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Jeremias Gotthelf

Uli der Pächter





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Jeremias Gotthelf: Uli der Pächter

 

Jeremias Gotthelf

 

Uli der Pächter

 

 

 

 

 

verlag.bucher@gmail.com

 

Inhalt:

Vorwort

1. Kapitel.

Eine Betrachtung

2. Kapitel.

Der Antritt der Pacht

3. Kapitel.

Das Erntefest oder die Sichelten

4. Kapitel.

Wie zwei Säemänner an zwei Äckern stehn und wie verschiedenen Samen sie aussäen

5. Kapitel.

Kraut und Rüben durcheinander, wie es sich gibt in einer Haushaltung

6. Kapitel.

Ein Kindlein kommt und wird getauft

7. Kapitel.

Eine Überraschung, aber keine angenehme

8. Kapitel.

Wie Zögern wechselt mit Überraschen, aber ebenfalls nicht auf angenehme Weise

9. Kapitel.

Vom Gemüt und vom Gesinde

10. Kapitel.

Wie bei einer Taufe Weltliches und Geistliches sich mischen

11. Kapitel.

Von einer Falle, welche Uli abtrappet, aber diesmal noch ohne Schaden

12. Kapitel.

Dienstbotenelend

13. Kapitel.

Von Haushaltungsnöten und daherigen Stimmungen

14. Kapitel.

Von Verträgen und allerlei Künsten und Kniffen

15. Kapitel.

Wie viel man an einem Tage gewinnen und wie viel man verlieren kann

16. Kapitel.

Es kömmt Angst, und über jedes eine andere

17. Kapitel.

Nach der Angst kommt der Tod

18. Kapitel.

Ein Gericht und zwei Sprüche

19. Kapitel.

Ein ander Gericht und ein einziger Spruch

20. Kapitel.

Des Spruches Folgen

21. Kapitel.

Wie Uli mit Menschen rechnet und Gott sucht

22. Kapitel.

Uli erlebt ein Abenteuer

23. Kapitel.

Joggeli erlebt auch was und was Altes: daß was einer säet, er auch ernten muß

24. Kapitel.

Wie Gott und gute Leute aus der Klemme helfen

25. Kapitel.

Wie der Knäuel entwirrt wird

26. Kapitel.

Der neue Bauer in der Glungge erscheint

27. Kapitel.

Die dritte Reise zum Bodenbauer

28. Kapitel.

Wie die Welt im Argen bleibt und gebesserten Menschen es gut geht mitten in der argen Welt

 

 

Vorwort

Der erste Teil dieses Buches enthielt die Geschichte eines Knechtes, welcher durch Treue aus einem Knechte zum Meister wurde. Dieser zweite Teil enthält die Geschichte eines Meisters, welcher in den Banden der Welt lag und welchen der Geist wirklich frei machte. Der erste Teil war den Einen zu weltlich; was nun dieser Teil den Einen oder Andern sein wird, läßt der Verfasser dahingestellt. Der Verfasser behauptet nicht, das Rechte getroffen, sondern bloß das: mit ehrlichem Willen nach dem Rechten gestrebt zu haben. Ob das Publikum billig und damit zufrieden ist, weiß der Verfasser nicht. Mag es aber nun so oder anders sein, so ist das sein Trost, daß ihm, so Gott will, nirgends ein gedankenloses oder feiles Segeln mit herrschenden Winden wird nachgewiesen werden können.

Lützelflüh, den 13. Oktober 1848.

Jeremias Gotthelf

1. Eine Betrachtung

Drei Kämpfe warten des Menschen auf seiner Pilgerfahrt. Drei Siege muß er erkämpfen, will er dem vorgesteckten Ziele sich nahen, bei seinem Scheiden sagen können: Vater, es ist vollbracht, in deine Hände befehle ich meinen Geist. In einander hinein schlingen sich die drei Kämpfe, doch bald der eine, bald der andere drängt sich in den Vordergrund, bald nach dem Lebensalter, bald nach den Umständen.

Wenn der Frühling des Lebens blüht, die Kräfte sich entfalten, das Herz von Wünschen schwellt, die Seele zum Fluge nach oben die Flügel regt, aus dem sichern Hafen des väterlichen Hauses hinaus ins Leben, hinaus auf des trügerischen Meeres Höhe das Schifflein strebt, da wenden die reinsten und edelsten Kräfte sich dem Suchen einer Seele zu, im Ringen nach ihrem Besitz erglänzt zum ersten Male des Mannes göttliche Gestaltung. Es lebt ein tief Gefühl im Manne, und Gott hat es gepflanzt in den Mann, daß er, um zu kämpfen mit des trügerischen Meeres wilden Wellen, um zu besiegen die andringende Welt, eine zweite Seele bedürfe, daß er ein Weib bedürfe, um sich in dieser Welt zu schaffen und zu gründen ein bleibend Denkmal, die schönste Ehrensäule: eine tüchtige Familie, fest gewurzelt in der Erde und kühn und fromm hoch zum Himmel auf die Häupter hebend. Hat er die Seele gefunden, mit welcher vereint er sich getraut ein Haus zu erbauen, eine feste Burg gegen die lockende, andringende Welt, dann will er diese Seele an sich fesseln durch der Ehe heilig Band, welches nur Gott lösen soll. Nur wer des Lebens Bedeutung und seinen Ernst verkennt, das Leben hält für ein Schaukeln auf den Wellen der Lust ohne Ziel und Zweck, nur der verkennt der Ehe hohe Bedeutung, verhöhnt sie als veraltet, als eine morsche Schranke gegen wahre Kultur. Der ist dann aber auch kein Sohn der Ewigkeit, sondern ein Kind des Augenblicks; wie ein Irrlicht hüpft im Moor, so ist sein Wandel durchs Leben, wie ein Irrlicht versinkt im Moor, so sein Leben im Schlamme der Welt.

Hat er das Gefundene errungen, mit sich vereint durch der Ehe heilig Band, dann hat er den ersten Sieg erkämpft. Aber wehe dem, der mit dem Siege allen Kampf zu Ende glaubt. Das Wahren des Sieges ist oft schwerer als desselben Erringen, wie ein rascher, kühner Anlauf leichter ist als ein fest und standhaft Ausharren; diesen Wahn hat mancher Sieger mit Schmach und Tod gebüßt. Jetzt gilt es, die Ungleichheiten der Seelen auszugleichen, vor der Selbstsucht sich zu hüten und das innere geistige Band, die Liebe, zu wahren, die da langmütig ist und freundlich, sich nicht aufbläht, nicht ungebärdig stellt, nicht das Ihre sucht und sich nicht verbittern läßt.

Dem Ehemann beginnt so recht eigentlich der Ernst des Lebens, der Kampf mit der Welt. Wahrscheinlich hat er schon lange mit ihr gehändelt, manch Scherzspiel mit ihr getrieben, aber so recht mit Bewußtsein beginnt doch erst jetzt die ernste Schlacht.

Dem Feldherrn vor beginnender Schlacht gleicht der Hausvater am Morgen nach geschlossener Ehe. Wenn bei grauendem Morgen am Schlachttage aus seinem Zelte der Feldherr tritt, ist ernst bewegt sein Herz, prüfend schweift sein Auge durchs Gefilde, ermißt die Höhen, erforscht die Schluchten, erwägt die Kräfte, die ruhen hier und dort, schlummern vielleicht den letzten Schlaf, die bald sich messen werden in graulichem Gewühle. Er überschlägt den Anfang und denkt an das Ende. Während er sinnt und denkt, erwacht um ihn die Welt, Schildwachen rufen, Tritte rasseln, Pferde wiehern, Bajonette blitzen in der aufsteigenden Sonne, Rauch steigt auf, und zum Aufsitzen ruft die Trompete die Reiter. Des Tages Getöne verbreitet sich, es erwacht aus seinen Sinnen der Feldherr. Er rafft sich zusammen, ordnet die Kräfte, ruft zur Schlacht. Über dem Gewirre wacht sein Auge, mit starker Hand lenkt er dasselbe, rollt es auf, zieht es zusammen einem Netze gleich, in welchem der Fischer seine Fische fängt. Er beginnt den Kampf, die Kräfte messen sich, wie ein Wirbelwind wirbelt die Schlacht durch Schluchten, Felder und Berge. Der Donner der Kanonen erfüllt die Luft, blutrot färben sich die Waffen, schwarz und dunkel, ein grausig Leichentuch, legt der Rauch sich über Leichen und Lebendige, verhüllt den Augen der Gebietenden das Wogen der Schlacht. Da bedarf der Feldherr ein scharfes Auge, eine feste Seele, um mit starker, sicherer Hand die Wirbel der Schlacht zu schürzen und zu lösen nach seinem Sinne, sie zu behalten in seiner Macht, daß das Ende der Sieg ist und gebunden und ohnmächtig der Feind zu seinen Füßen liegt.

Glänzt endlich auf des Siegers Haupt des Sieges Krone, so gilt es, sie zu bewahren, nicht ein Opfer seiner Siege zu werden, schmählich zu enden. Es ziehen Siege und Kronen gar zu leicht ins Herz hinein, schwellen das Herz, regieren das Herz, trüben den Blick, lähmen die Hand, jagen den Sieger in den Untergang, das Ende so vieler Sieger.

Wie der Feldherr vor die Schlacht, trittet vor die Welt der junge Hausvater. Er will ihr abringen eine sichere Stätte, Platz zu einer Ehrensäule; er prüft die Welt, mißt seine Kräfte, beginnt endlich den Kampf mit den vorhandenen Kräften und im Vertrauen auf sie. Tausende werden rasch niedergerannt von der Welt, verlieren alsbald Mut und Leben; sie waren nicht befähigt zum Kampfe, ihr Dasein war und ist ein trostloses. Viele ringen immer und kommen nimmer zum Siege. Ihr Dasein ist ein mühseliges, das Schöpfen in ein durchlöchertes Faß, das Rollen des Steines, der immer wieder niederrollt, den Berg hinan; zu einem festen Sitz kommen sie nicht, die Krone der Ehre schmückt ihre Scheitel nicht, der Welt ringen sie nichts ab, eitel und voll Mühe war ihr Leben, und keine Beute ward ihnen, weder eine äußere noch eine innere. Andere dagegen scheinen glücklich, siegreich zu kämpfen mit der Welt, große Beute von allen Seiten fällt ihnen zu, aber diese Beute ist eben das trojanische Pferd, welches die Mauern ums Herz sprengt, dem verräterischen Feind den Zugang öffnet. Wie die Siege dem Sieger zieht sie ein in des Eroberers Herz, wirft dort zum Herrn sich auf; zum Knechte wird der Mensch, zu immer neuen Kämpfen hetzt sie den armen Sklaven, jagt ihn gleichsam alle Tage Spießruten; was er auch erbeuten mag von der Welt, ihren Schätzen und Genüssen: Ruhe und Genügen findet er nimmer, jeder neue Gewinn ist Öl in die alte Gier und Glut, neue Jagd durch die Wüste beginnt an jedem neuen Morgen, bis er endlich elendiglicher verendet als der, welcher der Welt nichts abgewonnen hat. Und so wird es jedem ergehen in höherem und geringerem Grade, augenscheinlicher und minder bemerklich, in welchem nicht ein dritter Kampf sich erhoben hat und siegreich, nicht zu Ende geführt, aber doch dem Ende zugeschritten ist. Er ist der höchste der Kämpfe, aber auch der schwerste, es ist der Kampf mit dem eigenen Herzen, der Kampf des neuen Menschen mit dem alten, der Kampf des Geistes mit der Materie. Glücklich gefochten, bringt er aber auch den höchsten Lohn: hier ein Genügen, welches über allen Verstand geht, drüben die Krone der Gerechtigkeit, die Kampfgabe des ewigen Jerusalems.

Im Herzen steckt von Anfang an und von Natur der alte Mensch, der da böse ist und verkehrt, Gott und den Nächsten haßt, sich allein liebt, lüstern ist nach der Welt, ihren Genüssen und Schätzen, der da einen Boden hat für alles Unkraut empfänglich, nicht für die Lust allein, absonderlich auch für Neid, Zorn, Haß und Rachgierigkeit. Dieser alte Mensch, vom Fleische geboren, ist es, der von der Welt sich locken läßt und gefangen genommen wird dem Affen gleich, dem man in einer Flasche Nüsse beizt; in den engen Hals der Flasche zwingt wohl der Affe die leere Pfote, aber die mit Nüssen gefüllte bringt er nicht durch den engen Hals, die Nüsse fahren lassen will er nicht, läßt lieber Freiheit und Leben. Dieser alte Mensch ist der Zwillingsbruder der Welt draußen; je mehr derselbe der Schwester abgewinnt, desto üppiger schwillt er auf, desto üppiger wird die Welt drinnen, desto größer ihre Gewalt, desto grausiger ihre Tyrannei über die arme Seele, wenn nämlich der dritte Kampf nicht entbrannt ist um die Emanzipation der Seele oder des neuen Menschen, der Kampf um das Himmelreich. Im dritten Kampfe soll eben nämlich der Himmel gewonnen und dieser gezogen werden ins Herz hinein, daß die Welt nicht Platz habe darin, daß man sie hat, als hätte man sie nicht, sie genießt, als genösse man sie nicht, übrig haben davon und Mangel leiden kann daran und beides unbeschwert.

Der alte Mensch ist der erste, der erstgeborne, wenn man will. Es schlummert aber im gleichen Gehäuse ein zweiter Mensch, geschaffen nach dem Ebenbilde Gottes, aber gefesselt in dunkler Höhle, gefangen gehalten durch den alten Menschen, dem alten Barbarossa ähnlich, der da auch schlummern muß in dunklem Bergesschoße, bis ihn ein junger Tag zu frischem Heldentume weckt. Der neue Mensch muß eben auch geweckt werden und zwar durch den Geist, dessen Brausen man wohl hört, aber von dem man nicht weiß, woher er kommt noch wohin er fährt. Auf ihm liegt, schwerer als der schwerste Stein auf märchenhaften Schätzen, Moder und Schutt von Welt und Sünde. Gewaltiger als das Wehen der Winde, welche das Gebirge sprengen wollen, das auf den himmelstürmenden Riesen liegen soll, muß der Hauch des Geistes sein, welcher wegfegt Moder und Schutt von Welt und Sünde, hebt den Stein vom engen Gehäuse, in welchem gefesselt liegt der neue Mensch, ihn kräftigt, daß er sich erhebt, den Kampf mit dem alten Menschen beginnt um den Besitz des Herzens, um des Lebens Ziel und Richtung.

Ohne Gott kann hier nicht gekämpft werden, am allerwenigsten glücklich, aber wo Gott mitkämpft, muß der Kampf zum Siege führen. Doch nie zum vollständigen, solange in sterblichem Gehäuse die Seele wohnt; erst im Grabe, das ist des Christen Hoffnung, versenkt er mit dem Leibe auch Sünde und Sündhaftigkeit. Der alte Mensch, wenn auch vom Throne gestoßen, ergibt sich auch in Fesseln nicht, erhebt alle Tage sich neu, gleich dem Satan, gegen Gott, wie hoffnungslos das Beginnen auch ist. Mit dem letzten Atemzuge erst legt er sich in ewige Ohnmacht. Darum bleiben fort und fort so bedeutsam die Worte: Wachet und betet, daß ihr nicht in Versuchung fallet! Je schwächer der Bruder darum ist, desto mehr verliert die Schwester, die Welt draußen, ihre Macht über den Menschen, sie hat nicht mehr Platz im Herzen, sie regiert nicht mehr, sondern wird regiert. Der Kampf mit ihr nimmt in dem Maße ab, als der gegen den alten Menschen sich dem Siege nähert. Wer also kämpfet, der ist ein guter Kriegsmann Jesu Christi, darf hoffen, gekrönt zu werden; des Lebens Bestimmung hat er erfüllt, das ewige Leben ergriffen, darf befehlen seinen Geist in des Vaters Hände.

Oh, groß und wunderbar ist des Lebens Bedeutung und eng und schwer durch das Leben der Weg, der zum Ziele führt! Oh, und wie leichtfertig und vermessen schlendern die Menschen durchs Leben, als ob sie weder Ohren noch Augen hätten, keinen Verstand, die Tage mit Weisheit zu zählen, als ob sie hundert Leben hätten, hundertmal von vornen wieder beginnen könnten, wenn eins in Liederlichkeit, Torheit und Sünde schmählich zu Ende gelaufen, als ob der Glaube abgeschafft sei und erlaubt, nach vieltausendjähriger Erfahrung erst sich zu bekehren, durch hundert verlorne Leben endlich klug geworden.

Heil denen, welchen in diesem Leben Augen und Ohren aufgehen und das rechte Verständnis kommt, daß mitten in der Welt der Himmel errungen werden muß, wenn wir die Liebe bewahren, die Welt überwinden, den Himmel jenseits schauen wollen, daß wir Gott hienieden finden, unser Herz seine Herberge werden muß, wenn er droben uns herbergen, unser Teil werden soll in alle Ewigkeit!

2. Der Antritt der Pacht

Dieses alles dachte Uli nicht, als er am Morgen nach seiner Hochzeit vor das Haus trat, unwillkürlich am Brunnen vorbei hinter das Haus schritt, von wo man einen großen Teil des Hofes übersah, aber Ähnliches regte sich doch in ihm. Ein Weib hatte er errungen, ein besseres gab es nicht, das wußte er. Aber vor ihm stund nun die Welt, an dieser besaß er so viel als nichts; das bedachte er, und bange ward es ihm. Er hatte sie angefaßt, diese Welt, den Kampf mit ihr begonnen, die Pacht um ein großes Gut war geschlossen, in wenig Tagen mußte er sie antreten, übers Jahr mehr als achthundert Taler Zins ausrichten, und diese achthundert Taler überstiegen sein Vermögen. Woher sie nehmen, wenn das Glück nicht auf seiner Seite stund, wenn die Welt stärker war als er, ihm nichts ablassen wollte von ihren Schätzen, ihm entriß, was er bereits hatte? Bangen kam über ihn, des Bangens Unruhe fuhr ihm in die Glieder, trieb ihn durch die Ställe, trieb ihn ums Haus herum, bis er wieder stillestund hinter demselben, Äcker und Wiesen rechnend übersah, rechnete und rechnete, daß ihm Hören und Sehen verging darob, daß er nicht wußte mehr, stund er auf dem Kopfe oder auf den Füßen, die Rechnungen sich verschlangen in einander, daß er nicht mehr wußte, wo der Anfang war, geschweige daß er das Ende finden konnte.

Plötzlich wurde er umschlungen; hochauf fuhr er, als ob es wirkliche Schlangen wären. Es war auch eine an Klugheit, aber eine ohne Gift und Galle, wie wir jedem Christen eine ins Haus wünschen möchten; es war Vreneli, das freundlich vor ihn trat, traulich ihm ins Auge sah, beide Hände ihm auf die Schultern legte und sagte: «Aber Uli, Uli, hast die Ohren verloren? Das Frühstück steht auf dem Tische, dreimal rief ich dir und allemal lauter und allemal umsonst. Uli, lieber Uli, fange mir nicht schon an mit Sinnen und Rechnen, weißt nicht, wie leicht man sich erst verrechnet und dann hintersinnet? Laß uns beten und arbeiten, das Andere auf Gott stellen, der soll unser Rechenmeister sein. Der wird schon rechnen, daß es gut kömmt, und der böse Kummer und das plaghafte, ängstliche Wesen, welches immer auf dem Trocknen ertrinken will und an der Sonne erfrieren, kommen nicht an uns. Uli, lieber Uli, wollen wir?» frug Vreneli fast wehmütig und streckte ihm die Hand dar. Uli schlug ein, folgte zum Frühstück, aber heiter ward doch sein Gesicht nicht.

Wahrscheinlich wußte er auch kaum so recht, was er seinem Weibchen versprochen hatte. Es gibt gar viele Menschen, welche sich von einem Gedankenzuge, der sich ihrer bemächtigt hat, kaum mehr losmachen können. Der Gedankenzug reißt sie dahin, und wenn sie schon Rede und Antwort geben, so wissen sie doch nicht worauf und was. Sie sind wie Solche, die in einem Eisenbahnzug dahinfahren und ihre Lieben schreien ihnen nach und sie schreien den Lieben zurück, aber Keines weiß, was geschrieen wird.

Es ist aber wirklich dem guten Uli zu verzeihen, wenn seine Gedanken gefangen und unwillkürlich in einer Richtung dahingerissen wurden, seine Lage war auch darnach. Vor ihm stund in nächster Nähe der Tag, wo er, wie man heutzutage zu sagen pflegt, ein Geschäft übernehmen sollte, welches weit, weit über sein Vermögen, das er so schwer und langsam erworben, ging, ihn in Jahresfrist ohne Wunder und absonderliche Greuel zugrunde richten konnte. Nun, Vielen hätte dieses nichts gemacht. Hunderte springen, wenn sie nur irgendwie ein Geschäft erblicken, mit beiden Beinen hinein, Tausende gar mit dem Kopf voran, ohne sich zu kümmern, mögen die Beine nach oder nicht. Uli gehörte nicht zu dieser Rasse. Uli hatte eine der bedächtigen Berner Naturen und war nicht demoralisiert durch den Zeitgeist, das heißt durch den Schwindelgeist der Zeit. Er besaß tausend Gulden, zirka sechshundert Taler. Vermögen legt der Berner gerne auf solides Unterpfand an, ehedem bloß auf dreifaches, jetzt nimmt man schon mit nur doppeltem vorlieb. Uli aber setzte das seine auf Regen und Sturm, auf Hagel und Dürre, auf Blitz und Seuche. Nicht bloß konnte ihm alles verloren gehen, sondern namentlich wenn Unglück in die Ställe brach, konnte er zwei-, dreimal mehr verlieren, als er besaß. Dann war nicht bloß der beste Teil seines Lebens scheinbar verloren, sondern der Rest desselben schien kaum hinreichend, sich dürftig von dem Schlage zu erholen. So ist es wohl erlaubt, daß es einem bange wird ums Herz, daß Vertrauen und Sorgen mit einander ringen. Wem es nicht so geht, der müßte wirklich sehr leichtfertig, neumodisch genaturt sein.

Die Vorbereitungen zur Übernahme wurden allmählich getroffen. Joggeli und seine Frau ließen nach und nach in den Stock schleppen, was sie behalten wollten, und Vreneli half treulich der Base einhausen, war ihr Kind nach wie vor, und wenn es auch das Eigene darob versäumen mußte, verzog es doch keine Miene. Es fanden sich eine Unmasse von Dingen vor, welche Uli nicht brauchte und Joggeli nicht. Diese wurden sämtlich in eine große Kammer zusammengetragen und aufgestapelt. An einer Steigerung hätte man daraus eine Summe gelöst, welche eine herrliche Erquickung für den Baumwollenhändler gewesen wäre. Aber auf der Glungge sollte keine Steigerung abgehalten werden. Überhaupt in allen soliden Häusern liebt man das Alte mehr als das Neue, Kleider verkauft man nicht. An jedes Stück knüpfen sich Erinnerungen, und an diese Erinnerungen knüpfen sich Lehren und Erfahrungen, und gar mancher Bauer zieht aus seiner Rumpelkammer und allen Winkeln seines Hauses weit mehr Weisheit ein als englische Lords und deutsche Gelehrte aus den kostbarsten und größten Bibliotheken, angefüllt mit Büchern, gebunden in Schweinsleder oder halb oder gar ganz Franzband.

Das Inventar von dem Geräte und dem Viehstand war groß, und die Schatzung, obgleich alles äußerst billig, machte Uli die Haare zu Berge stehen. Man denke sich zum Beispiel nur acht Kühe und jede durchschnittlich zu sechzig Talern. Dieses Inventar überstieg mehr als um das Vierfache Ulis Vermögen, mußte zu vier Prozent verzinset und später allfälliger Abgang ersetzt werden. Uli hatte großen Vorteil dabei, aber bedenklich war es doch in alle Wege.

Endlich kam der verhängnisvolle fünfzehnte März, an welchem, wie man zu sagen pflegt, Uli Nutzen und Schaden angingen. Es war ein schöner, heller Märztag, und doch kam er allen trüb und unheimlich vor. Es tat allen weh, die Alten ausziehen zu sehen. Als man ihr Hinterstübchen ausräumte und namentlich das große Bett hinüberschleppte, war es fast, als trage man ihnen einen großen doppelten Sarg voran. Die Base hatte den ganzen Tag das Wasser in den Augen, aber lauter heitere, aufmunternde Worte im Munde, sie hatte eine Gewalt über sich, welche allen Gebildeten zu wünschen wäre. Man sah es ihr an, sie betrachtete dieses Überziehen aus dem großen Hause in das kleine als eine Vorübung auf das Beziehen des allerkleinsten Häuschens, welches Armen und Reichen aus wenig Brettern zusammengeschlagen wird. In diesem kleinen Häuschen schläft man auch, doch wie wohl oder wie übel, das weiß Gott.

Als aber das alte Ehepaar zum erstenmal in ihrem großen Bette im Stocke schlafen wollte, da wollte der Schlaf nicht kommen; er war nicht gewohnt, sie hier in diesem Stübchen zu suchen. Ob Joggeli es zürnete, wissen wir nicht, es schien fast, als sei die Nacht ohne Schlaf ihm willkommen, um seiner Alten alle ihre Sünden bis weit in die Urwelt hinauf vorzuhalten und sie für alle Folgen derselben verantwortlich zu machen, nicht bloß bis auf Kinder und Kindeskinder, sondern bis drei Tage nach dem Jüngsten.

Die gute Alte schwieg lange, endlich lief es ihr doch über. «Ich hoffte,» sagte sie, «wenn dir die Last abgenommen werde, so werdest du einmal mit Gott, dir selbst und der Welt zufrieden. Aber wie ich leider sehen muß, bleibst du immer der gleiche Stürmi. Du hättest eigentlich zu einem armen Mannli, einem Korbmacher oder Besenbinder geraten und dreizehn oder neunzehn lebendige Kinder haben sollen, dann hättest du klagen können, vielleicht daß Gott es gehört hätte. Aber jetzt ists nur ein böser Geist, der dich immer klagen läßt, und der ist mit mir hinübergekommen und wird bei uns bleiben sollen. Ich muß mich versündigt haben, daß ich mich damit muß plagen lassen. In Gottes Namen, ich muß es so annehmen. Unser Herrgott wird doch hoffentlich bald finden, jetzt sei es Zeit. Warum ich nicht von dir lief, als ich noch junge Beine hatte, die laufen konnten, und so weit weg, als sie mich tragen mochten, das begreife ich noch auf die heutige Stunde nicht. Jetzt trüge Fortlaufen nicht viel mehr ab, und meine alten Beine trügen mich kaum so weit, daß mir dein Stöhnen und Klagen um nichts oder wieder nichts nicht noch zu Ohren käme, besonders wenn der Wind ein wenig ginge.» Das wollte Joggeli doch fast gemühen. «Wer laufen will, kann,» sagte er, «ich will niemand dawider sein, und mit Nachlaufen werde ich niemand plagen. Wenn ich schon wollte, täten es meine Beine nicht; wenn andere ausgestanden hätten, was sie, sie wären auch froh, an die Ruhe zu kommen.» Ihm wäre es je eher je lieber, Gutes hätte er nie viel gehabt, und was ihm noch warte, könne denken, wer Verstand habe. Jetzt vermöchte er doch noch seinen Sarg schwarz anstreichen zu lassen, gehe es länger so, sei es wohl möglich, daß man froh sei, wenn man noch so viel bei ihm finde, um die ersten besten rohen Bretter zu bezahlen. «Du bist doch immer der Wüsteste, wirst dich versündigen wollen, daß es keine Art hat», sagte seine Frau. «Schweigen wird am besten sein, es weiß sonst kein Mensch, was du noch stürmst.» Darauf drehte die Mutter sich gegen die Wand und blieb stumm, Joggeli mochte gifteln und klönen, so stark und so lange er wollte.

Drüben im großen Hause ging es anders zu. Die Bauart des Hauses brachte es mit sich, daß die Meisterleute im Hinterstübchen wohnen mußten. Dasselbe war gleichsam des Hauses Ohr, jeder Schall aus Kammern und Ställen, von vornen und hinten, schien dort landen zu müssen; das ist kommod für einen rechten Hausmeister!

Uli und Vreneli mußten dieses Stübchen auch beziehen, aber sie taten es ungern, sie schämten sich fast, als Knecht und Magd nun zu schlafen, wo früher der Meister und die Meisterfrau. Sie kamen sich wirklich im Stübchen als so gar nichts vor, und auch bei ihnen wollte der Schlaf nicht einbrechen. «Ja, ja,» stöhnte Uli, «es wäre schön hier und im Winter bsonderbar warm, da ließe sich sein. Wenn es nur immer währte, aber das Ändern tut weh. Wenn man am Ende doch wieder in eine kalte Kammer muß, so wäre es hundertmal besser, man hätte sich nie an ein warmes Stübchen gewöhnt.» Aber zwängt sei zwängt, und jetzt müsse man es nehmen, wie es sei. So jammerte Uli ähnlich wie Joggeli, der Unterschied war bloß der, daß sein Jammer nicht aus einem zähen, verhärteten Herzen kam, sondern aus einem jungen, warmblütigen, demütigen, welches sich in seine höhere Stellung nicht finden konnte. In einem solchen finden gute Worte noch gute Stätte. An solchen ließ es auch Vreneli nicht fehlen, tröstete, so gut es konnte, sprach vom Werte des Hofes, von seinem guten Willen, von dem Vertrauen zu Gott, der alles wohl machen werde, daß Uli die Ruhe kam und er andächtig mit Vreneli beten konnte; darauf kam leise der Schlaf gezogen, hüllte die Beiden in seinen dicksten Schleier, und als die Sonne kam, schlummerten Beide noch süß und fest darin, und lange ging es, bis ihre Strahlen die Schläfer zu wecken vermochten.

Hui, wie Beide auf die Füße fuhren, als vor ihren langsam sich öffnenden Augen plötzlich der helle Tag stund in vollem, sonnigem Gewande! Draußen polterte das Gesinde, prasselte das Feuer, gackelten bereits die Hennen, und Meister und Meisterfrau hatten sich noch nicht gerührt. Wohl, da schämten sie sich und durften fast nicht aus dem Stübchen. Sie hatten sich wohl schon mehr als einmal verschlafen, aber so ungern es wirklich doch nie gehabt als heute. Wie die Leute das auslegen würden, dachten sie.

Der Frühling ist eine herrliche Zeit, eine ahnungsreiche, wonnevolle. Darüber werden doch wohl die Parteien von allen Farben einig sein, wie weit sie sonst auseinandergehen mögen! Wie prosaisch und trocken ein Bauer auch sein mag, im Frühling wird ihm doch das Herz größer und er denket weiter als die Nase lang. Er hat es seinen Äckern, Wiesen und Gärten gegenüber wie ein Vater, der mitten in einem Dutzend blühender Kinder steht. Was wird aus ihnen werden, was werden sie für Früchte tragen? muß er unwillkürlich denken. Wie der Kinder Gesichter blühen, Gesundheit ihre Glieder schwellt, blühen und schwellen Freude und Hoffnung in seiner Seele. So hat es auch der Landmann, besonders der junge, welcher noch nicht manchen Frühling auf eigene Rechnung erlebt hat. Jede Pflanzung wird ihm zum Kinde, und je üppiger sie grünt und blüht, desto üppiger grünen und blühen seine Hoffnungen.

Der Frühling, von welchem wir sprechen, war ein ganz eigen von Gott gespendeter, als wollte er die Probe machen, ob die Menschen so weit in der Aufklärung gekommen, daß sie zu begreifen imstande seien, sie selbst könnten keinen solchen machen, auch sei es unmöglich, daß er von ungefähr käme, sondern daß er von Gottes väterlicher Hand müsse gegeben sein.

Mit Fleiß und Kunst bestellte Uli Saat und Acker, und Vreneli machte nicht bloß fast alleine seine schwere Haushaltung, sondern half doch noch draußen, daß männiglich sich wunderte, sorgte für den Garten, daß Kraut darin wuchs und Salat nebst allerlei Kräutlein, welche einer vernünftigen Suppe wohl anstehen und sonst in gesunden und kranken Tagen gut zu gebrauchen sind.

Vrenelis rührigem Treiben sah die Base mit der größten Freude zu. Alle Tage war sie im Garten oder guckte wenigstens über den Zaun, besah die andern Pflanzungen, und häufig kam sie, setzte sich zu Vreneli, half ihm das Essen rüsten oder sagte: «Gehe nur, wenn du was zu machen hast, ich will dir zum Feuer sehen und sorgen, daß das Essen nicht anbrennt.» Wollte Vreneli sich wehren oder danken, so meinte sie: «Ich habe Ursache zu danken, daß du es annimmst. Was meinst, müßte die Langeweile mich nicht töten, wenn ich auf einmal von allem käme und nichts mehr anrühren dürfte?» Kam sie dann heim, hatte sie zumeist ein lachend Gesicht (denn daß es drüben so gut ging, freute sie sehr, und was sie im Herzen hatte, zu verbergen, war ihr nicht gegeben) und sagte wohl zu Joggeli: «Gottlob, es geht da drüben gut, besser noch, als ich gedacht. Wenn die es nicht zu was bringen, so gelingt es niemanden mehr. Vreneli läuft, als wenn es Räder unter den Füßen hätte, und Uli schafft, als sei er aus lauter Uhrenfedern zusammengesetzt. Es ist mir ein recht schwerer Stein ab dem Herzen, hätte mir ja mein Lebtag ein Gewissen machen müssen, wenn es nicht gut gegangen wäre.»

Joggeli, welcher wohl auch herumgetrippelt war an seinem Stocke und hinter Zäunen und Bäumen hervor dem Treiben zugesehen hatte, zog auf solche Reden sein grämliches Gesicht und meinte: «Glaub es, wie sollte es anders sein, wenn ihnen alles hilft, die Fische in das Netz zu jagen, sogar das Kraut in den Hafen. Hätte man für mich halb gearbeitet und gesorget wie für sie, ich wäre noch einmal so reich. Aber mir hat niemand helfen wollen, ja wenn man mich hätte auf die Gasse bringen können, man hätte es getan und dazu noch den Hals voll gelacht und dazu noch die, denen es dabei am übelsten gegangen wäre, und zuletzt hätte ich denn doch an allem schuld sein sollen. Ja, die Welt ist bös. Trau, schau, wem, heißt es nicht umsonst.» «Ja, da hast einmal recht,» antwortete die Base, «die Welt ist wüst und Trauen bös, aber von den Allerwüstesten bist du, und wegen Trauen solltest schweigen. Wenn das Gewissen nicht wäre und deine Frau, weiß Gott, was du für ein Unflat geworden wärest. So alt bist schon und wirst doch noch alle Tage wüster, denkst nicht an deine arme Seele und was Gott mit ihr anfangen soll.»

So verschiedene Gedanken wachsen bei gleicher Witterung in den Herzen der Menschen, es ist aber eben der Grund der Herzen verschieden. Giftkräuter wachsen auf dem einen, Heilkräuter treibt der andere. Du mein Gott, wie sollte es dem Menschen, welcher den Gärtner vorstellen sollte, in seines Herzens Garten so himmelangst werden, wenn er in seinen Garten kömmt und es weht ihm entgegen ein giftiger Hauch und gleich Schlangenaugen glitzern ihm lauter Giftkräuter entgegen! Ach Gott, nein, denen wird gar nicht himmelangst, die bleiben kaltblütig, ja sie haben noch Freude und Spaß an den giftigen Kräutern, lassen sie nicht bloß nach Belieben wuchern, sondern pflegen sie noch sorgsamst, als obs die kostbarsten Pflanzen wären, und je üppiger sie aufschießen, mit desto größerem Behagen weisen sie als große Raritäten dieselben vor allen, welche sie zum Betrachten herbeibringen können.

Fröhlich wie im Fluge rannen die Tage dem jungen Ehepaare dahin, wie es zu gehen pflegt, wenn voll Arbeit die Hände sind, voll Sinnen der Kopf, die Arbeit wie ein Uhrwerk läuft und das Erdachte zur Tat wird ohne Säumnis und Hindernis. Es war, als ob der liebe Gott erst nachsehe, was Uli meine und Vreneli sinne, ehe er das Wetter mache, regnen lasse oder die Sonne scheinen. Dachte Uli, jetzt wäre ein warmer Regen gut, so kam ein warmer Regen, man wußte gar nicht woher, und wenn er dachte: Jetzt ists genug, die Sonne wäre wieder gut, so ging der Regen, man wußte nicht wohin, und die Sonne war da. Wer auf Sonne und Regen nur des Spazierens wegen achtet und nicht weiß, welche Bedeutung beide für den Landmann haben, der weiß gar nicht, welch Unterschied, wir wollen nicht sagen im Gedeihen der Pflanzen, sondern im Betrieb der Arbeit ist bei günstigem oder ungünstigem Wetter.

Es gibt Jahre, in welchen man bei gedoppelter Anstrengung und Kosten nirgends hinkömmt, immer im Rückstand ist, alles pfuschen muß, wenn man das Dringlichste machen will, ehe der Winter wieder da ist, und wiederum Jahre, wo alles geht wie auf einer Eisenbahn, nirgends ein Rückstand ist, Hasten und Jagen nie nötig sind, man Zeit zu allem hat und keinen Kummer vor dem Kommen des Winters, wo alles wohl gerät und wo es ist, als sei Meister der Mensch, seine Hand ein Zauberstab, sein Mund allmachtsvoll; er streckt die Hand aus, so springt der Schoß der Erde auf, er gebietet, und es stehet da. Es sind gefährliche Jahre, diese Jahre, sie füllen wohl Spycher und Scheuren, aber sie leeren das Herz von Demut und Gottvertrauen, darum müssen dann wiederum böse Jahre kommen, wo der Mensch mit allem Fleiß und aller Kunst nichts machen kann. Sie leeren wohl Spycher und Scheuren, aber dafür füllen die Herzen sich wieder mit Demut und die Augen gewöhnen sich wieder, nach oben zu sehen und das Gedeihen von Gott zu erwarten.

Uli wuchs sein Glück fast über das Haupt, daß er vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sah, das heißt vor lauter Hoffnungen und Erwartungen sein Glück nicht mehr berechnen konnte, weil es seine Rechenkunst zu übersteigen anfing; wie aber Manchem über dem Essen der Appetit kommt und das Begehren nach immer Mehrerem, so ging es auch Uli.

Uli hatte Ställe voll Pferde und Kühe übernommen um eine sehr billige Schatzung. Bei allfälligem Abgeben der Pacht mußte er wieder für die gleiche Summe Ware einliefern oder den Abgang ersetzen oder hatte den Mehrbetrag zu fordern. Er konnte also mit der übernommenen Ware ganz schalten und walten nach seinem Belieben; was bei seinem Abgang in den Ställen stund, wurde wieder geschätzt, und je nachdem es sich fand, fanden Vergütungen von der einen oder andern Seite statt.

Joggeli hatte auf dem Handeln nicht viel gehalten und selten zu rechter Zeit abstoßen können. Uli kalkulierte anders; er hatte namentlich zwei Pferde und drei Kühe übernommen, welche auf dem höchsten Punkte ihrer Reife stunden; behielt man sie länger, fielen sie stetig im Preise, verkaufte er sie, kaufte dagegen junge Tiere, so stiegen diese im Preise, bezahlten neben der Nutzung noch ihre Fütterung. Uli entschloß sich alsbald zu diesem Handel, Vreneli wehrte: «Recht hast,» sagte es, «aber merkt es Joggeli, so gibt es böses Blut, das muß man verhüten so lange als möglich; übrigens sind die Tiere so geschätzt, daß sie nach einem Jahre noch die Schatzung gelten, du also jedenfalls dazumal noch nichts daran verlierst.» Geld hätten sie eben auch noch nicht so nötig, und im Fall es gegen Herbst rarer werden sollte, so könnte man immer noch verkaufen, nur nicht jetzt gleich, wo Joggeli es als eine absichtliche Prellerei ansehen könnte, wenn Uli vielleicht hundert Taler in Sack mache oder doch fünfzig. Uli hatte recht, aber Vreneli noch rechter, und wie es geht in der Welt, das Beste geschieht am seltensten. Uli gewann ein Erkleckliches und meinte, Joggeli vernehme es nicht.

Aber die Leute, welche früher Joggeli alles zugetragen hatten, lebten noch, und wären sie gestorben gewesen, so wären aus ihrem Grabe herauf alsbald neue aufgewachsen, von wegen diese Sorte stirbt nie aus. Joggeli wußte richtig alsbald bei Heller und Pfennig, was Uli gelöst, das gab böses Blut. Die Base und Vreneli mußten viel leiden deretwegen. Uli hätte das nicht tun und den Frieden auch für etwas rechnen sollen, da Gott es so gut mit ihm meinte und er es so wenig nötig hatte.

Das Frühjahr ist für den Landmann, welcher nicht Vorräte hat, sonst eine Zeit, welche Geld frißt oder zu Schulden nötigt; das war bei Uli nicht der Fall, seinen Handel nicht gerechnet. Vreneli löste aus Butter und Milch viel Geld, so daß nicht bloß die Hauskosten bestritten wurden, sondern hie und da noch ein großes Silberstück beiseitewanderte, um bei der Hand zu sein, wenn der Pachtzins gezahlt werden mußte. Ferner wurde er mit einigen Prachtkälbern beschenkt. Diese mästete er, bis sie nahe an zwei Zentner wogen, half zuweilen sogar mit Eiern nach, welche er entbehrlich glaubte. Solche Kälber sind rar, gehen in die Bäder, nach Basel usw. und werden schwer bezahlt, so daß Uli wirklich Glück in allen Ecken hatte, das Geld nicht von ihm wollte, sondern immer vermehrt zurückrann, einer guten Taube gleich, welche nie ausfliegt, ohne mit einem neuen verlockten Tauber zurückzukehren.