WESTEND

Ebook Edition

JENS BERGER

Wem gehört
Deutschland?

Die wahren Machthaber
und das Märchen
vom Volksvermögen

WESTEND

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Publisher

ISBN 978-3-86489-547-0
3. Auflage 2014
© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2014
Satz: Publikations Atelier, Dreieich
Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany

Inhalt

Wem gehört Deutschland?

1 Man sieht nur die im Dunkeln, die im Lichte sieht man nicht: Probleme der Vermögensstatistiken

Armut

Was ist Vermögen?

Reichtum, die große Unbekannte

SOEP: Hoffnungsschimmer mit methodischen Schwächen

PHF-Studie der Bundesbank: detailreiche Ergänzung mit Scheuklappen

Äpfel und Birnen: Über die Vergleichbarkeit von Vermögensstudien

2 Wie viel Reichtum können wir uns leisten? Schattenseiten des Reichtums

Gemessene Ungleichheit

Welche Relevanz haben diese Zahlen?

Umverteilung von unten nach oben

Umverteilung politisch gefördert und gewollt

3 Im Geldspeicher von Dagobert Duck: unser Geldvermögen

Große Geldvermögen: die große Unbekannte

Eine Million Millionäre

4 Millionen kleine Kapitalisten: unsere Altersvorsorge

Privatisierung gegen jede ökonomische Vernunft

Lebensversicherungen: ein Produkt mit Tradition und Problemen

Willkommen in der Niedrigzinsära

Private Krankenversicherung: Patient mit unsicherer Prognose

Riester: Rettungsprogramm für die Versicherungsbranche

Faustischer Pakt

5 Unser Oma ihr klein Häuschen: unsere Immobilien

Wem gehört das Haus?

Mythos vom Volkseigentum

Angriff der Heuschrecken

Wohnraum und Umverteilung

Wer hat, dem wird gegeben: Immobilienkauf und Umverteilung

6 Land der viereinhalb Millionen Unternehmer: unsere Kleinunternehmer und Mittelständler

Mythos Mittelstand

Großkonzerne beherrschen die Wirtschaf

Standortdebatte, Lohnentwicklung und Strukturwandel

7 Ende der Deutschland AG: unser Betriebsvermögen

Traum vom Volkskapitalismus durch Aktien

Willkommen in der Deutschland AG

Entdeckung des Shareholder-Values

Abwicklung der Deutschland AG

Showdown des Finanzkapitals

1 300 Unternehmen regieren die Welt

8 BlackRock und Co.: das globalisierte Finanzkapital

Schöne neue Finanzwelt

Goldgräberstimmung an den Börsen

BlackRock betritt die Bühne

Versuch, Risiken messbar zu machen

Gigant ohne Agenda

Wem gehört BlackRock, wem die großen Banken?

9 Armut GmbH & Co. KG: unsere prekären Selbstständigen

Der Strukturwandel schlägt zu

Boom der Solo-Selbstständigkeit

Wenn die Sozialversicherung zum Luxus wird

Prekäre Selbstständigkeit ist politisch gewollt

Wenn Freiheit eine andere Bedeutung bekommt

10 Wer hat, dem wird gegeben: unsere Sparer und Erben

Von Tellerwäschern und Millionären

Kann man sich ein Vermögen zusammensparen?

Zinseffekt: oft ignoriert und noch öfter überschätzt

Wem gehört Deutschland statistisch gesehen?

Erbschaften in Billionenhöhe

11 Uns gehört Deutschland: Deutschlands Vermögende

Die Billigheimer

Die Profiteure

Die Dividendenkönige

Die Kriegsgewinnler

Die Spendierfreudigen

Die Medienbarone

Die Finanzmogule

Die Rüstungsmagnaten, Wurstkönige und Hühnerbarone

Die Heiler

Uns gehört Deutschland

12 Sozialismus für Reiche: warum die Vermögensschere sich weiter öffnet

Als die Vermögenden zur Kasse gebeten wurden

Geburt der Sozialen Marktwirtschaft

Ende der Sozialen Marktwirtschaft

UmFAIRteilen: 16 Punkte für einen Weg zu einer gerechten und stabilen Gesellschaft

Beginn einer ernsthaften statistischen Erhebung der Vermögen der Wohlhabenden

Wiedereinführung einer Vermögenssteuer und vielleicht auch einer einmaligen Vermögensabgabe

Rücknahme aller Steuersenkungen und Steuererleichterungen seit 1998

Einführung einer Millionärssteuer von 75 Prozent

Abschaffung der Sonderregelungen bei der Erbschaftssteuer

Einführung einer Steuerpflicht auf die weltweiten Einkünfte

Einführung einer wirksamen Finanztransaktionssteuer

Abschaffung von Steuerschlupflöchern

Verschärfung des Stiftungsrechts

Rücknahme der Umsatzsteuererhöhung von 2007

Rücknahme der Hartz-Reformen

Einführung eines Mindestlohns von 10 Euro und politische Flankierung zur Steigerung der Lohnquote

Ausweitung der staatlichen Eigenheimförderung und Einführung einer wirksamen Mietpreisbremse

Verbesserung der schulischen und universitären Ausbildung und bessere Förderung von armen Kindern und Jugendlichen

Sofortiges Ende der Privatisierungspolitik

Stärkung der gesetzlichen Rente, sofortiges Ende der Zuschüsse für Riester- und Rürup-Rente und Rückabwicklung der privaten Krankenversicherung

UmFAIRteilen ist alternativlos

Anmerkungen

Wem gehört Deutschland?

Wen interessiert es, wem Deutschland gehört? Spielt es überhaupt eine Rolle, dass es reiche und arme Menschen gibt? Entscheidend ist doch, wie es uns persönlich geht. Und wenn wir mit unserem Geld ordentlich über die Runde kommen, stört es uns nicht sonderlich, dass es eine kleine, überaus wohlhabende Elite gibt, die ihren Reichtum von Jahr zu Jahr ausbaut. So oder so ähnlich argumentieren viele brave Bürger, die mit sich selbst und ihrem Leben im Reinen sind und die Verteilungsfrage vor allem für eine Neiddebatte halten.

Mit Neid, der ja bekanntlich eine der sieben Todsünden ist, hat die Verteilungsfrage aber nichts zu tun. Frei von Neid darf man jedem Menschen seinen Reichtum gönnen. Eine derartige Spreizung der Vermögensschere, wie wir sie in Deutschland im letzten Jahrzehnt beobachten mussten, ist jedoch nicht ohne eine Umverteilung von unten nach oben denkbar.

Reicher Mann und armer Mann

standen da und sahn sich an.

Und der Arme sagte bleich:

Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.

So einfach, wie Bertolt Brecht es sich in seinem 1934 veröffentlichten Gedicht »Alfabet« vorstellt, ist der Zusammenhang zwischen Armut und Reichtum freilich nicht. Definiert man beide ganz einfach als statistische Abweichung, bedingt natürlich der Reichtum die Armut und umgekehrt. Dann würde auch die gerne von neoliberalen Kommentatoren genutzte Anekdote zutreffen, nach der ein Vermögenszuwachs der Wohlhabenden automatisch die (statistische) Armut erhöht und daher das Gerede von Armut ohnehin fehl am Platze sei. Schließlich sei ein deutscher Armer immer noch wohlhabender als ein armer Afrikaner – wobei Letzteres ohnehin nicht ganz stimmt, da niemand einem armen Afrikaner einen Kredit gibt, durch den er mehr Schulden als Vermögen aufbauen kann. Brecht als Kronzeugen des Neoliberalismus heranzuziehen, wäre aber nicht nur unfair, sondern auch töricht. Denn unterm Strich hat er durchaus recht, wenn er einen Zusammenhang zwischen Armut und Reichtum herstellt.

Die 85 reichsten Menschen der Welt besitzen genau so viel wie die ärmsten 3,5 Milliarden Menschen zusammen.1 Ein Prozent der Weltbevölkerung verfügt über ein Vermögen von 80 Billionen Euro, das sind 80 000 Milliarden oder auch 80 Millionen Millionen – eine unvorstellbar große Zahl. Das ist 65-mal so viel, wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung besitzt. Seit ökonomische Kennzahlen erhoben werden, war der Abstand zwischen Arm und Reich noch nie so groß wie heute.

Was für die Welt gilt, gilt in besonderem Maße auch für Deutschland. Aktuelle Studien führender Wirtschaftsforschungsinstitute zeigen, dass die Vermögensschere in keinem anderen Euro-Land so weit auseinanderklafft wie in Deutschland: Wo es großen Reichtum gibt, gibt es meist auch große Armut. In der deutschen Nachkriegsgeschichte war beides vergleichsweise selten anzutreffen, heute gehören Reichtum und Armut zur gesellschaftlichen Normalität. Wir haben offenbar akzeptiert, dass im ökonomischen Bereich Darwins Lehre vom Überleben des Fittesten wieder ihre Geltung hat: fressen oder gefressen werden.

Es ist so, als befänden wir uns bei einem Ringkampf zwischen einer Ameise und einem Löwen und seien dabei selbst die Ameise. Nur sehr selten hat das Vermögen einer Person etwas mit ihrer wie auch immer definierten Leistungsfähigkeit zu tun. Vermögen werden in Deutschland in der Regel nicht erarbeitet oder gar zusammengespart, sondern ererbt. Der Unterschied zwischen Arm und Reich entscheidet sich also meist beim Spermalotto. In einer Gesellschaft, die in ihren Sonntagsreden stets viel Wert auf Chancengleichheit legt, ist dies ein seltsam anmutender Anachronismus.

Umso erstaunlicher ist das weitverbreitete Desinteresse am Thema Vermögensverteilung. Hohe Vermögen schweben schließlich nicht im luftleeren Raum. Vermögen bedeutet stets auch Macht: Wer Vermögen besitzt, hält auch den Hebel in der Hand, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen und die politische Debatte zu lenken. Dafür sorgen nicht zuletzt die zahlreichen Denkfabriken, die auffällig oft von Familienstiftungen der Superreichen finanziert werden. Interessant ist auch, dass der im vergangenen Jahr vorgestellte jüngste »Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung« so ziemlich alles über Armut zusammenträgt, aber natürlich nichts Qualitatives über die Reichtumsverhältnisse in Deutschland. Auch aus diesem Grunde wurde dieses Buch geschrieben: Diese wichtige und offen klaffende Informationslücke muss geschlossen werden.

Die Spreizung der Vermögensschere ist nicht vom Himmel gefallen – im Gegenteil: Diese Entwicklung ist in der Bundesrepublik vergleichsweise neu. Bis Mitte der 1990er Jahre haben sich die Vermögen der Bundesbürger sogar immer weiter angeglichen. Erst seitdem öffnet sich die Vermögensschere mit ungeahnter Geschwindigkeit. Verantwortlich dafür sind vor allem sogenannte Reformen der Politik. Mit einem bunten Reigen an Steuersenkungen und -vereinfachungen wurde die Fiskallast der Vermögenden systematisch heruntergeschraubt, während der Rest der Bevölkerung durch höhere Steuern zusätzlich belastet wurde. Seit 1997 verzichtet die Politik sogar freiwillig auf die Erhebung der Vermögenssteuer, die das deutsche Recht vorsieht.

Arbeitsmarktreformen haben dafür gesorgt, dass ein Großteil der Bevölkerung immer weniger frei verfügbares Einkommen hat, mit dem er ein eigenes Vermögen aufbauen kann. Privatisierungen der öffentlichen Sozialsysteme haben dazu geführt, dass selbst die vorhandenen Ersparnisse der Bevölkerung zunehmend in Finanzprodukte gelenkt werden, von denen vor allem die Anbieter dieser Produkte profitieren.

Diese Entwicklung war vorauszusehen – ja, sie war geplant. Die folgenden Kapitel zeigen, wie weit sie bereits geht, an welchen Stellen sich die Vermögensschere besonders stark öffnet und welche Auswirkungen dies auf unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem hat. Wir suchen auch Antworten auf Fragen wie: Wie konnte es so weit kommen, welche Akteure haben ein Interesse an einer Spreizung der Vermögensschere, und warum hat die Politik sich nicht ausreichend zur Wehr gesetzt? Wem gehört Deutschland? Wem gehören die Immobilien, wem die Unternehmen, und wem gehört eigentlich die Deutsche Bank? Warum erhalten Sparer heute kaum noch Zinsen für ihre Ersparnisse, und warum scheint dies nicht für die Wohlhabenden zu gelten, deren Vermögen trotz Finanzkrise nach wie vor ungebremst wächst?

Die Beantwortung all dieser Fragen ist keinesfalls so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Deutschland weiß zwar fast alles über seine Armen, die statistisch gründlich durchleuchtet werden, über seine Reichen wissen wir jedoch so gut wie nichts. Die Behörden erfassen keine statistischen Daten zum Reichtum, sämtliche Daten zu Vermögensverhältnissen sind Verschlusssache. Wer sich diesen Fragen nähern will, muss schon Detektivarbeit leisten und sich durch Studien und Daten fressen, die der Öffentlichkeit oft nicht bekannt sind.

Ziel dieses Buches ist es, die Debatte über die Vermögensverteilung anzuregen und gleichzeitig zahlreiche Zahlen, Daten und Zusammenhänge verständlich aufzubereiten. Diese Debatte ist längst überfällig. Bei der faktisch vorhandenen Vermögensungleichverteilung handelt es sich um weit mehr als ein reines Gerechtigkeitsproblem. Die Marktwirtschaft, wie wir sie kennen, steuert mit steigender Ungleichverteilung bedrohlich auf die nächste Krise zu. Die Finanzmärkte neigen ohnehin zur Instabilität, eine weitere Ungleichverteilung könnte hier desaströse Verwerfungen hervorrufen. Es steht also einiges auf dem Spiel, das weit über den informativen Charakter, wem denn nun Deutschland gehört, hinausgeht.

1 Man sieht nur die im Dunkeln,
die im Lichte sieht man nicht:
Probleme der Vermögensstatistiken

Wie misst man überhaupt Reichtum? Was ist Vermögen? Diese Fragen mögen vielleicht profan klingen, haben aber einen spannenden Kern: Was ist überhaupt Reichtum, was ist Vermögen? Nur die wenigsten von uns können auf die Frage »Wie hoch ist Ihr Vermögen?« aus dem Stegreif eine Antwort geben. Und das liegt sicher nicht daran, dass wir alle so fürchterlich reich sind und den Überblick über unser Hab und Gut verloren haben. Vermögen und Reichtum sind nun einmal etwas Abstraktes – schwierig zu definieren und zu messen.

Wussten Sie schon?

Das Gesamtvermögen der reichsten 10 Prozent der deutschen Haushalte beträgt durchschnittlich fast 1,2 Millionen Euro pro Person, während die ärmsten 20 Prozent mit 4 000 Euro in den Miesen sind.

Die 500 reichsten Deutschen verfügen über ein Vermögen von insgesamt fast 530 Milliarden Euro.

Armut

Während der Vermögensbegriff trotz unterschiedlicher Definition immer noch greifbar ist und man sich mit ein wenig gutem Willen auf eine Definition einigen könnte, ist die Bezeichnung Reichtum vollends schwammig. Erstaunlicherweise hat sogar die Wissenschaft Schwierigkeiten mit der Definition von Reichtum. Es gibt nämlich überhaupt keine allseits anerkannte Definition – während das Gegenteil, nämlich Armut, relativ klar umrissen ist. Hierfür gibt es gleich mehrere Gründe. Zum einen ist Armut nicht über das Vermögen der betreffenden Personen definiert: Wer arm ist, verfügt in der Regel über kein nennenswertes Vermögen; umgekehrt muss eine Person ohne nennenswertes Vermögen jedoch nicht zwingend arm sein. Wer beispielsweise über ein fürstliches Einkommen verfügt und das komplette Geld auf den Kopf haut, ohne sich davon irgendwelche Vermögenswerte zu kaufen, hat ebenfalls kein messbares Vermögen, gehört jedoch auch nicht zu den Armen der Gesellschaft.

Aus diesem Grund ist der Begriff Armut über das Einkommen definiert. In den Industriestaaten geht es dabei vorwiegend um die sogenannte »relative Armut«. Maßstab ist hier der Median des Nettoäquivalenzeinkommens. Das klingt kompliziert und ist es auch. Schauen wir uns also an, wie sich dieses Nettoäquivalenzeinkommen und der Median bestimmen:

Für das Äquivalenzeinkommen wird das Nettoeinkommen eines Haushalts durch die Summe der »Bedarfsgewichte« der Haushaltsmitglieder geteilt: Die erste erwachsene Person bekommt das Gewicht 1, weitere Erwachsene und Kinder ab 14 Jahren erhalten das Gewicht 0,5, Kinder unter 14 Jahren das Gewicht 0,3. Eine Familie mit zwei Kindern unter 14 hat also das »Bedarfsgewicht« 2,1. Wenn das Einkommen dieser Familie bei 3 600 Euro netto pro Monat liegt, beträgt das Nettoäquivalenzeinkommen 1 714 Euro.

Der Median ist der Zentralwert, der sich bei einer Datenreihe genau in der Mitte befindet. Das heißt beim Einkommen, dass die eine Hälfte der Bevölkerung mehr, die andere Hälfte weniger Einkommen zur Verfügung hat. Für das Jahr 2011 betrug der Median des Nettoäquivalenzeinkommens in Deutschland 1 587 Euro pro Monat. Unsere Familie aus dem Rechenbeispiel liegt also etwas über dem Median und gehört damit nicht zu den armen Familien.

Art

Median und Durchschnitt

Die EU definiert Armut nach folgenden Kriterien:

weniger als 70 Prozent des Nettoäquivalenzeinkommens: armutsgefährdet in sozialen Risikosituationen;

weniger als 60 Prozent: armutsgefährdet;

weniger als 50 Prozent: relativ einkommensarm;

weniger als 40 Prozent: arm.

Die Welthandelsorganisation (WHO) und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben die Armutsgrenze mit 50 Prozent etwas höher definiert.

Nach diesem Maßstab wäre unsere Familie mit den zwei kleinen Kindern also ab einem Haushaltseinkommen von weniger als 1 666 Euro arm. Bezöge diese Familie Hartz IV, stünden ihr laut Regelsatz 1 228 Euro zu. Armut ist in Deutschland demnach vom Gesetzgeber durchaus akzeptiert. So ist es kein Wunder, dass in Deutschland fast jeder sechste Haushalt als armutsgefährdet gilt, bei den Haushalten mit Erwerbslosen sogar fast 70 Prozent.

Was ist Vermögen?

Wir wollen eine Ahnung davon bekommen, wem Deutschland gehört. Dafür müssen wir uns mit Fragen der Vermögensverteilung beschäftigen – und das heißt: Wir müssen zunächst einmal festlegen, was der Begriff Vermögen überhaupt bedeutet. Der Duden definiert Vermögen als »gesamten Besitz, der einen materiellen Wert darstellt« und trifft damit mit wenigen Worten den Kern. Leider haben jedoch nicht alle Statistiker und Ökonomen den Duden gelesen, und daher sind die kursierenden Vermögensstatistiken leider meist nicht miteinander vergleichbar, da jeder Statistik eine andere Definition zugrunde liegt.

In unseren Köpfen schwirrt wohl immer noch Onkel Dagoberts Geldspeicher herum. Kein Wunder, dass in der Umgangssprache Vermögen sehr oft mit dem Geldvermögen verwechselt wird. Doch dieses spielt bei der Aufstellung des Gesamtvermögens zwar eine wichtige, aber keinesfalls eine dominante Rolle. Sortiert man die Bewohner Deutschlands nach ihrem Vermögen, entdeckt man: Besonders bei den ärmeren Bevölkerungsschichten macht das Geldvermögen, vor allem also Girokonten oder Sparbücher, neben dem Auto den größten Vermögensposten aus. Je wohlhabender Menschen sind, desto wichtiger wird in der persönlichen Vermögensaufstellung die selbstgenutzte Immobilie. Erst bei den oberen 10 Prozent der Vermögensskala, also den Wohlhabenden, kommen auch nicht selbstgenutzte Immobilien und Betriebsvermögen auf einen ähnlich hohen Wert in der Vermögensbilanz.

Bevölkerungsgruppen sortiert nach Nettovermögen
0–20 Prozent 20–40 Prozent 40–60 Prozent 60–80 Prozent 80–90 Prozent 90–100 Prozent
Girokonten 595 1 802 2950 3 680 5 470 10 740
Sparkonten 651 4 610 13 337 21 565 40 537 55 431
Bausparverträge 222 897 2 550 3 450 5 773 7 802
Lebensversicherungen 580 1 882 7 435 12 602 19 124 41 418
Fondsanteile 512 409 3 471 4 493 7 545 28 324
Aktien 113 818 1 058 4 649 20 916
Renten (verzinste Anleihen) 374 1 312 3 238 19 587
Zertifikate 127 258 326 3 438
Sonstige Finanzvermögen 35 125 393 615 2 026 8 262
Geldschulden gg. Haushalte 139 561 1 171 1 004 1 899 4 931
Geldvermögen 2 374 10 398 32 626 50 036 90 585 200 848
Selbstgenutzte Immobilien 4 261 3 672 30 342 118 500 212 970 369 496
Sonstige Immobilien 2 670 888 7 462 19 891 48 089 346 829
Immobilienvermögen 6 931 4 560 37 804 138 391 261 059 716 325
Betriebsvermögen 1 064 4 057 14 579 306 748
Fahrzeuge 1 053 4 223 8 134 10 674 15 488 31 372
Bruttovermögen* 10 358 19 180 79 628 203 159 381 711 1 255 292
Hypothekenkredite -9 118 -4 069 -24 827 -31 205 -34 765 -64 518
Unbesicherte Kredite -5 291 -1 946 -3 072 -1 765 -4 764 -4 174
Nettovermögen** -4 051 13 166 51 729 170 189 342 181 1 186 600

Aufteilung des Vermögens in Deutschland 2013:1 Die Daten bilden jeweils den bedingten Mittelwert des Quantils unter Berücksichtigung der Prävalenzrate ab.

* Bruttovermögen = Geldvermögen + Immobilienvermögen + Betriebsvermögen + Fahrzeuge

** Nettovermögen = Bruttovermögen – Hypothekenkredite – unbesicherte Kredite

Wenn der Duden von »materiellen Werten« spricht, so lässt dies Fragen offen. Niemand wird daran zweifeln, dass ein Haus oder ein (vollkommen abgezahltes) Auto materiell ist und einen Wert besitzt. Welchen Wert diese materiellen Gegenstände haben, ist jedoch eine Frage der Interpretation. Anders als in den Naturwissenschaften, in denen jeder Wert eine klar definierte physikalische Größe ist, gibt es in den Wirtschaftswissenschaften zahlreiche verschiedene Vorstellungen, was der Wert einer Sache eigentlich ist:

Die klassischen Ökonomen definierten den Wert anhand der Arbeitszeit, die notwendig ist, um eine Ware herzustellen. Diese Interpretation, die ihren Höhepunkt in Marx’ Arbeitswertlehre fand, lässt jedoch grundlegende Fragen offen: Warum ist ein Gemälde von Picasso wertvoller als das Gemälde eines Dilettanten? Die investierte Arbeitszeit hat damit jedenfalls nichts zu tun. Warum ist ein Haus mit unverbaubarem Seeblick wertvoller als ein Haus mit Blick auf ein Stahlwerk? Auch hier liefert die Reduzierung auf die investierte Arbeit keine befriedigende Antwort.

Die sogenannte Grenznutzenschule erhebt den Nutzen zum Maß aller Dinge und steuert damit zugleich in ein Wertparadoxon: Warum ist beispielsweise ein Diamant, der keinen erkennbaren praktischen Nutzen besitzt, wertvoller als ein Liter Wasser? Letztlich konnte dieses Problem dadurch entschärft werden, dass man ganz einfach den objektiven Nutzen vom subjektiven Nutzen trennte. So kann der Diamant ohne objektiven Nutzen sehr wohl einen sehr hohen subjektiven Nutzen und damit einen hohen Preis haben – nur weil er so schön glitzert.

Neoliberale Ökonomen machen es sich besonders einfach: Für sie ist der Preis, also der Wert, den die Märkte einem Gut zumessen, auch der Wert dieses Gutes. Wenn das stimmt, dann war eine Tulpe der Sorte Viceroy zum Höhepunkt der Amsterdamer Tulpenmanie im Februar 1637 tatsächlich so viel wert wie 670 Scheffel Weizen.2

Unabhängig von diesen theoretischen Betrachtungen ist der Unterschied zwischen Wert und Preis auch bei der heutigen Betrachtung von Vermögen wichtig. Wenn man materiellen Gütern wie einem Haus oder einem Auto einen Wert zuweist, ist dies in der Regel der erzielbare Marktwert. Wer jedoch schon einmal versucht hat, ein Haus oder ein Auto zum vermeintlichen Marktwert zu verkaufen, wird daran allerdings Zweifel hegen: Eine Sache ist nur dann so viel wie ihr Preis wert, wenn sie zu diesem Preis auch tatsächlich ver- oder gekauft wird. Je nachdem, wie der Wert einer selbstbewohnten Immobilie bestimmt wird, kann dieser »tatsächliche Wert« erheblich vom »angenommenen Wert« abweichen. 3,4 Millionen Wohnungen, die momentan in Spanien leer stehen, da sie zum geforderten Preis nicht verkäuflich sind,3 sprechen beispielsweise eine deutliche Sprache. Ähnlich komplex gestaltet sich die Wertbestimmung bei den Betriebsvermögen: Wie viel ein Unternehmen wirklich wert ist, kann der Besitzer erst dann mit Sicherheit wissen, wenn er einen Käufer gefunden hat, der bereit ist, exakt diesen Preis zu zahlen.

Eine weitere Unsicherheit bei der Berechnung liegt zudem darin, dass ein großer Teil des Vermögens aus Forderungen besteht. Machen wir uns das an ein paar Beispielen deutlich: Der Wert einer Lebensversicherung stellt eine Forderung gegenüber der Versicherungsgesellschaft dar. Auch das Geld auf dem Girokonto oder dem Sparbuch ist eine Forderung – in diesem Fall gegen die Bank, die uns etwas »schuldet«. In der Regel gehen solche Forderungen mit dem vollen Wert in die Vermögensbilanz ein. Das ist bei Girokonten und Sparbüchern sicher berechtigt; eine Lebensversicherung, die vielleicht erst in ferner Zukunft ausgezahlt wird, mit dem vollen Zeitwert einzubeziehen, ist jedoch fragwürdig. Da es keinen echten Markt dafür gibt, müsste man eine Lebensversicherung bei seriöser Betrachtung eigentlich zum wesentlich niedrigeren Rückkaufswert bilanzieren.

Wie wir schon jetzt sehen, sind Vermögensbilanzen stets Momentaufnahmen und beruhen auf Daten, die in der Regel einen Erwartungswert darstellen. Wenn sich diese Erwartungen nicht erfüllen, stimmen die angesetzten Werte nicht mehr, und die Vermögensbilanz verändert sich massiv.

Reichtum, die große Unbekannte

Anhand des Äquivalenzeinkommens kann man, sofern man über die richtigen Daten verfügt, auch die Haushalte heraussieben, deren Einkommen deutlich über dem Median liegt. Das ist dann sinnvoll, wenn man Aussagen zur Einkommensverteilung treffen will – über das Vermögen und den Reichtum der Personen sagt die Einkommensverteilung jedoch nur wenig aus.

Während es zahlreiche Studien zur Armut in Deutschland gibt, klafft bei den Studien über den Reichtum ein akademisches Loch. Sogar der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung trägt zwar den »Reichtum« im Titel, gibt jedoch kaum Informationen über die wirklich Reichen im Lande preis. Das hat einen einfachen Grund: Es gibt schlichtweg keine verlässlichen Daten zu den Superreichen. Und wenn Wissenschaftler auf Basis der bescheidenen Daten eine Verteilungsungerechtigkeit feststellen, werden sie von der Politik meist zurückgepfiffen – so geschehen im Frühjahr 2013, als das damals noch von der FDP geführte Bundeswirtschaftsministerium Passagen aus dem Vierten Armuts- und Reichtumsbericht herausstreichen ließ, darunter auch die Formulierung, dass es in Deutschland eine extreme Verteilungsschieflage gebe.4

Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist ein gutes Beispiel dafür, wie wenig die Forschung über die Reichen im Lande weiß und wie wenig sie an diesem Zustand etwas ändern will. Eine der wichtigsten Datenquellen dieses Berichts ist die Einkommensund Verbrauchsstichprobe des Bundes und der Länder (EVS), die alle fünf Jahre vom Statistischen Bundesamt und den Statistischen Ämtern der Länder durchgeführt wird. Datenquelle hierfür sind rund 60 000 Privathaushalte, die repräsentativ für die gesamte Bevölkerung sind und freiwillig an dieser Befragung teilnehmen. Als »finanzielle Anerkennung« erhalten die teilnehmenden Haushalte für ihre Antworten 60 Euro. Die so gewonnenen Erkenntnisse mögen einen Überblick über Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller geben, für Studien zur Vermögensverteilung ist diese Studie jedoch nicht zu gebrauchen. Oder können Sie sich vorstellen, dass Frau Klatten (BMW), Herr Plattner (SAP) oder Herr Albrecht (Aldi) freiwillig an einer ausführlichen Befragung teilnehmen, für die sie mit sagenhaften 60 Euro entlohnt werden?

Dies betrifft nicht nur die superreichen Milliardäre. Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe hat ein allgemeines Problem mit den Wohlhabenden, die sich kaum darum reißen, den Statistischen Ämtern Informationen über ihre Habseligkeiten zu geben. Daher hat das Statistische Bundesamt bei der Auswertung der Daten eine sogenannte »Abschneidegrenze« eingeführt: Haushalte mit einem Einkommen von mehr als 18 000 Euro netto pro Monat werden bei der Auswertung überhaupt nicht berücksichtigt. Die offizielle Erklärung dafür lautet, dass diese Haushalte »in der Regel nicht in so ausreichender Zahl an der Erhebung teilnehmen, dass gesicherte Aussagen über ihre Lebensverhältnisse getroffen werden können«.5 Laut jährlicher Einkommensteuerstatistik6 gibt es aber alleine mehr als 110 000 Haushalte, die jährlich über 250 000 Euro an Kapitaleinkünften haben. Trotz der vergleichsweise großen Stichprobe von rund 60 000 Haushalten ist die EVS daher nicht repräsentativ, da sie die wirklich Wohlhabenden der Republik überhaupt nicht erfasst.

Anderen Studien zufolge konzentriert sich mehr als ein Drittel des Volksvermögens auf das reichste Prozent der Haushalte. Wer diese Haushalte nicht in seine Untersuchungen aufnimmt, kann keine verlässlichen Aussagen zur Vermögensverteilung aufstellen. Hinzu kommt, dass die EVS nicht das Betriebsvermögen abfragt, das jedoch anderen Studien zufolge vor allem für die obersten 10 Prozent der Vermögensskala einen elementaren Vermögenswert darstellt. Sämtliche Studien über Einkommen und Vermögen, die sich auf die Daten der EVS berufen, sind daher ziemlich wertlos.

Auch die zweite große Studienserie des Statistischen Bundesamts ist nicht geeignet, Licht ins Dunkel der Vermögensverteilung zu bringen. Der jährlich durchgeführte Mikrozensus ist der Tyrannosaurus rex des Statistischen Bundesamts. Neben den nur selten stattfindenden Volkszählungen kann der Mikrozensus mit einer Teilnehmerzahl von mehr als 390 000 Haushalten, die einem Prozent aller Haushalte entspricht, auf einen riesigen Datenpool zurückgreifen. Anders als bei der EVS ist die Teilnahme am Mikrozensus nicht freiwillig, sondern gesetzlich vorgeschrieben. Doch für Fragen der Vermögensverteilung sind die Ergebnisse des Mikrozensus völlig belanglos, da hier überhaupt keine Fragen zum Vermögen gestellt werden.

Es ist eine Schande, dass der Staat nicht das geringste Interesse daran hat, mehr über die Vermögensverteilung in Deutschland zu erfahren. Aufgabe des Statistischen Bundesamts und der Landesämter für Statistik ist es, der Politik die für eine sinnvolle Gesetzgebung erforderlichen Daten zur Verfügung zu stellen. Wie aber will der Gesetzgeber sich dem Problem der Verteilungsungerechtigkeit stellen, wenn er zu diesem Thema über gar keine Zahlen verfügt? Da liegt der Verdacht nahe, dass die Blindheit von Ämtern und Staat gewollt sein könnte. Cui bono?

Die taz-Autorin Ulrike Herrmann stellt in ihrem sehr empfehlenswerten Buch Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht7 folgende These auf: »Die Reichen haben viel Lobbyarbeit investiert, um eine verlässliche Statistik zu verhindern. Sie wissen genau, dass eine Verteilungsdiskussion nicht geführt werden kann, wenn die Daten fehlen.« Trotz großer Anstrengungen seitens der politischen Linken, der Gewerkschaften und zivilgesellschaftlicher Gruppen muss man attestieren, dass in Deutschland keine erwähnenswerte Verteilungsdiskussion stattfindet. Grund dafür ist sicher nicht nur der Mangel an verlässlichen Daten zur Verteilungsungerechtigkeit, sondern auch, dass die wenigen Studien gekonnt ignoriert werden, die eine Vorstellung über die Dimension der Verteilungsungerechtigkeit im Lande geben.

SOEP: Hoffnungsschimmer mit methodischen
Schwächen

Wer Informationen zur Vermögensverteilung sucht, wird zuallererst beim Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin fündig. Das SOEP ist eine sogenannte Panelstudie, die seit 1984 jährlich unter 12 000 Privathaushalten durchgeführt wird. Das heißt, es werden wenn möglich immer dieselben Haushalte befragt, um zeitliche Entwicklungen transparent zu machen. Da die Teilnahme am SOEP freiwillig ist und die Antworten der Teilnehmer nicht kontrolliert werden können, besteht die Gefahr, dass vor allem von den vermögenderen Teilnehmern bestimmte Posten »vergessen« werden. Wer würde in einer Befragung des DIW schon angeben, dass er Schwarzgeld in der Schweiz gebunkert hat oder auf den Caymans einen Trust unterhält, um Steuern zu »sparen«? Experten gehen davon aus, dass deutsche Steuerhinterzieher alleine in der Schweiz bis zu 250 Milliarden Euro geparkt haben, und es dürfte eine ähnlich hohe Summe hinzukommen, wenn man alle anderen Steuerparadiese in die Rechnung einbezieht. Diese Vermögenswerte sind real, werden jedoch in keiner Statistik erfasst. Somit leidet auch das SOEP daran, keine stichfesten Daten zu haben.

Im Jahr 2002 wurde das SOEP daher um eine zusätzliche Teilstichprobe von 1 224 Haushalten mit einem Einkommen von mehr als 4 500 Euro erweitert. Nur durch diese zusätzliche Befragungsgruppe kann das SOEP überhaupt alle fünf Jahre Daten zur Vermögensverteilung anbieten. Dennoch bleibt das grundsätzliche Problem, dass äußerst wohlhabende Haushalte ungern an Befragungen von Sozialforschern teilnehmen und das SOEP daher Lücken im obersten Vermögensbereich aufweist. Das DIW beschreibt dieses Problem folgendermaßen:8

»Dennoch bleibt das Problem bestehen, dass besonders wohlhabende Personen in einer Stichprobe wie dem SOEP faktisch nicht vorkommen. Dies gilt insbesondere für Milliardäre und für Millionäre mit einem Vermögen in dreistelliger Millionenhöhe. Im Ergebnis bedeutet dies, dass das wahre Ausmaß an Vermögensungleichheit unterschätzt wird. Externe Statistiken zur Validierung dieser Unterschätzung, zum Beispiel eine Vermögenssteuerstatistik, liegen in Deutschland aber nicht vor.«

Am SOEP für das Jahr 2007 haben nach Informationen des DIW 75 Personen teilgenommen, die über ein Vermögen von mehr als 2 Millionen Euro verfügen, und 20 Personen mit einem Vermögen von mehr als 5 Millionen Euro – der wohlhabendste SOEP-Teilnehmer gab dabei ein Vermögen von weniger als 50 Millionen Euro an.

Natürlich lesen auch die DIW-Forscher die »Liste der 500 reichsten Deutschen«, die jährlich vom Manager Magazin herausgegeben wird und bei der Franz Beckenbauer mit einem geschätzten Vermögen von 150 Millionen Euro die rote Laterne innehat. Zusammengenommen verfügen die laut Manager Magazin 500 reichsten Deutschen über ein Vermögen von 528,4 Milliarden Euro – dies entspricht rund 13 000 Euro pro deutschem Haushalt! Tatsächlich aber verfügen fast 40 Prozent aller deutschen Haushalte über ein Nettovermögen von weniger als 13 000 Euro. Für eine Sonderauswertung zur Vermögenssteuer hat das DIW daher seine Daten mit den öffentlich bekannten Daten der Superreichen ergänzt und kam so zu einem Ergebnis, das allen methodischen Schwächen zum Trotz der tatsächlichen Vermögensverteilung ziemlich nahe kommt.9 Die Daten dieser Erhebung werden wir im nächsten Kapitel ausführlich betrachten.

PHF-Studie der Bundesbank: detailreiche Ergänzung
mit Scheuklappen

Eine weitere brauchbare Quelle zur Analyse der Vermögensverteilung kam im letzten Jahr von unerwarteter Seite. Als in Irland und Spanien die Banken wankten, bekam die Europäische Zentralbank (EZB) kalte Füße und stellte sich Fragen: Welche Auswirkungen hat beispielsweise ein Rückgang der Immobilienpreise um 10 Prozent, kombiniert mit einer Steigerung der Arbeitslosigkeit auf das Bankensystem der Euroländer? Wie hoch sind die Privathaushalte verschuldet, und welche Vermögenswerte besitzen sie, die herangezogen werden könnten, um die Verluste auszugleichen? Um solche Szenarien seriös zu berechnen, sind verlässliche Daten notwendig. Und nicht nur in Deutschland, auch in den anderen Euroländern sind solche Daten zu den Vermögensposten der Bevölkerung rar.

Um diese Wissenslücke zu schließen, beauftragte die EZB die nationalen Zentralbanken, die bereits 2006 begonnene gemeinsame Erhebung zu Vermögen und Finanzen privater Haushalte (Household Finance and Comsumption Survey, HFCS) durchzuführen. In Deutschland kam diese Aufgabe der Deutschen Bundesbank zu, die in Zusammenarbeit mit dem Markt- und Meinungsforschungsinstitut Infas 3 565 deutsche Haushalte ausgiebig zu deren Vermögensverhältnissen befragte. Die Ergebnisse fasste die Bundesbank im April 2013 zur Studie Private Haushalte und ihre Finanzen (PHF) zusammen. Die Teilnahme an der PHF-Studie war freiwillig, und als Dankeschön erhielt jeder der teilnehmenden Haushalte eine 10-Euro-Gedenkmünze. Doch auch dies war sicher kein überzeugendes Argument für die Reichen unter uns, ausgerechnet der Bundesbank detaillierte Informationen zum Vermögen zu geben – schon gar nicht zu möglichen Schwarzgeldkonten.

Da arme Haushalte, die keine Immobilie besitzen und außer dem Dispo auf dem Girokonto mit dem Bankensystem wenig zu tun haben, für die EZB nicht sonderlich interessant sind, wurden bei dieser Studie überrepräsentativ viele der wohlhabenderen Haushalte befragt. Dank dieses »Over-Samplings« enthält die PHF-Studie recht detaillierte Informationen über die verschiedenen Vermögensposten der Haushalte, wenngleich auch hier die Reichsten der Reichen nicht berücksichtigt wurden. Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Teilergebnisse der Studie zum Immobilien-, zum Geld- und zum Betriebsvermögen der Deutschen überaus interessant sind und dank ihres Detailreichtums eine sinnvolle Ergänzung zum SOEP darstellen.

Äpfel und Birnen: Über die Vergleichbarkeit von
Vermögensstudien

Symptomatisch für die öffentliche Diskussion waren die Reaktionen der Medien auf die PHF-Studie. Obgleich diese nie als Vergleichsstudie zwischen den Euroländern gedacht war, wurden die nationalen Ergebnisse von der Öffentlichkeit aufgegriffen. Nicht die dramatische Verteilungsungleichheit in Deutschland, die auch die PHF-Studie eindrücklich belegt, sondern die unsinnige Scheinerkenntnis, dass »die Griechen reicher als wir Deutschen« sind, geisterte durch die Medien. Sogar die seriöse FAZ konnte es nicht lassen und präsentierte ihren Lesern »unglaubliche Fakten«, die belegen sollten, dass die Deutschen die »Ärmsten im Euroraum« sind.10

Dennoch ist die Frage interessant, warum die griechischen Haushalte im Median – aber nicht im Durchschnitt – wohlhabender sind als die deutschen Haushalte. Ist »der Grieche« wirklich reicher als »der Deutsche«? Die Antwort auf diese Frage kann Radio Eriwan geben: Im Prinzip ja, aber …

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