Cover

Rose Gerdts

Gedankenmörder

Kriminalroman

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Über Rose Gerdts

Rose Gerdts-Schiffler arbeitete mehr als 20 Jahre als Polizei- und Gerichtsreporterin für den Weser-Kurier in Bremen. Regelmäßig begleitete die Journalistin große Schwurgerichtsprozesse. Im Frühjahr 2013 wechselte sie als Pressesprecherin zur Bremer Innenbehörde. Rose Gerdts-Schiffler ist verheiratet und Mutter zweier Söhne. Zusammen mit ihrer Familie lebt sie in Bremen.

Über dieses Buch

Geschändete Frauenleichen, ungewöhnlich inszenierte Tatorte – Kommissar Frank Steenhoff sieht sich mit seiner neuen Kollegin vor ungeahnten Abgründen. Zunehmend gerät das Ermittler-Duo unter den Druck der Bremer Medien. Als ihn seine fünfzehnjährige Tochter Marie bittet, endlich einem Tierquäler auf der Jugendfarm das Handwerk zu legen, vertröstet Steenhoff sie. Die Jagd nach dem perversen Täter lässt ihm keine Zeit für «ermordete Hasen». Da findet ein Jogger eine tote junge Frau im Stadtwald. Zu spät erkennt Steenhoff, dass sich Marie in großer Gefahr befindet.

Ein packender Spannungsroman – angelehnt an einen wahren Fall.

«Authentisch und fesselnd! Dieses Buch habe ich verschlungen.» (Eckard Mordhorst, Bremer Polizeipräsident, 2009 verstorben)

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der gedruckten Buchausgabe des Titels, die 2008 im Carl E. Schünemann Verlag, Bremen erschien

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Dezember 2013

Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung any.way, Cathrin Günther

(Abbildung: Nikki Smith/Arcangel Images)

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

Satz CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-644-52231-2

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-52231-2

1

Peter Smidt heftete in seinem Büro gerade die Rechnungen für die letzte Futterlieferung ab, als er den Schrei hörte.

Es war kurz nach sieben.

Der Leiter der Bremer Jugendfarm ließ sich so schnell nicht aus der Ruhe bringen. In wenigen Stunden würde es auf der Farm vor jungen Besuchern nur so wimmeln. Umso mehr genoss Smidt die morgendliche Stille in seinem Büro, und umso mehr ärgerte ihn jede unnötige Unterbrechung.

Seufzend quälte sich der Mann aus seinem abgewetzten Bürostuhl und ging zur Tür. Doch außer dem leichten Strichregen, der im Schein der Stalllampe auf den matschigen Boden fiel, konnte er auf dem dunklen Hof nichts erkennen.

Er formte seine beiden Hände zu einem Trichter: «Daniel!» Einen Moment lauschte Smidt dem Klang seiner eigenen dunklen Stimme, die sich über den Hof legte. Doch der Zivildienstleistende, den er vor wenigen Tagen eingestellt hatte, gab keine Antwort.

«Daniel! Was ist denn los bei dir da draußen?», rief Smidt in die Dunkelheit.

Aber der junge Mann schien ihn nicht zu hören.

Smidt zuckte matt mit den Schultern. Gerade als er die Tür wieder schließen wollte, meinte er, ein Stöhnen zu hören. Das Geräusch kam nicht aus dem Pferdestall, sondern aus Richtung des künstlich angelegten Sees.

«Verdammt, warum antwortet der Kerl nicht?»

Ärgerlich riss Smidt seine Jacke von einem Nagel an der Wand und legte sie sich noch im Hinausgehen über die Schultern. Wieder hörte er das Geräusch. Diesmal klang es für Smidt, als wimmere jemand. Mit großen Schritten durchquerte der Farmleiter den Stall und bog auf den gepflasterten Weg in Richtung See ein. Einige Gänse schnatterten aufgeregt und zischten Smidt an. An jedem anderen Morgen hätte er ihnen scherzhaft geantwortet und ihr Zischen zu imitieren versucht. Doch an diesem Morgen hatte Smidt für die Vögel keine Augen.

‹Der Zivi muss sich verletzt haben›, schoss es ihm durch den Kopf.

 

Endlich sah er die schmale Gestalt, nach der er gesucht hatte. Die Arme eng um den Oberkörper geschlungen kauerte der junge Mann mit dem Rücken an einem hölzernen Geräteschuppen.

«Was ist denn los, Junge?» Peter Smidt schaute seinen Mitarbeiter prüfend an.

Der Zivi schien auf den ersten Blick unverletzt. Im Schein seiner Taschenlampe erkannte der Farmleiter überrascht, dass Daniel sich erbrochen hatte.

Peter Smidt nahm sich vor, Daniel nach Hause zu schicken. Er musste sich umziehen. So konnte er unmöglich die kleinen Besucher auf der Farm herumführen.

«Da, sehen Sie! Es ist furchtbar. Ich habe …», die letzten Worte gingen in einem Würgeanfall unter.

Der Farmleiter leuchtete mit seiner Taschenlampe in die angegebene Richtung. Fassungslos suchte er nach Worten. «Verdammt!»

Vor den Ställen der Hasen und Kaninchen lagen drei Hühner mit abgerissenen Köpfen. Jemand hatte die Kadaver so ausgelegt, dass die Tiere wie ein Pfeil in Richtung der alten Eibe deuteten. Als Smidt sich die kopflosen Hühner genauer ansah, bemerkte er, dass ihre Flügel unnatürlich vom Körper abgespreizt waren. Sie waren gebrochen.

«Sehen Sie, was das Schwein mit Blacky gemacht hat!»

Daniel hatte sich aufgerafft und deutete mit einer Hand auf den großen Hofbaum.

Stumm ging Peter Smidt auf die Eibe zu. Der Hase mit dem samtigen, schwarzen Fell schien mit seinem Rücken und den ausgestreckten Pfoten regelrecht an der Baumrinde zur kleben. Als der Farmleiter noch einen Schritt näher trat, sah er, dass der Hase an den Stamm der Eibe genagelt worden war. Damit nicht genug, hatte der Täter den Bauch des Tieres mit einem tiefen Längsschnitt geöffnet. Angewidert drehte sich Smidt zur Seite.

Wütend trat er gegen einen Blecheimer.

«Verdammte Scheiße. Wer war das? Wer macht so was?»

Das Scheppern ließ Daniel zusammenzucken.

Smidt atmete tief durch. «In zwei Stunden kommen die ersten Kinder. Bis dahin muss das hier weg.»

Er hasste sich selber dafür, dass seine Worte so gefühllos klangen. Aber die grausige Szenerie hatte ihn mehr mitgenommen, als er gegenüber dem Zivi zugeben wollte.

 

Daniel rührte sich nicht.

«Wir müssen die Polizei benachrichtigen», hörte Smidt ihn sagen.

«Die Polizei?» Smidt schnaubte verächtlich.

«Glaubst du, die Bullen hat es interessiert, als vor zwei Jahren nachts jemand unseren Ziegenbock mit einem Messerstich in den Hals getötet hat?»

Unwillkürlich war Smidt in den Jargon seiner Jugendzeit zurückgefallen. «Da haben wir nur Rennerei und sonst nichts. Es ist sinnvoller, den Zaun mit einem Stacheldraht abzusichern, damit keine besoffenen Jugendlichen mehr rüberklettern können. Und jetzt schnapp dir die Tiere und vergrab sie auf der Obstwiese.»

Smidts Stimme klang schärfer, als er es wollte. Doch der junge Mann reagierte nicht.

«Ich finde, das muss die Polizei sehen», beharrte Daniel.

«Der Täter kann doch nicht einfach ungestraft davonkommen.»

Nachdenklich musterte Smidt seinen Mitarbeiter. Zum ersten Mal seit Daniel auf der Jugendfarm angefangen hatte zu arbeiten, empfand Smidt so etwas wie Sympathie für den verschlossen wirkenden Jungen.

«Okay, ich rufe das Revier an. Aber mach dir bloß keine großen Hoffnungen. Wir können froh sein, wenn die in der nächsten Stunde einen Wagen schicken», sagte Smidt einlenkend und ging zurück in sein Büro.

 

Wider Erwarten musste er schon nach 20 Minuten wieder hinaus in den Regen. Durch sein Fenster sah Smidt, wie ein Streifenwagen vor dem großen hölzernen Hoftor parkte. Offenbar nahm die Polizei seine Meldung doch ernster als erwartet. Ein untersetzter Beamter stieg aus und rüttelte vergeblich an dem verschlossenen Tor.

«Warten Sie, ich schließe auf», rief Smidt dem Schutzpolizisten zu.

«Moin», entgegnete der Mann ihm freundlich. «Horst Bollmann vom Revier Neustadt. Das ist mein Kollege Richard Iden.»

Der Beamte drehte kurz seinen Kopf in Richtung Streifenwagen, in dem sein Kollege offenbar noch über Funk in ein Gespräch verwickelt war.

«Und Sie haben hier ein paar dahingemeuchelte Hühner?», eröffnete Bollmann das Gespräch, während er mit dem Farmleiter in Richtung des Sees ging und sich bemühte, nicht in eine der vielen Pfützen zu treten.

«Um genau zu sein: drei Hühner und einen Hasen», sagte Smidt.

«Na, das ist ja schon ein richtiger Massenmord», sagte Bollmann und lachte über seinen eigenen Witz.

Smidt zeigte auf die Hühnerkadaver.

«Mann, Mann, was Leute im Suff so alles machen», seufzte Bollmann und beugte sich über die Kadaver.

«Und der Hase?»

«Ist an den Baum genagelt», sagte Smidt und zeigte auf die Eibe.

Ungläubig starrte der Beamte auf das blutige Fell und den geöffneten Bauch des Tieres. Dann fasste er sich wieder. «Nee, da vergeht mir ja jeder Appetit auf Sonntagsbraten», versuchte er erneut zu scherzen. Smidt sah ihn stumm an.

Die Stimmen hatten den Zivi aus dem Pferdestall gelockt. Unsicher ging er auf die Männer zu. Ohne Gruß wandte er sich direkt an Bollmann.

«Was werden Sie machen, um das Schwein zu kriegen?»

Der Beamte zuckte mit den Schultern. «Wir können eine Anzeige wegen Sachbeschädigung schreiben.»

Der Junge sah Bollmann empört an. «Der Hase und die Hühner sind doch keine Sachen. Wollen Sie denn keine Spuren sichern oder in den Nachbarhäusern nach Zeugen suchen?»

Verärgert betrachtete Bollmann den Jungen. Was glaubte der eigentlich, was sie in einer Acht-Stunden-Schicht alles zu erledigen hatten? Bollmann setzte gerade zu einer harschen Antwort an, als Smidt ihn unterbrach. «Das ist übrigens unser Zivildienstleistender Daniel Janssen. Er kümmert sich um die Tiere auf dem Hof.»

Der Hinweis stimmte Bollmann sofort milder. Der Junge erinnerte ihn an seinen eigenen Sohn. Ein sanfter Junge, der die Dienstwaffe seines Vaters nie eines Blickes gewürdigt hatte. In einem früheren Streit mit seiner Frau hatte er den Sohn einmal als Warmduscher bezeichnet und es sofort wieder bereut.

«Okay, junger Mann. Natürlich haben Sie recht», kehrte Bollmann wie auf Knopfdruck seine diplomatische Seite heraus, die ihm schon oft in Konfliktsituationen geholfen hatte.

«Die Tiere sind keine Sachen. Aber rein juristisch werden sie so bewertet. Wir können natürlich auch noch eine Anzeige wegen Tierquälerei schreiben und unsere Pressestelle im Präsidium informieren. Vielleicht meldet sich ja jemand aufgrund eines Artikels in den Zeitungen.»

Daniel schien erleichtert.

«Ich mache noch ein paar Bilder von den Tieren für die Anzeige», sagte der Schutzpolizist und zog eine kleine Digitalkamera aus der Tasche.

In dem Moment wurden die Männer von dem zweiten Beamten unterbrochen. Der Mann schenkte dem toten Hasen und den kopflosen Hühnern nur einen flüchtigen Blick.

«Horst, wir müssen zur Kreuzung Neuenlander Straße/Ecke Langemarckstraße. Die Zentrale hat sich gerade gemeldet. Scheint ein schwerer Unfall zu sein. Ist kein anderer Wagen im Abschnitt frei.»

Bollmann nickte. «Okay. Ich bin hier sofort fertig.»

Er ging in die Knie, um eine Nahaufnahme von den Hühnern zu machen. Dann lief er mit einer Behändigkeit, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, zum Streifenwagen.

 

«So, du vergräbst jetzt die Hühner auf der Obstwiese», befahl Smidt dem Zivi.

Durch den jungen Mann ging ein leiser Ruck.

«Um den Hasen kümmere ich mich», sagte Smidt.

«Denk dran, um zehn Uhr sind zwei Schulklassen angemeldet. Bis dahin muss das hier alles wieder in Ordnung sein. Und kein Wort zu den Jugendlichen heute Nachmittag. Ich will keine hysterischen Mädchen auf dem Hof.»

2

Frank Steenhoff fluchte leise.

Das Bild hing schief. Eindeutig. Vorsichtig schob er den gerahmten Druck von Emil Nolde an der linken Ecke ein paar Millimeter nach oben. Aber das Bild rutschte an der glatten Wand wieder zurück in seine alte Position. Hätte er doch den Rat seiner Frau Ira angenommen und neben Hammer und Nagel auch eine Wasserwaage mit ins Büro genommen. Nun hatte er den Salat. Drei Nägel prangten bereits in der neutapezierten und frischgestrichenen Wand. Steenhoff warf einen Blick zur Tür.

Sie war verschlossen.

Er hatte keine Lust, sich beim Einrichten seines neuen Büros auch noch den Spott der Kollegen zuzuziehen. Die wussten sowieso, dass seine Frau mit Bohrmaschine und Säge besser umzugehen verstand als er. Damals als der Doppelmord an dem jungen Pärchen Steenhoff und die gesamte Mordkommission Tag und Nacht in Atem gehalten hatte, hatte Ira die Umbauarbeiten an ihrem alten Bauernhaus einfach selbst in die Hand genommen.

Niemand hätte Ira zuvor für besonders handwerklich begabt gehalten; eine Frau, die in der ausgebauten Scheune des ehemaligen Resthofes Yoga, Meditation und Richtig-Fasten-Kurse anbieten wollte. Doch mit ihrer anpackend fröhlichen Art hatte sie sich von Woche zu Woche mehr zugetraut und schließlich sogar gemeinsam mit einem Nachbarn eine neue Trennwand im Haus hochgezogen und verputzt.

Statt froh zu sein, dass der zeitraubende Umbau des Hofes auch ohne ihn weiterging, hatte die Tatkraft seiner Frau Steenhoff gekränkt. Die aufgemauerte Wand sei schief, befand er, und die Tapeten seien unsauber aneinandergeklebt.

Ira hatte sich sein Genörgel nicht lange angehört. Statt wütend zu werden, griff sie auf «Sachbeweise» zurück, wie sie ihre Verteidigung ironisch bezeichnete. Ein Senklot bewies, dass die Wand gerade aufgemauert war, und ihr Nachbar, ein früh in Rente gegangener Malermeister, bescheinigte Ira, hervorragend gearbeitet zu haben. Schließlich hatte Steenhoff einfach akzeptiert, dass seine Frau handwerklich die Geschicktere war.

Der Druck von Nolde hing immer noch schief.

Steenhoff griff nach einem weiteren Nagel und schlug ihn einen halben Zentimeter höher als den mittleren in die Wand. Dann machte er sich daran, die zu tief angesetzten Nägel wieder herauszuziehen. Doch sie steckten so fest, dass er erst eine Weile an ihnen hin und her ruckeln musste.

Zwei Löcher verrieten, wo sie eben noch gesteckt hatten.

Auch nach dem dritten Versuch hing das Bild noch schief. Es waren nur ein paar Millimeter, aber Steenhoff wusste, es würde ihn jeden Morgen, wenn er das Büro betrat, stören.

Fluchend griff er zu einer Tube Sekundenkleber und versah die Rückseite des Gemäldes mit einem daumengroßen Klecks.

 

Im selben Moment klingelte das Telefon.

«Mist.»

Steenhoff widerstand dem Impuls, das Bild loszulassen, und zählte innerlich die Sekunden. Nach achtmal Klingeln, entschied er, müsste das Bild fest hängen. Als es das neunte Mal klingelte, riss er den Telefonhörer ans Ohr. «Frank Steenhoff?»

Zufrieden registrierte der 46-Jährige, dass Nolde kapituliert hatte. Das Bild hing einfach perfekt unter der kleinen Dachschräge.

«Papa, ich bin’s.» Seine Tochter klang mitgenommen.

«Auf dem Hof ist etwas Furchtbares passiert.»

Steenhoff war sofort alarmiert. «Ist etwas mit Mama?»

«Nein, doch nicht auf unserem Hof», beruhigte ihn Marie.

«Auf der Jugendfarm, auf der ich donnerstags immer reite, hat gestern Nacht jemand vier Hühner und einen Hasen getötet. Das ist echt grausam, und Daniel meint, die Polizei würde nichts weiter tun.»

«Hm.»

Steenhoff wusste nicht recht, was er seiner Tochter Tröstendes sagen sollte. Es irritierte und freute ihn zugleich, dass Marie mit ihrem Kummer zuerst zu ihm kam. Sonst war immer Ira ihre engste Vertraute.

«Kannst du deinen Kollegen nicht sagen, sie sollen mit mehreren Leuten nach dem Täter suchen? Oder ihnen am besten ein bisschen dabei helfen?»

Steenhoff musste lachen.

«Für das tragische Schicksal von Hasen bin ich in dieser Stadt zum Glück noch nicht zuständig», sagte er und bereute seine flapsige Antwort sofort.

Für seine tierliebende Tochter war der gewaltsame Tod eines Hasen genauso verwerflich wie für andere der Mord an einem Menschen.

«Entschuldige, mein Schatz», sagte Steenhoff und versuchte den Faden zu seiner Tochter wiederaufzunehmen.

«Aber du kannst dich auf die Kollegen vom Revier verlassen. Die kennen ihre Pappenheimer in den Stadtteilen. Mach dir keine Sorgen. Den haben die bald.»

Doch Marie war nicht überzeugt. Beharrlich bestand sie darauf, dass seine Kollegen von der Schutzpolizei den «Tier-Mord» nicht ernst nahmen und ihn nur als Sachbeschädigung behandelten. Als sie das dritte Mal den Namen Daniel erwähnte, wurde Steenhoff hellhörig.

«Von wem sprichst du da eigentlich immer? Ist Daniel ein Schulkamerad von dir?»

«Nein, das ist nur der neue Zivi auf dem Hof», antwortete Marie knapp. Auf einmal schien sie es eilig zu haben. Bevor sich Steenhoff von seiner Tochter verabschiedete, verabredeten sie sich noch zum Englischlernen am Abend. Marie sollte am nächsten Morgen in der Schule eine Grammatikarbeit schreiben.

 

Steenhoff war an diesem Tag für die Mordbereitschaft eingeteilt. Als junger Kommissar hatte er die Bezeichnung für den Dienst geradezu absurd gefunden. Doch inzwischen benutzte er sie genauso selbstverständlich wie alle anderen auch.

Wann immer an diesem Tag irgendwo in Bremen ein toter Jogger oder eine alte Frau unter ungeklärten Umständen tot in ihrer Wohnung entdeckt werden würden, müsste er seine Umzugskisten stehen und liegen lassen und zum Einsatz fahren. Doch vielleicht, so hoffte Steenhoff, hatte er Glück und konnte sich vorher in seinem neuen Büro einrichten.

 

Vor zehn Jahren war Frank Steenhoff von der Schutzpolizei zur Bremer Mordkommission gewechselt. Zuvor hatte er noch einige Abteilungen als sogenannter Durchläufer bei der Kriminalpolizei kennengelernt, doch sofort gewusst, dass er zurück ins 1. Kommissariat für Kapitaldelikte wollte. So bedrückend die meisten Fälle auch waren, die Arbeit bei den Mordermittlern hatte ihn von Anfang an fasziniert. Dabei konnte er zu Beginn kein Blut sehen.

Er erinnerte sich genau an seine Zeit beim Kriminaldauerdienst Anfang der 90er Jahre. Damals war er nachts zu einer Messerstecherei zwischen zwei Dealern gerufen worden. Einer der beiden Nigerianer hatte seine Hand auf eine klaffende Bauchwunde gepresst und leise gestöhnt. Steenhoff konnte sich noch daran erinnern, dass er Erste Hilfe leisten wollte, ihm aber plötzlich schwarz vor Augen geworden war. Seine Kollegen mussten in dieser Nacht zwei Krankenwagen alarmieren. Einen für den jungen Dealer und einen für Steenhoff. Ein peinlicher Zwischenfall, der noch Jahre später auf Weihnachtsfeiern immer wieder gern erzählt wurde.

 

Steenhoff blickte auf die Umzugskisten zu seinen Füßen.

Seufzend machte er sich wieder an die Arbeit und räumte Akte für Akte in die leeren Schränke. Ein Schwelbrand in einem Büro des Kommissariats im zweiten Stock hatte vor drei Wochen nachts einen großen Bereich ihrer Etage verrußt. Die Feuerwehr hatte mit ihrem Löschwasser den Schaden noch vergrößert.

Steenhoffs Büro am Ende des Flurs, das er sich zuletzt mit den Kollegen Wessel und Moormann geteilt hatte, war dank der verschlossenen Tür unbeschädigt davongekommen. Doch um die rund 20 Brand- und Mordermittler des 1. Kommissariats nicht monatelang räumlich auseinanderzureißen, mussten nun alle ins ausgebaute Dachgeschoss umziehen.

Steenhoff sollte das Büro künftig mit einer neuen Kollegin teilen, die die Stelle eines verstorbenen Ermittlers übernehmen sollte. Umso wichtiger war es Steenhoff, das Zimmer schon einmal optisch mit Bildern und Pflanzen in Beschlag zu nehmen. All die Jahre war es ihm peinlich gewesen, wenn Besucher oder Zeugen in ihr Dreierzimmer kamen und der Blick sofort auf die überdimensionale Mickymaus an der Wand fiel. Sein Kollege Wessel, ein eingeschworener Comicfan, hatte im Laufe der Zeit auch noch Plakate von Goofy und Mickys Freundin Minniemaus aufgehängt.

Immer wieder hatten sie über Geschmack und Außendarstellung diskutiert. Doch der «Kinderkram», wie Steenhoff die Bilder seines Kollegen abfällig nannte, blieb an der Wand.

Schließlich hatte er sich damit getröstet, dass das Büro ja nicht sein Zuhause war. Tatsächlich wusste er aber nur zu gut, dass er während einer Mordermittlung mehr Zeit bei der Arbeit als bei seiner Familie verbrachte. Schließlich hatte er es irgendwann geschafft, die Comicbilder komplett zu ignorieren. Nun hatte er endlich sein eigenes Reich.

Am frühen Nachmittag hatte Steenhoff bis auf eine Kiste alle Unterlagen einsortiert. Die beiden Schreibtische in dem Büro standen sich nun schräg gegenüber und machten den kleinen Raum optisch etwas größer. Zuerst hatte Steenhoff seinen Tisch ans Fenster geschoben. Doch für die neue Kollegin wäre bei dieser Raumaufteilung nur der Blick auf eine Wand geblieben. Eine klare Benachteiligung, die Steenhoff sofort ins Auge stach. Nach einigen weiteren Versuchen hatte er sich dafür entschieden, die beiden Schreibtische einander gegenüberzustellen.

Ein wuchernder Benjamini trennte beide Tische optisch voneinander. So konnte er sich beim Telefonieren ungestört fühlen, dachte Steenhoff zufrieden.

 

Die ersten Märztage verbrachte Steenhoff damit, sich einen alten, ungelösten Fall noch einmal vorzunehmen. Vor drei Jahren war eine Rentnerin bei einem Einbruch im Bremer Norden mit einem massiven Gegenstand in ihrer Zweizimmerwohnung niedergeschlagen und getötet worden. Der Schlag auf den Hinterkopf war so stark gewesen, dass die Schädeldecke zertrümmert wurde. Eine derart schwere Verletzung hatte Steenhoff zuvor noch nie gesehen.

Der drogenabhängige Enkel war damals ebenso in Verdacht geraten wie ein junger Mann, der schräg gegenüber wohnte. Von beiden Männern fanden die Ermittler Fingerabdrücke in der Wohnung. Doch offenbar hatte die Frau ihren Enkel und den jungen Nachbarn wiederholt um kleine Gefälligkeiten gebeten und sie dafür meist mit einigen Euro entlohnt.

Bei der Suche nach dem Motiv des Täters hatte es innerhalb der Mordkommission verschiedene Theorien gegeben, denn merkwürdigerweise waren nur einige Fächer der Schrankwand im Wohnzimmer durchwühlt gewesen. Den Kleiderschrank im Schlafzimmer aber hatte der Täter nicht angerührt. Immer wieder hatten Steenhoff und seine Kollegen diskutiert, ob es sich nun um einen geplanten Raub mit einer plötzlichen Eskalation gehandelt habe oder um einen persönlichen Racheakt, bei dem der Raub nur vorgetäuscht war. Für die These, dass Opfer und Täter sich kannten und in einer Beziehung zueinander standen, sprach vor allem, dass der Unbekannte der toten Rentnerin noch mehrfach ein Brotmesser in die Brust gerammt hatte. Warum?

Ein klassisches Indiz für einen «Overkill», wie die von Steenhoff befragten Fallanalytiker anmerkten. Wer sein totes Opfer derartig traktiere, setze damit einen gewaltsamen, höchst dramatischen Schlusspunkt unter ein angespanntes emotionales Verhältnis. Andere Kollegen hielten es dagegen für möglich, dass der Täter tatsächlich nur an die Ersparnisse der alten Dame wollte und bei der Suche nach Geld durch ein Geräusch im Hausflur gestört worden war. Anschließend war der Unbekannte über den Balkon geflüchtet. Da sich die Wohnung des Opfers im zweiten Stock des Hauses befand, musste der Täter sehr sportlich sein.

Sie hatten damals die Medien eingeschaltet, alle Bewohner der umliegenden Wohnblocks befragt, die Angehörigen und zahlreiche Alibis überprüft und am Ende mehrere Verdächtige, aber keinen heißen Kandidaten gehabt. Vor kurzem nun hatten sich Angehörige der Toten erneut bei Steenhoff gemeldet. Eine alte Freundin der getöteten Frau hatte ihnen aus einem Seniorenheim geschrieben und sich dabei schwärmerisch an die gemeinsamen Jahre erinnert. Dabei hatte die Zeugin erwähnt, dass «Hertha» leider stets einen Teil ihres Vermögens in «Spielhöllen» gelassen habe. Steenhoff nahm an, dass die Zeugin von Spielhallen sprach, die in manchen Bremer Stadtteilen wie Pilze aus dem Boden schossen.

Wir müssten noch mal alle umliegenden Spielhallen abklappern, schoss es dem Kriminalhauptkommissar durch den Kopf. Keine Aufgabe, für die er seine Kollegen leicht gewinnen würde, denn sie hatten den Fall schon längst ad acta gelegt. Doch Steenhoff führte in dem Fall die Akte, und bislang hatte er der Staatsanwaltschaft noch in jedem Tötungsdelikt irgendwann einen Täter präsentiert. Schon sein beruflicher Ehrgeiz ließ es nicht zu, dass der brutale Mord an der hilflosen alten Frau ungesühnt bleiben sollte.

 

Das Klingeln seines Diensthandys riss ihn aus seinen Gedanken. «Frank? Hier ist Werner Müller. Du hast doch diese Woche noch Mordbereitschaft. Wir haben da so eine merkwürdige Leiche im städtischen Krankenhaus West. Du solltest am besten gleich mit rausfahren.»

Steenhoff seufzte innerlich.

Kaum hatte er sich wieder in den alten Fall eingearbeitet, riss ihn der Leiter des Kriminaldauerdienstes schon wieder mit dem üblichen Alltagskram aus den Ermittlungen.

«Im Krankenhaus gibt es jeden Tag Tote, Werner. Merkwürdig würde ich es finden, wenn du mir erzähltest, du hättest ein Bremer Krankenhaus ohne Leichen entdeckt», antwortete er lakonisch.

Müller und Steenhoff kannten sich seit Beginn ihrer Polizeilaufbahn. Zeitweise waren sie sogar auf einem Streifenwagen gefahren. Nach ihrer Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei hatten sie ein Jahr lang zusammen beim mobilen Einsatzkommando gearbeitet. In den vielen Stunden, die sie bei der Überwachung Tatverdächtiger vor Häusern und Kneipen zugebracht hatten, waren sie sich nähergekommen. Obwohl sie seit Jahren in unterschiedlichen Dienststellen arbeiteten, war der freundschaftliche Kontakt geblieben.

Üblicherweise begann jedes Telefonat damit, dass sich die beiden früheren Kollegen gegenseitig durch den Kakao zogen. Doch Müller war an diesem Nachmittag ungewöhnlich ernst.

«Frank, bei der Toten handelt es sich um eine junge Patientin, die an den Folgen eines Verkehrsunfalls gestorben ist.»

Steenhoff wusste immer noch nicht, warum ihn der frühe Tod der Unbekannten etwas angehen sollte.

«Ja, und?»

Müllers Stimme klang gepresst. «Ihre Leiche ist geschändet worden. Muss gruselig aussehen. Ein Pfleger, der sie in der Leichenhalle im Keller entdeckt hat, wird gerade wegen eines Schocks vom Notarzt behandelt.»

Steenhoff klappte die Akte zusammen und schob sie an den Rand seines Tisches.

«Okay. Ich fahre raus. Sag der Tatortgruppe Bescheid. Die sollen zu zweit oder besser gleich zu dritt kommen.»

Er hatte sich gerade die Jacke übergezogen, als es an der Tür klopfte. Bevor Steenhoff reagieren konnte, wurde die Tür schon aufgerissen. Mit der Atmung eines Kurzstreckenläufers nach dem Zieleinlauf betrat Bernd Tewes das Zimmer. Der Leiter des Kommissariats wirkte wie immer angespannt. Während viele von Steenhoffs Kollegen lästerten, Tewes würde sich auf «Konferenzen» und in den zahlreichen Arbeitsgruppen des Präsidiums regelrecht verausgaben, schätzte Steenhoff seinen Chef wegen dessen Loyalität zu seinen Mitarbeitern.

«Frank, hast du einen Moment Zeit? Ich wollte dir unseren neuen Kollegen, Pardon, unsere neue Kollegin vorstellen. Frau Petersen fängt nächste Woche bei uns an. Sie wird bei dir im Zimmer sitzen.»

Bevor Steenhoff etwas erwidern konnte, schob sich eine schlanke Frau mit auffällig dunklem Teint an Tewes vorbei und streckte Steenhoff die Hand hin.

«Navideh Petersen. Das ist wirklich nett, dass ich das Zimmer mit Ihnen teilen darf. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.»

Der Kommissar war zu verblüfft, um etwas erwidern zu können. Die Neue entsprach nicht seinem Bild von einer Kripobeamtin. Mit ihren vollen schwarzen Haaren und ihrer schlanken Figur hätte sie eher als Model auf einen Laufsteg gepasst. Zumal Steenhoff sie mit seinen 1,87 Metern nur um wenige Zentimeter überragte.

«Äh, guten Morgen», brachte Steenhoff schließlich heraus. Er bemerkte, dass Petersen für eine Frau einen ungewöhnlich kräftigen Händedruck besaß.

«Frank ist einer unserer besten Ermittler», stellte Tewes Steenhoff vor. «Er wird Sie mit den Kollegen in den verschiedenen Abteilungen bekannt machen und Ihnen vieles beibringen können. Ich denke, ich lasse euch jetzt erst mal allein. Dann könnt ihr euch schon ein bisschen kennenlernen, bevor es nächste Woche für Frau Petersen losgeht.»

Unbemerkt von der jungen Beamtin blinzelte Tewes Steenhoff verschmitzt zu. Stenhoff wusste, ab sofort würde ihn jeder um die neue Kollegin beneiden. Sein kleines Büro würde künftig im Zentrum des Interesses stehen. Doch für männliche Eitelkeiten und Hahnenkämpfe hatte er im Augenblick keine Zeit.

 

«Bernd. Ich bin gerade auf dem Weg ins Krankenhaus West. Dort ist eine …», Steenhoff zögerte einen Augenblick. «… geschändete Frauenleiche im Keller gefunden worden.»

«Wenn Sie nichts dagegen haben, komme ich einfach mit und begleite Sie ein paar Stunden», schlug seine neue Kollegin überraschend vor. «Ich habe diese Woche zwar noch frei, aber dann bekomme ich schon mal einen Eindruck von meiner künftigen Dienststelle.»

Steenhoff wollte spontan ablehnen, doch Tewes wohlwollendes Nicken irritierte ihn.

«Ich versichere Ihnen, ich werde Sie nicht mit Fragen bombardieren und mich im Hintergrund halten», meldete sich Petersen wieder zu Wort. Nach einem kurzen Zögern nickte Steenhoff schließlich.

«Meinetwegen. Dann los!»

3

Auf dem Weg zum Krankenhaus West schwieg Steenhoff. Er versuchte sich vorzustellen, was ihn am Tatort erwarten würde. Obwohl er nun seit zehn Jahren im 1. Kommissariat arbeitete, hatte er erst bei zwei Morden an Prostituierten erlebt, dass sich die Täter an ihren toten Opfern sexuell vergangen hatten. Plötzlich hatte er wieder die Tatortfotos aus den Akten vor Augen. Widerwärtige Details kamen ihm in den Sinn.

Eine der beiden Frauen stammte aus der Ukraine. Der Täter hatte sie erwürgt und ihr danach schwere Verletzungen im Anus zugefügt. Anschließend hatte er sich an der Leiche befriedigt. Im anderen Fall hatte der Mann der toten Frau mehrere Male mit einem Messer in die Brüste gestochen. Seit Jahren hatte Steenhoff nicht mehr an die beiden Opfer gedacht. Manchmal war er erstaunt, wie gut es ihm gelang, belastende Bilder zu verdrängen.

Er warf einen Blick auf seine Beifahrerin.

«Darf ich fragen, wie alt Sie sind?», hörte er sich plötzlich fragen und fand seine erste Frage an die neue Kollegin zugleich völlig unpassend. Doch Petersen schien nichts dabei zu finden.

«Ich bin vergangene Woche 29 Jahre alt geworden.»

«Stammen Ihre Eltern aus der Türkei, oder wie sind Sie zu dem Vornamen gekommen», hakte Steenhoff nach.

«Ich bin Iranerin. Das heißt, seit ein paar Jahren besitze ich einen deutschen Pass. Und nach meiner Heirat auch einen deutschen Nachnamen. Ich habe ihn nach meiner Scheidung behalten. Mein persischer Familienname war einfach unaussprechbar. Fast so lang wie der Name dieser früheren Justizministerin. Wie hieß die noch? Leutheuser-Schnarrenberger oder so ähnlich.»

Steenhoff musste schmunzeln. Aber bevor er das Thema Doppelnamen vertiefen konnte, lenkte ihn ein Umleitungsschild an der Hauptstraße ab. Bremen schien im März schon wieder voller Baustellen zu sein. Nachdem er sich wegen der neuen Streckenführung kurz verfahren hatte, stand er endlich auf dem Parkplatz des städtischen Krankenhauses West. Nur ein Behindertenparkplatz war in der Nähe des Eingangs noch frei. Ohne zu zögern, griff Steenhoff auf den Rücksitz, holte die Polizeikelle heraus und legte sie gut sichtbar neben das Lenkrad des Wagens.

Einen Augenblick erwartete er, dass die junge Frau ihn dafür rügen würde. Von seiner Frau Ira hätte er für die Benutzung eines Behindertenparkplatzes sofort eine bissige Bemerkung kassiert. Sogar Marie hätte ihrem Vater diese Parkplatzwahl nicht einfach durchgehen lassen. Doch Petersen war ohne Protest oder hochgezogene Augenbrauen ausgestiegen und wartete schon neben dem Auto auf ihn.

 

Am Empfangsschalter im Eingang des großen Krankenhauses holte Steenhoff seinen Dienstausweis aus der Tasche.

«Frank Steenhoff. Kripo Bremen. Wir sind vom Krankenhaus benachrichtigt worden.»

Der ältere Mann am Schalter zuckte merklich zusammen.

«Ja, Ihre Kollegen sind schon da. Der Geschäftsführer des Krankenhauses erwartet Sie bereits. Das Zimmer von Herrn Dr. Decker liegt im dritten Stock, links vom Fahrstuhl.»

«Mit Herrn Decker werde ich mich später unterhalten. Wir wollen in die Pathologie», sagte Steenhoff ruhig.

Eifrig stand der Mann auf und zeigte auf einen Flur rechts vom Eingang.

Sofort dämpfte er seine Stimme. «Dort hinten hängt ein Schild: Ganz unten steht ‹Pathologie› drauf. Wenn Sie der Beschilderung folgen, kommen Sie direkt dorthin.»

Steenhoff hörte schon gar nicht mehr zu. Er kannte die Pathologie im Krankenhaus West und auch die der anderen Bremer Krankenhäuser. Regelmäßig wurden die Ermittler der Mordkommission in die Kliniken gerufen, wenn im Zusammenhang mit einem Verstorbenen Ungereimtheiten aufgetreten waren oder der Verdacht einer Straftat vorlag.

Steenhoff und Petersen gingen durch schmale Gänge und mussten mehrfach abbiegen, bis sie endlich auf dem Flur zur Pathologie standen. Vor der letzten Glastür hatte sich ein junger Beamter von der Schutzpolizei aufgebaut. Als er die beiden sah, trat er sofort auf Steenhoff und seine Begleiterin zu.

«Sie können hier nicht durch.» Um seine Anweisung zu unterstreichen, stellte er sich Steenhoff in den Weg. Doch der Kriminalhauptkommissar schien ihn kaum zu beachten.

«Lass mal gut sein. Mordkommission.»

Sofort trat der junge Polizist einen Schritt beiseite. Umständlich beschrieb er Steenhof den Weg, wobei er sich zweimal aufgeregt korrigierte. Steenhoff hatte dem Mann nur kurz zugenickt und ihn mitten im Satz stehen lassen. Hinter sich hörte er die Stimme von Petersen. «Danke für Ihre Hilfe. Wir finden es schon.» Als Steenhoff sich nach ihr umdrehte, sah er, wie der Polizist ihr bewundernd nachschaute.

Vor der Tür zur Pathologie stand breitbeinig ein zweiter Schutzpolizist. Er nickte Steenhoff freundlich zu. «Ah, der Kollege von der Kripo.»

Petersen konnte er offenbar nicht einordnen. Neugierig musterte er die Frau. Steenhoff schüttelte dem Mann, den er von früheren Einsätzen kannte, die Hand. Er deutete auf die Tür. «Und? Was wisst ihr bisher?»

 

Der Beamte holte kurz Luft. «Der Pfleger hat die Leiche gegen neun Uhr gefunden. Sie lag auf dem Stahltisch. Jemand muss sie nachts aus dem Kühlfach herausgenommen haben und dann … na, das wirst du ja gleich selber sehen», sagte der Schutzpolizist und schüttelte den Kopf.

Als Petersen gemeinsam mit Steenhoff an ihm vorbei in die Pathologie treten wollte, hielt der Beamte seinen Kollegen kurz am Jackenärmel fest und deutete mit einem kurzen Nicken in Petersens Richtung.

«Ich weiß nicht, ob sie sich das antun sollte.»

Steenhoff hatte für den Bruchteil einer Sekunde genau dasselbe gedacht. Ärgerlich schob er den Gedanken beiseite. Schließlich wollte Petersen bei der Mordkommission anfangen. Und dort bearbeitete man nun mal keine Fahrraddiebstähle, sondern Leichensachen.

«Sie ist Kollegin. Das ist schon okay», sagte er und kam Petersen mit seiner Antwort zuvor.

Gleichzeitig betraten sie den Raum. Unmittelbar neben dem Eingang waren zwölf Kühlfächer in die Wand eingelassen. Kleine beschriftete Zettel auf den Eisentüren markierten, wer dort drinnen bei fünf Grad über null auf den Bestatter wartete. Links vom Eingang führte eine Schiebetür zu einem kleinen Aufbahrungsraum. Am Kopfende eines mit schwarzem Stoff umrandeten Katafalkwagens waren zwei Kerzen an der Wand angebracht. Dazwischen hing ein Bild von Wassily Kandinsky. Über dem Wagen war die Decke abgehängt und mit kleinen Lämpchen versehen, die man je nach Zustand des Verstorbenen dezent dimmen konnte. Über allem hing der Geruch von Desinfektionsmitteln.

«Da bist du falsch. Die Leiche liegt im Sektionsraum», hörte Steenhoff hinter sich die Stimme des Schutzpolizisten.

«Sieh bitte zu, dass hier keiner reinkommt», forderte ihn Steenhoff bestimmt auf.

Was er jetzt nicht brauchen konnte, waren neugierige Zuschauer. Dicht gefolgt von Petersen ging er langsam auf das Ende des großen Vorraums zu. Genau gegenüber der Eingangstür zur Pathologie lag ein kleines Büro, dessen Fensterbank mit wuchernden Grünpflanzen vollgestellt war. Von früheren Tatorten hatte er sich angewöhnt, nicht gleich zur Leiche zu stürzen, sondern zunächst das Gesamtbild in sich aufzunehmen. Der erste Eindruck war wichtig – nicht nur bei Menschen, sondern auch am Ort eines Verbrechens. Winzige Kleinigkeiten, die störten, dort nicht hinpassten oder gleich zu sehr ins Auge stechen sollten, hatten ihn schon manches Mal auf die entscheidende Frage gebracht.

Auch Petersen schien es nicht eilig zu haben. Stumm musterte sie das friedlich in der Morgensonne liegende Büro.

Um keine Fingerspuren zu hinterlassen, streifte sich Steenhoff Einmalhandschuhe über und öffnete langsam die Tür zum Sektionsraum. Die Szene schlug ihn sofort in ihren Bann. Hinter sich hörte er, wie Petersen schwer ausatmete.

 

Mit den Füßen zur Tür lag mitten auf dem Sektionstisch eine vielleicht 20-jährige nackte Frau. Ihre Beine waren gespreizt. Unter ihren Kopf hatte jemand ein zusammengefaltetes Bettlaken gelegt, sodass es aus der Ferne schien, als schaue die Frau jeden, der den Raum betrat, mit ihrem starren dunklen Blick an.

In ihre Scheide hatte der Täter einen Besenstiel gerammt und dabei den Unterleib der Leiche aufgerissen. ‹Der muss mit dem Besen regelrecht in der Frau rumgestochert haben›, schoss es Steenhoff durch den Kopf. Ekel und Entsetzen stiegen in ihm auf. Schnell schob er die Gefühle beiseite. Sie würden ihn bei den Ermittlungen nur behindern.

Offenbar hatte sich der Täter längere Zeit mit der Leiche beschäftigt. In der Bauchdecke der Frau entdeckte Steenhoff einen vielleicht vier, fünf Zentimeter tiefen Schnitt, der wie ein großes V aussah.

«Das sieht ja aus wie ein Victoryzeichen», sagte Petersen mit tonloser Stimme. In dem kalten Neonlicht wirkte Petersen trotz ihres braunen Teints bleich.

«Mein Gott. Er hat sie geschminkt», entfuhr es der Polizistin plötzlich entsetzt. Steenhoff schaute der toten Frau ins Gesicht. Die geschlossenen Augen waren mit dunklem Lidschatten übermalt. Mit einem schwarzen Kajalstift hatte der Unbekannte seinem Opfer überdimensionale Wimpern auf das Augenlid gezeichnet. Die Lippen der Leiche hatte er mit einem leuchtend roten Lippenstift nachgemalt. Aus dem Gesicht einer jungen Frau war eine ordinäre Totenfratze geworden.

«Was muss der Typ für einen Hass in sich haben», sagte Petersen. Steenhoff nickte grimmig und ließ die Szenerie eine Weile stumm auf sich wirken. Schließlich wandte er sich wieder an seine Kollegin. «Lassen Sie uns einmal die Räume genauer anschauen.»

«Vielleicht hat der Täter irgendetwas für uns hinterlassen.»

Doch dazu kamen sie nicht mehr.

«Die Spurensicherung ist da und zieht sich gerade um», meldete sich der Schutzpolizist, der vor der Tür Wache gehalten hatte, wieder zu Wort und schaute hinter sich in den Flur. Steenhoff griff in seine Jackentasche und machte schnell ein paar Fotos mit einer kleinen Kamera, die er stets bei sich trug.

Kurz darauf standen drei Männer von der Tatortgruppe mit ihren weißen Einmalanzügen und ihren Hauben auf dem Kopf im Eingang.

«Ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr uns jetzt das Feld hier überlassen könntet», sagte der Älteste der drei zu Steenhoff.

Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich der Mann an die einzige Frau im Raum.

«Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?»

«Kriminalkommissarin Navideh Petersen.»

«Okay. Freut mich, Sie kennenzulernen. Bitte geben Sie im Präsidium noch heute Ihre Fingerabdrücke und eine DNA-Probe von sich ab. Sonst machen wir uns mit einigen Spurenträgern unnötig Arbeit. So Steenhoff, und jetzt würde ich hier gerne in Ruhe allein mit meinen Leuten arbeiten.»

Verstimmt verließ Steenhoff die Pathologie. Mit manchen Kollegen der Tatortgruppe verstand er sich bestens. Doch mit dem heutigen Team war er schon häufiger aneinandergeraten. Die Arroganz der Männer nervte ihn. Ihr Recht auf die ersten Stunden an einem Tatort war fachlich zwar begründet, behinderte ihn aber. In einem Kapitaldelikt mussten so schnell und so viele Informationen wie möglich eingeholt werden. Ein ständiger Balanceakt zwischen den beiden Gruppen.

«Okay», sagte Steenhoff an seine neue Kollegin gewandt und ging zielstrebig zum Fahrstuhl.

«Mal hören, was Dr. Decker uns zu sagen hat.»

4

«Dr. Decker führt zurzeit ein wichtiges Gespräch. Ich kann ihn unmöglich stören.»

Die Sekretärin schenkte den beiden Kripobeamten, die vor ihrem Schreibtisch standen, einen abweisenden Blick.

«Gut, dann werden wir uns eben fünf Minuten gedulden», erwiderte Steenhoff gnädig.

«Das könnte durchaus länger dauern. Da müssen sie schon warten», wies die Sekretärin sie zurecht.

Äußerlich ließ sich Steenhoff nichts anmerken. Doch innerlich nahm er sich vor, genau fünf Minuten zu warten und dann seine Geheimwaffe im Umgang mit Vorstandsetagen einzusetzen.

Entspannt ließ er sich in die schwarzen Ledersessel in der Sitzecke des Vorzimmers zurücksinken. Aus dem Zimmer hatte man einen phantastischen Blick auf die Bremer Innenstadt. Deutlich erkannte Steenhoff in der Ferne den Dom mit seinen beiden schlanken Türmen. Plötzlich musste er an Marie denken.

In den Osterferien vor fünf Jahren hatte er seine damals zehnjährige Tochter in den Bleikeller am Dom mitgenommen. Dort waren mehrere mumifizierte Leichen in ihren Särgen ausgestellt. Vage erinnerte er sich daran, dass der ursprüngliche Bleikeller im 17. Jahrhundert seinen Namen erhalten hatte, weil dort das Blei für das Dach und die Orgelpfeifen gelagert wurde. In jener Zeit wurden in dem Keller Tote aus anderen Städten aufgebahrt, um deren Bestattung sich niemand kümmerte. Weil die Luft im Bleikeller extrem trocken war und wegen einer Strahlung, die angeblich von dem vielen Blei ausging, verwesten die Leichen nicht, sondern mumifizierten.

Irgendwann in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden die Särge schließlich mit Glasplatten abgedeckt und ausgestellt. Ihr gruseliger Anblick zog immer mehr Touristen und Einheimische in den Dom. Schließlich wurden die Toten in ihren Särgen in einen Anbau des Doms ausgelagert.

In den Osterferien vor fünf Jahren hatte es wie aus Kübeln geschüttet, und Steenhoff hatte Marie zu einem «Ausflug» in die Innenstadt mitgenommen. Doch statt einen Einkaufsbummel mit ihr zu machen, war er mit Marie in den Bleikeller gegangen. In der darauffolgenden Nacht hatte keiner in der Familie schlafen können. Der Anblick der Mumien hatte Marie arg zugesetzt.

Abends war sie plötzlich in Tränen ausgebrochen und wollte nicht allein in ihrem Zimmer schlafen. Ira machte ihm damals schwere Vorwürfe.

«Du und deine Toten. Habt ihr von der Mordkommission eigentlich überhaupt kein Gespür dafür, wie es ist, wenn man als Kind das erste Mal eine Leiche sieht? In den Sommerferien schleppst du sie dann womöglich in die Rechtsmedizin und im Herbst zu einem Mordprozess ins Landgericht.»

Ira war gar nicht mehr zu stoppen gewesen. Schließlich war er wütend ins Gästezimmer gestapft und hatte getrennt von seiner Frau geschlafen. Es hatte drei Tage gedauert, bis der unselige Ausflug endlich vergessen war.

Doch seitdem hatte Steenhoff noch strenger als zuvor darauf geachtet, dass Marie nichts von seiner oft bedrückenden Arbeit erfuhr. Das war manchmal nicht leicht. Zumal manche seiner Fälle ausgiebig im Weser-Kurier beschrieben wurden. Hakte Marie bei ihrem Vater nach, wimmelte ihr Vater sie stets mit den gleichen stereotypen Sätzen ab. «Du weißt doch, wie die Journalisten sind. Die reimen sich viel zusammen und machen es dreimal so dramatisch, wie es wirklich war.»

Bislang hatte Marie sich mit dieser Erklärung immer zufriedengegeben. Obwohl sie bald 16 Jahre alt wurde, war sie noch sehr verträumt. Ihre Gedanken drehten sich hauptsächlich um Pferde, Sättel und Reittechniken. Mindestens einmal pro Woche malte sie ihren Eltern aus, wie es sein würde, später als Pferdezüchterin in Kanada zu leben.

 

Ein unterdrücktes Niesen seiner neuen Kollegin holte Steenhoff wieder zurück. ‹Sieben Minuten›, stellte er beim Blick auf seine Uhr fest.

Mit einem lauten Seufzer erhob er sich aus seinem Sessel.

«Gut, wenn Herr Dr. Decker jetzt keine Zeit hat, dann berufen wir erst einmal die Pressekonferenz ein. Die Öffentlichkeit hat ja auch ein Recht, über diese ungeheuerliche Tat zeitnah informiert zu werden.» Wie immer verfehlten seine Worte nicht ihre Wirkung.

Während Petersen ihn erstaunt anschaute, sprang die Sekretärin augenblicklich auf.

«Moment, bitte. Ich schaue schnell mal nach, wie lange es noch dauern wird.»

Steenhoff sah seine Kollegin verschwörerisch an. «Maximal 30 Sekunden.»

Einen Moment später ging die Zwischentür zum Chefzimmer auf. Dr. Decker stand höchstpersönlich in der Tür. Ein hochgewachsener Mann Anfang 50, der außer einer knallroten Krawatte ganz in Schwarz gekleidet war. Von der ersten Sekunde an verbreitete er die Aura eines Menschen, der es gewohnt war, Anweisungen zu erteilen.

«Entschuldigung, dass Sie warten mussten. Kommen Sie herein. Frau Geber, bitte machen Sie uns einen Kaffee. Oder trinken Sie lieber Tee?», erkundigte sich der Geschäftsführer des Krankenhauses bei den beiden Beamten.

Während sich Dr. Decker hinter einen monumentalen Schreibtisch aus Kirschholz setzte, der, wie Steenhoff überschlug, vermutlich mehr als ein Monatsgehalt von ihm verschlungen hätte, schaute er sich in dem elegant möblierten Büro um. Nichts deutete darauf hin, dass hier auch gearbeitet wurde. Der Raum schien vor allem der Repräsentation zu dienen.

«Von diesem Vorfall darf natürlich nichts nach außen dringen. Dafür bürgen Sie mir, Herr Kommissar.»

Mit festem Blick fixierte der Geschäftsführer seinen Besucher. Navideh Petersen schien er gar nicht wahrzunehmen.

«Wir treffen unsere Entscheidungen aus ermittlungstechnischen Erwägungen und nicht aus Marketinggründen», erklärte Steenhoff ruhig. Doch Decker war niemand, der sich von einem Polizisten in die Schranken weisen ließ.

«Sie verstehen ganz offensichtlich nicht die Tragweite, die solch eine Geschichte in der Öffentlichkeit für uns hätte. Wir stehen in einem harten Konkurrenzkampf mit den anderen Bremer Krankenhäusern.» Roh fügte er hinzu: «Ich bin nicht bereit, drei Jahre erfolgreiche Image-Arbeit für solch einen bedauerlichen Vorfall einfach in die Tonne zu treten. Ich hoffe, wir haben uns verstanden.»

Steenhoff schwieg. Einerseits konnte er den Geschäftsführer sogar verstehen. Eine Leichenschändung im Krankenhaus wäre ein gefundenes Fressen für die Medien, die Rufschädigung enorm. Er konnte sich schon die reißerischen Schlagzeilen vorstellen. «Leiche in der Pathologie geschändet», «Sex-Täter verging sich an toter Frau», «Krankenhaus in Angst».

Doch das arrogante Auftreten des Geschäftsführers ärgerte ihn. Decker hatte sich inzwischen in Fahrt geredet. «Im Übrigen werde ich noch heute Vormittag mit Eberhard Leinen sprechen. Ich bin seit Jahren mit Ihrem Polizeipräsidenten bestens bekannt. Vielleicht kann er Ihnen schneller vermitteln, worum es hier geht und was für das Krankenhaus auf dem Spiel steht.»

Mühsam hielt Steenhoff seine Wut zurück. Fast hatte er schon damit gerechnet, dass wieder einmal der Polizeipräsident ins Spiel kommen würde. Eberhard Leinen, der jede Woche in der Zeitung erwähnt wurde, kannte alle Größen Bremens. Ein Umstand, der bei Ermittlungen in früheren Fällen manchmal eher hinderlich gewesen war. Dabei musste er dem Präsidenten zugutehalten, dass er seine Leute bei brisanten Fällen nie gestoppt hatte. Doch allein die vielen Gespräche mit ihm kosteten Zeit.

 

Steenhoff erhob sich. «Bevor Sie mit Herrn Leinen telefonieren, sorgen Sie bitte dafür, dass ich umgehend eine Liste erhalte von allen Mitarbeitern, die Zugang zur Pathologie oder einen Schlüssel haben. Außerdem benötige ich eine Aufstellung von Leuten, die in letzter Zeit entlassen wurden.»

Steenhoff und Petersen standen schon in der Tür, als er sich noch einmal umdrehte.

«Ach ja. Solange die Spurensicherung noch am Tatort zu tun hat, müssen Sie ihre Krankenhausleichen leider woanders lagern.»

Bissig fügte Steenhoff hinzu: «An einem sicheren Ort, versteht sich.»

5

Noch im Fahrstuhl teilte Steenhoff seine Kollegin für zwei Aufgaben ein. Petersen sollte herausfinden, ob es eine Liste gab, in die sich Pfleger oder Krankenschwestern eintragen müssen, wenn sie Verstorbene nachts in die Pathologie bringen. Außerdem sollte sie die Fensterfront der ebenerdig gelegenen Räume nach Einbruchspuren absuchen. Anschließend wollten sie sich vor der Pathologie treffen, falls die Tatortgruppe mit ihrer Arbeit noch nicht fertig sein sollte.

Steenhoff wollte sich als Erstes den jungen Pfleger vornehmen, der die Leiche gefunden hatte. Außerdem mussten noch die Angehörigen benachrichtigt und vor allem das kurze Leben der geschändeten jungen Frau zusammengetragen werden. Nur so könnten sie herausfinden, ob der Täter die Frau gezielt ausgesucht hatte.