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Impressum
© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-062-6
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Sean Beaufort

Ein Fressen für die Geusen

Die Spanier auf der Flucht – sie wollen nicht gehängt werden

Niemand würde den harmlosen Fischerbooten mißtrauen, die vor der niederländischen Küste zu sehen waren.

Niemand würde hinter den Dämmen und Deichen der Küste die Fleuten bemerken, die auf der Lauer lagen.

Kein Spanier, der sich an Deck einer der Schatzgaleonen befand, wußte wirklich, welcher Teil der Niederlande von den Spaniern besetzt war.

Der Konvoi näherte sich einer unsichtbaren Linie. Sie spannte sich zwischen Calais und Dover und kennzeichnete die schmalste Stelle des Kanals. Bis die Schiffe endlich in die Themse einlaufen konnten, nach einer abenteuerlichen und verlustreichen langen Fahrt, führte der Kurs wieder über Untiefen hinweg und in das Gebiet, in dem die Wassergeusen jagten.

Nicht jede Jagd war erfolgreich. Es kam auf die Jäger an.

Die Dons hatten noch nicht gelernt, die Wassergeusen zu fürchten. Noch nicht

Die Hauptpersonen des Romans:

Don Diego – der Kapitän der „Fortuna“ riskiert die Flucht mit seiner Galeone, aber weit gelangt er nicht.

Al Conroy – mit Präzision nimmt der Stückmeister der Arwenacks den Gegner ins Visier und bringt ihm das Fürchten bei.

Arne von Manteuffel – als Kapitän der „Wappen von Kolberg“ kämpft er mit seinen Mannen bravourös gegen die Geusen.

Edwin Carberry – beim Enterkampf reicht es dem Profos erst, wenn er gegen mindestens zwei Gegner loslegen kann.

Philip Hasard Killigrew – die letzten Stunden bis zum Einlaufen in die Themsemündung verlangen ihm noch allerlei ab.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Seit Tagen waren die Scilly Islands hinter der westlichen Kimm verschwunden. Unter dem fahlblauen Himmel, der voller nebelartiger Wolken von bräunlichgrauer Farbe war, gab es keine Spur mehr von dem einzigartigen Geruch, der für die grünen Inseln so typisch war. Heute tobte die Wucht der Winterstürme an einer anderen Küste, irgendwo weiter nördlich.

Kapitän Philip Hasard Killigrew hatte mit schlimmerem Wetter gerechnet. Aber die Wellen türmten sich nicht zu vernichtender Höhe auf. Hier zwischen Portland und Cherbourg wehte der Wind in gleichmäßigen Stößen von gegenan.

Die acht Galeonen, die Schebecke, die „Isabella IX.“ und die „Wappen von Kolberg“ kreuzten im Augenblick nach Südosten. Die Schiffe lagen schwer nach Steuerbord über. An Backbord tauchte weit entfernt manchmal die Küste auf und verschwand wieder, wenn sich Nebel oder tieftreibende Wolken zwischen die Schiffe und die englische Küste schoben. Das Jahr neigte sich seinem Ende entgegen. Vermutlich würden wirkliche Winterstürme den mürben Galeonen und den demoralisierten Dons und ihren Mannschaften den Rest geben.

Ben Brighton gesellte sich zu Hasard, packte ein Fall und stemmte sich gegen das schräge Deck.

„Miguel Salcho scheint sein Handwerk zu verstehen“, meinte er und schlug mit einer Hand den Kragen der schweren Jacke in die Höhe. „Die ‚Salvador‘ wird fast tadelfrei gesegelt.“

„Er muß nur noch bis London durchhalten“, entgegnete der Seewolf. „Aber bis dorthin haben wir noch einiges vor uns, verlaß dich drauf.“

„Der Ärger kommt diesmal von Steuerbord“, sagte der Erste. „Ich sehe ihn fast schon vor mir.“

„Mir geht es nicht anders.“

Die Schebecke segelte als letztes Schiff hinter dem Konvoi, der in zwei Kolonnen durch die grauen und dunkelgrünen Wellen stampfte.

Die Küstenlandschaft an Backbord, die Heimat der meisten von ihnen, zog unmerklich langsam hinter den driftenden Nebeln vorbei. Über den unsichtbaren Ufern ballten sich die Wolken. Sie schienen auf der Stelle zu stehen. Die winzigen Segel kleiner Fischerboote zitterten entlang der Kulisse aus unbestimmtem Grau.

„Schade“, sagte der Erste nach einer langen Zeitspanne. „Jeder von uns würde sich gern die Füße an Land vertreten. Abgesehen davon, daß zahllose Schenken und Pubs um eine schöne Einnahme betrogen werden. Trockene Seewölfe – wer hätte das je gedacht?“

„Und wer hätte gedacht, daß wir einen Schatzkonvoi der Dons nach London bringen?“ fragte der Seewolf. „Oder zumindest den größten Teil davon.“

„Das hat sich niemand vorstellen können“, sagte Ben Brighton.

Al Conroy, zuverlässig wie immer, hielt sämtliche Geschütze bereit. Sie waren geladen und noch nicht ausgerannt, aber durch die Persenninge wasserdicht oder zumindest spritzwassergeschützt.

Steuerbord voraus tauchte undeutlich die weit vorspringende Landzunge auf, in deren Mitte das französische Cherbourg lag.

Nacheinander gingen die Galeonen bedächtig durch den Wind und führten einen Schlag nach Nordosten aus. Die „Wappen“ und die „Isabella“ folgten. Hasard wartete noch mit seinen Kommandos. Mac O’Higgins stand an der Pinne und peilte schweigend hinüber zu der schwerfälligen Beuteflotte.

„Cape de la Hague“, murmelte Edwin Carberry, der an Deck erschienen war und sich umschaute, als sähe er zum erstenmal in seinem Leben das Wasser des Kanals. „Richtig?“

„Stimmt“, brummte Ferris Tucker. „Willst du die Seinebucht rammen, Sir?“

Hinter dem Kap schwangen die Ufer und die Seinemündung bei Le Havre landeinwärts. Auch über diesem Teil des Festlandes ballten sich riesige graue Wolken, schon jetzt, am späten Morgen.

Hasard winkte ab. Er wollte mit der schnellen Schebecke an einer günstigen Position bleiben, um schnell handeln zu können, wenn es nötig wurde. Noch immer verhielten sich die Spanier bemerkenswert ruhig und schienen sich vor der Drohung der vielen feuerbereiten Geschütze zu fürchten. Aber selbst ein unerfahrener Kapitän konnte sich ausrechnen, daß es auf den Schiffen gärte und brodelte.

„Keineswegs. Wir haben es nicht eilig. Oder kennst du einen Grund?“ fragte der Seewolf zurück.

Der Schiffszimmermann schüttelte den rothaarigen Schädel. „Kein Grund.“

Stunden um Stunden vergingen, während der Schiffsverband sich weiter gegen den Wind voranarbeitete. Bill of Portland mit dem riesigen Buchtbecken zog vorbei. Die französische Küste war längst wieder im Grau über der Kimm verschwunden.

Als Dan O’Flynn wieder einmal durch das Spektiv blickte und sich darüber freute, daß die unmittelbare Drohung einer fremden und feindlichen Umgebung geringer geworden war, je mehr sie sich der Themsemündung näherten, konnte er auch nur eine leere Wasserfläche sehen.

Der Tag verging auf ereignislose Weise. Die Schiffe kreuzten, näherten sich dem Land an Steuerbord und wieder an Backbord, kämpften sich gegen Dünung, Wellen und die Strömung, die im Verlauf der Tide wechselte. Dennoch gelangten sie gut voran. Als es dunkelte, hatten die Schiffe Portsmouth an Backbord querab.

Eine der letzten Nächte vor Einlaufen in die Themse brach an. Zögernd setzten die Kapitäne der Galeonen die Lichter. Die letzten Fischerboote suchten Schutz in den Häfen.

Noch immer wehte der Wind aus Osten.

Miguel Salcho lehnte mit den Ellenbogen auf dem abgegriffenen Handlauf des Schanzkleides und blickte aus unruhigen Augen in die Richtung der englischen Küste.

„Wir haben keine Wahl mehr“, sagte er mit einer Stimme, die aus der Gruft zu ertönen schien. „Die verdammten Engländer töten uns und vernichten die Schiffe.“

„Sie haben es ein paarmal bewiesen“, antwortete der Zweite, Bernardo de Murcia. Er war ebenso niedergeschlagen. Er gehörte zu der Mannschaft, die vor Jahren mit einer kleinen Armada versucht hatte, die englische Insel anzulaufen. Die Gewässer waren ihm aus leidvoller Erfahrung bekannt.

„Was können wir tun? In spätestens zwei Nächten sind wir vor den Rohren der Londoner Uferbatterien.“

„Zu den Niederländern hinüberschwimmen“, brummte der neue Kapitän. Es dämmerte, der verdammte englische Kanal verwandelte sich in ein Gewässer, das aus grauem Blei zu bestehen schien. Drohende Wolken wirbelten über den grauen Himmel. „Immerhin sind die meisten von ihnen spanische Untertanen.“

„Und wenn wir triefend an Land waten, erwischen uns die Feinde unserer Krone.“

„Alles ist möglich in diesen schlimmen Tagen“, stöhnte Salcho.

In der letzten Stunde war an Deck und unter Deck der „Salvador“ ein wenig Ruhe eingekehrt. Tagsüber, während die Segel bei jeder Wende und jedem Kreuzschlag neu getrimmt wurden, redeten die Männer voller Verzweiflung miteinander. Sie wurden von den drei bewaffneten Schiffen umkreist wie von scharfen Hunden, die eine Schafherde hechelnd in den Pferch trieben.

Da an Bord bestenfalls Pulver und Blei nur für Pistolen, Musketen und Drehbassen vorhanden war, aber kaum mehr ein Schuß für die Geschütze, waren sie hilflos. Also richteten sich ihre Wünsche, Vorstellungen und Gedanken nur auf die Möglichkeiten zur Flucht.

„Jetzt kommt die Nacht“, sagte Salcho. „Die beste Zeit, die Lichter zu löschen und nach Osten abzudrehen.“

„Eigentlich ist es gleich, ob wir in London in den Tower geworfen werden oder die Schiffe auf niederländischen Sandbänken auf Grund setzen. Die Ladung ist verloren. In jedem Fall“, erwiderte de Murcia.

„Alle unsere Männer. Tapfere Spanier. Und das Gold. Und das Silber. Sagen Sie mir, was wir tun können.“

De Murcia hob ratlos die Schultern. „Man erzählt sich, daß die Galeonen zu groß seien, um einen sicheren Weg in einen niederländischen Hafen zu finden. Und dann gibt es noch die Wassergeusen.“

„Die Beiboote?“ fragte Miguel Salcho und war nicht weniger ratlos. „Aber da haben nur eine Handvoll Leute Platz. Man wird sich um jeden Sitz prügeln.“

„Sie denken doch nicht etwa daran, mit dem Beiboot nach Leiden oder Brielle zu pullen?“ De Murcia schien entsetzt. „Ich weiß wirklich nicht, was wir noch unternehmen könnten, Señor Capitán.“

„Madre de dios!“ schrie Miguel Salcho plötzlich unbeherrscht.

Die Seeleute, die ohne große Eile versuchten, die angerichteten Schäden auf der Kuhl zu beseitigen und die Holzteile zu reparieren, schauten zur Kampanje hinauf.

„Ich will nicht in englische Gefangenschaft!“

„Keiner will das“, murmelte de Murcia heiser. „Keiner von unseren Leuten. Nicht einmal ich.“

Sie schwiegen voller Enttäuschung und Verzweiflung. Unablässig überschlugen sich ihre Gedanken. Sie suchten fieberhaft nach einem Ausweg. Aber auch in den letzten Stunden, in denen sich die Offiziere das Geschrei und die Flüche der vielen Seeleute hatten anhören müssen, hatten sie keinen Ausweg gefunden.

Antonio Quieras erschien auf dem Quarterdeck. Auch er trug alle Zeichen der Niedergeschlagenheit.

„Neue böse Nachrichten?“ rief Miguel Salcho hinunter.

Der andere Offizier schüttelte langsam den Kopf.

„Proviantsorgen?“

„Keine.“

„Haben Sie einen Vorschlag, wie wir uns aus dieser verdammten Lage herausmogeln können? Viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Immerhin sind wir noch acht Galeonen.“

Ein Seemann erschien mit der angezündeten Hecklaterne am Niedergang und latschte mit müden Bewegungen und einem Gesichtsausdruck, der seine Stimmung deutlich zeigte, an den Offizieren vorbei.

„Was passiert uns in England?“ fragte Salcho.

„Sie werden uns einsperren, das ist sicher. Kein Zweifel. In Spanien würden wir die verdammten Engländer auch einsperren.“

„Richtig. Wir können uns loskaufen. Lösegeld werden sie verlangen, und zwar reichlich.“

Bernardo de Murcia stieß ein hohles Gelächter aus und schrie am Rand seiner Fassung: „Wahrscheinlich kaufen wir uns mit dem Gold und Silber unten in den Laderäumen frei?“

„Virgen de Montserrat“, stöhnte Salcho. „Wir müssen flüchten. Hinter Calais. Zwischen Brügge und der Zuidersee müßte es doch einen Hafen geben, der uns Schutz bietet.“

„Die Küste ist voller Häfen, voller Sandbänke und Flußmündungen. Die Geusen wissen schon, warum ihre Fleuten so wenig Tiefgang haben.“

„Besser gestrandet als in der englischen Gefangenschaft.“

Die Abenddämmerung verwischte die Unterschiede zwischen Land und Wasser, zwischen den Segeln und den Rümpfen der Schiffe. Undeutlich funkelten, entweder von Land oder von weit entfernt segelnden Schiffen, winzige Lichtpünktchen herüber zu dem Schiffsverband.

Die „Salvador“ stand als das am weitesten an Steuerbord befindliche Schiff vorläufig der Küste am nächsten. Nach Meinung der Offiziere mußten sie in ein paar Stunden die Lichter von Calais sehen, wenn nicht Nebel oder Regen die Sicht verhinderte.

Nordöstlich der Linie, die sich von Calais nach Dover spannte, erstreckte sich die zerklüftete Küste der Niederländer, an der die Geusen, kaum von den Spaniern gehindert, segelten und, wenn sie schnell genug waren, auch die spanischen Städte und Lager weit im Inneren des Landes überfielen.

Und ausgerechnet dieser Küstenabschnitt stellte die einzige Möglichkeit für die Spanier dar, eine letzte Flucht zu riskieren.

Schwerfällig stampften die Schiffe gegen die Wellen an. Der feuchte Wind orgelte im Rigg. Die Reparaturarbeiten auf der Kuhl waren eingestellt worden. Aus der Kombüse roch es durchdringend nach einer scharf gewürzten Speise. Murrend verzog sich etwa die Hälfte der Spanier unter Deck und auf Freiwache. Ein paar Becher vom letzten Weinvorrat und etwas Rum wurden ausgegeben.

„Besser gestrandet“, wiederholte Bernardo de Murcia, „als in Gefangenschaft.“

Er zuckte mit den Schultern und starrte in die Dunkelheit hinaus. Was er dachte und empfand, teilte er mit jedem Mann aller Galeonen. Ohnmächtige Wut, nackte Verzweiflung und teilweise dumpfe Schicksalsergebenheit – diese Stimmungen beherrschten die Spanier.

De Murcia fiel ebensowenig – oder gar nichts – ein wie allen anderen. Aber noch vor dem Abend des nächsten Tages mußten die Kapitäne der Galeonen etwas unternehmen.

Er ging in seine Kammer und ließ sich einen Becher Wein und einen Napf von dem scharfen Eintopf bringen, mit dem die Köche versuchten, die Stimmung ihrer Kameraden etwas aufzubessern.

Was in spanischen Kreisen schon immer vermutet worden war, stellte sich in den Jahren nach dem schmachvollen Untergang der „Felicissima Armada“ als Wahrheit heraus:

Die Rebellion von Teilen der niederländischen Bevölkerung war für die Königin Elizabeth eine ausgezeichnete Gelegenheit, Spanien auch ohne den Einsatz eigener Schiffe und Kapitäne zu bekämpfen. Offiziell wußte niemand etwas – aber die Niederländer fanden Zuflucht in den Häfen entlang des Kanals, und wenn sie mit Beute beladen einliefen, sorgten englische Kaufleute dafür, daß ihre Waren verkauft werden konnten.

Der neue Glauben, der Calvinismus, fand mehr Anhänger von Jahr zu Jahr. Er war ein zusätzlicher Ansporn für niederländische Rebellen. Seine Allerkatholischste Majestät zu bekämpfen und seinen Landtruppen und den Schiffen soviel Schaden zuzufügen wie nur irgend möglich.

Schließlich wollten die Niederländer die spanische Herrschaft abschütteln. Das alles spielte sich sozusagen im Vorgarten der englischen Königin ab, und die Engländer schauten diesem Treiben mit grimmigem Gelächter und voller stiller Freude zu.

Und nun näherte sich der gefährlichen Küste ein Verband von Schiffen, die jeder für Spanier halten mußte. Sahen die Geusen eine spanische Flagge, so würden sie sich darauf stürzen.

Aber was unternahmen sie, wenn sie die Schebecke, die „Wappen von Kolberg“ und die „Isabella“ sahen? Auch diese Schiffe führten noch das spanische Tuch in den Masten.

2.

Sandoval Avilar, einer der Stückmeister der „Concordia“, versuchte mit viel Mühe und vorläufig einem recht mageren Ergebnis, seine Wut zu unterdrücken. Am liebsten hätte er einen Streit vom Zaun gebrochen, um seine innere Spannung loszuwerden. Aber es half ihm nicht, wenn er als heißblütiger Katalane von seinen Kameraden mit einem Belegnagel beruhigt werden mußte.