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Martina Hoblitz

Gegen den Strom


Die Autorin: Wieder ein Ausflug in die Welt des Adels mit seinen Konventionen.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

GEGEN DEN STROM

 

(eine Liebesgeschichte über 2 Generationen)

 

 

von Martina Hoblitz

 

 

 

Kapitel 1

 

 

 

Der alte Baron musterte seine Enkelin mit einem Stirnrunzeln. Dann brummte er: „In unsrer Familie hat es nie irgendwelche künstlerischen Ambitionen gegeben. Das sind die Gene deines nichtsnutzigen Vaters, die da zum Ausbruch kommen.“

 

Wieder einmal hatte er Susanne beim Tanzen und Singen ertappt, als er auf leisen Sohlen in den Salon gekommen war. Das Mädchen sah ihm furchtlos direkt in die Augen und sagte: „Und was ist daran so schlimm, wenn ich das Talent von meinem Vater geerbt hab? Mama mag es. Sie sieht und hört mir gern zu.“

 

Umständlich setzte sich Baron Severin in schweren Ohrensessel und bemerkte: „Deine Mutter hatte leider immer schon einen Hang zu brotlosen Künstlern.“

 

Susanne lachte und meinte: „Ach, Großväterchen, sei doch nicht so brummig! Ich hab wirklich nicht die Absicht, mein Talent zum Beruf zu machen.“ - „Das will ich dir auch nicht geraten haben!“

 

Langsam und genussvoll stopfte er seine Pfeife, und als er sie anfachte, breitete sich ein würziger Duft im Salon aus. Dann sagte er: „Ich hab übrigens mit deiner Mutter gesprochen.“ - „Und worüber?“ wollte Susanne wissen.

 

„Über deine schulische Zukunft.“ - „Was habt ihr beschlossen?“ fragte das Mädchen leicht erschrocken.

 

„Mit Beginn des neuen Schuljahrs gehst du auf ein Internat in der Schweiz! Es ist eine sehr angesehene Schule für Töchter aus gutem Haus.“ - „Das war nie im Leben Mamas Idee!“ regte Susanne sich auf. „Der Einfall stammt allein von dir, und du hast Mama dazu überredet.“ - „Nein, glaub mir, Susanne, wir haben den Entschluss gemeinsam gefasst.“ - „Ach was, ich kenn dich doch!“ winkte das Mädchen ab und erhob sich unwillig. „Was versprecht ihr euch davon?“ - „Du sollst eine Ausbildung erhalten, um in unseren Kreisen zu bestehen. Das beinhaltet nicht nur den Schulunterricht.“ - „Ich kann mir schon lebhaft vorstellen wie das abläuft. Das sind doch Methoden aus dem Mittelalter! Warum darf ich nicht weiter auf eine ganz normale Schule gehen? – Ach, weißt du was? Jetzt werd ich einfach mit Mama selber sprechen.“

 

Und sie eilte aus dem Salon, lief den Flur entlang und dann die Treppe hinauf in das Boudoir ihrer Mutter. Die Baroness Luise von Holstenburg saß vor ihrem riesigen Spiegeltisch, gekleidet in eine Wolke aus fliederfarbenen Rüschen und Spitzen, und ließ sich von der Zofe Martha das lange rotblonde Haar bürsten, als ihre Tochter herein stürmte und sie mit den Worten überfiel: „Das ist doch wohl nicht euer Ernst, mich in ein Internat abzuschieben!“ - „Beherrsch dich, Susannchen!“ meinte Luise ruhig. Und zu Martha: „Danke, du kannst jetzt gehen und mein silbergraues Kostüm bereit legen!“

 

Martha huschte hinaus wie ein verschrecktes Mäuschen. - „Und nun zu dir,“ begann die Baroness und sah ihre Tochter eindringlich an. „Was dein Großvater und ich beschlossen haben, ist nur zu deinem Besten. Immerhin sind wir eine der angesehensten Familien in dieser Gegend. Und du bist schon jetzt eine gute Partie. – Du sollst nicht denselben Fehler machen wie ich und dich unter deinem Stand binden!“

 

Nachdenklich betrachtete Luise ihr Spiegelbild. Sie war immer noch eine sehr schöne Frau. Und ihre Schönheit war es vor allem gewesen, die den Opernsänger Wolfgang Wagner für sie eingenommen hatte.

 

 

Es war ungefähr 19 Jahre her. Baron Severin von Holstenburg hatte zu Ehren seiner Tochter Luise, die volljährig wurde, einen großen Empfang auf Burg Holstein gegeben. Alles was Rang und Namen hatte aus der näheren und weiteren Umgebung wurde eingeladen; darunter viele heiratswillige adelige Söhne, die Luise umwarben. Der Baron war stolz auf seine hübsche Tochter und beobachtete zufrieden, wie gut sie sich in die Gesellschaft einfügte.
In Gedanken sondierte er die vielen Verehrer nach Ansehen und Besitz. Dabei schnitt am besten der Sohn des Grafen Waldau ab. Rüdiger war ein junger gutaussehender Mann von 23 Jahren, der sich ernsthaft bemühte, den Anforderungen seiner Eltern gerecht zu werden. Er war der einzige Sohn und Erbe eines großen Gutes mit anerkannter Pferdezucht. Auch Graf Waldau bemerkte zustimmend den Umgang der beiden jungen Leute.

 

In Wirklichkeit war das Verhältnis zwischen Luise und Rüdiger aber rein freundschaftlich, und die beiden wären recht erschrocken gewesen, wenn sie von den Plänen ihrer Väter gewusst hätten. Luise verstand es ausgezeichnet, ihre Gunst gleichmäßig auf die anwesenden Herren zu verteilen. Außerdem war ihre Freundin, Marianne von Brauenfels, fast immer an ihrer Seite.

 

Nach dem Diner zogen die beiden Mädchen sich eine Weile zurück, um sich frisch zu machen, wie Luise ihrem Vater erklärte. - „Hast du bemerkt, dass wir auf dieser Feier die einzigen weiblichen Wesen unter 50 sind?“ meinte Marianne lachend als sie allein waren.

 

„Und ob.“ erwiderte Luise und kämmte ihr Haar. „Ich komm mir vor wie auf ´ner Auktion. Ich seh genau die musternden Blicke meines Vaters, wenn einer der jungen Männer auch nur 2 Worte mit mir wechselt. Einfach schauderhaft!“ - „Dieses Theater hab ich schon letztes Jahr hinter mich gebracht. Aber meinem Vater hab ich den Zahn gleich gezogen! Ich hab klipp und klar zu ihm gesagt, dass ich mich nicht verschachern lasse. Ich such mir meinen Mann selber aus! Und wenn ich mich in einen Bauarbeiter verliebe, heirate ich eben einen Bauarbeiter!“ - „Mein Gott, bist du mutig!“ bewunderte Luise ihre Freundin.

 

„Ach Lulu, das hat doch mit Mut nix zu tun! Wir Adligen sind eine aussterbende Rasse. Ein Titel zählt doch heut gar nix mehr!“ - „Das mach mal meinem Vater klar!“ seufzte Luise. „Erinnerst du dich an den jungen Maler, der mein Portrait für die Ahnengalerie anfertigen sollte? Ich hab wirklich nur sein Können bewundert, und die ganze Malerei an sich. Vater bekam das in den falschen Hals und hat ihm den Auftrag entzogen. Der Typ, der das Bild dann vollendet hat, war ein Methusalem!“

 

Marianne wollte sich ausschütten vor Lachen. „Dein Vater ist aber ganz schön antiquiert!“ meinte sie dann, als sie wieder ernst wurde.

 

„Aber leider nur bei mir. Sieh dir doch den Lebensstil von meinem Bruder Rudolf an! Seine
Spiel- und Wettleidenschaft und die dauernden Eskapaden mit irgendwelchen zwielichtigen Dämchen werden stillschweigend toleriert. So was sollte ich mir mal erlauben!“ - „Ja, bei manchen Eltern wird immer noch mit zweierlei Maß gemessen; die Söhne dürfen sich alles erlauben, das gehört eben zum Mannwerden, und die Töchter müssen kuschen, um sich in ihre Rolle als unterwürfige Ehefrau möglichst früh rein zu finden.“ philosophierte Marianne mit ironischem Unterton.

 

„Ich bin nur mal gespannt, welchen Anwärter sich Vater für mich ausgewählt hat.“

 

Marianne überlegte. „Wenn ich die Blicke richtig gedeutet hab, wird’s wohl Rüdiger sein.“ - „Ach, du liebe Güte! Ich kann doch nicht in einen Reiterhof einheiraten, mit meiner Pferdeallergie!“ - „Daran hat dein Vater sicher nicht gedacht. Er ist doch so begeistert von Pferden, Jagen und Rennen.“ - „Ja leider. Als ich damals wegen der Allergie keinen Reitunterricht nehmen konnte, wie sich das für eine Baroness gehören würde, war Vater am Boden zerstört. Und als ich stattdessen Ballettunterricht nehmen wollte, ist er fast ausgerastet. Solche brotlosen Künste brauch ich mir nicht aneignen, hat er gemeint. Ehrlich gesagt, ich seh keinen Unterschied zwischen reiten und tanzen. Aus lauter Verzweiflung hab ich dann angefangen Tennis und Golf zu spielen. Leider hab ich keine Grasallergie!“ - „Lass gut sein, Lulu. Tennis und Golf sind doch schöne Sportarten.“ - „Ach Nanni, wie du weißt, hasse ich jeglichen Sport. Ich hätte so gern was mit Musik gemacht. Klavierspielen oder Gesangsunterricht. Aber leider Gottes ist Vater ein totaler Kunstbanause! – Du musst mir übrigens in einer Angelegenheit helfen!“ fiel ihr plötzlich ein. „Im Palast-Theater ist am Wochenende eine Opernaufführung. Sie geben den Lohengrin von Richard Wagner. Und stell dir vor, der junge hoch gelobte Tenor heißt auch Wagner, Wolfgang Wagner. Ob das wohl ein Nachfahre des Komponisten ist?“ - „Na, und wenn schon! Also ehrlich, ich kann deine Begeisterung für diesen klassischen Kram nicht teilen. Was hab ich überhaupt dabei zu tun?“ - „Du sollst mit mir in die Oper gehen! Noch besser, du überredest auch deine Eltern dazu. Und wenn ihr mich mitnehmt, kann Vater nicht Nein sagen.“ - „Na gut. Was tut man nicht alles für seine beste Freundin?! Ich werd das gleich mit Papa besprechen.“

 

Dankbar fiel Luise Marianne um den Hals, und dann begaben sich die Mädchen wieder hinunter, um die Feier endlich hinter sich zu bringen.

 

 

Luise hatte Recht, als sie sich darauf verließ, dass ihr Vater eine Einladung von Herzog Eduard von Brauenfels nicht ablehnen würde. Marianne hatte ihren Vater sofort nach dem Gespräch eingeweiht, und der Herzog erklärte sich gern dazu bereit, Luise den so heiß gewünschten Opernbesuch zu ermöglichen. So übermittelte er die Einladung bereits beim Abschied nach der Geburtstagfeier, und Baron Severin nahm dankend an.

 

Womit Luise natürlich überhaupt nicht gerechnet hatte war, dass ihr Vater diese Einladung auch auf sich bezog. Und sie war ziemlich erstaunt, als er am Abend der Opernaufführung in Frack und Zylinder ausgehfertig an der Treppe stand und sie erwartete.

 

„Du gehst mit, Vater?“ fragte sie ein wenig enttäuscht. „Ich denke, du machst dir nichts aus solchen Veranstaltungen?“ - „Das tu ich auch nicht. Aber schließlich kann ich eine offizielle Einladung des Herzogs wohl schlecht ablehnen.“ - „Ich wusste nicht, dass er dich auch eingeladen hat.“ - „Nun, er hat jedenfalls nicht extra betont, dass nur du mitgehen sollst.“ - „Na schön, dann lass uns jetzt fahren!“

 

Der Herzog und seine Frau erwarteten den Baron und Luise bereits im Foyer des Theaters. Luise sah sich suchend um. „Wo ist denn Nanni?“ - „Stell dir vor, Kind,“ antwortete die Herzogin, „sie hat plötzlich einen ganz heftigen Migräneanfall bekommen. Sie bedauert sehr und lässt sich entschuldigen.“

 

‚So ein Biest!’ dachte Luise, laut sagte sie aber: „Das tut mir leid! Richten Sie ihr bitte aus, dass ich sie morgen besuchen werde, um mich nach ihrem Befinden zu erkundigen!“

 

Die beiden Männer begrüßten sich mit einem kräftigen Händedruck, wobei sich der Baron nochmals für die Einladung bedankte. Dann führten sie ihre Damen in die Loge.

 

Luise war begeistert, denn diese Loge befand sich direkt links an der Bühne, sodass sie das ganze Geschehen auf der Bühne fast hautnah miterleben konnte. Für sie wurde diese Aufführung ein wundervolles Erlebnis; die schwere getragene Musik nahm sie gefangen, und auch in die Handlung fühlte sie sich richtig hinein.

 

Als nach dem 1.Akt der Vorhang fiel, und es zur Pause läutete, kam es ihr vor, als würde sie aus einem Traum erwachen. Bei einem Glas Sekt im Foyer lobte die Herzogin die gute Inszenierung.

 

„Und dieser junge Tenor hat ein Timbre in der Stimme, einfach fabelhaft!“ begeisterte sie sich und sah ihren Mann Zustimmung heischend an.

 

„Du hast Recht, meine Liebe! Für seine Jugend bringt dieser Mann schon eine beachtliche Leistung.“ - „Wie alt ist denn dieser Singvogel?“ erkundigte sich der Baron brummig.

 

„Soweit ich weiß, ist er erst um die 20 Jahre alt.“ antwortete die Herzogin leicht pikiert über die abfällige Bezeichnung eines solchen Talentes.

 

„Und er sieht auch recht gut aus.“ wagte Luise zu bemerken und errötete leicht.

 

„Wie hast du denn das fest gestellt?“ verlangte ihr Vater zu wissen.

 

„Die Herzogin war so freundlich, mir kurz ihr Opernglas zu geben.“ antwortete das Mädchen leise.

 

Nachdem es zum Ende der Pause geläutet und sich alle wieder auf ihre Plätze begeben hatten, begann für Luise die Verzauberung erneut. Sie war so fasziniert von dem Geschehen auf der Bühne, dass sie nicht bemerkte, wie ihr Vater sie die ganze Zeit missbilligend beobachtete.

 

Als er sah, wie Luise nach dem Opernglas greifen wollte, nahm er es an sich und tat so, als würde ihn etwas in der gegenüber liegenden Loge brennend interessieren. Seine Tochter warf ihm nur einen kurzen, erstaunten Blick zu und konzentrierte sich dann wieder auf die Darbietung. Der Zufall wollte es, dass der Baron beim Blick durch das Opernglas den Grafen Waldau mit Frau und Sohn Rüdiger entdeckte.

 

In der 2.Pause bestand er darauf, die Familie Waldau zu begrüßen. Rüdiger nahm Luise sofort beiseite, um sich mit ihr in Ruhe zu unterhalten, was die Eltern und der Baron mit Einverständnis tolerierten.

 

„Ich hätte nie gedacht, dich hier mit deinem Vater zu treffen.“ begann Rüdiger das Gespräch.

 

„Der Herzog hat uns eingeladen. Und obwohl Vater nix für so was übrig hat, konnte er schlecht ablehnen.“ - „Aber du magst doch Opern?“ - „Oh ja, sehr! Ist diese Aufführung nicht fabelhaft?“ - „Es geht so. Wagner ist mir ein wenig zu schwer. Aber der Tenor ist gut. So ein junger Bursche!“ - „Er soll erst 20 Jahre alt sein.“ - „Genau genommen ist er 22. Und er heißt auch nicht Wagner. Das ist nur sein Künstlername.“ - „Woher weißt du das?“ - „Nun, wir waren zusammen im Internat. Wolfgang war eine Klasse unter mir. Er ist eine Waise; seine Eltern sind bei einem Unfall umgekommen, als er noch ganz klein war. Ein Onkel von ihm, ein Musik-Professor, hat ihn quasi groß gezogen. Der hat ihn auch gesanglich ausgebildet. Letztes Jahr bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth ist er dann entdeckt worden. Da ihm diese schweren Tenor-Partien besonders gut liegen, schlug ihm sein Onkel vor, sich einfach auch Wagner zu nennen. Sein richtiger Name ist ganz banal, ich glaub, Meier oder Müller. Nun, singen kann der Junge ja wirklich. Das muss ihm der Neid lassen.“

 

Schüchtern fragte Luise: „Wo du ihn kennst, besteht wohl auch für mich die Möglichkeit, ihn kennen zu lernen?“ - „Mal sehn,“ überlegte Rüdiger. „Meine Mutter ist ja auch so’n Opernfan. Ich glaub, er fährt von hier aus nach London, um den Siegfried zu geben. Zu der Zeit sind wir in Ascot, weil da 2 Pferde aus unsrer Zucht laufen. Soll ich deinen Vater mal fragen, ob du uns begleiten darfst?“ - „Versuchen kannst du’s ja mal. Ich glaub aber nicht, dass er mich allein reisen lässt.“ - „Das werden wir sehn!“ meinte er zuversichtlich und führte sie zurück zu den Älteren, wo er gleich auf sein Ziel losging. „Herr Baron, ich erzählte Luise gerade von unsrer geplanten Reise nach England, und ich glaub, sie würde uns gern begleiten. Hätten Sie was dagegen? Da meine Mutter auch mitfährt, könnte sie Ihre Tochter unter ihren Schutz nehmen.“

 

Rüdigers Eltern hatten zwar nichts vom Ansinnen ihres Sohnes gewusst, bestätigten jedoch gerne, dass sie sich über Luises Gesellschaft freuen würden. Als dann noch der Herzog einwarf, dass er auch vorhatte, nach Ascot zu fahren, blieb dem Baron gar nichts Anderes übrig als zuzustimmen.

 

„Aber deine Allergie, mein Kind!“ gab er besorgt zu denken.

 

„Ach, Vater, ich werd mir einfach von Dr.Grüning ein paar Spritzen geben lassen, dann wird’s schon gehn.“

 

Bewundernd betrachtete Baron Severin seine Tochter und dachte dabei in eine völlig falsche Richtung; er nahm nämlich an, dass Luise das nur ertrug aus Liebe zu Rüdiger.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 2

 

 

 

Luise begleitete Susanne zum Kleiderkauf, denn Mutter und Tochter hatten fast den gleichen Geschmack.

 

„Wir müssen dich unbedingt neu einkleiden!“ behauptete die Baroness. „Schließlich sind in dem Internat viele Töchter aus adligem Haus, ja sogar von Prominenten. Wart’s nur ab! Es wird dir dort gefallen!“

 

Nun, Susanne hatte sich in der feinen Gesellschaft noch nie recht wohl gefühlt. Diese ganzen Konventionen waren ihr ein Gräuel! Mit viel Überredungskunst ließ sich das Mädchen darauf ein, wenigstens ein Schuljahr im Schweizer Internat Eichshof zu verbringen. Insgeheim nahm sie sich vor, sich dort so unmöglich zu benehmen, dass die Schulleitung Hände ringend darum bitten würde, sie da wieder weg zu holen.

 

Von diesem Plan ahnte ihre Mutter natürlich nichts, sondern sie war begeistert, dass ihr Mädchen sich so widerspruchslos mit allem nur möglichen, aber unnützen Luxus ausstatten ließ.

 

 

Baroness von Holstenburg brachte Susanne höchstpersönlich schon einige Tage vor Schulbeginn in die Schweiz. Die Direktorin, Frau Gesine von Stauffen, die Mutter und Tochter mit höflicher Zurückhaltung empfing, machte ganz den Eindruck einer Gefängniswärterin. Ein strenger, graumelierter Knoten zierte ihren Hinterkopf, und das maßgeschneiderte anthrazitfarbene Kostüm wirkte wie eine Uniform.

 

‚Ein Feldwebel wie er im Buch steht!’ dachte Susanne resigniert.

 

Mit einem Lorgnon prüfte Fr.v.Stauffen das letzte Zeugnis. „Die Stärken Ihrer Tochter, liebe Baroness, scheinen ja mehr im künstlerischen Bereich zu liegen.“ mokierte sie sich mit schneidender Stimme. „Wir legen allerdings mehr Wert auf die Naturwissenschaften und vor allem auf den sprachlichen Sektor.“

 

Sie betrachtete Susanne missbilligend, die nervös ihre Handtaschen immer auf und zu klappte, bis ihre Mutter beruhigend die Hand darauf legte.