Peter Pitsch

W.E.L.T

Thriller

Zungenakrobatik

Wollte er die Generosität der wohlhabenden Dame fürderhin in Anspruch nehmen, musste er wohl oder übel der vertrauten Gemütlichkeit entsagen und schleunigst eine vorzeigbare Aktion ins Leben rufen.

Um 15 Uhr 25 hob das Passagierflugzeug der Nordic Airline planmäßig ab, gewann rappelnd an Höhe und beschrieb oberhalb deutlich gezeichneter Wolken eine Kurve. Bei allem Sonnenschein bereitete ihm der einstündige Flug ein latentes Unwohlsein. Sein Hintern steckte im schmalen Sitz der 737 fest, der Ellbogen seines Nebenmanns blockierte permanent die Armlehne und hinter ihm stießen die Füße einer zappelnden Göre gegen die Verschalung seiner Rückenlehne. Der Turbulenzen nicht genug, sorgte eine fahrstuhlmäßige Landung für einen zweifachen Tiefpunkt seines Unterfangens.

Als Passagier eines Taxis sauste er vom Kopenhagener Flughafen geradewegs zu einem 30-stöckigen Hochhaus der SAS-Hotelkette. Äußerlich ein architektonisches Ungetüm, bot das Gebäude einen recht formidablen Ausblick über die Innenstadt mitsamt ihrem Aufgebot von kunstvoll gestalteten Kirchtürmen.

Seinen tragbaren Computer mit dem lokalen Netzwerk vereinend, nahm Robert Verbindung zu einer zwielichtigen Figur namens Tentakel auf. Sein hiesiger Kontaktmann war ein besonders scheuer, nichtsdestotrotz zuverlässiger Zeitgenosse, den niemand je zu Gesicht bekommen hatte und der ausschließlich über Computertasten mit der Außenwelt kommunizierte.

V: Bin eingetroffen, SAS, 169.

T: Schlüssel ist unterwegs, Ware liegt im Schließfach 18, Hauptbahnhof.

V: Verstanden, hinterlasse vereinbarte Summe.

T: Schlüssel retour: Postfach 2416.

V: Wird erledigt. Gute Arbeit, T.

T: Gute Jagd, V.

Innerhalb der nächsten Stunde begann das hauseigene Telefon wie eine Katze zu schnurren, Robert meldete sich unter seinem Decknamen. „Vogtmann!“

„Herr Vogtmann … ein Fahrradkurier hat soeben einen Briefumschlag für Sie abgeliefert.“

Sinnbild seines Aktionsradius: Tentakels Greifarme waren an Effektivität kaum zu überbieten.

„In Ordnung, ich werde ihn später abholen.“

„Stets zu Diensten“, ereiferte sich der Portier. „Und haben Sie sonst noch einen Wunsch?“

„Nein“, gab er zu verstehen und unterbrach die Verbindung.

Anhand der digitalen Suchmaschine unternahm er eine grafische Standortbestimmung; seine weitere Anlaufstation war das D‘Angleterre-Hotel beim Rathausplatz. Die heiße Spur führte ihn geradewegs zu einer für den Abend anberaumten Pressekonferenz. Dank Tentakels Organisationstalent würde er sich inkognito unter die illustren Gäste mischen können, seinen untrüglichen Radar ausfahren und einen ersten Eindruck von dem potentiellen Adversarius gewinnen.

Steen Kofoed war der alleinige Herrscher auf dem blank polierten Parkett des Konferenzsaals, sein Wort hatte mehr Gewicht als jene Pomp und Pracht symbolisierenden Säulen zu beiden Seiten des Podiums. Die anwesende Menge, darunter die journalistische Kompetenz aller namhaften Zeitungen sowie auserwählte Vertreter der Ärzteschaft und der Pharmaindustrie, hatten ihre Plätze bezogen und blickten ehrfürchtig zur charismatischen Lichtgestalt empor. Ans Mikrofon tretend, tadellos gekleidet, hob Steen Kofoed fordernd eine Hand und antizipierte Ereignisse von denkwürdiger Tragweite.

„Meine Damen und Herren“, eröffnete er seinen Monolog, „noch vor wenigen Jahren galten in Forscherkreisen die Fachgebiete der Neurologie respektive Psychotherapie als separate, unvereinbare Größen. Gemäß des von mir entwickelten und seither sehr erfolgreich angewandten Multi-Event-Prinzips durfte die Wissenschaft etliche Heilungen von Gehirnerkrankungen und zerebralen Funktionsstörungen verbuchen. Durch die Patentierung des Nervenheilmittels Genophostat ist uns nachweislich ein medizinischer Quantensprung geglückt, der nicht zuletzt in Verbindung mit moderner Hypnose-Therapie wahre Mirakel bewirkt hat. Basierend auf einer intensiv vorangetriebenen Auseinandersetzung mit der neuropathologischen …“

Heiliger Strohsack steh mir bei!“, dachte Robert alias Vogtmann, und klammerte desperat beide Hände an die vordere Kante der Sitzfläche. Eingeklemmt zwischen einem Pulk andächtig lauschender Journalisten, die dem Kluggeschwätz offenkundig eine Menge abzugewinnen hatten, knirschte unter ihm der Plastikstuhl.

Mirakel hin, Mirakel her, Kofoed müsste allein schon für sein nervtötendes Gefasel unschädlich gemacht werden!

Mit jedem neuen hochgeistigen Begriff, den Kofoed weit schweifend über den Zuhörerraum erschallen ließ, wurde ihm der Typ ein gehöriges Stück unsympathischer.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren Roberts Aktionen von einer völlig reibungslosen Dynamik geprägt gewesen. Aus einem Schließfach des Hauptbahnhofs hatte er neben einer geladenen 38er (mit leichten Gebrauchsspuren) die Einladung zu der Pressekonferenz im „D‘Angleterre“ plus anschließender VIP-Lounge gefischt. Selbstbewusst war er durch die gläsernen Flügeltüren geschritten und hatte sich im gesteckt vollen Konferenzsaal unter das Journalistenvolk gemischt. Danach, unter Verwendung seiner Handy-Kamera, hatte er diskret ein paar Fotos von der Delegation der Mediziner geschossen, um daraufhin seine stattlichen 114 Kilo Körpergewicht zwischen zwei Stuhlreihen zu bugsieren.

Jetzt hockte er an seinem Ego wie amputiert im Zentrum der Schreiberlinge, und die unerträgliche Langeweile stieg gähnend aus seiner Kehle empor.

Hätte ich bloß ohne Umschweife sein Haus aufgesucht und ihm kurzerhand die 38er an die Birne gehalten!

„Was ist mit Walter Bach geschehen? Raus mit der Wahrheit!“

„Wo-wovon reden Sie überhaupt??“, hätte der Aufschneider gestammelt.

„Ich zähle bis drei!“ Dabei hätte er die Pistolenmündung tiefer in seine Schläfe gebohrt.

„Moment, ich … “

„Zwei!“

„Warten Sie!“

„Drei!“

„STOPP! Na schön, ich gebe alles zu, alles!! Ja, ich war es, jawohl, Sie haben Recht, ich habe ihn zu Tode gequatscht und anschließend seine Leiche im Garten verbuddelt!“

Hier und jetzt indes, über der ehrfürchtig schweigenden Masse seiner Vasallen, schwang einzig und allein Doktor Kofoed den Leuchtstab des Hohepriesters.

Ihm war, als schrumpfte sein Selbstwertgefühl Minute für Minute in sich zusammen, als entzöge Kofoed ihm jedes Quäntchen Lebensenergie, derweil Kofoed selbst proportional entgegengesetzt über sich hinauswuchs. Aus dem Stand referierte er über den lieben Gott (sich selbst) und die Welt (seine Forschung), er lief unter Verwendung intellektueller Worthülsen zu Hochform auf. Er pries die wundertätige Wirkung eines neuen Präparats mit der Bezeichnung Lyptozeral und stellte im Anschluss die erfolgreiche Bekämpfung bestimmter peripherer Nervenkrankheiten in Aussicht. Der Jahrmarkt der Eitelkeiten setzte sich noch geraume Zeit fort, bis der herausragende Forschergeist ein Einsehen zeigte und den Presseleuten die Formulierung fachbezogener Fragen gestattete.

Ein Abgesandter des Boulevard-Blatts BT rebellierte gegen die Etikette und wurde flankiert von zwei Wachmännern des Saales verwiesen. Er hatte die unfassbare Kühnheit besessen, sich nach Kofoeds sexuellen Präferenzen zu erkundigen.

„Hör nicht auf!“, stöhnte Maya, nahe der ultimativen Ekstase. „Weiter so, ja, ja, schneller, schneller, ja, ja, ja!“

Seit geschlagenen zwanzig Minuten arbeitete seine Zunge an der Klitoris seiner Angebeteten, die Kiefer mahlten ohne Unterlass, durch seine Wangen flossen heiße Drähte. Ihm zu Ehren hielt Maya ihre Beine weit gespreizt, ihre bleichen Waden baumelten rechts und links von seinen Schultern und rahmten sein Unterfangen, ihr den unvergesslichsten aller Höhepunkt zu bescheren, auf motivierende Weise ein.

Als Nächstes machte seine Nackenmuskulatur Anstalten, sich gegen diesen kolossalen Kraftakt aufzulehnen, die Wirbelsäule konnte der ungewohnten Belastung kaum mehr standhalten.

Mach endlich hin, Baby, komm endlich!

„Weiter! Weiter! Weiter! Oh ja, jaaa, jaaaaa!“

War es soweit, kam sie gerade oder was??

„Ich komme gleich! Ich komme gleich!!“

Dem Himmel sei Dank! Länger halte ich das nicht aus!

„O großer Gott, O GOTT, JAAAA!“

Ein heftiges Zucken durchlief ihre Glieder, durchlief ihren ganzen Körper, Konvulsionen der Inbrunst. „AAAHHHH-JAAA-AAAHHH!“ Sie wölbte den Rücken, gab sich hin, schob das Becken hoch, rieb ihr Geschlecht schmatzend über sein Gesicht.

Geschafft, es ist vollbracht! Maya ist Wachs in meinen Händen!

Endlich durfte er seine fleischliche Belohnung fordern, umständlich robbte er in Position, schob glückselig seinen Penis hinein. Feuchte Wärme empfing ihn, der unwiderstehliche Reiz der festen Umklammerung. Ein patschendes Geräusch begleitete jeden gezielten Vorstoß ins Verlangen, seine Lippen saugten bald an diesem, bald an jenem ihrer strotzenden Nippel. Sein Gehirn wirbelte im rasanten Spin um die eigene Achse und stieß wellenförmig an die obere Grenze des Erträglichen.

46 Sekunden (!), mehr Zeit, mehr Wohlwollen nahm der eigentliche Geschlechtsakt von Mayas Bereitschaftsphase nicht in Anspruch. Die körperliche Vereinigung war aus weiblicher Sicht keines Kommentars wert. Der Rausch war verflogen, ruhig atmend lagen die Beiden nebeneinander und verloren sich in der stillen Betrachtung über den Sinn respektive Unsinn des Seins.

„Soll ich uns einen Kaffee machen“, fragte er irgendwann mit belegter Zunge, die entstehende Leere durchmessend.

„Nein, danke“, gab sie zur Antwort, und schaute in plötzlicher Aufbruchstimmung aus dem Fenster. Der Regen hatte an Kraft verloren, aus dem Blätterwerk eines Baumes trieften die Vorboten des Herbstes. Sein Ejakulat rann ihre Gesäßspalte hinab und löste einen Juckreiz aus.

„Hast du Hunger?“, ereiferte sich der Mann an ihrer Seite. „Soll ich uns beim Chinesen was zu Essen bestellen?“

„Ist wirklich nicht nötig“, sagte sie kopfschüttelnd, und fügte bei der Gelegenheit hinzu: „Ich werde mich gleich auf die Socken machen, es ist schon spät.“

„Willst du heute Nacht nicht hier bleiben?“, brachte er verwundert hervor, wobei ein bittender Unterton seine Erschütterung verriet.

„Wozu?“, stellte sie die Gegenfrage, eine Spur harscher, als es eigentlich ihre Absicht war.

„Ich hatte gehofft …“

„Ich nicht!!“ Aus irgendeinem Grund war sie über alle Maßen verärgert, strafte Herman mit irrationaler Verachtung. „Tut mir leid, ich muss wirklich los!“

Entschlossen rutschte sie aus dem Bett und wühlte im Kleiderhaufen zu ihren Füßen nach Slip, Strümpfen, Jeans und T-Shirt.

Wie festgenagelt lag er im Schweiße seines Antlitzes, suchte kleinlaut nach des Rätsels Lösung.

„Hat´s dir nicht gefallen?“

„Ach was!“, wehrte sie kompromisslos ab, während sie fahrig in ihre Kleidung schlüpfte. „Darum geht es nicht … ich hatte halt Lust auf … na ja, auf Sex eben, nicht mehr und nicht weniger.“

Wie bitte! Sie hatte ihn nur benutzt? Benutzt wie ein aufziehbares Spielzeug! Du blöde Schlampe, du hattest einen immensen Orgasmus!

Da stieg die Wut brodelnd an die Oberfläche, doch die Gelegenheit, seiner Verletzlichkeit Raum zu schaffen, verstrich im selben Augenblick, als Maya ihm einen Kuss auf die Stirn drückte.

„Bleib ruhig liegen, ich finde allein den Weg!“

Nichts als Kälte hinterlassend, floh sie aus seinem Schlafzimmer.

Nie zuvor im Leben hatte er sich dermaßen herabgesetzt, noch nie dermaßen abserviert gefühlt. Seine Brust umschloss ein großes Vakuum, sein Nacken schmerzte und auf seiner Zunge lag der Geschmack liebloser Bitternis.

Laterale Gewalten

Eine wiederkehrende Vision, unbewusste Ahnungen, die fünfte Dimension, am Nachthimmel hing das kalte Auge des Mondes. Gefriergetrocknet starrte es über die Wahrscheinlichkeitsräume bis zum Anbeginn der Welt.

Ausgestreckt auf einem Ledersofa ruhte seine Traumgestalt, Wolken aus Staubpartikel tanzten als Sternenhaufen im abgedunkelten Raum. Der „Andere“, ein gesichtsloser Mann, strahlte eine unermessliche Ruhe aus, die insistierende Stimme zog seine Wesenheit in ihre Umlaufbahn. Worte wie Widerhaken übten eine unwiderstehliche Schwerkraft aus, schufen eine Singularität im Spiegelbild seiner Wahrnehmung. Ein schwarzes Loch, auf das sein Ich mit fremdbestimmter Hingabe reagierte, die Essenz seines Seins in sich aufsaugend, bis die Umgebung durchlässig wurde und der Gedankenstrom versiegte.

Im Hinterzimmer einer Kneipe namens Kobberkedlen saßen drei mißtrauenswürdige Existenzen und prosteten sich unter Berücksichtigung millionenfach absterbender Gehirnzellen fröhlich zu. Seit Gonzos Geburtstagsfeier waren die Drei nicht annähernd derart besoffen gewesen, den Alkohol gurgelten sie in sich hinein wie ein Abflussrohr den schaumigen Inhalt einer Badewanne. Momentan hatte Torben die Nase ins Bierglas versenkt, derweil Jesper die Luft mit dem Aroma eines schmorenden Joints schwängerte und Preben eine Rülpskanonade Richtung Musikbox abfeuerte.

„HEY, LISSI, WAS SPIELST DU HIER FÜR EINE TOTALE SCHEISSE!?“, rief er pöbelnd. „WIESO MÜSSEN WIR UNS DEN GANZEN ABEND DIESEN BLÖDEN MIST REINZIEHEN!? HABT IHR NOCH NIE WAS VON LADY GAGA GEHÖRT, EY?“

Die geplagte Wirtin hätte das Triumvirat liebend gern beim Schlafittchen gepackt und in hohem Bogen auf die Straße befördert. Angesichts der Übermacht trocknete sie ihre Hände am Spültuch; missmutig ging sie hinüber zur Jukebox und zog das Kabel aus der Steckdose.

„Für heute ich Schluss, Jungs!“, rief sie in streng mütterlichem Tonfall.

Schallendes Grölen!

„HAST DU ´NE MACKE, ALTE ZICKE!“

Preben lenkte einen getrübten Blick auf seine Armbanduhr. „WAS SOLL DER MIST, ES IST DOCH ERST HALB ZWEI!“

„Wir schließen um eins.“

„HEUTE ABER NICHT“, protestierte Jesper. „WIR HABEN NOCH VIEL, VIEL MEHR DURST!“

„HEUTE BLAU UND MORGEN BLAU UND ÜBERMORGEN ÜÜÜÜÜÜBERBLAU!“

„UND ICH HABE EINEN STEIFEN!“, rief Torben dazwischen.

Die anderen honorierten seine Wortgewandtheit mit tosendem Gelächter.

Jesper hatte flugs die Lösung parat: „EY, WAS KANNST´E DAGEGEN MACHEN, LISSI? NA KLAR: UNS DREIEN EINEN RUNTERHIOLEN!“

„Spinnt ihr?“, empörte sich die Kellnerin. „Also, ich bekomme noch sieben … äh, sieben“, stotterte sie verunsichert, „sagen wir 640 Kronen. Die letzte Runde geht auf mich.“

„WENN DU UNS EINEN ABWICHST, KRIEGST DU … SAGEN WIR ACHTHUNDERT!“

„Jetzt reicht´s aber! Gebt mir das Geld, und dann verschwindet endlich!“

Preben schäumte über vor Tatendrang: „HA, UND WENN NICHT?“

„Dann rufe ich die Polizei!“

„DU KANNST UNS MAL! VON DIR WILL SOWIESO KEINER WAS, HÄSSLICHE BOHNENSTANGE!“

Lissi atmete sichtlich auf, als die Unruhestifter achtlos mehrere Geldscheine über den Tisch verstreuten; polternd schwankten sie an der Theke entlang, die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss, und weg waren sie.

Gewohnheitsmäßig krempelte sie die Ärmel hoch und machte sich daran, Bierlachen aufzuwischen und verstreute Kippen und Glasscherben vom Boden zu entfernen. Der Pragmatismus erstickte Sentimentalitäten im Keim, sie hatte sich mit ihrem Geschick weitestgehend arrangiert, dennoch.

Dennoch: hätte sie die Zeit um zwei Jahrzehnte zurückdrehen können, hin zu jenem Rockkonzert der Echo and the Bunnymen, sie wäre dem Gitarristen wie hieß er noch? James? Keven? Mike? – jedenfalls, sie wäre ihm bereitwillig nach Liverpool gefolgt. Oder war es doch Birmingham gewesen??

Beim Pissen ereilte Jesper eine phänomenale Erleuchtung, er verlor den biergelben Strahl aus den Augen und lallte über seine Schulter hinweg: „Die alte Fotze hat ´ne Abreibung verdient! Der werden wir die Bude abfackeln!“

„GANZ GENAU!“, bestätigte Preben. „DER KOBBERKEDLE SOLL BRENNEN!“

Schwankend wie im Sturm, scheuchten sie die Verschwiegenheit aus einem dunklen Hinterhof, suchten im Fahrradschuppen und in Müllcontainern nach brennbaren Materialien.

Jespers Gehirn lief bereits auf Hochtouren: „Wisst ihr was? Wir zünden einfach die ganze Kiste an und stellen ihr das Ding unters Fenster!“

Voll hochprozentigem Eifer schoben sie einen Container gegen die Hauswand, sie entzündeten Papier und Verpackungsmüll und schmissen, sobald der ganze Schlamassel lichterloh brannte, zwei Fensterscheiben ein.

Sie zogen weiter über die Bernstorffs Gade, dabei änderten sie wiederholt ihren Kurs und landeten zunächst auf der Promenade des Kanalufers.

„WIR GEHEN AUF PENNERJAGD!“, grölte Torben munter. „WO SEID IHR HIN, IHR ELENDEN STINKER!?“

Stolz zückte Preben sein Crocodile-Dundy-Buschmesser. „KOMMT HER, IHR PENNER! DER TAG DER ABRECHNUNG IST DA!“

Der Mond war verschwunden, eine graue Röhrenform faltete sich um seine Traumgestalt, eine rollende Bewegung trieb ihn über die Schwelle des Styx. Kopflastig tauchte er ein ins dunkle Element und sank auf den metaphysischen Grund des Seins.

Da erreichten ihn, teils noch eingebettet ins mysteriöse Schweigen, von irgendwoher verhängnisvolle Laute. Der Bewusstseinspegel stieg an und der Luftdruck erfuhr eine leichte Änderung.

Kommt her, ihr Penner! Der Tag der Abrechnung ist da!

Er schlug die Lider auf und blinzelte die Benommenheit aus seiner Stirn. Das Böse modifizierte sein Gewahrsein, der Wind blies zum Geleit.

„ÄH? WAS HABEN WIR DENN DA!“, rief Torben begeistert. „BIN ICH TOTAL BESOFFEN, ODER WAS?! ICH WERD NICHT MEHR, IN DER RÖHRE STECKT EIN ZIEGENBOCK!“

Die Dunkelmänner rückten näher; alarmiert durch den Lärm, fuhr René aus dem Schlaf und seine Glieder durchstießen ein Bett aus Zeitungspapier. Prinz Henrik hob die Hörner.

Crocodile Preben riss das Geschehen an sich, indem er wagemutig die Röhre betrat. „DAS HABEN WIR GLEICH!“, tönte er, setzte dem Tier das Messer an die Kehle und durchtrennte die Halsschlagader mit einem einzigen seitwärts gerichteten Streich.

„NEIIIIN!“, schrie René erschüttert. „WAS MACHT IHR DENN DA!!? IHR SCHWEINE! IHR …! HENRIK!“ Der Ausruf dröhnte durch die Röhre.

Er strauchelte auf das klägliche Bild zu, jeder Schritt erweiterte den Radius des Schreckens. Dunkelrote Kaskaden sprudelten aus der klaffenden Wunde, dem aufgerissenen Maul entwich ein Gurgeln. Das Tier verließen die Kräfte, seine Läufe knickten ein und sein Kopf landete patschend in der Blutlache.

„VERPISS DICH, DU ALTER SACK!“

Mit geballter Wucht rammte Preben eine Faust in Renés Magen. Stöhnend sackte der Alte auf die Knie und begann unter panischen Kontraktionen nach Luft zu schnappen.

„LASS MICH AUCH MAL!“, ertönte ein Ruf.

Torben stürmte herbei und schmetterte eine leere Weinflasche an Renés Schläfe. Glassplitter bohrten sich in dessen Kopfhaut; Gliedmaßen verloren ihre Spannung.

„Der ist hinüber!“, kommentierte Preben, als Renés Oberkörper leblos zur Seite sackte. Zwei Blutbäche vermischten sich am Boden der Röhre und bildeten einen Widerschein der Sinnlosigkeit.

„KOMMT SCHON, LASST UNS ABHAUEN!“, rief Jesper von draußen.

Torben wandte sich an Preben: „Moment mal, was machen wir mit dem da?“

Berechnende Augen tasteten über Toms Leib, der dort lag, paralysiert und unfähig, dem Bann entgegenzuwirken.

„Keine Ahnung. Soll der Teufel ihn holen!“

Torben klang skeptisch, fast ernüchtert: „Ey? Du meinst, wir sollen ihn einfach hier liegen lassen?“

„Meinetwegen, der hat sowieso nichts zu vermelden!“

Er tat einen Schritt auf den Liegenden zu. „HE, PENNBRUDER, HAST DU IRGENDWAS MITGEKRIEGT?!“

„Nein“, krächzte er ohne Aufbegehren, und verabschiedete sich von einem letzten Gran Selbstachtung.

„Sag ich doch, Jungs, alles bestens!“

Schritte verloren sich in der Ferne, niemand blieb zurück.