Cover

Christoph Drösser

Der Logikverführer

Schlussfolgerungen für alle Lebenslagen

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

Über Christoph Drösser

Christoph Drösser, geboren 1958, ist Redakteur im Ressort Wissen der Wochenzeitung «Die Zeit», für die er 1997 die Kolumne «Stimmt’s?» ins Leben rief. 2005 wurde Drösser vom Medium-Magazin zum «Wissenschaftsjournalisten des Jahres» gekürt. Neben insgesamt sechs «Stimmt’s?»-Büchern hat Christoph Drösser die weiteren Bestseller «Der Mathematikverführer», «Der Physikverführer» und «Der Musikverführer» bei rororo veröffentlicht.

Über dieses Buch

Logik für alle Lebenslagen

 

Kann ein Mensch ständig lügen? Ist «Sein oder Nichtsein» wirklich die Frage? Und wie findet man den optimalen Gebrauchtwagen? – Von der klassischen Logik bis zu ihren modernen Nachfolgern, von Beweistheorie, Mengenlehre und theoretischer Informatik bis zur fuzzy logic führt Bestsellerautor Christoph Drösser Sie in die Welt des richtigen Schließens ein. In spannenden und lehrreichen Geschichten vermittelt er zwanglos Grundlagen, Besonderheiten und Fallstricke dieser formal strengeren Schwester der Mathematik. Dazu gibt es einen Überblick über die wichtigsten logischen und rhetorischen Fehlschlüsse, mit dem Sie jede Talkshow durchschauen, und eine ganze Reihe pfiffiger logischer Knobeleien.

Impressum

Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag , Reinbek bei Hamburg, Dezember 2012

Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Lektorat Frank Strickstrock

Umschlaggestaltung ZERO Werbeagentur, München

(Illustration: Jana Bischoff für FinePic, München)

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Buchausgabe 978-3-499-62799-6 (1. Auflage 2012)

ISBN Digitalbuch 978-3-644-47481-9

www.rowohlt-digitalbuch.de

 

Anmerkung: Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf die Seitenzahlen der Printausgabe.

ISBN 978-3-644-47481-9

Fußnoten

1

Biermann sagte in seinem berühmten Konzert in der Kölner Sporthalle, das der Anlass für seine Ausbürgerung war, über diese Zeilen: «Sie drücken sehr genau den politischen Gemütszustand vieler junger Menschen in der DDR aus.»

2

Wenn wir heute über Leibniz’ Traum lächeln, dann machen wir es uns vielleicht zu einfach. Auch in jüngster Zeit hat es ähnlich vermessene Versuche gegeben: etwa das Projekt «Cyc» des amerikanischen Informatikers Doug Lenat, das Computer mit einem kompletten menschlichen Alltagswissen ausstatten sollte. Auch hier waren die Elemente ein Satz von Wahrheiten des gesunden Menschenverstands, eine formale Sprache zu ihrer Beschreibung und die Schlussregeln der Prädikatenlogik. 1984 startete das Projekt, und Lenat schätzte den Aufwand für seine Vollendung auf 350 Mannjahre. Bis heute aber ist das Projekt nicht abgeschlossen, es gibt lediglich ein paar Wissensmodule für spezielle Anwendungsgebiete.

3

Siehe «Der Tankstellenmörder» im «Mathematikverführer» und «Der Quanten-Kult» im «Physikverführer»

4

Eigentlich müsste man hier Klammern setzen: , weil die Operatoren ja streng genommen nur für zwei Aussagen definiert sind. Aber bei dreigliedrigen Aussagen mit dem Operator «und» oder «oder» kann man die Klammern setzen, wie man will, und sie deshalb auch weglassen.

5

Manche Leser kennen die Familie Wortmann bereits aus der Geschichte «Im Kinderzimmer» aus dem «Physikverführer».

6

Eine Liste der gebräuchlichsten logischen Axiome und Schlussregeln finden Sie im Anhang.

7

Das Rätsel stammt von Frank Westenfelder, www.daf-raetsel.de

8

siehe S. 31

9

Lassen Sie sich nicht dadurch verwirren, dass Mengen hier plötzlich mit kleinen Buchstaben geschrieben werden. Im formalen Mengenkalkül gibt es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen «Mengen» und «Elementen» – jede Menge kann auch ein Element in einer anderen Menge sein.

10

Die Axiome und Regeln dieser Mengenlehre finden Sie im Anhang!

11

Die ersten vier vollkommenen Zahlen sind 6, 28, 496 und 8128.

12

Bei diesem Problem muss sich der Kandidat zwischen drei Türen entscheiden. Er wählt eine, daraufhin öffnet der Moderator eine der beiden anderen Türen, hinter denen sich eine Ziege verbirgt, und bietet dem Kandidaten an, seine Wahl noch einmal zu überdenken. Soll er bei seinem ersten Tipp bleiben oder lieber die verbliebene dritte Tür wählen? Es ist tatsächlich besser, zu wechseln. Manche Leute glauben das nicht, und es sind schon ganze Bücher über das Problem geschrieben worden, zum Beispiel von Gero von Randow («Das Ziegenproblem», Rowohlt 1992).

13

Dieser Satz ist beweisbar. Aber ob es unendlich viele «Primzahlzwillinge» wie 17 und 19 gibt, ist bisher nicht bekannt – und niemand weiß, ob sich der Satz oder seine Negation beweisen lassen.

14

Wir wissen ja schon aus früheren Kapiteln, dass sich auch die logischen Operatoren auf weniger Symbole reduzieren lassen. Man käme also auch mit weniger Zeichen aus, aber die Formeln wären dann noch schwerer zu lesen.

15

Siehe Seite 77!

16

Mit dieser Fehleinschätzung ist Lang Tsung nicht allein. Der Chef der Computerfirma IBM, Thomas J. Watson, soll 1943 gesagt haben: «Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt.» Allerdings gibt es keinen Beleg für das Zitat.

17

Turings entscheidende Arbeit erschien im Jahr 1936 – da hatte in Berlin gerade Konrad Zuse angefangen, sein «mechanisches Gehirn» Z1 zu bauen. Davon erfuhr Turing allerdings erst Jahre später.

18

Vor ein paar Jahren hat der amerikanische Tüftler Mike Davey tatsächlich eine solche Maschine gebaut – ein wunderschönes Stück Technik, zu bestaunen unter aturingmachine.com.

19

Ich habe solche Steuerungen und andere interessante Dinge über die Fuzzy-Logik vor vielen Jahren in einem Buch beschrieben: Fuzzy Logic – Methodische Einführung in krauses Denken, erschienen bei rororo, es ist leider nur noch antiquarisch erhältlich.

Vorwort

Unlogik lässt sich eben durch Logik in keiner Weise erschüttern.

Hoimar von Ditfurth, «Das Erbe des Neandertalers»

Die Logik hat ein schlechtes Image. Sie gilt als kalt und berechnend, und in der Populärkultur gibt es viele Figuren, die sich lächerlich machen, weil sie versuchen, den unlogischen Seiten des Lebens mit dem schwarz-weißen Formalismus logischer Gesetze zu begegnen – man denke nur an den Vulkanier Spock aus Raumschiff Enterprise.

Ein Grund dafür ist, dass die Logik selbst ja keine inhaltlichen Aussagen macht. Sie zieht nur Schlüsse aus Voraussetzungen, fügt diesen eigentlich nichts hinzu. Ist das alles leeres Wortgeklingel? Auch in diesem Buch werden Sie einige formale Ableitungen von Sätzen finden, von denen Sie sagen: Ist doch logisch – warum muss man das so kompliziert beweisen?

So denken auch viele Mathematiker und Philosophen. Die Logik als die Disziplin, welche diese beiden Fächer verbindet, führt an beiden Fakultäten eher ein Schattendasein. Die Philosophiestudenten ärgern sich über Pflichtklausuren, bei denen sie skurrile Wortungetüme umformen müssen, die Mathematiker empfinden die Logik oft als überspitzfindigen Formalismus, der sie daran hindert, ihre Einsichten kurz, knapp und «elegant» aufzuschreiben.

Aber gerade die Mathematiker haben vor etwa hundert Jahren erfahren, dass ein zu salopper Umgang mit der Logik ihnen regelrecht den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohte. Gleich mehrmals wurde die Mathematik durch logische Widersprüche erschüttert, und es dauerte lange, bis sie wieder auf einem einigermaßen sicheren Fundament stand.

Auch wenn die Logik den Sätzen, auf die man sie anwendet, nichts eigentlich Neues hinzufügt, so heißt das doch nicht, dass man durch sie keine neuen Erkenntnisse gewinnen kann. Wieder ist die Mathematik das beste Beispiel: In ihrer modernen Form leitet sie alle ihre Sätze aus einfachen Axiomen her. Das heißt, sie fügt diesen simplen Prämissen nichts hinzu, alles steckt von vornherein in den harmlos erscheinenden Annahmen drin. Fermats letzter Satz, die Poincaré’sche Vermutung – all die spektakulären mathematischen Erkenntnisse der letzten Jahre, an denen geniale Geister jahrelang herumgeknobelt haben, sind letztlich «nur» angewandte Logik.

Aber auch Nichtmathematiker tun gut daran, sich zumindest in Grundzügen mit den Gesetzen der Logik zu beschäftigen. Sie halten uns zu einer Art «mentaler Hygiene an», sie zwingen uns, Gedanken sauber zu formulieren. In Kapitel 3 liste ich fünfundzwanzig unsaubere Argumentationsweisen auf, logische und andere Fehlschlüsse, die uns täglich in den Fernseh-Talkshows begegnen.

Und natürlich ist Logik auch eine Quelle für Rätselspaß. Drei Typen solcher Rätsel habe ich für Sie herausgesucht: Logicals, Lügner-Rätsel und Hut-Rätsel. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass man sie ohne jegliches Wissen allein mit der Kraft der Logik lösen kann. Beispielhafte Lösungswege zeige ich Ihnen auf, und dann können Sie sich an einigen Aufgaben selbst versuchen.

Danken möchte ich Andreas Loos und Bernd Schuh für die Durchsicht meines Manuskripts und einige wichtige inhaltliche Hinweise sowie meiner Agentin Heike Wilhelmi und meinem Lektor Frank Strickstrock bei Rowohlt. Für Hinweise auf eventuelle Unlogik und Anregungen besuchen Sie meine Homepage www.droesser.net!

Christoph Drösser, Hamburg, im September 2012

1 Wenn der Mond aus grünem Käse ist …

oder
Von Logik und Wirklichkeit

Drei Logiker kommen in eine Bar. «Wollt ihr alle ein Bier?», fragt die Kellnerin.

«Weiß ich nicht», sagt der erste Logiker.

«Weiß ich nicht», sagt der zweite Logiker.

«Ja!», sagt der dritte Logiker.

Menschen, die sich viel mit Logik beschäftigen, finden das zum Brüllen komisch. Die anderen denken: Mit solchen Menschen will ich nicht in die Kneipe gehen!

Die logische Erklärung des Witzes: Logiker 1 will ein Bier, aber er weiß nicht, was seine Begleiter wollen, deshalb kann er die Frage weder mit «ja» noch mit «nein» beantworten.

Logiker 2 kann aus der Antwort von Logiker 1 schließen, dass der Durst auf ein Bier hat. Denn wäre das nicht der Fall, dann könnte er die Frage mit «nein» beantworten – ein Satz, der mit «Alle …» beginnt, wird schon durch eine einzige Ausnahme falsch. Logiker 2 möchte auch gern ein Bier, aber weil er nichts über den Durst von Logiker 3 weiß, muss er auch mit «Weiß ich nicht» antworten.

Erst Logiker 3 kann eine definitive Antwort geben: Er weiß, dass seine beiden Begleiter ein Bier trinken möchten, er selber möchte auch eins – also antwortet er mit «Ja!».

Willkommen im Land der Spitzfindigkeiten! Wenn Ihnen die Gedankengänge in diesem Witz Spaß gemacht haben, dann können Sie auch gleich einen Blick in Kapitel 11 werfen und eine Reihe von Rätseln lösen, in denen man ähnlich um die Ecke denken muss. Im richtigen Leben kommen solche Situationen glücklicherweise selten vor – wenn eine Kellnerin eine Gruppe von Gästen fragt, ob alle ein Bier wollen, dann wird die Antwort kein Schulterzucken sein, sondern ein vielstimmiges «Ja», «Klar!», «Aber hallo!». Und dann wird durchgezählt, um die Zahl der gewünschten Biere zu ermitteln.

Es geht im Leben eben nicht immer logisch zu, und das ist auch gut so. Sonst könnte Hamlet nicht sagen: «Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage» – denn ein Satz der Form «A oder nicht-A» ist immer wahr und daher überhaupt keine Frage. Und als der Sänger und Dichter Wolf Biermann, damals noch in der DDR, seiner inneren Zerrissenheit mit den Worten Ausdruck verlieh: «Ich möchte am liebsten weg sein und bleibe am liebsten hier», da hätte er sich bestimmt den Einwurf verbeten, dass der Satz von der Form «A und nicht-A» sei und deshalb ein Widerspruch. Das Leben ist eben voller Widersprüche, und manchmal muss man sie, anders als in der Logik, aushalten.[1]

Als ich vor einigen Jahrzehnten an der Universität Mathematik und Philosophie studierte, gehörte für die Philosophen Logik zum Pflichtprogramm, und die Vorlesung war eine Angstveranstaltung für die meisten von ihnen. Der Höhepunkt des Nichtverstehens kam, als der Professor, ohne die Miene zu verziehen, den Satz deklamierte: «Wenn der Mond aus grünem Käse ist, ist die Zahl fünf betrunken.» Und dann auch noch behauptete, der Satz sei wahr – weil man nämlich aus etwas Falschem etwas Falsches folgern kann, und die Gesamtaussage stimmt trotzdem.

Vielleicht hat der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der neben Germanistik und Anglistik auch Philosophie studiert hat, diese Vorlesung im Studium geschwänzt, jedenfalls schrieb er auf dem Höhepunkt der Affäre um den Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff Anfang 2012 einen empörten Kommentar in seiner Zeitung. Wulff hatte in seinem berüchtigten Fernsehinterview versucht, die Vorwürfe der Vorteilsannahme gegen ihn zu entkräften und plausible Erklärungen für sein Verhalten zu liefern. Schirrmacher glaubte kein Wort von diesen Ausflüchten und schrieb: «Weil eine falsche Prämisse alles falsch macht, war das Interview des Präsidenten so fatal.» Fatal war das Interview in der Tat, aber in der Logik machen falsche Prämissen eben nicht alles falsch, sondern alles wahr. «Wenn das Wörtchen ‹wenn› nicht wär’, wär’ mein Vater Millionär» – der Satz stimmt, und trotzdem hat man keinen Cent mehr.

Die logische Implikation macht dem gesunden Menschenverstand aber nicht nur Probleme, wenn die Prämisse falsch ist – auch wenn sie stimmt, kommen seltsame wahre Sätze zustande: «Wenn Berlin die Hauptstadt von Deutschland ist, dann ist Angela Merkel Bundeskanzlerin.» Sicherlich, beide Teile der Aussage stimmen, aber was haben sie miteinander zu tun? Nichts, lautet die Antwort. In der Logik geht es nicht um den inhaltlichen Zusammenhang zwischen Aussagen. «Wenn … dann», das suggeriert in der Umgangssprache immer eine kausale Beziehung zwischen den Sätzen, aber davon weiß die Logik nichts (mehr dazu in Kapitel 9).

Aber auch meine mathematischen Kommilitonen haben sich nicht intensiv für die Logik interessiert. In Bonn, wo ich studiert habe, gab es im mathematischen Institut auch eine Abteilung für «Logik und Grundlagenforschung», untergebracht in einem kleinen, vom Institut angemieteten Haus in einer Nebenstraße. Die meisten Studenten haben das Haus nie betreten. Auch wenn die mathematische Logik die Grundfeste der Mathematik im 20. Jahrhundert gehörig erschüttert hat und letztlich gezeigt hat, dass sich nicht alle wahren Sätze dieser doch so logischen Wissenschaft logisch beweisen lassen (siehe die Kapitel 8 und 10), gehen die Mathematiker in ihrer täglichen Arbeit doch erstaunlich naiv mit der Logik um. Sie haben ein paar Beweistechniken gelernt und wenden ansonsten ihren gesunden Menschenverstand an, und damit kommen sie ziemlich weit.

Logik ist blind gegenüber der Wirklichkeit. Sie interessiert sich nur für den formalen Zusammenhang zwischen Aussagen. Für die Schlüsse, die sich aus einer Zahl von Prämissen ziehen lassen, wenn diese denn stimmen. Ihre Domäne ist nicht die Induktion, also das Herleiten von Gesetzmäßigkeiten durch Beobachtung der Wirklichkeit, sondern die Deduktion. Logik an sich verschafft einem keine Argumente in einer Diskussion, aber sie kann die Stichhaltigkeit von Argumenten überprüfen.

Oft wird der Logik deshalb eine gewisse Kälte vorgeworfen. Lieutenant Commander Spock, der Vulkanier auf der «Enterprise», war zwar ein scharfer Analytiker, aber in Gefühlsdingen eher unbeholfen. Aber gerade diese Eigenschaft der Logik haben große Denker in der Vergangenheit für einen Vorteil gehalten und davon geträumt, mit kühler Logik die heißen Dispute der Menschheit entscheiden zu können. Gottfried Wilhelm Leibniz gehörte dazu, der zwei Jahre vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges geboren wurde, eines Konflikts, bei dem fast die Hälfte der Bevölkerung den Streit über Glaubensfragen mit dem Leben bezahlte. Leibniz träumte davon, dass die Logik an die Stelle heißblütiger und gewaltträchtiger verbaler Gefechte treten könnte. «Es wird dann beim Auftreten von Streitfragen für zwei Philosophen nicht mehr Aufwand an wissenschaftlichem Gespräch erforderlich sein als für zwei Rechnerfachleute», schrieb Leibniz. «Es wird genügen, Schreibzeug zur Hand zu nehmen, sich vor das Rechengerät zu setzen und zueinander (wenn es gefällt, in freundschaftlichem Ton) zu sagen: Lasst uns rechnen.»

Mit den Mitteln der Logik wollten die Gelehrten seit dem Mittelalter sogar die letzten Fragen beantworten – mehr als einmal wurde versucht, die Existenz Gottes durch reines Nachdenken aus logischen Prinzipien zu folgern. Der Erste, der sich dazu anschickte, war im 11. Jahrhundert Anselm von Canterbury. Seine Argumentation ging etwa folgendermaßen:

 

Diese Argumentation erscheint uns heute verquast, mittelalterlich und scholastisch, und niemand wird sich von ihr zur Religion bekehren lassen. Aus einem sprachlichen Konstrukt («das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann») wird auf die Existenz eines Wesens geschlossen, das die entsprechenden Eigenschaften aufweist. Aber etwas ganz Ähnliches passierte der Mathematik Anfang des 20. Jahrhunderts: Die nach Cantors naiver Mengenlehre erlaubte «Menge aller Mengen», die nichts Größeres über sich zuließ, war ein vergleichbares Konstrukt, das die Mathematik in Widersprüche stürzte, wie Bertrand Russell 1903 zeigte. Das führte direkt zu einer sehr ernsten Grundlagenkrise dieser doch auf reiner Logik aufbauenden Wissenschaft. Mehr dazu in Kapitel 8!

Leibniz träumte davon, eine universelle Beschreibung der Welt zu entwickeln, eine «Characteristica universalis», bestehend aus einer Enzyklopädie der gesicherten Wahrheiten, einer formalen Sprache zu ihrer Beschreibung und einem Satz an Schlussregeln, mit denen man daraus neue Wahrheiten ableiten und alle Dispute entscheiden konnte. Er war überzeugt, ein solches Projekt mit einer Gruppe von Wissenschaftlern innerhalb von fünf Jahren auf die Beine stellen zu können. Aber er starb, bevor er die Sache angehen konnte.[2]

Leibniz’ Idee musste nicht nur deshalb scheitern, weil der Aufwand zu groß war. Es gibt noch einen tieferen Grund: Allein mit Logik kann man nicht alle Wahrheiten beweisen. Das gilt insbesondere für die Mathematik: 1931 zeigte Kurt Gödel, dass jedes hinreichend komplexe formale System (was das heißt, davon handelt Kapitel 10) wahre Sätze enthält, die sich aber mit den Mitteln der Logik nicht beweisen lassen. Das war dann schon der zweite Tiefschlag für die Mathematik innerhalb von 30 Jahren.

Logik ist «inhaltsneutral», sie fügt den Sätzen, auf die sie angewandt wird, nichts hinzu. Sie holt nur die Wahrheiten aus ihnen heraus, die immer schon ihn ihnen stecken. Letztlich produziert sie nur Tautologien – Sätze, die unabhängig von ihrem Inhalt wahr sind. Wie viel das aber sein kann, zeigt die Mathematik: Alle ihre Erkenntnisse sind letztlich Tautologien, also Schlüsse aus den als wahr angenommenen Axiomen. Das zeigt, was für ein starkes Werkzeug die Logik sein kann.

Ich lade Sie ein auf eine Reise durch die Welt der Logik – eine Reise, auf der uns Rätsel und Knobeleien begegnen, gute und schlechte Argumente, Antinomien und Paradoxa, und die uns schließlich Grenzen des menschlichen Denkens aufzeigt.

Es gibt zu dem Witz mit den Logikern, den ich am Anfang zitiert habe, noch eine Variante: Vier Logiker kommen in eine Bar. «Wollt ihr alle ein Bier?», fragt die Kellnerin.

«Weiß ich nicht», sagt der erste Logiker.

«Weiß ich nicht», sagt der zweite Logiker.

«Weiß ich nicht», sagt der dritte Logiker.

«Nein», sagt der vierte Logiker.

«Ach, ihr seid wohl Logiker?», lacht die Bedienung. «Dann bringe ich euch mal eure drei Bier!»

«Ja», sagt der vierte Logiker, «und für mich bitte ein Glas Rotwein!»

2 Lüge und Wahrheit

oder
Wenn Ganoven über die Logik stolpern

Der Tag fängt ja gut an, denkt Kommissar Detlef Behnke. Durch seine offen stehende Bürotür kann er einen Blick in den Flur werfen, dort sitzen seine drei Verdächtigen: Arnold Sägemeister (genannt Arnie), Bodo Kümmerling (in der Szene bekannt als Bomben-Bodo) und Christian Würger (alias Geldschrank-Chris). Die drei haben gerade ihre Einzel-Verhöre hinter sich, und offenbar sind sie mit dem Resultat zufrieden: Jedenfalls scheinen sie bester Laune zu sein, tuscheln miteinander, Arnie klopft sich gar auf die Schenkel. Die gute Laune ist berechtigt, denn wenn ihm nicht bald eine gute Idee kommt, wird Behnke die drei freilassen müssen.

Dabei ist er sicher, dass mindestens einer der drei für den Bankraub verantwortlich ist, der gestern die Gespräche in der Kleinstadt beherrscht hat. In der Nacht von Montag auf Dienstag war die Tür der örtlichen Sparkassenfiliale fachmännisch aufgebrochen worden. Die Täter hatten die Alarmanlage außer Gefecht gesetzt und dann mit einer sogenannten Sauerstofflanze den Tresor aufgeschweißt und 20000 Euro Bargeld mitgenommen. Sie wussten genau, wo sie ihr Werkzeug ansetzen mussten – hier waren Profis am Werk, so viel ist sicher. Oder war es ein einzelner Täter? Keine Fingerabdrücke, keine Zeugen, es sah zunächst nach einer langen Fahndung mit ungewissem Erfolg aus. Es ist Behnkes erster Fall im Raubdezernat, er hat sich vor ein paar Wochen nach 20 Jahren Mordkommission[3] hierher versetzen lassen. «Ich habe genug Leichen gesehen», hatte er seinem Chef zur Begründung erklärt. Eine schnelle Aufklärung des spektakulären Raubs wäre wirklich ein guter Einstand.

Und gestern sah es noch danach aus: Da kam diese ältere Dame ins Kommissariat, Frau Meister, um die 75, ein bisschen wacklig auf den Beinen, aber offenbar geistig voll dabei. Sie erzählte von einer Beobachtung, die sie in der letzten Woche gemacht hatte: An «Wolfgangs Wurstwagen» hatte sie eine Brühwurst verzehrt, und am Stehtisch neben ihr standen drei Männer, die ihr ein bisschen Furcht eingeflößt hatten. Sie hatte sich ans äußerste Ende ihres Tischs zurückgezogen, konnte aber immer noch einige Fetzen des Gesprächs aufschnappen: «Sparkasse», «Montag Nacht», «Sauerstofflanze». Vor allem an das letzte Wort konnte sie sich gut erinnern, weil sie es vorher noch nie gehört hatte. Als dann die Nachricht über den Einbruch die Runde machte, fiel ihr das Erlebnis gleich wieder ein, und sie ging schnurstracks zur Polizei.

Behnke war begeistert von dieser Zeugenaussage. Es war eine Sache von Minuten, die einschlägigen Verdächtigen aus der Polizei-Datenbank herauszusuchen und Frau Meister ihre Fotos vorzulegen. Und die war sich sehr sicher, dass Arnie, Bodo und Chris die drei Männer waren, welche sie an der Wurstbude belauscht hatte. Die Gegenüberstellung, da ist sich Behnke sicher, würde jeden Richter überzeugen.

Auch die heutige Festnahme der drei einschlägig vorbestraften Ganoven ist kein filmreifes Drama gewesen – alle traf die Polizei zu Hause an, bereitwillig ließen sie sich zur Wache eskortieren.

Dort achtete Behnkes Assistent Oliver Hufnagel darauf, dass die drei Verdächtigen keinen Kontakt miteinander hatten. Sie sollten keine Gelegenheit haben, ihre Aussagen abzusprechen. Einzeln wurden sie ins Verhörzimmer geführt. Und nachdem ihnen die Aussage von Frau Meister vorgehalten worden war, entschieden sich erstaunlicherweise alle drei, zur Sache auszusagen, anstatt die Aussage zu verweigern, was ja ihr gutes Recht gewesen wäre.

Arnold Sägemeister wurde als Erster vernommen. «Wir haben uns eigentlich mehr zufällig an der Wurstbude getroffen», erklärte er. Man kenne sich noch vom letzten Aufenthalt in der nahe gelegenen Strafvollzugsanstalt und sei dann ein bisschen ins Plaudern gekommen. Fachsimpelei übers Geschäft sozusagen – ein Geschäft allerdings, das für ihn, Arnie, längst Vergangenheit sei. «Aber offenbar sahen Bodo und Chris noch eine Zukunft für sich in dem Gewerbe», sagte Arnie. «Jedenfalls erzählten sie, wie leicht die Alarmanlage in der Sparkasse zu umgehen sei und dass die Panzerung des Geldschranks auch kein großes Hindernis darstellen würde.» Man sei dann wieder von dem Thema abgekommen – aber Bodo und Christian hätten keinen Zweifel daran gelassen, dass sie die Sparkassenfiliale im Visier hatten.

Als Nächster wurde Bodo vernommen. Auch er erzählte, dass das Treffen am Imbiss nicht geplant gewesen sei, er habe sich gefreut, die Kumpel von früher wiederzusehen. Er selbst führe ja jetzt ein ganz sauberes, ehrliches und bescheidenes Leben, aber insbesondere Arnie habe deutlich gemacht, dass er das schnelle Geld aus einem Bankraub einem mühselig erarbeiteten Hilfsarbeiter-Lohn vorziehen würde. Und dann habe Arnie den beiden anderen von seinen Plänen mit der Sparkassenfiliale erzählt. «Er hat uns sogar angeboten, dass wir mitmachen und jeder ein Drittel der Beute kassieren sollte – aber Chris und mir war die Sache zu windig, wir hatten beide keine Lust, wieder für ein paar Jahre hinter Gitter zu wandern.»

Die Aussage von Chris wiederum ähnelte sehr der von Arnie, fast wörtlich sogar – nur dass die Namen vertauscht waren. Arnie und Bodo hätten offenbar schon vor ihrem Treffen detaillierte Pläne für den Raub gehabt, sie hätten ihn nicht einmal gefragt, ob er mitmachen wollte – offenbar hätten sie das Geld nicht mit ihm teilen wollen. Außerdem hätte er so ein Ansinnen auch bestimmt abgelehnt, dazu sei ihm sein bescheidenes Leben in Freiheit zu wichtig.

Drei Aussagen, drei unterschiedliche Versionen der Geschichte. Jeder beschuldigt einen anderen oder beide Freunde. Ganovenehre zählt wohl heute nicht mehr viel, denkt Behnke. Oder ist die Sache abgekartet? Haben die drei schon vorher vereinbart, drei widersprüchliche Aussagen zu machen – und dann grinsend zuzusehen, wie die Polizei versucht, ihnen etwas nachzuweisen?