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Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

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Kommentar

Risszeichnung Transitionstriebwerk der Laren

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2767

 

Die Engel der Schmiege

 

Ihr Ziel ist Perry Rhodans Befreiung – sie treffen den Allwissenden Pend

 

Caroline Brandt

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde.

Eine andere den Menschen bekannte Galaxis wird längst von den Atopen beherrscht: Larhatoon, die Heimat der Laren. Dort sucht Perry Rhodan Hinweise darauf, was die Atopen wirklich umtreibt und wo ihre Schwächen liegen. Dabei gerät er in Gefangenschaft: Die Atopin Saeqaer hält ihn an Bord der WIEGE DER LIEBE gefangen – und schickt ein Double zurück in die Galaxis.

Als der falsche Rhodan auf die RAS TSCHUBAI gelangt, die der Spur des Terraners von der Milchstraße aus gefolgt ist, wird er enttarnt. Eine Expedition, zu der der Haluter Icho Tolot und der Mausbiber Gucky gehören, macht sich auf, den echten Perry Rhodan zu befreien – und sieht DIE ENGEL DER SCHMIEGE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Icho Tolot – Der Haluter sucht Perry Rhodan.

Gucky – Der Mausbiber nimmt einen ungewöhnlichen Kontakt auf.

Sichu Dorksteiger – Die Chefwissenschaftlerin der LFT engagiert sich ebenfalls im Entführungsfall Perry Rhodans.

Perry Rhodan – Der Unsterbliche versucht, seiner Gefangenschaft zu entrinnen.

Pend – Ein einzigartiges Lebewesen begleitet die WIEGE DER LIEBE.

1.

Perry Rhodan

Bei den Schnabelratten

 

Breite Schnäbel klappten auf und zu, schnappten nacheinander. Knarzende Geräusche hallten zwischen den Steinen entlang des Baches wider: Die beiden erwachsenen Schnabelratten stritten sich, und für einen Außenstehenden blieb unklar, was der Grund dafür war.

Perry Rhodan hätte nicht sagen können, wie oft die beiden ihren Kleinkrieg führten. Mehrmals täglich gingen die Tiere aufeinander los, hieben mit ihren Schnäbeln auf die Köpfe des jeweils anderen ein, schnarrten und knarzten laut, als seien sie dabei, sich wüste Beschimpfungen um die Ohren zu schlagen.

»Ihr seid seltsam.« Der Terraner kauerte sich neben den Bach. »Was in euren Köpfen vorgeht, würde mich sehr interessieren.«

Rhodan wusste, dass man ihn beobachtete. Garantiert wurde jede Bewegung aufgezeichnet, jedes Wort exakt notiert und analysiert. Ging es nach den Bewohnern dieser Galaxis, hatte er fürchterliche Verbrechen in der Vergangenheit begangen, auch wenn er das anders sah – glaubte er seinen Wächtern, würde er in naher Zukunft ein noch viel schlimmeres Verbrechen verüben.

Warum man ihn in diese Zelle gesperrt hatte, war ihm unklar. Noch weniger wusste er, weshalb man ihm so seltsame Zellengenossen geschenkt hatte.

Rhodan erinnerte sich nicht daran, wie und wann er in der Zelle gelandet war. Schloss er die Augen, fielen ihm die letzten bewussten Bilder ein. Der Absturz mit dem Flugzeug ... der Eule, wie er das Gerät genannt hatte. Der Felsboden, der auf ihn zuraste. Der Schwarze Bacctou, der mit ihm in der Eule saß und ...

Und dann das Aus. Das Nichts. Die Schwärze, wenngleich nur für Sekunden. Seither saß Rhodan in der Zelle, von der er annahm, dass sie zur CHEMMA DHURGA gehörte, dem Raumschiff der Atopischen Richterin Saeqaer.

Der Raum war groß, gut acht auf zehn Meter, und die Decke befand sich mindestens vier Meter über seinem Kopf. Quer durch die Zelle schlängelte sich ein Bach, gesäumt von Steinen aller Größen, an seinen Rändern von Wasserpflanzen bewachsen, die sich nicht sehr von dem Gras und dem Farn der Erde unterschieden. Im Wasser schwammen zahlreiche Wesen, feingliedrig und langgezogen, die Rhodan an junge Goldfische erinnerten.

Am meisten aber faszinierte ihn die Familie etwa faustgroßer Tiere, die zwischen den Steinen hauste. Sie gingen auf sechs Füßen, die sie paarweise hoben und senkten und mit denen sie schnell laufen, aber nicht weit springen konnten; sie schwammen gelegentlich durchs Wasser und tauchten, fingen mit ihren breiten Schnäbeln einige der Goldfische, um sie rasch zu vertilgen.

Wegen ihres Aussehens bezeichnete Rhodan sie als Schnabelratten. Es gab zwei größere Tiere, womöglich Vater und Mutter, und drei kleinere, die er als Kinder einstufte.

Rhodan griff nach einer Pflanze, riss das Blatt in der Mitte auseinander. Er bemerkte zum wiederholten Mal, wie stabil es sich anfühlte, fast wie ein dünn gesägtes Holz. Mit der Spitze voran schob er es zwischen die beiden Sechsbeiner.

Die Streitenden hielten inne. Die hornartigen Wülste, die über den drei Augen des eiförmigen Kopfes aufragten, sträubten sich wie Federn. Synchron öffneten und schlossen sich die Schnäbel, aber es kam kein Ton heraus. Dann drehten sich beide um, liefen zum Wasser und sprangen hinein.

»Das war eindeutig.« Rhodan ließ das Blatt fallen. »Kaum mischt sich jemand ein, macht der Streit keinen Spaß mehr.«

Er sah den beiden Tieren zu, wie sie durchs Wasser paddelten. Sie hatten jeweils zwei Schwänze, die ihnen halfen, einen Kurs zu halten; die Verdickungen auf dem Rücken und am Bauch sahen aus, als hätte die Natur sich nicht zwischen Federn und Haaren entscheiden können.

»Ich find's ja gut, dass es euch beide gibt«, sagte Rhodan. »Sonst wär's hier furchtbar langweilig.«

Man hatte ihm nur eine Bordkombination gelassen, aber keine Uhr – die Örtlichkeit beeinträchtigte sein Zeitempfinden. Einige Tage lang saß er sicher schon hier. Er musste auf einen Gesprächspartner verzichten und konnte nicht auf Medien zugreifen, Notizen waren ihm unmöglich. Perry Rhodan war auf sich selbst gestellt.

Deshalb organisierte er sich so gut, wie er es konnte. In regelmäßigen Abständen trainierte er: Er lief auf der Stelle, er machte Liegestütze, er dehnte seinen Körper, er versuchte sich an Dagor-Übungen, die er vor langer Zeit von Atlan gelernt hatte, und er meditierte. Im Zweifelsfall konnte er einen Tag damit verbringen, auf dem Rücken zu liegen und seinen Geist buchstäblich zu leeren – auf diese Weise ging die Zeit auch vorüber, und er entspannte.

Zudem hatte er die Schnabelratten. Die Tiere boten ihm Unterhaltung. Mit ihnen konnte er sprechen, wenngleich er nie eine Antwort erhielt.

Lächelnd sah er ihnen zu. Sie strichen mit den Schnäbeln über den Hals des anderen; es sah aus wie Liebkosungen. Er nahm an, dass es Männchen und Weibchen waren, wusste aber nicht, wer welche Rolle einnahm. Sie verhielten sich gleichberechtigt: im Streiten und im friedlichen Miteinander.

 

*

 

Die Schnabelratten hielten inne. Sie paddelten mit ihren Füßen im Wasser, blieben aber auf der Stelle und drehten sich so zu Rhodan, dass sie ihn fixieren konnten. Das Wasser im Bach schäumte ein wenig, als schösse es mit mehr Druck aus der Wand und flösse schneller.

»Was ist?«, sagte der Terraner irritiert. »Gefalle ich euch auf einmal nicht mehr?«

Die Tiere ignorierten ihn bisher zumeist, es sei denn, er ging direkt auf sie zu, bespritzte sie mit Wasser oder trennte sie – wie gerade eben – mit einem Blatt voneinander. Wieso achteten sie nun auf ihn?

Auf einmal roch er es. Rhodan verstand, dass die Tiere nicht ihn anschauten, sondern über seine Schulter hinweg.

Er wandte sich um. Hinter ihm war: nichts. Kein Mensch, kein Tier, kein Roboter. Nicht einmal die Luft flimmerte.

Aber sie hatte sich verändert. Sie roch – und als er eine Weile nachdachte und die Luft tief einatmete, erinnerte er sich. In der Mitte seiner Gefängniszelle hing ein Duft, wie er ihn von der Erde nach einem Gewitter kannte, wenn Ozon die Atmosphäre schwängerte.

Neugierig durchquerte er den Raum. Danach wusste er es: Der Ozongeruch konzentrierte sich auf eine Fläche von zwei auf drei Metern und verschwand rasch. Es war, als hätte ihn jemand besucht, ihn beobachtet, sodass ihn die Schnabelratten wahrnahmen, wäre verschwunden und hätte nur seinen Geruch hinterlassen.

»Werde ich langsam verrückt?«, murmelte Rhodan. »Sehe ich schon Gespenster?« Er schüttelte den Kopf. Jetzt führte er schon Selbstgespräche, sicher zur Freude seiner Bewacher, die alles analysierten.

Wahrscheinlich hatte er sich alles nur eingebildet. Aber die Schnabelratten?

Er sah zu dem Bach hinüber. Die Tiere paddelten im Wasser, als sei nichts geschehen. Ab und zu steckten sie die Köpfe in die Tiefe, um nach Beute zu suchen. Sie verhielten sich wie immer.

Erst einmal frisch machen!, dachte der Terraner. Mit klarem Kopf ist alles einfacher.

Rhodan beugte sich nach vorn, formte mit beiden Händen eine Schale und fing Wasser auf. Er wusch sein Gesicht, trank einige Schlucke. Der Bach war seine einzige Quelle für Flüssigkeit und führte offenbar gleichzeitig Nährstoffe mit sich, die für einen Menschen geeignet waren. Rhodan war nicht hungrig, obwohl er seit Tagen nichts gegessen hatte. Gleichzeitig nutzte er den Bach als Toilette, selbstverständlich an seinem »unteren Ende«.

Wie der Bach aus der Wand kam, hatte Rhodan nicht herausgefunden, ebenso wenig, wie er wieder verschwand. Das Wasser schien durch die Wand zu diffundieren. Vielleicht gab es an der Stelle eine formenergetische Schleuse, die nur wenig mehr außer Wassermolekülen und Nährstoffen durchließ und ansonsten wie eine Membran wirkte.

Die Schnabelratten schmiegten sich aneinander, Rhodan vernahm gurrende Geräusche. »Was für ein Familienglück«, sagte er und erhob sich. »Dann will ich mal nicht weiter stören.«

Er durchmaß mit wenigen Schritten seine Zelle. Vom Bach bis zur Wand waren es sechs große Schritte, vorbei an seinem Lager – das im Prinzip aus einer Schaumstoffunterlage und einer Decke bestand – und an einem Schrank, in dem unter anderem schlanke Stäbe lagen, die er durch schlichtes Reiben zwischen beiden Händen zum Leuchten bringen konnte. Die zwei Sessel, die ebenfalls zur Einrichtung gehörten, hatte Rhodan auf die andere Seite des Baches gestellt.

Gleichmäßig und exakt setzte er einen Fuß vor den anderen, bis er zur Wand kam, die grau und langweilig vor ihm in die Höhe ragte. Er wandte sich um und ging seine sechs Schritte zurück zum Bach, wo er sich erneut umwandte. Das konnte er stundenlang machen, wenn es sein musste. Es half, seine Gedanken zu sortieren.

Vielleicht fiel ihm doch ein Weg ein, wie er aus der misslichen Lage herauskam.

Es knackte an der Decke, Rhodan hielt an und schaute nach oben. Die Kunstsonne, die dort ihre Bahn zog, war ein faustgroßes Etwas, das keine Wärme abgab, aber genügend Licht spendete. Seit er aufgewacht war, hatte sie die Hälfte ihrer Bahn hinter sich gebracht. Nach Rhodans Verständnis war gerade Mittag, die Sonne bewegte sich weiter. Wenn sie in der Ecke des Zimmers ankam, verschwand sie dort, und es wurde dunkel.

»Fraktor Perry Rhodan«, sagte eine technisch klingende Stimme, die aus einem unsichtbaren Akustikfeld zu kommen schien. »Du bekommst in Kürze Besuch. Richterin Saeqaer will dich sprechen.« Erneut knackte es, als sollte das altertümliche Geräusch das Ende der Durchsage andeuten.

Rhodan lächelte. »Saeqaer also. Das ist ein besserer Gesprächspartner als die beiden Entenköpfe hier.« Er nickte zum Bach hinüber.

2.

Pend

Im Stochastischen Sturm

 

Pend 71 atmete Energie. Winzige Bewegungen von Quanten und Bosonen, ein unaufhörliches Funkeln und Spritzen und Flimmern, ein Austauschen und Berühren, ein Tanzen und Schwingen. Er badete darin, er labte sich daran.

Wenn er im inneren Ozean der Realschatten blieb, war das Leben einfach und klar. Manchmal liebte er es, die schlichten Dinge zu tun: zu schweben und zu träumen. Er atmete Sauerstoff und Stickstoff ein, spürte winzige Spuren von Chlor und ließ Wasserbläschen in seinem Inneren vergehen. Alles war so geregelt, so realschattig, so eindeutig.

Er spannte seine Arme an, konzentrierte sich auf das Bewusstseinssegel. Knisternd entfalteten sich die Traghäute zwischen den Armen und dem Rücken, saugten Energie aus den feinen Wechselwirkungen der Hyperbarie. Nun nahm er den Stochastischen Sturm wahr, seine Verbindung zum inneren Ozean der Realschatten ebenso wie zu den Tiefen der Unwirklichkeit.

Sein Bewusstsein schwang im Gleichklang des Sturmes, fing die feinen Erschütterungen der Dimensionen auf. In seinem Innern jubilierte Pend 71, während der Energator in seiner Brust voller Lust am Leben pulsierte.

Die Moleküle des Realschattens prasselten gegen sein Augenband, sein Bewusstsein weitete sich, und sein Energator nahm die Ränder des Ozeans wahr, seinen roten Schimmer, an dessen Rändern sich die Welt verwandelte.

Pend 71 saugte hyperenergetische Felder ein, dann wechselte er. Im Bruchteil eines Augenblicks, der nicht länger dauerte als der Sprung eines Quants von einer Ebene zur anderen, wurde er zu Pend 70.

Dort hinten, am roten Schimmer, war alles anders. Pend kostete eine andere Wahrscheinlichkeit und schwelgte darin: Sie roch bitter und süß, ein anderes Universum.

Nie hätte er Schiffbruch erlitten, nie hätte sein Leben sich so gewandelt. Er wäre im Kapselsystem von Fho geblieben, er hätte ein Zweitwesen gefunden, vielleicht ein Dritt- und Viertwesen, er hätte kopuliert und intrigiert, sich in Gefühlen gewälzt und eine andere Art von Realschatten gekostet, wäre vielleicht längst lebenssatt geworden.

Stattdessen hatte er den Ozean am weißen Schimmer erreicht, hatte das Kapselsystem von Fho verlassen. Der Sturm hatte ihn zum Kapselsystem von Dhes getragen, zu einem Universum der überraschenden Wunder, zu einem Kosmos, der komplexdimensional plus eins war.

Manchmal fragte sich Pend – jetzt Pend 70 –, ob er zwischen den Wahrscheinlichkeiten verloren gegangen war. Ob sie mit ihm spielten? Waren sie mit den Göttern vergleichbar, an welche die Angehörigen von primitiven Kulturen glaubten? Dachten sie, handelten sie, trieb sie der Hang zu Vergnügungen um?

Er wusste es nicht, und vielleicht wollte er es nicht wissen. Er schwebte durch den Stochastischen Sturm, er betrachtete den Schimmer des Ozeans und dachte zurück an seinen Tod, den Tod, den er nicht erlebt hatte, zumindest nicht als Pend 70 und als Pend 71, nicht als Pend 25 und nicht als Pend 98.

Dort schimmerte der Ozean der Realschatten in einem Farbmuster, das zwischen blau und golden wechselte, das Einsprengsel aufwies, Reflexe, die über die Wellen hüpften wie Wasserbewohner, die nach Beutetieren schnappten. Dort war er gestorben, in einer Welt aus Blau und Gold. Eine andere Wahrscheinlichkeit, ebenso real wie diese.

Wenn er die Augen schloss, sah er sich liegen. Lang und zartgliedrig, gut aussehend, normalerweise voller Lebensmut und Energie, doch jetzt eine graue Gestalt, wie Knochen und Haut auf einem Haufen. Die Gestade dort erstreckten sich von Horizont zu Horizont, eine Landschaft aus grauem Staub und porösen Trümmern, zermahlen von der Unendlichkeit und voller Trauer über verpasste Chancen.

Dort war er gestorben, im Blau und Gold, wo sein Leichnam lag und von den Tieren zerrissen wurde. Aber in der anderen Wahrscheinlichkeit, in dieser Existenz und in vielen anderen Pend-Wahrscheinlichkeiten, war die CHEMMA DHURGA erschienen. Er hatte das Schiff und seine Besatzung kennengelernt. Sie hatten ihn gerettet und hinweggezerrt aus den weglosen Gestaden. Sie hatten ihn entfernt von den Gestaden der Un-Zeit.

Pend 70 schrie seine Verzweiflung in den Wind, und er wusste, dass ihn niemand hören konnte. Niemand war bei ihm, niemand flog durch den Stochastischen Sturm – nur er in seiner Einsamkeit und in seinen Fassungen. Gemeinschaft mit sich selbst vertrieb nicht die Einsamkeit.

Vielleicht war die tote Fassung die beste, vielleicht war der Haufen Knochen und Haut, der an den weglosen Gestaden lag, der Pend mit der besten Existenz. Dieser Pend hatte alles hinter sich, er war nicht gerettet worden, und er schuldete niemandem Dank-Rache.

Doch er war Pend 70, und er lebte, er war an Bord der WIEGE DER LIEBE, und er musste Dank-Rache üben. Wie sollte er das tun? Wie konnte er das an einem Geschöpf wie der Atopin Saeqaer verwirklichen?

Pend 70 trauerte: um sich selbst und um seinen verlorenen Tod. Er atmete Energie, er labte sich an ihr, und er wusste nicht, wie er seine Dank-Rache verwirklichen konnte.

3.

Sichu Dorksteiger

26. Februar 1517 NGZ

 

Wer war eigentlich auf die Idee gekommen, in ein winziges Raumschiff, das für vier normalgroße Menschen ausgelegt war, zwei Haluter, eine Frau und einen Ilt zu stopfen? Sichu Dorksteiger schüttelte in terranischer Manier den Kopf.

Direkt neben ihrem Gesicht ragte Icho Tolot auf, zusammengekauert zwar, aber immer noch eine Masse aus stählerner Haut und monströsen Muskeln. Schräg hinter sich spürte sie die Präsenz von Avan Tacrol, der nur unwesentlich kleiner war. Die beiden Riesen, jeder von dreieinhalb Metern Größe, schienen die winzige Zentrale der OLF STAGGE komplett auszufüllen. Sichu und dem Mausbiber Gucky blieb nur wenig freier Raum.

Egal. Sie fixierte den Hyperbariespürer an ihrem Unterarm. »Wir müssen gleich los.« Wenn es half, Perry Rhodan zu befreien, ließ sie sich auch einzwängen. »Wann können wir raus?«

Icho Tolot atmete gleichmäßig. Sein riesenhafter Körper, der in einem roten Kampfanzug steckte, blähte sich ein wenig auf, dann schien er wieder einzufallen. Tolots Arm neben ihr war dicker als ihr Oberkörper.

»Wir warten ab.« Obwohl er für einen Haluter leise sprach, klang jedes Wort, als prassle Geröll einen Abhang hinunter. »Wir orten gründlich, wir informieren uns, erst dann verlassen wir die Jet. Die Besatzung hier ist zwar noch von der Explosion abgelenkt, aber jetzt sind überall Sucheinheiten unterwegs.«

Sein Finger wies auf ein Holo, das den Blick aus der Zentrale auf die direkte Umgebung simulierte. Aufgenommen wurde es von winzigen Sonden, die im Zweifelsfall als Schrott betrachtet würden, aber derzeit zahlreiche Aufnahmen in die Zentrale der OLF STAGGE schickten.

Metallteile trieben durch den Innenraum der riesigen Sphäre, in die das Einsatzkommando eingedrungen war. Fesselfelder hielten sie in der Schwebe, dazwischen hingen zersplitterte Elemente aus weißem Material, das auf den ersten Blick aussah, als hätte ein kilometergroßer Riese eine Eisplatte zerschmettert. Durch ein gut dreihundert Meter durchmessendes Loch fiel der Blick auf das Meer der Sterne.

Die Wandung, die das Innere der Sphäre vom All trennte, war an dieser Stelle mehrere Dutzend Meter dick; die Kameras fingen Aufnahmen von Zwischendecks und Versorgungsgängen ein. Maschinenanlagen, die Sichu Dorksteiger an Schwerkraftneutralisatoren erinnerten, waren durch die Wucht der Explosion zerfetzt und abgerissen worden.

Durch dieses Loch war die OLF STAGGE ins Innere der CHEMMA DHURGA eingedrungen. Wenige Sekunden zuvor hatte der überraschende Angriff des Schweren Kreuzers die Hülle des riesigen Raumschiffes teilweise zerstört. Sofort danach hatte sich die OLF STAGGE in einen nahezu vollständigen Ruhezustand versetzt, sorgsam getarnt und hoffentlich gegen jeden Zugriff abgesichert.

Überall schwirrten Roboter herum. In rasender Geschwindigkeit griffen die Maschinen nach den Trümmern, wobei sie keinerlei Unterschied machten, ob diese von dem terranischen Kreuzer oder von dem Schiff der Richterin stammten. Sie zerteilten sie an Ort der Stelle oder transportierten sie ab, ließen sie durch schnell aufgebaute Transmitter verschwinden oder flogen durch sich öffnende und wieder schließende Schotts davon.

»Das Loch wächst bereits zu«, sagte Avan Tacrol. »Wir sollten losziehen, bevor ...«

Er wies auf die Außenwand der CHEMMA DHURGA, die auch von innen an einen schneeweißen Kristall erinnerte. Zentimeter um Zentimeter erneuerte sich das Material, die winzigen Kameras zeigten Details. Einzelne Segmente wuchsen aus der Wand oder Seitengängen, griffen ins Nichts, verbanden sich mit anderen Elementen aus dem seltsamen Material. Krabbelnden Insekten gleich, ergänzte sich das Material von selbst.

Wie ein lebender Kristall, dachte Sichu Dorksteiger. Ein kleines Holo riss einzelne Elemente aus der Schwärze des Alls. Winzige Bausteine türmten sich aufeinander, und bevor sie einmal blinzeln konnte, war wieder ein Dezimeter der äußersten Wandung geschlossen.

Was war das für ein Material, welche Eigenschaften hatte es? Sie nahm sich vor, Proben einzusammeln, um diese später an Bord der RAS TSCHUBAI in ihrem Labor zu untersuchen.

Die Versorgungsgänge darüber, das Netzwerk aus Hohlräumen, das sich zwischen der Außenwand und dem Innern der Sphäre erstreckte, veränderte sich nicht. Es bestand wohl aus konventionellem Material, das mithilfe von Robotern repariert werden musste.

Avan Tacrol war die Anspannung anzumerken. Sichu verstand zu wenig von Halutern und ihrer Psychologie, um das ernsthaft beurteilen zu können, obwohl sie sich vor dem Einsatz mit ihnen vertraut gemacht hatte. Aber der junge Haluter machte auf sie den Eindruck, als wäre er am liebsten aus der Space Jet gesprungen und durch das Innere der CHEMMA DHURGA gelaufen, einen Strahler in der Hand und auf der Suche nach einem großen Abenteuer.