Zum Geleit

Wie ein Mann auf den Hund kommt? Ich darf doch voraussetzen, dass die Antwort jedermann bekannt ist: Schnaps und Weiber. –

Aber wie kommt ein Mann auf den Mops? Die nachfolgenden Erzählungen sollen helfen das Rätsel zu lösen. –

Eines Mannes Weg zum Mops ist lang und tückisch. Ihn erfolgreich zurückzulegen bedarf mehr als nur des Schnapses und der Weiber! Diesen Weg zurückzulegen, der immer aufs Neue von unerwarteten Hindernissen versperrt scheint, bedarf es zahlreicher, wohlmeinender Helfer und glückhafter Zufälle.

Die Helfer, die mich auf diesem Weg begleitet und mir zur Seite gestanden haben, hat es allesamt tatsächlich gegeben, so wie ich sie beschrieben habe, in ihrer nicht selten skurrilen Individualität. Ihre Namen habe ich mit Ausnahme von Miss Hunter-Rutherford allerdings verändert, eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Erfindung und Wirklichkeit beobachtend, da oft der Name allein schon eine karikierende Gestaltung unterstreicht, wenn auch die bildhaften Schilderungen der Realität verhaftet bleiben.

Arthur Conan Doyles Hund, jenem phosphoreszierenden Untier derer ›von Baskerville‹, und John Keats´ anmutiger ›Madeleine‹ vom ›St. Agnes-Abend‹ – jener ›Madeleine‹ mit ihren vom ›warmen Rot des Mondlichts übergossenen holden Brüsten‹ – diesen beiden Gestalten bin ich selbstredend nicht in Fleisch und Blut begegnet, vermochte mir aber beide – dank der literarischen Kunstfertigkeit ihrer genialen Schöpfer – lebhaft und beseelt vorzustellen.


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Rudolf II. von Scherenberg

In einer engen, der Zerstörung durch Bomben und Feuersbrunst im Frühjahr 1945 weitgehend entgangenen Gasse des alten Würzburgs fand sich ein denkwürdiges Zoogeschäft. Es hatte zwei große Schaufenster, in denen allerlei Bedarf zur Haustierhaltung ausgestellt war. Halsbänder, Flohbänder, Zeckenbänder oder Kauknochen für Hunde und Trockenfutter für Zierfische, aber auch Kämme aus Metall und aus echtem Schildpatt, Bürsten aus Draht- und Naturborsten, Katzenkörbchen, Fressnäpfe sowie ein spezielles Körnerfutter für Sittiche zur Vorbeugung gegen den Kropf der Schilddrüse, denen diese Vögel offenbar hin und wieder anheimzufallen drohten. All dies wurde den lernbegierigen Passanten und potentiellen Käufern auf schmucklose Weise, auf eine geradezu nüchterne, auf eine jeder romantischen Verbrämung ermangelnde Weise dargeboten. Ein Sammelsurium an sowohl erfreulich-nutzvollen wie auch an lächerlich-unnötigen Dingen war da zu bestaunen, und zwar ohne jedes erkennbare, ordnende Prinzip. Gerade aber die wahllose Vielfalt und die kuriose Abwechslung machten das Studium der Auslagen so ungemein unterhaltsam; vorausgesetzt natürlich, man war Privatier und verfügte über genügend müßige Zeit, sich solcher Langeweile und sich einem solchen in gewisser Weise sinnlosen Tun hinzugeben. Zwei Schaufenster rechts und links neben der Türe also hatte dieses denkwürdige Zoofachgeschäft, in denen die bereits aufgezählten nützlichen und unnützen Dinge und dergleichen mehr den gelegentlich Vorbeieilenden zur gefälligen Anschauung dargebracht wurden; dargebracht wurden ohne jeden Zweifel mit dem Vorsatz und in der Hoffnung, dass vielleicht der eine oder der andere der Passanten sich gelegentlich versucht fühlen möge, zu verweilen und – im günstigsten Falle! – sich zu einem Kauf bequemen möge. Darüber hinaus waren die Exponate zur Belehrung des geneigten Tierhalters mit außerordentlich lehrreichen Hinweisschildern – mit in der Tat außerordentlich beachtenswerten Hinweisschildern! – und mit höchst aufschlussreichen Erklärungen überaus reichlich versehen. Die Beschriftung der Schildchen war allerdings, bedauerlicherweise in unschöner Manier vom Sonnenlicht gebleicht, oft bis an die Grenze zur Unleserlichkeit verblasst; ein wirklich beklagenswerter, ein in der Tat äußerst bedenklicher Zustand, der von gar manchem der potentiellen wissbegierigen Kunden zutiefst bedauert wurde. Angesichts derartig fesselnder Details mochte der Betrachter, der sich die Zeit nahm vor den Schaufenstern ein wenig zu verweilen – sei es zur Erholung von Pressthaftigkeit und Atmnot infolge einer altersbedingten Herzschwäche, sei es aus tatsächlichem Interesse an Tierhaltung – ein solcher Betrachter also mochte durchaus die Fliegen von der Spezies ›Stubenfliege‹ übersehen; jene Kadaver von der Spezies ›Musca domestica‹, will sagen von der Art der ›gemeinen Stubenfliege‹, die leblos auf den untersten Borden hinter den Schaufensterscheiben lagen, da sie bereits vor längerer Zeit ihr ohnehin bescheidenes und klägliches Leben ausgehaucht hatten. Ein heißes, trockenes Klima hinter den sonnenerwärmten Glasscheiben im Inneren der Schaufenstergehäuse – gewissermaßen ein äußerst trockenes, heißes und dem Leben unzuträgliches Wüstenklima in diesen abgesonderten, vernach-lässigten Biotopen – war leider unbedingt geeignet, besagte Fliegen einer raschen Vergänglichkeit und Mumifizierung zu überantworten.

Über der Ladentüre ragte ein kleines Schild aus buntem Glas in die Gasse hinaus. Es lud die Fußgänger zum Eintreten in das Zoogeschäft ein, die allerdings nicht allzu oft ihren Weg über das unbequeme Kopfsteinpflaster des betagten Gässchens nahmen. Das Schild fiel eigentlich kaum auf und dürfte an hellen Tagen nur unzulänglich seinem Werbezweck genügt haben. Unübersehbar aber wurde der von innen beleuchtete Glaskasten, wenn schlechtes Wetter die Gasse verdunkelte, wenn winters die Dämmerung frühzeitig hereinbrach oder die Nacht über Giebel und Türme der altehrwürdigen Barockstadt am Main herniedersank. Dann nämlich kam die elektrische Beleuchtung des kleinen Lichtkastens voll zur Geltung und führte diesen mehr als zur Zufriedenheit der Geschäftseigentümer seiner eigentlichen Bestimmung zu. Ein Nymphensittich mit roten Bäckchen, mit gelbem Körper wie Eidotter und mit grasgrünen, langen Schwanzfedern erstrahlte dann von dem in seinen Eingeweiden erleuchteten Lichtkasten das Gässchen hinauf und hinab. Unter dem farbenprächtigen Vogel las man – ebenfalls in Lettern von golden strahlendem Dottergelb! – die barocken Schriftzüge ›Vogel Peter‹. Ohne Zweifel waren wohl Vögel die bevorzugten Lieblinge und deren Bedürfnisse die Einnahmequellen, die das Unternehmen zu tragen vermochten. Als allen Würzburgern bestens bekannte Seele und als Seniorchef des Geschäftes firmierte der bereits in die Jahre gekommene Zoofachhändler Peter Rohrdommel, assistiert von Gattin und Sohn, die beide den Gang des Geschäftes nach Kräften zu unterstützten suchten.

Zwar hielt man im hinteren Teil eines vom eigentlichen Ladengeschäft abgetrennten, jedoch durchaus zugänglichen, größeren Raumes in einem Verschlag – der in der Tat an nebeneinander und übereinander gesetzte Hasenställe erinnern mochte – zwar hielt man in diesem Verschlag tatsächlich Kaninchen, vergesellschaftet mit Meerschweinchen zu deren Gesunderhaltung, und hin und wieder auch ein oder mehrere Kätzchen oder Hündchen. Jedoch war dieses bescheidene Domizil der Säugetiere nichts im Vergleich mit den benachbarten, überaus komfortablen und prächtigen Käfigen und Volieren, in denen Papageien vom Schlag der ›Amazonen‹ mit blauen oder gelben Stirnen ihre Mark und Bein erschütternden Urwaldschreie krächzten und absolut nicht sprechen wollten, ganz im Gegensatz zu den Graupapageien, die allerlei Stimmen und Geräusche – sogar das Klingeln der Türe und das Rasseln der Ladenkasse! – auf das Erstaunlichste zu imitieren gelernt hatten. Andere, wenngleich bescheidenere Volieren waren dazu ausersehen, ganze Völkerschaften von unentwegt plappernden, piepsenden und ihre Schnäbel an den hölzernen Sitzstangen und an den metallenen Käfigstäben wetzenden Wellensittichen und Nymphensittichen zu beherbergen. Diese Vögel bezauberten die Besucher durch ihr Federkleid, das in allen nur erdenklichen blauen, gelben und grünen Farbtönen schillerte, und durch ihre weißen, schwarz gepunkteten Kröpfe. Diese Kehlsäcke vermochten die Tierchen unablässig und ohne erkennbare Veranlassung in ihrer Größe zu verändern. Es war lustig anzusehen, wie sich beim Aufblasen der Kehlsäcke die kleinen Federn wie Schuppen abspreizten, und wie sie sich beim Abschwellen wieder wie die Ziegel eines Daches den Kröpfen glatt anlegten. In zierlichen, kleinen Käfigen erglühten im roten Licht wärmender Lampen, abgeschirmt von einer ihnen unbekömmlichen Zugluft, exotische Prachtfinken und Gouldamadinen in den abwegigsten Farben aller nur vorstellbarer Edelsteine.

Der konkurrenzlose Star dieser Vogelwelt war ein alter, ausgemusterter Kakadu mit immer noch prächtigem, schneeweißem Gefieder. Gerade diese Sehenswürdigkeit füllte die Räume der Zoohandlung ›Vogel Peter‹ stets mit nicht unbedingt zum Kaufe aufgelegten Schaulustigen, darunter so manchem gelangweilten Rentier, der eben einmal so zum Zeitvertreib durch die Gasse spazierte und diese erbauliche Promenade zum Anlass nahm, bei dem durchaus liebenswerten Herrn Rohrdommel senior – eben beim ›Vogel Peter‹ – eine kurze, unterhaltsame, belustigende Rast einzulegen und ein erbauliches Schwätzchen zu halten.

Dieser gewitzte Kakadu nämlich verfügte über die unglaubliche Fähigkeit, aus seinem Scheitel einen zitronengelben Federwisch zu aller Welt Erstaunen unerwartet und ruckartig keck empor zu spreizen. Nicht selten begleitete der Vogel dieses Schauspiel mit leisen, gurrenden oder knurrenden Lauten von jener Art, wie sie Hühner gerne von sich zu geben, wenn sie sich schläfrig einem warmen Sandbad im Sonnenschein überlassen. Allerdings konnte man dieses Kunststückes, das schier an Zauberei grenzen mochte, nur dann ansichtig werden, wenn sich der seltsame Vogel durch eine nicht näher zu bestimmende Laune oder auch durch eine meist von den ihn bestaunenden Besuchern nicht nachvollziehbare Gemütserregung verführt sah, seinem Aberwitz auf diese charmante Weise Ausdruck zu verleihen.

Mehr noch als durch dieses Kunststück aber fühlten sich die Besucher durch des Kakadus geradezu erstaunliches Repertoire an verunglimpfenden und übelwollenden Sprüchen angezogen; Sprüche, wie sie einem wohlerzogenen Vogel eigentlich nicht hätten zugestanden werden dürfen, vornehmlich dann nicht, wenn dieser Vogel sich als ein gesellschaftsfähiges, gut erzogenes Haustier erweisen wollte und die Vorteile in Anspruch zu nehmen gedachte, die mit einem solchen Status einhergingen.

So war dem Kakadu, ungeachtet seiner genialen Lernfähigkeit und seines exzellenten Gedächtnisses, sein zum Bösen, zur Häme und zur Schadenfreude neigender Charakter zum Verhängnis geworden. Infolge dieser genialen, wenngleich abartigen Veranlagung des Vogels, die in der Tat geeignet war allgemeines Ärgernis zu erregen, hatte man sich in ›höheren Kreisen‹ zum Schutze der eigenen, durchaus berechtigten Belange gehalten gesehen, die ungewöhnliche Karriere des Sprachartisten auf öffentlicher Bühne gewaltsam zu beenden. Folgerichtig also hatte man sich entschieden, den Kakadu beim ›Vogel Peter‹ in Gewahrsam nehmen zu lassen; etwa so, als hätte man den zur unerträglichen Last gewordenen Vogel in eine Pfandleihe gegeben. Hoffte man doch, dass eine mitleidige, allerdings mit einem durchaus strapazierfähigen Nervensystem ausgestattete Menschenseele vielleicht über kurz oder lang sich des Kakadus zu erbarmen wüsste und sich herbeilassen würde, den Bedauernswerten, in fatal-vorbestimmter Weise von seinem selbst verschuldeten Schicksal Geschlagenen und sodann von seinen Opfern schwer Gedemütigten auszulösen.

Als jene ›höheren Kreise‹, die man eines solch beklagenswerten, wenngleich nachvollziehbaren Vorgehens bezichtigen durfte, wie solches hinsichtlich des weiteren Schicksals des Kakadus beschlossen ward und diesen schließlich hart getroffen hatte, war ein Doktor der Veterinärmedizin auszumachen. Und als jene ›öffentliche Bühne‹, auf der sich unliebsam zu produzieren dem Vogel ein für alle Mal ein Riegel vorgeschoben werden musste, war das Wartezimmer der Kleintierpraxis jenes besagten Tierarztes im Zentrum der Innenstadt auszumachen, die von allerlei Getier nebst dessen Haltern reichlich frequentiert wurde. Und der Grund, die Karriere dieses Vogels

– die sich übrigens zunächst als ungewöhnlich erfreulich und attraktiv angelassen hatte – der Grund also, diese Karriere des Kakadus seitens des Doktors der Veterinärmedizin als beendet anzusehen, war schließlich ein Schwund an tierischen Hilfesuchenden und deren menschlichen Begleitern gewesen, der außerordentlich rasch um sich zu greifen und das weitere Gedeihen der Praxis zu gefährden drohte. Wohl weniger die Heilungssuchenden selbst, wohl aber deren Halter und Begleiter nämlich fühlten sich durch die wirklich unangebrachten und jedermann verletzenden verbalen Ausfälligkeiten des Kakadus zutiefst verletzt und verhöhnt; Ausfälligkeiten, wie sie dem Vogel böswillige Menschen gelehrt hatten oder wie er sie – gelehrig wie ein Kakadu nun eben einmal zu sein hat! – gesprächsweise im Wartezimmer oder, zu Anfang seiner Karriere, im Behandlungszimmer, wohl aber auch im Kreise der Familie des Tierarztes so ›en passant‹ aufzuschnappen vermocht hatte. Kurz, der Stein des Anstoßes waren Sprüche wie: »edzed kümmd die Verrückde scho widder mid den aale Klebber …«, oder etwa: »der had eh feddich, den könne mer bloß noch eischläffern … feddich … eischläffern, eischläffern, eischläffern …« – schließlich verstand sich der Vogel zu jedermanns Erstaunen und zum allgemeinen Gaudium in der Tat auf derlei Äußerungen sogar im Würzburger Dialekt! – Wenn der Kakadu aber besonders bösartig aufgelegt war, dann schrie er auch schon einmal in der unverkennbaren Stimmfärbung seines ehemaligen, damals schwer genervten Arbeitgebers oder seines derzeitigen Pensionsvaters: »ich wääs goa ned … feddich … wie ofd soll ichs ihne dänn noch sooch … ich ned … ofd … gähe se endlich hemm un lassendse doch ihre aale Katz ... feddich ... endlich in Friede starb …«, oder, wenn es ganz schlimm kam: »wann ich die scho mid dan räuidiche Voachel säh …«, oder auch: »Herr God nochemol, ... feddich ... edzed halle se doch endlich dan Sauhund fesd ... edzed … feddich … oder ich leech beide von euch üm … edzed … feddich …«



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In Anbetracht solcher, die Frequentation und die Existenz einer Kleintierpraxis durchaus gefährdender Ausfälligkeiten war dem Tierarzt letztendlich kaum eine andere Wahl geblieben, als sich von dem Stifter solchen Ärgernisses zu trennen. So hatte man sich entschieden, die Freuden und den Spaß, den ein solch gelehriges Tier vor anderem, geeigneterem Publikum und an einem anderen, weniger sensiblen Ort durchaus zu bereiten wusste, einem privaten Tierliebhaber zukommen zu lassen und die Vermittlung solcher Unterkunft der Zoohandlung des mit Vögeln aller Art äußerst erfahrenen Herrn Rohrdommel senior zu überlassen. Beim ›Vogel Peter‹ jedenfalls hatte jedermann seine Freude an dem einzigartigen Repertoire des bildschönen Kakadus; zudem der geduldige und tierverständige Herr Rohrdommel senior sich gelegentlich veranlasst fühlte, den Übermut des jauchzenden Publikums zu dämpfen und die oft jeder biologischen Kenntnis widersprechenden Mutmaßungen über den intellektuellen Zusammenhang der vom Vogel geäußerten Unflätigkeiten zu korrigieren: »… liewe Leud, dar wäß doch ned, was dar schmarrd …«, gab der Zoofachhändler dann zu bedenken, gelegentlich aber auch, und sogar hin und wieder völlig zu Recht: » … dar is schlauer aals Euereins … un aach schlauer aals Unnereins … des willsd mer glebb! … Wolle se wiss, was dar gäsdern erschd zu meiner Fraa gsochd hod?: ›mid derre koasde kei Ehr mehr eigelääch un kää Staad mehr gemoch, bei dan schüddere Fell, das die Fraa hod …‹, stelle sie sich des doch ämol vor. Aals mänd mer doch, dar wäs doch zu gedenk … dar Voachel …«, gab Herr Rohrdommel senior dann verhalten sein Urteil ab; nicht aber ohne sich vorher über den aktuellen Standort seiner Gattin orientiert zu haben. In der Regel sah diese sich während der ornithologischen Erklärungen ihres Gatten genötigt – zum vernünftigen Fortgang der Geschäfte, versteht sich! – am Ladentisch sich angelegentlich mit einem Geflügelhalter belehrend und animierend zu unterhalten. Zum Beispiel über Gipseier zur Anregung der Eiabgabe bei unwilligen Legehennen vom Schlage der ›Rodeländer‹ oder der ›Weißen Leghorn‹, oder auch über eine neue, vorteilhafte Streumischung für ein hygienisch vorbildlich eingerichtetes Katzenklo, oder über eine zuverlässige Vorbeugung vor Zeckenbefall, oder über eine biologische Kur zur Entwurmung von Hundewelpen.

Von gar manchem Besucher wurde im Nachhinein allerdings aufs Bestimmteste bestritten, dass der Vogel jemals besagte Unverschämtheit bezüglich des Fellzustandes der Seniorchefin geäußert habe. –

Im vorderen Ladenraum herrschte eine wohltuende Stille, gemessen an dem schrillen Urwaldkreischen, dem Geschnattere, dem Gepiepse und dem Plappern der Papageienvögel im hinteren Gelass des Geschäftes. Diese Stille rührte im Wesentlichen daher, dass der von der Türe aus rechts liegende Teil des Geschäftes der Aquaristik gewidmet war. Fische sind in der Regel nun eben einmal stumm, sieht man von den sogenannten ›knurrenden‹ Guramis ab.

Für diese Abteilung der Zoohandlung zeichnete der Sohn des Ehepaares Rohrdommel verantwortlich. Dieser war einer modernen Technologie eher zugeneigt als der Seniorchef, welcher es in der Vogelhaltung bei seiner langjährigen Erfahrung und einigen hausbackenen Vorkehrungen durchaus bewendet sein ließ. Zur erfolgreichen Pflege hochempfindlicher Zierfische und dekorativer Pflanzen in den Schauaquarien allerdings, die als nachahmenswerte Beispiele exotisch-üppiger Naturjuwele der Tropen die Kauflust zum Erwerb derartig exquisiter Einrichtungen anreizen sollten, war mit derlei simplen Hilfsmitteln, wie solche dem Seniorchef bei der Pflege seiner Vögel genügen mochten, kein zufriedenstellender und dauerhafter Erfolg einzufahren. In solch ungemein störanfälligen Biotopen – nicht zu vergleichen mit einem simplen Vogelkäfig, versteht sich! – in solch ungemein störanfälligen Biotopen also konnte auf minutiös regulierte Bodenheizung, auf Filterung, auf Kohlendioxidzugabe, auf genaue Einhaltung der Wasserhärte, auf Kontrolle des Säurebasengleichgewichtes, auf Bestimmung des Nitrit- und Nitratgehaltes im Wasser, auf das rechte Beleuchtungsspektrum und auf Kohlendioxid-Düngung für üppigen und bekömmlichen Wasserpflanzenwuchs, auf die genaueste Regulierung der Wassertemperatur und auf eine das im Wasser gelöste Bikarbonat keinesfalls austreibende, milde Durchströmung mittels einer Turbelle unter keinen denkbaren Umständen verzichtet werden.

Anders natürlich stand es um die kleinen Sammelbecken der zum Verkauf bestimmten Fischlein an der Wand gegenüber der Eingangstüre, die sich allerdings demgemäß auch nicht durch eine Üppigkeit an beneidenswert tropischem Pflanzenwuchs auszeichneten, der jenem in den technisch hochgerüsteten Schauaquarien auch nur in etwa vergleichbar gewesen wäre. Das waren die kahlen, geschäftsmäßigen und zum Käscherfang höchst geeigneten Hälterungsbehältnisse der roten Platys und der schwarzen Mollys, der Guppys, der Schwertträger, der echten und unechten Neonsalmler, der Trauermantelsalmer, der Blutsalmler, der Keilfleckbarben, der stillen blauschillernden Mondfadenfische, der Segelflosser und allerlei anderer Massenware. Hier mussten einfache, zugleich mit den Luftpumpen betriebene Filter mit Schaumstoffpatronen an den Ansaugrohren und simple Stabheizungen den bescheidenen Ansprüchen genügen. Die sich in den Schauaquarien tummelnden Rotkopfsalmler und Kongosalmler, vornehmlich aber die türkisblauen und roten, wie Bierdeckel geformten Diskusbuntbarsche hätten einen solchen, mit durchaus hausbackenen Mitteln unzureichend und instabil kontrollierten Lebensraum unweigerlich mit ihrem baldigen Ableben quittiert, vergleichbar den ›muscae domesticae‹ im heißen, trockenen, lebensfeindlichen Wüstenklima der Schaufenstergehäuse.

In der Nähe des Durchganges vom Reich der hochentwickelten Aquaristik in den technisch zu vernachlässigenden Raum der Volieren stand – einer unüberwindlichen Barriere gleich – ein mit widerstandsfähigem Linoleum belegter Ladentisch. Solcher Belag war unabdingbar, da keinesfalls abzusehen war, ob etwa ein Häslein, ein Hündlein oder auch ein Vöglein nicht würde umhin können, bei dem unvermeidbaren und für das Tierchen stets mit einem erheblichen Stress behafteten Wechsel des Besitzers ein unliebsames Souvenir in fester oder auch in flüssiger Konsistenz zurückzulassen. –

»… des moch mer gleich wäch! …«, kommentierte Herr Rohrdommel senior dann in der Regel einen solch leidigen, wenn auch unvermeidbaren Zwischenfall.

Dieser Ladentisch nun konnte als das Zentrum des gesamten Unternehmens gelten, zumal an seinem linken Ende – betrachtete man die Szenerie von Seiten des Käufers aus – eine gewaltige und hoch aufragende Ladenkasse aufgebaut war, die ohne jeden Zweifel aus der ›Gründerzeit‹ stammen musste. Dies konnte mit hinlänglicher Sicherheit gefolgert werden, wenn man des reichlichen, bronzenen Zierrates ansichtig wurde; eines Zierrates mit allerlei floralen Girlanden, mit fantasievollen Arabesken und mit einer halbnackten, geharnischten Frauenfigur nach dem Vorbild einer ›Germania‹ als Krönung des gesamten, zum Behufe einer Registrierkasse zweckentfremdeten Kunstwerkes.

Hinter dieser kulturellen Sehenswürdigkeit hatte Frau Rohrdommel senior ihren Wirkungskreis, den sie autark verwaltete und den sie gegen unangebrachte Störungen nachhaltig zu verteidigen wusste, wie sich solche hin und wieder aus den tierpflegerischen Tätigkeiten ihres Gatten oder aus den feuchtglitschigen Eingriffen ihres Sohnes ergaben. Abgrundtief verhasst zum Beispiel war Frau Rohrdommel, wenn Herr Rohrdommel junior einen noch tropfenden Plastikbeutel neben ihrer hochkünstlerisch ausgestalteten, antiken Registrierkasse deponierte, da solch Beutel mit seinem Inhalt an allerlei Fischlein, Mulch und Pflanzenresten nicht nur äußerst unappetitlich anzusehen war, sondern mit den Kieselsteinchen, die seiner feuchten Außenhaut noch anhafteten, auf dem Ladentisch – vornehmlich in engster Nachbarschaft zu einer dermaßen hochkünstlerisch konzipierten und realisierten antiken Registrierkasse – in der Tat als störender Fremdkörper betrachtet werden durfte. Herr Rohrdommel junior deponierte derartige Beutel allerdings nur dann zu Seiten der Registrierkasse auf dem Ladentisch, wenn er diese Beutel – übrigens zum Fischtransport höchst geeigneten Behältnisse – mit Atemluft aus seinem Mund prall aufzublasen und sodann unter Zuhilfenahme eines Kuponrings aus Gummi beneidenswert geschickt zu verschließen gewusst hatte. Frau Rohrdommel senior konnte solchen Falles allerdings nie umhin voller Sorge zu bemerken: »Ich sehe noch mal kommen, dass du den Typhus oder die Ruhr bekommst … du wirst schon noch sehen …« Im Gegensatz zu ihrem Gatten und zu ihrem Sohn befleißigte sich die Seniorchefin einer durchaus tadellosen und hochdeutschen Diktion. Sie vermied sorgsam in den an sich liebenswerteren und kundenfreundlicheren Würzburger Dialekt zu verfallen. Überhaupt stach Frau Rohrdommel senior wohlgefällig vom Exterieur der anderen im Geschäft tätigen Familienmitglieder ab. War sie doch stets exquisit gekleidet und bevorzugte pastellfarbene Cardigans, dekoriert mit einer um ihren etwas fülligen Hals doppelt geschlungenen Zuchtperlenkette. Auch war sie stets aufs Sorgsamste frisiert, wobei ihre kastanienbraun gefärbte Haarpracht in einem über den kleinen Ohren gewaltig ausladenden Kranz nach oben gerafft war, um sich in einem großen, runden, nestartigen Dutt auf der Mitte ihres Scheitels zu versammeln. In Anbetracht des Alters der Seniorchefin allerdings durfte durchaus strittig bleiben, ob dieses Haargebilde als ein der Trägerin wirklich zugehöriger Körperteil oder aber als ein prothesenartiger Fremdkörper eingestuft werden musste; als ein Prothesenteil, das zum Beispiel vom natürlichen Kopfschmuck einer fernöstlichen Schönheit gewonnen worden war. Sei es wie es wolle: kein Zweifel konnte an der offensichtlichen Tatsache angemeldet werden, dass eine derartige Frisur – die in der Tat an ein Storchennest zu erinnern vermochte – für die Seniorchefin eines Zoofachgeschäftes mehr als angemessen war; insbesondere für die Seniorchefin eines alteingesessenen Zoofachgeschäftes, das sich befleißigt sah unter dem Logon ›Vogel Peter‹ zu firmieren. –

Herr Rohrdommel senior allerdings war tagein und tagaus nur in einem grauen Arbeitskittel wahrzunehmen. Er hatte einen im Vergleich zu seiner eher kleinen Statur ungewöhnlich großen, runden Kopf mit einem spärlichen Kranz grauer Haare. Sein Gesicht war außerordentlich fleischig und von einer auffallend gesunden, roten Färbung. Böse Zungen wussten zu behaupten, dieser rötliche Teint habe seine Ursache nicht etwa in den von Ammoniak gesättigten Ausdünstungen der Vogelexkremente, sondern sei dem Genuss edler Tropfen wie etwa dem ›Würzburger Stein‹, dem ›Würzburger Leisten‹ oder vielleicht auch dem ›Randersackerer Teufelskeller‹ anzulasten. Sei dem wie es wolle: Herrn Rohrdommels Antlitz war jedenfalls – ungeachtet der Rötung – ob der Wahrnehmung seiner verantwortungsvollen Aufgabe und seines unablässigen Einsatzes zum Erhalt der ihm überantworteten Vögel stets mit einem feinperligen Schweiße bedeckt, der sich auch auf den runden Gläsern seiner Nickelbrille als feuchter Belag niederschlug.

Der Sohn des Ehepaares Rohrdommel hingegen entbehrte jeglicher Eigenheit, die sich als beschreibenswert hätte erkennen lassen; es sei denn, man fühlte die ungehörige Versuchung, sich über eine geradezu unglaubliche, in seinem noch jugendlichem Alter bereits abzeichnende, lächerliche Ähnlichkeit mit seinem Vater lustig zu machen. –

In diesem besagten Zoofachgeschäft ›Vogel Peter‹ nun waren neben jenem berüchtigten Kakadu allerdings noch zwei weitere Attraktionen zu bestaunen, allerdings nur während der Öffnungszeiten des Geschäftes; und selbst dann nicht immer, sondern nur, wenn eine unabdingbare Vorrausetzung für die Zurschaustellung dieser bei Jung und Alt außerordentlich beliebten und ungeheurer possierlichen Tierchen gegeben war.

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Diese Voraussetzung war, dass die Seniorchefin nicht etwa nur ›in effigie‹, sondern tatsächlich ›in corpore‹ im Geschäft zugegen war und sich in die Lage versetzt sah, ihres für den ungestörten Gang der Geschäfte unverzichtbaren Amtes an der kolossalen Registrierkasse hinter dem Ladentisch zu walten. Eine Voraussetzung also, die gottlob täglich gegeben war, sah man von den an den Fingern einer Hand abzuzählenden Tagen im Jahreskreis ab, an denen Frau Rohrdommel senior sich verhindert sah, das Geschäft mit ihrer Anwesenheit zu bereichern. Eine derlei wirklich nur außerordentlich selten eintretende Gegebenheit war zum Beispiel, wenn ein Termin bei ihrer ›coiffeuse‹ zur Ausbesserung der storchennestähnlichen, kunstvollen Frisur wahrgenommen werden musste; eine Notwendigkeit, die allerdings als nicht durchaus privates Vergnügen angesehen werden durfte, war doch die untadelige Haartracht der Seniorchefin aufs Engste mit dem guten Ruf des Unternehmens verknüpft! Ein solcher Tag der Abwesenheit von Frau Rohrdommel senior aber galt bei der Stammkundschaft des Zoofachgeschäftes als ›schwarzer Tag‹, da dieser Ausnahmezustand die Abwesenheit von ›Cercie‹ und von ›Rudolf II.‹ zwingend zur Folge hatte. –

›Cercie‹ war der Kosename eines Äffchens, das dem Stamme der ›Blaumaulmeerkatzen‹ angehörte. Der Kosename ›Cercie‹ leitete sich von der lateinischen Bezeichnung ›Cercopitecus cephus‹ dieser Spezies her. Blaumaulmeerkatzen zählen zu den sogenannten ›Schöngesichtigen Meerkatzen‹; und tatsächlich hatte Cercie ein außerordentlich interessantes, wenn auch nach menschlichen Maßstäben nicht unbedingt schönes Antlitz. Um die kleinen, runden Äuglein und auf der breiten Nase war die haarlose Haut von einer eigenartig hellblauen Färbung, während Stirne und Mundpartie von einem schwarzen, die Wangen aber von einem weißen und zitronengelben Fell bekleidet waren. Auch der Schnurrbart, der Hals und die Bauchpartie des kleinen Äffchens waren weiß. Ansonsten war das Fell des Tierchens von einer rotbraunen Färbung, bis auf den Rücken und die Gliedmaßen. Rücken und Gliedmaßen machten einen recht unansehnlichen Eindruck, da deren Behaarung von einem schmutzigen Grau, wohingegen der rumpfnahe Teil des erstaunlich langen und dünnen Schwanzes von einer ungemein attraktiven roten Färbung war.

Auf Nachfragen interessierter Kunden oder auch nur neugieriger Passanten wusste Frau Rohrdommel senior zu berichten, Cercie gehöre zu den ›Primaten‹, also zu den ›Menschenaffen‹. Zudem sei sie ungemein glücklich darüber, dass Cercie eine Affendame und kein Affenmann sei. Dass Cercie weiblichen Geschlechtes sei könne man leicht und zuverlässig daran erkennen, dass das Tierchen gottlob nicht von den perversen und abstoßenden, wenngleich höchst interessanten Attributen der männlichen Tiere mancher dieser Arten verunstaltet würde: nämlich von »jenen leuchtend blauen Hoden und von jenem abartig roten Penis«. – Attribute, die ihr, Frau Rohrdommel, schon nimmer den Eindruck einer abartigen, einer förmlich krankhaften Veranlagung dieser männlichen Tiere vermittelt hätten – eine Annahme, die natürlich nicht für jedermann verpflichtend sei, versteht sich! – Weiterhin wusste die beneidenswerte Halterin der Affendame zu berichten, dass Cercie außerordentlich lebhaft und – wie übrigens alle ihre Artgenossen – geradezu von einer unglaublichen, fast von einer menschlichen Neugierde sei, ansonsten aber als äußerst umgänglich und anspruchslos bezeichnet werden dürfe. Diese Neugierde sei auch der Grund dafür – so fühlte Frau Rohrdommel senior zu bekennen sich verpflichtet – dass Cercie, die in der Regel zur Linken der Seniorchefin am Rande des Ladentisches hockte, mit einem zierlichen Halsband und mit einem zartgliedrigen Kettchen an ihren angestammten Standort angebunden bleiben müsse. Sie verschaffe sich aber als Ausgleich für diese bedauernswerte Einschränkung ihrer Freiheit ausreichend Bewegung mit ihrem Schwanz, wie man sehen könne. Und tatsächlich vermochte das Äffchen mit dem Ende dieses Körperteils in unablässiger Folge die seltsamsten Haken und Kringel zu formen, ja sogar mit ihrem Schwanz nach diesem oder jenem Gegenstand und sogar nach Kleidung und Taschen der Besucher zu greifen. Mit nach Hause nehmen allerdings könne sie Cercie nicht – sah sich Frau Rohrdommel senior zuzugeben gehalten – das sei völlig ausgeschlossen, schließlich seien doch Meerkatzen nicht ›stubenrein‹ zu erziehen. – Nein, wenn sie selbst nicht im Geschäft sein und hinter dem Ladentisch stehen könne – und auch nachts – dann müsse Cercie mit ihrem geräumigen und wirklich bequem eingerichteten Käfig vorlieb nehmen, hinten, wo es warm sei – bei den Vögeln – und bei ihrem Gatten. –

Nicht nur die schöngesichtige Blaumaulmeerkatzenäffin Cercie – »… nein, gewiss nicht! …« – auch ›Rudolf II.‹ – so wusste Frau Rohrdommel senior stolz der interessierten Kundschaft zu berichten – auch ihr privater Mops, jener gewisse ›Rudolf II.‹ eben – sei nicht etwa ein ›gewöhnlicher‹ Mops. Nein, keinesfalls: Rudolf II. sei ein ›steingrauer, altdeutscher‹ Mops! Ein heutzutage leider nur noch äußerst selten anzutreffender Mopsschlag, wie sein Frauchen – allein von der Bezeichnung ›steingrauer, altdeutscher Mops‹ schon außerordentlich angetan – zu erklären wusste. Rudolf II. habe den typischen, unverzichtbaren ›Aalstreifen‹ auf seinem Rücken, habe den ›Posthorn-Ringelschwanz‹, habe desgleichen die ansonsten in Übereinstimmung mit dem Rassestandard zu fordernden Abzeichen, wie etwa die schwarzen Wärzchen auf beiden Wangen, wie etwa die kleinen, von einem schwarzen, seidigen Fell gezierten Hängeöhrchen, die jedoch keinesfalls wie die als ›Rosenohren‹ zu bezeichnenden Ohren der Englischen Bulldogge geformt sein dürften, und vor allem habe Rudolf II. einen gedrungen, wenngleich muskelkräftigen Rumpf mit breiter Brust und mit unverzichtbar geraden Vorderläufen. –

Rudolf des Zweiten Stammplatz war auf dem Ladentisch neben dem barocken Prachtstück der Registrierkasse. Dort saß Rudolf II. unbewegt wie eine Statue in der unverwechselbaren Haltung aller ›steingrauen, altdeutschen Möpse‹ – übrigens in der Haltung aller Möpse, auch ganz ›gewöhnlicher‹ Möpse, darf bemerkt werden: nämlich mit lässig und nach Art von Trommelschlegeln zur Seite nebeneinander gelegten Hinterbeinen, auf deren einem Schenkel – mit einer seiner wohlgerundeten Pobacken sitzend – er sich durchaus bequem einzurichten wusste, während er seinen Oberkörper mit einer breiten, dennoch aber kielförmig anmutenden Brust kerzengerade aufgerichtet hielt und mit seinen geradezu unglaublich dünnen, staksigen und in der Tat – wie von der kundigen Seniorchefin des Zoogeschäftes gefordert – unglaublich geraden Vorderbeinchen abstützte.

Einen erschütternden Gegensatz zu dieser höchst lächerlichen Figur bildete das Gesicht des Hündchens. Rudolf II. hatte, im Gegensatz zu seinem steingrauen Fell, ein Gesicht wie aus schwarzem Samt. In seine flache Stirne waren tiefe Querfalten nebst einigen unregelmäßig verlaufenden Runzeln eingegraben. Die Falten und die offenbar schwermütige Miene waren geeignet den unabweisbaren Eindruck hervorzurufen, der arme Hund könne nicht umhin, die Kümmernisse und die Sorgen der ganzen Welt mit sich herumzutragen und sich dieser schweren Last und hohen moralischen Verantwortung durchaus bewusst zu sein. Die Nase von Rudolf dem Zweiten war lackschwarz, mit nach vorne gerichteten Nasenlöchern, und klein und platt; dennoch war dieses Näschen durchaus bemerkenswert ausgebildet, wie sich eine solche Nase, sollte diese ihrer Aufgabe als brauchbarer Teil gesunder Atemwege gerecht werden können, für einen ›altdeutschen‹ Mops gehörte. Neben seinem ›steingrauen‹ Fell mache also die Nase Rudolf II. eben zu einem ›altdeutschen‹ Mops; zu einem in der Tat ›frei atmenden‹ Mops, wie Frau Rohrdommel senior nicht müde wurde hervorzuheben. Eine eigentliche Schnauze, wie sie einem Hund normalerweise gut anstehen würde, ließ sich bei Rudolf dem Zweiten allerdings keinesfalls ausmachen. Vielmehr hatte Rudolf II. eine Art breites und flaches, froschähnliches Maul, gerade eben noch bedeckt von zwei Lefzen, die zahlreiche runzelähnliche Querfalten und in mehreren Reihen angeordnete kleine Wärzchen aufwiesen, aus denen einzeln stehende, lange und schwarze Tasthaare erwuchsen. Neben dem ›Froschmaul‹ füllten zwei wohlgerundete Bäckchen den Raum zwischen Ohren und Hals aus, auf denen zwei Warzen wie schwarz geschminkte Punkte dem Mopsgesicht etwas Clownartiges verliehen. Überhaupt darf angemerkt werden, dass das gesamte Erscheinungsbild des Mopses etwas durchaus Lächerliches, etwas Clownähnliches an sich hatte, sieht man von dem accéssoire eines kleinen, wie zu einer Spule geringelten Schwanzes ab – ein accéssoire, das eher einem Schweinchen zugeordnet werden mochte. –


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Beim Anblick von Rudolf dem Zweiten erinnerte ich mich des Mopses, dem ich vor etwa neun Jahren als Austauschschüler in England begegnet war. Der Mops hieß Bruno, sah Rudolf dem Zweiten täuschend ähnlich, nur war Brunos Fell nicht steingrau, sondern mehr beigefarben. Bruno war nun eben einmal kein echter ›altdeutscher steingrauer‹ Mops; Bruno war ein ›pinkfarbener‹ oder ›aprikotfarbener‹ Mops, eben ein echter ›englischer‹ Mops, wie solche Möpse ›Ihre weiland Majestät Queen Victoria‹ bevorzugt hatte. – Leider war Bruno an verschiedenen Körperteilen von etwa münzgroßen, kahlen und dunkleren Stellen verunziert gewesen, die nach Angaben seines Frauchens von einer Pilzerkrankung der Haut herrührten. Das aber hatte ganz gewiss nichts mit seinen englischen Wurzeln zu tun! Ich war Bruno wiederholt begegnet, wenn er seinem Frauchen – einem älteren Fräulein namens Ms. Hunter-Rutherford – bei Spaziergängen am Nordseestrand von Cleethorpes in Lincolnshire unverzagt bei Wind und Wetter Gesellschaft leistete.