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Ruby Recked

2. Auflage

© 2019 Written Dreams Verlag

Herzogweg 21

31275 Lehrte

kontakt@writtendreams-verlag.de

www.writtendreams-verlag.de

© Covergestaltung: Art for your book by Sabrina Dahlenburg

ISBN ebook: 978-3-96204-096-3

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlags weitergegeben werden.

Kapitel 1

„Sie sind spät dran, Ms. Collins“, rügte mich die Verwaltungsangestellte des Wohnheims.

„Jackson“, korrigierte ich sie. „Mein Nachname lautet Jackson. Collins ist der Vorname.“ Innerlich verdrehte ich die Augen, da ich in meinem bisherigen Leben schon viel zu oft vor dem Problem gestanden hatte, dass die Leute nicht wussten, wie ich tatsächlich hieß. Nach wie vor war ich mir nicht sicher, was sich meine Eltern bei der Namenswahl gedacht hatten.

An manchen Tagen wünschte ich mir, dass sie mich schlicht Colleen genannt hätten, so wären mir die wiederkehrenden Erklärungen erspart geblieben. Die meiste Zeit war ich allerdings froh über mein Alleinstellungsmerkmal.

„In unserer Datenbank ist es andersherum hinterlegt“, fuhr sie fort. „Außerdem ist bei Geschlecht ‚männlich‘ angegeben, was zur Folge hat, dass Sie auf dem Herrenflur wohnen werden.“ Bevor es mir möglich war, zu protestieren, redete sie weiter. „Das lässt sich leider nicht mehr ändern, da wir bis auf das letzte Bett alles vermietet haben.“

„Aber ich beziehe ein Einzelzimmer, oder?“, fragte ich leicht irritiert nach. Immerhin hatte mein großer Bruder Cooper eine hübsche Stange Geld dafür ausgegeben, damit ich allein leben und mich voll auf mein Studium konzentrieren konnte. Das mit dem Jungs-Flur würde bestimmt nicht so schlimm werden, wenn ich wenigstens im Zimmer meine Ruhe hatte, schließlich war ich nichts anderes gewohnt, da ich in einem reinen Männerhaushalt aufgewachsen war.

„Ja, obwohl das mehr als ungewöhnlich ist. Normalerweise stehen Freshmen keine Einzelzimmer zu.“ Misstrauisch beäugte sie mich über den Rand ihrer Brille hinweg, bevor sie mir einen Stapel Zettel aushändigte. „Unterschreiben Sie bitte hier, hier und hier. Danach kann ich Ihnen Ihren Schlüssel geben und endlich Feierabend machen. Wie bereits erwähnt, sind Sie sehr spät dran und haben Glück, dass Sie mich überhaupt noch erwischt haben.“

„Es tut mir leid, Ma’am“, entschuldigte ich mich rasch. Wenn ich mich zu Hause durchgesetzt hätte, wäre ich schon am Freitag angereist, um mich zu akklimatisieren. Mein Dad hatte allerdings darauf bestanden, dass wir das letzte Wochenende vor dem Studium gemeinsam verbringen sollten und ich hatte ihm noch nie einen Wunsch abschlagen können.

Ich setzte meine Unterschriften an die entsprechenden Stellen. Währenddessen hatte sie angefangen, in einem kleinen Schränkchen mit Schlüsseln zu kramen. Mehrfach durchforstete sie die Reihen, ohne nach einem zu greifen. „Merkwürdig“, murmelte sie vor sich hin.

Was war denn jetzt noch? Reichte die Namens- und Geschlechtsverwechselung nicht aus?

Mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck drehte sich die Frau wieder zu mir um. „Ich händige Ihnen zunächst den Ersatzschlüssel aus, da der originale nicht an seinem Platz ist. Morgen muss ich dringend mit meiner Kollegin dessen Verbleib klären.“

Sie überreichte mir den Schlüssel. „Ihr Zimmer ist in Gebäude D, Raum 321. Wenn Sie aus diesem Haus kommen, halten Sie sich rechts, an der nächsten Weggabelung links und ab da ist alles gut ausgeschildert.“

„Vielen Dank und einen schönen Feierabend“, wünschte ich und begab mich auf den Weg. Hoffentlich war er nicht allzu weit, denn meine beiden großen Koffer waren verdammt unhandlich, obwohl sie Rollen hatten.

Nachdem ich etwa dreihundert Meter gegangen war, erreichte ich Gebäude D, mein neues Zuhause. Es handelte sich um ein altes, rotes Backsteingebäude mit weißen Fenstern, das sehr gut erhalten war. Hier würde ich mich in den nächsten vier Jahren bestimmt wohlfühlen.

Ich betrat die kleine Eingangshalle und blieb stehen, um mir einen Überblick zu verschaffen. Viel gab es hier nicht zu sehen, denn sie war fast leer. Ein paar Tische und Stühle, an denen man lernen oder essen konnte, standen herum. Zwei öffentliche Computer befanden sich an der einen Wand, ein großes schwarzes Brett an der anderen. Auf den ersten Blick erkannte ich Jobangebote, einen Flyer für eine Party, die gestern stattgefunden hatte, und Nachhilfegesuche. Zum Glück gab es einen Fahrstuhl, der mich und mein schweres Gepäck in den dritten Stock befördern konnte.

Oben angekommen hielt ich mich rechts. Die vierte Tür in dem langen Flur war meine. 321. Angewidert verzog ich das Gesicht, als ich wahrnahm, dass jemand ein Handtuch an den Türknauf gehängt hatte. Jungs konnten ja so widerlich sein. Warum musste man ausgerechnet an meiner Tür seine dreckige Wäsche entsorgen?

Mit den Fingerspitzen entfernte ich das Tuch und warf es neben den Eingang. Vielleicht würde es der Besitzer ja wieder abholen. Gewaschen werden sollte es so oder so.

Vorsichtig schob ich den Schlüssel ins Schloss und stellte fest, dass nicht abgeschlossen war. Mit einem leisen Klacken öffnete ich die Tür und erstarrte in der Bewegung, als ich den Anblick sah, der sich mir bot.

Auf dem Bett lag ein wild knutschendes Pärchen. Obenrum waren sie nackt, sodass ich gut erkannte, dass er hingebungsvoll ihre Brust knetete, gleichzeitig machte sie sich an seiner Hose zu schaffen.

Das durfte ja wohl nicht wahr sein! Nur, weil das Zimmer bisher unbewohnt gewesen war, konnte es doch nicht jeder zu seinem Belieben nutzen! Jetzt gehörte es schließlich mir.

Lautstark räusperte ich mich, was die beiden auseinanderfahren ließ. Während die hübsche Blondine sich peinlich berührt damit abmühte, ihren beeindruckenden Busen zu bedecken, schaute der Kerl provokativ in meine Richtung. „Wenn du nicht mitmachen willst, solltest du besser gehen, Süße!“, gab er von sich, was seine Freundin dazu brachte, nach Luft zu schnappen.

„Jax, lass das!“, zischte sie ihn an, doch er grinste nur selbstgefällig.

Ich versuchte, mich von diesem arroganten Arschloch nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Schließlich hatte ich dank meiner älteren Brüder schon die ein oder andere ähnliche Situation erlebt.

„Und du meinst, dass du mit uns beiden fertig wirst, ja?“, fragte ich herausfordernd und verschränkte die Arme vor der Brust.

Sein Grinsen wurde breiter, als er aufstand und auf mich zu kam. Scheiße, das hatte ich nicht erwartet. Warum musste ich auch immer den Mund so voll nehmen? Es war eine Sache, einen Spruch zu reißen, aber eine ganz andere, wenn man damit eine Handlung auslöste.

Während er sich auf mich zubewegte, scannte ich unbewusst seinen Körper. Die langen Beine steckten in Blue Jeans, sein nackter Oberkörper war athletisch, nicht zu muskulös. Meine Aufmerksamkeit wurde von zwei glitzernden, silbernen Kugeln angezogen, die sich rechts und links von seiner Brustwarze befanden. Eigentlich war ich kein großer Fan von Piercings, aber bei ihm bewirkte es, dass ich meinen Blick nicht abwenden konnte.

Je näher er kam, desto mehr beschleunigten sich mein Herzschlag und meine Atmung. Vorsichtig legte er seinen Zeigefinger unter mein Kinn und hob es an, sodass ich gezwungen war, ihm in Gesicht zu sehen.

Mir fiel erst in diesem Moment auf, wie riesig er war. Vielen Männern begegnete ich mit meiner Größe von einem Meter neunundsiebzig fast auf Augenhöhe. Bei ihm schaute ich geradewegs auf sein kantiges Kinn. Er hatte einen schönen Mund mit ebenmäßigen Lippen, eine gerade Nase und grüne Augen, die mich immer noch belustigt anfunkelten. In seiner rechten Augenbraue befand sich ein weiteres Piercing und in mir wuchs aus unerfindlichen Gründen der Wunsch, es zu berühren, ihn zu berühren. Seine nussbraunen Haare, die ihm wild ins Gesicht fielen, sahen einerseits weich, andererseits widerspenstig aus, sodass ich am liebsten mit den Fingern getestet hätte, wie sie sich tatsächlich anfühlten.

Verdammt, er sollte nicht so eine Wirkung auf mich haben, schließlich musste ich ihn gleich souverän aus meinem neuen Zuhause schmeißen.

„Was ist denn nun, Kleines?“ Er sah mir direkt in die Augen. „Bist du nur zum Gucken hier oder leistest du uns Gesellschaft?“

Im Hintergrund hörte ich seine Freundin seufzen. Offensichtlich war sie von seinem Verhalten ebenso wenig begeistert wie ich.

„Ich habe genug gesehen“, gab ich mich betont nüchtern und hoffte, dass er das Zittern meiner Stimme nicht bemerkte. „Ihr könnt dann gehen.“

Die gepiercte Augenbraue schnellte nach oben. „Versuchst du gerade, uns aus meinem Zimmer zu werfen?“

„Nein, ich werfe euch aus meinem Zimmer!“, stellte ich klar. „Zieht euch jetzt bitte an und verschwindet.“

Mein Gegenüber verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust, wodurch seine Muskulatur leicht hervortrat. „Tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muss, aber das hier war, ist und bleibt mein Zimmer.“

Es machte mich nervös, wie er sich halbnackt vor mir aufbaute und das war total ungewöhnlich. Normalerweise reagierte ich gelassener auf Jungs. Vielleicht lag es an seinem verführerischen Duft, der mir in die Nase stieg.

Während ich fieberhaft überlegte, wie ich ihn davon überzeugen konnte, dass ich im Recht war, wurde sein Blick etwas freundlicher, nicht mehr so spöttisch. „Da du offensichtlich neu bist, scheinst du dich verlaufen zu haben“, mutmaßte er.

Das war zwar rein theoretisch möglich, aber die Beschilderung war erstens eindeutig gewesen und zweitens hatte mein Schlüssel ins Schloss gepasst.

„Wo musst du denn hin?“

„Gebäude D, Zimmer 321.“ Zum Beweis hielt ich ihm meinen Schlüssel hin, auf dessen Anhänger die entsprechende Nummer stand.

Argwöhnisch betrachtete er das Beweisstück. „Okay, da hat es offensichtlich eine Verwechslung gegeben.“ Er warf einen raschen Blick auf die Wanduhr, ehe er mich wieder ansah. „Ich komme mit dir zur Verwaltung, um das klären. Deine Koffer kannst du so lange hier stehen lassen, so musst du sie nicht mitschleppen.“

„Du möchtest mich begleiten?“, fragte ich überrascht, während seine inzwischen bekleidete Freundin ein entrüstetes „Ist das dein Ernst?“ ausstieß.

Der Typ zuckte mit den Schultern. „Na ja, ich muss doch dafür sorgen, dass diesmal nichts schiefläuft.“

„Mach, was du willst“, sagte sie angepisst und stand auf. „Ich gehe zu mir.“ Ohne ein weiteres Wort verließ sie den Raum.

„Du musst nicht mitkommen“, warf ich hastig ein und schaute demonstrativ zur offenen Tür. Einerseits wollte ich nicht, dass er Ärger mit der beleidigten Blondine bekam, andererseits war es vielleicht ganz sinnvoll, wenn er mitkam. So konnten wir direkt klären, um wessen Zimmer es sich tatsächlich handelte.

„Die kriegt sich wieder ein“, erwiderte er unbeteiligt und ging ein paar Schritte rückwärts, ohne mich aus den Augen zu lassen. „Sie ist nur sauer, weil du ihr die Tour vermasselt hast.“

„Und dich stört das nicht?“, hakte ich nach, während er sein Shirt vom Boden aufsammelte, um es sich überzuziehen. Nachdem er in seine Sneakers geschlüpft war, kam er auf mich zu. „Der Abend ist noch jung. Wer weiß, wohin er führt.“

Machte er mich etwa gerade an oder meinte er das allgemein? Ich beschloss, nicht darauf einzugehen, sondern das Thema zu wechseln. „Wir haben uns gar nicht vorgestellt. Collins.“

„Jackson“, antwortete er und klang, als würde er etwas klarstellen wollen. „Wir können uns ruhig duzen.“

Seine Aussage irritierte mich maßlos. Einerseits redete er von Vornamen, nannte dann aber meinen Familiennamen. „Moment mal“, entgegnete ich verwundert. „Woher kennst du meinen Nachnamen?“

Er sah ähnlich perplex aus, wie ich mich gerade fühlte. „Das Gleiche könnte ich dich fragen“, murmelte er, was mich auch nicht schlauer werden ließ.

„Also gut, noch einmal von vorne: Hi, ich heiße Collins Jackson und ich freue mich, dich kennenzulernen“, stellte ich mich förmlich vor. Mein Gegenüber fing zu lachen an. Ja, mein Name war ein bisschen ungewöhnlich, jedoch bestimmt kein Grund für so eine Reaktion. „Und du bist?“

Ich wusste nicht, ob es an meinem genervten Tonfall lag oder daran, dass ich überhaupt gesprochen hatte, aber er hörte endlich auf, sich über mich zu amüsieren. Allerdings gelang es ihm nicht, die Belustigung aus seiner Stimme zu halten, als er anfing zu reden.

„Hallo Collins Jackson, schön, dich zu treffen.“ Immer noch sichtlich amüsiert, schüttelte er den Kopf. „Ich heiße Jackson Collins und bin mir ziemlich sicher, dass du mich gerade verarschst. Wer hat dich geschickt? Max oder Ash?“

Jackson Collins? War das hier ein schlechter Scherz des Schicksals oder hatte ich es mit einem außerordentlichen Witzbold zu tun?

„Weder, noch“, entgegnete ich und spürte, wie mir ein bisschen schwindelig wurde, als seine Worte in mein Bewusstsein sackten. Die Verwaltungsangestellte hatte gesagt, dass im Mietvertrag ein männlicher Jackson Collins stand. Dieser befand sich leibhaftig vor mir, also war es tatsächlich sein Raum und ich war fehl am Platz.

Bei meinem Glück war die Anmeldung inzwischen geschlossen und ich somit obdachlos. Ohne den entsprechenden Schlüssel würde ich nicht in mein Zimmer kommen, wo auch immer das sein mochte.

Scheiße!

Kapitel 2

„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte Jackson besorgt. „Du bist auf einmal ziemlich bleich.“

Kurz überlegte ich, ihm zu sagen, dass wir in der Verwaltung vermutlich niemanden mehr antreffen würden, entschied mich aber dazu, Zeit zu schinden. Ich musste nachdenken, wie ich diese Misere am besten lösen konnte. „Mir geht’s gut“, log ich also.

„Na dann los, wenn wir uns beeilen, erwischen wir vielleicht noch den oder die Verantwortliche für dein Problem“, versuchte er, mich zu motivieren.

Zögerlich setzte ich mich in Bewegung und wir verließen gemeinsam den Raum. Während wir über den Campus schlenderten, beschäftigte ich mich vorrangig mit meinen Nägeln und überlegte fieberhaft, wo ich heute Nacht schlafen sollte.

„Und, wo kommst du her, Collins Jackson?“, unterbrach Jackson die unangenehme Stille zwischen uns, worüber ich sehr dankbar war.

„Minnesota“, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. „Aus einem kleinen Kaff in der Nähe von Minneapolis. Litchfield, um genau zu sein.“

„Skol Vikings?“, erkundigte er sich und klang dabei etwas provokativ. Bei dem Tonfall war er vermutlich kein Fan der Minnesota Vikings, aber das war mir egal. Ich war sehr stolz auf meine Heimat und auch auf die zugehörige Footballmannschaft.

„Yeah, Skol Vikings!“, rief ich aus und beobachtete, wie er kurz genervt das Gesicht verzog. Ich überlegte, für welche Mannschaft sein Herz wohl schlagen könnte, doch bevor ich ihn fragen konnte, redete er einfach weiter.

„Was verschlägt dich ausgerechnet nach Austin? Das ist ganz schön weit weg von zu Hause.“

Da mein ältester Bruder Cooper in L.A. lebte, meine anderen Brüder Corey und Cody in Miami und mein Dad weiterhin in Litchfield, schien mir Texas die perfekte Lösung zu sein. Ich brauchte ein bisschen Abstand von den Vieren. Zwar liebte ich meine Familie über alles, aber sie neigten dazu, mich einzuengen, und ich wollte nichts lieber, als auf eigenen Füßen zu stehen.

„Ich schätze, ich muss mal allein sein“, hielt ich mich bewusst knapp, um ihm nicht alle Details erklären zu müssen, und zuckte beiläufig mit den Schultern. „Mal im Ernst: Die University of Texas hat einen hervorragenden Ruf. Außerdem wollte ich es etwas wärmer haben, besonders im Winter.“

„Das ist es hier auf jeden Fall“, bestätigte Jackson. „Die letzten zwei Winter hier waren ein Witz. Das würde man bei euch vermutlich als Herbst durchgehen lassen. Ich weiß, wovon ich spreche.“

Wieder kam ich nicht dazu, ihn zu fragen, wo er herkam, da wir in dem Moment das Verwaltungsgebäude erreichten. Jackson zog an der Tür, die, wie ich bereits vermutet hatte, verschlossen war.

„Wir sind zu spät“, stellte er das Offensichtliche fest.

Ich stöhnte genervt auf. „Fuck!“ Zwar war ich die ganze Zeit davon ausgegangen, dass uns exakt diese Situation erwarten würde und doch traf es mich mit voller Wucht, dass ich jetzt vor einem riesigen Problem stand.

Als wäre das allein nicht genug, begann in dem Moment mein Handy zu klingeln. Ein Blick aufs Display verriet mir, dass mein großer Bruder Cooper mit mir sprechen wollte. „Auch das noch“, murmelte ich ergeben und verdrehte die Augen.

„Hey, schön, dass du anrufst“, begrüßte ich ihn extra freundlich. Ich hasste es, ihn anzulügen, aber er sollte nicht wissen, wie es aktuell in mir aussah. Ein besorgter Cooper konnte schnell außer Kontrolle geraten.

„Hi Linny, bist du schon auf dem Campus?“

„Ja, ich bin gut angekommen“, entgegnete ich.

„Ist alles wie geplant verlaufen?“

„Hmmm ja, das mit dem Zimmer hat super geklappt, es ist total toll“, flunkerte ich. Jackson zog eine Augenbraue hoch und sah mich argwöhnisch an. Ich sammelte bestimmt gerade keine Pluspunkte, da ich für ihn so offensichtlich log.

„Collins“, brummte mein Bruder. „Versuch es mit der Wahrheit.“

„Aber das ist die Wahrheit!“, maulte ich zurück. „Ich bin nur ein bisschen gestresst, weil ich so spät angekommen bin und noch alles auspacken muss. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mindestens einen Tag mehr Zeit gehabt …“

„Du kennst Dads Argumente“, unterbrach er mich. „Das erste Wochenende wird nur zum Feiern genutzt, das hätte dich keinen Schritt weitergebracht.“

„Jetzt fang du nicht auch noch so an, Tupac!“, zischte ich ihn an. Meine Brüder waren im letzten Jahr ganze fünf Tage vor Studienbeginn nach Miami gereist. Nur für mich galten offenbar andere Regeln und das kotzte mich an.

„Wir machen uns nur Sorgen um dich, Linny“, warf er ein. „Du bist nun auf dich allein gestellt und du weißt, wie schwer das für Dad und mich ist. Also ärgere dich nicht über den einen Tag. Du hast vier tolle Jahre vor dir.“

Ich hasste es, wenn mein Bruder recht hatte. Mir war durchaus bewusst, dass meine Familie bevorzugt hätte, wenn ich in der Nähe von einem von ihnen geblieben wäre, damit sie ein Auge auf mich werfen konnten. Dennoch hatten sie mich frei entscheiden lassen, wo ich studieren wollte und dafür war ich ihnen dankbar.

„Ja, das weiß ich doch“, antwortete ich kleinlaut. „Aber du musst dir keine Sorgen machen, ich komme zurecht. Ich rufe dich morgen Abend an, okay?“

„In Ordnung. Ich hab dich lieb!“, verabschiedete er sich.

„Ich dich auch. Bye.“

Während ich das Handy wieder verstaute, betrachtete Jackson mich weiterhin misstrauisch.

Mir hingen Coopers Worte im Ohr. Ich war jetzt auf mich allein gestellt, also musste ich es selbst hinkriegen. Die Flucht nach vorn schien mir plötzlich die beste Lösung zu sein.

Nachdem ich tief durchgeatmet hatte, sah ich Jackson direkt in die Augen. „Tja, sieht so aus, als müsste ich heute Nacht auf deinem Fußboden schlafen“, stellte ich klar, als gäbe es keine andere Alternative.

Jackson schnappte nach Luft und sah mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Das konnte ich ihm nicht einmal verdenken. Am Telefon hatte ich Cooper gegenüber den Mund ganz schön vollgenommen, als ich behauptet hatte, ich hätte alles im Griff. Genau genommen, hatte ich überhaupt nichts im Griff.

Aber das konnte ich ihm nicht sagen, sonst hätte sich meine Oberglucke von einem Bruder womöglich ins nächste Flugzeug hierher gesetzt. Zuzutrauen wäre es ihm und das galt es, zu vermeiden, schließlich wollte ich unbedingt auf eigenen Beinen stehen, eigene Entscheidungen treffen und eigene Fehler begehen.

Statt auf familiäre Hilfe war ich nun also auf die Unterstützung eines völlig Fremden angewiesen. Ob diese Entscheidung richtig oder ausgesprochen dämlich war, würde sich gleich zeigen.

„Willst du diese Scharade wirklich weiterspielen?“ Jackson sah mich genervt an. Ich wusste nicht, was er damit meinte, aber ich hoffte, dass er mir diesen Gefallen tun würde.

„Bitte, Jackson! Wo soll ich denn sonst hin?“, versuchte ich, an sein Mitgefühl zu appellieren. „Außerdem steht mein Gepäck ohnehin bei dir. Es wäre nur für diese eine Nacht. Bitte.“

Mein Gegenüber kniff sich in die Nasenwurzel und atmete tief durch. Er griff in seine Hosentasche, fischte sein Handy hervor und deutete mir mit einem erhobenen Zeigefinger, dass ich mich einen Moment gedulden sollte. Nachdem er kurz auf dem Display herumgetippt hatte, verstaute er das Smartphone wieder.

„Gut, dann komm mit“, brummte er und wir begaben uns auf den Rückweg.

Nach ein paar Metern ergriff er das Wort: „Mal angenommen, ich lasse dich bei mir übernachten, muss ich Morgen Angst haben, dass mich dein eifersüchtiger Freund absticht?“

„Du hast eine sehr charmante Art, dich zu erkundigen, ob ich vergeben bin“, scherzte ich.

„Die Frage erübrigt sich, schließlich habt ihr eben telefoniert, oder nicht?“, erwiderte er.

„Das war mein Bruder. Aktuell bin ich Single.“ Ich hoffte, diesen Umstand bald ändern zu können, aber das musste ich Jackson ja nicht auf die Nase binden. Da er selbst eine Freundin hatte, kam er für mich leider nicht in Frage. Dabei gefiel er mir zumindest optisch verdammt gut. Ob das auch auf seinen Charakter zutraf, konnte ich noch nicht beurteilen, da er ziemlich sprunghaft zu sein schien. Erst wirkte er wie ein Aufreißer, dann war er so nett, mich zu begleiten, um jetzt grummelig neben mir herzutrotten. Im Wohnheim angekommen nahmen wir den Aufzug zu unserer Etage.

Als wir aus dem Fahrstuhl traten und um die Ecke bogen, entdeckte ich zwei Jungs, die sich an die Wand gegenüber von Jacksons Tür lehnten. Optisch waren sie das genaue Gegenteil voneinander. Der eine war ziemlich bleich und hatte blonde Haare, der andere war dunkelhäutig und trug eine Glatze.

„Alter, was soll der Scheiß?“, maulte der Blonde sofort. Mir fiel auf, dass er einen starken englischen Akzent hatte. „Du kannst uns nicht den Notfall-Code schicken und dann nicht hier sein.“

„Was der Scheiß soll?“, blaffte Jackson zurück. „Vielleicht sollte lieber ich euch fragen, was der Scheiß soll.“ Als wollte er seine Worte unterstreichen, deutete er dabei auf mich. War ich etwa der Scheiß?

„Jetzt beruhigt euch gefälligst!“, zischte der Farbige. „Jax, warum bittest du uns nicht rein und erklärst uns drinnen in Ruhe, wer deine nette Begleitung ist?“

Jackson schnaubte, zückte aber seinen Schlüssel und öffnete die Tür. Nachdem wir den Raum betreten hatten, entdeckte ich, dass hier noch ein zweites Bett stand. Weshalb war mir das vorhin nicht aufgefallen? Vielleicht könnte ich darauf schlafen. Man müsste es nur leerräumen, denn es war voll mit Klamotten.

Jackson ließ sich auf sein Bett fallen, seine Gäste nahmen das andere und setzten sich somit arglos auf die Kleidung. Ich blieb unschlüssig dazwischen stehen und verschränkte schützend die Arme vor der Brust.

Jackson ergriff als erster das Wort und wandte sich an seine Kumpels: „Da ich davon ausgehe, dass ihr einander bereits kennt, frage ich euch ganz direkt: Warum habt ihr sie zu mir geschickt? Ist es wegen Cynthia?“

Die zwei Angesprochenen tauschten einen kurzen Blick miteinander aus, bei dem sie mit den Köpfen schüttelten. Sie wirkten ähnlich verwirrt, wie ich mich fühlte.

„Ich kenne sie nicht“, erklärte der eine.

„Ich auch nicht.“

Jackson betrachtete die beiden skeptisch. „Wirklich nicht?“, hakte er nach, woraufhin erneut verneint wurde. Schließlich fiel sein Blick auf mich.

„Was guckst du mich so an? Ich habe gar keinen Schimmer, was hier los ist“, verteidigte ich mich.

„Wenn das so ist“, sagte Jackson resigniert und atmete tief durch. „Der klugscheißerische Blondie ist Maxwell Sterling.“

„Du mich auch“, brummte Maxwell, ehe er sich an mich wandte: „Max reicht völlig. Hi.“

Ich lächelte ihn freundlich an und grüßte zurück.

„Und Black Beauty hier heißt Ashton Jennings“, fuhr Jackson fort. „Aber alle nennen ihn Ash.“

Nun war es an Ash, Jackson den Stinkefinger zu zeigen, mich zeitgleich anzugrinsen und dabei seine strahlendweißen Zähne zu entblößen. „Eigentlich gilt doch Ladys first, oder nicht?“, triezte er seinen Freund.

„Richtig“, stimmte Jackson zu. „Allerdings wäre dann die Überraschung nur halb so schön. Die hübsche Frau ist Collins Jackson.“

Er fand mich hübsch?

Max und Ash sahen erst mich, danach Jackson und schließlich wieder mich an. Als ich zur Bestätigung nickte, brachen sie in Gelächter aus.

„Ja, ja, mein Name ist total witzig“, gab ich pampig von mir. So langsam machte die Situation mich mürbe. Genau genommen war ich immer noch obdachlos, die Anreise steckte mir in den Knochen und Jackson hatte sich nicht dazu geäußert, ob er mir nun helfen würde oder nicht. Stattdessen hatte er die Gelegenheit genutzt, um mich vor seinen Freunden vorzuführen.

In meiner Kehle bildete sich ein dicker Kloß und meine Augen begannen verdächtig zu brennen. Ich versuchte, die Tränen mit aller Macht zurückzudrängen, und schlang die Arme etwas fester um meinen Körper.

Ash, der sich als Erstes beruhigte, schien meine Misere sofort zu erfassen, denn er sprang auf und kam zu mir herüber. Kurzerhand gab er mir eine kräftige Umarmung. Ich legte meine Stirn an seine Schulter und atmete tief durch. Augenblicklich fühlte ich mich besser.

„Sorry, dass wir gelacht haben“, entschuldigte er sich und klang dabei aufrichtig. „Aber es ist schon ein verrückter Zufall, oder nicht?“ Ich nickte, um zuzustimmen, und er löste sich von mir.

„Jax, hast du ernsthaft den Notfall ausgerufen, weil du eine Namensvetterin getroffen hast? Das hättest du uns auch normal sagen können. Was genau ist denn das Problem?“

„Eigentlich gibt es keins“, gab Jackson zu, was mich stutzig zu ihm sehen ließ. Gab es nicht? „Ich dachte nur, dass ihr dahinter steckt. Deswegen wollte ich, dass ihr so schnell wie möglich hier antanzt, um das Ganze aufzulösen.“

„Du hättest dir einfach ihren Führerschein zeigen lassen können“, schlug Max vor. „Für einen Scherz fälschen wir bestimmt keine Dokumente.“

Kurz presste Jackson die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. „Okay, an die Möglichkeit habe ich nicht gedacht. Sorry. Ihr könnt jetzt wieder gehen.“

„Na ja, ein Problem gäbe es schon“, warf ich ein. „Ich habe immer noch keinen Platz zum Schlafen.“

„Natürlich hast du den.“ Jackson deutete auf Max, der nach wie vor auf dem zweiten Bett saß.

„Bei mir?“, fragte der Brite ungläubig, bevor er zu lächeln anfing. „Klar, gerne! Ash, pennst du hier?“

„Von wegen“, entgegnete der Angesprochene, der dicht neben mir stand. „Du kannst hierbleiben und ich nehme sie mit!“

„Collins bleibt bei mir“, brummte Jackson. „Sie ist hier aufgeschlagen, hat mich gefragt und außerdem habe ich das freie Bett.“

„Fangt ihr gleich noch an, wie auf einem Basar um mich zu feilschen?! Ich bin doch kein Stück Vieh!“, protestierte ich.

Drei schuldbewusste Blicke flogen mir zu, begleitet von einem gemurmelten „Sorry“.

„Es tut mir leid, Collins“, entschuldigte sich Jackson. „Manchmal sind wir Idioten.“

Seine Aussage ließ mich schmunzeln. „Nur ihr drei oder Jungs im Allgemeinen?“ Dass Letzteres meist zutraf, hatte ich zur Genüge durch meine Brüder und ihre Kumpels gelernt.

„Ich weiß gar nicht, warum unser Oberidiot meint, für uns alle sprechen zu müssen“, maulte Max.

„Wenn euch meine Art nicht passt, könnt ihr gerne verschwinden“, forderte Jackson seine Freunde erneut auf, zu gehen.

„Reg dich ab.“ Max machte eine abwehrende Handbewegung und stand auf. „Wir verziehen uns ja schon. Komm, Ash!“

Ash verdrehte die Augen, nahm mich kurz in den Arm und drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Bye Collins, es war nett, dich kennenzulernen. Und falls der Typ dir zu nahe kommt, kannst du zu uns flüchten. Zimmer 427 hier im Gebäude.“

„Danke für das Angebot“, antwortete ich. „Mich hat’s auch gefreut.“

Kapitel 3

Nachdem sich Max und Ash verabschiedet hatten, zeigte mir Jackson im Wohnheim zunächst die Waschräume für die Mädchen, ehe er mir anhand meines mitgebrachten Plans geduldig erklärte, wo morgen meine ersten Vorlesungen stattfinden würden. Des Weiteren setzte er mich darüber in Kenntnis, wo ich die Campusbibliothek und die Mensa finden konnte. Bei zusätzlichen Fragen sollte ich mich an Ash wenden, da dieser, genau wie ich, Biochemie studierte, nur dass für ihn sein fünftes Semester anstand.

„Und du musst unbedingt ins Rock’n’Roast kommen. Dort gibt es den besten Kaffee und die leckersten Smoothies weit und breit. Zumindest, wenn ich hinter dem Tresen stehe.“ Er grinste und ich konnte nicht anders, als die Geste zu erwidern. Jackson war echt süß und plötzlich total lieb. Hoffentlich würde das künftig so bleiben.

„Das werde ich mir nicht entgehen lassen. Wann ist denn deine nächste Schicht?“

„Gleich morgen früh ab sechs Uhr. Falls du also vor der ersten Vorlesung eine Koffeindosis brauchst, kannst du dich vertrauensvoll an mich wenden.“

Das Angebot klang verlockend. „Vielleicht mach ich das sogar, ohne Kaffee läuft bei mir morgens gar nichts.“

„Sorry übrigens, dass ich mich vorhin so blöd verhalten habe, aber ich dachte echt, dass Max und Ash hinter dieser Verwechslung stecken. Normalerweise bin ich nicht so brummig, ich hatte nur Bedenken, dass du alles, was ich sage, gegen mich verwenden könntest.“

„Uh, hast du etwa dunkle Geheimnisse?“

„Als würde ich sie dir sofort verraten …“, gab er spöttisch zurück. „Kommst du eigentlich wirklich aus Minneapolis?“

„Natürlich, ich habe dich nicht angelogen. Warum sollte ich auch?“ In dem Moment kam mir ein Geistesblitz: Er hatte mir noch immer nicht erzählt, wo er herkam. Weshalb glaubte er, dass ich bezüglich meiner Herkunft gelogen haben könnte? Vielleicht lag es an seinem eigenen Wohnort. „Sag jetzt nicht, dass du ein verdammter Cheesehead bist!?“, riet ich ins Blaue hinein.

„Möglicherweise doch“, hielt er sich vage.

„Kommst du direkt aus Green Bay?“, hakte ich nach, ob er aus der Stadt unserer NFL-Rivalen kam.

„Geboren und aufgewachsen“, gab er schließlich zu und ich verdrehte theatralisch die Augen.

„Lass das bloß nicht meine Brüder hören“, frotzelte ich und lachte, als er mich schockiert ansah.

„Brüder? Du hast mehrere davon?“

Ich nickte bestätigend. „Drei, um genau zu sein.“

„Also muss man zu dir immer besonders nett sein?“, mutmaßte er und begann, seine Klamotten von meinem Schlafplatz für diese Nacht zu entfernen.

„Zu mir sollte man ohnehin nett sein, Brüder hin oder her.“

Nachdem Jackson seine Kleidung unordentlich in seinen Kleiderschrank geworfen hatte, kam er zu mir herüber, bis er ganz nah vor mir stand.

„Wie nett darf ich denn zu dir sein, Collins?“, raunte er und allein bei der Art, wie er meinen Namen sagte, spürte ich, wie mir eine Gänsehaut den Rücken hinab rieselte. Unfähig, zu antworten, starrte ich ihn an. Flirtete er etwa mit mir? Bisher hatte das noch nie jemand getan.

„Ich muss in letzter Zeit irgendwas richtig gemacht haben, wenn mir das Schicksal so ein hübsches Mädchen vor die Nase setzt.“ Eindringlich betrachtete er mich mit seinen grünen Augen.

Noch immer war ich nicht in der Lage, zu sprechen, denn ich war zu sehr damit beschäftigt, meinen sich beschleunigenden Atem unter Kontrolle zu bekommen. Vorsichtig legte Jackson seine rechte Hand an meine Wange und strich mir sanft mit dem Daumen über die Unterlippe, die sofort zu prickeln anfing.

„Weißt du eigentlich, wie sexy dein Schmollmund ist?“, fragte er und ich schüttelte den Kopf. „Es sollte mir vermutlich leid tun, aber ich muss dich einfach küssen.“

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Als er sich mir langsam näherte, schloss ich erwartungsvoll die Augen. Das Gefühl, als seine weichen Lippen meine berührten, war unbeschreiblich schön. Instinktiv bewegte ich meinen Mund im Einklang mit seinem und hoffte, dass er nicht merkte, dass ich das noch nie getan hatte. Ich keuchte auf, als er mir einen Arm in den Rücken legte, um mich näher zu sich zu ziehen. Mit der Zunge drang Jackson in meine Mundhöhle ein und stupste meine an. Wie von selbst erwiderte ich die Geste. Ich spürte, wie meine Knie wackelig wurden, also schlang ich meine Arme um seinen Nacken.

Wow, dieser Kuss stellte alles in den Schatten, was ich je erwartet und erhofft hatte. Natürlich war ich davon ausgegangen, dass küssen etwas Schönes sein musste, aber das hier war so viel mehr. Es war aufregend, leidenschaftlich, süß und doch stürmisch. Nie wieder wollte ich damit aufhören.

Zum Glück schien Jackson das ähnlich zu sehen, denn er bewegte sich rückwärts auf sein Bett zu und zog mich mit seiner Hand in meinem Rücken mit sich. Er setzte sich und griff in meine Kniekehlen, sodass ich rittlings auf seinen Oberschenkeln zum Sitzen kam.

Ich spürte, wie meine Klitoris zu pochen begann, und rückte ganz nah an Jackson heran, um irgendetwas dagegen zu tun. Vielleicht würde es helfen, wenn ich meinen Schoß an seinen presste. Als unsere Becken sich berührten, stöhnte ich auf, weil es sich so gut anfühlte.

„Honey, du machst mich verrückt“, wisperte er nah an meinen Lippen, bevor er in meinen Nacken griff, um mich noch wilder zu küssen. Auch ich musste verrückt sein. Anders war es nicht zu erklären, dass ich mich immer hemmungsloser an seinem Schritt rieb. Erst allmählich wurde mir bewusst, dass die Beule, gegen die ich mich drückte, größer und härter wurde und was das bedeutete.

Was tat ich hier eigentlich? Das hier war mein erster Kuss und den ließ ich gleich so ausarten? Natürlich wollte ich die College-Zeit nutzen, um mich zu verlieben und Erfahrungen zu sammeln, aber nicht so überstürzt. Und doch gab es tief in mir diese Stimme, die laut nach mehr rief. Erschrocken über mein eigenes Verhalten überlegte ich fieberhaft, wie ich mich aus der Situation befreien konnte, ohne Jackson vor den Kopf zu stoßen.

Bevor ich zu einem Schluss kommen konnte, löste er sich von mir. „Alles in Ordnung? Du wirkst abgelenkt. Bin ich so scheiße?“

„Nein, nein, nein! Es ist nur … also ähm …“, stotterte ich herum. Ich konnte ihm nicht sagen, dass ich noch Jungfrau war. In seinen Augen wäre das mit Sicherheit uncool und das wollte ich verhindern. „Ich fand es sehr schön, aber vielleicht sollten wir es vorerst dabei belassen“, versuchte ich, mich aus der Situation zu lavieren. „Du musst doch morgen bestimmt früh raus. Wer weiß, wie spät es werden würde, wenn wir jetzt weitergingen.“ Oh Gott, halt endlich die Klappe, Collins!

Jackson betrachtete mich argwöhnisch. „Okay, wenn es das ist, was du willst. Ich käme zwar mit ein bisschen Schlafmangel zurecht, aber aufgeschoben muss ja nicht aufgehoben sein, richtig?“

Ich lächelte ihn verkrampft an, während ich von seinem Schoß kletterte. „Richtig“, piepste ich heillos überfordert. „Entschuldigst du mich bitte? Ich mache mich fertig fürs Bett.“

Im Vorbeigehen schnappte ich mir meinen Kulturbeutel und verließ das Zimmer. Sobald die Tür hinter mir ins Schloss gefallen war, hastete ich zum Waschraum. Mit beiden Händen stützte ich mich auf dem Waschbeckenrand ab. Als ich den Kopf hob, um mich im Spiegel zu betrachten, kam es mir vor, als würde mir eine Fremde entgegenblicken.

Meine Wangen waren gerötet, die braunen Augen glasig, die Lippen angeschwollen und meine dunkelbraunen Haare ziemlich zerzaust. „Was zum Teufel tust du hier eigentlich?“, fragte ich mich selbst, konnte mir aber keine Antwort darauf geben.

Bisher war ich davon ausgegangen, dass ich gut mit Jungs zurechtkam. Da meine Brüder viele Freunde hatten, waren immer ein paar von ihnen bei uns zu Hause gewesen. Der Umgang mit ihnen war mir stets leicht von der Hand gegangen. Sie schienen in mir eine Art Kumpel zu sehen, denn nie hatte sich mir einer auf eine nicht freundschaftliche Art genähert.

Aber mit Jackson war alles ganz anders. Zum ersten Mal hatte jemand mit mir geflirtet und mich geküsst und nun war ich so verwirrt wie ein Chamäleon in einer Smarties-Packung. Mein Innerstes hatte laut nach mehr geschrien, während der Kopf mich zum Aufhören ermahnte. Ich wollte keine Schlampe sein, die sich gleich vom Erstbesten flachlegen ließ. Ein leises Stimmchen in meinem Hinterkopf flüsterte, dass Jackson vielleicht gar nicht der Erstbeste war, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass jeder x-beliebige Mann mich so fühlen lassen konnte, wie er es getan hatte. Oder gierte mein von Fremden unberührter Körper einfach so sehr nach Aufmerksamkeit, dass ich mir das nur einredete?

Die Tür öffnete sich und herein kam ausgerechnet die Blondine, mit der Jackson bei meiner Ankunft rumgemacht hatte. Verflucht! An die hatte ich gar nicht mehr gedacht. Mein Hirn war viel zu benebelt gewesen von Jacksons Küssen und den Gefühlen, die er damit in mir hervorgerufen hatte. Jetzt war ich nicht nur eine potentielle Schlampe, sondern auch noch eine Betrügerin.

Ich war so dämlich. Eben hatte ich noch darüber nachgedacht, dass Jackson womöglich jemand ganz Besonderes für mich sein oder werden könnte, während Mädchen für ihn offenbar austauschbar waren. Immerhin war ich für ihn bereits die zweite Frau an diesem Tag, mit der er geknutscht hatte.

„Hi“, begrüßte ich sie freundlich und hoffte, dass sie mir nichts anmerkte.

Sie zog eine Augenbraue hoch und betrachtete mich abwertend. „Na, du musst es ja nötig gehabt haben. Unfassbar!“

„Wie bitte?“

„Mir ist klar, dass man hier am College Spaß haben und sich ausprobieren will, aber am ersten Tag? Dein Ernst?“ Sie ließ mir nicht die Zeit zum Antworten, ehe sie fortfuhr. „Hinter lesbische Erfahrung kannst du also schon einen Haken setzen. Was kommt als Nächstes? Ein Dreier?“

„So war das nicht“, versuchte ich, mich zu rechtfertigen. „Es war keine lesbische Erfahrung!“ Schnell stoppte ich mich selbst, bevor mir herausrutschte, dass ihr Freund für meine äußere Erscheinung verantwortlich war. Sie ging höchstwahrscheinlich davon aus, dass ich mir inzwischen ein Zimmer mit einem anderen Mädchen teilte.

„Weißt du was?“, unterbrach sie mich. „Es ist mir total egal, mit wem du vögelst. Das muss dir nicht peinlich sein, also spar dir die Luft.“

Mit diesen Worten ließ sie mich zurück und verschwand in einer der Duschkabinen.

Nachdem ich mir die Zähne geputzt und meine hüftlangen Haare zu einem Zopf geflochten hatte, ging ich wieder in Jacksons Zimmer.

Er lag nur in Boxershorts bekleidet auf seinem Bett und sah zum Anbeißen aus. „Ist alles in Ordnung bei dir?“, erkundigte er sich besorgt. „Du bist ziemlich blass.“

„Mein Kreislauf spinnt ein bisschen. Das waren ganz schön viele Eindrücke für den ersten Tag.“ Ich fühlte mich schlecht, weil ich ihn belog, aber ich wollte ihm meine Unsicherheit nicht zeigen.

„Ich hoffe, dass ich bei dir auch einen Eindruck hinterlassen habe?“ Scherzhaft wackelte er mit den Augenbrauen.

Und wie er das hatte.

„Bild dir bloß nichts ein!“, antwortete ich im gleichen Tonfall, um mich weiterhin tougher zu geben, als ich es in Wirklichkeit war.

Im nächsten Moment fiel mir auf, dass ich vergessen hatte, mein Schlafshirt mit in den Waschraum zu nehmen und ich mich jetzt entweder hier umziehen oder zurückgehen musste.

Da ich auf die zweite Möglichkeit keine Lust hatte, schnappte ich mir das Kleidungsstück und verkroch mich unter meiner Bettdecke. Umständlich versuchte ich, mich umzuziehen, ohne dass Jackson einen Blick auf meinen nackten Oberkörper werfen konnte.

Als ich wieder unter der Decke hervorkroch, beobachtete mein Zimmerkamerad mich belustigt.

„Du hättest mich einfach bitten können, wegzugucken“, informierte er mich. „Oder traust du mir nicht?“

Ich wiegte den Kopf hin und her. „Keine Ahnung“, entgegnete ich ehrlich. „Schließlich habe ich eben im Bad deine Freundin getroffen, die du völlig vergessen zu haben scheinst.“ Dass ich das ebenfalls getan hatte, ließ ich unter den Tisch fallen. „Da bin ich mir nicht sicher, ob du vertrauenswürdig bist.“

„Freundin?“, fragte er ungläubig. „Meinst du Cynthia?“

„Wenn das blonde Mädchen von vorhin so heißt, ja.“

„Wir sind nicht zusammen“, stellte er klar und klang aufrichtig dabei. „Wir haben letztes Jahr nach einer Party mal die Nacht miteinander verbracht. Und seitdem treffen wir uns ab und zu zum Vögeln, wenn uns danach ist. Nichts Festes, also kein Grund für ein schlechtes Gewissen, falls es das ist, was dich beschäftigt. Wir sind noch so jung. Warum sollte man sich festlegen?“

„Ach so, dann ist ja alles klar“, gab ich mich betont locker.

„Gut, dass du das auch so siehst“, setzte er nach. „Ich meine, wir sind alle keine verklemmten Jungfrauen mehr, für die Sex etwas ganz Besonderes sein muss. Die will doch keiner. Wer tut sich dieses stümperhafte Getue öfter als einmal an?“

„Keine Ahnung.“ In meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß.

Ich bekam zunehmend das Gefühl, mit meiner Unerfahrenheit der Exot schlechthin zu sein. Die meisten, die hier studierten, hatten ihre ersten Freunde, ihre ersten Küsse und ihre ersten Male vermutlich bereits während der Highschool erlebt. Für sie war es nichts Besonderes, sich mit ihrem Körper einer anderen Person hinzugeben. Aber für mich schon.

Ich musste noch verdammt viel lernen, wenn ich nicht auffallen wollte, wie ein bunter Hund. Bisher war ich davon ausgegangen, dass das Studium kompliziert werden würde. Dass ich allerdings auf zwischenmenschlicher Ebene so weit hinterherhinkte, stellte mich vor eine ganz neue Herausforderung.