Christoph Drösser

Der Physikverführer

Versuchsanordnungen für alle Lebenslagen

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Vorwort

1 Zu früh gefreut

2 Die letzte Abfahrt

3 Die Kraft der zwei Pferde

4 Die 20-Meter-Frau

5 Wurstphysik

6 Auf dem Patentamt

7 Die Mauer

8 Der verjüngte Zwilling

9 Die Party

10 Am Äquator

11 Im Kinderzimmer

12 Alles Zufall?

13 Der betrunkene Weinbauer

14 Der Quanten-Kult

Die Top Zwölf

Lösungen

Quellen

Index

For Andrea, my strange attractor

Vorwort

Physik ist wie Sex. Manchmal kommt etwas Nützliches

dabei heraus. Aber deshalb betreiben wir sie nicht.

Richard Feynman

 

Als ich nach dem Erfolg des Mathematikverführers gefragt wurde, welcher Disziplin ich mich denn als Nächstes widmen würde, musste ich nicht lange nachdenken – es war klar, dass es um Physik gehen würde. Mathematik habe ich studiert, und sie ist für mich immer noch die Königin der Wissenschaften (und ich würde auf sie das Eingangszitat von Feynman anwenden), aber die Physik fasziniert mich nicht weniger. Schafft die Mathematik aus quasi nichts als einem durch die Evolution geformten Säugetierhirn die komplexesten Gedankenwelten, so gehen die Physiker noch einen Schritt weiter und sagen: Wir können mit mathematischen Gleichungen und Modellen die Welt beschreiben, vielleicht sogar komplett. Denn die anderen Naturwissenschaften sind ja nichts als Fortschreibungen der Physik: Die Chemie beschäftigt sich mit den Reaktionen zwischen Molekülen, die von der Physik beschrieben werden, die Biologie ist die Wissenschaft vom Leben, das sich durch chemische Reaktionen beschreiben lässt, die wiederum auf die Physik zurückgehen. Damit will ich keinesfalls einem totalen Reduktionismus das Wort reden – ab einer gewissen Stufe der Komplexität hilft die Physik nicht mehr weiter, der Laplace’sche Dämon ist ja ein Fabelwesen (siehe Seite 191). Aber die Physik liegt eben tatsächlich jedem Phänomen in dieser Welt zugrunde, selbst der Entstehung des gesamten Universums.

Aber keine Sorge, um die physikalischen Modelle, mit denen die Urknall- oder Stringtheoretiker rechnen, geht es in diesem Buch nicht. Wie schon der Mathematikverführer, so befasst sich auch der Physikverführer vorwiegend mit jenen Grundlagen der Wissenschaft, die für Laien nachvollziehbar sind. Von den Kapiteln 8 und 14 abgesehen, in denen es um Relativitäts- und Quantentheorie geht, heißt das: Wir beschäftigen uns mit einer Welt, in der praktisch alle Phänomene auf die Kollision kleiner oder großer Massen zurückzuführen sind. Größen wie Kraft, Beschleunigung und Energie reichen aus, um diese Welt zu beschreiben, sei es im Makroskopischen – etwa wenn Autos zusammenstoßen – oder im Mikroskopischen: Temperatur ist die mittlere Bewegungsenergie von Teilchen, die wir uns wie kleine Gummibälle vorstellen, und Druck ist, wenn diese Gummibälle gegen die Wand eines Behälters knallen. Das Buch zeigt, wie weit ein solch naives physikalisches Modell reicht: Immerhin erklärt es, warum Flugzeuge fliegen und warum es unmöglich ist, ein Perpetuum mobile zu bauen. Das ließe sich noch ausdehnen auf elektrische und magnetische Phänomene, die ich in diesem Buch nur am Rande streife.

Aber Moleküle sind keine Gummibälle, sie bestehen aus Atomen, diese wiederum setzen sich aus kleineren Elementarteilchen zusammen. Und wenn Sie immer noch glauben, dass ein Atomkern ein brombeerartiger kleiner Knubbel aus Neutronen und Protonen ist, um den in einiger Entfernung Elektronen kreisen wie Mücken um eine Glühbirne – dann lassen Sie es sich gesagt sein: Auch das sind nur Hilfsvorstellungen, die unsere Phantasie anregen sollen. In der «wirklichen» Physik zerrinnen all diese Kügelchen irgendwann zu Wellenfunktionen, die durch den leeren Raum wabern und nur noch Wahrscheinlichkeiten beschreiben. Konkret vorstellen können sich das auch Physiker nicht mehr, und es gibt einen fast religiösen Streit darüber, wie man die – experimentell gut bestätigten – Resultate der Theorie interpretieren soll (siehe Kapitel 14).

Wie schon der mathematische Vorgänger, so enthält auch der Physikverführer Formeln. Ich glaube immer noch, dass eine gute mathematische und physikalische Formel einen Zusammenhang besser auf den Punkt bringt als ein blumiger Satz. Andererseits weiß ich, dass man Formeln nicht lesen kann wie einen unterhaltsamen Text, dass man Muße dazu braucht und manchmal sogar Papier und Bleistift zum Nachrechnen. Deshalb habe ich die Abschnitte, in denen gerechnet wird, noch deutlicher kenntlich gemacht. Sie können Sie überschlagen oder für später aufheben und trotzdem den Gedankengang des Kapitels verstehen. Absolut verzichtbar sind sie nicht – sonst hätte ich ja drauf verzichtet!

Der Physikverführer ist kein Lehrbuch und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Er soll dem Leser einige physikalische Begriffe anhand von amüsanten Geschichten vermitteln oder wieder ins Gedächtnis zurückrufen, und wenn Sie einen Bereich vermissen, dann liegt es wahrscheinlich daran, dass mir dazu keine amüsante Geschichte eingefallen ist oder das Buch schon voll war. Ich muss ja kein Curriculum abarbeiten, sondern freue mich, wenn ich bei dem einen oder anderen genug Spaß und Neugier auslöse, dass er die Lücken auf eigene Faust stopfen kann.

Danken möchte ich an dieser Stelle meiner Agentin Heike Wilhelmi und meinem Lektor Frank Strickstrock bei Rowohlt; Bernd Schuh und Max Rauner für das Gegenlesen des Manuskripts und einige wichtige physikalische Hinweise; Rüdiger Dammann von Booklett, der die Idee zum Mathematikverführer hatte, ohne den es keinen Physikverführer gäbe. Und meinem Sohn Lukas Engelhardt für die Überarbeitung der Grafiken in diesem Buch.

 

Hamburg, im Oktober 2010

Christoph Drösser

1 Zu früh gefreut

oder

Von wegen «heureka!»

 

Archimedes geht unruhig auf und ab. Eigentlich wollte er sich an diesem Nachmittag bei einem warmen Bad ausruhen, ist daher schon früher als sonst ins Badehaus eingekehrt. Die anderen Männer, die ebenfalls hergekommen sind, um der Hektik der Straßen von Syrakus und vielleicht auch dem häuslichen Regiment ihrer Ehefrauen zu entkommen, werfen ihm schon verstohlene Blicke zu. Wie soll man entspannen, wenn dieser Mann dort offenbar den Rat Homers missachtet, das Bad als «Mittel gegen geistesentkräftende Arbeit» zu nutzen? Mit einer Hand hält er das Tuch fest, das seine Blöße bedeckt, und geht schwitzend und schnaufend hin und her. Kein sehr schöner Anblick. Aber niemand wagt es, das laut zu sagen – schließlich ist dieser Archimedes nicht nur ein von allen bewunderter Denker, sondern auch ein guter Freund von König Hieron II.

Und der Gedanke an diesen König ist es, der Archimedes nicht zur Ruhe kommen lässt. Nein, es geht nicht um die phantastischen Kriegsmaschinen, die der Erfinder für Hieron bauen soll, zur Abwehr von Römern und Karthagern – die Konstruktionszeichnungen für die Katapulte und Spiegel sind weitgehend fertig. Sie müssen nur noch von Handwerkern in die Wirklichkeit umgesetzt werden, und Archimedes hat keinen Zweifel, dass seine revolutionären Erfindungen funktionieren werden. Nein, es geht um ein scheinbar simples Problem, vor das ihn der König am Morgen gestellt hat.

Hieron II., auch «der Jüngere» genannt, ist ein hochdekorierter Krieger und wittert hinter jedem Strauch einen Feind. Archimedes ist einer der wenigen, denen der König über den Weg traut – der Goldschmied Philippos, der seinen kleinen Laden in einer schäbigen Gasse der Altstadt hat, gehört gewiss nicht zu diesem Kreis. Diesem Philippos hatte Hieron zwei Minen (nach heutigen Einheiten etwa ein Kilogramm) reines Gold überlassen, mit dem Auftrag, daraus einen Kranz zu fertigen. Den will Hieron am berühmten Heiligtum des Apollon niederlegen, natürlich mit großem Brimborium, schließlich soll jeder Bürger von Syrakus sehen, was für ein gottesfürchtiger Mann der König ist.

Philippos hat einen wunderschönen Kranz gefertigt, einen recht bescheidenen Lohn für seine Arbeit kassiert, und der Kranz wiegt auch genau zwei Minen. So weit, so gut, alle könnten zufrieden sein – aber Hieron ist immer noch misstrauisch. Was, so hat der König heute Morgen zu Archimedes gesagt, wenn der Goldschmied heimlich einen Teil des Goldes abgezweigt und den Rest mit Silber gestreckt hätte? Schon eine zehntel Mine, also zehn Drachmen, würde den armen Schlucker zu einem reichen Mann machen. Und äußerlich könnte man dem Gold eine solche Beimischung nicht ansehen. «Ich traue diesem Philippos nicht», hat Hieron zu Archimedes gesagt. «Hier, nimm den Kranz mit in deine Werkstatt, untersuche ihn, so viel du willst – aber bitte lass ihn ganz, er ist wirklich prächtig geworden! Und sag mir morgen, ob er echt ist oder ob Philippos geschummelt hat!» Und als Beweis seines Vertrauens zu dem Gelehrten hat er ihm noch einen Goldbarren mitgegeben, der genauso viel wiegt wie der Kranz.

Dürfte Archimedes den Goldschmuck einschmelzen, dann wäre die Sache natürlich kein Problem. Jeder weiß, dass Gold schwerer ist als Silber, dass also ein Barren Silber bei gleichem Gewicht größer ist als ein Goldbarren beziehungsweise bei gleicher Größe leichter. Der Unterschied ist beträchtlich: Gold wiegt bei gleichem Volumen fast doppelt so viel wie Silber. Also müsste Archimedes nur den Kranz einschmelzen, zu einem Barren formen und das Volumen mit dem des Barrens vergleichen, den Hieron ihm mitgegeben hat. Archimedes hat schon schwierigere mathematische Probleme gelöst.

Aber er darf ja den schönen Kranz nicht zerstören, und dessen feinziselierte Form mit den angedeuteten Lorbeerblättern ist viel zu kompliziert, um dafür eine mathematische Formel zu entwickeln. Wie also kann man das Volumen des Kranzes mit dem des Goldbarrens vergleichen?

Ein Schmerzensschrei unterbricht Archimedes’ Gedankengang. «Beim Zeus, Archimedes, nun pass doch mal auf!» Der greise Dichter Theokrit hält sich den Fuß – offenbar ist ihm der grübelnde Gelehrte auf den kleinen Zeh getreten. «Seit zehn Minuten läufst du hier hektisch auf und ab», sagt Theokrit vorwurfsvoll, «du störst unsere Ruhe, und jetzt hast du mir auch noch auf den Fuß getreten. Wer ins Bad geht, der sollte seine Sorgen und Probleme draußen lassen! Deshalb sind wir hier nur unter Männern, und deshalb folgen wir den alten Regeln, die wir seit Hippokrates’ Zeiten beherzigen. Und dazu gehört: Im Bad herrscht Ruhe!»

Archimedes senkt schuldbewusst den Blick. Vor dem alten Dichter hat auch er Respekt. Und außerdem hat der durchaus recht mit seinem Verweis auf die alten Bräuche. Obwohl – die Sache mit der Geschlechtertrennung könnte man ja nochmal überdenken 

«Und wie siehst du überhaupt aus!», zetert der Alte weiter, der jetzt richtig in Rage zu kommen scheint. «Total verschwitzt, das Tuch klebt dir am Leib! Vielleicht solltest du mal das tun, wofür du hergekommen bist! Dort drüben hat ein Sklave gerade ein heißes Bad eingelassen – keiner hier wird es dir streitig machen!»

«Du hast recht, Theokritos», sagt Archimedes kleinlaut. «Und sicher wird das Bad nicht nur meinen Körper, sondern auch meine Gedanken reinigen.»

«Wollen wir hoffen», knurrt Theokrit, für den das Gespräch damit beendet ist.

Das Wasser dampft heiß in dem Marmorbecken, das bis eine Handbreit unter dem Rand gefüllt ist. Archimedes drückt einem Sklaven sein Tuch in die Hand und schwingt sich ins Becken, tunlichst darauf bedacht, dabei möglichst wenig Lärm zu machen. Dann lehnt er sich mit einem wohligen Seufzer zurück, schließt die Augen und taucht den ganzen Körper unter die Wasseroberfläche. Platsch! Alle Köpfe drehen sich um, als das Wasser über den Rand des Zubers und auf den Boden schwappt. Offenbar hat sich Archimedes verschätzt, und die Handbreit Luft über der Wasseroberfläche hat nicht gereicht, um die Körperfülle des Gelehrten aufzunehmen. Während er noch darüber nachsinnt, ob er in den letzten Monaten vielleicht ein paar Pfunde zugelegt hat, kommt Archimedes ein anderer Gedanke: Offenbar verdrängt sein Körper Wasser! So viel Wasser, wie sein eigenes Volumen beträgt. Wäre das Becken bis zum Rand gefüllt gewesen, dann wäre genau so viel Wasser über den Rand geschwappt, wie es dem Rauminhalt von Archimedes’ Körper entspricht 

«Heureka! Ich hab’s gefunden!», ruft Archimedes aus. Er steht im Becken auf, schwingt sich tropfnass, wie er ist, über den Rand und läuft splitternackt über den gefliesten Boden. «Heureka! Dass ich da nicht schon früher draufgekommen bin!» Erst als er den strafenden Blick des Theokrit bemerkt, greift Archimedes nach seinem Tuch und windet es notdürftig um seine Hüften. Sonst wäre er vielleicht noch splitternackt auf die Straße gelaufen. «Danke, Theokrit! Durch deinen Rat habe ich die Lösung des Problems gefunden! Danke! Und euch allen noch einen geruhsamen Nachmittag!» Und schon ist Archimedes aus der Tür. Die Männer im Bad schütteln nur den Kopf, dann ist erst einmal Ruhe.

Zurück in seiner Werkstatt, macht sich Archimedes gleich an die Arbeit, um seinen Geistesblitz in die Tat umzusetzen. Man kann, das hat ihn das Erlebnis in der Badeanstalt gelehrt, das Volumen eines Körpers messen, indem man ihn in ein Gefäß eintaucht, das randvoll mit Wasser gefüllt ist, und die überlaufende Menge auffängt und abmisst. Der Kranz und der Goldbarren wiegen beide gleich viel. Wenn sie beide aus reinem Gold sind, müssten sie auch gleich viel Wasser verdrängen. Ist das Gold im Kranz verunreinigt, müsste mehr Wasser überlaufen.

Archimedes stöbert im Regal mit seinen Gerätschaften und findet einen runden Tontopf, in dem sich der Kranz ganz versenken lässt, der Barren sowieso. Den Topf stellt er in eine flache Schüssel; sie soll das überlaufende Wasser aufnehmen. Nun füllt er den Topf bis zum Rand mit Wasser.

Als Erstes lässt er vorsichtig die goldene Krone hineinsinken. Der Wasserspiegel wölbt sich dabei wie eine Haut über der Öffnung des Topfes, und schließlich läuft das Wasser in einem kleinen Rinnsal auf einer Seite über, wie bei einem Blumentopf, in den man zu viel Wasser gegossen hat. Archimedes wartet, bis das Wasser zur Ruhe gekommen ist, und schüttet dann den Inhalt der flachen Schüssel in ein Weinglas. Erstaunlich, wie wenig Wasser das ist!

Dann fischt er den goldenen Kranz aus dem großen Gefäß und füllt das Wasser wieder bis zum Rand nach. Nun lässt er den Goldbarren hinein. Er erwartet, dass sich die Oberfläche wieder wölbt, aber diesmal schwappt das Wasser gleich über – durch die Welle, die der dicke Barren erzeugt hat, und weil der Rand ja schon nass war.

Das übergelaufene Wasser schüttet Archimedes in ein zweites Weinglas. Nun kann er die beiden Gläser nebeneinanderhalten und ihren Inhalt vergleichen. Tatsächlich, das erste Glas ist ein bisschen voller. Aber sind die beiden Versuche wirklich unter identischen Bedingungen gemacht worden?

Vor allem staunt Archimedes, wie wenig von dem Wasser überhaupt übergelaufen ist – ein verschwindender Anteil gegenüber dem Gesamtvolumen. Völlig überzeugt ist er von seinem Versuch selbst nicht. Er hat einfach zu viele Fehlerquellen, als dass man mit Gewissheit ein Urteil abgeben könnte. Und von diesem Urteil könnte immerhin das Leben des Goldschmieds Philippos abhängen.

«Von wegen heureka!», knurrt Archimedes. «Da hab ich mich wohl etwas zu früh gefreut. Aber es muss doch einen eleganteren Weg geben, den Unterschied zwischen echtem und falschem Gold zu bestimmen …»

Der Auftrieb bringt es an den Tag

Die oben erzählte Geschichte beruht auf dem Bericht, den uns der römische Schriftsteller Vitruv im ersten Jahrhundert hinterlassen hat. Als Architekt kannte er sich zwar mit der Wissenschaft seiner Zeit aus, aber die Beschreibung der «Heureka!»-Geschichte ist doch ein bisschen mager. Insbesondere erklärt die Handlung eben nicht die Entdeckung des sogenannten «Archimedischen Prinzips».

Was Archimedes in Vitruvs Geschichte angeblich so in Begeisterung versetzt, ist die recht simple Erkenntnis, dass Körper mit mehr Volumen mehr Wasser verdrängen, wenn man sie untertaucht. Wenn man weiß, dass Silber eine geringere Dichte als Gold hat und daher ein Körper aus Silber mehr Raum einnimmt als ein gleich schwerer Körper aus Gold, dann ist das fast schon banal. Das Archimedische Prinzip dagegen ist eine Aussage über die Auftriebskraft, die jeder Körper unter Wasser beziehungsweise in einem beliebigen Medium erfährt:

 

Ein Körper erfährt in einem Medium eine Auftriebskraft, die dem Gewicht des von dem Körper verdrängten Mediums entspricht.

 

Wie diese Auftriebskraft zustande kommt, erkläre ich ausführlicher in Kapitel 6. Aus diesem Satz folgt zum Beispiel: Ein Schiff sinkt genau so tief ins Wasser ein, bis es so viel Wasser verdrängt hat, wie es selbst wiegt. Es bedeutet aber auch, dass ein Klumpen Silber im Wasser mehr Auftrieb bekommt als ein gleich schwerer Klumpen Gold – eben weil er mehr Wasser verdrängt. Genau genommen gilt das bereits in der Luft, nur wiegt die verdrängte Luft so wenig, dass man das in allen Rechnungen und Wägungen vernachlässigen kann.

Und diese Erkenntnis ist nicht banal. Sie widersprach damals ganz gewiss der Intuition, und sie bedeutete einen wissenschaftlichen Durchbruch, ohne den viele Erfindungen, bis hin zum modernen Flugzeug, nicht denkbar gewesen wären.

Aber schauen wir erst einmal, wie weit Archimedes mit seinem ersten Lösungsansatz gekommen wäre: Die goldenen Ehrenkränze, die im antiken Griechenland für die Götter geflochten wurden, hatten maximal einen Durchmesser von 20 Zentimetern. Wir gehen jetzt zu modernen Maßeinheiten über und nehmen an, dass der von König Hieron bestellte Kranz diese Größe hatte und eine Masse von 1000 Gramm. Um das Volumen zu berechnen, brauchen wir die Dichte der beiden Materialien. Gold hat eine Dichte von 19,3 g/​cm3, die Dichte von Silber ist 10,5 g/​cm3.

Das Volumen einer reinen Goldkrone ist leicht zu berechnen: Man teilt 1000 Gramm durch die Dichte und erhält 51,8 Kubikzentimeter.

Nehmen wir an, in der gefälschten Krone hätte der betrügerische Goldschmied 100 g des Goldes durch Silber ersetzt. Diese 100 g Silber haben ein Volumen von 100/​10,5 = 9,5 cm3. Das Gold, das dadurch ersetzt wurde, hatte ein Volumen von 5,2 cm3 – es bleibt ein Überschuss von 4,3 cm3, das ist der zusätzliche Rauminhalt der falschen Krone!

Um den goldenen Kranz komplett ins Wasser eintauchen zu lassen, muss das runde Gefäß einen größeren Durchmesser haben, bequem passt der Kranz in einen Topf mit 25 Zentimeter Durchmesser. Der sei nun bis zum Rand mit Wasser gefüllt – um wie viel steigt der Wasserspiegel an?

Die Goldkrone hat ein Volumen V von 51,8 cm3, die nun auf die Wasseroberfläche A verteilt werden. Zunächst berechnen wir die Oberfläche mit Hilfe der Kreisformel aus dem Radius von 12,5 cm: 

 

 

(Ich werde im ganzen Buch die Zahlen, die bei Rechnungen herauskommen, kräftig auf- und abrunden und trotzdem das Gleichheitszeichen verwenden – hier geht es nicht um mathematisch exakte Werte, sondern meistens um ungefähre Angaben!)

Auf diese Fläche werden nun die 51,8 cm3 Wasser verteilt, die die Krone verdrängt – das macht einen Anstieg von ziemlich genau einem Millimeter aus.

Es ergibt sich also ein winziger rechnerischer Anstieg der Oberfläche. Aber in der Praxis ist es noch schwieriger: Wie in der Geschichte beschrieben wurde, hat Wasser eine Oberflächenspannung, die dafür sorgt, dass sich eine «Haut» über dem Gefäß wölben kann. Unter Umständen kann es passieren, dass überhaupt kein Wasser überläuft, wenn man die Krone hineinlegt!

Aber selbst wenn – der Unterschied zwischen echter und falscher Krone ist ja noch viel geringer. Die mit Silber legierte Krone hatte ein zusätzliches Volumen von 4,3 cm3, und wenn man die auf die Fläche verteilt, dann stellt man fest: Der Wasserspiegel ist nur 0,09 Millimeter höher als bei der echten Krone – ein zehntel Millimeter! Und kein mathematisch gebildeter Richter dürfte das angesichts der Messungenauigkeiten dieser Methode als Beweis für den Betrug akzeptieren.

Nein, um den Golddiebstahl zu beweisen, muss schon ein feineres Messverfahren her. Und Archimedes hat mit seinem Archimedischen Prinzip eines an der Hand. Er muss nämlich nur den Auftrieb ausnutzen, den die verschiedenen Materialien unter Wasser erfahren.

Dazu balanciert er zunächst einmal mit einer einfachen, damals üblichen Balkenwaage die Krone mit dem Goldbarren aus, den ihm Hieron zusätzlich mitgegeben hat. Beide haben eine Masse von 1000 g, und den Auftrieb in der Luft können wir vernachlässigen. Die Waage müsste also ausgeglichen sein.

Nun wird die Waage so in ein Becken mit Wasser eingetaucht, dass Krone und Goldbarren komplett unter Wasser sind. Wenn beide Teile aus purem Gold sind, sollten sie auch dasselbe Volumen haben und deshalb denselben Auftrieb erfahren. Die Waage bleibt also im Lot.

Was aber passiert, wenn der Kranz gefälscht ist? Dann hat er ein größeres Volumen, verdrängt mehr Wasser, erfährt laut Archimedischem Prinzip mehr Auftrieb, und die Waage neigt sich zu der Seite mit dem Goldbarren.

Funktioniert das auch praktisch? Um das auszurechnen, müssen wir von der Masse der Gegenstände aufs Gewicht umsteigen. Das ist eine der ersten Sachen, die man im Physikunterricht lernt und trotzdem im täglichen Leben gern wieder vergisst. Man sagt, jemand wiegt 80 Kilogramm, aber Kilogramm ist eine Einheit für die Masse. Diese Masse behält man auch, wenn man zum Beispiel auf dem Mond ist, aber die Waage zeigt dort nur ein Sechstel an. Sie misst nämlich eigentlich nicht die Masse, sondern die Kraft, die diese Masse auf eine Waage ausübt. Und die ist von örtlichen Gegebenheiten abhängig. Stellen Sie sich mal unter Wasser auf eine Waage – die zeigt da gar nichts an, weil der Auftrieb ziemlich genau dem Körpergewicht in der Luft entspricht.

Als ich in die Schule ging, war als Gewichtseinheit noch das Kilopond üblich – eine bequeme Sache, weil zumindest Körper mit hoher Dichte in der Luft pro Kilogramm Masse ziemlich genau ein Kilopond Gewicht auf die Waage brachten. Heute werden in der Physik alle Kräfte in Newton (N) angegeben, und vorerst reicht es hier aus, zu wissen, dass ein Kilogramm Gold, Silber oder Wasser auf der Erde etwa 9,8 Newton wiegt.

Jetzt können wir rechnen:

Der Goldbarren und die falsche Krone wiegen jeweils 9,8 Newton. Unter Wasser bekommen sie aber jeweils unterschiedliche Auftriebskräfte: Der Goldbarren verdrängt 51,8 cm3 Wasser. Das hat eine Masse von 51,8 g (die physikalischen Einheiten orientieren sich häufig am Wasser!) und wiegt 0,5 N. Das heißt, die Gewichtskraft des untergetauchten Barrens ist nur noch 9,3 N.

Die falsche Krone nun hat ein um 4,3 cm3 größeres Volumen, also 56,1 cm3, das verdrängte Wasser wiegt 0,55 N. Entsprechend wiegt die eingetauchte Krone nur noch 9,25 N. Die Waage neigt sich zu der Seite mit dem Barren!

Ist dieser Unterschied nun tatsächlich messbar, insbesondere mit den Waagen aus Archimedes’ Zeit? Der Unterschied beträgt 0,05 Newton, das entspricht einer Masse von etwa fünf Gramm – und einen solchen Unterschied kann eine guttarierte Balkenwaage durchaus messen!

 

Diesen augenscheinlichen Beweis hätte auch ein Richter im antiken Syrakus akzeptiert.

Die elegante Methode hätte sogar funktioniert, wenn König Hieron knauseriger gewesen wäre und Archimedes nur einen 100-Gramm-Goldbarren als Referenz mitgegeben hätte. Mit dem überlaufenden Topf hätte der Gelehrte dann gar nichts mehr ermitteln können. Man kann aber ungleiche Gewichte durchaus miteinander ins Gleichgewicht bringen, wenn man eine Waage benutzt, deren Angelpunkt verstellbar ist. Es gilt dann nämlich – für eine ausgeglichene Waage – das Hebelgesetz: Kraft am rechten Hebelarm mal Länge des rechten Hebelarms ist gleich der Kraft am linken Hebelarm mal der Länge des linken Hebelarms. Oder in Formeln:

 

 

Dabei bezeichnen F1 und F2 die beiden Gewichtskräfte und l1 und l2 die Längen der beiden Arme der Waage.

Wenn der Arm l1 die zehnfache Länge von l2 hat, dann bleibt die Waage im Lot – und taucht man sie ins Wasser ein, dann wird sich auch hier zeigen, ob die Krone echt ist oder nicht. Heureka!

Jetzt sind Sie dran: Es heißt immer, dass ein Siebtel eines Eisbergs aus dem Wasser schaut. Eis hat eine geringere Dichte als (Meer-)Wasser, deshalb schwimmt es auf dem Wasser und verdrängt genauso viel Wasser, wie seinem Gewicht entspricht. Aber ist das tatsächlich ein Siebtel, wenn man für die Dichte des Meerwassers 1,02 g/​cm3 ansetzt und für die Dichte von Eis 0,9 g/​cm3?