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Über dieses Buch:

Wie weit würdest du gehen, um zu gewinnen? Middleburg, Virginia: Als die junge Erin sich eine begehrte Position im Team der Senatskandidatin Rosemary Marshall erkämpfen kann, glaubt sie sich am Ziel ihrer Träume – und mit ihrem neuen Kollegen Nick scheint sie auf Anhieb mehr zu verbinden als nur die Leidenschaft für Politik ... Doch als die heiße Phase des Wahlkampfs beginnt, verfängt Erin sich mehr und mehr in einem gefährlichen Netz aus Lügen und Intrigen. Schon bald muss Erin sich fragen, wem sie noch trauen kann – und ob Macht jeden Preis wert ist …

Über die Autorin:

Hinter der US-amerikanischen Bestsellerautorin Barbara Michaels steht Barbara Louise Gross Mertz (1927–2013), die auch unter dem Pseudonym Elizabeth Peters erfolgreich Kriminalromane schrieb. Die Autorin promovierte an der University of Chicago in Ägyptologie. So haben auch ihre Romane, für die sie zahlreiche Preise gewann, meist einen historischen Hintergrund.

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eBook-Neuausgabe März 2020

Dieses Buch erschien bereits 1991 unter dem Titel »Ambitionen« im Franz Schneekluth Verlag.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1989 by Barbara Michaels

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1989 unter dem Titel »Smoke and Mirrors« bei Simon & Schuster.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1991 by Franz Schneekluth Verlag, München

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Khomenko Marina / Erik Laan / G_O_S / brickrena / gyn9037 / Nik Merkulov

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (tw)

ISBN 978-3-96655-176-2

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Barbara Michaels

Das Geheimnis von Marshall Manor

Roman

Aus dem Englischen von Regina Rawlinson

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Prolog

Nacht für Nacht suchten sie ihn heim. Sie bewegen sich nicht, sie sagen kein Wort. Sie standen neben dem Bett und starrten ihn mit ernsten, dunklen Augen an. Ein Kleines klammerte sich haltsuchend an den Rock der Mutter. Das Jüngste von ihnen wiegte sie im Arm.

Sie sah nicht so aus, wie er sie in Erinnerung hatte. Sie war alt geworden, hatte schütteres, ergrautes Haar und runzlige Wangen; so hätte sie vielleicht ausgesehen, wäre sie nicht vor ihrer Zeit aus dem Leben gerissen worden, früh gealtert durch Armut und schwere Arbeit. Er hatte sie nie gesehen … die anderen. (Du darfst sie nicht beim Namen nennen, nicht einmal denken darfst du sie: die Kinder, die Kinder.) Die Bilder, die vor ihm aufrauchten, hatten keinerlei Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit, sie waren die dunklen Ausgeburten schuldbeladener Albträume. Und doch waren diese spinnenwebfeinen Formen stärker als Schlaftabletten, Alkohol oder alle anderen Mittel, mit denen er versucht hatte, sich zu betäuben. Schattenwesen, stärker als Stein oder Stahl. Sie ließen sich nicht aufhalten, sie kamen immer wieder.

Hilflos lag er Nacht für Nacht wie gelahmt da und wartete darauf, daß sie ihm erschienen. Es war immer dasselbe und auf merkwürdig Weise sogar schön; ein leuchtender Goldstreifen umspielte den Saum ihres zerlumpten Rockes. Dann schreckte er jedesmal schwitzend und keuchend aus dem Schlaf und dankte Gott, daß ihm das letzte Bild des Grauens erspart geblieben war. Aber in der Nachtluft schien schwach ein modriger Geruch zu hängen, und immer Hieb ihm die Angst, eines Nachts vielleicht doch nicht mehr rechtzeitig aufzuwachen.

Kapitel 1

Das Gesicht war zehn Meter hoch. Mit den dunklen Haaren wirkte es wie eine bewaldete Hügelkuppe. Um die meterlangen Lippen spielte ein angedeutetes Lächeln. Die Augen zogen einen nicht nur wegen der Größe in ihren Bann, durch irgendeinen Kunstgriff schien es so, als blickten sie dem Betrachter tatsächlich ins Gesicht. Erin korrigierte das Lenkrad, sie war der Straßenböschung gefährlich nahe gekommen. Die Plakate mußten neu sein, zumindest waren sie ihr früher nie aufgefallen. Man konnte sie eigentlich kaum übersehen, aber der Mensch bemerkt eben vorwiegend das, was ihn persönlich betrifft. Bis vor kurzem noch hatte Erin sich kaum für Politik interessiert, und für die Wahl des Senats schon gar nicht.

Sie fragte sich, wer die Wahlwerbung wohl entworfen hatte, denn genau darum handelte es sich bei dem Plakat, um eine Werbung für ein Produkt, wenn es auch in diesem Fall nicht so sehr darum ging, eine Person zu verkaufen, sondern ein sorgfältig ausgetüfteltes Imagepaket. Rote und weiße Stoffbahnen umwallten das riesige Gesicht, Sterne schwebten auf dem himmelblauen Hintergrund. Die grelle, scharlachrote Schrift verkündete eine knappe und einfache Botschaft: ROSEMARY WHITE MARSHALL IN DEN SENAT. Zweifellos hatte der unbekannte Werbefachmann bis auf den letzten Buchstaben einkalkuliert, wie viele Silben der Leser verarbeiten konnte, während er auf die Plakatwand zufuhr.

Obwohl es Samstag war, herrschte dichter Verkehr. Die Vororte Washingtons waren im Laufe der letzten zehn Jahre rapide gewachsen, aus Wohnsiedlungen, gewaltigen Bürokomplexen und überdimensionalen Einkaufszentren ergossen sich tagtäglich Zehntausende von Autos auf die Highways. Die Verkehrsfrage gehörte zu den am heftigsten umkämpften Themen der Lokalpolitik. Der Kandidat der einen Partei betonte den wachsenden Wohlstand, den diese Entwicklung mit sich brachte, der Kandidat der Gegenseite unterstützte die frustrierten Pendler, die sich darüber aufregten, daß sie auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause auf den überlasteten Straßen nur noch schrittweise vorankamen. Erst nachdem Erin die Abfahrt zum Flughafen Dulles passiert hatte, konnte sie es sich erlauben, ein wenig aufzuatmen. Sie fand sich im Verkehr nicht leicht zurecht, auch hatte sie seit fast einem Jahr nicht mehr am Steuer eines Wagens gesessen. Fran, die sich immer hilfsbereit gab, war in Wahrheit, was ihr Hab und Gut anging, äußerst heikel, und vor allem das Auto lag ihr besonders am Herzen. Nur ein außergewöhnlicher Anlaß, und noch dazu einer, von dem sie zu profitieren hoffte, hatte sie zu dem großmütigen Angebot bewegen können, Erin den Wagen zu leihen.

Fran teilte sich mit Erin eine Wohnung und konnte zu Zeiten eine rechte Nervensäge sein. Sie kannten sich noch von der Highschool her, waren allerdings nicht richtig befreundet gewesen. Es war nicht so, daß sie sich nicht hätten leiden können, nur hatten sich ihre Wege selten gekreuzt. Im Jahrbuch der letzten Klasse konnte man ihre unterschiedliche Lebensauffassung ablesen. Auf jeder zweiten Seite lachte einem Frans Gesicht entgegen; sie beteiligte sich an fast allen schulischen Aktivitäten, war Cheerleader, Mitglied in Debattierclubs und einem Dutzend anderer Vereine, sie war zur »beliebtesten Mitschülerin« gewählt worden und galt als »vielversprechendes Talent«. Von Erin gab es außer dem offiziellen Klassenfoto nur vier Abbildungen. Sie hatte die Literaturzeitung herausgegeben, in der Schülerbücherei ausgeholfen, war Mitglied im Chor gewesen und hatte den Preis für den besten Notendurchschnitt der Abschlußklasse erhalten. Als sie sich fünf Jahre später auf einem Klassentreffen wiedersahen, hätte keine der beiden mehr gewußt, wie die andere hieß, wenn sie nicht Namensschilder getragen hätten. Rein zufällig waren sie miteinander ins Gespräch gekommen.

Zumindest hatte Erin es für einen Zufall gehalten. Für Fran hingegen gab es keinen Zufall. In ihren Augen war es das Schicksal gewesen, das Karma, das sie zusammengeführt hatte, es hatte so kommen müssen. Fran war unter anderem auch deshalb bei ihren Mitschülern so beliebt, weil sie immer ein offenes Ohr für Menschen hatte, die sich aussprechen wollten, und Erin war auf dem Klassentreffen für ihre verständnisvolle Art besonders empfänglich gewesen. Sie hatte erzählt und erzählt, sie hatte sich allen Kummer von der Seele geredet, und Fran war einfühlsam auf sie eingegangen; sie hatte Erin in dem Schmerz über den kürzlich erlittenen Verlust des Vaters getröstet, Interesse an ihren Zukunftsplänen bekundet und hilfreiche Vorschläge gemacht. »Vorschläge« wäre allerdings zu wenig gesagt. Kaum hatte Erin erwähnt, daß sie mit dem Gedanken spiele, in eine größere Stadt zu ziehen, wo sich vielleicht eher ein Job finden ließe, erkannte Fran darin gleich wieder einen Fingerzeig des Schicksals. Was für eine Fügung! Eben erst sei ihre Mitbewohnerin ausgezogen, sie suche gerade jemand, mit dem sie ihr Apartment in einem Vorort von Washington teilen könne. War es nicht ein Wink des Himmels, daß sie sich getroffen hatten? Erin wollte nach New York ziehen? Sie mußte verrückt sein. Hatte sie überhaupt eine Ahnung, was eine Wohnung in Manhattan sie kosten würde? Hatte sie eine Vorstellung, mit welchen Hungerlöhnen Nachwuchsredakteure da abgespeist wurden? Und überhaupt war New York nicht nur ein teures, sondern auch ein gefährliches Pflaster, wo man jeden Tag ausgeraubt oder vergewaltigt werden konnte, womöglich sogar beides. Für Erin kam nur Washington in Frage, dort erschienen Tausende von Illustrierten, Zeitschriften und Firmenzeitungen.

Erin gelang es schließlich doch noch, ihren Redefluß zu stoppen. »Tausende?«

Fran grinste und fuhr sich mit der Hand durch das modisch zerzauste Haar. »Also Hunderte bestimmt. Im Ernst, Erin, besser hätte es doch gar nicht kommen können. Ich meine, du mußt einfach raus aus diesem Kuhkaff. Du sagst es ja selbst, für deine Mutter ist gesorgt, sie wohnt bei deiner Tante. Aber du kannst doch hier nicht bleiben, früher oder später schnappst du über mit den beiden alten Tanten, wenn sie dir ständig Vorhaltungen machen, daß du dein Zimmer aufräumen sollst oder abends spätestens um zwölf zu Hause sein mußt.«. Obwohl Erin ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie sich über die Nörgeleien ihrer Tante und die hilflose Schicksalsergebenheit ihrer Mutter beklagt hatte, konnte sie sich Frans Argumenten nicht verschließen. Fran sah ihr an, daß sie ins Schwarze getroffen hatte, und packte die Gelegenheit beim Schopf, sie weiter zu bearbeiten. »Sie können ja nichts dafür«, sagte sie freundlich. »Mütter sind eben so. Aber für dich ist das kein Leben. Wir hätten bestimmt viel Spaß zusammen. Wir ergänzen uns super, wir sind so verschieden. Yin und Yang, Laurel und ... Hardy. Ich bin Skorpion, du Wassermann …«

»Zwilling«, sagte Erin.

»Was? Ach so.« Fran tat ihren Schnitzer mit einer Handbewegung ab. »Ist auch egal.«

Je länger Erin über Frans Vorschlag nachdachte, desto mehr freundete sie sich damit an. Sie konnte sich zwar nur noch undeutlich an ihre Zeit in Virginia erinnern, doch hatte sie nur glückliche Erinnerungen daran. Sie sagte Fran, sie wolle es sich durch den Kopf gehen lassen und ihr dann Bescheid geben. Als sie heimkam und darüber Rechenschaft ablegen mußte, wo sie gewesen war, warum es so spät geworden war und wieviel sie getrunken hatte, gab es für sie kein Überlegen mehr. Mit ihrem Entschluß waren alle zufrieden, ihre Tante war zwar nicht unhöflich genug, ihr ins Gesicht zu sagen, daß sie sich freuen würde, Erin loszuwerden, aber anzumerken war es ihr doch. Selbst ihre Mutter fand sich damit ab, sie ging sogar bereitwillig darauf ein, daß Erin sich ein wenig verletzt fühlte.

»Ach, Kind, irgendwann mußt du sowieso von zu Hause ausziehen, das bleibt keinem erspart, und so bist du immerhin nicht allein. Ich kenne Mrs. Blenkinsop ein wenig, sie war mit mir im Büchereiausschuß, und sie kam mir sehr nett vor. Ich bin sicher, ihre Tochter ist der richtige Umgang für dich. Natürlich wäre es mir lieber, du würdest deinen eigenen Hausstand gründen, aber du lernst sicher bald jemand kennen. In Washington laufen schließlich so viele nette, junge Journalisten und Kongreßabgeordnete herum.«

Erin ersparte es sich, ihrer naiven Mutter diese naiven Vorstellungen auszureden. In einem Punkt hatte sie allerdings recht: Allein würde sie nicht sein. Die Abnabelung von Daheim würde ihr sicher leichter fallen, wenn ihr jemand zur Seite stand, der sich mit den Spielregeln und Fußangeln ein bißchen auskannte. Doch auch Fran profitierte von dieser Regelung. Sie hatte die ideale Mitbewohnerin gefunden, eine junge Frau, die so zurückhaltend war, daß sie es klaglos und ohne Widerspruch mit ihr aushielt.

Im Großen und Ganzen kamen sie besser miteinander aus, als es bei zwei so unterschiedlichen Charakteren zu erwarten gewesen wäre. Sogar was das Aussehen betraf, hatten sie keine Gemeinsamkeiten. Fran war klein, brünett und mollig, Erin war einen halben Kopf größer, hatte rötlich blonde Haare und eine für ihren Geschmack viel zu eckig geratene Figur. (Fran mit ihren Kurven hatte für derlei Selbstkritik kein Verständnis.) Fran fand ihre Kleider in Secondhand-Läden, Erin trug farblich aufeinander abgestimmte Blusen, Hosen und Röcke, und es kam nie vor, daß sie sich mit losem Saum oder fehlendem Knopf in der Öffentlichkeit zeigte. Erins Zimmer war immer aufgeräumt, bei Fran hingegen herrschte ein fröhliches Durcheinander aus abgelegten Kleidungsstücken, Illustrierten und Zeitungen, die sich auf dem stets ungemachten Bett stapelten. Fran hatte dutzendweise Freunde, während Erin nach fast einem Jahr in Washington noch mit keinem einzigen Menschen Bekanntschaft geschlossen hatte.

Fran konnte das nicht begreifen. »Du bist mir ein Rätsel, Erin. Warum kannst du nicht auf andere Leute zugehen, bist du zu schüchtern oder zu eingebildet? Du gehst nirgends hin, du unternimmst nichts …«

»Das stimmt nicht.«

»Na, vielleicht war das eine Spur übertrieben.« Fran faßte Erin forschend ins Auge, so kündigte sich oft einer ihrer lästigen Vorstöße auf das Gebiet der Amateurpsychologie an. »Wahrscheinlich war der Verlust des Vaters ein traumatisches Erlebnis für dich.« Fran grübelte vor sich hin. »Letzte Woche habe ich in einem Artikel gelesen, daß es kaum eine traumatischere Erfahrung gibt als den Tod eines Elternteils, und du warst schließlich Vaters kleiner Liebling.«

»Halt die Klappe, Fran«, sagte Erin.

Fran war nicht eingeschnappt. »Na, immerhin läßt du dir mittlerweile nicht mehr alles gefallen. Muß an meinem guten Einfluß liegen.«

Damit hatte sie zweifellos recht. Aber daß Fran mit ihren beiläufigen Bemerkungen über ihren Vater ebenfalls ins Schwarze getroffen hatte, konnte Erin nicht einmal sich selbst eingestehen. Noch immer träumte sie mehrmals in der Woche von ihm und wachte oft weinend auf.

Die Stelle, die Fran ihr in der Presseabteilung einer Handelsorganisation vermittelt hatte, war eine Enttäuschung. Erin hatte sich nicht dagegen gesträubt, als Sekretärin anzufangen, doch nachdem sie nun schon monatelang ohne Aussicht auf die versprochene Beförderung ausschließlich damit beschäftigt war, Briefe zu tippen, Akten einzuordnen und Kaffee zu kochen, kam sie sich allmählich ausgenutzt vor. Fran hörte sich ihre Klagen mitfühlend, wenn auch ungeduldig, an. »Wenn es dir zu langweilig ist, dann kündige eben. Es gibt genug offene Stellen, zur Not kannst du immer noch bei McDonald’s anfangen. Der Mistkerl will dich einfach nicht befördern, schon gar nicht, wenn er einen Mann für den Posten findet, der Typ ist ein furchtbarer Chauvi. Überleg doch bloß mal, wie es dir letzte Woche mit dem Job als Redaktionsassistentin ergangen ist. Du hast selbst gesagt, daß der Kerl, der ihn gekriegt hat, höchstens drei Wochen in der Firma war.«

»Aber er ist verheiratet und hat Kinder«, sagte Erin. »Er braucht das Geld nötiger als ich.«

»Herrgott noch mal! Wenn du ständig alles schlucken willst, hast du auch nichts Besseres verdient.«

»Ich will eben keine abgebrühte Emanze sein.«

»Nein, du läßt du dir lieber alles gefallen wie ein braves Hausmütterchen.«

Als Erin zum zweiten Mal ein Mann vorgezogen wurde, erzählte sie Fran nichts davon, aber der aufgestaute Ärger darüber ließ ihr die ganze Woche keine Ruhe mehr, und als es Samstag wurde, war sie äußerst gereizter Stimmung. Zur Abwechslung war Fran weder ausgegangen, noch hatte sie Freunde eingeladen. Erin wußte, was das bedeutete. Während sie die Plätze vor dem Fernsehapparat einnahmen, überlegte sie, ob sie womöglich eine masochistische Ader hatte, weil sie sich nicht einfach entschuldigte und sich mit einem Buch auf ihr Zimmer zurückzog. Fran war verrückt auf Nachrichtensendungen. Völlig versunken konnte sie sich endlose Wiederholungen der ewig gleichen Meldungen anschauen, einschließlich des Wetterberichtes. Erst kamen die Regionalnachrichten, dann die überregionalen Nachrichten und zuletzt die Spätnachrichten – eine Sendung um zehn, die andere um elf Uhr. Am Wochenende wurde das Programm auch noch durch verschiedene Talkshows und Informationssendungen aufgelockert, ganz zu schweigen von der politischen Berichterstattung, von der es in diesem Wahlherbst für Erins Begriffe mehr als genug gab.

Fran packte sich ein Tablett mit einer großen Schüssel Chili, Käse und Kräckern auf den Schoß und machte es sich gemütlich. Sie probierte zwar ständig die eine oder andere neue Diät aus, doch an einem Samstagabend vor dem Fernseher vergaß sie alle guten Vorsätze. »Ich muß bei Kräften bleiben, damit ich mich anständig über Novak aufregen kann«, erklärte sie.

Fran konnte sich über jeden aufregen, über Novak, Sidey, McLaughlin, Will. Sogar über ihr Idol Sam Donaldson geriet sie in Rage, wenn sie der Meinung war, daß er sich nicht richtig durchsetzte. Als sie einmal tüchtig über Morton Kondracke hergezogen hatte, war Erin der Kragen geplatzt. »Die können dich doch sowieso nicht hören.«

Fran wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich muß einfach ein bißchen Dampf ablassen. Mensch, Kondracke, du nasser Waschlappen, nun stoß ihm schon endlich Bescheid, daß er als Journalist die letzte Niete ist!« Anfangs konnte Fran es kaum fassen, daß Erin sich für ihr Steckenpferd so gar nicht erwärmen konnte. »Kein Interesse an Politik? Wo gibt es denn so was? Wie kann sich denn jemand nicht für Politik interessieren? Diese Leute bestimmen dein Leben. Ist es dir etwa egal, was sie denken, was sie Vorhaben?«

»Was sie wirklich denken, sagen sie ja doch nie, und was sie groß ankündigen, machen sie sowieso nicht«, antwortete Erin. »Was soll es also?«

»Hm«, sagte Fran, diesmal doch um eine Antwort verlegen.

Trotz ihres mangelnden Interesses konnte Erin nicht verhindern, daß sie die eine oder andere Information aufschnappte. Washington war eine politische Stadt. Sicher, diese Binsenweisheit hätte sie auch früher schon von sich geben können, doch was der Satz eigentlich bedeutete, dämmerte ihr erst, seit sie in diese Gegend gezogen war. Nur ein Thema beschäftigte die Hauptstadt noch mehr als Politik: Die Redskins. Zum Glück war Fran nicht auch noch Footballfan. Wenn Erin nicht nur politische Diskussionen, sondern auch noch Footballübertragungen über sich hätte ergehen lassen müssen, hätte sie sich ernstlich überlegt auszuziehen.

Nachdem Fran das Chili verputzt hatte, lief sie in die Küche, Nachschub holen. Erin ließ sich tiefer in den Sessel sinken und stocherte in ihrem Salat herum. Sie hatte den ganzen Vormittag damit zugebracht, die Wohnung zu putzen; eigentlich war sie damit gar nicht an der Reihe, aber die Wohnung hatte sich in ein solches Schlachtfeld verwandelt, daß sie es nicht mehr mit ansehen konnte. Anschließend hatte sie Fran zu einem Secondhand-Laden in Alexandria begleitet. Der Ausflug hatte sie völlig erschöpft. Erin war müde. Sie wollte einfach nur dasitzen und sich etwas Anspruchsloses anschauen. Im Kabelkanal lief ein Musical aus den Vierziger Jahren, Kanal Vier brachte eine Komödie über zwei Männer und zwei Frauen in einer Wohngemeinschaft, die ein ausgesetztes Baby und einen niedlichen Schimpansen zu versorgen hatten. Aber das Gerät gehörte Fran, Fran suchte die Programme aus, und Fran hatte sich nun einmal für die Übertragung einer politischen Debatte entschieden.

Als Fran mit einer riesigen Schüssel Popcorn zurückkam, fing die Sendung gerade an. Sie hielt Erin die Schüssel hin.

»Hier. Aufessen und aufpassen! Dem einen oder anderen Typen gibst du schließlich demnächst deine Stimme.« Erin behielt es wohlweislich für sich, daß sie sich überhaupt nicht ins Wahlregister hatte eintragen lassen und somit auch nicht wählen konnte. Fran wirkte momentan ziemlich friedlich, wozu sollte sie sie also auf die Palme bringen? Das Popcorn schmeckte ausgezeichnet. Wenn Fran erst einmal eine Diät über Bord geworfen hatte, gab es für sie kein Halten mehr.

Erin griff nach ihrer Näharbeit und vergaß die Fernsehsendung, durch die sorgfältige, saubere Stichelei an dem schwarzen Spitzenkleid war sie vollauf beschäftigt. Sie hatte es in dem Secondhand-Laden gefunden. Fran schleppte sie mit Gewalt zum Einkaufsbummel mit; sie war so von sich selbst überzeugt, daß sie immer versuchte, unvorsichtigen Freundinnen ihren Geschmack aufzudrängen. Normalerweise ließ Erin sich die Schnäppchen nicht aufschwatzen, die Pullover zu zwei Dollar das Stück (»Echt Kaschmir, die Flecken unter dem Arm kann man auswaschen«) und die lappigen, unmodernen Röcke. Die Flecken gingen nämlich nie wieder heraus, und die Röcke ließen sich nie ab- oder umändern. Aber das Spitzenkleid war ihr gleich ins Auge gesprungen, obwohl es zerknittert war und Risse hatte. Es war augenscheinlich von bester Qualität, und man konnte es ausbessern, wenn man so geschickt nähen konnte wie Erin. Die Garderobe, die sie noch von ihrem Vater bekommen hatte, würde nicht mehr lange halten, und einen gleichwertigen Ersatz konnte sie sich nicht leisten. Am besten gewöhnte sie sich schon jetzt an Secondhand-Läden und Kaufhäuser, Designermode kam für sie nicht mehr in Frage.

Fran stieß sie in die Seite. »Jetzt kommt’s. Jetzt geht es um den Sitz im Senat. Paßt du auch gut auf?«

»Ja«, antwortete Erin geistesabwesend.

Bei der übertragenen Sendung handelte es sich nicht um eine Debatte im üblichen Sinne; der Moderator stellte Fragen, die anschließend von den Kandidaten beantwortet wurden. Erin fand Senator Bennett, den republikanischen Amtsinhaber, durchaus sympathisch, hütete sich aber davor, diese Meinung laut werden zu lassen, da Fran auf die Leistungen und die Persönlichkeit dieses Herrn überaus schlecht zu sprechen war. Er war eine attraktive Erscheinung, vom Profil her erinnerte er an einen römischen Kaiser. Obwohl er anscheinend rhetorisch geschult war, klang doch der weiche Virginia-Tonfall noch ein wenig durch, so daß einem seine tiefe, ruhige Stimme angenehm ins Ohr ging.

Gegen ihn trat eine Kongreßabgeordnete an, die sich zum ersten Mal um einen Sitz im Senat bewarb. Allein durch die Tatsache, daß sie eine Frau war, wären ihr die Sympathien Frans auf Anhieb gewiß gewesen, die sich schließlich selbst als eingefleischte Emanze verstand. Erin hatte andere, persönlichere Gründe, sich für Rosemary White Marshall zu interessieren. Sie ließ die Näharbeit sinken und schaute sich das Streitgespräch an.

Rosemary Marshall war Anfang fünfzig, und Erin fand, daß man ihr dieses Alter auch ansah. Das Schönste an ihr waren die großen, dunklen Augen, doch obwohl sie geschminkt war, waren die feinen Faltenfächer in den Augenwinkeln und die tiefen Furchen zu beiden Seiten des Mundes nicht zu übersehen. Wenn sie lächelte, was nicht selten der Fall war, glätteten sich die scharfen Linien. Alles in allem wirkte sie eher wie eine liebevolle Großmutter, nicht wie eine tatkräftige, zupackende Politikerin. Wer wünschte sich schon einen Senator mit Lachfalten? Das rosafarbene Kleid und die Rüschen am Hals verstärkten den großmütterlichen Eindruck noch; bis auf ein Paar Perlenohrringe und einen breiten, goldenen Trauring trug sie keinerlei Schmuck.

Sie hat sich zwar sehr verändert, aber ich hätte sie wiedererkannt, dachte Erin.

Anfangs beherrschte Bennett die Debatte; durch seinen energischen Tonfall wirkte er wesentlich selbstbewußter als Rosemary Marshall mit ihrer weichen Altstimme. Er ging sofort in die Offensive, er erinnerte die Zuschauer an die achtbaren Ziele, die er verfolgt, und an die bewundernswerten Gesetze, die er durchgesetzt hatte. Als er unter anderem auch mit einer Initiative für die bessere Versorgung mit Kindergartenplätzen prahlte, fiel ihm plötzlich Rosemary Marshall, die bis dahin nur freundlich lächelnd in die Kamera geblickt hatte, ins Wort. »Nein, ist das nicht reizend?«, sagte sie laut.

Ihr unpassender Einwurf hatte Bennett aus dem Konzept gebracht. Er zögerte den Bruchteil einer Sekunde lang, und diese Gelegenheit ließ sich seine Gegnerin nicht entgehen. Sie lächelte immer noch, aber nicht mehr lieb und harmlos wie bisher, sondern mit spöttisch gekräuselten Lippen. Großmütterlein hatte sich in einen Wolf verwandelt.

»Wirklich reizend von Senator Bennett und seinen Freunden, daß sie in letzter Sekunde auf den fahrenden Zug aufspringen wollen. Besser spät als nie, sollte man meinen, aber ich wünschte mir doch sehr, sie hätten diese Ansicht schon vor fünf Jahren vertreten, als ich mich im Kongreß für mehr Tagesstätten und Kindergartenplätze eingesetzt habe. Meine Gesetzesvorlage wurde im Abgeordnetenhaus abgeschmettert, wozu nicht zuletzt die Verschleppungstaktik von Senator Bennett beigetragen hat. Natürlich, die Anschaffung von Toilettenbrillen zu sechshundert Dollar das Stück für das Verteidigungsministerium muß er befürworten, aber wenn es um das Wohl unserer Kinder geht – oh nein, solche Ausgaben betrachtet er als Verschwendung von Steuergeldern! Jetzt, fünf Jahre später, hat der Mangel an Einrichtungen zur Kinderbetreuung katastrophale Dimensionen angenommen, so schlecht ist es damit bestellt, daß sogar mein kurzsichtiger Gegner dem Problem endlich ins Auge sehen muß. Zehneineinhalb Millionen Kinder in diesem Land wachsen ohne Eltern auf! Verwahrlosung, Kindesmißhandlung, körperliche und seelische Qualen sind die Folge.«

Bennett konnte sich nicht verteidigen, sie ließ ihn einfach nicht mehr zu Wort kommen. Sanft, dabei aber ungeheuer beharrlich trug sie ihre Ansichten vor, sie holte kaum noch Luft zwischendurch. Als der Moderator sie kurz vor dem Ende der Sendezeit bremsen konnte, entschuldigte sie sich sogleich mit dem denkbar reizendsten Lächeln. »Für mich gibt es einfach kein Halten mehr, wenn ich an Kinder in Not denke. Ich bin selbst Mutter und Großmutter.«

Fran war begeistert. »Ist sie nicht umwerfend?«

»Sie kleidet sich recht hübsch«, sagte Erin. »Dieses blaßrosa Kleid …«

»Herrschaftszeiten, ich rede doch nicht von ihrem Kleid! Hast du denn gar nicht zugehört? Wie sie es Bennett, dem alten Mistfink, so richtig gegeben hat? Diesem reaktionären, selbstgerechten, alten …«

»Übertreibst du nicht etwas? Ich habe nur gehört, daß er sich auf sehr achtbare Ziele beruft, auf Gott, die Mütter der Nation und eine starke Landesverteidigung.«

»Na und? Für eine starke Verteidigung ist schließlich jeder. Aber Rosemary Marshall greift das Pentagon schon seit Jahren wegen der Vergeudung von Steuergeldern an. Bennett bekommt von den Rüstungsbetrieben Hunderttausende von Dollar als Wahlkampfhilfe zugesteckt; meinst du vielleicht, der schneidet sich ins eigene Fleisch und kürzt ausgerechnet die Verteidigungsausgaben?«

»Ich finde, auf das äußere Erscheinungsbild kommt es auch an«, sagte Erin und nahm ihre Näharbeit wieder auf. »Also, was bist du doch bloß für eine …« Fran unterbrach sich, dann gab sie Erin widerstrebend recht. »Eigentlich stimmt das ja. Heutzutage kommt es in der Politik mehr auf das Aussehen als auf Inhalte an. Du kannst Gift darauf nehmen, daß Rosemarys Mitarbeiter nichts dem Zufall überlassen haben, bis hin zu den Ohrringen ist die Wirkung durchkalkuliert. Sie muß eben die größtmögliche Menge von Wählern ansprechen. Aber für meinen Geschmack könnte sie ruhig ein bißchen mehr Pep haben, ausgeflippte Ohrringe wären zum Beispiel nicht schlecht, oder ein tieferer Ausschnitt.«

»Ich verstehe zwar nicht viel von Politik, aber mit Kleidern kenne ich mich aus. Damit würde sie nur auf die Nase fallen. Sie ist schließlich kein junges Mädchen mehr. Ältere Frauen sollten sich dezent kleiden, damenhaft. Aber ich gebe zu, das Rosa ist eine Spur zu blaß. So, wie sie aussieht, könnte sie etwas mehr Farbe durchaus vertragen – Türkis zum Beispiel, oder ein kräftiges Korallenrot. Das würde auch im Fernsehen besser wirken, bestimmt.«

»Vielleicht solltest du ihr das mal schreiben«, sagte Fran spöttisch. Sie kratzte die letzten Popcornkrümel aus der Schüssel.

»Vielleicht mache ich das sogar«, antwortete Erin. Manchmal ging ihr Frans überhebliches Getue doch gehörig gegen den Strich. »Mutter liegt mir sowieso dauernd in den Ohren, daß ich mich mal bei ihr melden soll.«

Es war ihr tatsächlich geglückt, Fran zu imponieren. Sie ließ sich nicht lange bitten und beantwortete ihre aufgeregten Fragen. Erins Mutter und Rosemary White Marshall waren früher eng befreundet gewesen, »aber das ist schon ewig her, sie waren zusammen auf dem College.« Sie hatten kaum noch Kontakt, schickten sich höchstens zu Weihnachten eine Karte, aber nach dem Tod von Erins Vater hatte Rosemary einen sehr mitfühlenden Beileidsbrief geschrieben.

»Geschrieben? Selber? Mit der Hand?«, fragte Fran atemlos.

»Kondolenzbriefe tippt man nicht.«

»Ich schon. Wenn ich überhaupt welche schreibe.« Fran überlegte. »Mensch, ist das aufregend. Warum hast du mir nicht erzählt, daß du sie kennst?«

»Ich kenne sie ja gar nicht. Außerdem verstehe ich nicht, warum du so aus dem Häuschen bist. Was ist sie denn schon? Nur eine Politikerin. Und die gibt es doch in Washington wie Sand am Meer.«

»Aber sie ist nicht wie die anderen. Sie hat Zukunft. Gar keine Frage. Mit ein bißchen Glück könnte sie es bis ins Weiße Haus schaffen und die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten werden. Noch nicht sofort, aber in zehn Jahren vielleicht. Wenn sie in diesem Herbst gewinnt.«

»Wenn man McLaughlin und Novak glauben kann, hat sie nicht die leiseste Chance«, wandte Erin ein. »Alle Kommentatoren scheinen mir auf den anderen Kandidaten zu tippen, auf Mr. Bennett.«

»Allgemein bekannt als der alte Bussard«, sagte Fran. »Offenbar hast du die letzten Meinungsumfragen nicht gelesen. Es stimmt schon, anfangs, als sie gerade erst aufgestellt worden war, hat ihr keiner zugetraut, daß sie es schaffen könnte. Bennett sitzt fest im Sattel, er ist seit fünfzehn Jahren im Senat. Aber nach der Sache mit ihm und dieser Braut…«

»Davon habe ich auch gehört«, warf Erin ein. »Aber ich dachte nicht, daß ihm das besonders schaden würde. So etwas scheint doch an der Tagesordnung zu sein.«

Fran grinste. »Du bist zynischer, als ich gedacht habe. Nein, Kindchen, auf solche Spielchen läßt sich längst nicht jeder ein, und wer es trotzdem macht, der paßt gut auf, daß er sich nicht dabei erwischen läßt. Der alte Bussard hat sich mit dem nackten Hintern in die Nesseln gesetzt, und weil er sich immer so als Moralapostel aufspielt, hat ihn die Sache besonders hart getroffen. Und dann wäre da auch noch seine Frau zu bedenken, die bei den Wählern äußerst beliebt ist, eine goldige alte Dame. Ach, wozu sollen wir uns über die Eheleute Bennett den Kopf zerbrechen, reden wir lieber über Rosemary Marshall. Ich bin ganz vernarrt in sie.«

»Ich dachte, du schwärmst für Sam Donaldson.«

»Nur für seine Augenbrauen«, sagte Fran versonnen. »Die machen mich an.«

Darauf wußte Erin nichts zu sagen, aber sie wäre sowieso nicht zu Wort gekommen, denn plötzlich fuhr Fran aus ihrem Sessel hoch. »He. He! Das wäre die Lösung für dich!«

»Die Lösung wofür?«

»Für dein Arbeitsproblem. Der Wahlkampf kommt jetzt in die heiße Phase, und sie wird immer noch als Außenseiterin gehandelt. Sie kann jede Hilfe gebrauchen, die sie kriegen kann. Warum fragst du sie nicht, ob du bei ihr anheuern kannst?«

»Bei wem? Bei ihr?«, stammelte Erin. »Doch nicht etwa bei Rosemary? Du bist wohl verrückt geworden. Wieso sollte sie mir eine Stelle geben? Ich verstehe nichts von Politik, nichts vom Wahlkampf, nichts von …«

»Du könntest sie bei der Auswahl ihrer Garderobe beraten«, sagte Fran grinsend. »Nein, aber mal im Ernst. Du kannst erstklassig Maschine schreiben, und auf den Kopf gefallen bist du auch nicht. So etwas findet man nicht alle Tage.«

»Schon, aber …«

Zu guter Letzt schrieb sie den Brief dann doch, sie hätte sich gleich geschlagen geben können. Gegen Frans Begeisterung war kein Kraut gewachsen, und es war ja auch wirklich ein aufregendes Gefühl gewesen, Rosemary Marshall im Fernsehen zu erleben, nachdem sie von ihrer Mutter schon soviel von ihr gehört hatte. Daß sie sich tatsächlich um einen Sitz im Senat bewarb … Für sie zu arbeiten, mußte einfach interessanter sein als ihre derzeitige Stellung – gesetzt den Fall, Erin konnte einen Job bei ihr bekommen.

Nach einer Woche kam die Antwort. Der Brief war in einem so kühlen, sachlichen Ton gehalten, als wäre er von einem Assistenten geschrieben worden. Trotzdem enthielt er keinen Terminvorschlag für ein rein geschäftsmäßiges Vorstellungsgespräch, im Gegenteil. Erin wurde für den kommenden Samstag zum Lunch eingeladen. Eine Wegbeschreibung zu Rosemary Marshalls Haus in der Nähe von Middleburg war beigelegt. Fran versetzte diese freundschaftliche Geste in helle Aufregung. Sie bot Erin sogar ihren Wagen an, da man, wie sie wußte, Middleburg anders kaum erreichen konnte. Erin hatte ihr großmütiges Opfer dankbar angenommen und auch Frans hektische Ratschläge hinsichtlich ihrer Kleiderwahl einigermaßen gutwillig über sich ergehen lassen. Sie war sich allerdings nicht ganz so sicher, ob sie die Einladung ebenfalls als gutes Vorzeichen deuten sollte. Schließlich wollte sie keine Freundschaftsbekundungen, sie wollte einen Job. Vielleicht sollte ihr nur die Absage versüßt werden, eine Bewerbung von der Tochter einer alten Freundin konnte man schließlich nicht einfach in den Papierkorb werfen.

Bald würde sie Gewißheit haben. Die Straße wurde enger, die dichte Vorstadtbebauung dünnte sich aus, bald standen nur noch vereinzelte Häuser am Straßenrand. Sie war auf dem Land.

Die sanften Hügel der Blue-Ridge-Kette schimmerten im hellen Morgenlicht eher grün als blau. Warmes Gelb und sattes Orange, die ersten Vorboten des Herbstes, lockerten hier und da die bewaldeten Hänge auf. Für Ende September war es ungewöhnlich heiß. Zumindest behaupteten das die Washingtoner, die allerdings zu Übertreibungen neigten, wie Erin bereits erfahren hatte.

Noch sechs Kilometer bis Middleburg. In einem plötzlichen Anfall von Lampenfieber fuhr Erin an den Straßenrand und hielt an. Sie mußte sich nicht noch einmal die Wegbeschreibung durchlesen, die hatte sie auswendig gelernt. Sie drehte sich zur Seite und betrachtete sich prüfend im Rückspiegel.

Ganz konnte sie ihr banges Gesicht nicht darin sehen, er war zu klein. Also fing sie erst einmal mit der Stirnpartie an. Die tiefen Falten mußten weg, sie entspannte sich. Die zusammengekniffenen graugrünen Augen machte sie weit auf, interessiert und zuversichtlich mußte sie in die Welt blicken. An der leichten Stupsnase ließ sich nichts verändern, sie sah eben mit den vielen Sommersprossen hoffnungslos gewöhnlich aus, wie ein gesprenkeltes Kiebitzei. Sie hatte zwar noch nie ein Kiebitzei gesehen, aber der Vergleich gefiel ihr. Sie zog sich die Lippen nach. Die rötlich blonden Haare machten ihr den größten Kummer, so fein und dicht waren sie, daß sie sich nur selten hochstecken ließen. Ich sollte sie mir abschneiden lassen, dachte sie und wollte nach den Haarnadeln greifen. Da fiel ihr Blick auf die Uhr am Armaturenbrett, und sie überlegte es sich anders; besser zerzaust und pünktlich anzukommen, als zu spät und wahrscheinlich trotzdem nicht viel besser frisiert. Um die widerspenstigen Strähnen zu bändigen, hätte sie schon eine Schicht Lack gebraucht. Mit Haarspray war nichts auszurichten, es wurde in der schwülen Luft nur klebrig. Erins klassisches blaßgrünes Wollkostüm war nicht nur unbequem, es war auch für den Anlaß eher unpassend, aber sie hatte keine große Auswahl. Ihre leichten Sommerkleider waren entweder zu unmodern oder zu leger, und Erin war fest entschlossen, einen guten Eindruck zu machen. Fran hatte sich über das Kostüm, die weiße Bluse mit der Halsschleife und die schlichten Pumps lustig gemacht – »Du siehst aus wie Miß Sittsamkeit in Person« – aber Erin hatte sich nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Sie wartete den nächsten vorbeifahrenden Wagen ab, dann fädelte sie sich wieder in den fließenden Verkehr ein. Bald hatte sie die Vororte Middleburgs erreicht. Würdevolle Häuser mit großen Vorgärten grenzten sich durch niedrige Mäuerchen oder weiß gestrichene Zäune von der Straße ab. Dann kam die Stadt selbst – elegante Geschäfte, Gasthäuser und andere Gebäude aus dem achtzehnten Jahrhundert. Sie mußte nach links abbiegen und fuhr schon bald wieder durch eine ländlichere Gegend. Weiße Gatter umgrenzten wellige, von der Sommersonne ausgedörrte Weideflächen, auf denen Pferde grasten. Gelegentlich lugten Kamine und Dachfirste von unnahbaren, stattlichen Villen über die Wipfel der Bäume, die sie um sich geschart hatten. Fran hatte Erin einen Schnellkurs über die Honoratioren von Middleburg und Umgebung verpaßt: Schauspieler und Footballspieler, Verleger und Präsidenten. John F. Kennedy hatte vor der verhängnisvollen Fahrt nach Dallas in seinem Wochenendhaus in Wexford nur ein einziges Mal übernachten können; später hatte das Anwesen wiederholt den Besitzer gewechselt und wurde schließlich 1980 während des Präsidentschaftswahlkampfs von Ronald Reagan bewohnt. Zu den glamourösesten Gestalten der Gegend hatte Elizabeth Taylor gezählt, die hier mit Senator John Warner Tisch und Bett geteilt hatte.

Erin fuhr langsamer, weil sie nun allmählich nach der richtigen Abzweigung Ausschau halten mußte. Schließlich hatte sie sie gefunden, obgleich sie nicht durch einen Wegweiser gekennzeichnet war. Die Seitenstraße war schnurgerade und in einem guten Zustand, doch so eng, daß nur mit Mühe zwei Autos aneinander vorbeikamen. Doch Erin begegnete auf der ganzen Strecke nur einem einzigen anderen Fahrzeug.

Plötzlich deutete linkerhand eine von zwei Steinsäulen eingefaßte Lücke in der üppigen Vegetation auf eine menschliche Behausung hin. Rosemary Marshalls Haus konnte es nicht sein, Erins Wegbeschreibung zufolge mußte es auf der rechten Straßenseite liegen, auch hatte sie bis dorthin wohl noch gut einen Kilometer zu fahren. Wer hier wohnte, mußte größten Wert auf Abgeschiedenheit legen. Die Straßenränder waren so dicht bewachsen, daß man kaum durch die Bäume und Büsche hindurchschauen konnte.

Als Erin die Einladung ins Haus geflattert war, hatte sie sofort angefangen, sich wenigstens politisches Grundwissen anzueignen. Dabei hatte sie sich hauptsächlich mit Rosemary Marshall beschäftigt. Ihr Fleiß hatte selbst Fran imponiert, die allerdings ihre Anerkennung ruhig in etwas höflichere Worte hätte fassen können: »Na, wenigstens von einem verstehst du was, vom Büffeln.« Die Marshalls waren zwar weniger vermögend als die meisten ihrer Nachbarn, konnten aber auf einen gesellschaftlich und politisch einwandfreien Stammbaum verweisen. Seit fast zweihundert Jahren engagierten sich Mitglieder der Familie in der Politik. Rosemarys Mann, Edward Marshall, war Kongreßabgeordneter gewesen, und nach seinem Tod war sein Sitz auf sie übergegangen – als sogenanntes »Witwenmandat«. Noch bis vor kurzem war dies für eine Frau der einfachste Einstieg in die Politik gewesen. Da die Marshalls zu den angesehensten Familien Virginias gerechnet wurden, galt Ed Marshalls Ehe mit Rosemary als unstandesgemäß. Ihr Vater war nur ein einfacher Postangestellter in Arlington gewesen, ihr Großvater Arbeiter. Diese biographischen Details wurden in ihren Wahlbroschüren besonders hervorgehoben. Kontakte zu höchsten gesellschaftlichen Kreisen waren gewiß nützlich, wenn es darum ging, Wahlspenden einzubringen, und auch sonst wirkten sie sich vorteilhaft aus, aber dem durchschnittlichen Wähler imponierte eher ein Foto vom Großvater, der im Blaumann den Hammer schwang. Erin warf einen Blick auf den Kilometerzähler. Weit konnte es nicht mehr sein. Wieder gab es eine Lücke im Unterholz, diesmal zu ihrer Rechten. Hier mußte es sein. Das Tor, keine imposante, schmiedeeiserne Konstruktion, sondern nur zwei schlichte Holzflügel, stand offen. Dahinter lag eine geschotterte Auffahrt, übersät mit Schlaglöchern und durchzogen von tiefen Fahrrillen. Bis zum Haus waren es noch etwa vierhundert Meter. Erin hielt an.

Sie hatte eine prächtige Villa erwartet, ein Herrenhaus mit weißen Säulen wie Scarletts Tara aus ›Vom Winde verweht‹, ein Relikt aus der Blütezeit der Südstaaten inmitten samtig grüner Rasenflächen. Groß und weiß war das Haus, Säulen aber waren keine zu sehen. Die wie willkürlich angestückelten Seitenflügel und Nebengebäude ließen einen Eindruck von architektonischer Einheit gar nicht erst aufkommen. Im Süden und Osten wurde das Grundstück von einem dicht bewaldeten Halbrund sanft ansteigender Hügel eingefaßt. Nach Norden hin erstreckten sich weite Wiesen, die zu einem kleinen Bach hin sacht abfielen. Hier grasten keine Vollblüter, die Weiden waren verwildert. Wiesenschaumkraut, Kletten und blauer Enzian mischten sich in das kniehohe Gras. Erin nahm den Fuß von der Bremse und fuhr langsam und vorsichtig weiter. Die Auffahrt war wirklich in einem erbärmlichen Zustand. Je näher sie dem Haus kam, desto vernachlässigter wirkten die Anlagen auf sie. Zumindest waren sie bei weitem nicht so gepflegt, wie man es bei einem Anwesen mit dem hochtrabenden Namen Fairweather hätte erwarten können. Das Haus konnte einen frischen Anstrich vertragen. Das Gras war zwar geschnitten, aber nicht zusammengerecht worden. In den Blumenbeeten, die links neben der Auffahrt lagen und bis zu den Kiefern reichten, wucherte das Unkraut. Die leuchtende Blütenpracht setzte sich allem Anschein nach vorwiegend aus Zinnien, Petunien und Ringelblumen zusammen, den billigsten und bedürfnislosesten einjährigen Pflanzen.

Die Marshalls waren also wirklich nicht mit Reichtümern gesegnet. Geld sei der Dünger der Politik, behauptete Fran. Die Wahlkampfkosten konnten einen Kandidaten in den Ruin treiben, vor allem, wenn er gegen einen populären, mit Geldmitteln überreichlich ausgestatteten Gegner antrat. Ein dreißigsekündiger Werbespot im Fernsehen war kostspieliger und wohl auch wichtiger als ein frischer Anstrich.

Kurz vor dem Haus gabelte sich die Auffahrt. Links ging es auf einem noch engeren, noch ausgefahreneren Weg zu einer Gruppe von Nebengebäuden. Erin hielt sich an die rechte Gabelung, die das Haus einmal umrundete und auf einer lehmigen ausgedörrten Abstellfläche endete. Sie parkte neben einem anderen Wagen und stellte den Motor ab.

Es war kein Wunder, daß das Haus, von der Seite her gesehen, einen so zusammengewürfelten Eindruck auf sie gemacht hatte, denn auch von vorne betrachtet änderte sich nichts an dem äußerst ungeordneten Bild. Das war verkitschte Pseudogotik aus dem Neunzehnten Jahrhundert, ohne Rücksicht auf architektonische Gesichtspunkte. Ein mächtiger Turm, gekrönt von einer Schieferkuppel, eine lange Veranda, die sich auf voller Breite an der Vorderfront des Hauses entlangzog und dann mit einem etwas gewagten Schlenker um die Ecken verschwand, Fenster in allen erdenklichen Größen und Formen. Womöglich hätte das Haus sogar einen imposanten Eindruck machen können, wenn es aus Stein gemauert gewesen wäre, aber die weißen Bretter wirkten einfach unpassend. Auf der ganzen Veranda standen verstreut Gartenmöbel herum, ein Sammelsurium aus klapprigen alten Korbsesseln und modernen Plastikstühlen. Sogar eine Hollywoodschaukel gab es, die an rostigen Ketten hing. Die Stoffpolster auf Sofas, Sesseln und Schaukel harmonierten einzig und allein im Grad der Verblichenheit. Die meisten Plätze waren besetzt, allerdings nicht von Menschen, sondern von reglosen Fellbündeln. Mindestens ein Dutzend Katzen in allen erdenklichen Größen, Farben und Formen hatte es sich auf den Kissen bequem gemacht.

Obwohl Erin erst seit ein paar Minuten vor dem Haus stand, hatte sich das Wageninnere bereits beträchtlich aufgeheizt. Vorsichtig kurbelte sie das Fenster eine Handbreit herunter. Es war natürlich durchaus möglich, daß Fran es toll fand, wenn ihr eine von Rosemary Marshalls Katzen einen Fleck auf dem Polster hinterließ, andererseits ging die Liebe vielleicht doch nicht ganz so weit. Als Erin die Autotür öffnen wollte, drang ein lautes Geräusch aus dem Haus. Sie zuckte zurück. Es klang ganz wie das wütende Bellen eines riesigen Hundes, nein, es mußten mindestens zwei sein. Da aber die Katzen mit keinem Schnurrhaar zuckten, ging sie davon aus, daß die Hunde an der Leine lagen oder im Zwinger saßen. Das hoffte sie jedenfalls.

Während sie noch zauderte, ging die Haustür auf, und ein Mann trat auf die Veranda heraus. Er brüllte aus vollem Hals: »Wollt ihr wohl still sein? Ich habe euch ja gehört!«

Die Hunde hörten auf zu bellen, Erin stieg aus dem Wagen und ging auf das Haus zu. Der Fremde kam lächelnd die Treppe herunter und streckte ihr zur Begrüßung die Hand hin.

»Hat man Ihnen nichts von den Hunden gesagt? Keine Angst, sie sind eingesperrt.«

In den Pumps mit den flachen Absätzen maß Erin einen Meter fünfundsiebzig, womit sie kaum kleiner war als er. Ihre Augen waren auf gleicher Höhe mit seiner Nase, die schmal und ausgesprochen edel geschnitten war. Fran wäre bestimmt auf seine Augenbrauen angesprungen – dicht waren sie, dunkel und wunderbar geschwungen. Er war so gut gebaut, daß keine Frau mit Augen im Kopf achtlos an ihm vorbeigegangen wäre; die Jeans umschlossen die schlanken Hüften und Schenkel wie eine zweite Haut, und das dünne blaue Baumwollhemd spannte sich über fast schon zu breiten Schultern. Da er die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt hatte, kamen seine muskulösen braunen Unterarme gut zur Geltung. Über seine ausgestreckte Hand zogen sich fein verästelte Kratzer, die vermutlich von einer Katze stammten.

»He, Sie trauen den Wetterfröschen wohl nicht, was? Kommen Sie, ziehen Sie die Jacke aus, Ihnen muß doch furchtbar heiß sein.«

Noch bevor sie zurückweichen konnte, hatte er sie mit der Hand an der Schulter berührt. Sie machte ein unfreundliches Gesicht. »Nein, danke. Ich fühle mich ganz wohl in meiner Haut.«

»Ach, nun zieren Sie sich doch nicht so. Uns brauchen Sie nichts vorzumachen. Hier geht es ziemlich locker zu.«

»Was Sie nicht sagen.«

Mit den dichten, widerspenstigen Haaren und den braunen Augen mit den langen Wimpern war er wirklich eine sehr attraktive Erscheinung. Offenbar war er sich seiner Wirkung auf naive Frauen durchaus bewußt. Anstatt sich durch ihre frostige Antwort einschüchtern zu lassen, lächelte er sogar noch freundlicher.

»Na schön, von mir aus können Sie ruhig vor Hitze zerfließen. Ich wollte ja nur …«

»Ich glaube, Mrs. Marshall erwartet mich. Ich heiße Erin Hart.«

»Ja, Sie werden erwartet«, stimmte der Fremde ihr zu. »Schönen guten Tag, Miss Hart. Oder wäre Ihnen Erin lieber?«

»Also, eigentlich …«

»Ich bin Nick McDermott. Mir wäre Nick lieber.« Er schnappte sich ihre schlaffe Hand, schüttelte sie kräftig und zog sie zum Haus. Er hatte einen so festen Griff, daß Erin sich nur mit einem energischen Ruck von ihm hätte losreißen können. Doch danach stand ihr ganz und gar nicht der Sinn, es hätte allzu würdelos ausgesehen. Innerlich vor Wut kochend, trottete sie neben ihm her. Seinem selbstherrlichen Auftreten nach zu urteilen, mußte er wohl ein einigermaßen einflußreicher Mensch sein, den sie nicht gegen sich aufbringen durfte. Umso mehr ärgerte es sie, daß er in seinem Hemd so luftig und kühl wirkte, während ihr die Bluse am Leib klebte.