Cover

Udo Baer
Gabriele Frick-Baer

Kriegserbe in der Seele

Was Kindern und Enkeln der
Kriegsgeneration
wirklich hilft

Impressum

Dieses Buch ist auch als Printausgabe erhältlich:

ISBN 978-3-407-85740-8

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© 2015 Beltz Verlag, Werderstr. 10, 69469 Weinheim

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Stephan Engelke (Beratung)

Umschlagabbildung: © Shutterstock/Phatthanit,

© Shutterstock/Skymax

E-Book

ISBN 978-3-407-22269-5

Inhalt

Vorwort

1: Wie Sie sich besser verstehen

Angst – ohne zu wissen, warum

Die Schwierigkeit, zu trauern

Schrecken ohne Worte

Schmerz ohne Trost

Leere und das schwarze Loch

Herzenseinsamkeit

Leistungsdruck

Unstimmigkeiten – oder: Wo ist Heimat?

Schuldgefühle ohne Schuld

Unsicherheit oder: Wie geht Mannsein?

Unsicherheit und: Was bedeutet Frausein?

»Gib dich nicht hin!«

»Das machst du nicht noch mal!«

Kalte Erziehung

Nicht wirklich groß werden

2: Wie Sie das Irritierende an Ihren Eltern und Großeltern besser verstehen

Schweigen

Heldengeschichten

Das Schönste ist, wenn wir zusammen sind

Abschütteln

Gefühle auf Sparflamme

Stell dich mal nicht so an!

Immer auf 180

Bloß kein Risiko!

Sag immer, wo du bist!

Nichts wegwerfen!

Halt dich da raus!

Irritation: Keine Ängste, aber ganz tiefe Angst

Aufessen!

Verschwommene Identität

Beziehungen im Kriegszustand

Ehe ohne Liebe

Väter, die nicht mehr wegwollen

Kein Maß

3: Verstehen ist nicht verzeihen: das große UND

4: Wie Sie Erklärungen finden

Wie geht fragen?

Was tun, wenn die Gefragten schweigen?

Was tun, wenn die Gefragten nicht aufhören, vom Krieg zu erzählen?

Was tun, wenn die Menschen, die befragt werden sollen, nicht mehr leben?

Was tun, wenn alles diffus ist?

5: Wie Sie den Schritt beiseite schaffen

Allein oder mit Hilfe?

Den Rucksack entleeren

Buchstäblich beiseitetreten

Herangehen, um weggehen zu können

Der »Dreh«

Welche Farbe hat der Druck?

Die Ja-Nein-Bewegung

Die UND-Liste

Den Trotz und den stillen Ärger würdigen

Das Trennungsbild

Der Familienregenbogen

Den Kampf aufgeben

Der stillen und der lauten Trauer Raum geben

Das Tränenkrüglein

6: Wie Sie Ihre eigene Persönlichkeit würdigen

Der eigene Rucksack

Andere Vorbilder

Die drei Kostbarkeiten

Die Suche nach der Meinhaftigkeit

Würdigen, was ist: auch das am Wegesrand

Leitsätze statt Leidsätze

Zugreifen

Mein Boden

Aufrichten

Rückendeckung

Mein innerer Kern

Mein Ich-bin-ich-Buch

Vom Sinn des Eigen-Sinns

7: Antworten auf häufige Fragen – kurz und bündig

Was ist ein Trauma?

Warum wirken Traumafolgen so lange nach?

Wodurch werden die Traumata an die nächste Generation weitergegeben?

Täter? Opfer? Opfer/Täter?

Macht das krank?

Zitierte Literatur

Vorwort

Leiden Sie oder Ihre Angehörigen an innerer Aufgeregtheit oder chronischem Druck, ohne zu wissen, warum? Werden Sie oder Ihre Angehörigen von Ängsten überfallen, ohne zu wissen, warum? Fühlen Sie sich manchmal traurig oder leer, ohne zu wissen, warum? … Für Sie und die Menschen, denen es ähnlich gehen mag, haben wir dieses Buch geschrieben.

Ohne zu wissen, warum – das hören wir seit vielen Jahren von Menschen, die wir begleiten. Deshalb sind wir als Therapeuten den Fragen nachgegangen, wie und warum Menschen oft unter Gefühlen und Verhaltensweisen leiden, die sie sich nicht erklären können. Wenn wir gemeinsam mit unseren Klient/innen den Spuren des Unerklärlichen gefolgt sind, fanden sich Erklärungen, die sich auf ihre selbst erlebten, aber verschütteten Traumaerfahrungen bezogen. Oft blieb aber ein unerklärlicher Rest. Bei anderen stellten wir fest, dass sie unter Traumasymptomen litten, doch selbst kein traumatisches Ereignis erlebt hatten. Aber – und das stellte sich beim Nachfragen schnell heraus – ihre Eltern oder Großeltern hatten Traumata erleiden müssen. Meist in den Kriegs- und Nachkriegszeiten: Bomben, Vergewaltigungen, Heimatverlust, Flüchtlingselend, Hungersnot, Gefangenschaft, Konfrontation mit dem Verlust von Unversehrtheit und Tod. Als eigene Erfahrungen oder als Zeugen.

Menschen können also unter den Folgen von Kriegstraumata leiden, ohne sie selbst erlebt zu haben. Als wir um das Jahr 2000 herum begannen, uns damit zu beschäftigen, war das noch ein Thema, über das weitgehend der Schleier des Schweigens gelegt wurde. Wir untersuchten und erforschten, wie traumatische Erfahrungen weitergegeben werden, woran man dies erkennen kann und wie man therapeutisch damit umgehen kann. Diese Ergebnisse und unsere praktischen Erfahrungen stellten wir in einem Fachbuch zur Verfügung, das sich vor allem an Therapeut/innen wandte. Zu unserer Überraschung stellten wir fest, dass wir viele, sehr viele Zuschriften von Menschen erhielten, die keine Fachleute waren, aber aufgrund ihrer Betroffenheit und ihrer Beschäftigung mit dem Thema »Leute vom Fach« waren. Sie schrieben, dass sie sich »zum ersten Mal verstanden« fühlten und dass das Buch ihnen half, »Licht am Ende des Tunnels ihrer dunklen, diffusen Gefühle« zu sehen oder ihnen eine Orientierung im »Nebel des Leidens« zu geben. Mit diesem Buch wollen wir nun unsere Erfahrungen und Hinweise nicht nur Therapeut/innen, sondern einem breiten Publikum zugänglich machen.

Es ist begrüßenswert, dass die Folgen kriegstraumatischer Erfahrungen in den letzten fünf Jahren in der Öffentlichkeit beschrieben wurden. Viele Kinder und Enkel der Kriegsgeneration setzen sich damit auseinander, lesen Bücher oder schauen Filme. Sie treibt das Interesse, was ihre Eltern und Großeltern erlebt und getan haben, die oft nicht oder nur bruchstückhaft darüber reden konnten oder wollten. Doch die meisten Publikationen führen nur bis zu der Erkenntnis, dass es Folgen von Kriegstraumata gibt, und beschreiben, in welchen Erfahrungen sie begründet sind und wie sie sich auswirken können. Wir wollen weiter gehen und die Fragen beantworten, die uns tausendfach in Vorträgen, Therapien und Beratungen gestellt wurden: Was hilft mir wirklich?

Dazu gehört in erster Linie, sich selbst zu verstehen. Damit fangen wir an. Dabei erzählen wir Ihnen auch von Menschen, denen das Verstehen geholfen hat, und geben Ihnen konkrete Tipps. Im darauffolgenden Kapitel geht es darum, Verständnis für Eltern und Großeltern zu entwickeln. Nicht um alles zu entschuldigen, sondern um eine offene Haltung ihnen gegenüber zu entwickeln, die das Gespräch mit ihnen ermöglicht. Weiterhin geben wir Hinweise, wie solche Gespräche, solche Auseinandersetzungen geführt werden können, und auch dazu, was Ihnen hilfreich sein kann, wenn sie nicht mehr möglich sind. Anschließend widmen wir uns den weiteren Fragen, was Ihnen helfen kann, wie Sie sich selbst helfen können und welche Hilfe Sie möglicherweise von anderen brauchen. Dabei wollen wir Ihnen möglichst konkret anhand vieler Beispiele veranschaulichen, dass Sie den Folgen traumatischer Erfahrungen früherer Generationen nicht hilflos ausgeliefert sein müssen, sondern aktiv und verändernd damit umgehen können.

Der Kern unseres Anliegens besteht darin, dass Sie aus einem besseren Verständnis für die Eltern und Großeltern und deren Umgang mit ihren traumatischen Erfahrungen Ihren Weg zu einem besseren Leben finden.

Sie, liebe Leserinnen und Leser, die oder der Sie Kinder oder Enkel der Kriegsgeneration und mit Unerklärlichem und Unverständlichem konfrontiert sind, stehen im Mittelpunkt unseres Interesses. Wir haben Mitgefühl und Verständnis für die Kriegsgeneration, vor allem für diejenigen, die damals Kinder oder Jugendliche waren. Doch in diesem Buch stehen Sie im Vordergrund und wir sind parteilich für Sie.

Dass es keine Pauschaltipps geben kann, die immer und für alle gelten, ist uns selbstverständlich. Jeder Mensch ist verschieden und braucht seine eigenen Wege. Wir hoffen, dass Sie aus dem Angebot unserer Anregungen das eine oder andere für sich auswählen und nutzen können.

Bitte richten Sie sich darauf ein, dass manche Geschichten und Aussagen Sie aufregen oder aufwühlen werden. Auch wenn wir jede Dramatisierung, jede Bloßstellung und jeden Voyeurismus zu vermeiden versuchen, können wir nicht so tun, als gäbe es keine dramatischen Erfahrungen mit nachhaltigen Folgen des Leidens. Das würde den Menschen, die unter den Kriegstraumata bzw. der Weitergabe von deren Folgen leiden, nicht gerecht werden. Insofern sprengt dieses Buch den Rahmen eines bloßen »Ratgebens«: Es berührt, und das darf auch so sein. Sosehr wir uns bemüht haben, Ihnen Hinweise zur Selbsthilfe an die Hand zu geben, so sehr bitten wir Sie, unseren Hinweis ernst zu nehmen, dass mancher Weg aus dem Leiden der mitfühlenden und kompetenten therapeutischen Hilfe bedarf.

Wenn Sie sich für dieses Buch interessieren, sind Sie wahrscheinlich Kind oder Enkel von Menschen, die durch Kriegserfahrungen traumatisiert wurden. Wahrscheinlich gehören Sie aber auch zu den Menschen, denen die nachfolgenden Generationen wichtig sind, vielleicht als Eltern mit eigenen Kindern oder als Personen, die beruflich oder im privaten Umfeld mit Kindern zu tun haben. Deshalb ist es großartig, dass Sie sich mit diesem Thema beschäftigen. Denn es gilt, die Weitergabe von Traumafolgen über die Generationen zu unterbrechen! Es reicht schon, dass Sie als Kinder und Enkel so viel Belastendes mitbekommen haben. Wir meinen, dass es jede Mühe wert ist, zu verhindern, dass unsere Kinder und Enkel auch noch die Leiden weiterhin spüren. Es reicht! Wenn unser Buch dazu beitragen kann, wären wir sehr dankbar.

Gabriele Frick-Baer, Udo Baer

im Frühjahr 2015

1

Wie Sie sich besser verstehen

Viele Menschen leiden als Kinder oder Enkel von Eltern oder Großeltern, die den Zweiten Weltkrieg oder andere Kriege erlebt haben, unter den Folgen dieser Zeit. Die Angehörigen der Kriegsgeneration mögen damals Erwachsene oder Kinder gewesen sein, manchmal sogar Säuglinge – die meisten von Ihnen haben schlimme traumatische Erfahrungen machen müssen, unmittelbar als Opfer oder als Zeugen, wie andere Schlimmes erfahren mussten. (Was ein Trauma ist, wie es nachwirkt und wie es an die nächsten Generationen weitergegeben wird, beschreiben wir im Kapitel »Antworten auf häufige Fragen« am Ende dieses Buches.)

Die Folgen, unter denen die Kinder oder Enkel der Kriegsgeneration leiden, beziehen sie selbst nur selten auf die traumatischen Erfahrungen der Eltern oder Großeltern. Stattdessen verstehen sie sich nicht (vor allem, wenn die Kriegserfahrungen verschwiegen wurden) und kämpfen manchmal geradezu verzweifelt und »irgendwie« gegen ihre Gefühle oder ihr Verhalten. Sind Sie vielleicht einer dieser Menschen? Wir zeigen Ihnen in diesem Kapitel, wie Sie sich besser verstehen können. Sie sind nicht »falsch« oder gar »verrückt«, wenn Sie unter den Folgen kriegstraumatischer Erfahrungen der Eltern oder Großeltern leiden. Sich zu verstehen und so besser zu akzeptieren ist der erste Schritt der Veränderung und Hilfe. Würdigen Sie, was ist: Ihre Gefühle und Ihr Körpererleben, Ihre Krankheitssymptome, Ihre Einfälle, Gedanken und inneren Bilder. Auch wenn Ihnen manches davon »seltsam«, »merkwürdig« oder »unerklärlich« vorkommt!

Sie werden sich bestimmt nicht in allem wiedererkennen, was wir im Folgenden beschreiben. Doch vielleicht in diesem oder jenem Beispiel.

Angst – ohne zu wissen, warum

Irene Jul (alle Namen in diesem Buch sind geändert) war immer schon ängstlich, solange sie sich erinnern konnte. Doch in den letzten Monaten wurde es immer schlimmer. Dass die Kriegsbilder aus Syrien und dem Irak in der Tagesschau ihr Angst machten, konnte sie nicht nur verstehen, sondern fand es »normal« (wie wir auch). Auch dass sie sich ängstigte, wenn ihre Tochter zu spät nach Hause kam. Aber die Angst kam auch »über sie«, ohne dass es einen Anlass gab, »wie aus dem Nichts heraus«. Sie konnte keine innere Verbindung zwischen Ereignissen aus ihrem Leben und der Angst herstellen. Mal hier, mal da – sie konnte sich noch so sehr zusammenreißen, die Angst kroch durch alle Ritzen und schlug unvermittelt zu.

Falls es Ihnen ähnlich geht, kann Ihre Angst aus den Erfahrungen Ihrer Eltern oder Großeltern herstammen. Wer Krieg und damit verbundene schlimme Erfahrungen durchmachen musste, musste viele Ängste durchleben und überleben. Schüsse, Bomben, Flucht, Vergewaltigungen – all das macht Angst. Angst ist als Gefühl dazu da, Menschen zu beschützen, dafür zu sorgen, dass sie sich vor einem bedrohlichen Geschehen hüten, ihm ausweichen oder vor ihm fliehen. Eine traumatische Situation ist eine solche Bedrohung. Doch die Eltern und Großeltern konnten nicht oder nur selten aus dieser Situation fliehen. Oder sie versuchten, zu fliehen, erlebten aber auf der Flucht weitere traumatisierende Bedrohungen. Also blieb die Angst in diesen Eltern oder Großeltern feststecken.

Und noch etwas kam dazu: In der Kriegsgeneration war es geradezu verpönt, über Ängste zu sprechen. Angst hatte »man« nicht zu haben. Und Trost gab es in den Nachkriegsjahren nicht und während der Kriegsjahre sowieso nicht. Also wurde über die Angst nicht geredet. Auch die Eltern von Irene Jul waren voller Angst, insbesondere die Mutter. Diese stand ihr näher als der Vater und hatte so den größten Einfluss auf sie. Doch nach außen hin galt für die ganze Familie die Fassade, die Angst wurde nicht gezeigt. Die kleine Irene nahm die Angst auf wie die Muttermilch. Die Angst sickerte in Irene Jul ein und wurde zu ihrer Angst. Einer Angst ohne Worte.

Als Irene Jul hörte, dass wenigstens ein Teil ihrer Angst möglicherweise nicht aus ihr heraus entstanden sein könnte, sondern zu ihren Eltern gehörte, war sie schon etwas erleichtert. Ihr fiel ein, dass ihre Eltern nie Angst gezeigt hatten und nie über Angst geredet hatten. Angst war ein Tabu in der Familie, Angst gab es nicht und hatte es nicht zu geben. Äußerte sie als Kind Angst, wurde die Angst ignoriert und damit die kleine Irene. Deswegen hatte sich Irene Jul immer etwas geschämt, wenn sie sich ängstigte. Sie kam sich so »anders« vor.

Ihr half nun, sich bei ihren Angstgefühlen immer zu fragen, ob sie einen »Grund« oder »Anlass« für ihre Ängste finden konnte oder nicht. Wenn die Tochter später als verabredet von der Geburtstagsparty bei der Freundin nach Hause kam, verbuchte sie das als »Anlass« für ihre Angst. Wenn sie aber mitten in der Nacht aufwachte und große Angst hatte, etwas vergessen zu haben (was sie schon erledigt hatte oder eine relativ belanglose Kleinigkeit war), dann bewertete sie das als »Angst ohne Grund«. Diese Angst bezeichnete sie für sich auch als »Mutter-Angst«.

Wenn Sie sich wiederholt ängstigen, ohne zu wissen, warum, und ohne das mit einem konkreten Ereignis in Ihrem Leben in Verbindung bringen zu können, können Sie mit Recht vermuten, dass diese Angst von den Ängsten der Eltern und Großeltern herrührt. Das muss nicht sein, das kann. Dies zu wissen erleichtert. Es ist umso wahrscheinlicher, als über Ängste und deren Quellen bei den Eltern, Großeltern oder anderen nahestehenden Personen nicht gesprochen wurde. Wir begegneten auch Menschen, bei denen im Elternhaus viel Angst die Atmosphäre prägte und oft über sie gesprochen wurde. Doch die Quellen, aus denen die Angst herrührte, sodass die Angst für das Kind irgendwie nachvollziehbar und verständlich geworden wären, waren tabu.

Wenn es Hinweise gibt, dass Ihre Angst sich auch aus den Ängsten der Kriegsgenerationen speist, dann ist es wichtig, zwischen den Anlässen Ihrer Angst zu unterscheiden. Wenn Sie einen konkreten Anlass finden, dann können Sie versuchen, an dem Angstauslöser etwas zu verändern. Frau Jul ängstigt sich, wenn ihre Tochter die Verabredungen nicht einhält. Dann kann sie mit ihrer Tochter sprechen und sich bemühen, das Verhalten ihrer Tochter zu verändern. Oder sie kann mit ihrer Tochter Regelungen vereinbaren, die ihre Angst verringern oder im Schach halten. Zum Beispiel, dass ihre Tochter bei einer Verspätung eine SMS schickt, dass mit ihr alles o. k. ist.

Doch wenn sich für die Angst kein Anlass finden lässt, dann liegt deren Quelle nicht in konkreten Geschehnissen, sondern in traumatischen Erfahrungen der Kriegsgeneration.

Wir werden später darauf eingehen, wie Sie damit umgehen können.

Bitte beachten Sie: Bei Ängsten ist es in einem ersten Schritt wichtig, zu unterscheiden, ob es einen Anlass gibt oder nicht und ob das Ausmaß Ihrer Angst dem Anlass entspricht. Ob das so ist, können nur Sie selbst wirklich beurteilen. Angst, ohne zu wissen, warum, deutet auf eine Übernahme elterlicher oder großelterlicher Ängste hin.

Die Schwierigkeit, zu trauern

Wenn Stefan Durm von seiner Frau gefragt wurde, ob er traurig sei, dann antwortete er meist mit einer Gegenfrage: »Wieso denn?« »Weil du so traurig aussiehst«, meinte seine Frau. Schroff wies er sie ab: »Ich bin nicht traurig! Was du immer hast?!«

So war es häufig. Denn seine Frau gab nicht auf, sich liebevoll für ihn zu interessieren. Zu trauern war nicht seine Sache. Er war nicht traurig. Punkt. Das war für Stefan Durm selbstverständlich. Bis sein Vater starb. Auch da war er nicht traurig, aber es geschah etwas mit ihm. Es brodelte in ihm, das spürte er. Aber mehr wusste er nicht. Er verstummte und zog sich zurück. Immer mehr. Auch seine Frau erreichte ihn nicht mehr und machte sich Sorgen, dass er depressiv würde.

So weit muss es nicht kommen, dass sich aus ungelebter Trauer eine Depression entwickelt. Doch dass Trauer nicht oder nur wenig gespürt wird, ist bei vielen Menschen verbreitet. Dabei ist Trauer doch so ein nützliches, so ein wichtiges Gefühl. Trauer ist das Gefühl, das das Loslassen begleitet. Wir Menschen müssen immer wieder etwas loslassen. Das Trauern hilft uns dabei.

Vielleicht gehören Sie auch zu den Menschen, die nicht so gut trauern können. Das mag daran liegen, dass Sie dafür keine guten Vorbilder hatten, oder andere Gründe haben. Möglicherweise wurzelt es darin, dass Sie dieses Symptom von der Eltern- oder Großelterngeneration übernommen haben. Wer den Krieg und die unmittelbare Nachkriegszeit miterlebt hat, musste vieles loslassen: die Heimat, Angehörige, Freude und Lebensglück, Gesundheit, Wertvorstellungen, Ideale und vieles andere mehr. Eigentlich hätte angestanden, dass die Menschen trauerten. Doch das geschah nicht. Solche Gefühle zu leben war in der Naziideologie verpönt. Doch die Unfähigkeit, zu trauern, lag auch und vor allem daran, dass ca. zwei Drittel der Menschen in der Kriegs- und Nachkriegszeit traumatisiert wurden. (u. a. Radebold 2005) Sie waren danach unter Schock. Erstarrt. Betäubt. Da war kein Platz zum Trauern.

Weder bei den einzelnen Menschen noch in der Gesellschaft. Auch da wurden über Jahrzehnte die Schleier des Verschweigens und Vergessens über die schrecklichen Kriegserfahrungen gelegt. Doch das Vergessen gelingt nicht vollständig, die Trauer schwelt unterirdisch weiter.

Der Vater von Stefan Durm war als 16-Jähriger 1945 in den »Volkssturm« eingezogen und an die Front geschickt worden. Als einer von wenigen aus seiner Ausbildungsgruppe hatte er überlebt. Mehrere Freunde hatte er verloren, seine Mutter und seine Schwester waren bei den Bombardierungen umgekommen. Darüber hatte er nie gesprochen und nie getrauert. Nach dem Krieg und der Wiederkehr aus der Gefangenschaft hatte er gearbeitet, dann eine Ausbildung absolviert und dann wieder gearbeitet und gearbeitet. Für seine Familie, für sich, vielleicht auch, um zu vergessen.

Stefan Durm hatte seinen Vater nie traurig gesehen, geschweige denn weinend. Das war für ihn undenkbar. Er liebte und verehrte ihn und nahm ihn sich zum Vorbild.

Also kannte auch Stefan Durm keine Trauer. Seine Frau spürte, wenn er traurig war, doch er selbst nahm es nicht wahr. Wie ihm erging es vielen Menschen mit ihren Eltern aus dieser Generation. Nicht das Trauma bzw. die Traumaereignisse – hier die vielen Verluste seines Vaters – werden weitergegeben, aber die Traumafolgen. Und eine davon ist bei vielen die Unfähigkeit, zu trauern.

Als Stefan Durms Vater gestorben war, war er wie betäubt. Er funktionierte oder versuchte es zumindest. Er spürte nicht die Trauer um den Verlust des Vaters, eher eine Betäubung und vor allem eine große Schwere. Nach einiger Zeit begann er in den Unterlagen seines Vaters zu stöbern. Er fand zu seiner Überraschung eine alte Kladde. Sie enthielt Bilder der Mutter und der Schwester seines Vaters, die dieser ihm nie gezeigt hatte. Und ein Kindheitsbild seines Vaters, als er 15 war. Jung, schmächtig, mit großen Augen. »Und dieses Kind musste ein Jahr darauf in den Krieg …«, dachte er. Und da kam die Traurigkeit. Wie eine große Welle stieg sie in ihm empor, und er dachte, er müsse in ihr ertrinken. Doch er »überlebte«. Nach einer Weile ging er zu seiner Frau und zeigte ihr die Bilder, und sie sprachen und sprachen …

Manchmal bricht die Traurigkeit aus einem Menschen heraus. Oft reicht dazu ein Anlass. Hier war es das Kindheitsfoto des Vaters, bei anderen ist es eine Szene im Kino- oder Fernsehfilm, eine Musik, ein Satz in einem Roman … Die Trauer ist nicht verschwunden, sondern eingesperrt. Das ist wichtig zu wissen.

Wenn Sie auch elterliche oder großelterliche Vorbilder hatten, die nicht trauern oder ihre Trauer nicht zeigen konnten, dann nutzen Sie jede Gelegenheit, danach Ausschau zu halten, was diese Menschen loslassen mussten. Denn danach fing wahrscheinlich Ihre verborgene Traurigkeit an. Falls Sie diese Menschen direkt befragen können, fragen Sie nicht nach deren Traurigkeit, denn diese Frage werden sie abwehren. Fragen Sie nach den Verlusten und nach dem, was vorher war. Zum Beispiel nach der Kindheit vor dem Krieg. Wenn Sie nicht mehr unmittelbar die Menschen der Kriegsgeneration befragen können, suchen Sie nach Hinweisen und vertrauen Sie Ihren versprengten Erinnerungen. Das kann Türen zur ungelebten und unverstandenen Traurigkeit öffnen und Ihnen das Trauern ermöglichen.

Wenn Sie zu den Menschen gehören oder mit Menschen zusammenleben oder befreundet sind, die große Hemmungen haben, zu trauern, dann ist es sinnvoll, sich selbst und diesen Menschen zu sagen, dass sich die Trauer nicht wirklich liquidieren lässt. Und das ist gut so, denn wir wollen hier der lebendigen Trauer das Wort sprechen.

Wenn sie hervorbricht, dann scheint es so, als käme eine Welle, die alles verschlingt, oder als würde man im Meer der Tränen ertrinken. Die so lange zurückgehaltene Trauer erscheint maßlos, und das ist verständlich. Wie kann denn auch ein Gefühl, das so lange nicht gelebt werden konnte, ein Maß haben?

Wenn es Ihnen so gehen sollte, dann suchen Sie Kontakt mit jemandem, der oder dem Sie vertrauen. Wie Herr Durm, der mit den Fotos und mit seiner Traurigkeit zu seiner Frau ging. Das Schlimme am Trauern ist nicht das Traurigsein. Das Schlimme ist das Alleinsein mit der Traurigkeit. Wir versichern Ihnen: Wir haben noch keinen Menschen erlebt, der bedroht war, im Meer der Tränen zu ertrinken. Wohl aber Menschen, die in ungelebter und ungeteilter Trauer zu ersticken drohten. Trauer braucht, dass sie geteilt wird. Dann wird sie nicht zu Ihren Lieblingsgefühlen gehören, aber sie ist aushaltbar und sie kann den Schmerz über Verlorenes in Ihnen lösen und den Weg freimachen für eine neue Lebendigkeit. Geteilte Trauer ist halbe Trauer.

Schenken Sie der nachfolgenden Generation, der Generation Ihrer Kinder und Enkelkinder, Ihre Bereitschaft und Fähigkeit, zu trauern. Nehmen Sie die Chance wahr, die Generationenfolge der Unfähigkeit, zu trauern, zu unterbrechen.

Bitte beachten Sie: Ungelebte Trauer verschwindet nicht, sie friert allenfalls ein. Um sie aus der Erstarrung zu lösen, in der sie in den vorherigen Generationen und vielleicht in Ihnen überwintert hat, halten Sie Ausschau nach dem, was losgelassen werden musste. Denn Trauern ist das Gefühl des Loslassens. Lassen Sie Trauer zu und teilen Sie Ihr Traurigsein mit anderen.

Schrecken ohne Worte

Peter Kräuder verstand sich selbst nicht mehr. Er stand doch mitten im Leben, wie er oft sagte, und war ein forscher Typ. Doch in der letzten Zeit ertappte er sich dabei, dass er häufig erschrak. »Ich kenn mich selbst nicht mehr. Ich werde richtig schreckhaft«, erzählte er seinem Freund Stefan. Der Schrecken kam, wenn eine Tür knallte, wenn der Strom ausfiel oder wenn sich eine Hand unvermittelt von hinten auf seine Schulter legte. Er fühlte sich immer dünnhäutiger. Wenn er in der Tagesschau Meldungen über Krieg und andere Katastrophen sah, überfielen ihn große Ängste. Er war immer weniger in der Lage, diese Ängste »wegzustecken«, wie er es nannte.

Sicherlich wird es Situationen geben, in denen auch Sie erschrecken. Das ist normal. Störend wird es, wenn es einen »Bedeutungsüberhang« oder eine Intensität des Schreckens gibt, die für den Anlass nicht mehr angemessen ist. Der Schrecken gewinnt dadurch ein Übermaß an Bedeutung für das Leben und Erleben eines Menschen.

Manchmal steigert sich die Schreckanfälligkeit allmählich, wie bei Peter Kräuder. Sie kann Sie dann so bestimmen und in Beschlag nehmen, dass Sie schon Angst bekommen, wenn Sie daran denken, dass Sie der Schrecken ein weiteres Mal überfallen könnte. Wenn das der Fall ist, könnte es ein Hinweis dafür sein, dass sich Folgen kriegstraumatischer Erfahrungen früherer Generationen in Ihnen breitgemacht haben.

Vieles Schreckliche und Erschreckende musste die Generation der Eltern und Großeltern in der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit erleben. Da schliefen die Menschen in ihren Betten angezogen mit der gepackten Tasche daneben, und plötzlich heulte der Luftalarm und sie schreckten hoch. Da gab es Explosionen, Kampfhandlungen und andere Ereignisse, die die Menschen in Angst und Schrecken versetzten. Da gab es Stimmen und andere Laute, die anzeigten, dass Nachbarn verschwunden waren oder dass Angehörige und andere plötzlich völlig verstört oder im Schrecken erstarrt wieder auftauchten. Und oft und allzu oft wurde über diesen Schrecken und über das Erschrecken nicht gesprochen. Diese Generationen machten das »mit sich selbst ab« und versuchten, ihr Erschrecken zu verbergen.

So konnte das Erschrecken »als solches«, abgekoppelt von den traumatischen Ereignissen, ungefiltert und ungewusst in die Kinder und Enkel »hineinsickern«. Sie spüren den Schrecken der Eltern und teilen ihn, ohne dass sie wissen, was den Schrecken ausgelöst hat. Denn bei den Eltern und Großeltern hat sich die Erfahrung des Schrecklichen oft darin verfestigt, dass sie chronisch schreckhaft wurden und besonders intensiv, mit Bedeutungsüberhang, erschraken und erschrecken. Dies hat Herr Kräuder übernommen, und dies beunruhigt ihn, da er nicht weiß, warum er so fühlt.

Den Zusammenhang dieser Schreckhaftigkeit mit traumatischen Erfahrungen der Eltern oder Großeltern zu erkennen ist ein erster Schritt, besser mit dem Erschrecken umzugehen. Für manche Menschen nimmt dies schon etwas von der Gewalt des Erschreckens.

Als Herr Kräuder erfahren hatte, dass sein Erschrecken ein Bestandteil der Traumaweitergabe durch seine Vorfahren war, erleichterte ihn das ein wenig. Oder eigentlich sehr, wie sich später im Gespräch mit ihm herausstellte. Denn das Wissen um diese Quellen seiner Schreckhaftigkeit war die Voraussetzung dafür, sich zu verstehen. Und erst, als er sich selbst nicht mehr fremd war und aufhören konnte, mit sich zu hadern, konnte er an Veränderungen denken.

Denn die Schreckhaftigkeit war damit selbstverständlich noch nicht verschwunden. Er nahm sich als Erstes vor, Situationen zu vermeiden, in denen er häufig erschrak. Das gelang ihm ganz gut, indem er keine Tagesschau mehr sah, sondern in der Zeitung las, aus der ihn die Bilder nicht so unmittelbar ansprangen. Doch es blieben weiterhin zahlreiche Situationen, in denen er erschrak. Hier ging er dazu über, nach jeder Erfahrung des Erschreckens eine Pause von zwei bis fünf Minuten einzulegen. Egal, wann das der Fall war. Wenn er im Auto erschrak, fuhr er so schnell wie möglich an den Straßenrand oder an die nächste Raststätte. Er trank einen Kaffee oder einen Schluck Wasser und versuchte sich zu beruhigen, indem er tief und langsam durchatmete. Wenn er in seinem Büro erschrak, z. B. wenn eine Tür knallte oder eine Tasse zu Bruch ging, lief er ans Fenster, öffnete es und atmete einige Minuten tief die Luft ein. Es half. Die Kraft des Schreckens wurde allmählich geringer.

So, wie Herr Kräuder die Erfahrung machte, wird es Ihnen vielleicht auch ergehen, wenn Sie unter Schreckhaftigkeit leiden, die Sie nicht mit selbst erlebtem Schrecken in Verbindung bringen. Sie können Auslöser des Erschreckens vermeiden, das hilft, wird aber nie vollständig wirken. Das Gefühl des Schreckens »überfällt« uns Menschen. Wir können uns meist nicht dagegen wehren, zumindest nicht in der konkreten Situation. Unser Körper reagiert, unser Gefühlsleben, unsere Atmung, alles zieht sich in uns zusammen, und gleichzeitig gehen unsere Sinne in Hab-acht-Stellung, um Gefahren und Bedrohungen zu identifizieren. Diese Reaktion verläuft automatisch. Sie können sie nicht wegtrainieren. Was Sie aber tun können, betrifft die Zeit unmittelbar nach dem Erschrecken. Sie können in der Zeit danach sich und damit dem Erschrecken Raum geben, sich wieder aus der Erstarrung zu lösen, den Atem wieder bewusst fließen zu lassen und Ihre Erregung abzubauen. Denn oft ist der Schrecken, vor allem eben, wenn er der Kriegsschrecken der Eltern- und Großelterngeneration ist, »in den Knochen« stecken geblieben und hat sich in Ihnen eingenistet. So konnte es geschehen, dass Sie immer schreckhafter geworden sind. Jeder neue Schrecken baute und baut dann auf den Erfahrungen des früheren Schreckens auf.

Das beste Mittel gegen die Steigerung von Schreckhaftigkeit ist deshalb die bewusste Nachsorge nach der Schrecksituation. Oft ist dies nur eine »Schrecksekunde« – erlauben Sie sich ein wenig Sanftheit mit sich selbst, etwas Verständnis und Eigenfürsorge, und gönnen Sie sich danach einige Anti-Schreck-Minuten, einige Minuten der Entspannung.

Bitte beachten Sie: Ihre Schreckhaftigkeit kann ihre Quelle in den Schreckenserfahrungen der Eltern- und Großelterngeneration haben. Gönnen Sie sich eine fürsorgliche Anti-Schreck-Entspannung nach den Schrecksekunden.

Schmerz ohne Trost

»Einmal bin ich als Kind von zwei Jungen und zwei anderen Mädchen auf der Straße verprügelt worden. Die wollten mir meine Jacke klauen, aber ich hab sie ihnen nicht gegeben. Darauf bin ich immer noch stolz. Aber die haben mich übel zugerichtet. Ich hatte Glück, dass ein Erwachsener vorbeikam und einschritt. Da hauten sie ab. Ich musste im Krankenhaus genäht werden. Als ich nach Hause kam, hatte meine Mutter nichts mitbekommen. Sie arbeitete auf Schicht. Als sie von der Arbeit kam und mich mit meinen Verbänden und Pflastern und den verheulten Augen sah, bekam ich erst einmal eine Ohrfeige. ›Heul nicht so rum. Was hast du denn wieder angestellt!?‹ Das war die Begrüßung.«

Solche und ähnliche Erfahrungen haben viele Angehörige der zweiten Generation – also der Generation nach der Kriegsgeneration – gemacht, vielleicht auch Sie. Es war nicht erlaubt, Schmerzen zu haben oder gar zu zeigen. Und wenn man Schmerzen hatte, dann war man »selber schuld«, hatte es »verdient« – da wurde gar nicht nachgefragt, was geschehen war.

Bei manchen Kindern und Enkeln der Kriegsgeneration führte das dazu, dass sie regelrecht unempfindlich für Schmerzen wurden. Sie gingen nicht zum Arzt, obwohl sie einen Rippenbruch hatten: »Ach, das bisschen, das verläuft sich wieder …«

Warum ist das so? Menschen lernen über Vorbilder, und die Vorbilder, die Eltern und Großeltern, waren darauf trainiert, keinen Schmerz zu zeigen. Das hat vor allem vier Gründe:

Der erste Grund besteht in der Erziehung und in solchen Leitsätzen wie: »Die Schmitzens weinen nicht!«, »Gefühle gibt es bei den Nachbarn, aber nicht bei uns!«, oder: »Diese Schmuserei haben wir doch nicht nötig!«, oder: »Indianer kennen keinen Schmerz!«, oder: »Sei doch keine Heulsuse!« … Wer mit solchen Äußerungen groß geworden ist, wird vieles dafür tun, den eigenen Schmerz nicht zu zeigen.

Schmerz ist Schmerz! Also zeigen Sie ihn und teilen Sie ihn anderen mit. Setzen Sie der Härte, der Gnaden- und Mitleidlosigkeit Ihren Willen entgegen, schmerzvolle Erfahrungen zu würdigen. Dann können Sie getröstet werden und dabei auch üben, wie Sie andere trösten. Beides sind wundervolle Erfahrungen, wie Sie sicherlich wissen.