für die Unternehmensgeschichte relevanten unternehmens- und familieninternen Quellen zu erhalten. Der Text des Manuskripts ist natürlich mit Vertretern der Familie und des Unternehmens diskutiert worden, die schlussendliche Formulierung ist jedoch einzig und alleine in meinem Ermessen gewesen. Schließlich haben Unternehmensinhaber und Unternehmen zugestimmt, dass alle im Rahmen des Projekts zitierten unternehmenshistorischen Dokumente im Unternehmensarchiv Mettingen (Westfalen) einsehbar sind.[26]

Bezüglich der Quellen darf man jedoch keine Wunder erwarten. Vertreter der Familie betonten mehrfach in Gesprächen, dass man als Händler bestrebt sei, Waren möglichst schnell durchzuschleusen, und dass man bis vor Kurzem mit nicht mehr aktuellen geschäftlichen Unterlagen im Wesentlichen ebenso verfahren sei.[27] Zudem verbrannte im November 1943 infolge eines Luftangriffs in Berlin ein großer Teil der Akten von C&A Deutschland. Immerhin war kurz zuvor ein Teil nach Mettingen ausgelagert w0rden. Zwanzig Jahre später, am 15. Februar 1963, brannte die niederländische Hauptverwaltung in Amsterdam ab, wobei viele historische Dokumente zerstört oder schwer beschädigt wurden.[28] Glücklicherweise scheint ein Teil von ihnen kurz vor dem Brand für ein unternehmenshistorisches Manuskript ausgewertet worden zu sein, das im Laufe der 1960er Jahre verfasst und Anfang der 1970er Jahre noch handschriftlich ergänzt, jedoch nicht vollendet wurde.[29]

Für diese Studie konnte daher nur in beschränktem Maße auf Vorstands- oder Aufsichtsratsprotokolle beziehungsweise ähnliche Aufzeichnungen zurückgegriffen werden. Für den Zeitraum ab 1919 sind meist äußerst knapp gehaltene, bis 1946 handschriftlich verfasste Protokolle von Gesellschafterbesprechungen erhalten.[30] Von 1925 bis 1960 sind mit Unterbrechungen handschriftliche Direktionsprotokolle von C&A Holland erhalten. In diesen geht es jedoch vorwiegend nur um Pensionen und Gratifikationen. Für die Zeit des Zweiten Weltkriegs, in der wegen Reisebeschränkungen kaum Gesellschafterbesprechungen stattfanden, bieten sie jedoch wertvolle Informationen.[31] Vergleichsweise am besten dokumentiert ist der britische Zweig C&A Modes, für den durchgehend (sehr knappe) Ergebnisprotokolle der Direktionsbesprechungen und von 1941 bis 1954 ausführlichere Besprechungsprotokolle überliefert sind.

Für C&A Deutschland sind vergleichbare Protokolle nur bruchstückhaft erhalten.[32] Immerhin liegen für die Jahre ab 1930 die Rundschreiben des Berliner Hauptbüros an die Geschäftsleitungen der einzelnen deutschen Filialen und ab 1934 die Protokolle der Betriebsleiterversammlungen der deutschen Filialen vor.Für viele Führungskräfte sind außerdem Personalakten erhalten geblieben, die vor allem für die Zeit des Nationalsozialismus wertvolle Hinweise liefern. Dies erlaubt außerdem einer in der unternehmenshistorischen Literatur fast nie thematisierten Frage nachzugehen, die sich bei einem Unternehmen, das vor allem in der Damenoberbekleidung tätig war, in besonderem Maße stellt: Inwieweit konnten weibliche Angestellte in Führungspositionen aufrücken, und wie wurden sie dort im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen bezahlt? Für nicht leitende Mitarbeiter oder die Beziehungen zu Lieferanten ist hingegen so gut wie keine Überlieferung vorhanden. Selbst Angaben über die Größe der Belegschaft sind für alle drei Schwestergesellschaften nur sporadisch vorhanden beziehungsweise aus fragmentarischen Informationen rekonstruierbar. In dieser Hinsicht erwiesen sich für C&A Deutschland die (in öffentlichen Archiven erhaltenen) Buch- und Betriebsprüfungsberichte, die von Prüfern der Finanzverwaltung für die steuerliche Veranlagung erstellt wurden, als sehr ergiebige Quelle, ebenso für den Zeitraum nach 1945 Wirtschaftsprüfungsberichte.[33]

Als sehr aufschlussreich erwiesen sich die Jahresberichte der drei C&A-Unternehmen in den Niederlanden, Deutschland und Großbritannien, die für die Jahre ab 1926 nach weitgehend einheitlichen Kriterien zusammengestellt wurden. Bei diesen Berichten handelt es sich nicht um Bilanzen, sondern um zeitweise ausgesprochen ausführlich kommentierte Gewinn- und Verlustrechnungen. Sie geben einen hervorragenden Einblick in die interne finanzielle Rechnungslegung, ohne allerdings direkte Rückschlüsse auf den Konzern als Ganzes zuzulassen. Zum Teil wird aus ihnen auch ersichtlich, weshalb die Geschäfte sich mal mehr, mal weniger gut entwickelten. Bis 1930 wurden die Rechnungsergebnisse in Schweizer Franken oder niederländischen Gulden ausgedrückt, was die Vergleichbarkeit erleichtert. Seit den Währungsturbulenzen in Deutschland und Großbritannien im Juli und September 1931 blieben die Wertangaben in den Berichten in nationaler Währung. Dies gilt auch für die Nachkriegszeit, obwohl die Wechselkurse im Währungssystem von Bretton Woods wieder weitgehend fix waren. Vor allem die britischen C&A-Jahresberichte zeichnen sich durch eine umfangreiche, auch analytische Berichterstattung aus, die über das Unternehmen hinausgeht, wohingegen sich die zunächst instruktiven niederländischen und deutschen Berichte in den 1950er Jahren zu unkommentierten Zahlenzusammenstellungen wandelten.

Überraschenderweise kommt der Begriff «Mode» in den genannten Quellengruppen nur äußerst selten und dann ausnahmslos in Zusammenhang mit finanziellen Fragen vor. In diesem Buch wird daher wenig über Mode zu lesen sein.[34] Immerhin hat C&A Unterlagen zu verschiedenen Anzeigenkampagnen ziemlich systematisch gesammelt, sodass diese Lücke durch eine entsprechende Bebilderung des Buches etwas gefüllt werden konnte.

In öffentlichen Archiven findet sich nur eine fragmentarische Überlieferung zu C&A. Als nicht rüstungswichtiges Unternehmen fand C&A nur selten Eingang in die sonst unternehmenshistorisch sehr ergiebigen Akten der diversen Berliner Ministerien und Rüstungsdienststellen des Dritten Reichs. Die ganz große Ausnahme sind die oben bereits erwähnten Buch- und Betriebsprüfungsberichte der Steuerbehörden. Wegen der Internationalität der Brenninkmeijers vermuteten die Steuerprüfer immer (und meist zu Recht), dass Gewinne ins Ausland transferiert wurden. Die stets an solchen Vorgängen interessierten Steuerbehörden rekonstruierten minutiös den größten Teil der Auslandsbeziehungen und stellten sehr hilfreiche Schaubilder der Konzernverflechtungen auf. Wenn auch nicht kriegswichtig, so war der Brenninkmeijer-Konzern schon wegen der Steuersummen, um die es ging, so bedeutsam, dass sich der Reichsfinanzminister 1934 persönlich einschaltete. Insbesondere für die Kriegszeit und die darauffolgenden Jahre sind zudem Bestände im Nationaal Archief (Den Haag) und in den National Archives (Kew/London) ausgewertet worden.[35] Dabei zeigte sich allerdings wiederum, dass wenig behördliche Korrespondenz mit einem beziehungsweise über ein Einzelhandelsunternehmen geführt wurde, das nicht kriegswichtig war. Im Nationaal Archief Den Haag sind einige ministerielle Schriftstücke überliefert, die sich mit Kollaborationsvorwürfen der britischen Besatzungsbehörden gegen die in Deutschland ansässigen Brenninkmeijers und mit der Frage der Entschädigung für die in der DDR und Polen enteigneten C&A-Immobilien befassen.

Die Arisierungen in Hamburg, Wuppertal-Elberfeld, Berlin und Bremen sind recht gut aus Beständen in lokalen Archiven rekonstruierbar. Im Zuge unserer Recherchen wurde deutlich, in welch großem Umfang die deutsche Bekleidungsindustrie sowie Textileinzelhandels- und Warenhausketten im Zweiten Weltkrieg Aufträge in den mittelosteuropäischen Ghettos ausführen ließen. Wir haben daher insbesondere in Łódź und Warschau recherchiert, ob sich darunter auch Unternehmen des C&A-Konzerns befanden. Tatsächlich hat die deutsche Ghettoverwaltung in Litzmannstadt (Łódź) im Frühjahr 1941 etlichen Großunternehmen der Branche eine Zusammenarbeit angeboten. Im Falle von C&A kam diese Zusammenarbeit spätestens Ende 1942 zustande und hielt bis zur Einstellung der Ghettoproduktion im Spätsommer 1944 an.[36]

Für den Zeitraum vor 1919 ist für C&A außer einigen Memoiren von Mitgliedern der Familie Brenninkmeijer, einzelnen Bilanzbüchern und wichtigen gesellschaftsrechtlich relevanten Dokumenten kein Archivmaterial vorhanden, weder in unternehmenseigenen noch in öffentlichen Archiven. Für Deutschland erwies sich die von 1886 bis 1936 erschienene Zeitschrift Der Konfektionär, in der recht oft (und kritisch) über C&A berichtet wurde, als erstaunlich ergiebig.[37] Mit Einschränkungen gilt das auch für die von 1899 bis 1935 erschienene Deutsche Konfektion, die zwischen 1927 und 1934 als Zeitschrift für Textilwirtschaft firmierte.

Vom Unternehmen selbst gibt es nur sehr wenige veröffentlichte historische Darstellungen, da C&A bis in die 1990er Jahre geradezu legendär für seine Zurückhaltung in der Öffentlichkeit war.[38] Das hat sich seitdem geändert. Über die Anfänge von Clemens und August Brenninkmeijer im 19. Jahrhundert etwa gibt es einen sehr anspruchsvoll gemachten, fast 200-seitigen Ausstellungskatalog aus dem Jahr 2010. Eine im Jahr darauf veranstaltete Ausstellung mit einem ebenso sorgfältig erstellten Katalog zeichnet die Unternehmensgeschichte von C&A anhand der Werbung nach, auf die das Unternehmen von Beginn an sehr großen Wert legte. Aspekte der Mode, der Werbung und der Kaufhausarchitektur sind in diesem Katalog weitaus ausführlicher und kenntnisreicher dargestellt als in dem vorliegenden Buch, das andere Schwerpunkte setzt.[39]

Die Literatur von unabhängigen Autoren zur Geschichte des Unternehmens C&A beschränkt sich auf zwei deutsche Titel, die beide von Wirtschaftsjournalisten verfasst wurden.[40] Hans Otto Eglau veröffentlichte 1972 ein Buch über Unternehmerdynastien im westdeutschen Handel, in dem neben zwölf anderen Familien auch die Brenninkmeijers behandelt werden. Bettina Weiguny schrieb 2005 ein Buch über die Familie Brenninkmeijer und C&A.[41] Dort findet sich auch die hier nicht behandelte Geschichte des Unternehmens seit den 1960er Jahren. Trotz ihrer populärwissenschaftlichen Aufmachung und genretypischen Meinungsfreudigkeit sind beide Bücher in Hinsicht auf die Fakten gut recherchiert und im Wesentlichen zutreffend.

Zum Thema Textileinzelhandel gibt es aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive nur sehr wenige Studien. Die regionale und lokale Geschichtsschreibung hat sich mit den als «Tödden» (auch Tüötten, Tiötten u.ä.) bezeichneten nordwestdeutschen Wanderhändlern beschäftigt, zu denen auch die Brenninkmeijers gehörten. Im Laufe der Zeit hat sie sich von romantisierenden Vorstellungen und hagiografischer Überzeichnung gelöst und beachtliche sozialhistorische Studien vorgelegt.[42] Eine Pionierarbeit für Deutschland ist die Studie von Uwe Spiekermann über die Entwicklung des Einzelhandels, die neben dem Lebensmittel- auch den Textileinzelhandel berücksichtigt und dabei den Trend zum Warenhaus im späten Kaiserreich thematisiert.[43] Für die Niederlande sind der Übergang zur Konfektionsindustrie und zum modernen Textileinzelhandel vor allem durch Studien von Kitty de Leeuw und Yves Segers aufgearbeitet.[44] West- und mitteleuropäische Warenhaus- und Modekaufhausketten allgemein, aber auch einzelne Unternehmen, sind Gegenstand einer umfangreichen populärwissenschaftlichen Darstellung von Roger Miellet, der selbst einer Familie von Warenhausbesitzern entstammte.[45]

Einzelne Warenhäuser (nicht aber reine Textileinzelhandelsketten wie C&A) sind ebenfalls Gegenstand historischer Studien gewesen. Aus Sicht dieser Untersuchung sind vor allem Studien über Karstadt, Schocken, Wertheim und Marks & Spencer von besonderer Bedeutung.[46] Im Übrigen zeigt ein Vergleich mit den in Übersicht 3.1 (S. 80) und Übersicht 3.7 (S. 122) aufgeführten großen im Textileinzelhandel tätigen Ketten, wie wenig wir heute über Firmen wissen, die praktisch jedem niederländischen oder deutschen Konsumenten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geläufig waren.

Die Literaturlage zur Bekleidungsindustrie ist noch spärlicher. Andrew Godley, der sich seit einigen Jahren ausführlich mit der britischen Bekleidungsindustrie beschäftigt, stellte 1997 fest, dass es wohl keinen wichtigen Industriezweig in der Geschichte der westlichen Welt gebe, der so wenig erforscht sei.[47] Für Deutschland liegt noch keine heutigen wissenschaftlichen Kriterien genügende Branchenstudie vor, während für die Niederlande neben dem bereits genannten Buch von de Leeuw die Darstellung von Wolff-Gerzon aus dem Jahre 1949, die sich primär mit dem Textileinzelhandel beschäftigt, immer noch maßgeblich ist. Aus unternehmenshistorischer Sicht ist vor allem die knappe Geschichte der Hugo Boss AG von Roman Köster zu erwähnen.[48]

Für die Einordnung in größere Zusammenhänge hat sich die neuere unternehmenshistorische Literatur über Familienunternehmen als hilfreich erwiesen. Die internationale Dimension lässt sich vor allem im Standardwerk von Andrea Colli erschließen. Tiefe Einblicke in das Funktionieren westdeutscher Familienunternehmen erlaubt die Dissertation von Christina Lubinski.[49]

Der Aufbau dieses Buches ist angesichts der tiefen Zäsuren, die der Erste und der Zweite Weltkrieg in der Geschichte Europas im 20. Jahrhundert darstellen, chronologisch. Da in diesem Buch die Unternehmensgeschichte in drei Ländern nachgezeichnet wird, folgt diese Chronologie nicht unbedingt nationalen Usancen. So wird vor allem deutsche Leser überraschen, dass die Zeit des Nationalsozialismus (1933 bis 1945) nicht zusammenhängend dargestellt wird. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bedeutete für ein Unternehmen wie C&A, dessen Konzernteile sich zwischen Mai 1940 und Mai 1945 in zwei feindlichen und einem besetzten Land wiederfanden, eine stärkere Zäsur als für ein deutsches Unternehmen, für dessen Geschichte man typischerweise die Jahre des Nationalsozialismus in einem Kapitel zusammengefasst hätte.

Im Zuge der Recherchen wurde klar, dass in einem so großen und verschachtelten Unternehmen, wie C&A es nach dem Zweiten Weltkrieg wurde, viele Informationen über nicht mehr existente Filialen oder Tochterunternehmen aus dem Blick gekommen sind. Daher besteht auch im Unternehmen selbst ein Bedarf nach Überblicksinformationen. Im umfangreichen Anhang finden sich daher unter anderem Übersichtsdarstellungen über die ersten vier Unternehmergenerationen der Familie, sämtlicher Firmen des C&A-Konzerns, insoweit sie vor 1961 bestanden, und sämtlicher bis 1961 errichteter Filialen in den Niederlanden, Deutschland und Großbritannien.

Kapitel 2

Der Aufstieg der Brenninkmeijers (1600–1918)

Die Ursprünge der Familie Brenninkmeijer lassen sich bis in das Jahr 1600 zurückverfolgen, als Johann toe Twee genannt Brenninckmeijer then Brenninckhove einen Bauernhof in Mettingen (Westfalen) zum Lehen erhielt, der 1462 erstmals urkundlich erwähnt wird.[50] Im Tecklenburger Land, zu dem Mettingen gehört, war es auf den Bauernhöfen seit Jahrhunderten üblich, den angebauten Flachs in der Zeit, in der wenig landwirtschaftliche Arbeit anfiel, zu Leinen zu spinnen und dieses zu Leinwand zu weben. Neben der Deckung des Eigenbedarfs hatten die Bauernfamilien damit zusätzlich zu den Erträgen aus der harten landwirtschaftlichen Arbeit ein zweites wirtschaftliches Standbein.

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Abbildung 2.1:  Der Brenninckhof in Mettingen

Quelle: Zeichnung Otto Dicke ca. 1972, DCM, Sig. 109283.

Das nicht selbst benötigte Leinen konnte verkauft werden. In Mettingen wie auch in einigen anderen Dörfern des Tecklenburger Landes (vor allem Hopsten und Recke) gingen viele Bauern beziehungsweise deren Söhne als «Packenträger» oder «Tödden» übers Land, um die in Hausarbeit gefertigten oder zunehmend auch aus benachbarten Regionen hinzugekauften Leinenstücke zu verkaufen. Der Beginn dieses Wanderhandels wird spätestens mit dem 17. Jahrhundert angesetzt.[51] Während dieser Wochen oder sogar Monate dauernden Wanderungen musste die Bauersfrau den Hof mit dem Gesinde alleine führen. Da das Tecklenburger Land Anerbengebiet war, der Hof also ungeteilt an einen der Söhne ging, war der Leinenhandel gerade auch für die nicht erbberechtigten Söhne eine Alternative zur Landwirtschaft.

[52][53]