Kilian Hattstein-Blumenthal

Sympathie – Antipathie – Empathie

Was die Seele bewegt

Verlag Freies Geistesleben

Inhalt

Eine Märchenbetrachtung

Die Prinzessin

Der Prinz

Der «eiserne» Heinrich

Skizze

Antipathie

Goethe zeigt das Phänomen in der Seele eines Mädchens

Prozesse der Antipathie, theosophisch und menschenkundlich betrachtet

Antipathie versuchsweise erleben oder: Der Weg zur Fragwürdigkeit

Kältetechniken

Die Antipathie-Reife

Primär antipathische Gefühle

Wozu wir Angst brauchen

Kurze Phänomenologie des Hassens

Ekel als Fähigkeit

Gefühl für das Schöne, Wahrheitsempfinden, Gerechtigkeitssinn

Fazit

Empathie

Schulen

Der «eiserne» Heinrich wacht im 20. Jahrhundert auf

Entdeckung, Funktion und Bedeutung der «Spiegelneurone»

Intuition und Bildqualität

Kurzer Ausflug in die Entstehungsgeschichte des Wortes «Empathie»

Einfühlung, Resonanzneurone und Menschenkunde

Empathie in den Forschungen Rudolf Steiners

Die Kritik an den «Spiegelneuronen» und unsere Bilder vom Denken

Die Schule der Einfühlung oder: Ein konkretes Beispiel für das Arbeiten mit der seelischen Grundkraft Empathie

Du und ich

Bewunderung als Schule der Empathie

Humor als Schule der Empathie

Sympathie

Liebe ist kein Gefühl

Das Phänomen Sympathie, historisch und in anthroposophischer Beleuchtung

Die Schule der Neugier

Lust und Unlust oder: Die Schule der Motivation

Die Schule des Vertrauens, früher: Schule des Mutes

Die wunderbare Welt der dreigliedrigen Seelenkunde

Systematik der dreigliedrigen menschenkundlichen Seelenbetrachtung

Gewaltfreie Kommunikation als Praxis der Empathie

Empathie in der Schule – Kann man sie lehren?

Goethe lehnt die Forderung der Selbsterkenntnis ab

Goethe arbeitet mit Sympathie, Antipathie und Empathie

Die Entdeckung der spirituellen Kreativität

Anmerkungen

Über den Autor

Impressum

Eine Märchenbetrachtung

 

Die Prinzessin

Es ist nicht die Liebe, welche im grimmschen Märchen vom Froschkönig die glücksentscheidende Wendung bringt. Die Prinzessin, «so schön, dass die Sonne selber, die doch vieles gesehen hat, sich verwunderte», erlöst ihren künftigen Bräutigam, den vorerst noch «garstigen» Frosch, vielmehr, indem sie ihn «aus allen Kräften wider die Wand wirft» 1. Wie kommt sie dazu? Sie «ward bitterböse», sagt das Märchen. Und so, glühend vor Hass, findet sie die Entzauberungstat, bricht sie den Bann.

Mit der Redewendung, wir fänden den Betreffenden «zum an die Wand Werfen», verorten wir unsere Streitpartner in antipathisch eskalierten Auseinandersetzungen. Die Chance aber, auch «bitterböse» entbannend zu wirken, kommt uns dabei nicht mehr in den Sinn. Unser Empfinden bleibt quasi in Froschgestalt an der Wand hängen, blickt schockiert auf eigene und fremde Aggressionen – und erkennt deren mögliche Verwandlungskraft nicht. Kein Prinz fällt uns mehr, den Frosch hinter sich lassend, von Wänden, an die unser Hass ihn schmetterte, herab. Liegt unsere bedauerliche Unfähigkeit, in sogenannten «negativen» Gefühlen Verwandlungsmöglichkeiten zu erkennen, nur daran, dass wir nicht mehr an Märchen glauben?

Verschärfen wir die Frage: Wie soll Hass irgendeine Art von Erlösung bringen können? Wo doch in der gegenwärtig erfolgreichsten Erzählform, dem Kinofilm made in Hollywood, es immer die Liebe ist, welche die glücksentscheidende Wendung bringt! Nun, der Hollywoodfilm bezieht seine Wirkungsmacht aus der raffinierten Kombination von psychologisch-realistischer Personenzeichnung und einer Dramaturgie, die auf der des Märchens beruht. Ein entscheidender Aspekt dieser Hollywood-Märchendramaturgie ist die unverhoffte Glückswendung, die durch Liebe geschieht. Warum funktioniert das für unser Erzählbedürfnis so treffsicher? Überrascht uns deshalb die anders lautende Wendung beim Froschkönig?

Wir bemerken, dass hier eine Grundannahme fassbar wird: Unser unbedingter Wille, an die sprichwörtliche «Macht der Liebe» zu glauben. Was aber will uns die Froschköniggeschichte weismachen, mit ihrem Motiv der Verwandlung kraft Hass? Betrachten wir den Vorgang genauer, verfolgen wir die Genese des Hassens, wie sie das Märchen erzählt.

Der Frosch holt bekanntlich der Prinzessin die hinabgefallene goldene Kugel aus dem Brunnen. Sie aber bricht ihr Versprechen, ihn daraufhin zum Dank mitzunehmen. Anderntags sitzt nun die Königsfamilie bei Tisch. Da klopft es an der Tür und jemand ruft die Prinzessin heraus. Sie öffnet nichts ahnend und sieht: den Frosch. «Da warf sie die Tür hastig zu, setzte sich wieder an den Tisch, und ward ihr ganz angst.» Hier finden wir die erste der Emotionen, die die Prinzessin später den Frosch an die Wand wird werfen lassen: ihre Angst.

Der Frosch ist inzwischen ins Schloss eingelassen worden. Doch damit nicht genug. «Da saß er und rief: ‹heb mich herauf zu dir.› Sie zauderte, bis es endlich der König befahl. Der Frosch ließ sich’s gut schmecken, aber ihr blieb fast jedes Bisslein im Halse.» Als zweiten emotionalen Auslöser ihrer späteren Tat lernen wir hier den Ekel kennen.

Vom Ekel bleiben nun alle ihre folgenden Handlungen gezeichnet. Weil es aber der Vater befohlen hat, trägt sie den Frosch, ihn fies «mit zwei Fingern» packend, in ihr Zimmer. Sie setzt ihn ins hinterste Eck.

Aber das nutzt nichts. «Ich bin müde, ich will schlafen so gut wie du: heb mich herauf, oder ich sag’s deinem Vater», quakt der Frosch. Die Drohung mit dem Vater bringt das Fass zum Überlaufen: «Da ward sie erst bitterböse, holte ihn herauf und warf ihn aus allen Kräften wider die Wand. ‹Nun wirst du Ruhe haben, du garstiger Frosch.›» Die durch Angst erschütterte, im Ekel bitter gewordene Gefühlslage der Prinzessin eskaliert zur hasserfüllten Tat.

Angst, dazu Ekel und schließlich Hass – in was für einem Märchen befinden wir uns?

Wir haben soeben drei Gefühle in Aktion erlebt, die wesentliche Bestandteile der seelischen Grundkraft Antipathie darstellen. Diese bisher eher schlecht beleumundete emotionale Grundgeste scheint, so legt es das Märchen nahe, Verwünschungen zu brechen. Mehr noch: Sie bringt auf dem Umweg über die Fassung verlierende Prinzessinnen aus Fröschen Prinzen hervor.

Der Prinz

Der Prinz hat ein klares Ziel, das Grundlage aller seiner froschbedingt missverständlichen Handlungen ist. Dieses Ziel besteht nicht einfach darin, mit der Prinzessin ins Bett zu steigen. Sondern, seltsam genug, scheint er eben jenen Hass, der ihn als Frosch vernichten wird, mit seiner klugen Eskalationsstrategie, welche der Prinzessin keine Wahl als den Wandwurf lässt, herauszufordern. Will er denn sterben? Keineswegs. Sein Ziel ist es, wieder er selbst, nämlich ein Prinz zu werden. Und er verfolgt und erreicht dieses Ziel durch unablässige Akte der Sympathie.

Vom Beginn der Geschichte an zeigt sich uns der Prinz alias Frosch als vorbildlicher Liebhaber: Er tröstet und hilft am Brunnen. «Sei still und weine nicht. Ich kann wohl Rat schaffen, aber was gibst du mir, wenn ich dein Spielwerk wieder heraufhole?» Die Prinzessin, dergestalt aussichtsreich getröstet, bietet ihm ihre Kleider, Perlen und Edelsteine, auch noch die goldene Krone.

Nach Besitz aber steht sein Sinn nicht. Er will Liebe, und will ihren konkreten Vollzug: «Wenn du mich lieb haben willst und ich soll dein Geselle und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bett schlafen: wenn du mir das versprichst, so will ich hinuntersteigen und dir die goldene Kugel wieder heraufholen.»

Es lohnt sich, hier kurz zu verweilen und folgenden Versuch anzustellen: Blenden wir den uns bekannten Fortgang der Geschichte einmal aus. Lesen wir die Worte des Prinzen im Frosch ein zweites Mal, ohne der uns vom Märchenerzähler nahegelegten Perspektive der Prinzessin, die den Frosch verachtet und eklig findet, auf den Leim zu gehen.

Trauen wir einmal seinen Worten: «Wenn du mich lieb haben willst, und ich soll dein Geselle und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bett schlafen: wenn du mir das versprichst, so will ich hinuntersteigen und dir die goldene Kugel wieder heraufholen.»

Ist das nicht eine bewundernswert offene Liebeserklärung? Oder, anders gesagt, ein wunderschöner und sehr detaillierter Heiratsantrag?

Wir wissen nun, dass die Prinzessin ihr Versprechen nur zum Schein gibt. Da Märchenerzähler auch Gedanken lesen können, erfahren wir präzise, was dabei in ihr vorgeht: «Sie dachte aber: ‹Was der einfältige Frosch schwätzt, der sitzt im Wasser bei seinesgleichen und quakt und kann keines Menschen Geselle sein.›»

Die Prinzessin, keineswegs geneigt, ihr Versprechen zu halten, bereitet ihre in der finalen Froschbegegnung hervorbrechende Antipathie-Bekundung also durch ein weiteres negatives Gefühl vor: durch Verachtung. Sie erzeugt in sich das Vorstellungsbild einer tumben Horde im Wasser quakender Frösche und befindet prinzessinnenhaft kühl, aber kaum abstreitbar, dass Wesen dieser Art «keines Menschen Geselle sein» können. Damit schiebt sie alle womöglich aufkommenden Bedenken, ihren kleinen Helfer zu hintergehen, beiseite. Der Märchenerzähler enthüllt uns die in ihren Gedanken stattfindende Verachtung. Eine Haltung reinster Antipathie, beschrieben an sprechendem Ort: dem vor anderen scheinbar so leicht geheimhaltbaren Reflexionszentrum unseres Denkens. Wer im Denken Verachtung kultiviert, bereitet verlässlich den Weg zu entsprechenden Handlungen.

Dem Liebesgeständnis des Frosches folgt deshalb leider die Liebesenttäuschung. Und gar bitter hören wir ihn klagen: «Aber was half ihm, dass er ihr sein Quak Quak so laut nachschrie, als er konnte! Sie hörte nicht darauf, eilte nach Hause und hatte bald den armen Frosch vergessen.» So erbarmungslos können nur Prinzessinnen sein.

Aber der Frosch wäre kein Prinz, wenn er sich damit geschlagen gäbe. Der nächste Tag findet ihn vor den Toren des Schlosses. Die Eskalation der Auseinandersetzung zwischen Sympathie – in Gestalt des Frosches – und Antipathie – in Gestalt der Prinzessin – beginnt. Er fordert, sie verweigert. Die Sympathie, der Antipathie nicht nur hier unterlegen, bedarf der Hilfe von prominenter Seite. «Der König ward zornig und sprach: ‹Wer dir geholfen hat, als du in der Not warst, den sollst du hernach nicht verachten.›» Dergestalt richterlich, aber auch mitfühlend beraten, muss sich die Antipathie der Sympathie unterwerfen und die Prinzessin den Frosch zum Tischgenossen nehmen. Wo zuvor Verachtung und Angst am Werk waren, wächst jetzt der Ekel.

Auf des Vaters Drängen darf der Frosch dann selbst ins Kämmerlein mit, in welchem die letzten Akte zu spielen pflegen. «Als sie aber im Bett lag, kam er gekrochen und sprach: ‹Ich bin müde, ich will schlafen so gut wie du, heb mich herauf.›» Es sei betont: Er kommt nicht, um mit ihr zu schlafen, sondern weil er müde ist. (Den menschenkundlich Bewanderten wird das Ineinsfallen von Sympathie, also Wille, mit dem Bewusstseinszustand Schlaf nicht überraschen). Aber das Schlafen soll eine besondere Qualität haben, darum ist es dem Frosch zu tun. «Ich will schlafen so gut wie du», das heißt: königlich gebettet, von der Prinzessin geschätzt und geachtet, wie sie sich selbst schätzt und achtet. Der Frosch will mit der Prinzessin gleich sein und weiß, dass er es verlangen darf, denn er ist ihr ebenbürtig, weil er ein Prinz ist.

Zwei Grundmotive der Liebe sprechen sich hier aus. Einmal das Gleichheitsmotiv: Wer liebt, begehrt mit dem oder der Geliebten gleich zu sein. Das aber, so das zweite Motiv, ist eine höchst exklusive Angelegenheit: Gleich sein will die Liebe nur mit dem oder der Einzigen, die dafür geschaffen ist. Genau diese Erklärung gibt der wiederhergestellte Prinz nach vollzogenem Wandkontakt: «Da erzählte er ihr, er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden, und niemand hätte ihn aus dem Brunnen erlösen können als sie allein.»

Zum Glück verfügte die Prinzessin nicht über solch verwunschenes Wissen. Hätte sie sonst die einzig mögliche Verwandlungstat, den befreienden Wurf «wider die Wand», gefunden? Ihr Hass musste seinen Teil zur Erlösung beitragen. Denn der beharrlich-unerwiderten Froschliebe wie auch dem froschverstehenden Mitgefühl des königlichen Vaters blieb der Erfolg versagt. Erlösung bringt erst die Wand und der Hass.

Die Betrachtung des Märchens aus der Froschperspektive regt also folgende Überlegung an: Liebe allein kann, so scheint es, ebenso wenig wie Mitgefühl Verwünschungen lösen. Als gemeinsames Motiv aller froschigen Sympathiehandlungen erscheint dagegen im Märchen: der Wunsch nach Wieder-Selbstwerdung als Erlösung von einem auferlegten Bann. Dieser Wunsch trieb den Prinzen an, er ist der Grund seiner – und aller? – Liebe.

Rekapitulieren wir objektiv: Die Sympathie des Frosches verwandelt ihn selbst nicht. Im Gegenteil: Sein unnachgiebiges Verhalten macht ihn zum An-die-Wand-Werfen. Erst nach wundersam überlebtem Drama, in der Fernwirkung ihres Wunsches, verwandelt die Sympathie des Prinzen dann doch noch jemanden, und zwar die Prinzessin. Sie macht aus ihr allerdings keinen Frosch, sondern eine Braut.

Der Märchenforscher Rudolf Geiger erhellt die Brautwerdung der Prinzessin in seiner Interpretation des Froschkönigs um einen interessanten Aspekt, indem er schreibt: «Er» (der Prinz) «leitet sie an, den Weg der Selbstüberwindung zu bestehen. Sie besteht ihn, legt die Kindheit ab und wird die in sich selbst entschlossene Frau.»2

Dass die Vereinigung zweier Personen, und noch gar zum Königspaar, aber wirklich Glück bringt, sogar über die unmittelbar Betroffenen hinaus, erfahren wir im ebenso wesentlichen wie gerne übersehenen zweiten Teil der Geschichte. Wir erfahren es durch eine erstaunliche Person, Heinrich, den der Erzähler immerhin als Titelfigur einführt: «Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich» finden wir unser Märchen überschrieben.

Der «eiserne» Heinrich

Beim Adjektiv «eisern» ist man versucht, gleich wieder das Thema Antipathie zu assoziieren.

Doch es soll noch einmal ganz anders kommen. Heinrich, durch dessen nun beginnende Beteiligung am königlichen Märchen erst verständlich wird, warum er «eisern» genannt wird, ist der Diener des gerade erst vom Froschsein genesenen Prinzen.

Die erste gemeinsam verbrachte Nacht des endlich menschlich-königlich wesensgleichen Paares ruft mit Anbruch des neuen Tages sogleich einen Wagen hervor, «mit acht weißen Pferden bespannt, die hatten weiße Straußenfedern auf dem Kopf und gingen in goldenen Ketten». Mit diesem Wagen fallen wir aus der bisher vorherrschenden Stimmung des Märchens, die geprägt war von den mythisch berührenden Bildern von Brunnen und Kugel, König und Kämmerlein. Wir wachen auf in absolutistischer Zeit, deren Gepräge die reich geschmückte Kutsche samt Diener zur Sprache bringt. Der Bruch wird verstärkt dadurch, dass nach der hohen Dramatik des Vorangegangenen nun vorderhand nicht mehr viel erzählt wird: Das Paar besteigt die Kutsche und fährt mit ihr davon – was soll da noch Wichtiges geschehen? Natürlich ist dieser Schwenk in eine absolutistisch geprägte «Neuzeit» – die Zeit des «eisernen» Heinrich – ein erzählerischer Trick von höchster Finesse.

Welchen Perspektivwechsel bezweckt der Märchenerzähler, indem er die Mythen-Bilder fahren und eine neue Zeit heranbrechen lässt? Wir erinnern uns daran: Das Märchen nahm seinen Ausgang «in den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat». Dieser vielleicht paradiesische, vielleicht aber auch gefährliche Zustand (Verwandlung zum Frosch!) ist nun bereits Vergangenheit. Jetzt kommt die Zeit – und sie währt heute noch –, in der «das Wünschen» definitiv nicht mehr hilft. Was aber wäre das für ein Märchen, wenn es uns einfach in den kalten Abendhauch der entzauberten Welt aussetzen würde, ohne den geringsten Zauberschlüssel für die Rückkehr in wunschoffeneres Gelände?

Zunächst fahren, wie gehört, acht weiße Pferde, mit weißen wippenden Straußenfedern und klirrenden goldenen Ketten schauerlich-schön ins Reich des erlösten Königssohnes, während hinten sein Diener auf dem Wagen steht.

Dieser Diener wird nun zur Hauptfigur. Und, merkwürdig genug, obwohl er in der Überschrift als «eisern» bezeichnet wurde, nennt ihn das Märchen stets den «treuen» Heinrich. Bevor er damit über seine Diener-Funktion hinaus bedeutsam werden kann, fährt der Wagen aber erst einmal ein Stück des Weges, von unseren Fragen begleitet.

Werden sie denn glücklich bleiben können, so fragen wir uns, die königlichen zwei? Wie lange hält der Prinz vor? Wann wird er wieder zum Frosch? Und was wird aus der Prinzessin beim Prinzen zu Hause? Wann brauchen sie die nächste Wand, um einander dagegen zu werfen? Was wird aus einem Prinzen, den man «wider die Wand wirft» – wenigstens ein Frosch? In was verwandelt sich gar eine Prinzessin, der solches widerführe?

Wir bemerken, wir bleiben, indem es weitergeht, selber vom Märchen unerlöst. Unser Bewusstsein kann, geprägt von der Zeit nach dem «Wünschen», wie es nun einmal ist, nicht beim glücklichen Sich-Gefunden-Haben zweier Liebender Abschied nehmen. Es will neugierig noch mehr wissen, will die Geschichte weiter hören. In dieser Stimmung treten wir in die Erzählung vom «eisernen» Heinrich ein und erwarten, oder befürchten, nach dem Drama die Tragödie.

Nichts davon beim Froschkönig. Was hier folgt und uns einen bedeutsamen Schlüssel überreichen kann, ist eine lupenreine Komödie.

Die Hauptfigur dieser Komödie ist ein gezeichneter Mann. «Der treue Heinrich hatte sich so betrübt, als sein Herr war in einen Frosch verwandelt worden, dass er drei eiserne Bande hatte um sein Herz legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge.» Das mit Eisen vor dem Zerspringen geschützte Herz – des Dieners, und nicht etwa eines Liebhabers! Ein protopsychologisches Bild, kaum noch märchenhaft in seiner seelen-handwerklichen Direktheit. Dass seelische Schmerzen sich im Kreislauforgan des Herzens lokalisieren, ist keine metaphorische Wendung, sondern eine auch medizinisch anerkannte Tatsache. Solchem Leiden aber mit Schmiedearbeit abhelfen zu wollen – das stellt einen unerhörten Selbstheilungsversuch dar. Wir wissen nun, warum der dergestalt herausragend treue Diener der «eiserne» Heinrich genannt wurde. Und nehmen ein von Rührung untermaltes Schmunzeln über seinen drastischen Schmerzbewältigungsversuch mit in den Fortgang der Geschichte.

«Als sie ein Stück Wegs gefahren waren, hörte der Königssohn, dass es hinter ihm krachte, als wäre etwas zerbrochen. Da drehte er sich um und rief:

‹Heinrich, der Wagen bricht.›

‹Nein, Herr, der Wagen nicht,

es ist ein Band von meinem Herzen,

das da lag in großen Schmerzen,

als ihr in dem Brunnen saßt,

als ihr eine Fretsche wast.›*

Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg, und der Königssohn meinte immer, der Wagen bräche.»

Warum finde ich diese Geschichte von der dreimaligen Angst des Prinzen vor dem bereits auf seiner Hochzeitsreise dreimalig drohenden Radbruch so erfrischend komisch? Um sie so zu verstehen, muss der geneigte Leser sich mit mir in die Situation hineinversetzen. Muss sich vorstellen, mit dem Prinzen und der Prinzessin in der Kutschenkabine zu sitzen und mit acht Pferdestärken heimwärts ins Eheglück zu brausen. Dann der Schock: ein metallenes Krachen von hinten. Radbruch! Die Fahrt geht aber weiter. Besorgt fragt der Kutschenbesitzer bei seinem Diener nach (der offensichtlich nicht der Kutscher ist, denn er fährt «hinten» mit). Nein, kein Radbruch, sondern ein gebrochenes Herzensband.

Nun, beim ersten Mal kann man gerührt sein. Beim zweiten Mal vielleicht verwundert oder erstaunt. Aber beim dritten Mal? Da stellt sich doch eine Heiterkeit ein, angehoben vom rührend mitfühlenden Wesen des Dieners: eine Situationskomik, die entschlüsselt werden kann durch Einfühlung und die in ihrem zentralen Bild, den gelösten Herzensbanden, auf das verweist, was ich im Weiteren als die dritte seelische Grundkraft beschreiben werde: Empathie.

Ja, einen wirklich herzensbefriedigenden Abschluss scheint die Geschichte vom durch Antipathie erlösten Froschkönig erst in einem Satz finden zu können, der geneigt stimmt, alle Lebensangst vor Radbrüchen beiseitezulegen: «Und es waren doch nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr erlöst und glücklich war.»

Erst die Teilnahme des treuen Heinrich am Glück seines Herrn, so meine ich, gibt der Entwünschung des Prinzen menschliche Tiefe und weist bemerkenswert über die stets glücklich schließende Märchenform hinaus. Mit der trauerprallen Brust des treuen Heinrich können wir uns nun entspannen und dürfen der Hoffnung Nahrung geben, dass dieser Druckabfall Vorbild für eine Technik werden kann, deren Ziel es ist, eiserne Herzenshalterungen abspringen zu lassen. Auch sie soll hier untersucht werden, in Gestalt von Techniken der Empathie.

Die komödiantische Anekdote nach geendigtem Märchen jedenfalls öffnet den seelischen Raum, welcher den Hochzeitsreisenden unsere Anteilnahme an ihrem Glück erst sichert.

Als Fazit dieses ersten Kapitels seien drei Feststellungen herausgehoben, von denen unsere Untersuchung von Antipathie, Empathie und Sympathie ihren Ausgang nehmen wird:

Antipathie ist nicht nur Abneigung – ihr wohnen Verwandlungskräfte inne, die es als Schätze neu zu heben gilt. Antipathie fordert uns auf, Türen zu suchen, wo sie Mauern – aus Projektionen – aufstellt.

Sympathie verfolgt ihre Ziele auf froschgestaltige Art; deswegen