Christian Wehrschütz

Brennpunkt
Balkan

Blutige Vergangenheit
Ungewisse Zukunft

Der besten Cupcake-Köchin und der besten Hoteldirektorin der Welt, meinen Töchtern Immanuela und Michaela sowie meiner Frau Sissy, die in den vielen Jahren meiner Tätigkeit auf dem Balkan trotz ihres Berufes immer für die Familie dagewesen ist.

Inhalt

Cover

Titel

Widmung

ANSTELLE EINES VORWORTS

DER W(R)ESTBALKAN UND DIE EU
Hängepartie statt dynamische Annäherung

SLOWENIEN 2008–2013
Vom Musterschüler zum Sorgenkind

KROATIEN
Der lange Marsch in die EU als Vorbild für den Balkan

VUKOVAR
Heldenstadt zwischen Krieg und Krise

MONTENEGRO
Der Kampf um die Unabhängigkeit

ALEKSANDAR VUČIĆ
Ein neuer Zoran Djindjić?

SERBIEN UND DER KOSOVO
Der dornenreiche Weg zu Normalisierung und Aussöhnung

SKOPJE 2014
Mazedonien zwischen Minimundus und Las Vegas

„U IME NARODA“
Kommunistische Repression in Serbien und Jugoslawien

20 JAHRE HAAGER TRIBUNAL
Versuch einer vorläufigen Bilanz

SERBEN UND RUSSEN
Eine einseitige Liebe?

VON SÜLEYMAN BIS ERDOĞAN
Die „Rückkehr“ der Osmanen auf den Balkan

BELENE
Eine Stadt hofft auf ein Atomkraftwerk

„BAUER SUCHT FRAU“
Albanisch-serbische Heiratsg’schichten

ALBANIEN
Eine österreichische Schule als Kulturschock

MYTHOS SKANDERBEG
Vom „Athleta Christi“ zum Nationalhelden aller Albaner

SKUTARI
Der Kampf der katholischen Kirche gegen die Blutrache

ZOLTÁN DANI
Der Mann, der den „unsichtbaren“ Jagdbomber vom Himmel holte

ANHANG

Glossar

Anmerkungen

Personenregister

Nachwort

Außenpolitik von innen gesehen

Bildnachweis

Impressum

ANSTELLE EINES VORWORTS

Grüße von Freunden
(in alphabetischer Reihenfolge)

Ivica Dačić

Mein Freund Christian – ich denke, dass ich ihn so nennen kann angesichts der Jahre, die er Serbien gewidmet hat, und angesichts des Verständnisses, mit dem er die hiesigen Ereignisse verfolgt – hat mich gebeten, ein paar Zeilen als Einleitung zu seinem Buch zu schreiben. Ich habe selbstverständlich keinen einzigen Augenblick gezögert, dieser Bitte nachzukommen und etwas für einen Autor zu tun, der sich so oft bemüht hat, uns gerade dort zu helfen, wo für uns die Hilfe am notwendigsten war: im Westen, in Europa. Dort hat man – auch dank seiner Berichte – nach vielen Jahren begonnen, unserem Land gegenüber eine andere Haltung einzunehmen. Ich habe das Gefühl, Serbiens Bedürfnisse und Visionen werden nun besser verstanden, sodass unser Wunsch, Teil der modernen europäischen Familie zu werden, zumindest ins Auge gefasst wird.

Verwirrt hat mich allerdings der Untertitel des Buches, in dem von einer „unsicheren Zukunft“ des Balkans gesprochen wird. Es stimmt zwar, dass so mancher den Balkan – von dem einige sagen, dass das Wort eine Übersetzung aus dem Türkischen ist und „Land von Blut und Honig“ bedeutet – als Hinterhof Europas sieht, eine Art schwarzes Loch, das den gesamten Kontinent in Unruhen und Kriege hineinreißt. Doch wir, die wir hier leben, und Menschen wie Christian, die hierhergekommen sind, nicht, um zu verurteilen, sondern um zu verstehen, wir denken selbstverständlich über den Balkan in ganz anderen Kategorien. Wir versuchen, eine Perspektive für unser Land zu finden, die uns das Leben in einem Miteinander ermöglichen wird, ohne auf die Eigenständigkeit seiner Bewohner und deren Nachbarn verzichten zu müssen. Gerade deshalb glaube ich nicht, dass die Zukunft des Balkans ungewiss ist. Im Gegenteil: Sie liegt auf der Hand, und Serbien und alle anderen Länder der Region sind gerade dabei, nach Jahren der Unsicherheit nun einen gemeinsamen Weg zu finden. Ja, es ist richtig: Zu viel Blut wurde vergossen, zu viel Honig benötigte man, um die Wunden zu heilen. Doch diese Periode ist nun zu Ende, und wir konnten bereits viel Vertrauen aufbauen.

Daher glaube ich, dass auch dieses Buch, das Buch eines verständnisvollen Freundes dazu beitragen wird, dass Europa unsere Entschlossenheit erkennt und die Zukunft hier niemals mehr ungewiss sein wird.

Ivica Dačić, Premierminister Serbiens

Milo Djukanović

Der Balkan stand und steht immer wieder im Mittelpunkt der europäischen Geschichte. Dennoch gibt es wenige profunde Kenner der dortigen Verhältnisse. Christian Wehrschütz ist einer von ihnen.

Jahrhundertelang bildete Österreich, das Herkunftsland des Autors, geografisch und historisch eine Brücke zwischen den nordwest- und südosteuropäischen Kulturen. Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat nun Wehrschütz durch seine publizistische Tätigkeit die österreichische, aber auch die europäische Öffentlichkeit über die politischen und wirtschaftlichen Prozesse nach der Zeit der Konflikte auf dem Westbalkan sachlich und professionell informiert. Und er hat auch dazu beigetragen, ein neues Verständnis für die Lage in dieser Region entstehen zu lassen. So war er Zeuge des montenegrinischen Referendums des Jahres 2006, das so mancher Beobachter als das größte demokratische Projekt in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges bezeichnet. Im Montenegro sind wir sehr stolz darauf, dass unser Land das Erste in der Geschichte des Balkans war, das auf friedlichem und demokratischem Weg geschaffen wurde. Und heute, sieben Jahre später, verhandeln wir über die Mitgliedschaft in der EU und stehen an der Schwelle zum Nato-Beitritt.

Das ist der Weg, den heute alle Länder des Westbalkans gehen. Die Zukunft unserer Region wird dann gesichert sein, wenn sie europäisch ist. Daher werden wir noch deutlicher unser gemeinsames Interesse gegenüber unseren europäischen Partnern hervorheben. Die Verwirklichung eines vereinten Europas und die Fortsetzung der Politik der EU-Erweiterung werden in der klaren Teilung der Rollen und der Verantwortung in diesem Prozess verdeutlicht. Wir erwarten, dass uns die Europäische Union hilft, ihre Standards zu erreichen, damit unser Land und unsere Region nicht nur formell zu einem Bestandteil der europäischen Zivilisation des 21. Jahrhunderts gemacht werden. Freilich dürfen wir bei all unseren Bemühungen als Politiker niemals den Auftrag unserer Mitbürger vergessen, die uns ihr Vertrauen geschenkt haben, damit wir sie auf gutem Weg zu diesem Ziel führen. Deshalb muss die Verbesserung des Lebensstandards der Menschen unseres Landes das Rückgrat der nationalen, der regionalen wie auch unserer Europapolitik sein. Unser Erfolg wird wohl daran gemessen werden, wie sehr wir uns dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft und eines Rechtstaates nach europäischen Standards widmen. Die Mitgliedschaft in der EU steht quasi als Belohnung am Ende dieser Bemühungen. Ob das in fünf, sieben oder erst in elf Jahren sein wird, ist weniger wichtig. Das Entscheidende ist, dass wir sicher sind, unsere Probleme zu lösen. Die EU wird uns nicht nur mit ihren Forderungen, sondern auch mit ihren sinnvollen Vorgaben dabei helfen, die konkreten politischen und gesellschaftlichen Grundlagen müssen wir freilich selbst schaffen. Daher liegt die europäische Zukunft des Westbalkans einzig in unseren Händen. Denn ein vereintes Europa wird nur dann Bestand haben können, wenn dieses Friedens- und Wirtschaftsprojekt tatsächlich auf dem gesamten europäischen Territorium verwirklicht sein wird.

Ich und wir alle in Montenegro sind davon überzeugt, dass ein Buch wie das vorliegende deutlich macht, dass wir auf dem Westbalkan die Fähigkeiten besitzen, eine gemeinsame europäische Zukunft aufzubauen..

Milo Djukanović, Premierminister Montenegros

Dardan Gashi

Als langjähriger und profunder Kenner der Balkanländer hat Christian Wehrschütz den Blick auf die Region beibehalten, als sich andere Journalisten längst abgewandt haben. Wehrschütz zeichnen Beharrlichkeit und der unbedingte Wunsch aus, den nicht immer einfach zu durchdringenden politischen Entwicklungen der Balkanländer auf den Grund zu gehen. Dass er bereit war, die Sprachen der Länder zu lernen, ist nur ein Beweis mehr, dass Wehrschütz in seiner journalistischen Arbeit dafür lebt, unvoreingenommen, kritisch, mit der nötigen Distanz und dennoch offen an seine Geschichten heranzugehen. Was Österreicher heute über den Balkan wissen, verdanken sie zu einem nicht unwesentlichen Teil dem ORF-Korrespondenten Christian Wehrschütz.

Dardan Gashi, Umweltminister des Kosovo

Stanislav Hočevar

Blutige Vergangenheit, ungewisse Zukunft“ – man kann auch einfach so über den Balkan schreiben. Aber was bedeutet dieser Begriff und seit wann ist er in Verwendung? Wer immer über diesen Teil Europas herrschte, hatte eine eigene Vorstellung von ihm. So nannten die Römer die Berge im heutigen Bulgarien „Mons Hemus“, die Osmanen denselben Berg „Balkan“ und der Okzident des 18. Jahrhunderts schließlich die gesamte Region „Balkan“. Doch wer kann schon sagen, worin die Namensgebung begründet war? Ich glaube, dass weder die Römer oder die Slawen noch die Osmanen oder gar der europäische Westen Herrscher über Südosteuropa waren oder sind, sondern Gott, der ewige Schöpfer. Eigentlich kam ich nie auf den Gedanken, auf den Balkan leben zu wollen, als mich Anfang März 2000 der Apostolische Nuntius in Laibach fragte: „Wann gehst du nach Belgrad?“ In meiner salesianischen Unbekümmertheit überhörte ich die Frage, doch als sie der Abgesandte des Papstes wiederholte, wurde es für mich ernst. Nun lebe ich in Belgrad, einer Stadt, die im Lauf der Geschichte oft ihren Namen ändern musste, die aber ihre komplexe Geschichte widerspiegeln. Nachdem ich mich mit ihr zu beschäftigen begann, begegnete ich bald Christian Wehrschütz, der mit ebenso viel Ausdauer wie Neugier nur noch mehr Fragen an mich richtete, je mehr Antworten ich gab. Ihm geht es um den historischen, sozialen, aber auch existenziellen Hintergrund, auf dem wir unsere Zukunft aufbauen können. Obwohl er sämtliche Sprachen der Region spricht, bleibt sein Blick jener von außen, manchmal auch einer von „oben“, eben jener aus der Sicht eines Alpenländers. Durch diese Art der journalistischen Arbeit fällt mehr Licht auf uns und verdrängt damit die Dunkelheit, die zu lang auf dem Balkan lastete. Alle Leser seien deshalb aufgefordert, die „Morgenröte“ des Balkans zu entdecken. Denn die optimistische Sicht auf die Zukunft erleuchtet auch die dunkelsten Wege. Deshalb schrieb ich diese von reiner Hoffnung getragenen Worte.

Stanislav Hočevar, Erzbischof von Belgrad

Ivo Josipović

Dieses Buch ist das Werk eines hervorragenden Balkankenners, eines erfahrenen Journalisten, der sehr sorgsam und außerordentlich professionell die politischen Ereignisse in der Region verfolgt. Mit seinem großen Wissen hat es Christian Wehrschütz bewerkstelligt, die gesellschaftlichen Phänomene in den Ländern des ehemaligen jugoslawischen Raums so zu beschreiben, dass deren Bild in der Öffentlichkeit gerade gerückt werden konnte. Aber er ist nicht nur Chronist der Ereignisse, sondern auch Vermittler für ein neues Verständnis. Heute über den Balkan zu schreiben ist nicht einfach, denn es handelt sich um eine Region, die in ihrer geschichtlichen und kulturellen Komplexität, ja durch den konfliktbelasteten Umgang miteinander, schwer fassbar ist. Denn sie hat zwei Gesichter: Da ist zum einen der Wille zu Frieden, Zusammenarbeit und Toleranz. Andererseits können sämtliche Bemühungen um Konsens sehr schnell in Intoleranz und Konfliktbereitschaft umschlagen – nicht nur zwischen Staaten, sondern auch zwischen den einzelnen Völkern selbst. Hier ein Verständnis dafür aufzubauen, dass der Balkan kein Ort der Verdammung, sondern europäischer Hoffnungsträger ist, fällt auch uns selbst nicht immer leicht. Umso mehr sind wir dem Autor dafür dankbar, dass dieses Buch zweifellos dazu beitragen wird, dem Leser das Wesen des Balkans näherzubringen.

Von uns selbst hängt es ab, wie sich die Zukunft unserer Region gestalten wird. Wir müssen heute jene Grundlagen schaffen, die den folgenden Generationen den Weg zur europäischen Einigung ebnen. Wir möchten, dass der gesamte Balkan so rasch wie möglich in die Europäische Union und in die euroatlantische Integration eingeschlossen wird, denn das betrachten wir als Garantie des Friedens, der Sicherheit, des Wohlstands und der Freiheit. Eine verantwortungsvolle und auf Zusammenarbeit gerichtete Politik ist der größte Beitrag zur Stabilität nicht nur auf dem Balkan, sondern auch in ganz Europa.

Ich beglückwünsche den Autor zu diesem Buch und danke ihm für seine gewissenhafte Beschreibung des Lebens auf dem Balkan.

Ivo Josipović, Präsident Kroatiens

Jadranka Kosor

Es ist mir eine Ehre und auch eine Freude, ein paar Worte zum neuen Buch von Christian Wehrschütz beisteuern zu dürfen. Manchmal habe ich nämlich den Eindruck, dass er Kroatien besser kennt als so mancher Kroate, was wieder einmal beweist, dass die Sicht von außen für das eigene Verständnis wohl sehr wichtig ist. Das ist besonders dann der Fall, wenn es um eine objektive Darstellung der Verhältnisse geht.

Wehrschütz ist ein Kenner meines Landes und natürlich kennt er auch dessen Politiker. Wir haben uns im Kontext der kroatischen EU-Beitrittsverhandlungen als Journalist und Politikerin kennengelernt, und ich denke, dass der Autor dieses Buches ohne Pathos und Einseitigkeit jene Kraftanstrengung widergegeben hat, die notwendig war, um Kroatien zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu führen und ein neues Kapitel der immer schwierigen kroatischen Geschichte aufschlagen zu können.

Auch unser letztes Gespräch vor der Feier über den Beitritt am 1. Juli fand zu diesem Thema statt. Ich sagte bei dieser Gelegenheit, dass die EU zwar nicht perfekt, aber für diesen Teil der Welt, der so durch Kriege und Konflikte erschöpft ist, tatsächlich der einzige Weg zu Frieden, Stabilität sowie gegenseitigem Respekt und internationaler Anerkennung sei. Ich persönlich habe diesen Kraftakt als die letzte Schlacht der Operation „Oluja“ gesehen, der großen Militäraktion, mit der das Land befreit wurde. Wir haben aber mit unserem EU-Beitritt gezeigt, dass sich Reformen und schwere Arbeit auszahlen. Auf dem Weg nach Europa können wir nun unseren Nachbarn helfen.

Ich bin Christian Wehrschütz auch dankbar für das Verständnis für meine persönliche Lage, die mir die Politik eingebracht hat. Auch das zeichnet ihn als guten Journalisten aus, was freilich alles über die Qualität des vorliegenden Buches, aussagt: Ein immens wichtiger Lesestoff und eine wertvolle Quelle für (künftige) Historiker, weil hier ein aufmerksamer Zeitzeuge wichtige Details der Gegenwart auch für die Zukunft aufgezeichnet hat.

Jadranka Kosor, Premierministerin Kroatiens von 2009 bis 2011

Borut Pahor

Das vorliegende Buch führt in einen außerordentlich interessanten und vielfältigen Landstrich, der bis in den Gegenwart stets eine wichtige Rolle zur Bildung der Identität Europas gespielt hat. Wegen ihrer geografischen Lage wurde diese Region, die von der EU die Bezeichnung „Westbalkan“ erhalten hat, durch kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse aus Mitteleuropa, aber auch durch die prägende Denkweise des Nahen Ostens bestimmt, verlief doch im Lauf der Geschichte durch ihre Mitte die Grenze zweier Weltmächte. Diese Grenze beeinflusste den Charakter des gesamten Gebiets und kennzeichnete vor allem die kulturellen Merkmale seiner Bewohner. Die erwähnte Vielfalt war aber auch mehrfach der Grund für Konflikte, was bei den heutigen Bewohnern tiefe Narben hinterlassen hat, für deren Heilung noch viel Zeit nötig sein wird.

Persönlich bin ich ein großer Befürworter des europäischen Engagements auf dem Westbalkan, weil dieser Teil Europas nur mit Hilfe der EU auch politisch in die Obhut der europäischen Völker zurückkehren wird. Daher werde ich auch stets für die europäische Zukunft des Westbalkans eintreten. Aus diesem Grund habe ich gemeinsam mit dem kroatischen Präsidenten Ivo Josipović den sogenannten Brdo-Prozess wiederbelebt, der das Ziel hat, den Dialog zwischen den Präsidenten des Westbalkans und der EU über die drängendsten Fragen zu stärken. Ich denke, dass jetzt die Zeit ist, mit der Lösung aller offenen Fragen zu beginnen, damit sich die Balkanstaaten von der Last der Vergangenheit befreien können. Dann wird es viel leichter sein, die gemeinsame europäische Zukunft mitzugestalten. Ich bin überzeugt, dass Europa nur dann erfolgreich sein wird, wenn es alle Völker umfasst, die kulturell und historisch dessen integralen Bestandteil bilden – und dazu zählen ohne Zweifel die Völker des Westbalkans.

Borut Pahor, Präsident Sloweniens

Vesna Pusić

Der Balkan hat leider immer noch ein schlechtes Image. Ich glaube aber, dass wir auf dem besten Weg sind, das zu ändern. Dazu ist es aber wichtig, die Region wirklich gut zu kennen, um Vorurteile abzubauen, ja sie zum Verschwinden zu bringen. Das vorliegende Buch von Christian Wehrschütz ist daher ein wichtiger Beitrag zu einem besseren Verständnis dessen, was sich auf dem Balkan ereignet und ereignet hat. Denn der Blick des Autors ist nicht nur auf die Vergangenheit gerichtet, sondern gibt auch einen Einblick in aktuelle Ereignisse, die zeigen, dass eine Entwicklung möglich ist, wenn man sich ein klares Ziel steckt, hinter dem die Gesellschaft auch steht.

Das vereinte Europa ist eines dieser Ziele, weil es Sicherheit und Ordnung in jedem Bereich von Staat und Gesellschaft bietet, wobei ich betonen möchte, dass die gemeinsame Perspektive aller Staaten des Balkans ein Garant für dessen Stabilität ist.

Vesna Pusić, Außenministerin Kroatiens

Boris Tadić

Wenn ich über die politische Lage auf dem Balkan spreche, dann vor allem im Zusammenhang mit dem aktuellen Prozess der EU-Integration des Westbalkans. Die Balkanstaaten haben nun einen Punkt erreicht, an dem die EU-Integration dominiert, doch die Besonderheit ihrer Geschichte beeinflusst auch entscheidend ihren besonderen europäischen Weg. Damit sie die EU-Mitgliedschaft als ihr zentrales poltisches Ziel annehmen und dieser Prozess unumkehrbar werden kann, war es nötig, an einer Änderung des Bewusstseins zu arbeiten. Darunter verstehe ich die Annahme der politischen Kultur und des Systems der EU an sich. Es war notwendig, dass die Länder auf dem Balkan mit ihrem eigenen, einzigartigen Prozess der Aussöhnung begannen, ehe sie Teil des größten Friedensprojekts der Welt, der EU, werden können. Einer der größten politischen Erfolge meiner Amtszeit war das Erreichen des nationalen Konsenses über den EU-Beitritt als politisches Hauptziel. Solange Serbien trotz aller Schwierigkeiten, mit denen es konfrontiert ist, an diesem damals begonnenen Weg festhält und solange Serbien und der gesamte Westbalkan von diesem europäischen Weg nicht abgehen, sehe ich optimistisch in die Zukunft.

Nach all den Schwierigkeiten seit den 1990er Jahren steht nun Serbien an der Schwelle zum Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen. Damit Serbien und der Balkan ein Teil Europas werden können, ist es nötig, dass Europa ein Teil des Balkans wird. Das erfordert am Balkan eine Änderung der politischen Ziele und des politischen Bewusstseins, aber auch eine Änderung der Außenwahrnehmung des Balkans. Diese beiden Prozesse sind untrennbar und verlaufen parallel. Der Balkan muss an Europa angenähert werden, damit sich Europa ihm annähern kann. Dazu muss man sich aber der schwierigen Ausgangslage bewusst sein: Das Bild des Balkans in der EU und in der Welt war negativ, und die Beziehungen zwischen den Balkanstaaten standen unter extrem negativen Vorzeichen. Somit muss klar gemacht werden, wie viel soziale und politische Energie erforderlich war, um eine Veränderung herbeiführen zu können. Die Lösung, die ich als Präsident Serbiens sah, bestand vor allem in einer Politik der Aussöhnung auf dem Westbalkan, der damit von einer Konfliktregion zu einer Friedenszone wurde. Das war die Basis für alle anderen Prozesse. Heute blicken die Länder des Balkans nicht nur auf eine gemeinsame stürmische Geschichte, sondern auch auf gemeinsame politische Ziele. Daher ist es unumgänglich notwendig, alles zu tun, dass dieser Weg der Aussöhnung durch nichts gestört wird. Dabei hängt vieles von den Spitzenpolitikern der Balkanländer und ihren Beziehungen und Zielen zueinander und zu allen anderen Ländern Europas ab.

Damit die Balkan-Staaten zu einem wertvollen Teil der EU werden können, sind nicht nur grundlegende innenpolitische Veränderungen vonnöten, sondern auf der anderen Seite dieser Partnerschaft auch das Verständnis für die Besonderheiten der Volkscharaktere auf dem Balkan. Dabei ist die Rolle ausländischer Korrespondenten und ausländischer Medien entscheidend. Christian Wehrschütz ist ein Journalist, der es mit seinen Berichten aus Serbien und aus dem Balkan vermocht hat, das Wesen der Politik in dieser Region zu durchdringen und auf angemessene Weise ein objektives Bild nach außen zu tragen. Mit seinem professionellen Einsatz hat er dieses Bild nicht nur unter dem Aspekt eines Journalisten gezeichnet, der ein großer Kenner der hiesigen Gegebenheiten ist; vielmehr ist es ihm mit Hilfe seiner reichen Berufserfahrung in diesem Raum gelungen, an den Kern der politischen Ereignisse vorzudringen und sie in einen breiten Rahmen zu stellen. Derartige mediale Experten haben in vielerlei Hinsicht die Annäherung des Balkans an Europa erleichtert, und das gilt auch für Europas Annäherung an den Balkan.

Die Politik der Aussöhnung auf dem Westbalkan hängt unter anderem gerade vom erfolgreichen Aufbau derartiger Kommunikationskanäle ab. Journalisten wie Wehrschütz leisten dazu durch ihre journalistische Tätigkeit einen wichtigen Beitrag. Denn er zeigt mit seiner Arbeit den Willen, tief in unsere politische Wirklichkeit und in ihr Wesen einzudringen und sie nicht durch ein Prisma vorgefertigter Stereotype zu betrachten. Der Balkan muss sich nicht nur mit sich selbst aussöhnen, sondern auch mit der übrigen Welt. Daher ist die Rolle eines jeden Journalisten sehr wichtig, der an diesem Prozess teilnimmt. Christian Wehrschütz ist einer von ihnen. Er bringt Themen des Balkans der breiten Öffentlichkeit näher, verweist auf politische Fortschritte auf dem Balkan, aber auch darauf, welche Probleme noch immer ihrer Lösung harren. Durch seine Tätigkeit als Autor und Journalist trägt Christian Wehrschütz zweifellos dazu bei, dass der Balkan ein Teil Europas wird.

Boris Tadić, Präsident Serbiens von 2004 bis 2012

Danilo Türk

Ich habe immer gern mit Journalisten gesprochen, die sich ihrem Themenkreis gründlich widmen. Ein Publizist, der die Achtung und das Vertrauen der Öffentlichkeit und damit auch der Politiker erwirbt, benötigt freilich ein grundlegendes Wissen und muss systematisch arbeiten können. Christian Wehrschütz ist einer dieser Journalisten. In der Zeit meines Präsidentenamtes in den Jahren 2007 bis 2012 bin ich ihm mehrmals begegnet und jedes Mal waren seine Fragen durchdacht, weshalb ich ihn auch immer wieder nach seiner Meinung fragte. In der Regel kam er meist am Ende einer Reise durch den Balkan nach Laibach. Und da brachte er seine Eindrücke und Überlegungen zu den diversen politischen Ereignissen mit, wie das beispielsweise anlässlich der Anerkennung des Kosovo der Fall war, über die wir am Beginn des Jahres 2008 gesprochen haben.

In das vorliegende Buch, das ich mit großem Interesse lesen werde, sind die langjährigen Erfahrungen des Autors eingeflossen und es veranschaulicht sehr plastisch den Weg der Balkanstaaten in ein vereintes Europa. Denn heute sind die Staaten des Westbalkans die am stärksten europäisch orientierten des gesamten Kontinents. Ihre Sehnsucht wird mit dieser Lektüre noch verständlicher. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Leser, der sich für den Balkan und seine Bewohner interessiert, einen perfekten Überblick über diesen schönen und interessanten, aber auch problematischen Teil Europas bekommt.

Danilo Türk, Präsident Sloweniens von 2007 bis 2012

Aleksandar Vučić

Als guter Journalist sollte man, wenn es nach dem Willen der internationalen Machthaber geht, im Orchester der Gegner Serbiens mitwirken. Doch der Autor dieses Buches zeigte sich als Meister seines Faches, der gegen die Pauken antiserbischer Gefühle auf einer Klaviatur der Objektivität so lange anspielte, bis ein Verständnis sowohl für unsere Fehler wie für unsere positiven Fortschritte in der Öffentlichkeit entstand. Wir hatten nicht viele Freunde unter ausländischen Journalisten in den vergangenen 20 Jahren, doch Christian Wehrschütz kennt die Menschen und die Gegebenheiten in Serbien und auf dem Balkan so gut, dass wir ihn als Freund bezeichnen dürfen. Tatsächlich ist er einer der am besten unterrichteten Journalisten der Region des Balkans, der hartnäckig und unendlich starrköpfig als Journalist der alten Schule an seinen Berichten arbeitet, um der Wahrheit gerecht zu werden. Das kennzeichnet einen anständigen und guten Journalismus, der wichtig ist, nicht nur für Serbien, sondern für die gesamte Region. Das ist vor allem in einer Welt notwendig, wo der Journalismus ein großes Geschäft und Spielball der Mächte geworden ist, bei dem die Person nicht mehr gewürdigt wird.

Wehrschütz, dessen Leben voll von fantastischen Geschichten ist, kennt die Kultur, die Kunst, die Geschichte und die Besonderheit eines jeden Teils Serbiens und weiß von unserem Land meist oft mehr als wir selbst. Das führt letztlich auch dazu, dass wir ihn sogar fragen können, in welches Restaurant wir gehen und was wir dort essen sollen – wohin auch immer wir in Serbien fahren. Christian ist ein anständiger und guter Journalist. Davon gibt es nicht viele, weder in Serbien noch in der gesamten Region.

Aleksandar Vučić, Erster stellvertretender Ministerpräsident Serbiens

Nicht wenige Intellektuelle des Balkans fragen sich, ob ihr künftiger „Retter“ überleben wird: Karikatur von Jovo Skomac

DER W(R)ESTBALKAN UND DIE EU

Hängepartie statt dynamische Annäherung

Am 1. Juli 2013 trat Kroatien der Europäischen Union bei. Die Feiern am kleinen Ban-Jelačić-Platz im Zentrum von Agram ließen wegen der aufgebauten Bühnen nur wenig Raum, sodass die Zahl der Kroaten, die tatsächlich mitfeiern konnten, wahrlich überschaubar war. Doch den meisten war ohnehin nicht zum Feiern zumute, und von einer EU-Euphorie konnte wahrlich nicht die Rede sein. Das Fehlen einer Feierlaune kam nicht überraschend, hatte sich diese Stimmung doch bereits beim Referendum zum EU-Beitritt gezeigt, das am 22. Jänner 2012 stattfand. Dabei stimmten etwa zwei Drittel der teilnehmenden Bürger für die Mitgliedschaft in der EU. Mit 43 Prozent war die Beteiligung an der Abstimmung jedoch gering, und zwar noch geringer als in Ungarn. Dort stimmten beim Referendum am 12. April 2003 nur knapp 46 Prozent der Stimmberechtigten ab, wobei damals 84 Prozent für den Beitritt votierten. Selbst wenn man die außerordentlich ungeordneten Wählerlisten in Kroatien in Rechnung stellt, so dürfte gerade einmal jeder zweite Kroate an der Abstimmung teilgenommen haben. Dagegen lag die Beteiligung im Nachbarland Slowenien bei 60 Prozent und für die EU stimmten sogar 90 Prozent der Slowenen.

Während die niedrige Beteiligung in Ungarn auch auf die bereits damals nicht rosige Wirtschaftslage zurückzuführen war, macht der Unterschied zwischen Slowenien und Kroatien die ungleichen Rahmenbedingungen deutlich, die zwischen den Jahren 2004 und 2012 liegen. Denn der kroatische EU-Beitritt fand unter bisher einzigartigen Vorzeichen statt, steckt doch nicht nur Kroatien, sondern auch die EU in einer tiefen Krise. Insbesondere die Euro-Zone hat ihre Probleme noch nicht überwunden. Dass die Mehrheit der Kroaten trotzdem für die EU stimmte, hatte vor allem drei Gründe: Erstens sahen die Bürger keine vernünftige Alternative zum Beitritt; zweitens war praktisch die gesamte politische Elite dafür, und drittens hofften die Kroaten auf einen Geldsegen aus Brüssel, um ihr Land – von der Mülldeponie bis hin zur Verwaltung – modernisieren zu können.1) Auf dem Weg Richtung EU war Kroatien ein Nachzügler. Das hängt mit der nationalistischen Politik von Staatsgründer Franjo Tudjman zusammen, der sein Land nicht nur in die Unabhängigkeit, sondern auch in die politische Isolation führte. Somit war Kroatien nach Griechenland (1981) das bisher einzige Land, das allein in die EU aufgenommen wurde. Die Verhandlungen dauerten fast sechs Jahre. Sie begannen wegen der mangelnden Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal mit einer Verspätung von sechs Monaten und waren durch den Grenzstreit mit Slowenien fast ein Jahr lang blockiert, obwohl auf technischer Ebene natürlich weiter gearbeitet wurde. Anders als bei der Erweiterung von 2004 galt für Kroatien das sogenannte „Benchmark-Verfahren“. So forderte die EU von Kroatien im Unterschied zu den bisherigen Beitrittsbedingungen für die Eröffnung und die Schließung eines jeden Verhandlungskapitels zumindest den Beginn der Umsetzung von Maßnahmen noch vor dem Beitritt – wie beispielsweise die Reform und die Entpolitisierung der Ernennung von Richtern und Staatsanwälten. Auch diese erstmals angewandte Form der Verhandlungen macht die kroatischen Erfahrungen für die anderen Beitrittswerber so wertvoll. Anders als im Fall Kroatiens wurden für Montenegro, dessen Beitrittsverhandlungen formell am 29. Juni 2012 begannen, nun die Kapitel 23 und 24 (Justiz und Grundrechte sowie Justiz, Freiheit und Sicherheit) sofort eröffnet. Das wird auch in künftigen Fällen so gehandhabt werden. Denn diese beiden Kapitel sind besonders schwierig und sensibel, und die Umsetzung der verhandelten Maßnahmen soll von einem regelmäßigen Monitoring der EU-Kommission begleitet werden. Dieses Monitoring galt in abgeschwächter Form für Kroatien sogar bis zum Beitrittstermin.

Kroatien als Beispiel und Vorbild

Welche positiven und auch negativen Lehren lassen sich nun aus dem kroatischen EU-Beitritt für eine Region ziehen, die inklusive Kroatien Westbalkan hieß, nun aber wohl de facto zum Restbalkan geworden ist? Positiv ist zu vermerken, dass ein Land trotz enormer Herausforderungen den Beitritt schaffen kann. So war Kroatien das erste Land im ehemaligen Jugoslawien, das von dessen Zerfallskriegen (Flüchtlinge, Vertreibung, Haager Tribunal) voll getroffen worden ist. Zweitens machte sich der Kampf gegen Korruption, organisierte Kriminalität und für den Rechtsstaat für das Land selbst bezahlt – sprich, schmerzliche Reformen wurden von der EU anerkannt. Zwar ist in der kroatischen Justiz bei weitem noch nicht alles Gold, was glänzt, doch es wurde wahrlich vieles erreicht. Dazu zählen eine weisungsfreie Anklagebehörde und ein transparentes Punktesystem für die Ernennung von Richtern, Bestimmungen, die bei weitem nicht in allen EU-Altmitgliedsstaaten gegeben sind. Schlagendes Beispiel dafür war der Prozess gegen den früheren Ministerpräsidenten Ivo Sanader, der wegen Korruption zu einer langen Haftstrafe verurteilt wurde. Eine „Ent-Sanaderisierung“ steht auch praktisch allen anderen Staaten des Restbalkans bevor, für deren politische Eliten das Handeln der kroatischen Justiz Ansporn und Abschreckung zugleich sein kann. Die dritte ermutigende Lehre ist, dass schwierige bilaterale Probleme wie der Grenzstreit mit Slowenien auch mit einem EU-Mitglied lösbar sind, wenn entsprechender politischer Wille auf beiden Seiten besteht. Doch der Grenzstreit birgt auch eine negative Lehre: Bilaterale Probleme, die es auf dem Restbalkan in großem Maß gibt, dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden, damit sie die Dynamik der Beitrittsverhandlungen nicht beeinträchtigen. Angesichts der Natur des „Homo politicus“, die erfahrungsgemäß nicht dazu neigt, schwierige Probleme zeigerecht zu lösen, werden auf diesem Gebiet wohl Brüssel und einige einflussreiche Mitgliedsstaaten die Rolle des Zuchtmeisters spielen müssen. Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo zeigt, dass eine derartige Strategie durchaus erfolgversprechend ist, wenn bei dem jeweiligen Beitrittswerber der Wunsch nach dem Beitritt tatsächlich stark genug ausgeprägt ist. Zu den kroatischen Versäumnissen, die anderen Beitrittswerbern als Lehre dienen können, zählt ebenso die Tatsache, dass die Regierung in Agram viel zu spät damit begonnen hat, Experten für EU-Projekte auszubilden. So konnten nur 30 Prozent der EU-Mittel abgerufen werden, die aus Vor-Beitrittsfonds zur Verfügung standen, und auch bei der Ausarbeitung von großen Projekten (Infrastruktur, Umweltschutz) ist Kroatien nicht besonders zügig unterwegs, können diese doch nun nach dem Beitritt von der EU mitfinanziert werden. Zu nennen ist schließlich trotzdem die positive Botschaft der kroatischen Mitgliedschaft, die darin besteht, dass die Tür der EU trotz aller internen Probleme und aller Erweiterungsmüdigkeit offen steht, obwohl mit einem raschen Beitritt weiterer Staaten des ehemaligen Jugoslawiens nicht zu rechnen sein wird.

Dass bis zur Aufnahme eines 29. EU-Mitglieds einige Zeit vergehen wird, zeigt eine einfache Rechnung: Beitrittsverhandlungen dauern in der Regel fünf Jahre, wenn keine zusätzlichen politischen Probleme auftauchen. Hinzu kommt der Prozess der Ratifizierung des Beitrittsvertrages durch die 28 Mitgliedsstaaten, der ebenfalls zwei Jahre benötigt. Bisher verhandelt die EU nur mit Montenegro, und diese Gespräche stehen in vielerlei Hinsicht noch am Beginn. Somit ist mit einem montenegrinischen Beitritt wohl erst um 2020 zu rechnen. In diesen sieben Jahren wird sich wohl auch die EU noch weiter verändern. Trotzdem stellt sich nach dem Beitritt Kroatiens für die restlichen Staaten des sogenannten Westbalkans sowie für die EU und ihre Mitglieder zwangsläufig die Frage nach der künftigen Vorgangsweise. Dazu gehört die Grundfrage, ob es weitere Einzelaufnahmen auf dem „Restbalkan“ geben soll oder ob nun eine Blocklösung angestrebt wird und wie groß dieser Block sein soll. Für die Blocklösung spricht vor allem die Erweiterungsmüdigkeit; dagegen sprechen die doch beträchtlichen Unterschiede in der Entwicklung und in der Problemstellung der verbliebenen Länder sowie der Umstand, dass eine Abkehr vom sogenannten „Regatta-Prinzip“ demotivierend wirkt, weil der Schnellste und Reformfreudigste auf den Langsamsten warten muss. Gegen das Regatta-Prinzip spricht der Umstand, dass durch die Krise der EU und die Erfahrungen mit Rumänien, Bulgarien und nun auch Griechenland, und vielleicht künftig auch Kroatien, die Erweiterungsmüdigkeit natürlich zusätzlich verstärkt wurde. Eine Block-Lösung hätte daher aus der Sicht der Erweiterungsskeptiker den Vorteil, diesen Prozess noch viel weiter hinauszuschieben. Im Gegenzug dazu sind die EU-Kommission sowie grundsätzliche Befürworter einer Erweiterung unter den Mitgliedsstaaten bestrebt, dass der Erweiterungsprozess ein Mindestmaß an Dynamik behält. Diese Politik liegt natürlich auch im Interesse des Balkans, hängt aber vom Reformeifer der jeweiligen Länder ab.

Stärker bewusst werden sollten sich die EU und ihre Mitglieder aber auch der Tatsache, dass das weitgehende Fehlen einer effizienten gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik den Weg des Restbalkans in die EU verlängert und damit die endgültige Stabilisierung dieser Region verzögert, die ja gerade aus diesem Grund in die EU (und in die NATO) geführt werden soll. Die Unabhängigkeit des Kosovo haben nach wie vor fünf EU-Staaten (Griechenland, Rumänien, die Slowakei, Spanien und Zypern) aus rein innenpolitischen Gründen nicht anerkannt. Das macht die Annäherung des Kosovo aus vielen Gründen noch komplizierter, weil damit die Aufnahme selbst in die Europol erschwert wird, obwohl der Kampf gegen Korruption und Kriminalität zum ständigen Mantra gegenüber dem Kosovo zählt. Da die EU-Delegation in Prishtina „statusneutral“ agieren muss, darf sie natürlich auch nicht den Begriff „Staat“ für den Kosovo verwenden, obwohl natürlich nur Staaten der EU beitreten können. Ein noch gravierenderes Beispiel bildet der Namensstreit zwischen dem EU-Mitglied Griechenland und Mazedonien, der bereits die Aufnahme in die NATO im Jahr 2008 blockierte. Der Streit ist auch ein Hemmschuh für den Beginn der Gespräche über einen EU-Beitritt, obwohl die EU Mazedonien bereits vor acht Jahren (Dezember 2005) den Status eines Beitrittskandidaten gewährt und die EU-Kommission bereits vier Mal den Beginn von Beitrittsverhandlungen empfohlen hat. Dieser Namensstreit zeigt, wie schwer sich die EU mit Konflikten tut, die ein Mitgliedsstaat mit einem Beitrittswerber hat, obwohl gerade Griechenland innerhalb der EU zweifellos keine starke Stellung einnimmt. Doch diesem Sorgenkind will man offenbar keine weiteren sensiblen Fragen zumuten: Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, dass der Konflikt dem eigentlichen Ziel der EU zuwiderläuft, das in der dauerhaften Stabilisierung des Balkans durch EU-Integration besteht.

Der lange Weg zur EU-Integration

Trotz dieser Probleme werden kroatische Erfahrungen sowie kroatische Hilfe für die Staaten des Restbalkans bei deren EU-Annäherung sehr wichtig und wertvoll sein, allerdings mit drei Einschränkungen. Das zeigt ein einfaches, aber wichtiges Beispiel. Bei einem Gipfeltreffen der Westbalkan-Staaten im slowenischen Brdo im März 2010 übergab die damalige kroatische Ministerpräsidentin Jadranka Kosor den anderen Beitrittswerbern die kroatische Übersetzung des gemeinsamen EU-Rechtbestandes. Dieses Geschenk sollte ein Zeichen des guten Willens sein. Mittlerweile erwies sich diese Gabe jedoch als „Danaer-Geschenk“, weil sich die Übersetzungen vielfach als fehlerhaft und unpräzise erwiesen. So teilte die Direktion für Europäische Integration in Sarajevo mit, dass die „Übersetzungen ausschließlich als Hilfe für jene Antragsteller von Rechtsnormen dienen könnten“ und dass die „Übersetzung nicht direkt anwendbar“2) sei. Diesen Befund bestätigten mir hinter vorgehaltener Hand auch Serben, die in Belgrad die EU-Beitrittsverhandlungen vorbereiten, nur dass Serbien zu diesem Problem diplomatisch geschwiegen hat. Doch Serbien übersetzt den gesamten EU-Rechtsbestand selbst, natürlich nicht nur wegen der Fehler, sondern auch wegen der unterschiedlichen Fachbegriffe in der serbischen Rechtsordnung. Die rechtzeitige Ausbildung guter Übersetzer ist jedenfalls eine wesentliche Grundvoraussetzung für gute Verhandlungen. Trotzdem sind kroatische Experten für Serbien sehr wichtig, und auf diesem Gebiet werden Kroatien und wohl auch Slowenien eine wesentliche Rolle bei der Heranführung des Restbalkans an die EU spielen.

In der Tito-Residenz: Balkanstaaten bei der Brdo-Konferenz in Slowenien am 20. März 2010: Damals boykottierte Serbien noch das Treffen, weil der Kosovo teilnahm

Slowenien und Kroatien haben auf der Ebene der Staatspräsidenten auch den sogenannten Brdo-Prozess wiederbelebt, den Borut Pahor und Jadranka Kosor als Ministerpräsidenten der beiden Länder ins Leben gerufen haben. Das erste Treffen fand auf der ehemaligen Tito-Residenz in Brdo statt, daher heißt der Prozess auch so. Dieses erste Treffen im März 2010 wurde noch von Serbien blockiert, weil der kosovarische Regierungschef ebenfalls eingeladen worden war, doch etwas mehr als drei Jahre später saßen alle Präsidenten gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten an einem Tisch, will doch Frankreich auf dem Balkan nun wieder eine aktivere Rolle spielen. Diese Treffen sollen nun jährlich in Slowenien oder Kroatien stattfinden, und jedes Mal soll ein hochrangiger Vertreter der EU geladen sein. Der Brdo-Prozess umfasst folgende Länder: Slowenien, Kroatien, Montenegro, Serbien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, den Kosovo und Albanien. Allein eine kurze Status-Analyse dieser Länder im Hinblick auf die Integration in die euroatlantischen Strukturen zeigt, wie heterogen diese Gruppe ist. Slowenien ist nicht nur Mitglied von NATO und EU, sondern bereits auch Mitglied des Schengen-Raums und der Euro-Zone. Nimmt man den blutigen Zerfall des kommunistischen Jugoslawien als Ausgangspunkt, so brauchte Slowenien, das von diesem Zerfallskrieg am geringsten betroffen und am besten entwickelt war, 14 Jahre bis zum Beitritt zu NATO und EU. Der Beitritt zum Schengen-Raum und zur Eurozone erfolgte knapp drei Jahre später am 1. Jänner 2007. Etwa 17 Jahre nach dem Zerfall hatte sich Slowenien somit völlig in das entwickelte Europa integriert. Kroatien trat 2008 der NATO bei, die Aufnahme in die EU erfolgte am 1. Juli 2013. Somit vergingen bereits 17 (NATO) und 22 Jahre (EU), wobei der Beitritt zum Schengen-Raum in drei Jahren möglich sein könnte. Die Übernahme des Euro ist trotz einer sehr starken „Euroisierung“ der Wirtschaft wegen der Krise kaum vor 2020 zu erwarten. Somit hat sogar Kroatien noch einen recht weiten Weg vor sich.

Nach dem Beitritt von Slowenien und Kroatien klafft eine enorme Lücke, die allerdings auch ihre paradoxen Seiten hat, wie drei Beispiele zeigen werden. Aus der Sicht der EU-Annäherung ist Montenegro formell am weitesten fortgeschritten. Offiziell haben die Gespräche Ende Juni 2012 begonnen, doch ihr Tempo ist bisher nicht gerade berauschend. Insgesamt gibt es 35 Verhandlungskapitel, von denen real 33 durchgenommen werden. Davon wurden bisher zwei leichte – Wissenschaft und Forschung sowie Bildung und Kultur – eröffnet und vorläufig auch geschlossen. Doch über die Kapitel, die eigentlich am Beginn stehen sollten und die schwierigsten sein werden, wird noch nicht verhandelt: Das sind Justiz und Grundrechte sowie Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Sicherheit. Der Grund: Montenegro war jedenfalls bis zum Sommer 2013 mit der Vorlage konsistenter Aktionspläne säumig. Andererseits hat das Parlament in Podgorica nun doch einige Änderungen der Verfassung vorgenommen, um die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken. Ironischerweise haben Montenegro und der Kosovo allerdings bereits den Euro als Währung. Montenegro führte ihn 2002 gegen den Willen der EU über Geschäftsbanken ein, um sich weiter von Serbien zu lösen. Ansonsten ist das Land aber nicht in die Strukturen der Euro-Zone integriert und hat auch keine eigenen Euromünzen. Dasselbe gilt für den Kosovo, der ebenfalls 2002 den Euro einführte, allerdings mit Billigung der internationalen Gemeinschaft, die sich damit selbst den Zahlungsverkehr erleichterte. Der Kosovo wurde erst im Februar 2008 unabhängig und kann nun mit dem Beginn von Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen rechnen, wenn die Normalisierung mit Serbien planmäßig verläuft. Ein derartiges Abkommen bedeutet die erste vertragliche Beziehung zwischen einem Beitrittswerber und der EU, wobei sich beim Abschluss der Verhandlungen zeigen wird, wie die fünf Staaten verfahren werden, die den Kosovo nicht anerkannt haben. Denn dieses Abkommen müssen natürlich die Parlamenten ratifizieren. Trotzdem steht der Kosovo auf dem Weg Richtung EU derzeit formell an letzter Stelle, weil der Kosovo seinen Weg Richtung Brüssel als letztes Land des ehemaligen Jugoslawien begonnen hat. An der Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo hängt auch der Beginn der Beitrittsgespräche zwischen Serbien und der EU. Grünes Licht wurde beim EU-Gipfel im Frühsommer gegeben, und zwar unter dem Tagesordnungspunkt „Allfälliges“, was ebenfalls auf den Stellenwert schließen lässt, den der Balkan derzeit angesichts der internen Probleme der EU genießt. Der Kosovo und Serbien haben vereinbart, einander auf dem Weg Richtung Brüssel nicht zu blockieren, und dieser Punkt sowie die durchaus schwierigen Verhandlungen über die Normalisierung sind das positivste Signal, das der Balkan im Jahr 2013 ausgesandt hat. Das „Kapitel“ Kosovo wird Serbien auf dem Weg Richtung Brüssel wohl bis zum Ende der Verhandlungen begleiten, weil Serbiens EU-Beitritt ohne völkerrechtliche Anerkennung des Kosovo kaum denkbar ist. Doch bis dahin werden wohl noch sieben Jahre vergehen.

Die Nachzügler auf dem Westbalkan

Hinter Montenegro und Serbien rangieren Mazedonien und Albanien sowie Bosnien und Herzegowina. Bei Mazedonien hängt der Beginn der Beitrittsverhandlungen an der Lösung des Namensstreits mit Griechenland, die derzeit nicht in Sicht ist. Wie viel Zeit Mazedonien, auch durch sein provokatives Verhalten gegenüber Athen3) verloren hat, zeigt die Tatsache, dass Mazedonien den Status eines EU-Beitrittskandidaten schon im Dezember 2005 und damit zu einem Zeitpunkt erhielt – zu dem Montenegro noch kein unabhängiger Staat war. Albanien wiederum ist seit 2008 Mitglied der NATO. Seine EU-Annäherung verläuft aber wesentlich langsamer. Albanien hat die Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen schon im April 2005 abgeschlossen und den Beitrittsantrag im Juni 2009 gestellt. Die politischen Spannungen im Land und der mangelhafte Kampf gegen Korruption und Kriminalität haben aber die weitere EU-Annäherung beträchtlich verzögert. Ob sich das unter dem neuen sozialistischen Ministerpräsidenten Edi Rama ändern wird, bleibt abzuwarten.

Am stärksten belastet die Lage in Bosnien und Herzegowina die dauerhafte Stabilisierung des Balkans. Bosnien erinnert an Belgien nur mit drei gravierenden Unterschieden: Belgien ist bereits in der EU, seine Wirtschaft ist in einem weit besseren Zustand, und statt zwei Konfliktpartnern gibt es in Bosnien drei – Bosniaken, Serben und Kroaten sowie zwei Teilstaaten, die zentralistisch organisierte Republika Srpska und die Bosnisch-Kroatische Föderation, die mit ihren zehn Kantonen fast ebenso schwer zu regieren ist wie der Gesamtstaat. Bereits die Periode von 2006 bis 2010 war durch politische Stagnation gekennzeichnet, die sich auch nach den Wahlen im Oktober 2010 fortgesetzt hat.

So dauerte es in der Föderation fast ein Jahr, ehe eine Regierung zustande kam, während im Gesamtstaat erst nach 15 Monaten – und unter der Drohung einer massiven Finanzkrise – eine Regierung gebildet werden konnte. Darauf folgte eine politische Krise unter den bosniakischen Parteien in der Föderation. Im Grunde genommen hat das Land weitere vier Jahre verloren. Das gilt natürlich auch für die EU-Annäherung. Zwar konnte 2008 das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen unterzeichnet werden, doch es ist bis heute nicht in Kraft getreten, weil Bosnien und Herzegowina gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt, worauf ich später noch eingehen werde.

Das Grundproblem des Landes besteht nach wie vor darin, dass das Verhältnis zwischen Bosniaken und Kroaten sowie zwischen Bosniaken und Serben auch 17 Jahre nach Kriegsende noch immer stark belastet ist. Hinzu kommt ein ineffizientes Staatswesen, das mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Dayton vor allem mit westlicher „Hilfe“ zustande kam. Damit wurde zwar der Krieg beendet, doch ein Staat geformt, der den Anforderungen von EU-Beitrittsverhandlungen nicht gewachsen ist. Die Lösung dieses Problems wird zusätzlich dadurch erschwert, dass das im Dayton-System geschaffene „Gleichgewicht“ durch den massiven Exodus der Kroaten (von etwa 800.000 auf geschätzte 500.000) demografisch immer brüchiger wird, und nach wie vor kein gemeinsames Staatsbewusstsein unter den drei konstitutiven Völkern besteht. Eine Anpassung des Dayton-Systems ist schon deshalb unausweichlich, weil ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Gleichstellung der „anderen“ Volksgruppen (etwa der Roma) verlangt, und damit auch die Wahl zum drei Personen umfassenden Staatspräsidium reformiert werden muss. Dabei geht es um Ämter, die derzeit nur Kroaten, Serben und Bosniaken offen stehen. Doch das Urteil des Gerichtshofs vom 22. Dezember 2009 wurde bis dato nicht umgesetzt, und daher ist das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen noch immer nicht in Kraft getreten.