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Die Autorin

Claudia Tondl, 1980 in Wien geboren. Peter-Turrini-DramatikerInnenstipendium 2013, DramatikerInnenstipendium der Stadt Wien 2011 und des bmukk 2010. Studierte an der Universität Wien Anglistik, Philosophie, Psychologie und Pädagogik sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Parallel dazu absolvierte sie eine Ausbildung zur Werbedesignerin und arbeitete vier Jahre als Texterin in einer Wiener Agentur. Ihre Stücke wurden bisher u.a. am Staatstheater Mainz, in der Garage X, am KosmosTheater und zuletzt im Festspielhaus Bregenz uraufgeführt..

Die Textlicht-Reihe

Textlicht ist junge Literatur in einem handlichen Format, für daheim und unterwegs – die Bücher der Textlicht-Reihe sind hochwertige und unterhaltsame Literatur, die unter die Haut geht und im Kopf bleibt.

Mehr zur Reihe unter: www.editionatelier.at

Claudia Tondl

Fensterfummeln

Erzählung

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Inhalt

PROLOG

1. BILD

2. BILD

3. BILD

4. BILD

5. BILD

6. BILD

BILDSTÖRUNG

7. BILD

8. BILD

9. BILD

WERBEUNTERBRECHUNG EINS

10. BILD

11. BILD

12. BILD

13. BILD

14. BILD

15. BILD

16. BILD

17. BILD

INTERMEZZO

18. BILD

19. BILD

20. BILD

21. BILD

22. BILD

23. BILD

24. BILD

25. BILD

26. BILD

27. BILD

WERBEUNTERBRECHUNG ZWEI

28. BILD

29. BILD

30. BILD

31. BILD

32. BILD

33. BILD

34. BILD

35. BILD

WERBEUNTERBRECHUNG DREI

36. BILD

37. BILD

38. BILD

EPILOG

PROLOG

In und zwischen den Zeilen liegt die Betrachtung. Zumindest sagt das meine Großmutter. Sie ist alt. Sie muss es wissen. Ich bin bis heute nicht dahintergekommen, was sie eigentlich damit meint. Wenn ich die Straße entlanggehe, sehe ich bloß Bilder. Ein um das andere Bild reiht sich in den Bilderreigen der immer weitere Kreise zieht.

Ich gehe gerne. Während ich durch die Stadt flaniere, habe ich nicht nur an ihr teil, die Stadt ist auch ein Teil von mir. Ich kenne viele Ecken, und die Ecken kennen mich.

Dort zwischen den Pflastersteinen habe ich zum Beispiel einmal eine Pusteblume gefunden, deren Schirmchen mich hoch über die Dächer mitgenommen haben.

Oder dort drüben, unter diesem Fenster ist mir ein Hut auf den Kopf gefallen.

Natürlich gibt es auch weniger spektakuläre Ereignisse, wie ein offenes Schuhband oder einen Fahrradunfall oder den ersten Kuss.

Heute gehe ich auf den Markt. Die vielen Waren und Menschen bieten einiges zu schauen, und so schlendere ich voller Vorfreude die Straße hinunter. Gerade als ich die Straße überqueren möchte, braust knapp vor mir ein Fahrrad vorbei. Erschrocken blicke ich ihm hinterher und sehe, wie es zwischen zwei Häusern in die Hausfassade einbiegt. Dass an dieser Stelle eine Durchfahrt wäre, hätte ich noch nicht bemerkt. Ich folge dem Fahrrad, und tatsächlich: eine Seitengasse. Sie ist sehr schmal, so schmal, dass im zweisamen Hand-in-Hand kein Durchgang möglich wäre, aber nicht besonders lang. Schon bin ich an ihrem Ende angekommen und schaue neugierig ums Eck.

1. BILD

Leere.

2. BILD

Wenn ich lange genug hinschaue, kann ich eine Idee in der Leere keimen sehen. Vor meinen Augen nimmt die Idee Form an, und die Form entfacht Licht.

Lichtspot. Umringt von Schwarz leuchtet mitten in der Leere ein Kreis.

So etwas habe ich noch nicht gesehen. Ich muss blinzeln.

3. BILD

Auf dem leuchtenden Kreis mitten im Lichtkegel steht ein Bauleiter mit Baustellenleuchte. Er sieht sich kurz um, stellt die Leuchte dann neben sich auf den Kreis und pfeift unter Zuhilfenahme seiner Zeigefinger schrill.

Ich halte den Atem an.

Nichts geschieht. Der Bauleiter sieht sich irritiert um:

„Was ist? Wo bleiben die Absperrlatten?“

Unverzüglich fällt der Lichtspot auf eine andere Stelle im leeren Raum und spendet einem überraschten Trupp behelmter Blaumänner kreishellen Boden unter den Füßen.

Sie gackern wie Hühner, und ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Im Lichtkegel leitet der Bauleiter den Aufbau einer quadratischen Baustelle von etwa einem mal einem Meter an. Zu guter Letzt klatscht er zweimal in die Hände, um die Baustellenleuchte zum Leuchten zu bringen. Freudestrahlend hängt er sie an die errichtete Baustelle, während Lichtspot und Bautrupp schon gemeinsam den Weg durchs Dunkel beschreiten.

Vor mir hat die Idee Form angenommen.

4. BILD

Mitten im Dunkel hängt an einer quadratisch abgesperrten Baustelle von etwa einem mal einem Meter ein Licht.

Obwohl das Licht leuchtet, kann ich trotzdem nichts sehen. Sind meine Augen geschlossen? Bin ich eingeschlafen? Ich warte eine Weile und als weiter nichts geschieht, nehme ich eine deklamatorische Haltung ein, um der Leere zumindest Goethes Worte zu schenken:

„Wo viel Licht ist, ist starker Schatten“, rufe ich, aber nichts ist zu hören. Ich öffne wieder und wieder meinen Mund, entlasse jedes Wort einzeln nach draußen, schreie, spucke, platze, bis mich plötzlich eine Stimme unterbricht:

„Egal was gewesen sein wird, ich werde dafür verantwortlich gemacht werden können. Ich bin da. Hier. Ohne mich gäbe es alles nicht. Ohne meine Anwesenheit wäre rein gar nichts zu sehen oder nichts glaubhaft zu Sehendes wahrzunehmen. Würde ich verschwinden oder wäre ich erst gar nicht gekommen, würden Sie das, was Sie hier sehen werden, niemals zu sehen befähigt sein. Vielleicht aber werden wir vorerst gemeinsam sehen, wohin uns diese Erfahrung führt und lassen diese Sinnesdinge auf uns wirken. Sie werden schon sehen.“

Gespannt entscheide ich mich zu bleiben. Der Markt kann warten.

5. BILD

Mitten im Dunkel hängt an einer quadratisch abgesperrten Baustelle von etwa einem mal einem Meter ein leuchtendes Licht.

Ein Mann mit Liegestuhl und ein Lichtkegel betreten aus unterschiedlichen Richtungen kommend das Bild. Beide tappen suchend durch das Dunkel und finden einander schließlich in einem Punkt. In diesem lassen sie sich nieder. Der Mann beginnt umständlich zu hantieren, lange, so lange, bis sein gestreifter Liegestuhl schließlich sachkonform aufgestellt ist.

„Sieht gemütlich aus“, denke ich und sehe weiter dabei zu, wie sich der Mann selbstbewusst Kleidungsstück für Kleidungsstück auszieht, jedes faltet und alles hübsch gestapelt neben seinem Liegestuhl ablegt. Die Unterhose lässt er bis zu den Knöcheln hinunter.

„Nein, das will ich aber nicht sehen.“

Erschrocken, als hätte er mich gehört, zieht der Mann die Unterhose wieder hoch. Dann schmiert er sich ausgiebig mit Sonnencreme ein, legt sich in seinen gestreiften Liegestuhl, freut sich darüber, dass Streifen schlank machen, und rückt sich gemütlich zurecht.

Das Licht an der quadratisch abgesperrten Baustelle von etwa einem mal einem Meter beginnt zu blinken.

6. BILD

Kaum hat es sich der Mann mit Liegestuhl im warmen Lichtspot unmittelbar neben der blinkenden Baustelle gemütlich gemacht, höre ich ein Schlurfen. Durch das Dunkel nähern sich Schritte. Leises Murmeln setzt ein, und noch ehe ich dem beschwörenden Ton verfallen könnte, ist es wieder still.

Am Rand des Lichtkegels steht ein alter Mann. Er trägt Arbeitskittel und Wissenschaftskoffer. Konzentriert „hm-end“ und „oh-end“ beginnt er, den Kreisumfang entlangzugehen, immer weiter und weiter und weiter. Das nervt den umkreisten Mann im Liegestuhl. Deshalb schimpft dieser auch, bittet den Alten, sein Kreisen auf der Stelle einzustellen. Aber der Alte sieht und hört ihn nicht, als wäre er nicht anwesend. Da kann der Mann in seinem Liegestuhl noch so toben und schreien.

Dafür hört er das blinkende Licht an der Baustelle. Ich höre es auch, bezweifle aber, dass es tatsächlich das Licht ist. Die Stimme ist überall. Dieselbe Stimme, die vorhin auf mein Goethe-Zitat geantwortet hat, ruft dem Alten zu:

„Transcendere, mein Sohn, transcendere.“

Und so zieht der alte Mann mit einigen weiteren „Ohs“ und „Hms“ seine Gerätschaften aus dem Wissenschaftskoffer. Sein Sternrohr legt er behutsam auf die Seite, mit dem Lineal vermisst er grübelnd den mehrmals abgegangenen Kreis und blickt sich schließlich nach allen Himmelsrichtungen um.

Dann holt er eine Trillerpfeife aus seinem Koffer, atmet tief ein und tiriliert: