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Christine Grän

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AMERIKANER

SCHIESSEN NICHT

AUF GOLFER

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ars vivendi

 

Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag

erschienenen Originalausgabe (1. Auflage 2014)

© 2014 by ars vivendi verlag

GmbH & Co. KG, Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Lektorat: Dr. Felicitas Igel

Umschlaggestaltung: Caroline Orth

unter Verwendung eines Fotos von

Alberto (Díaz Gutiérrez) Korda »Che Golf« (1961),

provided by the ADAGP Image Bank

© VG Bild-Kunst, Bonn 2014

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-86913-456-7

 

Thank you, Alan Mitchell!

 

Seit vielen Jahren versucht er,

mir das Spiel beizubringen, und

wir haben schon viel gelacht.

So, wie es aussieht, wird er nie

richtig steirisch lernen, so wenig

wie ich das Golfspiel.

 

Inhalt

 

Hole 1

Amerikaner schießen nicht auf Golfer

 

Hole 2

Mit einem Hauch Entsetzen

 

Hole 3

Einputten um jeden Preis

 

Hole 4

Die irdische Komödie

 

Hole 5

Schlage nie den ­Buddhabaum!

 

Hole 6

Die Chicago Gang

 

Hole 7

Der coolste Golfer

 

Hole 8

Nofretete soll sterben

 

Hole 9

Zwölf Bälle

 

Hole 10

Handicap Sex

 

Hole 11

Guerilla trifft Eisbär

 

Hole 12

Und führe mich nicht in ­Versuchung

 

Hole 13

Die Hölle eines anderen ­Planeten

 

Hole 14

Spiel mit Krokodil

 

Hole 15

Brigitte Bardot in ­Marrakesch

 

Hole 16

Spielen Vampire Golf?

 

Hole 17

Der verrückteste Schlag ­aller Zeiten

 

Hole 18

Der plötzliche Tod des ­lachenden Golfers

 

Epilog

Im Paradies

 

Hole 1

 

Amerikaner schießen nicht auf Golfer

 

Kabul Golf Club, Afghanistan

 

»Hier bist du der Hölle näher als anderswo.«

»Oder dem Himmel«, sagt Gott, der aus Prinzip zum Widerspruch neigt. Flüsternd, um die Caddies nicht zu kränken: »Dieser Platz ist das Letzte! Wie bist du nur auf Kabul gekommen?«

»Mich langweilen die perfekten Golfplätze allmählich. Diese geleckten Fairways, feinsandigen Bunker und makellosen Grüns – immer das Gleiche.« Der Teufel deutet auf die staubige Wildnis, die vor ihnen liegt: »Das hier nenne ich eine Herausforderung!«

 

Der Teufel, Gott und vier afghanische Caddies sind auf dem Weg zum neunten Abschlag. Sand, Disteln, Steine, gelegentlich staubige Grasbüschel und armselige Bäume. Ein Highlight des Platzes ist die ausgebombte Armeestellung nach dem 1. Loch. Sie überqueren »Wasserhindernisse«, ausgetrocknete Bewässerungsrinnen, einst angelegt, um den Kabul Golf Course in eine grüne Oase zu verwandeln. Das ist lange her, und dazwischen gab es Kriege, die niemand gewonnen hat. Es gab nur Verlierer.

 

»Worum geht es in dieser Runde, haben wir das schon geklärt?«

Der Teufel, den Gott Luzi nennt, weil sie schon sehr, sehr lange miteinander spielen, flüstert: »Wir spielen um eine Seele, Jevi, so wie immer. Du wirst vergesslich, mein Alter.«

Der Teufel hat Gott den Spitznamen Jevi gegeben, eine läppische Kurzform von Jehova. Luzi und Jevi spielen mit Handicap Null, aber in Kabul können sie dieses Niveau nicht halten, hier liegen sie beide elf über Par. Bis jetzt. Es gibt nur einen, der an diesem Ort perfekt spielen kann: Abdul. Er hat ein sanftes Lächeln und ein fehlerhaftes Gebiss, jedoch einen Golfschwung, der selbst den Teufel das Fürchten lehrt.

Muhammad Afzal Abdul, den alle Abdul nennen, ist Chef-Caddie, Pro, Manager, Green- und Barkeeper in einer Person. Er spielt Handicap Null, vor allem aber kennt er jeden Winkel seines Platzes. Er spielt ihn seit über 40 Jahren – mit Unterbrechungen. Als die Russen Afghanistan okkupierten, kam er ein paar Monate ins Gefängnis, weil sie ihn für einen Spion hielten. Der Golfplatz wurde vorübergehend zum Schlachtfeld. Mit freundlicher Unterstützung der Amerikaner siegten schließlich die Taliban gegen die Russen. Abdul vergrub seine Schläger, weil die neuen Herrscher Golf für westliches Teufelswerk hielten. Es half nichts, er kam trotzdem wieder hinter Gitter. Als sie ihn freiließen, floh er nach Pakistan und schlug sich dort als Taxifahrer durch.

Die Amerikaner vertrieben die Taliban, und das war gut für Golf und Abdul. Er kehrte mit seiner Familie nach Kabul zurück und bekam die Erlaubnis, den Golfplatz wieder zu eröffnen. Eine seiner ersten Taten war, eine Schafherde über den Golfplatz zu treiben. Wegen der Landminen, die die Taliban hinterlassen hatten. Eine Hilfsorganisation, die auf dem Gelände Minensucher ausbildete, übernahm dann die restliche Arbeit. Schrottreife Panzer und anderes Kriegsspielzeug wurden weitgehend beseitigt, doch Abduls Träume von saftigen Fairways und Grüns wollte niemand finanzieren.

 

Der Kabul Golf Course mag wildes Terrain sein, aber er ist sicher. Abdul wird nicht müde, dies zu beteuern. Doch auf Wunsch begleitet ein Bodyguard die Golfrunde. Gott und der Teufel haben darauf verzichtet. Auch wenn sie inkognito unterwegs sind, wollen sie sich nicht wie die üblichen Golftouristen benehmen. Kein Erinnerungsfoto mit einem schwer bewaffneten Afghanen, der grimmig in die Kamera starrt. Obwohl Touristen auf dem Golfplatz die Ausnahme sind. Überwiegend spielen Ausländer, die hier arbeiten, und Soldaten, meist Amerikaner. Das Greenfee liegt zwischen 10 und 20 Dollar, und jeder Spieler benötigt zwei Caddies, weil einer vorauslaufen muss, um den Weg des Golfballs zu verfolgen. Fast unmöglich, ihn im Gestrüpp wiederzufinden, doch die 50 Caddies, die Abdul ausgebildet hat, verfügen über Adleraugen. »Ich mag ihren Blick«, hat Luzi beim 5. Loch gemeint, dem schwierigsten der Runde. »Da liegt bescheuerter Stolz darin, etwas Wildes und Unbezähmbares.« Gott widerspricht ihm nicht, obwohl der stolze Mensch nicht zu seinen Favoriten zählt. Er mag seine Erdlinge lieber eine Spur demütig, und dafür ist das Golfspiel wie geschaffen. Doch er hat mit Luzi von Anfang an vereinbart, nicht über die Politik des Glaubens zu diskutieren. Worum geht es? Um Golf! Darum, dass sie sich die Zeit vertreiben in der doch recht langen Unendlichkeit. Golf ist ein göttliches Spiel. Obwohl Luzi darauf pocht, dass er es erfunden habe.

 

Das 9. Loch ist ein langes Par 3. Theoretisch müsste man mit drei Schlägen einlochen. »Very tricky hole«, sagt Abdul, der eine Stelle sucht, die das Tee durchdringen kann. Der Boden ist hart bis steinig, und kein Tee überlebt mehr als einen Schlag. Gott nimmt sein Fünfer-Eisen und lässt sich die Richtung zeigen, in der das Grün zu vermuten ist. Ali, sein Ballfinder, läuft schon mal los, und der Teufel steht mit verschränkten Armen neben Gott, immer eine Spur zu nahe, um ihn nervös zu machen.

»Was ist, Jevi, peilst du das Hole-in-one an? Macht eine Seele extra.«

»Ist mir doch egal«, sagt Gott. Gegen die teuflischen Psychotricks ist er inzwischen beinahe gefeit. Nach dem Probeschwung und der Ausrichtung konzentriert er sich auf den Ball. Keine Gedanken mehr. Der Körper eines 30-jährigen Athleten vereint sich mit göttlichem Willen. Er zieht hoch, peitscht das Eisen in Richtung Ball und vollendet den Schwung – ein bisschen zu früh, weil er den Kopf zu schnell gehoben hat, um die Fluglinie zu verfolgen. Die Folge ist ein leichter Slice nach rechts in das Gestrüpp. Gott ist fehlerlos, doch als Golfspieler stößt er an Grenzen. Luzi grinst in sich hinein, schweigt aber, um den Alten nicht zu verärgern. Seine Heiligkeit ist kein besonders guter Verlierer. Einmal, vor einer Ewigkeit, hat Jevi nach einem verlorenen Spiel den Golfplatz mit Blitz und Donner heimgesucht und mit Regengüssen geflutet, bis ein See daraus wurde.

»Nice shot«, sagen die Caddies. Der Ball fliegt rund 150 Meter weit, und Ballfinder Ali läuft in Richtung des Gestrüpps.

 

Zabi, der 16-Jährige mit dem einstelligen Handicap, rammt Luzis Tee in den Boden. Er hält dem Boss, wie er ihn nennt, ein Fünfer-Eisen entgegen, doch der Teufel entscheidet sich für das Vierer. Sie liegen gleichauf, er und Gott, und er hat keinen Zweifel daran, dass er am Ende gewinnen wird. Auf diesem Platz in jedem Fall, denn hier kann er die Hölle gleichsam riechen. Sein Terrain. Aus der Ferne sind Schüsse zu hören, der Sound von Schnellfeuergewehren, während er den Ball anspricht. Niemand scheint sich daran zu stören, und Luzi zieht seinen Schwung durch. Der Ball fliegt weit und kerzengerade.

»Very nice shot«, sagen die Caddies, und Luzi lächelt glücklich. Gott wischt sich Schweiß von der Stirn, die menschliche Konfiguration ist eben anfällig. Es dürften so um die 35 Grad sein an diesem Vormittag, die Sonne steht hoch, und Schatten gibt es kaum. Ein Klima, das dem Teufel entgegenkommt, kein Wunder, dass er diesen Ort gewählt hat. Das nächste Spiel wird im Norden Schottlands stattfinden, denkt Gott, mit Wind und Kälte und Regen. Diese Bedingungen mag Luzi gar nicht, und sein Spiel ist durchaus witterungsanfällig.

 

»The second shot is most important«, meint Abdul, während sie in Richtung ihrer Bälle marschieren.

»Jeder Schlag ist wichtig«, korrigiert Gott. Luzi verdreht die Augen, sagt aber nichts. Er nimmt sich eine warme Bierdose von seinem Caddie und trinkt sie durstig leer. Grillen zirpen und Vögel zwitschern. Granaten detonieren irgendwo in den Bergen. Hubschrauber kreisen im strahlend blauen Himmel. Gott sieht nach oben und fragt sich, ob er alles richtig gemacht hat.

Abdul sagt: »Das sind Amerikaner. Die schießen nicht auf Golfer.«

 

Abdul trägt ausgefranste Turnschuhe, und die Caddies Flip-Flops. Es gibt keine Kleiderordnung auf diesem Golfplatz, jeder spielt, wie er kann oder möchte, Soldaten in Uniformen, Frauen mit oder ohne Kopftuch. Gott und Teufel tragen Buschkleidung, Stiefeletten, blaue Golfkappen und randlose Sonnenbrillen. Von Weitem sehen sie sich ziemlich ähnlich.

Kleidung ist kein Thema, doch auf die Einhaltung der Golfregeln legt Abdul großen Wert. Neben den üblichen sind die Sonderplatzregeln zu beachten: Auf dem Fairway darf ein Ball zwei Schlägerlängen rechts oder links gedroppt werden. Man darf ihn aufteen oder auf eine kleine Kunstmatte legen, die die Caddies mit sich tragen. Sandbunker müssen wie überall gespielt werden. Gottes Ball liegt in einem Sandbunker.

»Schwierig, den mit dem zweiten Schlag auf das Grün zu befördern«, meint Luzi.

»Ich weiß«, erwidert Gott, »aber wo ein Glaube ist, da ist auch ein Weg.« Er nimmt sein Achter-Eisen und steigt in den Bunker. Es ist ein tiefer Graben mit grobkörnigem bis steinigem Sand. Das Grün liegt etwa 90 Meter entfernt auf einem Hügel. Was heißt hier Grün? Geölter Sand, dunkelbraun, der vor dem Putten mit einer Matte abgezogen wird. Gott seufzt, doch der Golfer wächst mit der Herausforderung eines schwierigen Schlages. Den Schlägerkopf weit aufmachen, voll durchschwingen! Abdul deutet ihm mit einer Handbewegung an, kraftvoll auszuholen ...

 

Der Sand fliegt auf und versperrt ihm die Sicht. Doch der Schlag schien ihm perfekt.

»Very nice shot«, sagen die Caddies. Abdul reicht ihm ein feuchtes Handtuch und lächelt anerkennend. »On the green and off the green.«

Der Ball ist auf dem Grün gelandet und wieder weggehüpft. Das ist ärgerlich, und den Teufel freut es. Gott wünscht sich, dass Luzi seinen nächsten Schlag komplett versaut. Doch der tut ihm diesen Gefallen nicht. Mit dem Neuner-Eisen befördert er den Ball knapp hinter das sogenannte Grün.

»Very nice shot.« Beide Bälle haben ihr Ziel verfehlt, doch Abdul ist lange genug im Geschäft, um zu sehen, dass er es mit erstklassigen Golfern zu tun hat. In Kabul fragt man nicht unbedingt nach dem Heimatclub oder Handicap, und seine Versuche, etwas über die beiden herauszufinden, sind bisher fehlgeschlagen. Sie benehmen sich schon ein wenig seltsam, weshalb er sich vorstellen könnte, dass sie vom Geheimdienst sind. CIA wahrscheinlich. Touristen sind sie auf keinen Fall. In Afghanistan ist niemand zum Vergnügen, nicht einmal die Einheimischen.

 

Auf dem Weg erzählt Abdul, dass er einmal an den asiatischen Meisterschaften teilgenommen hat. Er durfte Tiger Woods die Hand schütteln! Er habe ihn nach Kabul eingeladen und warte immer noch auf das Wunder seines Erscheinens.

Luzi flüstert in Gottes Ohr: »Abdul braucht ein wenig Magie, warum hilfst du ihm nicht?«

Gott, leise zischend: »Weil Tiger Woods dein Typ ist. Glaubst du, ich mache deine Arbeit?«

Luzifer verzieht das Gesicht. »Ich habe dem Kerl alles gegeben: sagenhaftes Golfspiel und sagenhaften Sex. Und was macht er? Heiratet und produziert Kinder. Das war nicht der Deal, das musste ja in die Hose gehen, ha ha. Die Leute sind zu gierig, das ist das Problem. Deines natürlich!«

 

Abdul meint, dass Wasser das Problem sei. Oder Geld. Der Qargha-See sei ganz nah, und die Bewässerungsanlagen seien bereits vorhanden. Aber es würde ein kleines Vermögen kosten, hier alles wieder zu begrünen. So wie damals. Als Jugendlicher habe er schon auf dem Platz gespielt, den Mohammed Sahir Schah einst anlegen ließ. Ein mäßiger Golfer, aber ein großer Herrscher, der das Land dem Westen öffnete und Frauen das Wahlrecht gab. Sie durften selbstverständlich auch Golf spielen. 1973 wurde der Herrscher gestürzt, und wenig später marschierten die Russen ein. Von da ab sei es stetig bergab gegangen – auch mit dem Golfplatz.

 

Die Caddies stehen vor den Bällen unterhalb des Brauns. Es ragt hoch empor, und die zerzauste Fahne in dem versenkten Becher ist von unten nicht zu sehen. Ein schwieriger Schlag mit dem Sandwedge, doch beide, Gott und der Teufel, meistern ihn souverän. Die Bälle liegen oben, die Bahn wird noch einmal geglättet, dann nimmt Gott seinen Putter, um einzulochen. Das Sand-Öl-Gemisch ist langsam, und er holt für den langen Putt weit aus. Gibt dem Ball eine Chance, doch der rollt knapp vorbei.

»Nice shot«, rufen die Caddies.

»Pech gehabt«, sagt Luzi, dessen Ball näher am Loch liegt. Er kniet auf dem Boden, um die Putt-Linie zu studieren. Zabi steht auf der anderen Seite und zeigt die Richtung an. Luzi folgt seinem Caddie, erwischt die richtige Geschwindigkeit – und locht ein.

»Very nice shot.«

»Verdammt will ich sein, wenn das nicht ein teuflisch guter Putt war!« Luzi lächelt triumphierend, und Gott versucht ein gleichmütiges Lächeln. Der Teufel ist mit seinem Bogey nun einen Schlag besser als er, aber das ist gar nichts in einem Spiel, das noch in die zweite Runde geht. 18 Loch sind vereinbart, dazwischen ein kühles Getränk im Clubhaus. Abdul verscheucht die Ziegen vor der Tür und bedient an der Bar. Die beiden geben eine Runde Cola für die Caddies aus und stellen sich in den Schatten der Mauer. Sie ist voller Einschusslöcher. Jevi trinkt Limonade und Luzi Bier. Im flirrenden Sonnenlicht verschwimmen die Berge am Horizont, Vögel zwitschern. Dann wieder Gewehrsalven.

 

»We need a little peace«, sagt Abdul und meint, dass Afghanistan die größte Golfnation der Welt sein könnte, wenn ...

»Was wird mit dem Golfplatz, wenn die Amis abziehen?« Luzifer weiß, dass die Frage grausam ist. Er könnte sich vorstellen, dass Gott in seiner Allwissenheit das Szenario vorhersieht. Die Taliban kehren zurück, schließen die Schulen und natürlich auch den Golfplatz. Abdul kommt ins Gefängnis oder flieht nach Pakistan.

 

Der Teufel sieht Gott an, der einen Vogel beobachtet. Er liebt all seine Kreaturen, denkt Luzi, aber nichts liebt er so sehr wie Golf. Abdul sieht Luzifer an mit diesem speziellen afghanischen Blick. Stolz und Würde liegen darin, aber auch ein Hauch Wahnsinn. »Inschallah«, sagt Abdul. »Aber jetzt sollten wir weiterspielen.«

 

Als sie nach draußen gehen zum 1. Loch, passieren sie die anderen Caddies, die auf Spieler warten. Kleine und größere Jungs mit abgerissener Kleidung und nummerierten Westen, die sie als Caddies des Golfclubs Kabul ausweisen. Einige üben mit alten Schlägern, andere starren Löcher in den Himmel. Die könnten alle große Golfer werden, denkt Luzifer. Aber wen zum Teufel interessiert das schon.

 

Hole 2

 

Mit einem Hauch Entsetzen

 

St. Andrews Old Course, Schottland

 

Ein arabischer Waffenhändler, der in St. Andrews Golf spielt, muss verrückt sein. Karim ist sich dessen bewusst, aber es war ja auch nicht seine Idee, hier anzutreten. Schwiegersohn Dschamal schlug die gemeinsame Runde vor, nachdem sie sich in London getroffen hatten. Etwas Besonderes sei es, auf dem legendärsten Golfplatz der Welt zu spielen, hatte Dschamal gesagt. Tatsächlich ist das Wetter besonders kühl und windig, und Karim ist überrascht, dass es nicht regnet. Er hasst schlechtes Wetter, weshalb er nur so viel Zeit wie unbedingt nötig in London verbringt. Die Stadt ist gut für Geschäfte, doch das Klima drückt ihm aufs Gemüt. Für die schottische Golfrunde hat er sich angezogen wie für eine Nordpolexpedition. Von der Daunenjacke fühlt er sich eingeengt, auch wenn sie ihn gegen den scharfen Wind schützt, der vom Meer kommt.

 

Karim, der Pünktlichkeit schätzt, wartet auf den Mann, den seine Tochter vor zwei Jahren geheiratet hat. Fadia – die Ritterin – blieb sein einziges Kind, nachdem ihre Mutter früh gestorben war. Sein Augapfel. Fadia wuchs zu einer starken und klugen Frau heran und studierte Physik in Oxford. Eine auffallende Schönheit war sie nie, aber auch kein Mauer­blümchen. Selbstbewusst, fröhlich und liebens­wert, so würde Karim seine Tochter beschreiben. Doch leider traf sie auf Dschamal, den Blender. Er hätte diese Hochzeit verbieten müssen, denkt Karim heute. Andererseits ist Fadia keine Frau, die sich von einem Mann etwas verbieten lässt. Bei allem Respekt für ihren Vater setzte sie fast immer ihren Willen durch. Es gab eine rauschende Hochzeit in London, dem Wohnort des Bräutigams.

Karim besitzt eine Wohnung in London, ein Pent­house in Buenos Aires und eine Strandvilla in Barbados. Er fühlt sich als Weltbürger: Als palästinensischer Flüchtling geboren, arbeitete er als Jugendlicher für die Amerikaner in Beirut, wurde von ihnen nach Afghanistan geschickt und entdeckte dort sein Talent als Handelsreisender. Karim machte sich selbstständig und entschied sich nach reiflicher Überlegung gegen Rauschgift – und für das Waffengeschäft. Ein ebenso einträgliches Gewerbe, und er kannte die richtigen Leute. Russische Militärs zum Beispiel, die das Chaos der politischen Auflösung zur persönlichen Bereicherung nutzten.

 

Waffen werden immer und überall gebraucht. Karim verkauft an alle, die es sich leisten können. Er ist weder ideologisch noch religiös festgelegt, auch wenn er mit Israel nun gerade nicht dealen würde. Sein Ruf in der Branche ist bestens. Er arbeitet zuverlässig, diskret und liefert immer pünktlich. Weshalb er Dschamal schon allein wegen seiner Verspätung erschießen könnte. Der Junge ist nichts wert, das ist die traurige Wahrheit. Hübsch, charmant und charakterlos. Ein Playboy aus reichem Hause, der seine Zeit mit Polo, Golf und ein wenig Kunsthandel verplempert. Karim ist es nach wie vor ein Rätsel, was seine überaus kluge Tochter an diesem Idioten heiratenswert fand. Er kann ihn nicht leiden, auch wenn er immer gute Miene zum bösen Spiel machte. Jetzt allerdings hat sich die Lage geändert.

 

Seine Tochter braucht seine Hilfe. So zumindest hat er ihr Telefonat verstanden. Denn seit Fadia schwanger ist, verlangt ihr Mann von ihr, dass sie traditio­nelle Kleidung trägt. Einen Kaftan, der den Körper gänzlich bedeckt, und als Nächstes sei wohl der Niquab dran, der Gesichtsschleier, hatte Fadia voller Empörung gesagt. Als sie sich weigerte, soll Dschamal ihr beim letzten Streit sogar Prügel angedroht haben.

Fadia hatte am Telefon geweint, was ihrem Vater das Herz brach. »Du musst mit ihm reden, sonst wird es ein schlimmes Ende nehmen. So hast du mich nicht erzogen, Papa!«

 

Nein, hat er nicht. Karim wollte, dass seine Tochter eine berühmte Physikerin wird und den Nobelpreis gewinnt. Arabische Playboys waren in seinen Plänen für Fadia nicht vorgesehen gewesen. Doch als sie miteinander telefonierten, verkniff er sich Bemerkungen wie »Ich hab dir doch gleich gesagt, dass ihr nicht zusammenpasst.« Er hatte seine Tochter getröstet und ihr versprochen, mit Dschamal zu reden. Weshalb er jetzt auf diesem schottischen Golfplatz steht und friert und wartet. Angeblich spielen die schon seit 1552 in diesem rauen Klima, was für einen gewissen Masochismus spricht.

 

Karim ist normalerweise gern auf dem Golfplatz. Es ist ein guter Ort, um Geschäfte zu machen, abhörsicher zu verhandeln und den Körper zu bewegen. Auf sein Handicap 29 gibt er nichts, er hat weder Zeit noch Lust, an Turnieren teilzunehmen, um sich weiter herunter zu spielen. Seine Deals sind kräfteraubend, da muss er sich nicht auch noch auf dem Platz stressen. Und dieser Ort vereint sowohl klimatisch wie auch topografisch so ziemlich alles, was Karim gegen den Strich geht. Inzwischen ist er davon überzeugt, dass sein Schwiegersohn St. Andrews ganz bewusst gewählt hat, um ihn zu quälen.

 

Dass der jetzt auch noch mit zwei Caddies ankommt, findet Karim überflüssig, vermutlich will er, Böses ahnend, Puffer einbauen. Dschamal, der noch nie im Leben richtig gearbeitet hat, nimmt seine Hobbys ernst. Beim Golfen spielt er ein sehr niedriges Handicap, das Karim jedes Mal sofort wieder vergisst, nachdem er es gehört hat. Als ob es irgendeine Bedeutung hätte, mit wie vielen Schlägen man auf 18 Löchern unterwegs ist.

Die Caddies sind klein, alterslos und knorrig und tragen Tweedmützen zu gummierten Regenanzügen. Sie lächeln nicht, und Karim meint, eine Welle von Misstrauen und Abneigung zu spüren. Für Ausländer sehen alle Araber gleich aus – wie Terroristen.

 

»Salam, Vater«, sagt sein Schwiegersohn, der sich für seine Verspätung von zehn Minuten nicht entschuldigt. »Das sind Steve und Pete, unsere Caddies. Ohne sie wären wir hier hoffnungslos verloren.«

Steve und Pete nicken.

»Salam, Dschamal. Da du schon zu spät kommst, sollten wir anfangen.«

Sein Caddie reicht ihm den Driver, einen Ball und ein Tee und sagt etwas, das Karim nicht versteht. Es klingt entfernt nach Englisch, aber Steve oder Pete, die in seinen Augen Zwillinge sein könnten, reden so, als hätten sie den Mund voller Murmeln. Dschamal scheint des Schottischen eher mächtig, er tut zumindest so, als würde er verstehen. Er schlägt als Erster ab auf einer Bahn, die Karim ganz normal vorkommt. Gras, ein schmaler Fluss, über den eine steinerne Brücke führt, und in einiger Entfernung das Grün. Hinter ihnen liegt das Clubhaus, ein abscheulicher alter Kasten. Die Luft schmeckt nach Salz und Heringen.

 

Dschamal locht mit dem vierten Schlag ein, während Karim sechs braucht. Die Caddies sehen nachdenklich aus, sagen wenig und dies weitgehend unverständlich. Der Wind treibt Karim Tränen in die Augen. Dschamal tut so, als ob das Wetter ihm nichts ausmacht. Schottischer als die Schotten! Sein Schwiegersohn erschien ihm immer schon angepasster als jedes Chamäleon. Und jetzt will er, dass seine Frau mit vollständig bedecktem Körper herumläuft? Der Hundesohn war doch nie streng religiös gewesen, das hatte ihm noch am besten an ihm gefallen.

 

Fadia hat sich immer geziemend gekleidet, sie mag Jeans und T-Shirts und Röcke, die an den Knien aufhören. Sie ist ein Kind ihrer Zeit und ihres Umfelds, eine moderne junge Frau, die nach säkularen Werten lebt. Palästina kennt sie nur aus den Nachrichten. Einen Teufel wird seine Tochter tun, sich zu verhüllen, nur weil Dschamal es so will.

 

Sein Caddie raucht trotz des starken Windes und stapft mit der Zigarette im Mund über das harte Gras. Er trägt fingerlose grüne Wollhandschuhe. Am zweiten Abschlag reicht er Karim das Dreier-Holz, nachdem Dschamal einen guten Drive hingelegt hat, um danach eitel zu lächeln. Ich könnte den Kerl umbringen, denkt Karim, aber nicht, weil er so gut Golf spielt. Das ist mir egal.

Er nimmt das Holz mit einem Achselzucken. Der Caddie wird schon wissen, was er tut, und um mit ihm zu diskutieren, müssten sie einander verstehen. Karim schlägt zu flach, aber gerade noch weit genug, um die Büsche zu überwinden, die zwischen ihm und dem Fairway liegen. Das Loch kann er nicht sehen, es muss irgendwo hinter Ginstersträuchern und Erd­buckeln liegen. Das Gelände wellt sich in alle Richtungen, viele harmlos aussehende Bunker zur ­Linken, ein furchterregendes Sandloch zur Rechten.

»Cheapes Bunker«, nuschelt sein Caddie, der seinen Ball gefunden hat und anklagend davorsteht, so kommt es Karim jedenfalls vor.

»Die richtig bösen Bunker haben alle Namen«, erklärt Dschamal.

»Du spielst hier nicht zum ersten Mal, oder?«

Sein Schwiegersohn nickt. »Aber es ist jedes Mal eine Herausforderung. Hier fängt das richtige Golfen an, das ist nichts für Amateure.«

Wie mich, denkt Karim. Für ihn haben Golfplätze aus flachen Rasenteppichen zu bestehen, gesäumt von pudrigsandigen Bunkern und gelegentlichen Wasserhindernissen. Blauer Himmel, Sonne und Windstille. Das sind die Fairways, auf denen er golfspielend Geschäfte macht und dabei auch noch ein gewisses Vergnügen empfindet. Dass Dschamal ihn hierher gelockt hat, verstärkt seine Abneigung nur noch. Vermutlich ahnt er, dass Fadia sich bei ihrem Vater beschwert hat. Wahrscheinlich ahnt er nicht, dass Karim ihn umbringen wird, sollte er es wagen, seine Tochter zu schlagen.

 

Er nimmt das Sechser-Eisen aus der Hand seines Caddies entgegen. Mit dem Sechser-Eisen bleibt er meistens zu kurz. Nicht gerade sein Lieblingsschläger, aber er akzeptiert das Angebot widerspruchslos. Steve oder Pete nuschelt etwas und zeigt mit der Hand nach rechts.

»Rechts anspielen?«

Ein Nicken. Die Andeutung eines zuversichtlichen Lächelns. Karim konzentriert sich auf Ziel und Ball, holt gewaltig aus ... und schlägt in einen der Bunker, die links vor dem Grün aufgereiht sind. Entweder hat er nicht richtig gezielt, oder der Wind hat den Ball verzogen. Innerlich flucht er, doch er lässt sich nichts anmerken. Der Caddie lächelt nicht mehr, in seinem Blick liegt ein stiller Vorwurf, so empfindet es Karim. Ich könnte viel besser spielen als du, aber ich bin ja nur der Gepäckträger und du der Terrorist, das liest er in dem schottischen Blick. Lockerbie fällt ihm ein, das ist ewig her. Er hofft, dass niemand aus dem Umkreis des Caddies bei dem Anschlag umgekommen ist. Er möchte doch tatsächlich, dass dieser blöde Schotte ihn mag. Aber das kann er wohl nur erreichen, wenn er jetzt gut Golf spielt und ihm später ein fürstliches Trinkgeld gibt.

 

Der Schwiegersohn landet mit dem dritten Schlag hinter dem Grün und flucht laut auf Englisch. Sein Caddie sagt etwas, das nach »Shut up« klingt. Karim findet das gut, und Dschamal hält tatsächlich die Klappe und beobachtet mit verschränkten Armen, wie Karim in den Bunker hinabsteigt wie in einen Höllenschlund. Der Caddie hat ihm den Pitch in die Hand gedrückt und ihm bedeutet, dass er den Schlägerkopf sehr weit öffnen muss.

So viel ist ihm auch klar. Die Bunkerwand, die vor ihm aufragt, ist fast so hoch wie er selbst. Gut, er ist nicht groß, aber dieser Bunker ist grauenvoll. Brauner, feuchter, schwerer Sand, den der Wind nicht bewegt. Er hat mal im Fernsehen gesehen, wie sich die Profispieler in St. Andrews aus den Bunkern retten. Auch sie sahen besorgt aus, wenn ihr Ball im Bunker landete, und Karim ist geradezu panisch. Mit voller Kraft drischt er das Eisen durch den Sand auf den Ball, der tatsächlich hochsteigt, gegen die Wand prallt und wieder vor seine Füße tröpfelt.

»Du musst noch weiter aufmachen«, sagt sein Schwiegersohn von oben. Der Caddie murmelt Unverständliches. Er sieht jetzt enttäuscht aus, und Karim fühlt sich schuldig. Zweiter Versuch: voller Schwung. Und tatsächlich fliegt der Ball weit nach oben, über die Steilwand hinweg aufs Fairway, das hofft er jedenfalls.

»Guda«, knödelt der Caddie, bevor er den Sand mit dem Rechen harkt. Am Himmel formieren sich Regenwolken. Dschamal und sein Caddie verschwinden hinter dem Grün in den Büschen, während Karim mit der Neun auf die Fahne zuspielt, so denkt er, bis der Wind seinen hohen Ball fortweht in die Wildnis links vom Grün.

 

»Ne guda.« Steve oder Pete schüttelt den Kopf und lauscht dem Pfeifen des Windes. Karim ist froh, dass auch Dschamal auf Ballsuche ist. Inzwischen schwant ihm, dass es keine gute Idee war, nach Schottland zu fliegen, um seinem Schwiegersohn die Leviten zu lesen. Das hätte er auch in London tun können. Gut, vor dem Rückflug wird er sich mit einem IRA-Mann treffen, um über einen Waffendeal zu reden. Eine recht große Sache, aber nicht ganz ungefährlich, weil er mit diesem Käufer zum ersten Mal zu tun hat. Karim lässt den Gedanken zu, dass es an der Zeit wäre aufzuhören. Er hat genug Geld verdient und es weltweit angelegt. Er wäre jetzt in dem Alter, sich zur Ruhe zu setzen – um dann was zu tun? Golf spielen?

 

Er sieht dem Caddie zu, der durch das Unkraut stochert, um den Ball zu suchen. Auf der anderen Seite sucht sein Kumpel nach Dschamals Ball. Sein Schwiegersohn steht am Rand des Grüns und stützt sich auf seinen Putter. Ungeduldig. Nicht im Traum daran denkend, bei der Ballsuche zu helfen. Diesem Kerl ist alles in den Schoß geflogen, denkt Karim, auch meine Tochter. Selbst wenn sie es nicht ausspricht, weiß der Vater doch, wie unglücklich sie inzwischen mit ihrer Wahl ist.

 

Sein Handy vibriert in der Daunenjacke. Er holt es verstohlen hervor, weil er ahnt, dass sein Caddie keine positive Haltung zu Mobiltelefonen auf dem Golfplatz hat. Aber Steve und Pete sind immer noch mit der Ballsuche beschäftigt. Karim stellt sich mit dem Rücken zu ihnen und liest die Mail, die ihm seine Assistentin geschickt hat. Genau die Information, auf die er gewartet hat. Das Timing ist perfekt. Karim lächelt zum ersten Mal an diesem Tag, während er ein triumphierendes Geräusch aus dem Gestrüpp hört. Der Caddie hat seinen Ball gefunden und winkt beinahe freudig erregt, vermutlich, weil der Ball spielbar ist.

 

Karim umrundet das Grün, und es ist Zufall, dass er im Heidekraut auf etwas tritt, das unter seinen Schuhen knirscht. Er hebt den rechten Fuß und sieht nach unten: Dschamals Ball, das nimmt er zumindest an. Jetzt hat er zwei Möglichkeiten. Er könnte seinen Fund melden. Er könnte aber auch mehr Gewicht auf seinen Fuß legen und den Ball noch tiefer ins Heidekraut drücken. So tief, dass er unsichtbar wird. Für alle Zeiten.

Mit grenzenloser Gleichgültigkeit und einem Hauch Entsetzen tritt er den Ball in die Erde. Händler des Todes müssen sich eine moralische Rüstung zulegen, die den Angriffen des Gewissens standhält. Er bedient nur den Markt, die Welt ist verrückt, und ballernde Kriegshelden wollen einfach nicht aussterben. Wenn er es nicht täte, würde ein anderer damit Geld verdienen. Und Dschamal ist ein eitler Nichtsnutz, der zufällig Golf spielen kann. Aber dieses 2. Loch hat er schon mal vergeigt. Und mit etwas Glück wird er sich darüber so ärgern, dass er auch noch die nächsten Löcher schlecht spielt. Sein Schwiegersohn ist eitel, überheblich und unbeherrscht. Er empfindet keinen Funken Mitleid mit ihm.

 

Karim geht frohen Mutes zu seinem Ball, der sich zwischen Disteln versteckt hat. Sein Caddie reicht ihm das Pitchingwedge, und er schlägt fröhlich drauflos, dreimal, bevor der Ball geruht, sich aus dem Gestrüpp in Richtung Fahne zu bewegen.

Der Schotte stößt gequälte Laute aus und steckt das Wedge verächtlich zurück in die Tasche. Doch Karim sieht nur mit innerem Lächeln zu, wie Dschamal den neuen Ball über das Grün hebt. Er landet knapp vor seinen Füßen. Dem Impuls, noch einmal daraufzutreten, gibt er allerdings nicht nach. Zu viele Zeugen.

 

Sie beenden beide das Loch mit Ergebnissen, die traurig sind. Die Caddies sehen jetzt fast schon besorgt aus. Dschamal ist wütend und behauptet, sein Caddie habe ihm den falschen Schläger gegeben. Er sagt es allerdings so leise, dass dieser es nicht hören kann. Karim beschließt, der richtige Zeitpunkt sei nun gekommen: »Du weißt, weshalb ich dich sprechen wollte?«

Dschamal sieht ihn nicht an: »Ich will nur nicht, dass meine schwangere Frau nackt herumläuft.«

»Nackt? Wir reden hier von Ganzkörperbedeckung und Gesichtsschleier. Du bist doch überhaupt nicht religiös.«

»Doch«, sagt Dschamal, »ich möchte versuchen, ein besserer Mensch zu werden. Im islamischen Kontext.«

St. Andrews

 

Am 14. Loch, das »Ginger Beer« heißt, kehrt Dschamal zu alter Stärke zurück und spielt seinen Schwiegervater in Grund und Boden. Sein Caddie spricht wieder mit ihm. Karim sieht kein zweites Mal, dass Steve und Pete eine Zärtlichkeit austauschen. Er kämpft sich tapfer aus Bunkern und Gestrüpp und erlangt eine gewisse Akzeptanz bei seinem schottischen Schatten. Vielleicht einfach nur dafür, dass er unbewegt und ungebrochen seinen Schläger gegen die tausend Widrigkeiten dieses Platzes schwingt. Dschamal und er reden nicht mehr miteinander, es ist im Prinzip auch alles gesagt.

 

Das 17. Loch ist das »Roadhole«. Man schlägt über ein Hotel blind in Richtung Fahne, die Caddies weisen die Richtung. Als das geschafft ist, bleibt der Schlag auf das Grün, das auf der einen Seite von einer Schotterstraße begrenzt wird, und auf der anderen von einem furchterregenden Potbunker.

Dass er dort landet, war Karim schon vorher klar. Sein Ball wird von Bunkern geradezu magisch angezogen. Er kann nur hoffen, dass sein Caddie das Zählen und Aufschreiben längst aufgegeben hat. Und wieder steigt er hinab in die Hölle und schwingt furchtlos nach oben, trifft zu wenig Sand, hebt den Ball aber immerhin aus dem Bunker über das Grün.

Dschamal liegt weit von der Fahne und braucht drei Putts, um einzulochen. Doch er scheint sich wieder unter Kontrolle zu haben, kein Fluchen mehr. Er sieht nachdenklich aus, denkt Karim und hofft, dass Dschamal sich richtig entscheidet. Die Millionen sind ihm egal, sie sind so leicht zu verdienen. Noch ein schöner Chip, dann liegt er unweit der Fahne und locht ein.

 

Das 18. Loch ist die Gegenspielbahn zum 1. Loch. Es erscheint einfach, gerade, ohne Bunker. Karim schlägt sich tapfer mit einem Doppelbogey, während Dschamal ein Par spielt. Sein Caddie lobt ihn, während Karims schottischer Schatten etwas murmelt, das nach »mutigem Golfspiel« klingt. Karim hofft, dass die zwei Fünfziger zumindest ein Lächeln auf sein Gesicht zaubern werden, und ja, er hat recht. Ein Lächeln wie aus einer Reklame für schottischen Whisky. Selbst die Augen strahlen. Ob Steve und Pete miteinander verheiratet sind?

Dschamal gibt seinem Caddie nur einen Fünfziger. Noch ein schottisches Lächeln, aber sparsamer. Karim schüttelt Dschamals Hand, wie es nach dem Spiel üblich ist. »Gut gespielt. Hast du dich entschieden?«

Sie gehen vom Grün weg in Richtung des Clubhauses. »Ich möchte das Geld auf ein Konto in Luxemburg«, sagt Dschamal.

»Kein Problem. Ein Viertel jetzt und der Rest am Tag der Scheidung.« Karim klopft seinem Ex-Schwiegersohn auf die Schulter. »Es war nett, mit dir zu spielen. Dieser Platz hat mich wahrhaft Demut gelehrt.«

Dschamal sagt nichts, doch in seinem Blick liest Karim, dass Abscheu und Gier sich die Waage halten. Steve und Pete sind schon weit voraus. Man hört sie lachen. Aus Spott vielleicht über schlechte Golfer mit zu viel Geld. Oder einfach, weil sie glücklich sind.