Wissenschaftliche E-Book-Reihe, Band 4
Originalausgabe
© 2011 Archiv der Jugendkulturen Verlag KG, Berlin und bei den AutorInnen
Alle Rechte vorbehalten

Vertrieb: www.jugendkulturen.de

Lektorat: Anna Ziegler

Die Wissenschaftliche Reihe im Archiv der Jugendkulturen
Alljährlich entstehen an Universitäten und Fachhochschulen Hunderte von wissenschaftlichen Arbeiten, die zumeist nur von zwei GutachterInnen gelesen werden und dann unbeachtet in den Asservatenkammern der Hochschulen verschwinden. Dabei enthalten viele dieser Arbeiten durchaus neues Wissen, interessante Denkmodelle, genaue Feldstudien. Das Archiv der Jugendkulturen, Fachbibliothek und Forschungsinstitut zugleich zu allen Fragen rund um Jugendkulturen, hat deshalb damit begonnen, wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Jugend zu sammeln und öffentlich zugänglich zu machen. Mehr als 600 solcher Arbeiten enthält die Präsenzbibliothek des Archivs inzwischen – für jedermann kostenlos und frei zugänglich.

In der Wissenschaftlichen Reihe publiziert das Archiv der Jugendkulturen seit 2007 zudem qualitativ herausragende wissenschaftliche Arbeiten zu jugendkulturellen Zusammenhängen. Die Arbeiten werden von fachkundigen GutachterInnen gelesen und vor der Veröffentlichung professionell lektoriert. Da pro Jahr von 30 - 40 eingereichten Arbeiten nur zwei veröffentlicht werden, kann bereits die Aufnahme in den Verlagskatalog als Auszeichnung verstanden werden. Doch für die AutorInnen lohnt sich die Veröffentlichung auch materiell. Die Archiv der Jugendkulturen Verlag KG verlangt von ihren AutorInnen keinerlei Kostenbeteiligungen! Im Gegenteil: AutorInnen, deren Arbeiten wir in unserer Wissenschaftlichen Reihe veröffentlichen, erhalten bereits für die Erstauflage ein Garantiehonorar von 2.000 Euro!

Seit 2011 wird diese Reihe durch eine elektronische Schwester ergänzt. Denn immer wieder mussten wir hervorragende Manuskripte ablehnen, da ein kleiner Verlag wie der unsrige sich nicht mehr als zwei wissenschaftliche Titel mit den gesetzten Qualitätsstandards (großformatige Hardcover, alle Bände sind reichlich illustriert, oft in Farbe) und dem bewusst sehr niedrig angesetzten Ladenpreis (um möglichst viele Menschen zu erreichen) leisten kann. Die E-Book-Reihe soll dieses Manko nun ausgleichen. Was für die Printreihe gilt, gilt auch für unsere E-Books: Sie werden ebenfalls unter der Fülle eingereichter Arbeiten sorgfältig ausgewählt und lektoriert, die AutorInnen erhalten ein kleines Garantiehonorar und werden am Umsatz beteiligt.

Das Archiv der Jugendkulturen e. V.
Das Berliner Archiv der Jugendkulturen e. V. existiert seit 1998 und sammelt – als einzige Einrichtung dieser Art in Europa – authentische Zeugnisse aus den Jugendkulturen selbst (Fanzines, Flyer, Musik etc.), aber auch wissenschaftliche Arbeiten, Medienberichte etc., und stellt diese der Öffentlichkeit in seiner Präsenzbibliothek kostenfrei zur Verfügung. Darüber hinaus betreibt das Archiv der Jugendkulturen eine umfangreiche Jugendforschung, berät Kommunen, Institutionen, Vereine etc., bietet jährlich bundesweit rund 80 Schulprojekttage und Fortbildungen für Erwachsene an und publiziert eine eigene Zeitschrift – das Journal der Jugendkulturen – sowie eine Buchreihe mit ca. sechs Titeln jährlich. Das Archiv der Jugendkulturen e. V. hat derzeit 240 Mitglieder weltweit (darunter viele Institutionen). Die Mehrzahl der Archiv-MitarbeiterInnen arbeitet ehrenamtlich.

Schon mit einem Jahresbeitrag von 48 Euro können Sie die gemeinnützige Arbeit des Archiv der Jugendkulturen unterstützen, Teil eines kreativen Netzwerkes werden und sich zugleich eine umfassende Bibliothek zum Thema Jugendkulturen aufbauen. Denn als Vereinsmitglied erhalten Sie für Ihren Beitrag zwei Bücher Ihrer Wahl aus unserer Jahresproduktion kostenlos zugesandt.

Weitere Infos unter www.jugendkulturen.de

Technische Universität Dortmund
Fakultät 12: Erziehungswissenschaft und Soziologie

Diplomarbeit zur Erlangung des Grades „Diplom-Pädagoge“

Die Tattoo-Szene
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Die Verbildlichung postmoderner Identitätskonstruktionen

vorgelegt von
Sven Hulvershorn

Erstgutachter: Dr. Peter Kauder
Zweitgutachter: Prof. Dr. Ronald Hitzler

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Inhalt

1. Einleitung

2. Die Entwicklung der Tätowierung bis heute

2.1. Etymologie des Begriffs Tätowierung

2.2. Definition der Tätowierung

2.3. Kulturgeschichte der Tätowierung

2.4. Veränderung von Wahrnehmung und Toleranz der Tätowierung in der Gesellschaft

3. Szenen heute

3.1. Definition der Szene

3.2. Aufbau der Szene

3.3. Die Bedeutung der Szene für Jugendliche

4. Postmoderne Identitätskonstruktionen

4.1. Die Bewandtnis der Symbolik

4.2. Neue Körperlichkeit, Ästhetik und Tätowierungen

4.3. Die Tätowierung als Möglichkeit der Konstruktion von Identität

5. Selbstdarstellung und Identitätsaufbau durch die Möglichkeiten des Web 2.0

5.1. Merkmale und Möglichkeiten des Web 2.0 und der Social Network Sites

5.2. Social Network Sites und Virtuelle Communities als Garant für neue Formen der Vergemeinschaftung und der Identitätsbildung

6. Die Tattoo-Szene: Ergebnisse eines Forschungsprojekts

6.1. Stand der Forschung

6.2. Forschungsdesign

6.2.1. Fragestellung und Methodenwahl

6.2.2. Erhebungs- und Auswertungsmethodik

6.2.3. Klassifizierung des Materials

6.3. Auswertung der Ergebnisse der Interviews

6.3.1. Erfahrungen mit Tätowierungen in der Kindheit und der Jugend

6.3.2. Individualität und persönliche Körperlichkeit

6.3.3. Bildsprache und Symbolik

6.3.4. Ästhetik und Wahrnehmung

6.3.5 Nutzung der Medien (Internet, Fanzines und TV)

6.3.6. Treffpunkte und Events

6.3.7. Der facettenreiche Charakter des Tätowierers

6.3.8. Die Geschlechterrollen

6.3.9. Resümee

7. Fazit: Existenz der Tattoo-Szene

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Tätowierungen sind schon lange kein Phänomen der sozialen Unterschicht mehr. Die verschiedensten Berichterstattungen und Dokumentationen in den öffentlichen Medien weisen seit einigen Jahren eine gänzlich neue Wahrnehmung von Tätowierungen auf, die sich durch gesellschaftliche Akzeptanz auszeichnet. Die Zeiten in denen nur gesellschaftliche Randgruppen, wie Seefahrer, Kriminelle oder Prostituierte Tätowierungen auf der Haut trugen sind scheinbar vorbei. Mittlerweile haben immer mehr Filmstars oder Musiker Tätowierungen und generieren so ein differenzierteres Bild in der Öffentlichkeit. Sie suggerieren, dass eine Tätowierung keine ausgrenzende Funktion mehr hat, sondern vielmehr eine Art von Lifestyle und Kunst bedeutet. Doch hat sich das Bild in der Gesellschaft wirklich gewandelt? Rückt die Tätowierung von ihrer stigmatisierenden Wirkung ab? Und was viel wichtiger ist, welche Wirkung hat die Tätowierung auf die heutigen Jugendlichen? Besonders in einer Zeit, in der die traditionellen Sozialisationsinstanzen und Gemeinschaften kaum noch Tragkraft und Anziehung für die Jugendlichen haben. Immer häufiger schließen sich Jugendliche heute Szenen an, anstelle von traditionellen Formen der Gemeinschaft, wie Familie, Kirchengemeinden, Vereinen, Parteien, etc. (vgl. Hitzler, Bucher, Niederbacher 2001, S. 13) Diese Szenen bieten den Jugendlichen Halt und dienen ihnen dazu sich selbst auszuprobieren, um so eine eigene Identität zu konstruieren und zu etablieren. Die Forschungen von Hitzler u.a. verdeutlichten den Stellenwert der Szenen für die Jugendlichen durch den Faktor der Vergemeinschaftung. Durch eben diese sind mittlerweile auch viele der heutigen Jugendszenen wissenschaftlich erforscht und dargestellt worden. Innerhalb dieses Forschungszweigs sind allerdings noch Leerstellen vorhanden an denen diese Forschungsarbeit anknüpft. Ziel ist unter Berücksichtigung des theoretischen Rahmens und Durchführung von Interviews eine neue, noch nicht erforschte Szene zu ergründen. Die Szene um die es sich handelt, ist die Tattoo-Szene. Daraus lässt sich die zentrale Fragestellung dieser Forschung generieren: Existiert eine Tattoo-Szene? Und wenn ja, was macht diese Szene und ihre Anhänger aus? Um diese Fragen zu beantworten wird zuerst ein theoretisches Gerüst aufgebaut. Beginnend mit der Kulturgeschichte der Tätowierung, soll erläutert werden, woher die Tätowierung stammt, wie sich die Tätowierung in Europa etabliert hat und welche Wirkung sie seitdem auf die Menschen ausübt (Kap. 2).

Nach dieser Darstellung wird aufgezeigt, wodurch sich eine Jugendszene im Kontrast zu traditionellen Formen der Vergemeinschaftung auszeichnet. (Kap. 3) Daran schließt sich die Überprüfung an, welchen Stellenwert die Tätowierung bei Jugendlichen haben kann. Also welche Motivation sich hinter dem Stechen einer Tätowierung verbirgt und welchen Sinn und welche Weltdeutung hinter der Symbolik der Tätowierung liegen kann. Der Fokus richtet sich dabei auf den Aspekt der postmodernen Identitätskonstruktion, besonders in Bezug auf die Faktoren der neuen Körperlichkeit, der Ästhetik und der Symbolik. Verknüpft werden diese Faktoren dann mit der Rolle der Tätowierung. (Kap. 4) Da diese Faktoren aber mittlerweile nicht mehr nur in der realen Welt zu tragen kommen, sondern verstärkt auch in der Virtuellen, besonders in Zeiten des Web 2.0 und den Social Network Sites, ist es unabdingbar zu ergründen, wie Jugendliche diese medialen Interaktions- und Kommunikationsräume nutzen. In diesem Kontext wird thematisiert, wie sich Jugendliche innerhalb des Internets darstellen und welche Funktion dabei die Tätowierung einnimmt. In einem weiteren Schritt wird untersucht, auf welche Weise virtuelle Kommunikation und Interaktion dazu beitragen Identität zu generieren. (Kap. 5) Um eine mögliche Tattoo-Szene aber nicht nur durch Theorie zu implementieren, wurden für diese Studie fünf Interviews mit tätowierten Männer und Frauen geführt, um einen spezifischen Einblick in deren Lebenswelt zu erlangen, und um spezielle Informationen zu deren Tätowierungen und deren Bedeutungen zu bekommen. Nach einer Einführung in den Forschungsstand und nach Erklärung des Forschungsdesigns, werden die durchgeführten Interviews interpretiert und die Ergebnisse zusammengefasst, um so ein möglichst breites Bild von einer vermeintlichen Tattoo-Szene aufzeigen zu können. (Kap. 6) Zusammenfassend werden die theoretischen und die empirischen Ergebnisse miteinander verknüpft und daraufhin überprüft, inwiefern die Tattoo-Szene tatsächlich existent ist. (Kap. 7)

2. Die Entwicklung der Tätowierung bis heute

Tätowierungen werden heutzutage nicht selten als „Modeerscheinung“ der Jugend tituliert. Doch Tätowierungen sind keine Phänomene der Neuzeit. Der erste belegte Fund einer Tätowierung tauchte in den 1990er Jahren mit dem Fund des „Ötzis“ auf. Auf dieser circa 5200 Jahre alten Eismumie wurden zunächst unerklärbare Zeichen, genauer gesagt 47 strichförmige Tätowierungen, entdeckt. Diese sind gewiss nicht mit heutigen Tätowierungen vergleichbar. Noch kann wohl kaum davon ausgegangen werden, dass sich dieser vorzeitliche Mensch darüber Gedanken gemacht hat, ob diese Tätowierungen einem Schönheitsideal, oder auch eben keinem Schönheitsideal gleich kommen. Es wird allerdings deutlich, dass die Tätowierung „eine seit Jahrtausenden bestehende Tradition der Menschheit.“ (Friedrich 1993, S. 16) zu sein scheint. Friedrich erklärt, dass die ersten Funde sogar in eine noch weiter entfernte Vergangenheit datiert werden können. Er gibt an, dass in den verschiedensten Ländern Europas Nadeln mit Pigmentresten gefunden wurden, die ungefähr 8000 Jahre alt sein sollen (vgl. ebd. 1993, S. 16ff). Allerdings ist es nicht von existentieller Bedeutung, ob die erste Tätowierung vor 8000 oder vor 5200 Jahren entstanden ist, wesentlich ist, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht als „Tätowierung“ bezeichnet wurde. Dies lässt sich aus dem Grund anzweifeln, da der Begriff der Tätowierungen erst viel später geprägt werden sollte. Doch woher kommt der Begriff der Tätowierung und wie entwickelte sich das Hautbild gerade hier in Europa bis zur heutigen Zeit? Auf den folgenden Seiten soll genau darüber Aufschluss gegeben werden.

2.1. Etymologie des Begriffs Tätowierung

Der Begriff Tätowierungen lässt sich nicht, wie die meisten anderen Wörter unserer Sprache aus dem indogermanischen Sprachbereich ableiten (vgl. Friedrich 1993, S. 13). Er entwickelte sich um das Jahr 1774 in Europa. Zu Anfang wurde aber noch von Tatauierung gesprochen. James Cook, der auf seiner Reise im südpazifischen Raum Eingeborene entdeckte, die sich Bilder in die Haut stachen, beschrieb dies als „Tattaw“. Dieses Wort wurde im Sprachbereich der pazifischen Inseln verwendet (vgl. ebd. 1993, S. 14). Neben diesem Begriff entwickelte sich in England auch das Wort „Tattow“, welches sich später in „Tattoo“ wandelte. Beziehend auf Joest, erklärt Friedrich weiter, dass dieser die These aufstellte, dass das Wort Tatauieren sich auf den auf Tonga und Samoa verwendeten Begriff „tatau“ beziehen lässt. Das Wort Tätowieren ist dann durch einen Transponierungsfehler von der englischen in die deutsche Sprache entstanden, in dem der Buchstabe w eingesetzt wurde (vgl. ebd. 1993, S. 15). In der deutschen Sprache existierten dann sowohl der Begriff Tatauierung, als auch der Begriff Tätowierung. Heutzutage wird umgangssprachlich fast ausschließlich entweder der Begriff Tätowierung, oder auch Tattoo genutzt. Man lässt sich also entweder tätowieren oder ein Tattoo stechen. Viele Tätowierte nutzen aber auch noch weitere Synonyme. So bedeutet sich den „Arm zu hacken“ oder sich einen „Sleeve“ machen, dass der Arm ganz tätowiert wird. Bei einer Ganzkörpertätowierung wird dagegen beispielsweise von einem ‚Bodysuite’ gesprochen. Auch der Ausdruck „bunt sein“ wird gerne umgangssprachlich von Tätowierten benutzt.

2.2. Definition der Tätowierung

Da es neben der Tätowierung noch andere Möglichkeiten gibt, wie der Körper verändert werden kann, die der Tätowierung aber ähnlich sind, wie beispielsweise Piercings, Brandings1 oder Scarifications2, erscheint es notwendig den Begriff und den Vorgang des Tätowierens näher zu beleuchten. Friedrich erklärt, und bezieht sich dabei auf Thévoz, dass „die Tätowierung eine bewusst vorgenommene, bleibende Einlagerung von Farbkörpern in der Haut [ist]. Sie zählt zu den künstlich herbeigeführten Veränderungen des menschlichen Körpers. […] Die Tätowierung gehört, […] zur Gruppe der künstlich herbeigeführten, bleibenden Veränderungen der menschlichen Haut. (Friedrich 1993, S. 62ff) Bei der Suche nach dem Begriff Tätowierung in der Brockhaus Enzyklopädie, wird auf die Definition Tatauierung verwiesen und es kann folgendes in Erfahrung gebracht werden:

„Tatauierung [zu polynes. Tatau »Zeichen«], umgangssprachlich „Tätowierung“, das einstechen oder einritzen von Ornamenten in menschl. Haut. In musterhaft angeordnete Stiche oder Schnitte reibt man Farbstoffe (oft mit Pflanzensäften gebundenen Ruß). In manchen Gebieten (NO-Asien und Nordamerika) wurden geschwärzte Fäden in die Haut genäht. T. ist in außereurop. Kulturen weit verbreitet. Bes. in Afrika wird die Narben-T. angewendet, bei der die Schmuckformen durch wiederholtes Verunreinigen der Wunden und Abreißen des Schorfs (auch Einbrennen) entstehen; meist haben sie mag. Bedeutung oder symbolisieren die Aufnahme Jugendlicher in den Kreis der Erwachsenen. Dagegen erzählen die hauptsächlich in O-und SO-Asien sowie in Ozeanien (aber auch regional in Amerika) verbreiteten Stich-T. komplexe Geschichten, zeugen von gesellschaftl. Rang oder heroischen Taten. Die Kunst des Hautstichs war v.a. in Polynesien und Japan hoch entwickelt. Seeleute machten sie in Europa bekannt.“ (Brockhaus 2006, S. 82)

Neben diesen beiden Definitionen soll noch darauf hingewiesen werden, dass sich die Betrachtung der Tätowierung in dieser Arbeit auf eine freiwillige Handlung bezieht. Denn neben den freiwillig durchgeführten Tätowierungen existieren noch die Straf-oder Zwangstätowierung, deren Charakter selbsterklärend ist, und die Unfall-oder Schmutztätowierung. Diese letztgenannten entstehen beispielsweise bei Explosionen oder Stürzen auf Asphalt, wobei Farbpartikel in die menschliche Haut eindringen und sich einlagern (vgl. Friedrich 1993, S. 64).

2.3. Kulturgeschichte der Tätowierung

Die ersten Spuren eines vermeintlich tätowierten Menschen lassen sich auf ein Alter von circa 5200 Jahre datieren. Die „Ötzi“ genannte Eismumie wies 47 strichförmige Tätowierungen auf ihrem Körper auf. Jedoch sollte bei diesen Tätowierungen wohl nicht von Schmucktätowierungen gesprochen werden, wie ein Münchner Akupunkturarzt auch belegen konnte. Viel eher scheinen diese Tätowierungen der Linderung von Schmerzen gedacht gewesen zu sein. So schreibt Lobstädt, „nach einer Rekonstruktion der Anatomie des Eismenschen fand er heraus, dass die Tätowierungsgruppen an einigen klassischen Akupunkturpunkten lagen.“ (Lobstädt 2005, S. 167) Diese Punkte dienten und dienen auch heute noch zur Linderung von Beingelenk- und Wirbelschmerzen. Ein radiologischer Befund bewies, dass der Eismensch die Tätowierungen aufgrund der Behandlung dieser Symptome hatte. Die ersten Schmucktätowierung, am Körper und an den Extremitäten, wurden dagegen an Mumien von zwei ägyptischen Mädchen gefunden, die ungefähr 2000 v. Chr. gelebt haben (vgl. ebd. 2005, S. 168). Scheinbar waren Tätowierungen den alten Hochkulturen wohl bekannt und wurden von diesen auch praktiziert. Im Vergleich dazu sahen die Griechen und die Römer die Tätowierung aus einem ganz anderen Blickwinkel. Für diese beiden Kulturen dienten die Tätowierungen „als Kennzeichnung des Eigentums, der Erniedrigung oder der Strafe.“ (ebd. 2005, S. 168) Da das Wort Tätowierung erst im 18 Jahrhundert n. Chr. etabliert wurde, nannten Römer und Griechen diese Hautbilder Stigma, dass wiederum so viel wie Mal, Zeichen oder Wundmal bedeutete. Dieses Stigma wurde meist von Söldnern oder Sklaven getragen, aber auch von Tieren, wodurch deren Stellung in der Gesellschaft verdeutlicht wird. Nicht tätowiert, dafür aber gebrandmarkt wurden die Verbrecher bei den Römern. So wurde „dem Urkundenfälscher […] die Schreibhand und dem Verräter die Zunge.“ (ebd. 2005, S. 168) gezeichnet. Lobstädt erklärt weiter, dass die Römer selbst angebrachte Tätowierungen nur von ihren Feldzügen in Britannien kannten. Auch die Hebräer lehnten diese Körperbemalung ab. Laut der Bibel stellte eine Tätowierung für sie wahrscheinlich das im Buch Mose genannte Kainsmal dar. Wobei Lobstädt hier anfügt, das sich dies letztendlich nicht genau sagen lässt, sondern nur vermutet werden kann. Dennoch wurden die Tätowierungen als Zeichen bei den frühen Christen verwandt. Diese Zeichen, oft entweder die Anfangsbuchstaben vom Namen Christus, ein Lamm, ein Kreuz oder ein Fisch, die erst als ein unfreiwilliges Erkennungsmal für den Rest der Gesellschaft gedacht waren, wurden schnell zu einem Zugehörigkeitszeichen. Oettermann erklärt dazu, „zeigte es doch in aller Öffentlichkeit, das man für seinen Glauben zu leiden bereit war“ (Oettermann 1995, S. 13). Die Gruppenstabilisierung, die dieses Mal mit sich brachte wurde von den Christen, die in der Diaspora lebten, noch bis ins 20. Jahrhundert tradiert (vgl. ebd. 1995, S. 13). Erst in den Gegenden in denen das Christentum langsam zur erstarkenden Religion wurde, gerieten die Tätowierungen in Verruf, verschwanden jedoch nicht. Oettermann erklärt, dass die Tätowierung zu dieser Zeit in Europa immer eine Grenzziehung war (vgl. ebd.1995, S. 14) und weiter, „in der Phase des Übergangs von der Verfolgung zur Etablierung der christlichen Gemeinde zur Staatskirche wurde die Tätowierung beibehalten, änderte aber ihre Bedeutung: aus dem Outgroup-Stigma wurde das Ingroup-Erkennungszeichen.“ (ebd. 1995, S. 14) Mit Beginn der Missionierung begannen sich die Christen von ihrem „Ingroup-Erkennungszeichen“ zu distanzieren, um sich von den Völkern die die Tätowierung als Tradition etabliert hatten abzugrenzen. Das Konzil von Calcuth in Nordumberland (Britannien) sprach sogar im Jahre 787 ein Verbot der Tätowierungen aus. Mittelalterliche Belege über Tätowierungen zeigen allerdings, dass die Kreuzritter, sich Kruzifixe und ähnliche Emblemes tätowieren ließen, mit dem Gedanken, dass sie im Falle ihres Ablebens ein christliches Begräbnis bekommen würden. Es existieren auch Belege dafür, dass Pilger, die versuchten die Grabstätte Jesu in Jerusalem zu erreichen, sich Hautzeichen als Beweis dafür tätowieren ließen. Weitere Dokumente über die Tätowierungen sind eher selten. Und obschon es ab dem 15. Jahrhundert einen starken Anstieg an schriftlichen Quellen über die Geschichte der Menschheit gibt, sind die Quellen, die Nachweise über Tätowierungen liefern, sehr begrenzt.

, der die These vertrat, dass „das Kennzeichen des Verbrechers […] sich an der körperlichen Erscheinung und unter anderem an Tätowierungen festmachen [lässt].“ (ebd. 2005, S. 175) Lombroso kam zu der Schlussfolgerung, dass primitive Völker Tätowierungen verwendeten, um sich zu schmücken, während zivilisierte Völker dies nicht taten und „sollte es in der zivilisierten Gesellschaft nun Menschen geben, die sich tätowieren ließen, so bedeutet dies eine Rückkehr zu vermeintlich überwundenen primitiven Ritualen.“ (ebd. 2006, S. 41). Durch die Verbreitung seiner Schrift in ganz Europa wurden diese Thesen, der Kriminalisierung der Tätowierung, bei großen Teilen des Bürgertums bekannt und erhielten Zustimmung, wodurch nun ein eher negatives Licht auf die Tätowierung geworfen wurde, welches teilweise bis in die heutige Zeit zu strahlen vermag. Problemtisch an seiner Forschung war, dass er Tätowierte nur in Strafanstalten erforschte, aber keinen Vergleich mit der nichtkriminellen Bevölkerung anstellte (vgl. ebd. 2006, S. 40). Doch der Ruf und auch die Möglichkeit des Tätowierens wurden in den 1920er Jahren bis in die nationalsozialistische Zeit noch weiter geschmälert. Man begann die Zurschaustellung von Tätowierten zu reglementieren und später ganz zu verbieten. „Die Ganzkörpertätowierung vor allem für die Schausteller [wurde] zum drohenden Todesurteil. Nur wer noch rechtzeitig emigrierte, konnte Deportation und Hinrichtung entgehen.“ (Lobstädt 2005, S. 176) Die Nationalsozialisten pervertierten vielmehr die Haut der Tätowierten, in dem aus der Haut von ermordeten Häftlingen Lampenschirme und Bucheinbände gemacht wurden. Zum anderen jedoch funktionierten sie das Tätowieren auch für ihre Belange um. Aus einer kulturellen Tradition wurde eine bürokratische Bestandsaufnahme, das bedeutet, den Häftlingen in den Konzentrationslagern wurden Nummern tätowiert und der Waffen-SS ihre Blutgruppe (vgl. Friedrich 2003, S. 21). Nach dem Krieg bis in die 1970er Jahre kommt die wissenschaftliche Forschung in Bezug auf die Tätowierung fast zum Erliegen und der Tätowierung wird das Ende vorausgesagt. Jedoch wird die Tätowierung scheinbar durch die amerikanischen Motorradfahrer, wie bei dem Motorradclub der Hell’s Angels, wiederbelebt. Lobstädt erklärt, dass durch die amerikanische Biker- und Rockerszene auch in Deutschland die Tätowierung wieder zum Vorschein kam.