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Wege in den Traumberuf
Journalismus

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1. Jens Bergmann Bernhard Pörksen (Hrsg.):

Medienmenschen. Wie man Wirklichkeit inszeniert

Gespräche mit Joschka Fischer, Verona Pooth,

Peter Sloterdijk, Hans-Olaf Henkel, Roger Willemsen u. v. a.

Münster: Solibro-Verlag 1. Aufl. 2007

ISBN 978-3-932927-32-4

E-Book: eISBN 978-3-932927-81-2 (epub)

2. Jan Philipp Burgard Moritz-Marco Schröder:

Wege in den Traumberuf Journalismus

Deutschlands Top-Journalisten verraten ihre Erfolgsgeheimnisse. Mit praktischem Studienführer

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2012

ISBN 978-3-932927-15-7

E-Book: eISBN 978-3-932927-82-9 (epub)

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Jan Philipp Burgard | Moritz-Marco Schröder

Wege in den
Traumberuf

Journalismus

Deutschlands Top-Journalisten

verraten ihre Erfolgsgeheimnisse

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Informationen
über unser Programm
erhalten Sie unter:
www.solibro.de

Impressum

Covergestaltung: Christoph Pittner

Layout: Christoph Pittner

Satz: Reihs Satzstudio, Lohmar

Bildnachweis

Fotos Umschlag und Innenteil:

privat (Buhrow) Frank Zauritz (Diekmann) Wolfgang Borrs (Will)

privat (Kloeppel) picture-alliance / Norbert Schmidt (Delling – Innenteil)

picture-alliance / Pressefoto ULMER / Claus Cremer (Delling – Umschlag)

picture-alliance/ZB (Schirrmacher) Stephanie Füssenich für NEON (Ebert)

Gert Krautbauer (Pleitgen) privat (Jörges)

privat (Müller von Blumencron) Matthias Ziegler (Arp)

Scherenschnitte U1: Christoph Pittner

Gregor Lautwein (Jan Philipp Burgard, S. 286)

Florian Geserer (Moritz-Marco Schröder, S. 286)

Verlag:

SOLIBRO® Verlag, Münster/Westfalen www.solibro.de

Alle Rechte vorbehalten.

© SOLIBRO® Verlag Münster 2013 [2012]

eISBN 978-3-932927-82-9 (epub)

Vorwort

Interviews – TV

Nachrichtenjournalismus •

Mr. Tagesthemen – TOM BUHROW (Moderator, ARD)

»Ein konkretes Ziel zu haben ist wie eine metaphysische Kraft«

Sportjournalismus •

Der Sportmoderator – GERHARD DELLING (Moderator, ARD)

»Aufgeben kenne ich nicht«

Auslandsreportage •

Der Kriegsreporter – FREDERIK PLEITGEN (Reporter, CNN)

»Ich trage lieber Schussweste und Helm als Anzug und Krawatte«

Politik-Talk •

Die Polit-Talkshowqueen – ANNE WILL (Moderatorin, ARD)

»Die Bundeskanzlerin bearbeite ich mit dem Schraubstock«

Nachrichtenjournalismus •

Mr. RTL – PETER KLOEPPEL (Chefredakteur, RTL)

»Fernsehjournalismus ist viel mehr, als gut auszusehen«

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Am Ende einiger Interviews finden sich Links zu Videobotschaften der Interviewten.

Interviews –
Tageszeitungen, Zeitschriften und Online

Boulevardjournalismus •

Der Meinungsmacher – KAI DIEKMANN (Chefredakteur, BILD)

»Man holt sich auch mal Kratzer und Beulen«

Magazinjournalismus •

Der Popjournalist – MICHAEL EBERT (Chefredakteur, NEON)

»Es hilft, kein Arschloch zu sein«

Politikjournalismus •

Der Hauptstadtjournalist – HANS-ULRICH JÖRGES (Mitglied der Chefredaktion, stern)

»Keine Angst vor großen Tieren!«

Modejournalismus •

Die Modegöttin – CHRISTIANE ARP (Chefredakteurin, VOGUE)

»Vor dem Glamour kommt harte Arbeit«

Tageszeitungsjournalismus •

Der Intellektuelle – FRANK SCHIRRMACHER (Herausgeber, Frankfurter Allgemeine Zeitung)

»Der Kluge stellt alles infrage«

Onlinejournalismus •

Der Onlinepionier – MATHIAS MÜLLER VON BLUMENCRON (Chef der digitalen Angebote, DER SPIEGEL)

»Denen zeigen wir’s!«

Dein Start
in den Traumberuf Journalismus

Tipps für die Ausbildungs- und Studienwahl

Vier klassische Wege in den Journalismus •

Schaubilder

Bewerbungstipps für ein Praktikum oder eine freie Mitarbeit -

• Worauf es bei der schriftlichen Bewerbung und im Auswahlgespräch ankommt:

• 10 Tipps für die schriftliche Bewerbung

• 10 Tipps für das Bewerbungsgespräch

Mini-Praktikumsknigge •

Wie das Redaktionspraktikum zum Erfolg wird

Ausbildungsverzeichnis -

• Ausbildungen an Journalistenschulen

• Bachelor-Journalismusstudiengänge

• Journalistische Ausbildungen an Akademien

• Journalistische Stipendienprogramme

• Ausbildungen und Studiengänge mit Zugangsvoraussetzung abgeschlossenes Erststudium

Glossar •

Die 140 wichtigsten Begriffe aus der Welt des Journalismus

Dank

Über die Autoren

Anzeigen

Vorwort

Unsere Eltern schauten uns so entsetzt an, als hätten wir gerade verkündet, nach dem Abi in den australischen Regenwald auswandern zu wollen, um eine fünfjährige Ausbildung zum professionellen Buschtrommler zu absolvieren. Dabei hatten wir auf die Frage, was wir denn nach der Schule mit unserem Leben anfangen wollten, nur eine aus unserer Sicht völlig harmlose Antwort gegeben: Journalist werden! Doch für unsere Eltern schien eine Welt zusammenzubrechen. Sie hatten sich ihre Söhne vor ihrem inneren Auge im weißen Kittel eines Chefarztes oder der schwarzen Robe eines Anwalts vorgestellt – den sie jetzt gegen das angeranzte Sakko eines Schreiberlings eintauschen wollten. Statt als Juristen in Gerichtssälen für Recht und Ordnung zu sorgen, sahen sie uns mit Fotoapparaten bewaffnet und hinter Büschen lauernd als Paparazzi Jagd auf Prominente machen. Und statt mit einem geregelten Einkommen möglichst schnell ein Reihenhaus erarbeitend, sahen sie uns in ihrer Horrorvision als freie Journalisten unter der Brücke landen.

Wie also war unser schockierender Berufswunsch zu erklären? Was war passiert, nachdem wir uns im Anschluss an die kindlichen Berufswünsche Feuerwehrmann und Astronaut jahrelang keine Gedanken mehr um unsere Zukunftsplanung gemacht hatten? Statt im Fernsehen nur Comedy und Comics zu konsumieren, hatten wir mit gewachsenem politischen Interesse auf der Fernbedienung plötzlich auch die Taste mit der Nummer eins entdeckt. Und während wir zu Hause im Sauerland auf dem Sofa saßen und uns unsere kleine Stadt zunehmend enger erschien, entdeckten wir in der ARD einen Mann, der es in die große weite Welt hinaus geschafft hatte. Meistens stand er mit einem blauen Mikrofon in der Hand vor dem Weißen Haus und erklärte den deutschen Fernsehzuschauern, was in den USA gerade los war. Einmal interviewte er sogar den US-Präsidenten. Er kommentierte live, wie die Amerikaner ihre ersten Bomben über dem Irak abwarfen, und ließ sich bei einer Reportage über eine Naturkatastrophe selbst von einem vorbeiziehenden Hurrikan nicht aus der Ruhe bringen. Für eine Dokumentation sprach er mit den Rolling Stones – und wurde dafür anscheinend sogar noch bezahlt! Der Name dieses Mannes mit dem spannendsten Job der Welt: Tom Buhrow. Einige Zeit später stieg der Washington-Korrespondent zum Moderator des wichtigsten Nachrichtenmagazins im deutschen Fernsehen auf. Als »Mr. Tagesthemen« erklärte er jetzt jeden Abend einem Millionenpublikum die News des Tages.

Wir fragten uns: Wie genau hat er das geschafft? Was ist sein Erfolgsgeheimnis? Und wie wird man überhaupt Journalist? Welche Charaktereigenschaften muss ich mitbringen, um ein guter Journalist zu werden? Wie bekomme ich mein erstes Praktikum? Welche Studien- und Ausbildungsmöglichkeiten gibt es?

Deshalb sind wir durchs Land gereist und haben für Euch Deutschlands Top-Journalisten nach ihren Wegen in den Traumberuf Journalismus gefragt.

Eins können wir an dieser Stelle schon vorwegnehmen: Viele Wege führen in den Traumberuf. RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel zum Beispiel studierte Landwirtschaft und schrieb seine Diplomarbeit über das Verhalten von Zuchtschweinen, bevor er die Journalistenschule besuchte. Der stern-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges erzählte uns, wie er während der Studentenbewegung Steine warf, Haschisch rauchte, sein Studium abbrach – und doch in die Chefredaktion des sterns aufstieg. Auch der mächtige BILD-Chefredakteur Kai Diekmann, der mit seinen Enthüllungen sogar den Bundespräsidenten ins Wanken brachte, spricht offen darüber, welche Rückschläge er als junger Journalist hinnehmen musste.

Deutschlands Top-Journalisten erzählen in diesem Buch nicht nur von ihren Anfängen, sie geben Euch auch viele exklusive Einblicke in ihre tägliche Arbeit. Die Königin der politischen Talkshows, Anne Will, hat uns verraten, wie sie mit ihrer »Schraubstock-Technik« die Bundeskanzlerin ins Kreuzverhör nimmt. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher erklärte, wie er auf die Ideen für seine Bestseller kommt. VOGUE-Chefredakteurin und »Mode-Päpstin« Christiane Arp hat uns erzählt, wie Karl Lagerfeld und Heidi Klum hinter den Kulissen sind und wie sie neue Trends aufspürt. Während wir mit dem ARD-Sportmoderator Gerhard Delling ein Bundesligaspiel guckten, berichtete er, wie es ist, mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ein Bier zu trinken. Während Dellings Arbeitskleidung schicke Anzüge sind, trägt Frederik Pleitgen meistens eine schusssichere Weste, wenn er auf Sendung geht. Der Kriegs- und Krisenberichterstatter von CNN hat uns zwischen seinen Einsätzen in Afghanistan, Libyen und Ägypten bei unserem Besuch davon erzählt, wie er einen Luftangriff nur knapp überlebte. Und ganz nebenbei hat er noch verraten, wie er den Sprung vom Sitzenbleiber zum weltbekannten Reporter schaffte. Von NEON-Chefredakteur Michael Ebert erfahrt Ihr, wie Ihr es schafft, trotz allem Konkurrenzdruck im Journalismus kein »Arschloch« zu werden. Und SPIEGEL Online-Chef Mathias Müller von Blumencron erläutert, was man als Journalist im digitalen Zeitalter außer Schreiben noch alles können muss.

Einige der Top-Journalisten haben zusätzlich noch eine persönliche Video-Botschaft für Euch – dafür scannt einfach mit eurem Smartphone den QR-Code unter den Interviews.

Übrigens: Wir konnten unsere Eltern dann doch relativ schnell davon überzeugen, dass der Beruf des Journalisten der spannendste der Welt ist und man sogar davon leben kann. Trotzdem hier noch ein paar Argumente für Eure Eltern: Nicht alle Journalisten tragen angeranzte Sakkos (oder schusssichere Westen), sondern viele sind sogar richtig schick (vor allem diejenigen, die fürs Fernsehen arbeiten). Zu Recht und Ordnung kann man mit seinen Enthüllungen von Skandalen auch als Journalist betragen. Und nicht jeder Journalist hat Geldnot, mancher wird sogar Millionär, wenn er zum Beispiel einen Bestseller nach dem anderen schreibt.

Natürlich kann nicht jeder Fernsehmoderator, Chefredakteur oder Bestsellerautor werden. Aber was wir von fast allen Starjournalisten in unseren Gesprächen gehört haben, ist dies: Der Weg in den Traumberuf Journalismus ist oft hart und steinig. Wer aber Talent mitbringt, unbedingt Journalist werden will und überdurchschnittlich einsatzbereit ist, der findet auch seinen Platz. Und falls Ihr es am Ende nicht bis in die Chefredaktion oder vor die Kamera schafft, gibt es für Eure Eltern vielleicht trotzdem einen kleinen Trost: Immerhin wollt Ihr nicht professionelle Buschtrommler im Regenwald werden.

Viel Spaß beim Lesen!

Jan Philipp Burgard und Moritz-Marco Schröder

Interviews

TV

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Mr. Tagesthemen

»Ein konkretes Ziel zu haben ist wie eine metaphysische Kraft«

TOM BUHROW

Moderator, ARD

Tom Buhrow ist der lebende Beweis, dass ein Journalistentraum wahr werden kann, wenn man fest genug daran glaubt und hart genug daran arbeitet. Schon mit 18 träumte er davon, USA-Korrespondent zu werden und später die ARD-Tagesthemen zu moderieren. Mit 34 ging der erste Traum in Erfüllung: Als ARD-Korrespondent in Washington interviewte er nicht nur US-Präsident George W. Bush, während dieser gerade Krieg gegen den Irak führte, sondern auch die Rolling Stones. Tom Buhrow reiste durch ganz Amerika und war etwa live dabei, als Hurrikan Katrina über das Land fegte. Mit 48 erfüllte sich sein zweiter Lebenstraum: Er stieg zum »Mr. Tagesthemen« auf. Während wir ihn einen Tag lang von der Morgenkonferenz bis zum späten Abend im Studio begleiten durften, haben wir mit ihm über sein Erfolgsgeheimnis, seine Zeit als Auslandskorrespondent und die Auswahl seiner Krawatten gesprochen.

Sie laufen in jeder Stadt, in der Sie arbeiten, einen Marathon. Welche Eigenschaften braucht ein Journalist, die ein Marathonläufer auch braucht?

Es gibt die verschiedensten Typen von Journalisten. Aber eine gewisse Zielstrebigkeit ist für jeden Journalisten wichtig. Man muss sich gut vorbereiten, in Etappen denken, sich ein Ziel für seine Arbeit setzen. Das kann in fast keinem Beruf schaden. Grundsätzlich würde ich Marathonläufer am ehesten mit Fachjournalisten vergleichen, weil die bei einem bestimmten Thema sehr in die Tiefe gehen. Ich denke da zum Beispiel an Wissenschaftsjournalisten, Wirtschaftsjournalisten oder Enthüllungsjournalisten. Ich als aktueller Nachrichtenjournalist arbeite in vielen kleinen Etappen und bin viel mehr Sprinter als Marathonläufer.

Sie sagen, man müsse sich ein Ziel stecken. Gilt das nur für die tägliche Arbeit oder auch für die gesamte Lebensplanung?

Ich glaube, dass es sehr hilft, wenn man weiß, was einem Spaß macht und in welche Richtung man sich entwickeln möchte. Es gibt junge Menschen, die haben ein ganz konkretes Ziel für ihre Laufbahn. Die sagen: »Ich möchte Chefredakteur werden!« Das Allerwichtigste ist aber, dass man erst mal weiß, wie man überhaupt »tickt«. Was ist die eigene Neigung? Wenn jemand gerne Themen in die Tiefe gehend bearbeitet, dann sollte er nicht in die Aktualität gehen, also zum Beispiel zur Tagesschau. Jemand der Nachrichten mag sollte nicht versuchen Fachjournalist zu werden. Und jemand, der gerne Menschen trifft und wie ein Trüffelschwein Geschichten hinterher schnuppert, der sollte vielleicht nicht versuchen, ins journalistische Management zu gehen, sondern zum Beispiel Auslandskorrespondent zu werden. Ein Lebens- oder Karriereziel kann dich also dazu zwingen, dir selbst Rechenschaft darüber abzugeben, was deine Neigungen sind.

Wann haben Sie denn Ihre eigenen Ziele ganz konkret formuliert?

Ich habe schon mit 18 Jahren, zur Abizeit, den Traum gehabt, dass ich Auslandskorrespondent und eines Tages vielleicht auch Tagesthemen-Moderator werde. Heute kann ich das ja sagen, weil ich es erreicht habe, aber damals habe ich es niemandem erzählt! (lacht) Konkrete Ziele sollte man nur sich selbst gegenüber haben.

Was ist denn so schlimm daran, über ehrgeizige Ziele auch zu sprechen?

Je hochgesteckter die Ziele sind, desto vermessener klingt das für Zeitgenossen, für Kollegen, für Freunde oder auch Vorgesetzte. Tagesthemen-Moderator ist auf den ersten Blick ein vermessener Traum.

Ihren Traum hatten Sie schon sehr konkret definiert, obwohl Sie noch so jung waren. Was hat Sie so sicher gemacht, dass Journalismus Ihr Ding ist?

Ich glaube, wie vieles ist so etwas instinktiv. Ich würde auch jeden ermutigen, da auf seinen Instinkt zu hören. Im Rückblick würde ich sagen, ich habe zwei Neigungsbündel, das eine in der linken Gehirnhälfte, das andere in der rechten. Das eine Bündel ist die rationale Beschäftigung mit politischen und gesellschaftlichen Themen. Das ist dieses inhaltliche Interesse, das mich auch Geschichte und Politikwissenschaft hat studieren lassen – ein akademisch-analytisches Interesse. Das zweite ist ein kreatives Neigungsbündel. Viele Menschen sind entweder akademisch-analytisch oder kreativ veranlagt, und ich habe sehr früh eine Kombination von beidem gespürt. Deshalb habe ich instinktiv etwas angepeilt, was einer Kombination beider Neigungen entspricht.

Was genau hat Sie denn am Journalistenberuf fasziniert?

Es ist sehr spannend, sich täglich mit neuen Themen auseinanderzusetzen. Ein 08/15-Bürojob wäre einfach nicht mein Ding gewesen. Wenn ich morgens in den Sender gehe, weiß ich nie, was genau mich im Laufe des Tages erwartet. Ich lerne viele interessante Leute kennen und komme in der Welt herum. Außerdem mag ich es, unter Zeitdruck zu arbeiten.

Ihren Eltern hat der Berufswunsch »Journalist« aber überhaupt nicht gefallen …

Ja, sie wollten mir meine Leidenschaft zunächst ausreden. Mein Vater war richtig entsetzt, er dachte, ich sei ausgeflippt. Ich erinnere mich noch genau an die Diskussion am Mittagstisch, es wurde sogar etwas laut. Mein Vater hätte es lieber gehabt, wenn ich mich für BWL entschieden hätte …

Heute sind Ihre Eltern bestimmt froh, dass Sie sich durchgesetzt haben. Wie konnten Sie Ihren Vater überzeugen?

Zuerst schien er sich gar nicht überzeugen zu lassen. Dann habe ich ihm gezeigt, dass ich schon einige Universitäten angeschrieben hatte, um mich zu erkundigen, wo man überhaupt Journalismus studieren kann und ob es überhaupt Sinn macht, Journalistik oder Kommunikationswissenschaften zu studieren. Und da konnte er sehen, dass ich nicht einfach nur »irgendwas mit Medien« machen wollte, sondern einen konkreten Plan hatte. Ich hatte mir überlegt, dass ich die Fächerkombination Geschichte und Politikwissenschaft studieren wollte. Geschichte war auch mein Leistungskurs und Topfach in der Schule gewesen. Insofern konnte er sehen, dass meine Planung schon ein bisschen Hand und Fuß hatte. Nach dem Abitur habe ich dann auch angefangen, für die Lokalzeitung zu schreiben.

Wie haben Sie diesen ersten journalistischen Job bekommen?

Ich habe mit einem Freund gesprochen, der schon als freier Mitarbeiter beim Bonner Generalanzeiger im Lokalbüro Siegburg tätig war. Er wechselte gerade zur Siegburger Rundschau und gab mir den Tipp, mich beim Generalanzeiger als sein Nachfolger zu bewerben. Also bin ich einfach hingegangen und habe mich vorgestellt.

Hatten Sie da schon für die Schülerzeitung geschrieben und konnten Arbeitsproben mitbringen?

Nein, gar nicht, ich habe das einfach »kalt« gemacht. Wenn ich heute manchmal Lebensläufe von jungen Leuten lese, haben die meisten in dieser Lebensphase schon mehr drauf als ich damals. Die meisten schreiben schon für die Schülerzeitung und machen während der Schulzeit die ersten Praktika. Damals waren die formalen Anforderungen und die Konkurrenz wohl noch nicht so groß.

Über was haben Sie Ihren ersten Artikel beim Bonner General-Anzeiger geschrieben?

Über eine Karnevalssitzung. Was die Taubenzüchter im Ruhrgebiet sind, sind im Rheinland die Karnevalsvereine. Das ist eine große Sache. Ich bin heute noch gut mit dem Fotografen des General-Anzeigers befreundet, mit dem ich immer unterwegs war. Wir hatten fünf bis sechs Termine an einem Tag. Ich hatte gerade den Führerschein, habe in einem alten Auto die Karnevalsveranstaltungen abgeklappert – bei jedem Verein nimmst du ein bisschen die Stimmung auf, sammelst die wichtigsten Infos und dann haust du wieder ab.

Was waren denn die wichtigsten Dinge, die Sie im Lokalen gelernt haben?

Genauigkeit ist wichtig. Wenn du einen Namen falsch geschrieben hast oder eine Funktion, kam sofort ein Leserbrief. Du lernst auch, wie man mit Menschen redet und dass in diesem Beruf das Wenigste am Schreibtisch passiert. Am Schreibtisch wird am Ende nur geschrieben.

Am Anfang haben Sie Karnevalsprinzessinnen interviewt, heute die Bundeskanzlerin …

… heute darf ich beim Kölner Karneval sogar beim Festkomitee auf dem Wagen mitfahren (lacht) …

Tatsächlich ist der Kölner Karneval jedes Jahr ein Pflichttermin in Tom Buhrows prall gefülltem Kalender. Dem gebürtigen Siegburger wurde sogar schon der Karnevalsorden »lachender Amtsschimmel« verliehen. Obwohl Tom Buhrow einer der bekanntesten und erfolgreichsten Journalisten Deutschlands ist, nimmt er sich selbst nicht zu ernst. Seine Tagesthemen-Kollegen berichten, dass der auf dem Fernsehschirm stets seriöse Moderator in den Redaktionskonferenzen immer für einen Scherz gut ist. Seine Imitationen von Politikern sind in der Redaktion legendär. Die besonders in der TV-Branche weitverbreitete Eitelkeit ist ihm fremd. Egal wo man sich umhört – es gibt niemanden, der Tom Buhrow Starallüren nachsagen würde. Während manche Journalisten sich selbst mindestens genauso wichtig nehmen wie die Politiker, über die sie berichten, hat Tom Buhrow an der Wand seines Büros ein zwei Meter breites Schild angebracht. Darauf steht in großen Lettern eine Zeile aus einem Songtext von Mark Knopfler: »I don’t watch much TV – so you don’t mean shit to me« (»Ich gucke nicht viel Fernsehen, Du bist mir also scheißegal«). Diese Haltung, sich selbst nicht allzu wichtig zu nehmen, merkt man auch seinen Moderationen an. Nicht sich selbst will Buhrow in den Vordergrund stellen, sondern die Themen des Tages. Seine Interviews führt er freundlich in der Art, aber hart in der Sache.

Zu Ihren Interviewpartnern als Washington-Korrespondent gehörte George W. Bush. In Deutschland wurde er wegen der Angriffe auf Afghanistan und den Irak vor allem als »Kriegspräsident« wahrgenommen. War er im persönlichen Gespräch so »dämonisch« wie viele Deutsche sich ihn vorstellen?

Nein. Er hat, wie eigentlich jeder amerikanische Präsident, Eigenschaften, um überhaupt gewählt zu werden. Er kann nämlich mit Menschen eine Verbindung herstellen. Er kann nicht nur höflich-distanziert, sondern wirklich freundlich mit seinem Gegenüber in Verbindung treten. Niemand wird US-Präsident, wenn er das nicht kann. In Deutschland kriegen wir von ausländischen Wahlkämpfen immer nur Schnipsel mit. Auch von George W. Bush bekam man immer nur die dümmsten Versprecher mit, die ihn wie einen Trottel aussehen ließen. Man kriegt also gar nicht mit, was die Wähler in seinem Land anspricht. Das war bei Ronald Reagan genauso. Auf viele Deutsche wirkte er wie ein trotteliger, alter Mann. Die Ausstrahlung, die er auf die Wähler hatte, der Optimismus, kam hierzulande nie rüber. So war es bei Bush auch. Er hatte diese Fähigkeit, eine Verbindung zu seinem Gegenüber herzustellen, ohne ihn direkt zu umgarnen. Auf der anderen Seite war er auch konzentrierter, als ich gedacht hatte. Ich stellte ihm zum Beispiel eine zweiteilige Frage. Er beantwortete zunächst den zweiten Teil, sodass man hätte denken können, er habe den ersten Teil vergessen oder bewusst ignoriert. Aber er hat beide Teile beantwortet. Das heißt, er war nicht so simpel, wie man ihn dargestellt hatte. Trotzdem hat er mich mit seinen politischen Vorstellungen nicht überzeugen können. Aber das ist ja auch nicht der Punkt.

Wie lockt man in einem Interview den mächtigsten Mann der Welt aus der Reserve?

Dafür gibt es kein Patentrezept, aber ich denke, man muss sich sehr gut auf sein Wesen einstellen. Ich gebe ein Beispiel: Bush war als Typ ganz witzig und hatte auch einen Schalk im Nacken. Bei einer Frage ging es dann um den Iran und schon damals waren 60 Prozent der Deutschen davon überzeugt, er plane einen Angriff auf den Iran. Da fragte ich ihn, wie er sich das erkläre und ob er tatsächlich diesen Angriff plane. Er antwortete sinngemäß: »Nein, auf keinen Fall, ich weiß gar nicht, wie die Deutschen darauf kommen!« Da entgegnete ich: »Na hören Sie mal, letztes Mal, als Sie sagten, Sie hätten keine Kriegspläne auf dem Tisch, da hatten wir ein halbes Jahr später die Invasion im Irak. Was ist denn jetzt anders?« Das sagte ich mit so einem gewissen Grinsen und er musste daraufhin ein bisschen lachen, das war fast schon ein entlarvender Moment. Ich meine, er hatte gerade diesen Krieg gegen den Irak geführt, der Deutschland und die Welt empört hatte! Und bei der Frage zum Iran lacht er und sagt: »Ja, stimmt, aber jetzt ist alles anders, jetzt ist alles anders!« Dadurch kriegte das Interview zusätzlich zur inhaltlichen Komponente noch eine emotionale Komponente, die jeder so interpretieren konnte, wie er wollte. Wer ihn sowieso nicht ausstehen konnte, der sagte natürlich: Was für ein Zyniker, der lacht darüber, was ihm für ein Coup im Irak gelungen ist. Und wer es anders auf sich wirken lassen wollte, der hat das getan. Auf jeden Fall kam noch eine emotionale Dimension zu dem Interview hinzu. Und um diese Emotionalität herstellen zu können, muss man sich auf sein Gegenüber einstellen können. Hier hat es funktioniert.

SPITZNAME: Tommy.

ABI-NOTE: 1,8.

WAS WOLLTEN SIE ALS KIND WERDEN? Missionar.

WAS MACHT IHNEN SPASS? Marathon laufen, Musik hören.

WOMIT HABEN SIE IHR ERSTES GELD VERDIENT? Rasen mähen.

Um ein anderes Interview beneiden wir Sie fast noch ein bisschen mehr, nämlich um das mit den »Rolling Stones« …

… ja! Das ist auch mein liebstes Interview.

Vor welchem waren Sie denn aufgeregter? Vor dem mit dem mächtigsten Mann der Welt oder vor dem mit der mächtigsten Rockband der Welt?

Vor Bush war ich aufgeregter, weil ich natürlich wusste, dass das für meine berufliche Laufbahn viel wichtiger war. Ganz klar. Aber bei den »Stones« hatte ich auch eine gewisse Aufregung. Ich sprach zuerst mit Mick Jagger und dann mit Keith Richards. Bei Mick Jagger war ich noch ein bisschen verhalten. Man nennt ihn ja auch den »Eisprinz«, weil er bei aller Freundlichkeit und Professionalität eben doch immer sehr kontrolliert bleibt. Keith Richards macht es einem leicht, locker zu sein …

Hat Keith Richards Ihnen etwa einen Whiskey angeboten?

(lacht) Nein, es gab nur Wasser, aber trotzdem war die Stimmung sehr heiter. Keith Richards erzählte, dass sie demnächst ein Konzert im US-Bundesstaat Wisconsin geben würden und ich sagte, dass ich da als Austauschschüler war. Daraufhin lächelte er und sagte: »Ah, bestimmt kein Zufall, dass du als Deutscher in Wisconsin gelandet bist. Wie geht’s dem Biergeschäft?« Es gibt nämlich viele deutsche Einwanderer in Wisconsin und viele Brauereien. Daraufhin entgegnete ich: »Das Biergeschäft kenne ich nur von der Konsumentenseite.« Da haben wir beide laut losgeprustet.

Trifft man als Journalist also ständig große Stars und Weltpolitiker?

Nein. Dass Journalisten nur in Washington, Rio oder Tokio vor der Kamera stehen oder Politiker und große Stars interviewen, ist der größte Irrglaube, den junge Menschen vom Journalismus haben. Solche Höhepunkte sind selten. Was viele nicht sehen, sind die zahlreichen Fehlversuche. Es kommt zum Beispiel häufig vor, dass man jemandem vergeblich hinterher telefoniert, sich eine Geschichte in Luft auflöst oder ein Interviewtermin platzt. Außerdem wird der Konkurrenzkampf häufig unterschätzt: Journalismus ist der einzige Beruf, in dem man sich fast mit anderen prügeln muss, um überhaupt Arbeit zu haben.

Und wie haben Sie Ihre Konkurrenten bezwungen?

Ich wurde manchmal unterschätzt, doch insgeheim wusste ich stets genau, was ich wollte.

Sie haben vorhin von den unterschiedlichen Etappenzielen gesprochen. Ist es wirklich planbar, Auslandskorrespondent oder Tagesthemen-Moderator zu werden oder muss da auch noch ein Faktor X hinzukommen?

Meine Lebenserfahrung hat mir Folgendes gezeigt: Wenn dein Ziel deinen Neigungen entspricht und du nicht nur Korrespondent werden willst, weil das exotisch aussieht und alle Deine Freunde sagen: »Boah cool, der ist in New York!« – dann ist ein konkretes Ziel zu haben von einer extremen, fast schon metaphysischen Kraft. Ich habe gerade ein Zitat von meinem großen Idol Bob Dylan gelesen. Er sagt: »Wenn du eine genaue Vorstellung hast von dem, wer du bist, und was du auf der Welt sollst, wirst du viele Leute extrem überraschen.« Wenn man also wirklich ein Ziel hat, eine Vorstellung davon, wohin man sein Lebensschiff steuern möchte, dann entwickelt das eine Kraft. Ich habe vor Kurzem auch ein Buch von einem Zellbiologen gelesen. Seine These: Wenn ich selber eine Vorstellung habe von dem, was ich will, persönlich, beruflich – das ist ja auch eine Einheit – dann äußert sich das in jeder Zelle. Man kann die äußere Wirklichkeit nicht erzwingen, aber man programmiert seinen gesamten Organismus, für Frequenzen offen zu sein, die man sonst übersehen, überhören und gar nicht merken würde. Nehmen wir Arnold Schwarzenegger. Zum Teil können wir über ihn lachen. Aber Arnold Schwarzenegger ist ein Denkmal der Kraft des positiven Denkens. Da kommt dieser Typ aus einem ganz armen Alpental in Österreich. Nicht Wien oder Salzburg, nein, nein. Er stammt aus einem richtig armen Alpental, aus einer ganz einfachen Familie. Und er hatte einen Traum. Er wollte der erfolgreichste Bodybuilder der Welt werden. Und er wurde tatsächlich »Mister Universum«, später sogar Gouverneur von Kalifornien. Und was Arnold Schwarzenegger heute ist, ist eigentlich nur der materialisierte Traum. Der Traum hat ihn da hingeführt. Ich bin kein Spiritualist oder so. Aber ich glaube, dass man um sich herum so ein Kraftfeld entwickeln kann. Und das trifft für jeden Beruf zu. du kannst ein Einwandererkind sein und kaum Deutsch sprechen, aber wenn du sagst »Ich will Mediziner werden!« oder »Ich will Anwalt werden!«, dann schaffst du das. Wer wirklich ein Ziel hat und dieses Ziel den Neigungen entspricht, wird es erreichen. Aber wenn es nicht Deinen eigenen Neigungen entspricht, dann wird es nicht so sein.

Das Erfolgsgeheimnis von Arnold Schwarzenegger war hammerhartes Training, verraten Sie uns auch Ihres?

Ich habe nicht verbissen auf »Mr. Tagesthemen« hingearbeitet, aber ich habe mich immer in diese Richtung bewegt. Und ich habe unterwegs, an mehreren Weichenstellungen, auch schon erreichte Erfolge wieder aufgegeben, um wieder eine Kurskorrektur vorzunehmen und wieder in die Richtung meines Berufstraumes zu gehen. Ein Beispiel: Ich war Moderator der »Aktuellen Stunde«, konnte auch als Reporter rausgehen und hatte eine schöne Mischfunktion. Die »Aktuelle Stunde« ist die Regionalsendung im WDR, bis heute sehr erfolgreich.

Wenn man dann Moderator ist, hat man natürlich eine sehr attraktive Funktion mit einer hohen Außenwahrnehmung. Aber ich wusste, wenn ich an meinem Ziel Auslandskorrespondent, meinem ersten Etappenziel, festhalten will, dann muss ich diesen Spatz in der Hand aufgeben, die Hand aufmachen und ihn fliegen lassen. Und es war eigentlich schon mehr als ein Spatz, es war eine Amsel oder eine Drossel, also ein schöner Singvogel. Diesen Vogel musste ich aber fliegen lassen und bin als Reporter zur »Tagesschau«-Zulieferung gegangen. Das hieß, ich blieb im WDR, aber ich ging wieder hinter die Kamera, um aus der Region Berichte für die »Tagesschau« und »Tagesthemen« zu produzieren. Aber ich war jetzt mit meinen Berichten eben nicht mehr nur im Regionalfernsehen präsent, sondern bundesweit bei unserer Flaggschiffsendung der ARD. Ob der Plan dann aufgeht, eines fernen, fernen Tages, unsere bundesweite Nachrichtensendung zu moderieren, das kann man dann noch nicht sagen. Da liegen dann wieder 15 Jahre dazwischen. Aber ich wusste, ich muss die eine Sache aufgeben. Ich kann nicht sagen, ich will weiter die »Aktuelle Stunde« moderieren und versuchen, direkt auf den »Tagesthemen«-Stuhl zu kommen oder direkt als Auslandskorrespondent ins Ausland zu gehen. Sondern ich musste erst mal beweisen, dass ich auch für das bundesweite Programm gute Storys umsetzen kann und als Reporter etwas tauge. Um dann die Chance zu kriegen, ins Ausland zu kommen. Sich konkrete Ziele zu setzen schützt also davor, in diese Falle des frühen Erfolges zu geraten und zwingt einen dazu, sich Rechenschaft abzugeben: Ist mir mein Berufstraum so wichtig, dass ich jetzt wirklich das, was ich schon habe, wieder aufgebe, um in die Richtung meines Berufstraumes zu gehen?

Mussten Sie manchmal private Opfer bringen, um Ihr Ziel zu erreichen?

Da kommen wir wieder zum Marathon. Man setzt sich ein Ziel und sagt sich, dass dieses Ziel wichtiger ist als alles andere. Ich weiß zum Beispiel, dass ich nicht mit einer Frau eine Familie gegründet hätte, die kein Verständnis für diesen Traum gehabt hätte. Und das hat gar nichts mit »Karrieregeilheit« oder so zu tun. Mein Ziel war einfach meine Bestimmung. Das stand in meinen Sternen. Und wenn ich nicht zumindest versuche, dem nachzugehen, dann vergehe ich mich eigentlich an meinem Schicksal und handle meinem Schicksal zuwider. Ob das alles den äußeren Umständen entsprechend so klappen kann, ist eine andere Frage. Aber ich muss es zumindest versuchen.

Lässt sich so ein anstrengender Job überhaupt mit einer Familie vereinbaren?

Fakt ist, dass die Arbeitszeiten sehr unregelmäßig sind und man oft weit mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten muss. Da ist es natürlich nicht einfach, einen Partner zu finden, der dafür Verständnis hat. Aber meine Frau hat mich dabei immer unterstützt und meinen Traum mit mir geteilt.

Zu diesem unbedingten Willen, dem »Metaphysischen«, wie Sie es nannten, muss ja auch noch journalistisches Handwerkszeug kommen. Was muss man drauf haben, um Auslandskorrespondent zu werden?

Ein Auslandskorrespondent ist immer ein Generalist. Er ist in der Regel nicht Fachjournalist, du musst in der Regel ein Händchen für Aktualität haben. Der Fachjournalist wird wahrscheinlich eher im Lande bleiben. Das heißt, du musst im Ausland dann auch unter Druck arbeiten können und flexibel genug sein, um dich sprachlich und kulturell in die neue Umgebung einzufühlen und einzuarbeiten. Ganz wichtig ist dabei ein offener Blick.

Was meinen Sie damit?

Nehmen wir mal an, ich habe studiert, war in der Friedensbewegung aktiv, und jetzt komme ich zum Beispiel in die USA und habe es dort auch mit Sicherheitspolitik zu tun. Und es geht um die Frage des iranischen Atomprogramms und ob die USA Israel unterstützen sollten, falls es zu einem Schlag gegen den Iran kommt. Jetzt kann ich das immer durch die Brille meiner Wohngemeinschaft an der deutschen Uni sehen. Oder ich bin offen genug, die verschiedenen Kriterien, nach denen die amerikanische Regierung das durchspielen muss, nachzuvollziehen. Das heißt ja überhaupt nicht, dass man zu dem Schluss kommen muss, auf einmal eine Kriegshandlung zu rechtfertigen. Es geht einfach nur darum, mit möglichst offenem Blick den Zuschauern die amerikanische Perspektive schildern zu können.

Sie haben mehr als zehn Jahre in den USA gelebt und gemeinsam mit Ihrer Frau Sabine Stamer auch ein Buch über Ihre Alltagserlebnisse geschrieben. »Mein Amerika – Dein Amerika«. Man sagt den Amerikanern ja großen Optimismus nach. Auch Sie scheinen ein großer Optimist zu sein. Am Ende von Sendungen mit vielen besonders traurigen Nachrichten sagen Sie manchmal »Das waren die Tagesthemen von heute. Morgen ist ein neuer Tag«. Was ist amerikanisch an Ihnen?

Dieser Optimismus an mir ist wirklich amerikanisch. Die gute Laune ist zum Teil rheinländisch (lacht), zum Teil auch amerikanisch. Und noch zwei Dinge: Das eine ist der Familiensinn. Ein amerikanischer Musikjournalist hat mal in einem Interview zu Bob Dylan gesagt: »Wenn ein Mann auf sein Leben zurückblickt, ist die glücklichste Zeit doch sicher die, in der er eine Familie großgezogen hat.«

Und dieses Gefühl hatte ich immer. Wenn ich amerikanische Filme sah, fand ich immer dieses Ideal toll, Kinder großzuziehen und als Familie in einer Einheit füreinander da zu sein. Wir empfinden das manchmal als kitschig, weil wir schon von postmodernen Lebensformen träumen. Ich hatte immer das Gefühl, dass das die Basis von allem ist und etwas ganz Natürliches. Das Zweite ist: Die Aufklärung hat ja in Europa bei vielen anspruchsvollen Menschen so eine Art atheistische Grundstimmung hinterlassen. Weil bei uns die Freiheit gegen die Religion erkämpft wurde und auch die Demokratie zu einem guten Teil gegen die Religion erkämpft. Ich habe, das ist auch amerikanisch, nicht das Gefühl, dass Freiheit und Glaube einen Gegensatz bilden. Ich habe immer viel Trost im Glauben gefunden. Wenn meine amerikanische Gastfamilie mir zum Abschied sagte, »So Tom, jetzt gehst du auf eine lange Reise. Wir beten für dich«, dann hört sich das jetzt total kitschig an. Aber das hat mir Trost gegeben, dass Leute auch auf die Weise an mich denken.

Amerika ist auch in Buhrows Hamburger Büro präsent: Neben der Tür steht eine riesige US-Fahne, allerdings eine ganz besondere. Denn genau diese »Stars and Stripes« haben bereits hoch oben über Washington geweht – auf dem Kapitol, dem Sitz des US-Kongresses. Das Echtheitszertifikat hängt neben der Fahne an der Wand, sie ist das Geschenk seiner Kollegen aus Washington. Vor dem Bücherregal stehen Barack Obama und seine Vorgänger George W. Bush, Bill Clinton und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel – als Pappaufsteller. Ihnen hat Tom Buhrow kleine Erinnerungen an Höhepunkte seines bisherigen Journalistenlebens um den Hals gehängt, zum Beispiel die Akkreditierungs-Anstecker von einer Reise mit dem US-Präsidenten, dem Super-Bowl oder dem Abschuss eines Space-Shuttles in Florida. Auf der Fensterbank steht ein Foto von ihm mit der kompletten Mannschaft des ARD-Studios in Washington – vom Korrespondentenkollegen über den Kameramann bis hin zum Hausmeister. Neben den Familienfotos (seine beiden Töchter wurden in den USA geboren) auf dem Schreibtisch steht noch das Bild des Amerikaners, den Buhrow vielleicht am meisten bewundert: Bob Dylan.

Sie waren so lange für die ARD in Amerika, dass viele Zuschauer vergessen haben, dass Sie auch mehr als zwei Jahre aus Frankreich berichtet haben. Gibt es auch eine französische Seite an Ihnen?

Den Wein in meinem Keller (lacht). Ich habe in Frankreich natürlich fast noch mehr gelernt, weil ich dort schon als Schüler war und deshalb sehr viel über die Kultur gelernt habe. Was ich dort außerdem schätzen gelernt habe, ist die französische Höflichkeit und eine Art von Eleganz sich auszudrücken. In Frankreich sind, im Prinzip seit der Revolution, elegante, höfliche Umgangsformen allgemein verbreitet. Das Konfrontative, was wir in Deutschland manchmal ganz selbstverständlich bei unseren Diskussionen sehen, was wir als »klare Kante« bezeichnen – das empfinden die Franzosen nur als rüde, vulgär, ungebildet und ungehalten.

Sie sprachen gerade von der »klaren Kante«. Als Sie 2006 die Tagesthemen zum ersten Mal moderierten, warfen Ihnen manche Medienjournalisten vor, Sie ließen diese vermissen. Aktuell zeigen Sie aber, wenn auch elegant, »klare Kante« bei einem wichtigen Thema, der europäischen Schuldenkrise. Im Vergleich zu vielen anderen Journalisten haben Sie von Anfang an darauf aufmerksam gemacht, dass für die sogenannten »Rettungsschirme« für Griechenland und Co. deutsche Steuergelder in ein Fass gesteckt werden, das unter Umständen keinen Boden hat. Muss man also als Journalist manchmal auch gegen den Strom schwimmen?

Ich halte das für absolut unerlässlich. Um bei Ihrem Beispiel »Eurokrise« zu bleiben: Was in der Schuldenkrise die richtige Politik wäre, da gibt es verschiedenste Meinungen. Da will ich mir nicht anmaßen zu sagen, was jetzt der richtige Weg wäre. Doch der Begriff »Euro-Rettungsschirm« kommt nicht über meine Lippen. Es kann sein, dass die Maßnahmen der europäischen Regierungen am Ende den Euro retten. Es kann aber genauso gut sein, dass sie ihn ruinieren. »Eurorettung« klingt wie »Ich mach euer Geld sicherer, stabiler«, es kann aber genauso gut sein, dass wir am Ende nach zehn Jahren sagen, dass wir den Wert des Geldes ausgehöhlt haben und das Geld eigentlich unsicherer geworden ist. Diese Begriffsprägung der Regierung jetzt einfach nachzuplappern, wie das sehr viele tun, das wird mir jedenfalls nicht passieren.

Man sollte sich als junger Journalist also nicht an der Mehrheitsmeinung von anderen Journalisten orientieren, sondern seinen eigenen Blick bewahren?

Man sollte das nicht aus Prinzip tun, aber man sollte auch nicht nur die einzelnen Bäume sehen, sondern den ganzen Wald. Der Publizist Johannes Gross hat das mal so formuliert: »Es gibt Milieus, in denen ist der Protest eine Form der Anpassung.« Das heißt, ich bin natürlich immer stark von der Gruppe beeinflusst, in der ich bin. Von der Branche, von dem Mainstream, von der Mehrheitsmeinung in dem Milieu, in dem ich mich bewege. Wenn ich an der Universität studiere und lebe in einer Wohngemeinschaft, wird mich das, was ich da mitkriege an Meinungen, also wogegen oder wofür protestiert wird, in meiner Meinung stark beeinflussen. Daher ist es einfach wichtig, dass ich viele Dinge infrage stelle, zumindest für mich selbst, und frage: warum eigentlich? Du musst einfach mit einem neuen Blick an die Sache herangehen können. Wenn ich in einer festen Gruppe bin, gucken alle aus derselben Perspektive auf ein Problem oder ein gesellschaftliches Ereignis. Wenn ich mich jetzt von der Gruppe entferne und zehn Schritte zur Seite gehe, dann sehe ich schon einmal aus einem ganz anderen Winkel. Ich sehe Dinge, die man von der anderen Seite gar nicht sehen kann. Deswegen: Ich halte es für absolut notwendig, sich noch einen Eigenblick zu bewahren und sich auf den inneren Kompass zu verlassen.

Um seinen inneren Kompass zu eichen, muss Tom Buhrow stets informiert sein über alle aktuellen Entwicklungen in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Kultur. Wenn er morgens das Haus verlässt und sich auf den Weg zum Sendegelände des NDR in Hamburg-Lokstedt macht, hat er meistens schon fünf bis sechs Zeitungen gelesen: von der BILD über die FAZ, WELT, Süddeutsche Zeitung, Handelsblatt bis zur International Herald Tribune. Hinzu kommen Wochenmagazine wie SPIEGEL, stern, Wirtschaftswoche und FOCUS.

Im Büro angekommen fährt Tom Buhrow zuerst seinen Computer hoch und verschafft sich mithilfe der Meldungen der Nachrichtenagenturen einen noch aktuelleren Überblick. Um 11.30 Uhr schnappt er sich eine Tasse Kaffee und geht in den Konferenzraum. Dort haben bereits der Chefredakteur der Tagesthemen, Thomas Hinrichs, vier Redakteure und ein Grafiker Platz genommen. Nach einer kurzen Kritik der Sendung vom Vorabend und einem Blick auf die Einschaltquote werden die möglichen Themen für die heutige Sendung diskutiert. In Berlin wird Joachim Gauck im Bundestag als neuer Bundespräsident vereidigt und hält seine erste Rede im neuen Amt. Damit ist der Aufmacher-Beitrag schon mal klar. Welche Themen es sonst noch in die Sendung schaffen, wird erst am Nachmittag endgültig entschieden, wenn die aktuellen Entwicklungen klarer sind. Nach der einstündigen Konferenz zieht sich Mr. Tagesthemen in sein Büro zurück, um einige Telefonate zu führen, Anfragen zu beantworten und eine Reihe von Terminen, bei denen er die Tagesthemen nach außen repräsentiert, mit seiner Sekretärin Petra Nowak abzustimmen.

Um 16.15 Uhr wartet eine zweite Konferenz. Inzwischen haben die Redakteure mit den Korrespondenten im In- und Ausland telefoniert und können nun einschätzen, was an diesem Tag neben dem neuen Bundespräsidenten am wichtigsten ist, wie die Beiträge genau aussehen sollen und welche Korrespondenten für Liveschalten eingeplant werden. Gegen 17 Uhr kann Tom Buhrow also damit beginnen, seine Moderationen zu schreiben. Um seine Zeit möglichst effizient zu nutzen, geht er um 20 Uhr in die Maske und schaut sich von dort aus die Tagesschau an. Danach beginnt die heiße Phase. Inzwischen sind die ersten Einspielerfilme für die Tagesthemen eingetroffen, sodass Tom Buhrow sich konkrete Formulierungen für die Überleitung zum Beginn der Nachrichtenfilme überlegen kann. Nicht umsonst nennt man die Nachrichtenmoderatoren in den USA »Anchorman«. Dann greift er zum Telefonhörer, um die Fragen an den ARD-Korrespondenten in Israel abzustimmen. Zwischendurch immer wieder der Blick auf die Uhr: 21.45. Noch fünfzehn Minuten, dann muss er eine kleine Holztreppe hinunter gehen und ein Stockwerk tiefer eine schwere Eisentür öffnen. Dahinter verbirgt sich das Heiligtum der Tagesthemen und der Arbeitsplatz, von dem Tom Buhrow schon als 18-Jähriger geträumt hat – das Studio.

Im Studio gibt es ja keine Kameramänner, die Kameras werden für Sie unsichtbar von der Regie aus gesteuert. Sie haben also während der Live-Sendung niemanden, den Sie direkt ansprechen können. Trotzdem müssen Sie es schaffen, durch die Kameras in die Wohnzimmer von Millionen Zuschauern vorzudringen und das Gefühl erzeugen, die Menschen möglichst persönlich anzusprechen. Haben Sie dafür eine spezielle Technik?

Ich habe zwar schon in meiner Zeit beim WDR-Regionalfernsehen Moderationsseminare absolviert und die haben mir auch viel gebracht. Aber grundsätzlich geht es hier weniger um eine spezielle Technik, sondern ich habe eigentlich immer eine natürliche Neigung zum Kommunizieren gehabt. Egal ob eine Gruppe vor mir steht oder eine Kamera vor mir ist.

Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass ich gerne meine ganze Person einbringe, um mit der Information, die ich zu transportieren habe, Menschen zu erreichen. Deshalb mache ich mir da im Studio keine Gedanken drüber, ob mir drei oder zehn Millionen zusehen. Die Tatsache, dass da keine anderen Leute im Studio sind, beunruhigt mich auch überhaupt nicht, im Gegenteil. Das ist eher meine Komfortzone. (lacht)

Haben Sie vor der Sendung noch Lampenfieber?

Nein, nur konzentrierte Spannung.

Wer sucht eigentlich Ihre Krawatten und Anzüge für die Sendung aus?

In Modefragen ist meine Frau meine schärfste Kritikerin. Wir haben hier bei der ARD aber auch eine Kostümberaterin, die gelegentlich einen Tipp gibt. Manchmal rufen sogar Zuschauer an und sagen: »Der Buhrow sah heute gut aus!« oder auch »Die Krawatte passte ja gar nicht zum Anzug!«.

Kollegen von Ihnen sagen, dass neben Ihnen das Studio abbrennen könnte und Sie würden trotzdem souverän weitermoderieren. Kann man das lernen, oder muss man diese Gabe schon mitbringen?

Ich glaube, dass es eine Grundlage gibt, die man mitbringen muss, die man nicht lernen kann. Aber vieles ist auch Routine. Und diese Routine kriegt man am besten bei Livereportagen. Wenn man draußen ist, dann ist die Ablenkung noch viel größer als im Fernsehstudio. Da sind Wind und Wetter, da sind Tonprobleme bis zur letzten Sekunde, vielleicht noch während der Liveschalte. Ich habe zig Liveschalten erlebt, wo ich mein eigenes Echo hörte oder die Tonleitung fast zusammenbrach. Oder ich hatte ein Fiepen im Ohr. Dann sind da noch andere Reporter um dich herum, man hört neben sich einen Japaner seine Livereportage machen. Gleichzeitig laufen dauernd Leute durch die Gegend. In meiner ersten wichtigen Liveschalte für die ARD, nach einem Flugzeugabsturz in Amsterdam, ging mitten in der Reportage auf einmal das Kameralicht an. Jetzt wusste ich nicht: Bedeutet das, dass das, was ich bisher gesagt hatte, gar nicht gesendet wurde? Ich musste mich, während ich redete, entscheiden, was es bedeutet, dass auf einmal das Kameralicht angeht. Man denkt also nach und wird einen kleinen Moment rausgeworfen. Ich habe mich dann dazu entschieden zu sagen »Falls Sie das gerade erst hören können« und habe noch zwei Sätze dazu gesagt.

Wie geht man am besten mit solchen Pannen um?

Man muss lernen, nicht ins Stottern zu geraten und komplett aus dem Gedanken geworfen zu werden. Und man muss immer mit solch einer Panne rechnen. Man denkt, man hat alles erlebt, aber man wird, wenn man draußen ist, immer neue Pannen erleben. Es wird immer etwas zu lernen geben.

Manchmal muss man dem Zuschauer auch erklären, dass gerade etwas schief läuft und sagen: »Jetzt haben wir gerade ein Tonproblem, aber wir sind gleich wieder bei der Sache.« Mit solchen Situationen gleichzeitig entspannt und mit Souveränität umgehen zu können – diese Erfahrungen helfen, wenn man später im Fernsehstudio arbeitet.

Im Fernsehstudio geht es ja auch um Optik. Muss man ein bestimmtes Gesicht haben, um Moderator werden zu können?

Also, ich bin ja auch nicht der Schönste. (lacht)

Aber offenbar schön genug ... (lacht)

(lacht). Ich glaube bei Korrespondentenjobs, wo man auch viel drinnen im Auslandsstudio ist und Beiträge produziert und nicht jeden Tag bei Liveschalten zu sehen ist, spielt es weniger eine Rolle.