Buchcover

Franz Maciejewski

Nofretete

Die historische Gestalt hinter der Büste

Saga

»Wie man es erzählen kann, so ist es nicht gewesen.«

(Christa Wolf)

Einleitung

Hundert Jahre Missverstehen

Vor Ort in Tell El-Amarna. Wir schreiben den 6. Dezember 1912, ein Freitag. Die Mannschaft der Deutschen Orient-Gesellschaft hat in den Ruinen der Hauptstadt des rätselhaften Pharaos Echnaton gerade ihre zweite Grabungskampagne begonnen. In der Südstadt, westlich der sogenannten Oberpriesterstraße, sollen an diesem Tag Wohnhaus und Werkstatt des Bildhauers Thutmosis erkundet werden. Von dort kommend stürmt gegen Mittag ein Arbeiter in das Büro der Grabungsleitung. Er übergibt Ludwig Borchardt, dem chef d’équipe, einen Zettel mit der Aufforderung, schnellstens zum Haus P 47 zu kommen – ein Kürzel für das abgesteckte Planquadrat im besagten Quartier der antiken Stadt. Im meterhohen Schutt der Modellkammer des Thutmosis ist ein vielversprechender Fund gemacht worden; eine Rundplastik ist zum Vorschein gekommen, von der »zuerst nur ein fleischfarbener Nacken mit aufgemalten roten Bändern bloß liegt«. An Ort und Stelle lässt Borchardt die Hacke beiseite legen und hilft mit, das Objekt behutsam zu bergen und zu reinigen. Wenige Minuten später hält er den fast vollständig erhaltenen Porträtkopf der Nofretete, der Großen Königlichen Gemahlin des Echnaton, in Händen (Abb. 1). Ein Jahrhundertfund. Überwältigt von der Ausstrahlung der »bunten Büste« (wie der Fund fortan genannt wird) notiert er abends in sein Tagebuch: »Arbeit ganz hervorragend. Farben wie eben aufgelegt. Beschreiben nützt nichts, ansehen!«

Noch am Tag ihrer (Wieder-)Entdeckung nach über dreitausend Jahren avanciert Nofretete zu einer Ikone der Schönheit, die sprachlos bewundert werden will. Heute – hundert Jahre danach – will es so scheinen, als habe das schwärmerische Motto ihres Entdeckers die Wahrnehmung der Amarnakönigin ein für allemal festgelegt. Das gilt nicht nur für das anonyme Millionenpublikum, das alljährlich in das Ägyptische Museum von Berlin strömt, um die Schöne zu sehen, sondern ebenso für die Mehrzahl der mit ihr befassten Wissenschaftler, Ägyptologen nicht anders als Kunstgeschichtler und Kulturhistoriker. Während König Echnaton aufgrund seiner beispiellosen Taten als Kulturheros und Städtebauer den Ehrentitel »erste Persönlichkeit der Weltgeschichte« erhielt, wurde und wird die Persönlichkeit Nofretetes mit dem Ruf, »die schönste Frau der Weltgeschichte« zu sein, auf die Gestalt eines zeitlosen Eros reduziert. Einen festen historischen Platz hat sie bislang einzig in der »Geschichte der Schönheit«1 gefunden, als deren Covergirl sie vielfach auftritt. Man höre zum Beispiel die Einlassung des französischen Ägyptologen Christian Jacq: »Es fehlen einem die Worte, um diese Frau von strahlender Hoheit, deren Lächeln von einem inneren Licht beseelt ist, das die Jahrtausende überdauert hat und uns im Herzen anrührt, zu beschreiben.« Ein zeitgenössisches, fast wortgetreues Echo auf das Motto Borchardts. Zugleich ein sprechendes Dokument für hundert Jahre Missverstehen.

Einen falschen (besser: einseitigen) Eindruck vom Kopf der Nofretete hat Borchardt möglicherweise deshalb gewonnen und weitergegeben, weil er ein entscheidendes Detail der Büste nicht (mehr) sehen konnte – aber hätte beschreiben können. Im Tagebuch heißt es zum Zustand des Kunstwerkes lapidar: »Es war fast vollständig, nur die Ohren waren bestoßen und im linken Auge fehlte die Einlage.« Doch dies sind nicht die einzigen Beschädigungen resp. Mängel. In der Mitte der blauen Krone (die Borchardt durchgängig als Perücke bezeichnet) sind die Reste einer sich windenden Königsschlange sichtbar, deren sich aufbäumender Kopfteil abgeschlagen wurde. (Dies geschah wahrscheinlich noch in Amarna selbst, vielleicht bei der Aufgabe der Stadt; jedenfalls wurden vor Ort keinerlei Bruchstücke mehr gefunden.) Vor allem in Profilansicht ist das fehlende Stück kaum als Verlust auffällig; es wird – zumindest in den Augen des westlichen Betrachters – nicht wirklich vermisst. Frontal betrachtet scheinen sich die Reste des (in Form einer liegenden Acht gewundenen) Schlangenleibs im Dekor des bunten Reifs, das die Krone in der Mitte wie bandartig zusammenhält, nahezu zu verlieren, während das lange Schwanzende unauffällig auf der abgeflachten Dachfläche ausläuft. Anhand einer der ältesten zeichnerischen Kopien der Büste, bei der die Künstlerin Clara Siemens2 den beim Original weggebrochenen Halsschild und Kopf der Stirnschlange ergänzt hat, lässt sich der gegenteilige Eindruck überprüfen (Abb. 2). Tatsächlich zeichnet die vollständige (vervollständigte) Büste deutlich ein Moment verstörender Fremdheit aus. Sie resultiert aus dem Widerspruch zwischen dem Ausdruck von Ruhe und Ebenmaß, den das Gesicht der Königin ausstrahlt, und dem von Wildheit und Aggressivität, wie ihn die Gestalt einer kampfbereit aufgerichteten Kobra zeigt. Der Schönen war in Wirklichkeit ein Biest beigesellt, dessen magischer Bann die erhabene Szene in eine bedrohliche Vorwelt versetzt. Bei der aufgefundenen Büste ist mit dem verlorenen Stück auch diese irritierende Spannung und Erregung verschwunden. Es sei denn, man hat sich ein Gespür für jenen »ausgesparten Raum wie von Gefahren« (Rilke) erhalten, wie etwa die amerikanische Kunst- und Kulturhistorikerin Camille Paglia, die darauf beharrt, die angemessene Reaktion auf die Büste der Königin sei Angst. Für gewöhnlich wirkt das Gesicht der Nofretete ohne den bedrohlichen Schlangenkopf vertrauter, wenn man so will: europäischer. Die kulturelle Fremdheit ist einem gefühlten Modernismus gewichen, der eine unwiderstehliche Anziehungskraft entfaltet. Liegt hier einer der Gründe, warum auch Borchardt das Fehlen der Stirnschlange anfänglich nicht bemerkt zu haben scheint? War die spontane Nähe und Einfühlung, die der deutsche Ägyptologe für eine Königin der fernen Bronzezeit zeigt, insgeheim dem missing link geschuldet, das unbewusst als Gewinn im Verlust verbucht wurde? Dann wäre mit Nofretete geschehen, was der erste Biograph des Echnaton, Arthur Weigall, mit dem Amarnakönig nahezu zeitgleich (1910) gemacht hat: diesen aufgrund der empfundenen Wahlverwandtschaft von Aton-Religion und Christentum als »unseren Bruder, ja fast unseren Zeitgenossen« anzunehmen. Für die westliche Kulturelite brachten die Amarnafunde offenbar das Gewünschte.

Wir können natürlich nicht wissen, was damals in Borchardt wirklich vor sich gegangen ist, und wollen daher die Frage, ob unbewusste Motive bei der Inaugenscheinnahme der bunten Büste (und nachfolgend im Verlauf der Rezeptionsgeschichte) eine Rolle gespielt haben, auf sich beruhen lassen. Aber ein anderer (die Königsideologie betreffender) Umstand hätte dem kühlen Forscher unbedingt zu denken geben – und ihn dann zu Block und Bleistift greifen lassen müssen. Der sich aufrichtende Teil der Stirnschlange war abgeschlagen und unwiederbringlich verloren; aber die unstrittige Tatsache, dass zur Modellbüste aus der Werkstatt des Thutmosis ein sogenannter Uräus gehörte, war alles andere als selbstverständlich. Seit Menschengedenken galt im Alten Ägypten die an der Stirn getragene Uräusschlange als Ausweis königlicher Würde par excellence. Sie signalisierte im Zeichen der Kobra göttlichen Schutz und unbedingte Machtfülle und war allein dem Pharao vorbehalten; die königlichen Gemahlinnen trugen wahlweise den Geier (oder ersatzweise die Geierhaube) zusammen mit einem Uräus oder zwei (manchmal auch mehreren) Uräen. Borchardt muss gewusst haben, dass diese Tradition auch in Amarna Geltung beanspruchte, einer Zeit, in der selbst die als Gottkönig verehrte Sonnenscheibe (»Aton«) nie ohne Uräus abgebildet wurde. In den frühen und mittleren Jahren seiner Regierung trägt allein Echnaton die einzelne Stirnschlange als Zeichen der Königsherrschaft. Während dieser Zeit sehen wir Nofretete – nicht anders als vor ihr Königin Teje, Echnatons Mutter, und nach ihr Anchesenamun, die Gemahlin Tutanchamuns – stets mit (mindestens) zwei Uräen abgebildet. Das gilt interessanterweise auch für ein Modellrelief, das wir als blue print der »bunten Büste« begreifen können. Die Komposition dieses in linker Profilansicht dargestellten Kopfes entspricht in allen wesentlichen Teilen der Darstellung des Berliner Kopfes der Nofretete. Abgesehen vom mehr expressiven Stil der Frühzeit besteht der einzige ikonographische Unterschied im Vorhandensein von zwei Uräen. Das heißt, das Flachrelief zeigt Nofretete eindeutig als Große Königliche Gemahlin. Wenn es (was durchaus als möglich erscheint) dem Bildhauer Thutmosis in späterer Zeit als Modell gedient hat, dann hätte dieser seine Vorlage in einem entscheidenden Punkt verändert und offensichtlich der neuen Realität bei Hofe angepasst. Die Berliner Büste zeigt uns nicht länger das Antlitz der Königin (als der Frau des Königs), in vollendeter Weise präsentiert sie uns das neue Gesicht der Nofretete in der Pose einer Regentin. Die Schöne kommt als Herrscherin daher. Das ist die wahre Sensation des Fundes und die eigentliche Botschaft der Berliner Skulptur jenseits der kunstästhetischen Dimension. Eine Botschaft, die Borchardt offensichtlich entgangen ist.

Soweit wir wissen, war Nofretete die einzige Frau, die zu Lebzeiten Echnatons die Stirnschlange trug – und damit den Platz einer gleichberechtigten Mitregentin einnahm. Diese Statuserhöhung ist am besten durch die sogenannte Wilbour-Plakette (Abb. 3) belegt, benannt nach Charles Edwin Wilbour, der das Stück im Jahre 1881 in Amarna erwarb (das somit Borchardt bekannt gewesen sein dürfte). Die Vis-à-vis-Darstellung des Königspaares Echnaton-Nofretete kulminiert in der faszinierenden Gegenüberstellung der beiden Kobras, die – wie die amerikanische Ägyptologin Dorothea Arnold gesehen hat – sehr unterschiedlich stilisiert sind: »Echnatons Kobra bietet ein Bild der Würde, in aufrechter Pose und mit der ruhigen doppelten Schleife des kräftigen Körpers, während Nofretetes nervös schlängelnde Schlange sich bedrohlich nach hinten bewegt, bereit zuzustoßen. Hat der Künstler die beiden Koregenten bewusst unterscheiden wollen, indem er Echnaton am Abend seiner Revolution in abgeklärter Ruhe darstellte, Nofretete dagegen als den aktiveren und energischeren Partner, bereit die Herausforderung des Tages anzunehmen?« Wie auch immer, Einigkeit herrscht unter Experten darüber, dass die Plakette aus der Spätzeit von Amarna stammt. Damit verglichen dürfte die bunte Büste – übrigens die erste aufgefundene Rundplastik, die Nofretete mit einer solitären Stirnschlange zeigt – noch um einige Jahre später zu datieren sein, entweder aus der Zeit unmittelbar vor oder kurz nach dem Tod Echnatons. Das heißt, die Skulptur könnte Nofretete noch als Mitregentin oder schon als Alleinherrscherin zeigen. Die Frage lässt sich nicht entscheiden. Die Würdigung von Arnold im Ohr ist es jedoch eine ansprechende Vermutung, die jetzt von Nofretete ausgestrahlte Ruhe und Souveränität dahingehend zu interpretieren, dass der Künstler den Auftrag hatte, das neue Image der Königin als Pharaonin ins Werk zu setzen. Wenn dem so wäre, dann enthielte das gängige Klischee von der »zeitlosen Schönen« in der Tat eine dramatische Unterbewertung jener Frau, der es als zweiter Königin nach Hatschepsut3 gelang, im Verlauf der 18. Dynastie den ägyptischen Thron zu besteigen.

Kann es sein, dass Ludwig Borchardt, der Entdecker, all die sprechenden Spuren und Zeichen übersehen hat? Soweit dürfen wir sicherlich nicht gehen. Tatsächlich hat er Jahre später die unterlassene Beschreibung der bunten Büste nachgeholt, wenn auch zögerlich. In seiner Schrift »Porträts der Königin Nofretete« (1923) bekräftigt er zunächst sein damaliges Motto (»Beschreiben nützt nichts, ansehen!«) mit den Worten: »Heute möchte ich dasselbe wieder schreiben, da ich überzeugt bin, dass meine Worte den Eindruck dieses Kunstwerkes nicht wiedergeben können.« Bemerkenswert, dass Borchardt hier allein die ästhetische Bewertung der Büste ins Spiel bringt. Er betrachtet seine kostbare Trophäe offenbar in erster Linie als Ausstellungsstück und weniger als Forschungsgegenstand, der dazu dienen könnte, die Geschichte von Amarna neu zu schreiben. Doch nach diesem erneuten Abstandhalten lässt er sich auf eine »betont sachliche« Beschreibung ein und kommt selbstredend auch auf die Stirnschlange zu sprechen, die uns als eine Art von Leitfossil gedient hat. Die entsprechende Passage lautet: »Etwa auf halber Höhe wird die Perücke durch einen festen goldenen Reif mit Halbedelsteineinlagen bandartig zusammengehalten. Vorn an diesem Reif erhebt sich die Königsschlange, deren Schwanz scharf geknickt auf der Oberseite der Perücke verläuft. Dieser ganze Reif mit der Königsschlange und dem soeben beschriebenen hinteren Schluss ist ein bekanntes, oft abgebildetes königliches Abzeichen, das uns in dem berühmten Diadem des Königs Antef im Leydener Museum auch in Wirklichkeit erhalten ist.«

Mit der Feststellung, Nofretete trage mit der Stirnschlange ein »königliches Abzeichen«, ist Borchardt der Deutung ganz nah, dass wir nach diesem Ausweis in ihr eine wirklich regierende Königin, also eine Echnaton in Kult und Politik gleichwertige Monarchin, anerkennen müssen. Doch er verschließt sich dieser Schlussfolgerung: »Aus diesem äußerlichen Hervortreten der Königin aber auf ihre tätige Mitwirkung bei den Regierungsgeschäften oder bei den religiösen Bestrebungen ihres königlichen Gemahls zu schließen, scheint mir doch etwas gewagt, namentlich wenn man die andere – oder vielleicht einzige – Seite ihres Wesens betrachtet, die sich in den vielen Familiendarstellungen zeigt. Dort sieht man sie stets nur als liebende Gattin und zärtliche Mutter.«

Das ist – ganz abgesehen vom deutlich herrscherzentrierten Zungenschlag – ein erkennbar schwaches Argument, weil es ebenso gut die Annahme stützen könnte, in den zahlreichen Familienszenen offenbare sich das wahre Wesen des Echnaton als das »eines liebenden Gatten und zärtlichen Vaters«. Es ist ja gerade das Signum der Amarnazeit, dass das Königspaar fast alle Lebensbereiche teilt und dabei gleichberechtigt und häufig ununterscheidbar auftritt. Aber davon abgesehen, lassen sich einige der sinnlichen, häufig intimen Familienszenen, in denen Nofretete ihrem Gatten Wein einschenkt oder diesen zärtlich liebkost, tatsächlich im Sinne Borchardts (miss-)verstehen. Das gilt auch für eine Vielzahl von Darstellungen des Königspaares beim Opfer für Aton. Typischerweise sehen wir den religiösen Exzentriker Echnaton mit hoch erhobenen Weihgaben voranschreiten, gefolgt von seiner Gattin, die – omnipräsent, aber stets einen Schritt zurück und einen Kopf kleiner – sich für den Kult, so scheint es, in die Pflicht nehmen lässt, ohne das Gefälle der Macht in Frage zu stellen. Das ist jedoch nicht die ganze Wahrheit. Die Schieflage, in die Borchardt geraten ist, hat ihren Grund in einem Klumpeneffekt: Bei weitem die meisten seiner Belege stammen aus der frühen und mittleren Amarnazeit. Schon die aus der Spätzeit zu datierende Berliner Büste fällt, richtig beschrieben, aus diesem Rahmen heraus. Ähnliches gilt auf der anderen Seite für die Vor-Amarnazeit, also die frühen Regierungsjähre in Theben, die zu Borchardts Zeit noch kaum erforscht waren. Hier findet sich eine Fülle von Belegen, die das gängige Bild von der attraktiven (aber unpolitischen) First Lady an der Seite Echnatons auf ganz andere Weise in Frage stellen. So etwa Szenen, in denen Nofretete in Gestalt einer Sphinx symbolisch die Feinde Ägyptens niedertrampelt oder die rituell-martialische Geste des »Erschlagens der Feinde« vollzieht. Königliche Taten einer noch Ungekrönten. Überraschende Facetten wie diese führen zu einer völligen Neubewertung der geschichtlichen Rolle der Königin – und des Mannes an ihrer Seite. Nach 100 Jahren ist die Zeit gekommen, das Motto von Borchardt auf den Kopf zu stellen: Anschauen reicht nicht, beschreiben!


Der verspätete Auftritt der historischen Gestalt, die so lange hinter dem schönen Schein der Berliner Büste verborgen war, ist alles andere als eine sich selbst erzählende Geschichte. Dafür sind die Belege von unstrittiger Bedeutung zu gering, die Lücken im Lebenslauf der Amarnakönigin zu groß. Das heißt, die Sinngeschichte, die ich hier vorlege, kann und will allein durch Triftigkeit der Rekonstruktion, nicht durch letzte Gewissheit überzeugen. Entscheidend für die Linienführung und Konturierung der Gestalt der Nofretete sind zwei historische Grundfiguren, die – wie schon im Fall meiner Studie über Echnaton (2010) – den gesamten Plot zusammenhalten:

  1. Das bewegende Geschichtsmoment der erweiterten Amarnazeit ist ein vom Hause Juja betriebener Dynastiewechsel, der das Ende der Thutmosiden heraufbeschwört. Nach ihrer Großtante Mutemwia, einer (Neben-)Frau Thutmosis’ IV., und ihrer Tante Teje, der Gattin Amenophis’ III., ist Nofretete die dritte Juja, die mit Amenophis IV.-Echnaton einen thutmosidischen König heiratet; aber sie ist die erste Juja-Königin, die – nicht zuletzt durch den Aufwind einer zum Staatskult erhobenen Aton-Religion – selber den Thron Ägyptens besteigt.
  2. Der revolutionäre Umbruch des Echnaton, der in der Gründung eines intoleranten Gottesstaates gipfelt, ist eine kurzzeitige (wenngleich mächtige) Seitenlinie der breiten machtpolitischen Spur. Während das auf dem Fließsand inzestuöser Beziehungen errichtete Kartenhaus des religiösen Fanatikers rasch zerfällt, bestellen die Juja im Nachfolgestreit weiterhin erfolgreich ihr Feld. Mit König Eje, dem Vater der Nofretete, steigt am Ende der Amarnazeit der erste männliche Vertreter des Hauses Juja zum Pharao auf. Neben ihren beiden Vorgängerinnen Mutemwia und Teje und ihrem väterlichen Nachfolger Eje ist Königin Nofretete die schillernde Hauptperson im großen Drama von Aufstieg und Fall des Hauses Juja – dem letzten Vorhang der ruhmreichen 18. Dynastie.