Stefan Hammel

Hypnosystemische Therapie

Das Handbuch für die Praxis

Klett-Cotta

Zu diesem Buch

Seit etwa 25 Jahren bereichern die Methoden der Hypnosystemischen Therapie die Behandlungs- und Beratungsmöglichkeiten von Klienten höchst erfolgreich. In unterschiedlichen Ausprägungen werden hierbei Elemente der Systemischen Therapie mit der Hypnotherapie nach Milton Erickson und häufig auch Aufstellungsarbeit miteinander verbunden. Das Ziel des Herangehens in Therapie und Coaching: Menschen darin zu unterstützen, ihre Wahrnehmung bewusst so zu beeinflussen, dass ein positives Erleben erzeugt und damit Veränderung möglich wird. Stefan Hammel beschreibt in diesem – höchst überfälligen – Buch erstmals sowohl die grundsätzlichen Annahmen und Grundlagen als auch die hypnosystemische Praxis mit den verschiedensten therapeutischen Strategien und Interventionen.

Die Reihe »Leben Lernen« stellt auf wissenschaftlicher Grundlage Ansätze und Erfahrungen moderner Psychotherapien und Beratungsformen vor; sie wendet sich an die Fachleute aus den helfenden Berufen, an psychologisch Interessierte und an alle nach Lösung ihrer Probleme Suchenden.

Alle Bücher aus der Reihe ›Leben Lernen‹ finden Sie unter:
www.klett-cotta.de/lebenlernen

Impressum

Leben Lernen 331

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

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© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Jutta Herden, Stuttgart

unter Verwendung einer Abbildung von © Adobe Stock/davidpalau

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Altusried-Krugzell

Gedruckt und gebunden von CPI Clausen & Bosse GmbH, Leck

ISBN 978-3-608-89198-0

E-Book ISBN 978-3-608-11870-4

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20554-1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Vorwort

»Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt«, sagt der Philosoph Ludwig Wittg(1)enstein.1 Sprache schafft Wirklichkeit. Eine begrenzende Sprache schafft Grenzen für die Wirklichkeit. Vorstellungsgrenzen sind Möglichkeitsgrenzen.

Die Grenzen meiner Welt bedeuten nicht die Grenzen des Möglichen in der Welt und auch nicht die Grenzen der Möglichkeiten meines Klienten. Und die Grenzen seiner Sprache, seiner Vorstellungkraft und Hoffnung sind auch nicht die Grenzen seiner Möglichkeiten, wenn es gelingen kann, mit meiner Sprache und Vorstellungskraft die Grenzen seiner Welt zu erweitern.

Kann es sein, dass im Klienten Möglichkeiten zu Lösung, Heilung und Entwicklung schlummern, die bisher nicht verwirklicht sind, weil er bestimmte physiologische Erfahrungen, bestimmte Worte und Bilder, noch nicht entdeckt hat? Und wenn dem so ist, wie kann ich dazu beitragen, dass er dieses Potential entdeckt? Kann man sein Inneres so stimulieren, dass es Möglichkeiten der Lösung, Heilung und Entwicklung zur Verfügung stellt, die sein und mein Bewusstes noch nicht gefunden hatten?

Wie können wir die Sprachgrenzen, Vorstellungsgrenzen, Möglichkeitsgrenzen erweitern, für eine Therapie, die noch sicherer, schonender und nachhaltiger wirkt, oder auch schneller, um mehr Menschen zu helfen und Leidenszeiten zu verkürzen?

Wenn ich in den Jahren meiner therapeutischen Tätigkeit eine innere Stimme gehört habe, die sagt: »Das geht nicht«, dann habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht zu fragen: »Ist das sicher? Wie ginge es, wenn es ginge? Wie geht es, wenn es geht?« Ich wähle probeweise die Hypothese: »Es geht, ich weiß nur noch nicht wie«. Die Lösung, die ich nicht kenne, stelle ich mir vor wie einen Schatz, der in der Erde liegt und den ich finden kann, wenn ich darauf beharre, dass es sich lohnt, ihn zu suchen.

Womöglich ist unsere Wirklichkeit das, was wir erinnern und erwarten.

Vielleicht ist dann alles im Fluss?

Erlauben Sie, dass ich Ihnen, bevor wir richtig beginnen, eine Geschichte erzähle …

In einer Hütte am Fluss in den felsigen Bergen lebte einmal ein Goldwäscher. Jeden Morgen stand er auf, wusch sich, aß eine Scheibe Brot, zog seine Arbeitskleidung an und ging mit seinem großen Sieb zum Fluss. Viele Jahre lebte er schon hier und hatte schon so manche Tonne Sand gesiebt. An manchen Tagen fand er etwas Gold, doch selten war es mehr als er brauchte, um sich das Nötigste an Essen, Kleidung und an Werkzeug für seinen täglichen Bedarf zu kaufen. Lange hatte er davon geträumt, auf eine große Menge Gold zu stoßen. Doch dieser Traum, das ahnte er jetzt, würde sich wohl nie erfüllen. Denn meistens, wenn er in sein Sieb schaute, war darin nichts zu finden als nur die kleinen Kiesel, die in der Sonne glitzerten. Eines Tages kam ein alter Schulfreund zu Besuch. Er war Juwelier in einer größeren Stadt und hatte es zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht. Er interessierte sich, einmal zu sehen, wie dieser Goldwäscher lebte. »Zeig mir doch bitte einmal, wie du Gold wäschst«, bat er den alten Freund. Zögernd stand dieser auf, nahm sein Sieb von der Wand und ging mit seinem Gast zum Fluss. Er tauchte das Sieb in den Fluss, schüttelte es und ließ das Wasser herauslaufen. »Siehst du, wieder nichts«, seufzte er und blickte auf zu seinem Freund. »Das ist ja unglaublich«, sagte der und wurde blass. »Lauter Diamanten!«2

Kaiserslautern, im November 2021

Praktische Hinweise

Nach bestem Wissen wurden die Quellen derjenigen Intervention angegeben, die ich von Kolleginnen und Kollegen übernommen habe. Wo keine Quelle angegeben ist, wurde das betreffende Vorgehen von mir entwickelt oder so weiterentwickelt, dass es sich von bereits bekannten Methoden deutlich abhebt. Bei Interventionen, die in Fachkreisen als bekannt vorausgesetzt werden, wurde i. d. R. auf Quellenangaben verzichtet. Bei der großen Zahl der vorgestellten Methoden sind vereinzelt fehlende oder falsche Angaben möglich. Sollten Quellen nicht oder falsch angegeben sein, bitte ich um einen Hinweis, um in künftigen Auflagen auf die Urheber hinzuweisen.

Alle Methoden wurden auch im Format der Therapie per Videogespräch erprobt. Wo Anpassungen des Vorgehens für die Anwendung im Videoformat nötig sind, werden diese an den entsprechenden Stellen im Text erklärt.

Teil 1

Grundlagen

Zwei Annahmen liegen aller Therapie zu Grunde:

  1. Alle Menschen sind gleich.

  2. Alle Menschen sind verschieden.

Weil alle Menschen gleich sind, können wir kommunizieren.

Weil alle Menschen verschieden sind, müssen wir kommunizieren.

Um einander zu verstehen, müssen wir annehmen, dass der andere mit seinen Worten und seiner Körpersprache dasselbe meint, was andere und auch wir selbst meinten, wenn wir uns so ausdrückten.

Und um einander zu verstehen, dürfen wir auf keinen Fall annehmen, dass der andere mit seinen Worten und seiner Körpersprache dasselbe meint, was andere und auch wir selbst damit meinen würden. Denn eines ist gewiss: Er meint etwas anderes.3

»Wenn ich Ihnen eines sagen dürfte, was Ihnen viele Umwege im Leben ersparen kann, dann wäre es das: Jeder Mensch auf dieser Welt meint mit jedem Wort, was er sagt, etwas anderes.« Eine Krankenschwester und frühere Schülerin Milton Ericksons erzählte mir vor Jahren, dass der Meister ihr das mit auf den Weg gegeben habe.

»Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse«, sagt der kleine Prinz.4 Wenn wir eine gemeinsame Basis für unsere Kommunikation suchen, bietet das Achten auf die Physiologie mehr Orientierung als das Achten auf Worte. Die sichtbare und hörbare Körpersprache ist viel urtümlicher. Manches davon hat für die Kommunikation unter Menschen (und zum Teil mit Tieren) universale Geltung. Raum für Missverständnisse gibt es dennoch, denn unterschiedliche kulturelle Prägungen wirken auch hier.

Ein Kreislauf der Missverständnisse entsteht, wenn wir auf Annahme 1 zurückgreifen, wo Annahme 2 sich besser bewährt. Oft ist es besser, »du« und »ich« statt »wir« zu sagen. Ein Kreislauf von Entfremdung und Erniedrig(1)ung entsteht, wenn wir Grundsatz 2 anwenden, wo sich Grundsatz 1 besser bewähren würde.

Unterscheidungen von »wir« und »die anderen« trennen Männer von Frauen, Ureinwohner von Kolonisatoren, Erlöste von Ungläubigen, Erwachsene von Kindern, Wächter von Gefangenen und Behandler von Patienten auf eine Weise, die von stetiger Abwertung und Selbstabwertung begleitet ist. Es sind dieselben Unterscheidungen, die auch Mensch und Tier, Kultur und Natur trennen. Die Linien, an denen wir die Unterscheidung zwischen »wir« und »die anderen« vornehmen, sind überwiegend dieselben, mit denen wir zwischen »g(1)ut« und »böse«, »richtig« und »falsch«, »klug« und »dumm«, gesund« und »krank« trennen.

Wenn wir in Ressource(1)n denken, in Chancen, in Werten, deren Gegenteil nicht Unwerte, sondern andere Werte sind, dann ist es heilsam, Wirklichkeit gemeinsam zu konstruieren und sich einig zu werden: »Wer bin ich? Wer bist du? Wer sind wir? Wie ist die Welt, in der wir uns bewegen?« Hier kann das Leben als Nicht-Nullsummenspiel5 gelebt werden, also dem Modell »Freundschaft« oder »Kooperation« folgen, wie das Musikstück einer Band, das der Logik folgt: »Was gut ist für dich, ist auch gut für mich«. In solchen Kontexten ist das »Wir« heilsam. Wo verdeckte oder offene Nullsummenspiele, also Modelle von »Wettbewerb« oder »Krieg« überwiegen, hat das »Wir« toxische Qualitäten, und es ist besser, von »du« und »ich« zu sprechen.

Im ersten Fall tut es gut, die Wirklichkeit gemeinschaftlich zu konstruieren, auch wenn sie davon weder universal wahr noch wirklich wird. Im zweiten Fall ist es günstig, zwischen verschiedenen Wirklichkeiten zu unterscheiden und nicht auf der Konstruktion eines gemeinsamen Bildes der Wirklichkeit zu bestehen.

Aus systemischer und hypnosystemischer Sicht wird Wirklichkeit ohnehin nicht analysiert, sondern konstruiert. So sagt Paul Watzlawick(1), dass »die Wirklichkeit das ist, was wir Wirklichkeit nennen«.6 Was das für die Therapie bedeutet, erklärt er so:

Wenn wirklich zutrifft, dass unsere Wirklichkeit immer eine konstruierte ist … handelt [es] sich … darum, die eine Wirklichkeitskonstruktion, die leidschaffend ist und nicht mehr tragfähig sich erweist, durch eine andere, tragfähigere zu ersetzen, und das ist heute meine Idee von Psychotherapie.7

Entsprechend formulieren Jochen Schweitzer(1)(1) und Arist von Schlippe: »Wirklichkeit besteht aus nichts anderem als Geschichten«,8 und an anderer Stelle:

Was wir als ›Wirklichkeit‹ bezeichnen, entsteht im Dialog, im Gespräch. Das, was wir für wirklich halten, haben wir in einem langen Prozess von Sozialisation und Versprachlichung als wirklich anzusehen gelernt. Systeme konstruieren gemeinsame Wirklichkeiten als Konsens darüber, wie die Dinge zu sehen sind. Die gemeinsame Sichtweise davon, was als »Wirklichkeiten« in einem System erlebt wird, ist sehr weitgehend bestimmend für Glück oder Unglück, Zufriedenheit oder Unzufriedenheit.9

Derselben Tradition folgend sieht Gunther Schmidt(1) die Aufgabe von Therapie darin,

so intensiv und systematisch als möglich Fokussierungshilfen anzubieten, um … [bereits gespeicherte und verfügbare] Potentiale wieder zu suchen …, zu finden und zu aktivieren und dann so nachhaltig als möglich in die gewünschten Lebenskontexte zu assoziieren.10

Die im Klienten bereits angelegten, aber für ihn zunächst nicht zugänglichen Potentiale wieder erreichbar zu machen, heißt, Wahlfreiheit zu ermöglichen. »Wahlfreiheit wieder zu erhöhen ist das zentrale Ziel aller hypnosystemischen Interventionen.«

Vermutlich unterscheidet schon Watzlawick – und mit Sicherheit Schmidt – nicht mehr streng zwischen einer Therapie des Körpers und der Psyche. Die Unterscheidung zwischen nicht-körperlichen psychischen und nicht-psychischen körperlichen Symptomen ergibt aus hypnotherapeutischer und systemischer Sicht auch wenig Sinn. Was als psychisch, körperlich, sozial, endogen oder exogen gedeutet wird, ist hypnosystemisch betrachtet eine Frage der Brille, die der Betrachter aufsetzt. Die Unterscheidungen sind eher Hinweise auf die Modelle im Manual des Behandlers, als dass sie das tatsächliche Leben und Leiden des Klienten beschreiben.

So sind auch Diagnosebegriffe und Beschreibungen sogenannter Pathologien mehr als Hinweise auf die Modelle der Behandler zu betrachten, denn als Beschreibungen dessen, was der Klient erlebt. Es ist nicht so, dass es keinen Bezug zwischen beidem gäbe. Nur ist eine Landkarte nicht die dargestellte Landschaft,11 ein Passfoto nicht die gezeigte Person und das Bild einer Sache nicht die abgebildete Sache.12 So ist ein »Krankheitsbild« auch nicht das, was in einem Klienten geschieht, sondern eine Konvention über das, was im Kopf des Therapeuten geschehen könnte, wenn er den Klienten sieht. Ebenso ist die Aussage, ob ein Leiden heilbar sei, keine Aussage über die Möglichkeiten des Klienten, sondern über die des Behandlers, genauer: über die Möglichkeiten, die dem Behandler bekannt sind. Entsprechend enthalten Prognosen keine Aussage über die Zukunft des Klienten, sondern über die Entwicklung bei einem Durchschnitt anderer Menschen, die unter bestimmten Gesichtspunkten als vergleichbar gelten.

Diagnosen und Prognosen können Orientierungen bieten, enthalten aber ein Risiko. Im Gehirn herrscht immer »Gegenwart«. Die Erwartungen eines Patienten über die ihm prognostizierte Zukunft werden daher in seinem Gehirn im Wesentlichen gleichbehandelt wie Erinnerungen, aktuelle Wahrnehm(1)ungen und Deutungen. Sie können bewirken, was sie behaupten. Nun kennt der Organismus auch keine Unterscheidung zwischen »körperlich« und »psychisch«.13 Die Regulation der unwillkürlichen Körperaktionen und Körperreaktionen hängt also auch davon ab, wie der Patient seine Prognose hört, versteht und verarbeitet. Viele systemische und hypnosystemische Therapeuten vermeiden daher Diagnosebegriffe. Krankheitskonzepte können aber auch gewürdigt werden, etwa mit Blick auf die Funktionen, die sie im System erfüllen:

›Krankheit‹ wird … nicht als ›wirklich wahres‹ Phänomen angesehen, sondern ebenfalls als Konstrukt, wenn auch ein oft sehr bedeutsames. Dabei kann gerade das Konstrukt ›Krankheit‹ ein eminent wichtiges Organisationselement eines Systems werden, deshalb sollte aus dieser konstruktivistischen Sicht keineswegs zwangsläufig geschlossen werden, man solle in einer Therapie das Konstrukt ›Krankheit‹ zielgerichtet auflösen, um so die Menschen zu unterstützen, sich von dem Erleben zu befreien, ausgelieferte Opfer zu sein (wie dies heute noch häufig in der Systemischen Therapie praktiziert wird). Grundsätzlich gesehen, erscheint dies durchaus sehr wünschenswert. Beachtet werden sollte dabei aber, wie das, wofür ›Krankheit‹ in einem System in eventuell (unbewusst) gewünschter Weise wirkte, z. B. intensiverer Zusammenhalt im System, auf andere Weise erreicht werden kann. Sonst würde der Versuch, Krankheitskonzepte aufzulösen, vielleicht als Bedrohung erlebt werden und mit Abwehr beantwortet werden.14

Krankheitskonzepte können auch für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Klienten genutzt (utilisiert) werden. Anknüpfend an Diagnosebegriffe wird das Modell der Erkrankung auf eine Weise veranschaulicht, dass darin implizierte Lösungen (z. B. gute Absichten des Organismus) Ideen generieren, wie durch die Therapie oder ein bestimmtes Verhalten des Klienten Leid (Handlungsbeschränkungen) vermindert und Wohlbefinden (erweiterte Handlungsmöglichkeiten) gefördert werden.15

Kapitel 1

Was ist Hypnosystemische Therapie?

Als Hypnosystemische Therapie werden Gesprächsformen bezeichnet, die Elemente von Systemischer Therapie, Erickson’scher Hypnotherapie und oft auch von Teilearbeit und Strukturaufstellungen16 in einem wachen Dialog verbinden. Der Begriff »hypnosystemisch« wurde um 1980 von Gunther Schmidt(2) eingeführt. Als Gründe für die Zusammenschau des Erickson’schen(1) und des systemischen Ansatzes in einem Konzept führt Schmidt an:

Beide gehen von der Idee aus, alle Lebensprozesse mit dem Blick auf eine mögliche Beschreibung von Muster(1)n zu betrachten. Beide verstehen lebende Systeme als sich selbst organisierende, autopoietische Systeme …

Beide … gehen vom fast identischen Verständnis aus, wie Veränderung geschehen kann (nämlich durch die Bildung von Unterschieden in bisher vorherrschenden Mustern).

Die Zusammenführung der Ansätze ergibt auch deshalb Sinn, weil ihre Entwicklung von Anfang an eng verflochten war. Schmidt verweist dabei darauf, dass »die wichtigsten Interventionen der systemischen Arbeit über lange Jahre fast alle aus der Erickson’schen Hypnotherapie entliehen wurden«.17

Der systemische Ansatz wurde in Deutschland ab 1974 vom Münchner Familienkolleg (Gaby Moskau(1), Gerd Müller(1)), vom Münchner Institut für Integrative Familientherapie (Carole Gammer(1), Martin Kirschenbaum(1)), am Weinheimer Institut von Maria Bosch,(1)18 an der Mannheimer Hochschule für Sozialwesen (Elisabeth Nader(1)) sowie prominent von der Heidelberger Gruppe um Helm Stie(1)rlin verbreitet.

Diese waren in engem Austausch mit Salvador Minuchin(1) und der Mailänder Gruppe um Mara Selvini Palazzoli(1). Beide Gruppen standen in Kontakt mit der kalifornischen Palo-Alto-Gruppe mit Paul Watzlawick(2), Jay Haley(1), Virginia Satir(1) und anderen, die wiederum in engem Austausch mit Milton Erickson(2) und Gregory Bateson(1) standen.

Paul Watzlawick, John Weaklan(1)d und Richard Fisch(1) gaben der Systemischen Therapie eine theoretische Fundierung, indem sie deren Praxis mit den Axiomen der Gruppentheorie (Evariste Galois(1)), der Logischen Typenlehre (Alfred Whitehead(1) und Bertrand Russell)(1)19 und der Systemtheorie (Niklas Luhmann(1) u. a.) verbanden.

Gunther Schmidt(3), der zur Heidelberger Gruppe gehörte, lernte Milton Erickson in Arizona kennen und brachte, wie einige weitere Kollegen,20 Impulse aus dessen Arbeit nach Deutschland.

In den USA entwickelte Virginia Satir(2)(1) familientherapeutische (1)Konzepte und die Methode der Familienskulptur, die sie auch an deutsche Kollegen vermittelte.

In München lernte Bert Hellinger ihre Methode kennen, der sie in veränderter Form als »Familienstellen« bekannt machte. Später kam es zu einem Bruch zwischen Hellinger und der Mehrheit der systemisch arbeitenden Kollegen. Das Verhältnis zwischen Aufstellern und Systemtherapeuten hat sich später – mit Ausnahme von Hellinger, der gesondert betrachtet wurde – wieder entspannt, wovon der Buchtitel »Aufstellungsarbeit revisited … nach Hellinger?«21 Zeugnis gibt. Im systemischen und hypnosystemischen Kontext vermitteln u. a. Gunthard Weber(1) in Wiesloch sowie Insa Sparrer(1) und Matthias Varga von Kibéd(1) in München Techniken der Aufstellungsarbeit. Dabei sind sie regelmäßig im Austausch mit Schmidt und anderen hypnosystemisch arbeitenden Kolleginnen und Kollegen. Im Bereich der Teilearbeit stehen die hypnosystemisch orientierten Kollegen unter anderem mit Vertretern der Ego-State-Therapie wie Kai Fritzsche(1) und Woltemade Hartman(1) in enger Verbindung.

Was trägt die Hammel’sche Art der Therapie zu dieser Geschichte bei?

»Neu ist aus meiner Sicht … die Weiterentwicklung des Verräumlichens. Die Verräumlichung von Lebensmöglichkeiten und Optionen in der Anamnese(1) und der Therapie. Der Abschied von den Teilen. Das Grüßen …«, schrieb ein Kollege, der das Manuskript las. »Du transformierst in der Hypnotherapie Vorhandenes achtungsvoll und würdigend in ganz außergewöhnlicher und bemerkenswerter Weise und addierst etwas Neues dazu.« Wissen wollte er, was meine Sicht dazu sei: »Wo ist der Kern von Stefan Hammel, was sind die originären und originellen Stefan-Hammel-Konzepte?«22(1)

Als Beiträge zur Fachdiskussion können darüber hinaus genannt werden:

Ein Hinweis sei an dieser Stelle erlaubt: Hypnosystemische Therapie ist wohl nicht »eine bestimmte Methode«, sondern lässt sich als therapeutische Haltung beschreiben, aus der ein breites Methodenspektrum erwächst. Schmidt(4) setzt als Konsens voraus,

dass es ›die‹ systemische Therapie oder Beratung nicht gibt, sondern sich ihre Geschichte auszeichnet durch das vielfältige, gleichzeitige Blühen vieler Ausdifferenzierungen der Grundsätze.29

Gleiches gilt für die hypnosystemische Therapie: Die Ansätze der Therapeutinnen und Therapeuten dieser Tradition lassen sich nicht als einheitliches Konstrukt, und noch weniger als »Schule« beschreiben. Vielmehr handelt es sich um eine Vielfalt verwandter und miteinander in Dialog stehender Ansätze.30

So wird auch dieses Buch nicht den einen hypnosystemischen Ansatz beschreiben. Es stellt vielmehr ein Spektrum an Möglichkeiten hypnosystemischer Therapie vor und präsentiert eine Interpretation dessen, was hypnosystemische Arbeit ausmacht.

Kapitel 2

Grundannahmen

Im Folgenden sollen einige Gedanken entfaltet werden, die als Grundlage für die weiteren Ausführungen dienen.

Körper und Psyche sind ein System. Alle körperlichen Erfahrungen sind durchdrungen von geistig-psychischen, und das heißt auch sozialen, biographischen und familienbiographischen Ein- und Auswirkungen. Die Frage, ob ein Leiden körperlich oder psychisch bedingt sei, ergibt unter dieser Betrachtung wenig oder keinen Sinn. Genauer gesagt, die Antwort auf diese Frage beschreibt keine Wirklichkeit im System, sondern verweist darauf, mit welcher Brille (der psychischen oder körperlichen) der Betrachter auf das Leiden dieses Menschen schaut.

Alles, was somatisch ist, ist auch psychisch, und alles, was psychisch ist, ist auch somatisch.31 Schmidt(6) spricht in diesem Zusammenhang von »Somatopsychik(1)«.32

Wenn der Begriff »psychisch« im Wesentlichen den Bereich der Gedanken und Emotionen bezeichnet, was sind dann Gedanken? Und was sind Emotionen?

Denken ist simulierte Wahrnehmung in Abläufen und vollzieht sich in Geschichten. Die zugrunde liegenden Sinneswahrnehmungen sind in unterschiedlicher Art und Intensität vernetzt. Manche Menschen »sehen« z. B. Töne und Geschmäcker (Synästhesie(1)). Wenn wir vom Denken sprechen, beziehen wir uns meist auf einen der folgenden drei bis vier Vorgänge – oder auf eine Kombination davon, denn vermutlich spielen alle Varianten bei allen Menschen eine Rolle, in unterschiedlicher Priorisierung.

Im einem Fall geht es um eine simulierte visuelle Erfahrung, also innere Film- und Bildsequenzen. Man kann auch von Tagträumen sprechen und zwischen solchen unterscheiden, die sich auf die Vergangenheit (Erinnerung), auf die Gegenwart (Deutung aktueller Wahrnehm(2)ung), auf die Zukunft (Erwartung, oft als Hoffnung oder Befürchtung) oder auf komplett fiktive Inhalte beziehen.

Im anderen Fall geht es um eine simulierte auditive Wahrnehmung in Form von Selbstgesprächen. Manchmal erfahren wir uns überwiegend als Hörer gesprochener Inhalte (und erleben dabei ein zweites eigenes Ich oder eine andere Person als Sprecher), manchmal erfahren wir uns überwiegend als Sprecher (mit uns selbst oder einer imaginierten anderen Person als Adressat), manchmal in einem Dialog, indem wir abwechselnd Hörer und Sprecher sind.

Einige, bei denen der kinästhetische Zugang zu sich und zur Welt überwiegt, erleben, dass sich ihre Gedanken aus Körpergefühlen und Körperreaktionen heraus formieren, also aus dem physiologischen Erleben heraus zu ihrem Bewusstsein dringen.

Einzelne Menschen kennen auch Schriftbänder, die vor ihrem geistigen Auge vorbeilaufen (Ticker-Tape-Synästhesie(2)), während sie innere Stimmen hören, so dass sie gewissermaßen »Gedanken lesen«, eine verbal-visuelle Variante des Denkens.

Manche werden den Begriff des Denkens rein verbal assoziieren – sie werden sich auf die zweite Variante konzentrieren und das Denken vom Träumen unterscheiden. Für mich ist Denken die Form des Träumens, die verbale Sprache mit einbezieht.

Und Emotionen? Wenn wir beobachten, was geschieht, während wir eine Emotion erleben und ausdrücken, finden wir vor allem Körperreaktionen. Dazu gehören unwillkürliche Muskelbewegungen, Erschlaffen und Erstarr(1)en der Muskulatur, Veränderungen des Atem(1)s, der Herzaktivität und damit auch der Durchblutung(1), zitternde, vibrierende oder pulsierende Bewegungen, unterschiedliche Körpergefühle, Veränderungen der Schleimhäute, die Aktivierung der Tränendrüsen und vieles andere mehr. Emotionen sind vernetzte Körperreaktionen, die in ihrem Zusammenspiel nicht den jeweiligen Körperteilen zugeordnet, sondern als Reaktion auf ein äußeres, meist sozial bedingtes Geschehen erlebt werden.

Mit Emotionen reagieren wir auf Veränderungen unserer Sicherheit, Zugehörigkeit und Rolle in unserem sozialen System (»Herde«), auf erwartete bzw. eingetretene Verluste und Beschädigungen unserer Sicherheitszone (»Territorium«, »Heimat«, »Intimsphäre«).

Zu den Emotionen zähle ich Einsam(1)keit, Wut(1) und Ärger, Angst(1) und Scheu, Traurigkeit, Ekel(1), Widerwillen und Schauder oder Grauen, Rührung und Ergriffenheit, Scham und Schuld(1)gefühl sowie Freude mit ihren unterschiedlichen Facetten. Als Verbindung von Emotionen und Wünschen können noch Gunst und Missgunst bzw. Neid genannt werden (jemandem Gutes oder Schlechtes gönnen bzw. Gutes missgönnen). Als Verbindung von Emotion und Erinnerung kommen noch Dankbarkeit und Groll, als Verbindung von Emotion und Erwartung Zuversicht und Verzagtheit in Frage.

Emotionen wie Angst oder Traurigkeit treten auch dann auf, wenn unser innerstes Territorium, der Körper, in seinem Überleben oder seiner Integrität bedroht ist. Ekel wiederum ist die Angst der Körperöffnungen. Menschen ekeln sich, wenn sie erleben oder befürchten, dass etwas (über Wunden oder natürliche Körperöffnungen) unerwünscht in ihren Körper eindringt oder wenn sie sich mit einer anderen Person identifizieren, die sich in einer solchen Situation befindet.

Gedanken und Emotionen werden körperlich erlebt, das heißt, wahrgenommen. Bei den Gedanken steht für die meisten Menschen, zumindest im bewusstseinsnahen Bereich, eine visuelle und auditive Wahrnehmung im Vordergrund, bei den Emotionen Körpergefühle und Körperreaktionen. In der Welt unserer Träume (einschließlich der aktuellen gedeuteten Wahrnehmung(3)) sind Sehen, Hören, Fühlen und die anderen Sinnesleistungen ein