Sie mögen romantische Geschichten, gewürzt mit Humor und einer Prise Erotik?

Wenn Sie bereit sind, Maren auf ihrem Weg zurück ins Leben zu folgen und dabei auch Irland ein wenig besser kennenzulernen (oder wiederzuerkennen), haben Sie mit diesem Buch die richtige Wahl getroffen. Alle beschriebenen Gegenden, geschichtlichen Ereignisse und Legenden gibt es wirklich. Auch die erwähnten Touren könnten Sie genau so durchführen.

Falls Sie nach Irland reisen, werden Sie jedoch vergeblich nach ›The Ferns‹, der >McLeary Nursery< und >Doyle & McLeary Bustours< Ausschau halten. Diese sind, wie alle handelnden Personen und die sie betreffenden Ereignisse, reine Fiktion.

1.

Maren

Die Fahrt von Dublin nach Curraduff dauerte etwa drei Stunden. Von der Landschaft, die an ihr vorbeiflog, nahm Maren kaum etwas wahr. Entlang der Autobahn gab es auch nicht viel zu sehen. Hier und da ein paar Pferde, Kühe oder Schafe auf von hüfthohen Steinmauern begrenzten Weiden.

Seit sie in Frankfurt in den Flieger gestiegen war, fühlte sie sich wie ein Roboter, der stur seinem Basisprogramm folgte. Eigentlich schon seit Weihnachten, an das sie sich nicht erinnern wollte. An Silvester hatte sie sich in ihrem Bett verkrochen, allein. Es hatte nichts zu feiern gegeben, im Gegenteil. Anfang Januar hatte Maren sich endgültig von Victor verabschieden müssen.

Sie ließ die Innenstadt von Galway buchstäblich links liegen, und fuhr am Browne Roundabout auf die N 59 in nördlicher Richtung. Bald hatte sie die Vorstadthäuser hinter sich gelassen. Als auf der rechten Seite der Ballyquirke Lough auftauchte, dachte sie daran, dass sie den kleinen See für einen Ausläufer des Lough Corrib gehalten hatte, als sie mit Victor das erste Mal diese Strecke gefahren war. Knapp sechs Jahre war das her. Bisher war sie noch nie allein in Irland gewesen.

In Oughterard verließ sie die Nationalstraße und bog rechts ab auf die Glann Road, die zum Ufer des Lough Corrib führte. Am Pine Grove B&B begann sie automatisch die Feldwege auf der linken Seite zu zählen. Wenn sie zur O’ Brian-Farm wollte, musste sie bei neun abbiegen, auch wenn sie lieber geradeaus gefahren wäre. Nur noch anderthalb Kilometer trennten sie von >The Ferns<, ihrem Schneckenhaus, in dem sie sich verkriechen wollte. Niemanden sehen, mit niemandem reden müssen.

Aber zuerst brauchte sie den Schlüssel dazu.

Bei Licht betrachtet war es eine Schnapsidee, eine Kurzschlusshandlung. Welcher Teufel hatte sie geritten, alles hinzuwerfen für ein dreihundert Jahre altes Cottage, das man höchstens finden konnte, wenn man sich hoffnungslos verfahren hatte? Auf genau diese Weise hatten Victor und sie es damals am Ufer des Lough Corrib entdeckt, spontan gekauft und seither ihre Urlaubstage damit verbracht, es zu renovieren.

Sie hatten sich mit ihren Nachbarn angefreundet. Moira und Anton O’Brian waren Mitte fünfzig, ihre Farm war etwa drei Kilometer entfernt, wenn man den Feldweg nahm. Ging man durch das kleine Wäldchen und über eine Schafweide, waren es nur sechshundert Meter. Die beiden kümmerten sich um >The Ferns<, wenn Maren und Victor in Deutschland waren. Im Dezember hatte Maren ihnen einen Umschlag mit schwarzem Rand geschickt. Die Karte darin erklärte nichts außer der Tatsache, dass Victor tot war.

Maren stellte ihren Mietwagen vor dem Gewächshaus der Farm ab, weil sie wusste, dass Moira um diese Zeit meistens mit ihren Setzlingen beschäftigt war. Sie atmete ein paar Mal tief durch, dann stieg sie aus, klopfte an die Tür und trat auch gleich ein. Erdiger Geruch schlug ihr entgegen, vermischt mit dem Duft nach Kräutern. Nach zwei Schritten blieb sie stehen, unfähig, etwas zu sagen.

Moira sah von den Pflanzkästen auf, Überraschung im Blick, streifte ihre Arbeitshandschuhe ab und kam mit raschen Schritten auf Maren zu.

»Maren«, sagte Moira mitfühlend und nahm sie in die Arme.

Ein, zwei Minuten standen sie so, dann fand Maren ihre Stimme wieder. »Ich möchte den Schlüssel für >The Ferns< abholen«, sagte sie.

»Du wirst erst einmal in die Küche kommen und einen Tee mit mir trinken«, sagte Moira und schob sie sanft in Richtung Tür. »Kommst du direkt vom Flughafen?«

»Ja.« Maren deutete auf den Opel, als sie daran vorbei zum Haus gingen. »Den behalte ich nur so lange, bis ich ein eigenes Auto habe.«

»Anton wird dir gern helfen, eins zu finden«, versicherte Moira. »Setz dich, ich kümmere mich um den Tee.« Sie füllte den Wasserkocher und schaltete ihn ein.

Maren war dankbar, dass Moira nicht fragte, was genau passiert war. In Deutschland hatte jeder sie mit dieser Frage überfallen, Nachbarn, Kollegen, die Kassiererin im Supermarkt, der Tankwart. Weil ein gesunder Mann von sechsunddreißig Jahren nicht einfach so stirbt. Moira dagegen wollte wissen, was Maren an Lebensmitteln brauchte, damit sie ihr etwas einpacken könnte.

»Danke, das Nötigste habe ich schon im Supermarkt in Oughterard gekauft. Essen ist zurzeit ziemlich nebensächlich.«

»Das sieht man. Du bist nur noch Haut und Knochen. Übertreib’s nicht.«

Moira stellte zwei Tassen und eine Zuckerdose auf den Tisch, goss kochendes Wasser über die Teebeutel und setzte sich neben Maren an die Stirnseite des Tisches.

»Anton hat in >The Ferns< jede Woche einmal für ein paar Stunden diese neumodischen Dinger eingeschaltet, die gar nicht wie Heizungen aussehen, aber in Nullkommanichts mollige Wärme verbreiten.«

»Infrarot. Der letzte Schrei. Stinkt nicht so wie der alte Heizölkessel.« Maren löffelte Zucker in ihren Tee, rührte um und trank vorsichtig einen Schluck. »Der ist gut.«

Dann stellte Moira doch noch eine Frage: »Wie lange willst du bleiben?«

»Für immer«, sagte Maren leise.

Moira nickte verständnisvoll. »Komm jederzeit herüber, wenn du reden willst. Wir können auch gemeinsam schweigen.«

Maren drückte dankbar Moiras Hand. Nicht ständig über ihren Gemütszustand und das, was geschehen war, sprechen zu müssen, war einer der Gründe für ihre Flucht.

Ein paar Minuten später kam Anton vom Feld. Auch er umarmte Maren, nur kurz aber genauso herzlich wie seine Frau. »Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst«, war alles, was er sagte. Er war kein gesprächiger Typ, aber ein aufmerksamer Zuhörer und geschickter Handwerker.

Zuletzt erzählte Maren den beiden doch noch von dem Tag, als die Polizisten vor der Tür gestanden hatten, drei Tage vor Weihnachten. »Sie haben mich gefragt, ob ich den Baum haben will, der auf dem Dach unseres Autos festgeschnallt war. Der war das Einzige, was bei dem Zusammenstoß mit dem Autotransporter heilgeblieben ist.«

Erst als Maren vor >The Ferns< den Motor abstellte, brach sie in Tränen aus. Die Taubheit, die sie beim Start des Flugzeugs überkommen und die während des Besuchs bei Moira und Anton angehalten hatte, löste sich beim Anblick des Cottages im Scheinwerferlicht von einer Sekunde auf die andere auf. Wie hatte sie annehmen können, der Schmerz über ihren Verlust würde aufhören, wenn sie der vertrauten Umgebung entfloh? Das hier war noch schlimmer. Ihr gemeinsamer Traum von einem Heim.

Victor, am Beginn seiner aussichtsreichen Karriere als Architekt, hatte die Pläne gezeichnet, dem Bauunternehmer gesagt, was erhalten bleiben und was verändert werden sollte. So war ein Anbau für Küche und Bad entstanden, mit einem kleinen Flur dazwischen. Natürlich auf der Rückseite, damit der ursprüngliche Charakter von >The Ferns< erhalten blieb. Er hatte darauf bestanden, dass die neuen Fenster wie die alten aussahen, zweigeteilt, mit Sprossen und Holzklappläden davor, leuchtend blau gestrichen, wie die Fensterrahmen. Das teilweise undichte Schieferdach war durch ein Reetdach ersetzt worden, danach hatten sie eigenhändig die knubbelige Fassade geweißt und eine Menge Spaß dabei gehabt.

Nachdem sie vier oder fünf Taschentücher verbraucht hatte, stieg Maren mit wackligen Knien aus und brauchte drei Versuche, bis der Schlüssel im Schloss steckte. Sie betrat den Hauptraum, schaltete das Licht an und schaute sich um. Links der offene Kamin, davor eine Couch und zwei Sessel, rechts zwei Türen und dazwischen ein fast leeres Bücherregal. Das würde sich ändern, wenn in den nächsten Tagen die Kisten mit ihren Habseligkeiten eintrafen. Die vordere Tür führte in ein kleines Arbeitszimmer und die hintere in ihr Schlafzimmer. Wo einst die Hintertür gewesen war, befand sich der offene Durchgang zum Anbau. Das ehemalige Fenster links davon diente nun als Durchreiche zur Küche und direkt davor stand der Esstisch. Den alten Steinboden hatten sie gereinigt und versiegelt, die Unebenheiten aber weitgehend belassen, zumindest dort, wo keine beweglichen Möbel stehen sollten.

Emotional und körperlich erschöpft, zwang sie sich dazu, ihr Gepäck und die Einkäufe aus dem Auto zu holen. Sie stellte den Koffer vor der Schlafzimmertür ab und verstaute wie in Trance Lebensmittel und Hygieneartikel. Es lohnte sich nicht mehr, den Kamin anzuzünden, weil sie länger bei Moira und Anton geblieben war als ursprünglich geplant. Also trug sie den Koffer ins Schlafzimmer, legte ihn auf eine – Victors – Seite des Bettes und bezog die andere. Sie zog lediglich ihren Schlafanzug aus dem Koffer und kroch unter die Decke.

Mitten in der Nacht wachte sie plötzlich auf, desorientiert. Es war stockfinster und nicht das kleinste Geräusch war zu hören. Panisch streckte sie den Arm aus, doch ihre Hand berührte statt eines warmen Körpers nur etwas Kaltes, Kantiges.

Ihr Koffer. Aufgeklappt, unausgepackt.

>The Ferns.<

Victor war tot.

Seit sechsundvierzig Tagen, die ihr vorkamen wie eine Ewigkeit. In den Nächten jedoch konnte sie ihn neben sich atmen hören, konnte sich einreden, alles sei nur ein Albtraum gewesen. Bis sie die Hand ausstreckte und erkannte, dass sie allein war.

Sie stand auf und rollte sich auf der Couch vor dem Kamin zusammen, weil sie die Leere des Bettes nicht ertrug. Der Leere in ihrem Inneren konnte sie nicht entkommen.

Ihren Freunden in Deutschland hatte Maren ihre Pläne verschwiegen. Dass sie ein One-Way-Ticket gekauft hatte, würden sie früh genug erfahren, könnten sie dann wenigstens nicht mehr zum nächstbesten Psychiater schleppen.

Ihre Kollegin Nina hatte sie gleich nach der Trauerfeier bedrängt, ihre im Herbst eingereichte Kündigung zu widerrufen. »Du brauchst eine Aufgabe, die dich ablenkt«, hatte sie gesagt, »und Stockmann wartet nur darauf, deinen inkompetenten Nachfolger wieder loszuwerden.«

Robert, Reisejournalist und ihr Nachbar, würde erst nach seiner Rückkehr aus Marokko merken, dass sie ihre Wohnung im Taunus samt Einrichtung einem Makler übergeben hatte.

Ihren Schulfreund Carlo, alleinerziehender Vater von Zwillingsmädchen, die mitten in der Pubertät steckten, würde Maren wohl am meisten vermissen.

Im Gegensatz zu Cousine Ingrid, ihrer einzigen noch lebenden Verwandten, und vor allem deren Mann Lothar, der jedem Rock hinterherhechelte.

Im März, sechs Wochen nach Marens Ankunft, sagte Moira bei einem ihrer Besuche auf der Farm: »Ich habe eine Bitte. Könntest du diese Gemüsekisten zu unseren Stammkunden in Oughterard und Maam Cross bringen? Ich muss mich dringend um die Freilandbeete kümmern und mir fehlt einfach die Zeit dafür.«

»Selbstverständlich, Moira. Dann fahre ich wenigstens nicht ziellos durch die Gegend. Sag Bescheid, wann immer du meine Hilfe brauchst. Ihr habt so viel für mich getan.«

Sie strich über das Dach des dunkelroten MINI Coopers, den sie mit Antons Unterstützung gekauft hatte.

Bald belieferte sie zwei- bis dreimal pro Woche verschiedene Restaurants in der Gegend und wurde dafür mit Naturalien entlohnt. Ihr war schnell klargeworden, dass Moira sie mit diesen Aufträgen vor allem aus ihrer Isolation locken wollte, aber sie sprach es nie an.

Es war ein Leichtes, mit den Köchen ein Gespräch über Gott und die Welt zu beginnen. Iren schrieben Gedichte oder Balladen über traurige Ereignisse, sie zerredeten sie nicht. Ihre deutschen Freunde hätten Maren wahrscheinlich ins Kino oder zu Partys geschleppt, um sie >aufzumuntern<, und damit das Gegenteil erreicht.