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Deutsche Erstausgabe (ePub) April 2013

 

Für die Originalausgabe:

©2009 by Andrew Grey

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Love means... courage«

 

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2013 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

Umschlagillustration: Marek Purzycki

Bildrechte Umschlagillustration: Nolte Lourens;

vermittelt durch Shutterstock LLC

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

  

ISBN ePub: 978-3-95823-515-1

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

 


 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem den Autor des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber seiner Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane des Autors und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

»Wir gehören zusammen. Du bist ein Teil von mir – jetzt und für alle Zeit.«

Len und Cliff kennen sich seit ihrer Schulzeit, doch nach dem Abschluss trennen sich ihre Wege für fünf Jahre. Als Cliffs Ehefrau bei einem Autounfall ums Leben kommt, macht Len es sich zur Aufgabe, den gebrochenen Mann aus seinem Schneckenhaus zu locken und weckt damit nicht nur in ihm längst vergessene Gefühle.
Doch obwohl Len auch Cliffs zweijährigen Sohn Geoff sofort ins Herz schließt, ist ihre gemeinsame Zukunft alles andere als rosig. Denn niemand weiß, ob ihre Liebe es schafft, jeden Tag aufs Neue vor den Augen der Gesellschaft zu bestehen…

Buch 2 der »Liebe...«-Reihe


 

...



Prolog

»Mr. Parker, ist das Licht so weit?«

»Ja, Mr. Stevens, kann sofort losgehen.« Ich bin schon seit einer halben Stunde fertig. Len schaltete den Scheinwerfer ein und richtete ihn auf Front und Mitte der Bühne aus, um dann auf den Start der Generalprobe zu warten.

»Danny, Sandy, können wir anfangen?« Der Schauspiellehrer bestand darauf, die Schüler während der Proben mit ihren Charakternamen anzusprechen; er glaubte, dass ihnen das dabei helfen würde, sich besser in ihre Rollen einzufinden. Len hingegen war – nach den zahlreichen Proben, die er bereits hier oben auf der Beleuchtungsebene saß und alles beobachtete – eher der Ansicht, dass es die Schauspieler noch mehr verwirrte. Aber wer fragte schon nach seiner Meinung?

»Ja, Mr. Stevens«, hallte es im Chor von hinter dem Vorhang nach vorne.

Die Probe begann. Lens Aufgabe war es, einen der beiden Scheinwerfer zu bedienen. Er und seine beste Freundin Ruby befanden sich weit oben auf der Plattform und folgten den Beleuchtungsanweisungen, während unten die Theaterprobe lief.

Sie waren seit der fünften Klasse befreundet, aber Len hatte die Befürchtung, dass Ruby vielleicht in ihn verknallt war, obwohl er sein Bestes gab, sie nicht zu ermutigen. Sie war seine beste Freundin, und er wollte das nicht mit irgendwas Romantischem versauen. Außerdem, wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, war sie nicht sein Typ – wirklich nicht sein Typ –, aber darüber wollte er lieber nicht allzu genau nachdenken.

Sie beugte sich zu ihm rüber und berührte seinen Arm. »Ich weiß nicht, warum du dich freiwillig hierfür gemeldet hast. Ich meine, es ist cool, dass du's getan hast. Aber es ist nicht gerade das, womit du für gewöhnlich deine Zeit verbringst.«

Stimmt, normalerweise wusste er sich anders zu beschäftigen. Aber der Theaterlehrer, der zufällig auch sein Englischlehrer war, hatte versprochen, jedem, der bei der Aufführung mithalf, Extrapunkte anzurechnen.

Kurz drehte er den Kopf zu Ruby. »Ich brauche in Englisch alles, was ich kriegen kann.« Dann wandte er sich schnell wieder der Bühne zu, um keinen seiner Einsätze zu verpassen. »Außerdem«, flüsterte er leise, als er den Lichtstrahl auf Sandy richtete, »ist es doch ganz lustig.«

Das war es tatsächlich, aber er konnte Ruby garantiert nicht sagen, warum genau. Er erweiterte den Radius des Lichtkegels, um sowohl Sandy als auch Danny damit zu erfassen, und musste sich davon abhalten, laut zu seufzen.

Gott, du verhältst dich echt wie ein Mädchen. Er schüttelte den Gedanken ab, bevor er sich darin verlieren konnte, und lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf das Geschehen auf der Bühne.

Cliff Laughton spielte Danny Zuko, und während der gesamten Proben hatte Len sehr viel an ihn denken müssen. Insbesondere spät nachts, wenn er allein in seinem Bett lag, hatte Cliff Laughton in den letzten Wochen unzählige Fantasien entfacht – meist darüber, wie er unter der schwarzen Lederjacke, dem weißen T-Shirt und den Jeans, die definitiv eine Nummer zu klein waren, aussah.

Gerade rechtzeitig kehrte Len aus seiner Fantasiewelt zurück, um das Licht an die Summer Lovin'-Szene anzupassen. Schnell wechselte er die Filter aus und vergrößerte den Lichtstrahl, um die gesamte Bühne erfassen zu können, als das Lied begann.

Len war begeistert. Die Tanzbewegungen der Schauspieler waren sehr anzüglich, besonders für so eine kleine Stadt wie Scottville in Michigan, aber Len war sich dessen kaum bewusst. Alles, was er wahrnahm, war Cliff, der seine Hüften bewegte und mit seinem knackigen Hintern wackelte.

»Sie ist wunderschön, nicht wahr?«

Scheiße! Ruby waren seine schmachtenden Blicke aufgefallen.

Er nickte nur und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Offensichtlich ging sie davon aus, er wäre von Sheila Gowell so angetan, dem Mädchen, das Sandy spielte. Und das war gut so.

»Ja, ist sie.«

Eigentlich hielt er Sheila für eine maßlos affektierte Kuh, die anderen die Show stahl, aber das hätte er Ruby niemals gesagt. Er konnte es sich nicht leisten, dass irgendwer auf falsche Gedanken kam. Er musste diese Gefühle für sich behalten.

Es mochte zwar 1979 sein, aber das hier war nicht New York oder San Francisco, sondern Scottville, Michigan. Allein der Gedanke, dass irgendjemand herausbekam, er könnte möglicherweise auf Jungs stehen, genügte, um ihm kalte Schauer über den Rücken zu jagen.

»Es läuft gut, findest du nicht?« Ruby war näher herangerückt und lehnte nun an der Brüstung, während das Treiben auf der Bühne weiterging.

»Ja, tut es.« Er senkte seine Stimme so weit, dass sie kaum zu hören war. Über das Scheinwerferlicht hinweg lächelte er sie an und konzentrierte sich dann wieder auf das Spiel und seine Einsätze.

In der Pause stieg er von der Beleuchtungsplattform runter und ging zu ihrem Schauspiellehrer hinüber, der in die Nähe der Bühne stand.

»Passt soweit alles oder möchten Sie irgendwelche Änderungen?«

»Nein, das Licht ist perfekt.« Motivierend legte ihm der Lehrer eine Hand auf die Schulter. »Gute Arbeit – weiter so!«

Len wollte sich gerade umdrehen und zurück an die Arbeit gehen, als er Cliff am Rande der Bühne bemerkte.

»Mr. Stevens«, rief er und sprang von der Bühne herunter. Dabei verlor er sein Gleichgewicht, stieß mit Len zusammen und riss ihn mit sich zu Boden. Bäuchlings landete er auf Len, der kaum noch atmen konnte – und das lag nicht nur daran, dass Cliff ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Luft aus den Lungen gepresst hatte.

Er konnte Cliffs Wärme durch seine Kleidung hindurch fühlen und als er seine Augen öffnete, blickte er direkt in Cliffs. Zu seiner Überraschung wandte der den Blick jedoch nicht ab, sondern erwiderte ihn. Der Ausdruck in seinen Augen war warm und weich, sein Atem roch nach Pfefferminz.

Entsetzt bemerkte Len, wie sich etwas bei ihm zu regen begann, und er wand sich unbehaglich unter Cliff. Das wäre die ultimative Erniedrigung – verdammt, er würde nie darüber hinwegkommen, sollte Cliff bemerken, dass er hier einen Ständer bekam.

»Cliff… Len… seid ihr beide in Ordnung?« Der Trubel um sie herum vertrieb den letzen Rest des Zaubers, der sie gefangen gehalten hatte.

Cliff erhob sich von Len und kam wieder auf die Beine. »Mir geht's gut, aber ich bin auf Len gelandet.« Er sah zu Len hinunter, der noch immer ausgestreckt auf dem Boden lag. »Bist du okay?« Er streckte seine Hand aus und Len ergriff sie. Langsam kam auch er wieder auf die Füße.

»Alles in Ordnung, nur ein bisschen außer Puste.« Und enorm erleichtert, dass du nichts sagst und offenbar auch nichts bemerkt hast. »Nichts passiert.«

Die Aufregung legte sich und die Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf den zweiten Akt. Len lauschte den Anweisungen, bevor er sich auf den Weg in den hinteren Teil der Turnhalle machte und zurück auf die Beleuchtungsplattform kletterte.

Ruby stand dort – sie hatte seinen Platz beim Licht eingenommen. »Bist du wirklich okay?«

»Ja, mir geht's gut.«

»Okay, Jungs und Mädchen, lasst uns den zweiten Akt in Angriff nehmen!«

Das Licht wurde gedimmt und Len schaltete den Scheinwerfer ein. Er versuchte, sich auf die Bühne zu konzentrieren, mit seinen Gedanken war er allerdings definitiv woanders: bei Cliff Laughton.

Er hatte tatsächlich Cliffs Körper auf seinem gespürt. Zugegeben, Cliff war gestolpert, aber das spielte für seine aktive Vorstellungskraft und seinen hormongesteuerten Körper offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle. Er hatte das Gefühl genossen und schwelgte noch immer darin.

Zum Glück war es dunkel, sodass niemand ihn sehen konnte, außer Ruby, deren Augenmerk komplett auf die Bühne gerichtet war. Für einen Moment ließ er seine Gedanken schweifen, unterbrach sich jedoch selbst, als die Schuldgefühle einsetzten.

Ich sollte diese Gedanken nicht haben. Ich darf nicht. Ich darf einfach nicht.

Ruby schaute ihn an. »Hast du was gesagt?«

Len schüttelte den Kopf und sie wandte sich wieder der Probe zu. Das Stück nahm seinen Lauf. Len verpasste keinen seiner Einsätze und machte Pause, als das Bühnenbild für den Drive-in umgebaut wurde.

Das Licht war schummrig, nur sein Scheinwerfer strahlte auf Danny und Sandy herab, als er versuchte, sie im Auto flachzulegen. Unwillkürlich stellte Len sich in ziemlich plastischen Bildern vor, wie er selbst bei Cliff im Auto saß und Cliffs Hände über seinen Körper wanderten. Während er der Szene unter sich folgte, war er sich sicher, dass er Cliff nicht wegstoßen würde, nicht, wenn er damit durchkommen könnte.

Um ein Haar hätte er seinen nächsten Einsatz verpasst. Er wechselte hastig die Filter und richtete das Licht neu aus, schaffte es aber gerade noch rechtzeitig. Dennoch brachte ihn dieser Beinah-Fehler dazu, seine Gedanken für den Rest der Probe im Zaum zu halten, und so lief alles glatt.

Am Ende schaltete er das Licht aus und ließ es abkühlen, bevor er Ruby von der Plattform herunterhalf. Alle waren um die Bühne herum versammelt und unterhielten sich angeregt. Die Aufregung in ihren Stimmen war nicht zu überhören.

»Len!« Er sah sich um und sah Cliff in seine Richtung marschieren. Len wartete bis er ihn eingeholt hatte. »Hey, ich wollte nur nochmal auf Nummer sicher gehen, dass ich dich nicht verletzt habe.«

Len schüttelte den Kopf. »Nein, mir geht's gut.«

Cliff ließ ein breites, strahlendes Lächeln aufblitzen und sagte: »Nach der letzten Vorstellung am Samstag machen wir eine kleine Abschlussfeier bei mir zu Hause. Du kannst auch kommen.«

»Danke.« Anstatt das zur Kenntnis zu nehmen und wieder abzuziehen, stand Cliff einfach nur so da, und Len fragte sich, ob es da noch mehr gab, das er sagen wollte. Die Stille begann, unangenehm zu werden. »Ich versuch's«, fügte Len hinzu.

»Gut.« Cliff zögerte erneut. »Gut.« Er vergrub seine Hände in den Taschen. »Ich wollte…«

Was immer Cliff hatte sagen wollen, wurde von Sheila unterbrochen, die auf sie zugestürmt kam und ihn am Arm packte.

»Da bist du ja! Ich bin fertig und du wolltest mich doch nach Hause fahren.« Sie ignorierte Len völlig und zog Cliff zu ihren wartenden Freundinnen hinüber. Len sah noch, wie Cliff sich flüchtig zu ihm umwandte, dann war er zwischen den anderen Schülern verschwunden.

»Du kennst Cliff Laughton näher?« fragte Ruby, die plötzlich hinter ihm auftauchte. »Zu schade, dass diese Schlampe Sheila ihn sich gekrallt hat.«

Len drehte sich zu ihr um, überrascht von ihrer Ausdrucksweise.

»Na, ist doch wahr«, fuhr sie fort, »und er ist zu nett, um ihr zu sagen, dass sie verschwinden soll. Vielleicht könntest du uns beide mal bekannt machen?« Ruby stand schon seit der siebten Klasse auf Cliff Laughton.

»Er hat mich nur nochmal gefragt, ob's mir gut geht, und mich zur Abschlussfeier am Samstag eingeladen.« Dass Cliff ganz offensichtlich noch etwas anderes auf der Zunge gelegen hatte, ließ er wohlweislich unter den Tisch fallen. »Würdest du mich begleiten?«

Ein breites Grinsen zog sich über ihr Gesicht und sie nahm seinen Arm.

»Liebend gern.« Sie starrte ihn so lange an, bis beide anfangen mussten, zu lachen. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg nach draußen und warteten dort auf Lens Mutter, die sie abholen wollte.

 

***

Am Samstagabend setzte Lens Mutter Ruby und ihn bei Cliffs Party ab, nicht jedoch ohne sie vorher wie ein CIA-Agent durch die Mangel zu drehen.

»Wenn es dort Alkohol gibt, lasst ihr beide die Finger davon und ruft mich an.« Lens Mutter konnte enorm respekteinflößend sein und keinem von beiden kam der Gedanke, ihr zu widersprechen. »Ich hol' euch um elf wieder ab.«

»Okay, Mom.« Len half Ruby aus dem Auto. »Wir kommen schon zurecht.«

In weiser Voraussicht verzichtete er darauf, die Augen zu verdrehen – seine Mutter hätte es sowieso sofort mitbekommen. Diese Frau bekam alles mit.

Die Party fand offensichtlich im Innenhof statt. Ein Feuer war entzündet und Tische, beladen mit Essen und Getränken, in der Nähe aufgebaut worden. Der Großteil der Theaterbesetzung war bereits anwesend und so gesellten sie sich einfach dazu und grüßten in die Runde. Len kannte jeden. Die Mason County Central High School war nicht groß genug, um nicht jeden zu kennen.

»Hey, Len. Hi, Ruby«, nahm Cliff sie in Empfang und führte sie herum, während Sheila die ganze Zeit an ihm klebte, als wäre sie festgewachsen.

Die Schulaufführung war ein voller Erfolg gewesen, fast jede Vorstellung komplett ausverkauft, und während der Probenwochen war sich die komplette Besetzung recht nahe gekommen.

»Geht ihr zwei zusammen auf den Abschlussball?« Len wandte sich um und sah Brenda, eine der Pink Ladies, auf sie zukommen.

»Nein, ich muss arbeiten.« Len wusste, dass Ruby enttäuscht war, aber er wollte auch nicht, dass sie den Ball seinetwegen verpasste. »Aber Ruby wird mit Brad hingehen.«

Brenda kicherte und zog Ruby mit sich zu den Mädchen, die in einer Gruppe zusammenstanden und schwatzten.

Len erstaunte es jedes Mal aufs Neue, dass sie alle tagtäglich gemeinsam zur Schule gingen, in den selben Klassenräumen saßen und gemeinsam zu Mittag aßen, aber sobald sie sich außerhalb trafen, trennten sich Mädchen und Jungs voneinander wie Wasser und Öl.

Len schlenderte hinüber zu den Jungs. Cliffs Stimme übertönte die übrigen deutlich. »Sie macht mich wahnsinnig. Sie denkt, ich bin sowas wie ihr fester Freund. Ist die gestört? Ich bin nicht Danny und sie ist nicht Sandy. Das Theaterstück ist vorbei.«

»Dann mach Schluss. Sag ihr, dass du kein Interesse hast, das glaubt sie ja offensichtlich.«

Cliff wollte gerade etwas erwidern, als einer der anderen einwarf: »Ich hab' gehört, sie soll total versaut sein.«

Cliff schnaubte und lachte dann. »Machst du Witze? Sie ist 'ne Art Nonne oder so.« Er zog wohl eine Grimasse, die Len nicht sehen konnte, und alle lachten.

Nach einer Weile schlenderten die Mädchen zu ihnen rüber und die Stimmung der Party schwang um, als viele Leute sich pärchenweise aufteilten. Ruby unterhielt sich mit Brad und Len war froh, dass die beiden so gut miteinander auskamen. Ruby war eine Freundin und er wusste, dass da nie mehr sein würde. Allein der Gedanke daran, dass da jemals mehr sein könnte, jagte ihm eine Heidenangst ein.

Len blieb in der Nähe des Buffets, unterhielt sich mit den übriggebliebenen Jungs und hatte eine Menge Spaß dabei. Die Nacht war kühl, aber nicht zu kalt, und jeder war nett und locker drauf.

Im Verlauf des Abends sah er vereinzelten Pärchen dabei zu, wie sie sich für eine kleine Privatparty auf einen der abgelegenen Wege schlichen.

»Len.« Er wandte sich um und sah Cliff auf sich zukommen – ausnahmsweise ohne Sheila. »Hast du eine Minute?«

»Klar.«

Cliff führte ihn hinter die Ställe, während Len überlegte, was er wohl von ihm wollen könnte. »Ich wollte dich was fragen.« Cliff trat von einem Fuß auf den anderen; er war offensichtlich nervös. »An dem Tag…« Unbehaglich hielt er inne und setzte dann erneut an. »Während der Probe, als ich dich umgerissen hab'…«

Len wünschte, die Erde würde sich auftun, um ihn zu verschlingen. Cliff hatte es gemerkt – ihn bemerkt. Wie in aller Welt sollte er sich da bloß wieder herausreden?

»Hör zu, Cliff, das war ein Versehen…«, begann er zu stammeln und sah sich suchend nach einer Möglichkeit um, zu verschwinden.

»Ich weiß. Ich wollte dich nicht umrennen. Mir ging es echt mies bei dem Gedanken, dass ich dir wehgetan haben könnte. Mr. Stevens hat mich am nächsten Tag auch noch mal zusammengestaucht.«

Langsam atmete Len aus, als ihm bewusst wurde, dass er die ganze Zeit die Luft angehalten hatte.

»Mir war nur ein bisschen schwummerig, aber das hat nicht lange angehalten.« Allmählich normalisierte sich der Klang seiner Stimme wieder.

Cliff beugte sich zu ihm, sein Gesicht war ganz nah. »Da bin ich aber froh. Ich dachte schon, ich hätte was Wichtiges kaputt gemacht, wenn du verstehst, was ich meine.«

Das Blut in seinen Adern gefror und instinktiv stellte Len sich dumm. »Hä?«

»Ich hab's gespürt.« Cliffs Blick wanderte nach oben, traf seinen und erstaunt stellte Len fest, was er nicht sah.

Da war kein Ekel, keine Verurteilung, kein Ende der Welt. Len schluckte und wartete Cliffs nächsten Schritt ab. Trotz allem machte er sich auf das Schlimmste gefasst. Stattdessen hielt ihr Blickkontakt immer länger an, schien immer intensiver zu werden. Beinahe glaubte er, Cliff näherkommen zu sehen, als ob er vorhätte, ihn zu küssen…

Lens Lippen öffneten sich, als er sah, wie Cliff seinen Kopf leicht zur Seite neigte. Er schloss die Augen und fühlte eine sanfte Berührung auf seinem Mund. Oh Gott, er küsste gerade Cliff Laughton, oder Cliff küsste ihn... Es spielte keine Rolle, für ihn wurde gerade ein Traum wahr.

»Cliff!« Sheilas Stimme durchschnitt die Nacht wie ein Messer. Hastig lösten sie sich voneinander und brachten etwas Abstand zwischen sich, als Sheila auch schon um die Ecke bog. »Ich habe überall nach dir gesucht.« Ihr Blick fiel auf Len. »Hey, Len.«

Verdammte Scheiße! Warum musste sie ausgerechnet jetzt auftauchen? Len hätte am liebsten geschrien, brachte sich jedoch schnell wieder unter Kontrolle und verbarg seine Enttäuschung.

»Hi, Sheila.«

Sie hakte sich bei Cliff unter und machte Anstalten, ihn wegzuführen. Offensichtlich hatte sie keine Ahnung von dem, was beinahe geschehen wäre und was sie beinahe mitbekommen hätte.

Cliff versuchte, das Gespräch an sich zu reißen. »Sheila, wir müssen reden.«

»Das denke ich auch. Es gibt da einige Dinge, die wir auf jeden Fall vor unserem Abschluss noch klären müssen.« Dieses Mädchen war echt entschlossen, das musste man ihr lassen. Sie wusste, was sie wollte, und packte es an, ohne Kompromisse.

Len sah zu, wie sich die beiden entfernten, und wieder drehte sich Cliff dabei zu ihm um. Aber dieses Mal versperrte ihm nichts die Sicht. Und was er sah, überraschte ihn. War das etwa Enttäuschung?

Len riss sich zusammen und wanderte um die Stelle herum, um sich wieder der Party anzuschließen. Ruby und Brad saßen immer noch zusammen und waren in ein angeregtes Gespräch vertieft. Er sah auf die Uhr. Es dauerte noch eine gute halbe Stunde, bis seine Mutter sie abholen kam, also setzte er sich ans Feuer und unterhielt sich oberflächlich mit ein paar anderen Leuten, die er kannte.

Irgendwann flüsterte ihm eines der Mädchen ins Ohr: »Ist die Sache mit Ruby und Brad für dich okay?«

Len drehte sich zu ihr um und lächelte. »Ruby und ich sind nur gute Freunde.«

Er hörte ein Auto die Einfahrt hochfahren und erkannte, dass er abgeholt wurde. Eigentlich hatte er gehofft, Cliff nochmal zu begegnen, bevor er gehen musste, aber dieser war nirgends zu sehen. Sheila allerdings war inzwischen zur Party zurückgekehrt und wirkte ziemlich niedergeschlagen.

Len verabschiedete sich, schnappte sich Ruby und beide stiegen ins Auto. Seine Mutter fragte ihnen regelrechte Löcher über die Party in den Bauch und Ruby erzählte ihr geduldig alles, was sie wissen wollte.

Als sie aus der Einfahrt auf die Straße abbogen, reckte Len nochmal den Hals, um vielleicht doch einen letzten Blick auf Cliff zu erhaschen. Dann verschwand die Farm in der Dunkelheit.

 


Kapitel 1

Len erwachte langsam aus seinem Halbschlaf. Er lag in Tims Armen und die Wärme ihrer Körper vertrieb die leichte Kühle der Klimaanlage. Er mochte das Gefühl und den Moment, genau hier und jetzt. Kein Druck, keine Erwartungen, kein Verstecken, nur ein paar Stunden, die ihm immer wie gestohlene Augenblicke des Glücks vorkamen. Er gab sich noch ein paar Sekunden, dann machte er sich daran, aus dem Bett zu steigen, doch Tims Arme schlangen sich enger um ihn und hielten ihn zurück.

»Wozu die Eile, Lenny?«

Len wusste nicht, was er dazu sagen sollte, außer dass es ihm einfach richtig vorgekommen war. »Keine Ahnung.« Eigentlich war das ihr übliches Verhalten.

Tim stemmte sich auf den Ellenbogen und sah auf ihn hinunter. »Ich schon.«

Erstaunt hob Len eine Augenbraue, hatte aber gleichzeitig keinen Schimmer, wie er darauf reagieren sollte.

»Du willst nicht, dass ich auf falsche Gedanken komme, oder?« sagte Tim.

»Und was für Gedanken sollten das sein?« Len blickte in das Gesicht des älteren Mannes, betrachtete die kleinen Fältchen um die Augen und den langsam lichter werdenden Haaransatz. Es war ein hübsches Gesicht, warm und freundlich – es passte zum Rest von ihm.

»Du willst nicht, dass ich mir Hoffnung auf mehr mache. Alle paar Wochen treffen wir uns, sehen uns einen Film an, essen zusammen und fallen dann gemeinsam ins Bett. Du magst es, ich mag es. Aber wenn es vorbei ist, meinst du jedes Mal, schnell abhauen zu müssen.« Enttäuschung zeichnete sich auf Tims Gesicht ab und Len beugte sich zu ihm rüber, um diesen Ausdruck mit einem Kuss zu vertreiben, doch Tim wich ihm aus. »Ich weiß, dass ich nicht die Liebe deines Lebens bin – du bist 21, ich fast 40. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir.«

Er hielt inne und Len wartete darauf, dass er fortfuhr.

Tim seufzte. »Ich glaube, was ich sagen will, ist, dass du hinterher nicht gleich verschwinden musst. Ich habe nicht vor, mich innerhalb der nächsten halben Stunde unsterblich in dich zu verlieben.«

»Ich wollte einfach nicht unfair sein. Du warst immer ein guter Freund«, versuchte Len zu erklären. Genau genommen war Tim sogar ein fantastischer Freund.

Len hatte ihn vor einem Jahr getroffen, als er die Schwulen-Magazine im einzigen Zeitschriftenladen im ganzen Bezirk, der sowas überhaupt führte, durchstöbert hatte. Er war unglaublich geil gewesen, und als der gutaussehende, ältere Mann den Laden betreten hatte, hatte er ihn einfach anstarren müssen. Als dieser dann auch noch auf den gleichen Bereich zugesteuert war, wo er sich gerade durch die Zeitschriften geblättert hatte, war es ihm extrem schwer gefallen, seine Verlegenheit zu verbergen.

Später hatte ihm Tim erzählt, dass er beim Anblick von Lens entsetztem Gesichtsausdruck um ein Haar laut losgelacht hätte. Aber stattdessen hatte Tim ihn angesprochen und sich mit ihm unterhalten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Len das erste Mal in seinem Leben wirklich realisiert, dass es andere Männer wie ihn gab. Männer, die auf andere Männer standen, die deswegen aber nicht gleich Frauenkleider anzogen, sich nicht tuntig benahmen oder überschwänglich über jede Kleinigkeiten quietschten. Männer, die sich normal benahmen.

Nachdem sie sich eine Weile unterhalten hatten, hatte Tim gefragt: »Wollen wir einen Kaffee trinken gehen?«

Len musste ausgesehen haben wie ein Reh im Scheinwerferlicht, denn Tim hatte sofort hinzugefügt: »Es ist nur ein Kaffee und wir können uns dabei noch etwas unterhalten.«

»Okay.«

Len war tierisch nervös gewesen, aber trotzdem war er dem Mann aus dem Laden die Straße hinunter zu einem kleinen Cafe gefolgt, in dem sie sich an einen Ecktisch gesetzt hatten. Tim hatte ein bisschen von sich erzählt und dann hatten sie miteinander geredet. Oder eigentlich hatte Tim geredet, während Len zugehört hatte. Und nach dem Kaffee hatte Tim ihm seine Telefonnummer gegeben und ihn gebeten anzurufen, falls er sich noch einmal mit ihm treffen wollte.

Anschließend hatte Tim das Café verlassen und Len hatte ihm perplex hinterhergesehen, die Karte mit der Nummer noch in der Hand. Ein paar Tage später hatte er Tim dann tatsächlich angerufen und sich mit ihm zum Essen verabredet. Von da an hatten die Dinge ihren Lauf genommen.

Len richtete sich im Bett auf und schlang sanft die Arme um Tims Hals. »Du bist einer der großartigsten Menschen, die mir je begegnet sind.«

Tim grinste. »Nein, bin ich nicht. Ich bin nur ein alter Knacker, der von Zeit zu Zeit eine Kostprobe von deiner jugendlichen Energie bekommt.« An der Art, wie Tim lächelte, konnte Len ablesen, dass ein Funken Wahrheit in diesen Worten steckte.

Er verpasste Tim einen sanften Knuff in die Seite. »Doch, bist du.« Er war wirklich ein toller Mann. Tim hatte ihm so viel gezeigt – auch außerhalb des Betts – und ihm dabei geholfen, sich selbst zu akzeptieren. »Du warst immer ein guter Freund.«

»Du doch auch.« Tim gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn, ehe er aufstand.

Len rappelte sich ebenfalls hoch und begann, sich anzuziehen. Irgendwas war anders und als Len seine Hose hochzog, begriff er, dass es das letzte Mal sein würde, dass sie sich hier trafen. Er dachte darüber nach, was er davon halten sollte, während er sich fertig anzog.

»Ich werde dich vermissen«, sagte Len, während er auf der Bettkante saß und sich die Schuhe zuband.

»Ich werde dich auch vermissen, aber es ist wohl das Beste für uns beide.«

Fertig angezogen stand Len am Fußende des Bettes und Tim zog ihn zum Abschied in eine innige und beinahe zu feste Umarmung. Len beschlich das Gefühl, dass es für Tim schwerer war, ihn freizugeben, als er zugeben wollte. Nach einer ganzen Weile spürte er, wie sich Tims Arme allmählich entspannten.

»Ich bringe dich noch zur Tür.« Tim führte ihn aus dem Schlafzimmer durch das kleine Apartment. Auf dem Weg dorthin fielen Len zum ersten Mal die gestapelten Kartons in einer Ecke auf.

»Ziehst du um?« Das würde Einiges erklären.

»Ja, ich habe ein sehr gutes Jobangebot in Chicago bekommen. Ich kann das nicht ablehnen, nicht bei der Wirtschaftslage.«

»Ich verstehe.« Len öffnete die Tür. »Mach's gut, Tim.«

»Mach's gut, Lenny. Ich hoffe, du wirst glücklich.«

Als sich die Apartmenttür mit einem leisen Klicken schloss, drehte Len sich lächelnd um. Er hatte fest vor, glücklich zu werden.

Ohne dass es ihm selbst aufgefallen war, hatte Tim ihm dabei geholfen, sich selbst einzugestehen, dass er schwul war. Er war zwar noch nicht dazu bereit, dieses Wissen mit anderen zu teilen, aber wenigstens konnte er nun selbst dazu stehen und hasste sich nicht länger deswegen. Tim hatte ihm einmal gesagt, dass es nicht falsch war, schwul zu sein oder auch einfach nur er selbst zu sein. Er hatte ihn lediglich dazu ermahnt, vorsichtig zu sein.

Ohne noch einmal zurückzublicken, lief Len zu seinem Auto, schwang sich auf den Fahrersitz und machte sich auf den Weg nach Hause. Er warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr und stieß einen erleichterten Seufzer aus. Es war noch nicht allzu spät, sodass ihm das Kreuzverhör seiner Mutter wahrscheinlich erspart bleiben würde.

Nach dem High-School-Abschluss hatte er einen Job in einer kleinen Fabrik bekommen, die Teile für Güterwaggons herstellte, aber es hatte nur ein Jahr gedauert, bis er aufgrund der angespannten Wirtschaftslage entlassen worden war. Seine Mutter hatte ihn gedrängt, wieder zur Schule zu gehen, und so hatte er sich im örtlichen Community-College eingeschrieben.

Es war die richtige Entscheidung gewesen. In der High-School war er zwar nur ein mittelmäßiger Schüler gewesen, am College schien er jedoch regelrecht aufzublühen. Seine Noten waren gut und nach dem Unterricht mistete er zusätzlich als Teilzeitkraft bei einem der Pferdezüchter aus der Gegend die Ställe aus.

Len bog in ihre Einfahrt ein, parkte seinen Wagen neben dem kleinen Haus, in dem sie zur Miete wohnten, und ging hinein. Seine Mutter saß in dem kleinen Wohnzimmer und sah fern.

»Hattest du Spaß?«

Len musste sich zusammenreißen, um nicht allzu breit zu grinsen. »Ja, kann man so sagen.«

Auf dem Nachhauseweg hatte er einige Zeit zum Nachdenken gehabt und obwohl er Tim definitiv vermissen würde, freute er sich für ihn, dass er einen guten Job gefunden hatte. Und Tim hatte recht gehabt: Es war für sie beide höchste Zeit, weiterzuziehen, bevor einer von ihnen gefühlsmäßig zu viel investierte. Tim war ein wunderbarer Mentor gewesen und Len würde ihn nie vergessen.

»Da liegt Post für dich auf dem Tisch. Sieht nach einer Hochzeitseinladung aus.«

»Von wem?«

Sie zuckte mit den Schultern und widmete sich wieder dem Fernseher. Sie arbeitete hart, hatte sie schon immer, und er wünschte sich, ihr mehr unter die Arme greifen zu können. Aber jedes Mal, wenn er davon anfing, sich eine Vollzeitstelle suchen zu wollen, hatte sie ihn ausgeschimpft und ihm gesagt, er solle zuerst seine Schule beenden.

Len ging in die Küche und sah den großen, auffälligen Briefumschlag auf dem Tisch liegen. Er nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn von allen Seiten, bevor er ihn schließlich öffnete und die Einladung hervorzog.

»Ruby heiratet«, rief er zu seiner Mutter rüber.

»Großartig! Wer ist der Glückliche?« Den Fernseher ließ sie dabei keinen Moment lang aus den Augen.

»Cliff Laughton.«

Na, wenn das mal keine Überraschung war. Seit er siebzehn gewesen war, hatte er Cliff kaum gesehen, aber hin und wieder wanderten seine Gedanken immer noch zurück zu jener Nacht, als sie sich auf der Abschlussfeier vom Musical beinahe geküsst hätten – oder zumindest hatte er das damals geglaubt. Inzwischen war er sich da nicht mehr so sicher.

»Wann ist die Hochzeit?«

Er las in der Einladung nach. »In drei Wochen.«

»Wirst du hingehen?«

Kurz dachte er darüber nach. Er hatte Ruby schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen, aber ja, es wäre sicherlich schön, sie wiederzusehen.

»Ich denke schon.«

 

***

Die Hochzeit war märchenhaft. Sie fand in der Landkirche etwa eine Meile von der Farm von Cliffs Familie statt, die Rubys neues Zuhause werden würde. Zu Lens Überraschung waren ziemlich viele Leute dort, die er kannte. Als er die Einladung angenommen hatte, hatte er sich gefragt, ob er überhaupt jemanden kennen oder gar wiedererkennen würde, aber im Großen und Ganzen sah es so aus, als wäre die Zeit stehen geblieben. Jeder war hoch interessiert daran, alte Freunde wiederzutreffen.

Nach dem Gottesdienst fuhr er zur Hochzeitsfeier und fand sich an einem Tisch voller Leute wieder, mit denen er Jahre zuvor befreundet gewesen war. Es war beinahe eine kleine Wiedersehensfeier.

Er spürte einen sanften Stups in die Seite. »Na, Len, triffst du dich grade mit jemandem?« Raelyn strahlte ihn vom Nachbarsitz aus an.

»Im Moment nicht.« Dann dachte er an Tim. »Ist nichts draus geworden.«

»Erinnerst du dich noch an Brenda Grant?« Len nickte und versuchte, interessiert auszusehen. So viele Leute hatten in letzter Zeit versucht, ihn zu verkuppeln, und allmählich wurde es nervig. »Sie hat grade mit Brad Schluss gemacht und gemeint, dass sie mal bei dir vorbeischauen will.«

Gott sei Dank hatte sie das bis jetzt nicht getan. Möglichst unverbindlich meinte er: »Das wäre nett.«

Raelyn strahlte. »Ich werd's ihr ausrichten.«

Beinahe hätte Len aufgestöhnt, verkniff es sich aber im letzten Moment und die Unterhaltung wandte sich anderen Themen und dem örtlichen Klatsch zu, bevor es Zeit für die Reden wurde.

Der Trauzeuge klopfte sachte mit einem Löffel gegen sein Glas, um sich die Aufmerksamkeit der Gesellschaft für seine Rede zu sichern. Dann brachte er seinen Toast aus und danach wurde das Abendessen serviert, gefolgt von den üblichen Hochzeitsspielen.

 

***

 

Len sah zu, wie Cliff mit seiner frisch angetrauten Braut über die Tanzfläche wirbelte; beide strahlten überglücklich. Als er sie so zusammen sah, schweiften seine Gedanken abermals zurück zum Abend der Abschlussfeier der Theatergruppe und Len dachte bei sich, was er doch für ein Trottel gewesen war. Tim hatte ihn davor gewarnt, sich niemals in einen Hetero zu verlieben.

Und während Len darüber nachgrübelte, was gewesen wäre, wenn sie an diesem einen Abend nicht gestört worden wären, kam er mehr und mehr zu dem Schluss, dass alles nur in seiner Einbildung stattgefunden haben musste. Dann endete der erste Walzer und andere Pärchen strömten auf die Tanzfläche.

Nach einer Weile wurde der Brauttanz ausgerufen und Len reihte sich mit den anderen Männern ein, um seine Pflicht zu erfüllen. Als er auf Ruby zukam, lächelte sie ihn an und sie begannen zu tanzen.

»Ich hab' mich so gefreut, dass du doch gekommen bist.«

»Ich auch. Ich konnte es kaum erwarten, dich wiederzusehen, seit ich die Einladung bekommen habe.« Sie bewegten sich elegant über die Tanzfläche und harmonierten gut miteinander, wie sie es immer getan hatten.

»Triffst du dich mit jemandem?«

»Bis vor kurzem, ja, aber momentan nicht.« Es war eine einfache Antwort, die ihm mühelos über die Lippen kam. Er wusste, dass er damit die gelegentlichen Treffen mit Tim hochspielte, aber er brauchte etwas, hinter dem er sich verstecken konnte.

»Wie war er so?«

Beinahe wäre Len gestolpert, aber ein Irrtum war ausgeschlossen; er hatte Ruby klar und deutlich verstanden. Sie lächelte allerdings nur und verstärkte ihren Griff um seine Hand, damit sie nicht zu sehr aus dem Rhythmus kamen.

»Woher…?« Er zwang sich dazu, ihren Bewegungen zu folgen und einfach weiterzutanzen, obwohl sein Magen sich schmerzhaft verkrampfte und das Hühnchen vom Abendessen versuchte, wieder nach oben zu kommen.

»Woher ich es weiß? Das war doch nicht schwer.« Sie grinste. »Ich weiß es schon eine ganze Weile.« Ihr Lächeln wurde weicher. »Es ist okay. Ich würde es nie jemandem erzählen.«

»Weiß Cliff es?«

Sie lachte leise. »Himmel, nein. Machst du Witze? Er ist ein größeres Plappermaul als Sheila.« Dann wurde sie wieder ernst. »Es ist für mich vollkommen in Ordnung und ich würde es nie irgendwem sagen. Aber ich wollte, dass du weißt, dass es keine Rolle spielt. Du bist immer noch mein Freund und ich hab' dich vermisst.«

Bevor er irgendetwas darauf erwidern konnte, klopfte ihm jemand von hinten auf die Schulter. Ein Zeichen dafür, dass er nicht der Einzige war, der heute noch mit der Braut tanzen wollte. Er ließ Rubys Hand los und wollte gerade gehen, beugte sich stattdessen aber noch einmal vor und gab ihr einen sanften Kuss auf die Wange.

»Du bist eine echte Lady.« Dann übergab er die Braut an den nächsten aus der Reihe.

Auf dem Rückweg zu seinem Platz entschied er sich, auch Cliff kurz Hallo zu sagen. Zu Lens Überraschung erinnerte der sich sogar an ihn.

»Len, schön, dass du kommen konntest.«

»Danke für die Einladung.« Er warf einen Blick zur Braut hinüber, die gerade mit einem ziemlich alten Kerl tanzte. »Sie ist eine wunderbare Frau. Ich wünsche euch von ganzem Herzen, dass ihr miteinander glücklich werdet.«

»Danke.«

Len wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte. Ganz sicher hatte er nicht vor, den flüchtigen Kuss – von dem er zumindest glaubte, dass es ihn gegeben hatte – vor all diesen Jahren zu erwähnen. Also schüttelte er dem Bräutigam nochmal mit den besten Wünschen die Hand und kehrte zu seinem Tisch zurück.

Nach einer Weile wurde das Licht gedimmt, während das Treiben auf der Tanzfläche unbeirrt weiterging. Braut und Bräutigam machten ihre Runde entlang der Tische, sprachen mit allen und nahmen Glückwünsche entgegen. Nach einem kurzen Aufenthalt an seinem Tisch zog das glückliche Paar weiter und Len beschloss, dass es Zeit war, nach Hause zu fahren. Er wünschte allen eine gute Nacht, ging zu seinem Wagen und machte sich auf den Heimweg.

Seine Mutter saß im Wohnzimmer und sah sich gerade das Ende einer Wiederholung von Fantasy Island im Fernsehen an. Mit einem Lächeln drehte sie sich zu Len um, als er hereinkam.

»War die Hochzeit schön?«

»Ja, und wie. Das Essen war fantastisch und ich hab' mit der Braut getanzt. Allerdings hatten wir nicht wirklich Zeit, uns viel zu erzählen, aber sie will in den nächsten Wochen anrufen, damit wir uns mal treffen können.« Er ließ sich auf das Sofa fallen und lockerte seine Krawatte, während sein Blick zwischen dem Fernseher und seiner Mutter hin und her wanderte.

Als die Sendung vorbei war, stand sie auf und schaltete den Fernseher aus. »Ich werde die vermissen, wenn sie sie in ein paar Monaten absetzen.« Es war die Lieblingsserie seiner Mutter und sie hatte noch keine einzige Folge verpasst. »Hast du was auf dem Herzen?«

»Ja, sowas in der Art…« Dass Ruby ihm so unverblümt offenbart hatte, dass sie über seine Sexualität Bescheid wusste, hatte ihn aus der Bahn geworfen. Seine Mutter und er hatten sich immer nahegestanden und es kam ihm nicht richtig vor, Geheimnisse vor ihr zu haben – insbesondere dann nicht, wenn jemand anderes es bereits wusste. Er hatte nur Angst davor, wie sie reagieren würde.

Sie setzte sich neben ihn und strich ihm übers Knie. »Schon gut, Schatz, erzähl mir einfach, was los ist.«

Len wusste nicht, wie er anfangen sollte, und so platzte er einfach heraus: »Mom, ich bin schwul.« Angespannt wartete er auf ihre Reaktion.

Für den Bruchteil einer Sekunde saß sie regungslos da. »Ist das alles? Ich dachte, du willst mir was erzählen, was ich nicht schon längst wusste.«

»Du wusstest es?«, echote Len fassungslos. »Gott, weiß es denn jeder?«

»Ich denke nicht, und was meinst du mit jeder

»Ruby hat es mir gesagt, als ich mit ihr getanzt habe.«

Eigentlich war das nicht die Reaktion, die er erwartet hatte, aber er war trotzdem dankbar dafür. Wenn er ehrlich war, war er nicht einmal sicher, was er überhaupt erwartet hatte.

»Ich kann nicht für Ruby sprechen, aber ich kann dir sagen, dass eine Mutter ihr Kind kennt.« Sie gähnte und erhob sich. »Ich geh' ins Bett.« Bevor sie das Zimmer verließ, gab sie ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn. »Wir sehen uns morgen. Dann können wir reden.«

Nachdenklich blieb Len im Wohnzimmer zurück. Er hatte sein tiefstes und dunkelstes Geheimnis zwei Menschen offenbart und sie hatten ihn nicht angewidert von sich gestoßen. Natürlich war er sich darüber im Klaren, dass es nicht immer so leicht werden würde, aber es gab ihm dennoch Hoffnung. Er stand auf, schaltete das Licht aus und ging ebenfalls zu Bett.