Buchcover

Ulrich Schneider-Wedding

Ökologisch-soziale Marktwirtschaft

So hebeln wir den Wachstumszwang aus

Wohlstand für alle – weltweit und nachhaltig!

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Dr. Ulrich Schneider-Wedding, geb. 1960, studierte Theologie/Philosophie, Orientalistik sowie alte Sprachen und promovierte 1995 in Kirchengeschichte. Er setzte sich immer wieder, teils medienwirksam, für das ›ökosoziale‹ Zukunftsprojekt ein, auch schon zu Zeiten, als ›Ökosteuern‹ und ›Grundeinkommen‹ noch politische Fremdwörter waren bzw. als ›zu radikal‹ galten. Er liefert hier einen vielperspektivischen Beitrag, der auch die Verzahnung von Theologie und Wirtschaftspolitik beleuchtet. Schneider-Wedding ist verheiratet und hat zwei Söhne. Hauptberuflich arbeitet er als evangelischer Pfarrer in Bayern.

Ulrich Schneider-Wedding

Ökologisch-soziale Marktwirtschaft

So hebeln wir den Wachstumszwang aus

Wohlstand für alle – weltweit und nachhaltig!

ISBN (Print) 978-3-96317-192-5

ISBN (ePDF) 978-3-96317-714-9

ISBN (EPUB) 978-3-96317-741-5

Copyright © 2020 Büchner-Verlag eG, Marburg

Umschlaggestaltung: DeinSatz Marburg

Bildnachweis Umschlag: Porträt Ludwig Erhard mit Zigarre, in dem von ihm herausgegebenen Buch »Wohlstand für Alle« lesend, 1957 (bearbeitet)

Bundesarchiv, B 145 Bild-F004204-0003/Adrian, Doris/CC-BY-SA 3.0

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Inhalt

Vorwort

Fridays for future – darf’s ein bisschen bissiger sein?

Langer Anmarsch – auf den Punkt gebracht

Theologie = Ökonomie!

Dienst der Theologie an einer pluralistischen, atheistischen Welt

Einleitung für das Ganze

Haupt-These

Themenüberblick

Sie können es wenden!

Zur bisherigen ›Krisen-Literatur‹

Wende durch Bewusstseinswandel?

Fokussierung des Bevölkerungswachstums (Brunschweiger)

Weltweiter, nachhaltiger Wohlstand – Anknüpfung am Ordoliberalismus

Teil I: Globaler Wohlstand durch ökologisch-soziale Marktwirtschaft – das politische Handwerkszeug für die Wende

Vorweg: zum Begriff ›ökologisch-soziale Marktwirtschaft‹

Kapitel 1: Die neue Ordnung – Wie die dynamische ökologisch-soziale Marktwirtschaft funktioniert und wie sie zustande kommt

Einleitung: Zwischen allen Stühlen

Das Modell einer dynamischen ökologisch-sozialen Marktwirtschaft

Funktionsweise und Auswirkungen im Einzelnen

Chancen im Übergang – Konkurrenzfähigkeit in Europa und weltweit

Kapitel 2: Der eingespielte tödliche Scheren-Mechanismus – Wie ein Bündnis aus Kapitalanlegern und Gewerkschaftsspitzen unsere Welt bedrängt

Einleitung: kurzer Blick auf die Geschichte

Sklaverei damals und heute

Was zwingt uns heute zum Verzicht?

Blick auf die Schere – und nochmaliger Blick auf das ›ökosoziale‹ Prinzip

Drei Wirtschaftsfaktoren – Entwicklung von Kosten und Nachfrage

Soziale Folgen der Schere: Umverteilung von Arm zu Reich

Rettung: nur durch Schließen/Umkehren der Schere

Wem schadet und wem nützt die bisherige Arbeits-Sachkostenschere?

Das ›Theater‹ der Tarifverhandlungen

Zusammenfassung

Abschluss des ersten Teils – ›politisches Handwerkszeug‹

Probleme im Übergang – Zusammenbruch unserer ›Bubble-Wirtschaft‹

Künftige Weiterentwicklungen – Eigendynamische Entwicklungspolitik

Teil II: Begründung der ökologisch-sozialen Marktwirtschaft aus Evolution, Geschichte und Konjunkturforschung – Munition für politische Debatten

Einleitung

Vorweg: Theoriegrundlagen zur eigenständigen Verbesserung des Modells

Kapitel 3: Evolution – Grenzen des Wachstums – unbegrenzte Möglichkeiten

Darwin oder Fundamentalismus? –  Eine falsche Alternative

Systembegriff und Abgrenzung vom politischen ›Darwinismus‹

Komplexitätssteigerung: Ziel der Evolution? – Der Beweis

Die zwei Wege der Evolution angesichts der Grenzen des (materiellen) Wachstums

Maximalismus, verschwenderische Vielfalt und kreativer Vorrat

Idealismus und Erfahrung

Zusammenfassung

Kapitel 4: Warum heute Rettung möglich geworden ist – Beginn des Wachstumszwangs in der Vergangenheit und Überwindung patriarchaler Zwänge in der Gegenwart

Die kurze Geschichte der Konflikte und der Knechtschaft

Fragezeichen hinter dem Geschichtsbild

Historische Grundlagen und ›Gründungsmythos‹ unserer Kultur

Die Erzählung vom ›Sünden-Fall‹, historisch gesehen

Paradies – Neolithikum – Matriarchat: Wie die frühe Gesellschaft funktionierte

Verstecken und Verteufeln gefährlicher Erinnerungen

Mutter allen Lebens – Baum – Schlange

Sodom und Gomorra – und andere ›urgeschichtliche‹ Katastrophenberichte

Abrahams Auswanderung und Not

Kain und Abel

Patriarchat und Sprung in die mentale Bewusstseinsstufe

Ökonomische Wirkung von Patriarchat und Askese

Die beschleunigende Wirkung von Demut, Askese und Kreuz

Heutige Bewertung der einstigen Umwertung

Zusammenfassung

Kapitel 5: Konjunkturwellen – Die langen Wellen nach Nikolai Kondratieff und die Chancen, einen neuen Wirtschaftsaufschwung zu katalysieren

Einleitung: Ökonomie und Theologie

Kondratieffs Theorie und die aktuelle Situation

Blockade durch dysfunktionale Macht – und die Grenznutzentheorie

Der sechste Kondratieff und die Rolle von Religion und Spiritualität

Mega-Langwellen seit der Steinzeit

Investitionszwang, aktueller Übertreibungs-Hebel und Systemalternative

Zusammenfassung

Zwischenbilanz zum zweiten Teil ›Begründungen‹

Abschluss

Nachwort zu den jüngsten ›Klimabeschlüssen‹ der Bundesregierung

Literatur

Anmerkungen

Vorwort

Fridays for future – darf’s ein bisschen bissiger sein?

Unsere Söhne (16 bzw. 13 Jahre alt) nehmen mit elterlicher Unterstützung und schulischer (!) Billigung an den jüngst ins Leben gerufenen Fridays for future-Demonstrationen teil. Ich habe höchsten Respekt vor der Initiatorin jenes weltweiten Volksaufstands gegen die menschliche Dummheit und Selbstzerstörung: Greta Thunberg. Dass nun wieder, anders als in den vergangenen Jahren, die Medien weltweit, Trump zum Trotz auch in den USA, an brennenden Urwäldern, schmelzendem Grönlandeis, austretendem Methan und anderen Folgen der Klimakatastrophe langfristig dranbleiben, ist Gretas Verdienst. Ihr Erfolg ist es auch, dass sie bei den höchsten Prominenten ›durchgereicht‹ wird: Bundeskanzlerin, Papst, UNO. Allerdings ist der Zweck solcher Gespräche ja wohl nicht, Nettigkeiten und Beteuerungen zu hören, sondern solide Konzeptionen für einen schnellen Wandel unseres Umgangs mit den natürlichen Ressourcen zu entwickeln. Doch so sehr Greta auch fragt, so wenig wird von politischer Seite geantwortet.

So wird es wohl an uns Bürgerinnen und Bürgern selbst sein, konkreter zu werden und präziser zu bohren, d. h. eine eigene Konzeption zu entwickeln und öffentlich zu fragen, warum diese nicht umgesetzt wird, warum nach dem Motto ›weiter so, Deutschland, Europa, Welt!‹ auf bestimmten politischen Vorgehensweisen, Zielsetzungen, Ritualen beharrt wird, obwohl diese nachweislich schädlich für unseren Planeten und für unseren weltweiten sozialen Zusammenhalt sind, hat doch andererseits die Politik in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr Steuerungselemente hervorgebracht, deren wir uns – das nötige Wissen vorausgesetzt – bedienen könnten, um die Wende zu einem weltweiten ökologischen Umbau der Wirtschaft und einer steigenden globalen Solidarität einzuleiten.

Dieses Buch offenbart sowohl das politische ›Weiter-so!‹-Theater als auch die neuen politischen Instrumente, die als Teil des ›Herrschaftswissens‹ bisher für uns noch nicht freigeben waren. Da auch ich Plastik in den Ozeanen so wenig ertragen kann wie die von uns aus Ölgier inszenierten Kriege und Bürgerkriege und das daraus folgende Elend der Opfer und Flüchtlinge, möchte ich mit den hier präsentierten Informationen mithelfen, dass die Fridays-for-future-Aktivist(inn)en, aber auch alle anderen, die etwas verändern wollen, möglichst bald den nötigen Biss bekommen, um endlich das zähe Festhalten am Alten, Falschen und Zerstörerischen zu beenden. – ›Biss‹ meint eine treffende, auf argumentative Auseinandersetzung zielende Denk- und Redeweise. Die notwendige, d. h. die Not wendende Wende erreichen wir natürlich nur gewaltfrei.

Langer Anmarsch – auf den Punkt gebracht

Die Art und Weise, wie ich die ökologisch-soziale Marktwirtschaft hier darstelle, entstand aufgrund einer langen Reihe von Erlebnissen sowohl des höchsten Interesses an dieser Konzeption als auch des plötzlichen Türenzuschlagens und Rausschmeißens. Beides, fieberhaftes Wissen- und Habenwollen als auch über-nervöse Ablehnung und Ächtung, signalisierte mir: Du bist auf der richtigen Spur. – Es ist hier freilich nicht der Ort, diesen Weg darzustellen. Ihn anzudeuten, ist nur Teil meiner Rechtfertigung dafür, wie ich als Theologe und Pfarrer dazu komme, ein Buch über Wirtschaftspolitik zu schreiben, nur ein Punkt, mit dem ich die Vorhaltung ›Schuster, bleib bei deinen Leisten!‹ abwehre. Weitere Legitimationen sind: dass ich zuhören kann, dass ich wissenschaftlich zu arbeiten in der historischen Forschung von der Pike auf gelernt habe (meine Dissertation ist garantiert kein Plagiat) – und dass ich es an Sturheit mit Greta Thunberg aufnehmen kann. Stellen Sie sich also jemanden vor, der unablässig sucht, unterschiedliche Fachleute ausfragt, Historiker, Biologen, Volkswirte, natürlich auch unzählige Bücher liest, allen möglichen Spuren folgt und vor allem: das Thema ständig und unablässig weiterverfolgt – bis er’s endlich auf den Punkt bringen kann (siehe gleich anschließend die Einleitung).

Theologie = Ökonomie!

Ein weiterer Rechtfertigungsgrund ist das Studienfach, in dem ich zuhause bin. – Dazu sollten Sie nur wissen, wie man es in der Antike nannte und wie es bis heute in der Orthodoxen Kirche heißt: ›Ökonomie‹! Dieses griechische Wort hat beide Bedeutungen: Wirtschaft und Theologie! Allerdings ist nur die erste Bedeutung im breiten Bewusstsein: Ökonomie als ›Lehre von der Wirtschaft‹, als Wissen über die Abläufe in einem Unternehmen (Betriebswirtschaftslehre/BWL) und über das Zusammenspiel von Firmen, Konsumenten, Bodenschätzen, Staat, Sozialwesen, Handelsbeziehungen usw. (Volkswirtschaftslehre/VWL).

Weniger geläufig ist die andere Bedeutung: ›Ökonomie‹ ist das traditionelle antike Wort für das, was heute mit einem anderen griechischen Fremdwort ›Theologie‹ bezeichnet wird; es meint die Erlösung der ganzen Welt, das göttliche Heilshandeln, die Heils-Geschichte – sowohl von einem allgemeinen bzw. antiken philosophischen Standpunkt aus als auch speziell aus christlicher Sicht. Vor allem die in der Bibel berichtete Ereignisfolge wird als ›Ökonomie‹ bezeichnet.

Im Historischen Wörterbuch der Philosophie, einem 15-bändigen wissenschaftlichen Nachschlagewerk, gibt es zu den beiden Themenkomplexen zwei verschiedenen Artikel: ›Ökonomie I‹ und ›Ökonomie II‹.

›Ökonomie I‹ als die ältere, ursprünglichere Bedeutung (oikonomia: oikos = ›Haus‹) meint den ›Haushalt‹ bzw. ist das Wissen über das Funktionieren eines Hauses. Das wird auf die verschiedensten ›Häuser‹ übertragen: So wie ein Privatmann bzw. ein Landwirt der Kundige über die Spielregeln seines Hauses, Gartens, Ackers und natürlich auch seiner Bilanz ist und ein Kaufmann, Betriebsdirektor, Konzernmanager entsprechend, so versucht der ›Volkswirt‹ im Blick auf das ›Haus‹ einer ganzen Region, eines Landes und der Weltwirtschaft etwas zu optimieren. Da der Begriff nicht als oiko-logia, d. h. ›Wissen über das Haus‹ gebildet wurde, sondern als oiko-nomia, ist jener volkswirtschaftliche oder gesamtwirtschaftliche Aspekt immer mitgemeint; denn nomia kommt von nomos = Gesetz. So ist also von vornherein die gerechte Verteilung ebenso im Blick wie Engpässe und Konflikte, auf deren Hintergrund sich erst die Notwendigkeit eines ›gesetzesgemäßen‹ Haushaltens mit den Lebensgrundlagen ergibt. – So stellt es der Artikel ›Ökonomie I‹ in jenem Lexikon dar, verfasst von Hannah Rabe und mitverantwortet von der gesamten Redaktion1.

›Ökonomie II‹ ist nun davon abgeleitet: Man stellt(e) sich ›Gott‹, der nach herkömmlicher Auffassung die Welt geschaffen hat und die Geschicke der Menschheit leitet, als ›Hausherrn‹, als großen Ökonomen über das ›gemeinsame Haus der Welt‹2 und der Welt-Geschichte insgesamt vor. – Diese grundsätzliche Idee taucht vereinzelt schon in den Jahrhunderten vor dem Neuen Testament auf, doch so richtig kommt die Bezeichnung der göttlichen Welt-Leitung als oikonomia erst im NT und bei den Kirchenvätern in Gang. Das Utopische, das bereits im ursprünglich säkularen Wort oiko-nomia lag, wurde noch einmal grundsätzlicher zum Thema gemacht.

So wie der einzelne Betrieb Subsystem der Volkswirtschaft ist, so wäre dann auch die Wirtschaft Subsystem jenes Welt-Ganzen. So wie BWL ein Teilgebiet der VWL ist, so wäre VWL wiederum ein Teilgebiet der ›Ökonomie II‹ bzw. der Theologie.

Also, um es grafisch darzustellen:

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Dienst der Theologie an einer pluralistischen, atheistischen Welt

Das sagt der Theologe nicht, um über Betriebs- und Volkswirte zu triumphieren, sondern um die verborgenen Informationen wieder lesbar zu machen, die zu den Ursprüngen unserer Überlebenskrise führen, um jene Zeugnisse der Vergangenheit zu deuten, die davon berichten, wie wir in das Gefängnis hineingeraten sind, um diesen Überlieferungs-Schatz zu heben und als Schlüsselwissen zu nutzen, das uns mehr als 5000 Jahre später lehrt, die Türe wieder aufzuschließen. Bisweilen ist ein Blick ins jeweils umfassendere System erforderlich, wenn ein Subsystem ins Stocken gerät. Wenn etwa eine Zellulosefabrik von der Pleite bedroht ist, hilft es nicht immer, das Management auszuwechseln oder neueste Maschinen anzuschaffen, d. h. nur die betriebswirtschaftliche Ebene zu betrachten. Möglicherweise gibt es volkswirtschaftliche Ursachen, also etwa einen Verfall der Zellulosepreise auf dem Weltmarkt; dann wird sich der Betrieb, wenn überhaupt, nur mit diesem übergeordneten Wissen retten lassen. – Analog gilt für die nächste Ebene: Wenn in den einzelnen Volkswirtschaften wie auch in der gesamten Weltwirtschaft etwas schiefläuft, ist es vielleicht an der Zeit, nicht mehr nur mit volkswirtschaftlichem Binnenblick die Wirtschaft zu betrachten, sondern auch den übergeordneten Komplex der Kultur, der Geschichte, der ›Spielregeln des Welt-Zusammenhangs‹ (ein neuer Übersetzungsversuch für oikonomia!) einzubeziehen. Manche Volkswirte sehen das übrigens genauso und schreiben der Kultur bzw. dem Gesamtgebilde aus geistigen Entwicklungen, Modeströmungen, politischen Tendenzen und Umbrüchen zu, Vorreiter für technische Schlüsselinnovationen und wirtschaftliche Boomphasen zu sein; sie haben also ›Ökonomie II‹ sehr wohl im Blick (vgl. Kapitel 5).

Religiöse Arroganz verbietet sich auch deshalb, weil der Informationsstrom nicht nur einseitig von der Theologie/Ökonomie II zur Wirtschaft/Ökonomie I fließt, sondern auch umgekehrt: weil sich der wahre Sinn manches Dogmas, die eigentliche Bedeutung manches Bibelwortes und der Hintergrund mancher moralischer Gepflogenheit erst dann erschließt, wenn sie auf ganz nüchterne, vordergründige irdische Bedürfnisse, Nöte, Notwendigkeiten, historische Verhältnisse und Umbrüche bezogen werden und wenn die Verzahnung der Religionsgeschichte mit der Wirtschaft und ihrer Geschichte wahrgenommen wird. Diese Blickrichtung ist nur die Einlösung des Versprechens, das die Theologen laufend abgeben, nämlich dass die biblische Botschaft aktuell sei. Es ist nur der Nachweis des Weltbezugs des Evangeliums. Mit dieser Blickrichtung wird keineswegs die Kulturgeschichte auf das Materielle reduziert, sie ist kein ›Materialismus‹ im Sinne von Erst kommt das Fressen, dann die Moral (Brecht), das Sein prägt das Bewusstsein (Marx) oder der Essenz geht die Existenz voraus (Sartre), sondern das genaue Gegenteil: Durch diese Blickrichtung zeigt sich, dass Probleme auf dem wirtschaftlichen Sektor gerade nicht aus sich selbst heraus zu lösen sind, sondern nur durch mehr Planung, mehr Kreativität, höheren Organisationsgrad, Denken, Geist, vielleicht auch mehr von dem, was man heute ›Spiritualität‹ zu nennen sich angewöhnt hat. Durch materielle Nöte provozierte weiterführende kulturelle Neuerungen sind Antworten von einer höheren Ebene.

Das Sein fordert das Bewusstsein heraus. Indem sich das Bewusstsein weiterentwickelt, vermag es das Sein umzugestalten, über die nächste Schwelle zu hieven, auf eine höhere Stufe ›upzudaten‹. Für unser heutiges Verständnis alter Texte und Traditionen wie auch (mehr oder weniger bewusster) traditioneller Prägungen aber ist wichtig: Erst wenn jener ursprüngliche Bezug kultureller Entwicklungen auf die Wirtschaft, auf die Geschichte, auf den Alltag mit seinen Problemen sichtbar wird, fallen vom Dogma, vom Weisheitsspruch, von der rätselhaft-mythisch anmutenden Erzählung, von der tradierten Ordnung die Hüllen ab, die sie unseren Blicken und unserem Zugriff entrücken. Statt nur die Wahl zu haben zwischen unreflektiertem Gehorsam vor dem vermeintlich Heiligen (so die traditionalistisch-religiöse Haltung) und vermeintlich rationalistischem Ablehnen des Unverstandenen (so die traditionell-aufklärerische Religionskritik), werden wir in die Lage versetzt, nach Funktionalität zu entscheiden, welche Traditionen ihre Aufgabe hatten bzw. erfüllt haben (z. B. patriarchales, hierarchisches und asketisches Denken), welche zeitlosen Werte bleiben (z. B. Schutz des Lebens) und welche neuen Spielregeln in Zukunft zusätzlich benötigt werden (z. B. Umweltverantwortung).

Konkret: Jene Institutionen und Weltanschauungen, die uns das patriarchale, hierarchische und asketische Denken als Grundlage des Zwangs zum materiellen Wachstum eingebrockt haben, sind jetzt, da jenes ›Gesetz‹ ›erfüllt‹ und das Wachstum lebensbedrohlich geworden ist, gefordert, den ›Rückbau‹ zu betreiben. – Mit dieser präzisen Forderung bzw. mit diesem ›ganzheitlichen‹ Blick stehe ich in der Theologie freilich allein auf weiter Flur: Während die katholischen Kollegen den Wertewandel insgesamt ablehnen, springt die evangelische Kirche auf jeden beliebigen nach Wertewandel riechenden Zug auf.

Der langen Rede kurzer Sinn: Sie dürfen dies also als einen fachlich- theologischen Beitrag sehen, der endlich einmal sagt, was Religion/Kirche/Theologie längst sagen müsste, um der Welt weiterzuhelfen. Der Schuster bleibt also bei seinen Leisten. Zugleich ist dieser breit begründete Anstoß zum Umdenken zu 100% ein Beitrag zur Wirtschaftspolitik. Weil Erkenntnis neuer Chancen und Möglichkeiten eben nun mal ein geistiger Vorgang ist.

Noch eine Bemerkung vorweg: ›ökologisch-soziale Marktwirtschaft‹ ist ein klar definierter volkswirtschaftlicher Ansatz: ›Umfinanzierung von Arbeitskosten durch Ökosteuern‹ (so bisher; dies wird noch modifiziert werden). Um mich verkürzt auszudrücken, spreche ich manchmal ebenso von ›öko-sozial‹ oder ›ökosozial‹. Auch die Presse verwendet diese Kurzbegriffe im Sinne von ›ökologisch-sozial‹. Leider steht ›ökosozial‹ aber auch für einen vollkommen anderen wirtschaftspolitischen Ansatz: dem des Sozialarbeitswissenschaftlers Wolf Rainer Wendt, der damit aber nichts Ökologisches bezeichnet, sondern die Sichtweise verkörpert, dass Wirtschaft und Gesellschaft mit allen möglichen Ressourcen ökonomisch umgehen. So sehr diese Betrachtung und Benennung ihre Logik und Berechtigung hat, so sehr muss ich doch klarstellen, dass dies hier mit ›ökosozial‹ NICHT gemeint ist.

Danksagungen an meine helfenden Gesprächspartner_innen könnten auch beim besten Willen niemals vollständig sein, deshalb versuche ich sie erst gar nicht, sondern danke hier vor allem der Familie, die mir den Rücken für dieses Projekt freigehalten hat, insbesondere meiner Frau, meiner Jugendliebe seit 1970.

In Stellvertretung für beide, Gesprächspartner und Familie, widme ich dieses Buch

dem Gedenken meines lieben Schwiegervaters:

Dr. oec. publ. Klaus Ulrich Wedding *1926 †2007

Forstwissenschaftler, Volkswirt und Walter-Eucken-Schüler