Meine Schulter macht mir zu schaffen. Wieder einmal. Ich hätte besser aufpassen müssen, als ich das letzte Mal auf Beast saß. Dieses verdammte Vieh hat mich abgeworfen und wortwörtlich auf die Hörner genommen. Ich bin froh, dass ich bloß die Schulter zertrümmert hatte, denn der Stier hätte mich problemlos ins Jenseits befördern können. Doch die Schmerzen, die ich auch nach sechs Operationen noch habe, sind zum Kotzen. Ich betäube sie mit Alkohol und Schmerzmitteln, beides will nicht helfen, aber es macht meinen Kopf wunderbar schwer, sodass ich nicht mehr allzu viel nachdenken muss. Es passiert viel zu oft, dass ich einen über den Durst trinke, mich regelrecht besaufe, aber anders ertrage ich es einfach nicht mehr. Es macht mich fertig, dass ich meinem Job momentan nicht nachgehen kann und darf. In Ordnung es ist bloß ein Zweitjob, denn hauptberuflich bin ich auf der Farm meines Onkels tätig, aber auch ihm kann ich nicht viel zur Hand gehen. Er sagt, es sei kein Problem und ich solle mich ausruhen, aber ich sehe, dass er die Arbeit allein kaum bewältigen kann. Er hat keine eigenen Kinder und meine Tante ist vor zehn Jahren gestorben, weshalb ich als Achtzehnjähriger zu ihm gezogen bin. Meine Eltern kenne ich nicht. Sie waren Säufer und sind abgehauen, nachdem sie mich vor die Tür meiner Großeltern gelegt haben. Ich bin froh, dass ich bei ihnen aufgewachsen bin, denn sie gaben mir all das, was meine Eltern mir verwehrt hätten. Dennoch bin ich kaputt. Ungeliebt, nicht gewollt, abgeschoben. Inzwischen habe ich mir einen Panzer angelegt, niemand kommt an mich heran. Ich lasse keinen Menschen in mein Innerstes blicken, denn ich habe keinen Bock mehr, mich verletzbar zu machen. Meine Ex hat mir das Herz gebrochen, als sie schlussgemacht hat. Und vier Jahre später heiratet sie meinen besten Freund. Wie gestört kann das Leben sein? Ich glaube, entweder ist mein Jahrgang kaputt, denn Fletch – mein bester Freund – und auch Lane – meine Ex – sind genauso alt wie ich, oder nur ich bin es. In einer Kleinstadt kann es zwar passieren, dass man sich in die Ex seines Besten verliebt, aber krank bleibt es. Er hat damit den Bro Code verletzt, denn der Bruder kommt gefälligst vorm Luder. Klar fragte er mich damals, ob ich ein Problem damit hätte oder einverstanden sei, aber hätte ich Nein gesagt, wäre ich das Arschloch gewesen. Darauf hatte ich gern verzichtet.
»Slade?«, ruft Graham, mein Onkel.
»Was ist?«, erwidere ich und erhebe mich. Wie so oft saß ich im Schaukelstuhl auf der Veranda, um meinen Blick in die Ferne schweifen zu lassen.
»Könntest du mir die Rohrzange reichen? Ich muss die Dichtung festhalten, sonst haben wir gleich eine Riesensauerei in der Küche.«
Ich begebe mich zu ihm, sehe ihn unter dem Spülbecken liegen und greife in den Werkzeugkasten. Als ich die Rohrzange habe, reiche ich sie ihm. »Hier.«
»Danke, Junge.«
»Kein Ding.« Anschließend hole ich mir ein Bier aus dem Kühlschrank und nehme am Küchentisch Platz. »Was soll das werden?«
»Der Abfluss war verstopft, also musste es repariert werden. Oder willst du ewig alle Nudeln, die wir kochen, im Gäste-WC abschütten?«
»Für mich war's kein Problem, denn ich koche nicht und du für gewöhnlich auch nicht«, halte ich dagegen und trinke einen großen Schluck Budweiser.
»Du bist ja auch eine faule Socke, die nichts macht und dann noch alles auf diese alte Verletzung schiebt.«
»Die Verletzung macht mich immer noch fertig. Laut Arzt kann ich mir diese Saison abschminken und die nächste wahrscheinlich auch.«
»Also kein Bullriding mehr für dich?«
»Dieses Jahr jedenfalls nicht mehr«, entgegne ich genervt,
»Dann solltest du zusehen, dass du ein paar mehr Aufgaben übernimmst. Du musst ja nichts machen, was deine Schulter in Mitleidenschaft zieht.«
»Und welche Aufgaben schweben dir so vor?«
»Du kannst die Tiere auf die Weide und zurück in den Stall treiben«, sinniert er.
»Das mache ich sowieso schon.«
»Du könntest den Hühnerstall streichen, der hat es mal wieder nötig. Dafür brauchst du nur deinen rechten Arm, den linken kannst du schonen«, sagt Onkel Graham.
»Na gut, das kann ich machen. Wann soll ich damit loslegen?«
»Am besten sofort.«
»Was brauche ich dafür alles?«
Graham schnaubt. »Junge, sieh im Schuppen nach, ob dort noch Farbe und Versiegelungslack sind. Wenn nicht, fährst du zu James und holst die Sachen.«
»Alles klar.« Ich räuspere mich. »Kommst du heute Abend mit zu Colin?«
»Warum? Willst du dich wieder besaufen?«
»Nein, aber Fletcher hat Geburtstag und er wollte feiern. Ich dachte, wir könnten gemeinsam hingehen.«
»Bin ich überhaupt eingeladen?«
»Ja sicher! Er sagte, ich soll dich mitbringen, sofern ich komme«, antworte ich halbwegs aufrichtig. Fletch ist ein Mensch, der keine direkten Einladungen ausspricht, sondern sagt, man kann jemanden mitbringen, falls man will. Für mich gilt es nicht, ich bin sein bester Freund und er hatte noch nie ein Problem damit, wenn ich eine Frau oder meinen Onkel mitgebracht habe. Abgesehen davon kommt Graham so auch mal aus dem Haus, ohne dass er nur meinen besoffenen Arsch aus dem Rider's Pub hieven muss. Heute Abend hätte er immerhin Hilfe dabei, denn Fletcher und Lane sind auch dort.
»Alles klar, dann begleite ich dich.«
»Super, du fährst.«
»War ja klar«, brummt er, zieht die Dichtung fest und kommt unter der Spüle hervor.
»Super, dann kann ich mich wirklich betrinken, damit ich Lane nicht dabei zusehen muss, wie sie Fletch das Ohr ausleckt.«
»Wenn wir nicht miteinander aufgewachsen wären und du mir nicht so gut zur Hand gehen würdest, wenn du mal nicht jammerst, hätte ich dich schon längst rausgeschmissen.« Er sieht mich ein wenig genervt an, aber ich weiß, dass das alles nur Fassade ist. Er war zehn Jahre alt, als meine Eltern mich vor die Tür meiner Großeltern gelegt haben. Meine Mutter war 16, sie hat mich viel zu früh bekommen und jetzt liegt sie sicher schon in ihrem Grab. Ich will nichts mit dieser Frau zu tun haben, denn sie war die Erste, die mich in meinem Leben enttäuscht hat. Und ihr sind unsagbar viele gefolgt, bis ich mich dazu entschlossen habe, dass ich Frauen nur noch fürs Bett benutze. Ich ficke sie, dann schicke ich sie weiter. So läuft es ganz gut und bisher war keine dabei, die mein Herz berühren konnte. Abgesehen davon will sowieso niemand mein vertrocknetes Herz wieder zum Schlagen bringen.
»Junge, was ist los?«
Ich hebe den Blick vom Etikett der Bierflasche und schaue ihn an. »Nichts, hab nur nachgedacht.«
»Heißt?«
Ich ziehe einen Mundwinkel hoch und zeige ihm ein halbherziges Grinsen. »Dass ich denken kann.«
»Alles klar, dann lass ich dich mal mit deinen Gedanken allein und kümmere mich um den Traktor.«
»Ist der schon wieder kaputt?«, möchte ich wissen.
Mein Onkel verdreht die Augen. »Die Benzinpumpe, mal wieder.«
»Fuck.«
»So kann man es sagen«, stimmt er mir zu und seufzt. »Wann wolltest du ins Rider's?«
»Gegen halb zehn. Fletch wird auch nicht früher dort sein.«
»Alles klar.«
»Das heißt, wir sollten uns um neun auf den Weg machen«, lasse ich ihn wissen.
»In Ordnung, Slade.«
Ich leere das Bier, stelle die Flasche weg und erhebe mich. »Ich gehe dann mal den Schuppen plündern.«
Graham sieht mich mit gehobener Augenbraue an, anschließend verschwindet er kopfschüttelnd.
Grinsend verlasse ich ebenfalls das Haus, um mich im Schuppen nach dem Holzlack und der Farbe umzusehen. Vorher sollte ich noch den Hühnerstall in Augenschein nehmen. Denn gegebenenfalls muss ich das Holz abschleifen, um es überhaupt streichen zu können, sofern der Lack schon wieder abgeblättert ist. Ich habe den Stall das letzte Mal vor fünf Jahren gestrichen, davor, als ich gerade hergekommen war. Eigentlich mache ich die Arbeit auf der Farm gern, aber manchmal nervt sie. Streichen gehört nicht zu dem, was ich besonders gern mache, allerdings muss auch das erledigt werden. Und ich bin froh darüber, dass es diesmal nur der Hühnerstall ist und nicht die Scheune, wie letztes Jahr.
»Soll ich dir helfen, Slade?«, fragt James, der Inhaber des Handwerkerbedarfs, als ich mich mit der Auswahl der Farbe schwertue. Ich finde, der Hühnerstall könnte einen vollkommen neuen Look vertragen. Vielleicht sollte ich ihn dunkelgrün streichen, denn das Rot ist inzwischen langweilig geworden.
»Nein, ich komme schon klar.«
Trotzdem kommt James zu mir. »Was suchst du denn?«
»Ich habe vor, den Hühnerstall zu streichen, aber ich kann mich nicht entscheiden, welchen Grünton ich nehme. Dunkelgrün gibt es ja nicht, sondern nur wald-, moos-, tannengrün und so was«, erwidere ich überfordert.
Er lacht. »Das sind nur kleine aber feine Unterschiede. Am besten nimmst du wald- oder tannengrün. Das sind eigentlich die gleichen Töne.«
»Ah, wieso gibt's dann beide, wenn sie identisch sind?«, hake ich mit einer gehobenen Augenbraue nach.
»Geldmacherei«, entgegnet er. »Wie viele Eimer brauchst du für den Hühnerstall?«
»Ich denke, vier sollten reichen und ich nehme das tannengrün.«
»Soll ich dir beim Tragen helfen?«
Daraufhin schüttle ich den Kopf. »Nicht nötig. Ich krieg's hin. Wo hast du den klaren Holzlack hingeräumt?«
»Ich habe den Farbton auch als Holzlack, dann musst du nicht doppelt ran«, lässt er mich wissen, bevor ich einen Farbeimer von der Palette nehmen kann.
»Super, wo steht der?«
»Wie viele Dosen brauchst du? Dann hole ich sie dir.«
»Kommt drauf an, wie viel da drin ist.«
»Fünf Liter.«
»Kostenpunkt?«
»Ich gebe sie dir für denselben Preis wie die Farbeimer, okay?«
»Insgesamt oder pro Dose?«, hake ich interessiert nach.
»Insgesamt«, sagt er seufzend. »Aber nur, weil Graham und du so gute Kunden seid und dein Onkel und ich seit unserer Jugend befreundet sind.«
»Wie viel kriege ich mit einer Dose gestrichen?«
»Bei einem einmaligen Anstrich etwa zehn Quadratmeter.«
Ich rechne kurz zusammen, wie viel Fläche ich mit dem Lack streichen muss, bedenke auch, dass ich gegebenenfalls zweimal ran muss. »Ich denke, dann nehme ich erst mal sechs Dosen und komme wieder, falls ich mehr brauche.«
»Alles klar. Ich hole sie und bringe sie dir dann zum Pick-up.«
»Super, danke, James. Ich gehe schon mal an die Kasse.« Manchmal ist es unangenehm, dass die Leute einen so gut kennen. James gehört zu jenen Freunden meines Onkels, die mich kennen, seit ich in die verdammten Windeln geschissen habe. Ich bin froh, dass er lange nicht mehr mit allen davon Kontakt hat, denn so einige haben mir meine Kindheit ziemlich schwer gemacht. Etwa Porter, der mich noch als Jugendlicher Windelscheißer nannte, oder Caleb, der meinte, mich drangsalieren zu müssen, wenn Graham nicht hingesehen hat. Heute wehre ich mich, mit sechs Jahren konnte ich es nicht. Ich lasse mir nichts mehr gefallen.