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Andreas Huber, Linda Erker und Klaus Taschwer

DER DEUTSCHE KLUB

Austro-Nazis in der Hofburg

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Gedruckt mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschaftsund Forschungsförderung, des Zukunftsfonds der Republik Österreich und des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus. Mit Unterstützung der RD Foundation Vienna – Research | Development | Human Rights | Gemeinnützige Privatstiftung

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Huber, Andreas / Erker, Linda / Taschwer, Klaus: Der Deutsche Klub. Austro-Nazis in der Hofburg / Andreas Huber, Linda Erker, Klaus Taschwer

© 2020 Czernin Verlags GmbH, Wien

Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe in Print- oder elektronischen Medien

Dieses Buch ist eine Gemeinschaftsarbeit von Linda Erker, Andreas Huber und Klaus Taschwer, gleichwohl war die Arbeit daran aus verschiedenen Gründen nicht gleich verteilt. Vom Erstautor Andreas Huber stammen im Wesentlichen die Kapitel 2 bis 7, die durch Linda Erker und Klaus Taschwer unterschiedlich stark ergänzt wurden. Zudem trug er die Recherchen zu den Mitgliedern des Deutschen Klubs und die soziografischen Analysen bei. Für Kapitel 8 ist Linda Erker hauptverantwortlich. Die übrigen Abschnitte gehen vor allem auf Klaus Taschwer zurück.

INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

Am Höhepunkt der Macht (März 1938)

KAPITEL 1

Ein Verein im Geiste Georg Schönerers (1908 bis 1918)

KAPITEL 2

Chronik einer Radikalisierung (1918 bis 1930)

KAPITEL 3

Exkurs: Die Deutsche Gemeinschaft (1919 bis 1930)

KAPITEL 4

Auf nationalsozialistischem Kurs (1930 bis 1938)

KAPITEL 5

Karrieren nach dem »Anschluss« (ab März 1938)

KAPITEL 6

Die umkämpfte Auflösung (1939)

KAPITEL 7

Auf der Kriegsverbrecherliste (1945 und danach)

KAPITEL 8

Der Neue Klub (1957 bis heute)

Resümee

ANHANG

Tabellen

Verwendete Abkürzungen

Archivverzeichnis

Bibliografie

Abbildungsverzeichnis

Personenverzeichnis

Danksagung

Das Autorenteam

EINLEITUNG

Am Höhepunkt der Macht
(März 1938)

Am Nachmittag des 11. März 1938 sah Kurt Schuschnigg keinen Ausweg mehr. Der österreichische Bundeskanzler, der seit 1934 autoritär regiert hatte, beugte sich an diesem Freitag dem Druck Hitler-Deutschlands. Bereits am frühen Nachmittag hatte Schuschnigg die für den 13. März geplante Volksbefragung über die Selbständigkeit Österreichs abgesagt. Bundespräsident Wilhelm Miklas, der seinen Amtssitz im selben Gebäude hatte, akzeptierte den Rücktritt des Kanzlers erst nach einigem Zögern. Auch dem Ultimatum aus Deutschland, Arthur Seyß-Inquart zu Schuschniggs Nachfolger zu ernennen, verweigerte sich der Bundespräsident für einige Stunden. Um 19:47 Uhr begann dann eine improvisierte Radioübertragung aus dem Eckzimmer des Kanzleramtes – wenige Meter von jener Stelle entfernt, an der im Juli 1934 Schuschniggs Vorgänger Engelbert Dollfuß beim Putschversuch der Nationalsozialisten verblutet war. Umgeben von einer kleinen Gruppe verstörter Mitarbeiter trat Schuschnigg nun ans Mikrofon, um den Weg für den Einmarsch frei zu machen. Seine Ansprache schloss er »mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich!«.1

Bereits am Nachmittag war im Leopoldinischen Trakt der Hofburg, schräg gegenüber dem Bundeskanzleramt, Jubel zu hören gewesen.2 Dass auch in unmittelbarer Nähe des innenpolitischen Machtzentrums ausgelassene Freude über den bevorstehenden »Anschluss« herrschte, lag an den Mietern dieser Räumlichkeiten: Direkt unter dem heutigen Sitz des österreichischen Bundespräsidenten logierte seit 1923 der Deutsche Klub, der mit seinen knapp 1.000 männlichen Mitgliedern vor allem aus dem Wiener Bürgertum – unter ihnen Spitzenbeamte, Industrielle, Rechtsanwälte, Universitätsprofessoren, Ärzte sowie ehemalige Offiziere und frühere Adelige – in den Jahren zuvor auf einen Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland hingearbeitet hatte. Nun endlich sah man das große Ziel erreicht.

Wie aber hat man im Deutschen Klub, der in den zahlreichen bisherigen Darstellungen der Märztage 1938 so gut wie nie Erwähnung fand, die entscheidenden Stunden rund um den »Anschluss« erlebt?3 Laut Darstellung in der vereinseigenen Zeitschrift kamen bereits am 10. März mehrere nationalsozialistische Berufsverbände – jene der Richter, Staatsanwälte und Ärzte – in den repräsentativen Räumlichkeiten des Deutschen Klubs zusammen, um den Boykott der von Schuschnigg geplanten Volksbefragung zu beschließen. Diese Ablehnung des Referendums sei auch der Anfang vom Ende »der Schuschnigg’schen Gewaltherrschaft« gewesen. Am späteren Abend dieses 10. März habe man gemeinsam den »Deutschlandsender« gehört.4 Als dann das Horst-Wessel-Lied erklang, sei es »von allen in den dicht gefüllten Räumen anwesenden Mitgliedern und Gästen mitgesungen« worden.

Bereits in den Morgenstunden des nächsten Tages herrschte laut Eigendarstellung abermals reges Treiben in den Klubräumlichkeiten. Verschiedene Gerüchte machten die Runde, so unter anderem über die »Aufbietung und Ausrüstung der Arbeiterschaft durch Bürgermeister Schmitz«, der sich durch eine Allianz mit linken Kräften gegen die Machtübernahme der Nationalsozialisten aus Deutschland wehren wollte.5 Für den Abend war ein Vortrag von Klubmitglied Hugo Jury geplant, dem stellvertretenden Landesleiter der NSDAP, der in den Vereinsräumlichkeiten zur aktuellen politischen Lage referieren sollte.6 Doch als sich am Nachmittag dieses 11. März die weiteren Entwicklungen im Bundeskanzleramt überschlugen, war daran nicht mehr zu denken – zumal aus Berlin ultimativ gefordert wurde, dass Seyß-Inquart neuer Bundeskanzler werden sollte.

Während Schuschniggs Abschiedsrede füllte sich der Ballhausplatz schnell mit Hunderten SA- und SS-Männern. Gegen 20:30 Uhr sammelten sich auch 200 Klubmitglieder im Inneren Burghof, um von da die wenigen Schritte in Richtung Bundeskanzleramt zu gehen, inklusive »Durchbrechung der Polizeikette und erster Absingung der Hymnen«.7 Die Besetzung des Bundeskanzleramtes durch die SS-Standarte 89, die beim Putschversuch 1934 noch gescheitert war, sowie Hitlers Befehl, am nächsten Morgen in Österreich einzumarschieren, veranlassten Bundespräsident Wilhelm Miklas um 22:00 Uhr schließlich doch, Arthur Seyß-Inquart zum Bundeskanzler zu ernennen.8 Irgendwann um diese Zeit schickte der Deutsche Klub einen »Drahtgruß« nach Berlin, adressiert »An den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler«. Der Inhalt des Schreibens war kurz und bündig: »Die Nationalsozialisten des Deutschen Klubs entbieten dem Führer in tiefster Dankbarkeit für die Erlösung aus Erniedrigung und Unterdrückung ihre ehrerbietigsten Grüße und geloben unverbrüchliche Gefolgschaft.«9

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Nationalsozialistische Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt am Abend des 12. März 1938. Unter den Teilnehmenden waren 200 Mitglieder des Deutschen Klubs.

Rund 90 Minuten nach Mitternacht zeigten sich dann die meisten der neuen Minister der letzten österreichischen Regierung auf dem Balkon des Bundeskanzleramts, von dem bereits eine kleine Hakenkreuzfahne herabhing. Mit dabei: Hugo Jury, dessen Vortrag im Deutschen Klub abgesagt worden war. Er war nun neuer Minister für soziale Verwaltung und verlas die Namen der neuen Regierungsmitglieder. Neben Jury und Seyß-Inquart gehörten der neunköpfigen Ministerriege noch drei weitere Mitglieder des Deutschen Klubs an: Handels- und Verkehrsminister Hans Fischböck, Justizminister Franz Hueber und Unterrichtsminister Oswald Menghin. Laut den Mitteilungen des Deutschen Klubs hatten sich dessen Mitglieder bereits vor Mitternacht in geschlossenem Zug zum Rathaus begeben:

»Dort waren sie nach langem Warten, gemeinsam mit vielen Tausenden von Volksgenossen, Zeugen eines geschichtlichen Augenblickes: Auf diesem Gebäude, seit dem unglücklichen Kriegsausgange die Hochburg der Unterdrückung alles Deutschtums, erst durch die Roten, dann durch die Klerikalen, wurde die Hakenkreuzfahne gehißt. Dann löste sich unsere Gruppe auf. Es sollen sich in dieser Nacht viele Mitglieder erst sehr spät oder gar nicht zur Ruhe begeben haben.«10

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Die Regierungsmitglieder am Balkon des Bundeskanzleramts. Fünf von ihnen gehörten dem Deutschen Klub an.

Letzteres galt auch für viele Österreicherinnen und Österreicher jüdischer Herkunft, die in dieser Nacht Opfer von Übergriffen durch den antisemitischen Mob wurden. Etliche von ihnen versuchten, mit dem Auto oder im Zug über die nahe gelegenen Grenzen zu fliehen, was in den meisten Fällen nicht mehr gelang. Und auch die Soldaten der 8. Armee der deutschen Wehrmacht fanden in dieser Nacht vom 11. auf den 12. März kaum Schlaf: Sie warteten an den deutschösterreichischen Grenzübergängen auf den Befehl zum Einmarsch. Um 5:30 Uhr betraten die ersten Truppeneinheiten österreichisches Staatsgebiet. An diesem 12. März 1938, als die deutschen Truppen ohne Widerstand zu erfahren in Österreich einmarschierten, schickten die Vorstandsvertreter des Deutschen Klubs ein Glückwunschschreiben an Arthur Seyß-Inquart:

»Verehrter Herr Bundeskanzler!

Die Ereignisse des gestrigen Tages wurden im Deutschen Klub mit tiefer Ergriffenheit verfolgt und lösten unter den in großer Zahl anwesenden Mitgliedern unbeschreiblichen Jubel aus, denn […] die deutsche Wiedergeburt Österreichs ist eingeleitet. […] Dem Ministerium, dem nun die große Aufgabe gestellt ist, diese Entscheidung mit klugem Walten und starker Hand vorzubereiten, gehören fünf Mitglieder des Deutschen Klubs an. Das erfüllt uns mit großer Genugtuung, denn wir sehen darin den Beweis, daß in unseren Reihen stets der Geist herrschte und gepflegt wurde, der zu der beglückenden Wendung des gestrigen Tages geführt hat.«11

Der Deutsche Klub hatte mit dem »Anschluss« nicht nur sein größtes Ziel erreicht. Etliche seiner Mitglieder befanden sich nun selbst im Zentrum der Macht. Dass gleich fünf Mitglieder auf der Ministerliste des »Anschlusskabinetts« standen, dem kaum »Alte Kämpfer« der NSDAP angehörten, kam nicht ganz überraschend: Dieser Verein bildete ab den frühen 1930er-Jahren den einflussreichsten Treffpunkt für »betont nationale« Österreicher sowie bürgerliche und auch katholische Nationalsozialisten, die man unter dem etwas saloppen Begriff »Austro-Nazis« zusammenfassen könnte.

Zwar hatte die Regierung Seyß-Inquart nur kurz Bestand. Mitglieder des Deutschen Klubs übernahmen nach dem 12. März 1938 freilich zahllose weitere Leitungspositionen in vielen Institutionen des gleichzuschaltenden Österreich, und zwar quer durch alle Bereiche des politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Lebens. Waren die Deutschnationalen und Nationalsozialisten unter den Regierungen von Dollfuß und Schuschnigg zumindest bis zum Juliabkommen 1936 von allen wichtigen Positionen ferngehalten worden, schlug nun im März 1938 die Stunde der Revanche: Ein radikaler Personalaustausch bei den Spitzenpositionen begann, und in einer Vielzahl von Fällen kamen Männer zum Zug, die Mitglieder des Deutschen Klubs waren.

Der am 13. März als Wiener Bürgermeister eingesetzte Hermann Neubacher etwa gehörte nicht nur der NSDAP an, sondern war auch Mitglied des Deutschen Klubs. Die Leitung der Wiener Wirtschaftskammer wiederum übernahm kommissarisch der Ehrenobmann des Deutschen Klubs, der zum damaligen Zeitpunkt bereits 72-jährige Richard Riedl. Neuer Chef der Wiener Rechtsanwaltskammer wurde Georg Ettingshausen, der seit 1933 beim Deutschen Klub war, ehe er wegen Beteiligung am Juliputsch 1934 nach Deutschland hatte flüchten müssen. Sein Stellvertreter war der Wiener Rechtsanwalt Erich Führer, ebenfalls Vereinsmitglied seit 1933. Führer hatte außerdem den illegalen nationalsozialistischen Rechtswahrerbund geleitet, der sich in der Zeit des Austrofaschismus ebenfalls in den Räumlichkeiten des Deutschen Klubs getroffen hatte. Zum neuen Leiter der Creditanstalt-Bankverein, der wichtigsten Bank des Landes, stieg nach dem »Anschluss« Rudolf Pfeiffer auf, der dort bis dahin ein untergeordneter Bankbeamter gewesen war – aber eben auch Vorstandsmitglied des Deutschen Klubs. Ein ebensolches (und zweiter Obmannstellvertreter) war Robert Hammer, den die neuen Machthaber im März 1938 zum Präsidenten des Bankenverbandes und des Wiener Giro- und Cassenvereins ernannten.

Ähnliche Personalwechsel gab es auch im Kulturbereich: Der kommissarische Direktor des Burgtheaters, Mirko Jelusich, war ebenso langjähriges Vereinsmitglied wie Paul Heigl, der neue Direktor der Österreichischen Nationalbibliothek, oder Leopold Blauensteiner, der zum Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste in Wien aufstieg. In der Wissenschaft wurde Klubmitglied Heinrich Srbik Präsident der Akademie der Wissenschaften, Otto Antonius übernahm wieder die Direktion des Wiener Tiergartens Schönbrunn, die er 1934 wegen illegaler NSDAP-Mitgliedschaft hatte abgeben müssen, und Otto Pesta erhielt nach dem »Anschluss« die kommissarische Leitung des Naturhistorischen Museums in Wien. Alle Genannten waren Mitglieder des Deutschen Klubs. Gleiches galt für die beinahe gesamte neue Führungsmannschaft der Universität Wien: für den nach fast 600 Jahren erstmals nicht von der Professorenschaft gewählten, sondern kommissarisch eingesetzten Rektor Fritz Knoll, für Prorektor Hans Hirsch und für drei der fünf Dekane. Dass Klubmitglieder an der Spitze der Universität Wien standen, war nicht überraschend: Österreichs größte und älteste Universität hatte eine lange Tradition als Hochburg der Deutschnationalen.

Einige der genannten Umsturzprofiteure gehörten im März 1938 noch nicht der NSDAP an, so auch drei der fünf Klubmitglieder im »Anschlusskabinett«: Nur Hueber und Jury waren bereits Parteigenossen. Man kann also gewiss nicht sagen, dass sie die Karrieresprünge ihrer Parteizugehörigkeit verdankten. Nein, es war auch ihre Mitgliedschaft beim Deutschen Klub und die dort an den Tag gelegte ideologische Zuverlässigkeit, die als Aufstiegshilfe dienten. Zweifellos hatte es in Wien in den Jahren vor dem »Anschluss« keinen besseren Ort gegeben, um sich in solche Seilschaften einzuklinken, die nach dem Machtwechsel berufliche Aufstiege ganz nach oben ermöglichten, als den Deutschen Klub, der von Anfang seiner Existenz an auch genau diesen Zweck hatte.

Zwar sollten einige der kommissarischen Berufungen nur von verhältnismäßig kurzer Dauer sein – so im Übrigen auch die Ministerämter von Hueber, Jury und Menghin bis Mai 1938. Doch sie waren oft genug damit verbunden, die sogenannten »rassischen« und politischen »Säuberungen« zu vollziehen, konkret: jüdische und politisch unliebsame Stelleninhaber zu vertreiben. Das geschah meist in Windeseile. An der Universität Wien etwa hatten Fritz Knoll und seine Dekane bereits bis zum 22. April mehr als 250 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus politischen und vor allem rassistischen Gründen von der Universität entfernt – eine sowohl ihrem Umfang nach wie auch in ihrer Geschwindigkeit weltweit einzigartige Entlassungsaktion an einer Hochschule. Die »Gleichschaltung« und die antisemitischen Maßnahmen an dieser und zahlreichen anderen Institutionen wurden nach dem »Anschluss« also nicht nur von Berlin aus organisiert und vollstreckt: Nein, es waren hiesige Austro-Nazis und eben Klubmitglieder, die in fast allen Bereichen der Gesellschaft – egal ob Politik, Wirtschaft, Justiz, Kultur oder Wissenschaft – an die Schalthebel der Macht gekommen waren.

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Die »Anschlussregierung« Seyß-Inquarts im Bundeskanzleramt: Justizminister Franz Hueber (4. von links), Bundeskanzler Seyß-Inquart (5. v. l.), halb von diesem verdeckt Unterrichtsminister Oswald Menghin, Sozialminister Hugo Jury (2. v. r.) und Handelsminister Hans Fischböck (1. v. r.) waren Klubmitglieder. Land- und Forstwirtschaftsminister Anton Reinthaller (4. v. r.) wurde 1956 erster Bundesparteiobmann der FPÖ.

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Diese hier stichwortartig rekapitulierte Machtübernahme durch eine mit dem Nationalsozialismus sympathisierende Gruppe von Österreichern, die zu einem großen Teil im Deutschen Klub organisiert waren, bedeutete zugleich das erfolgreiche Ende der dreißigjährigen Bemühungen, die Vereinigung mit Deutschland zu vollziehen. Wie aber kam es dazu, dass ein Verein im März 1938 zur vermutlich wichtigsten Personalressource für die neuen Führungskräfte in Wien werden konnte? Wer waren die Mitglieder dieses exklusiven antisemitischen und rechten Männernetzwerks? Welche Rolle hat der Deutsche Klub in den Jahren zuvor gespielt? Schließlich: Wie ging es mit dem Klub während der NS-Herrschaft weiter und wie mit seinen Mitgliedern nach 1945?

Antworten darauf gibt dieses Buch, das die erste umfassendere Arbeit über den Deutschen Klub darstellt – über 110 Jahre nach dessen Gründung und mehr als 80 Jahre nach dessen Auflösung. Dass es mit der ersten Gesamtdarstellung des einflussreichen Vereins so lange gedauert hatte, mag angesichts seiner Bedeutung etwas verwunderlich erscheinen. Erste Ansätze einer kritischen Aufarbeitung hat es freilich schon vor einiger Zeit gegeben und liegen bereits selbst wieder fast ein halbes Jahrhundert zurück. Dabei handelte es sich um die Dissertation des Historikers Wolfgang Rosar, die 1971 unter dem Titel »Deutsche Gemeinschaft. Arthur Seyß-Inquart und der Anschluß« auch als Buch erschien.12 In den folgenden Jahren fand der Deutsche Klub in verschiedenen Arbeiten zwar immer wieder Erwähnung, so etwa in einer Studie über deutschnationales Gedankengut in der Ersten Republik oder in einer Dissertation über den langjährigen Klubobmann Carl Bardolff.13 Auch eine umfassende Darstellung der Eliten in Österreich des Politikwissenschaftlers Gernot Stimmer nahm immer wieder auf den einflussreichen Verein und seine Mitglieder Bezug.14 Und in jüngerer Zeit kam die Bedeutung des Deutschen Klubs für Karrieren im akademischen Milieu immer wieder zur Sprache.15 Doch in den zahlreichen Büchern, die in den vergangenen Jahren zum »Anschluss« und zur Ersten Republik bzw. zur Zwischenkriegszeit erschienen sind, kam der Deutsche Klub so gut wie nie vor.

Die erste halbwegs umfassende Darstellung, die ganz dem Verein gewidmet war, stammt vom Autorentrio dieses Buches und aus dem Jahr 2017.16 Für diesen Aufsatz blieben aber einige Quellenfunde unverwendet; zudem führten die damaligen Recherchen zu zahlreichen neuen Fragen. Deren ausführliche Beantwortung erfolgte in den Jahren 2017 bis 2019 durch ein Projekt, das vom Zukunftsfonds der Republik Österreich, der Kulturabteilung der Stadt Wien sowie der RD Foundation Vienna unterstützt wurde und dessen wesentliche Ergebnisse, die zum Teil über den Deutschen Klub hinausgehen, im Folgenden vorgestellt werden.

Vor der Inhaltsübersicht ist es angebracht, noch den Begriff Austro-Nazi zu erläutern, der sich auch im Untertitel findet. In den meisten der bisherigen Publikationen wurden die Personen, von denen hier ausführlich die Rede ist, als die »Betont Nationalen« und »Katholisch-Nationalen« bezeichnet. Diese Begriffe wurden vor allem vom Historiker Adam Wandruszka in seiner umstrittenen Theorie der drei politischen Lager – des konservativen christlichsozialen, des sozialistischen und des nationalen – geprägt, die grundlegend für Österreichs politische Struktur seit dem Ende des 19. Jahrhunderts seien.17 Diese Einteilungen Wandruszkas, der ehemaliges NSDAP-Mitglied war und sich selbst dem nationalen bzw. »dritten Lager« zurechnete, stehen selbst unter einem gewissen Ideologieverdacht: Sie stammen aus dem Jahr 1954, und damit aus einer Zeit, als es einerseits um die Rehabilitierung der früheren NSDAP-Anhänger ging und andererseits um die politische Einigung der »Nationalen«, die mit der Gründung der FPÖ 1956 vollzogen wurde. Der von Wandruszka geprägte Begriff des »nationalen Lagers« stellte eine gemeinsame Identität her und sorgte nach dem Scheitern des Verbands der Unabhängigen (VdU), der Vorgängerpartei der FPÖ, für Selbstbewusstsein. Die Zuschreibungen »betont national« und »katholisch-national« wiederum halfen, eine Distanz zum Nationalsozialismus herzustellen, die Sympathien dieser Personengruppe für das NS-Regime kleinzureden und ihre NS-Verstrickungen zu camouflieren.

Für viele der insgesamt über 2.000 Männer, die zwischen 1908 und 1939 dem Deutschen Klub angehörten, mögen diese Bezeichnungen bis zum Ende der 1920er-Jahre durchaus passend gewesen sein. Doch nach 1930 wurde die Nähe zum Nationalsozialismus immer offensichtlicher – sowohl auf Vereinsebene wie auch bei vielen Mitgliedern, von denen nicht wenige früher oder später der NSDAP beitraten. Viele Klubmitglieder bekannten sich ab den frühen 1930er-Jahren zu ideologischen Kernelementen des Nationalsozialismus, wie zum »rassischen« Antisemitismus (der bei Wandruszkas Beschreibung des »nationalen Lagers« fast völlig unterschlagen wird), zu großdeutschen und völkischen Ideen, zur Vereinigung mit Deutschland sowie zur Kritik an der parlamentarischen Demokratie. Der Begriff Austro-Nazi verweist nicht nur auf diese Gemeinsamkeiten: Er deutet – ähnlich wie die Begriffe »Austromarxismus« oder »Austrofaschismus« mit ihren österreichischen Variationen des Marxismus und des Faschismus – aber auch auf Spezifika hin. So waren die hier beschriebenen Austro-Nazis des Deutschen Klubs zum einen deutlich bürgerlicher als die Nationalsozialisten in Deutschland und hatten mit jenen »sozialistischen« Ideen, die sich an die Arbeiterschaft wandten, wenig am Hut. Zum anderen gab es in den Wiener NS-Kreisen – anders als in Deutschland – eine nicht geringe Anzahl gläubiger Katholiken.18 Und schließlich waren nicht wenige der Austro-Nazis des Deutschen Klubs nach dem »Anschluss« darüber enttäuscht, dass Österreichs besondere historische Rolle keine Würdigung erfuhr und Österreich zur »Ostmark« degradiert wurde. Das wiederum erleichterte es den Austro-Nazis, sich nach 1945 im Rückblick als Opfer des Nationalsozialismus darzustellen, obwohl man zu dessen wichtigsten Wegbereitern gezählt hatte.

Damit verweist der Deutsche Klub samt seinem Nachfolgeverein auf ein Grundproblem, vor dem das »nationale Lager« und die FPÖ als seine parteipolitische Vertretung bis heute stehen: Denn wie zu zeigen sein wird, erweisen sich bei diesem Verein im Laufe seiner Geschichte die Abgrenzungen zwischen »deutschnational« und »nationalsozialistisch« als fließend. Wenn sich der ehemalige FPÖ-Obmann Herbert Haupt im Zusammenhang mit der 2018 eingesetzten »Historikerkommission« seiner Partei erhofft, dass »der Trennstrich zwischen ›National‹ und Nationalsozialismus noch deutlicher und breiter gezogen wird«,19 dann bietet die Geschichte des Deutschen Klubs ein gutes Beispiel, wie schwierig solche Grenzziehungen für das »dritte Lager« aus historischen Gründen sind.

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Der Deutsche Klub und die nationalsozialistische Bewegung weisen zudem gemeinsame ideologische Wurzeln auf, wie im ersten Kapitel gezeigt wird. Dass die Klubgründung in Wien 1908 fast auf den Tag genau mit der Übersiedlung des jungen Adolf Hitler aus Linz in die damalige Reichshauptstadt zusammenfiel, war reiner Zufall. Doch sowohl für den Verein wie auch für den gescheiterten Künstler waren der Deutschnationalismus und Antisemitismus von Georg Schönerer prägend. Zwar war der Deutsche Klub laut dessen Statuten »unpolitisch«; faktisch aber sollte er von Beginn an eine wichtige gemeinsame Plattform für deutschnationale Studentenverbindungen und politische Aktivitäten der zersplitterten Deutschnationalen ganz allgemein bilden. Dabei vertrat der Verein zumeist eher radikale Positionen. Das zeigte sich insbesondere während des Ersten Weltkrieges, als aus dem Verein heraus einflussreiche Ideen zur Nachkriegsordnung lanciert wurden, die Mitteleuropa unter eine deutsche Herrschaft stellen wollten.

Nach dem verlorenen Weltkrieg wuchs der Verein schnell auf seine maximale Größe von etwas mehr als tausend männlichen Mitgliedern an, die vor allem aus dem Bildungsbürgertum stammten. In den krisenhaften 1920er-Jahren, die im Zentrum des zweiten Kapitels stehen, baute der Deutsche Klub seine Rolle als zentrales außerparlamentarisches Forum der Deutschnationalen weiter aus, was durch den Umzug in repräsentative Klubräumlichkeiten in der Hofburg erleichtert wurde. Analysen der Vortragsprogramme zeigen, wie der Verein zum Umschlagplatz nationalistischer, antisemitischer und antidemokratischer Ideen wurde. Mit dem neuen Wissen um die Namen der Klubmitglieder eröffnen sich heute aber auch neue Perspektiven auf politische Entwicklungen der österreichischen Zwischenkriegszeit. Knapp 20 Regierungsmitglieder der Ersten Republik waren ebenso im Verein vertreten wie die wichtigsten Herausgeber und Journalisten der frühen nationalsozialistischen Presse. Und neben den NS-affinen Anwälten dieser Zeit wie Walter Riehl oder Arthur Seyß-Inquart waren auch zahlreiche Staatsanwälte und Richter Mitglieder des Vereins, was neues Licht auf die umstrittenen Freisprüche etwa der Schattendorf-Attentäter oder des Mörders von Hugo Bettauer wirft.

Das dritte Kapitel stellt einen Exkurs dar und nimmt – zum Teil auf Basis neuer Quellen – die Deutsche Gemeinschaft unter die Lupe: Um mit rechten Christlichsozialen effektiver antisemitische und antilinke Politik zu machen, gründeten führende Mitglieder des Deutschen Klubs gemeinsam mit Vertretern der Christlichsozialen im Jahr 1919 diesen Geheimbund, der nach Vorbild der Freimaurer organisiert war, um diese zu bekämpfen. Die Deutsche Gemeinschaft war auf allen Ebenen paritätisch mit prominenten Christlichsozialen und Deutschnationalen besetzt, darunter etwa auch Engelbert Dollfuß oder Arthur Seyß-Inquart, um nur zwei der prominenteren Mitglieder zu nennen. In den ständisch organisierten Fachgruppen wurde alles getan, um Karrieren von jüdischen, linken oder liberalen Personen (den sogenannten »Ungeraden«) zu verhindern und stattdessen eigene Leute (die »Geraden«) zu platzieren. Wie infam und wirkungsvoll solche Kampagnen werden konnten, wird für den Bereich der Hochschulen gezeigt. Und auch wenn die Deutsche Gemeinschaft 1930 aufgelöst wurde, so wirkten die Beziehungen, die in diesem Geheimbund geknüpft worden waren, noch lange weiter, zum Teil sogar bis nach 1945.

In den 1930er-Jahren, die im vierten Kapitel behandelt werden, driftete der Deutsche Klub mit seinem Vorstand dann noch weiter nach rechts und nahm immer stärker Partei für den Nationalsozialismus. Nicht erst nach dem Verbot der NSDAP im Juni 1933 wurden die Vereinsräumlichkeiten von NS-Berufsorganisationen wie den nationalsozialistischen Ärzten und Rechtsanwälten genützt. Nach der Ermordung von Engelbert Dollfuß im Juli 1934 sperrte die Polizei den Verein wegen der Teilnahme von Klubmitgliedern am Juliputsch. Nach wenigen Wochen durfte er aber unter strengen Auflagen weitermachen. Das ist wohl nur durch Verbindungen in höchste politische Kreise sowie die Klubmitgliedschaften von hohen Ministerial- und Polizeibeamten sowie Richtern zu erklären. Der Verein blieb dennoch auch nach 1934 Treffpunkt von nationalsozialistischen Aktivisten und Berufsvertretungen – und verweist so auf die wichtige Rolle der Intelligenz und des Bürgertums bei der nationalsozialistischen Unterwanderung Österreichs in den 1930er-Jahren.

Die große Stunde des Vereins schlug, wie einleitend bereits geschildert, mit dem »Anschluss« im März 1938. Auf Basis der bis vor Kurzem unbekannten Mitgliederliste des Jahres 1939 wird im fünften Kapitel für mehrere Bereiche – unter anderem das Bankenwesen, die Hochschulen oder die Medizin – im Detail nachgezeichnet, wie Mitglieder des Deutschen Klubs nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten systematisch in Spitzenpositionen gelangten und dabei oftmals die Entlassungen bisheriger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus rassistischen und politischen Gründen verantworteten. Auch bei der »Arisierung« taten sich Angehörige des Vereins hervor und stellten mit ihren radikalen Plänen sogar noch die deutschen Nationalsozialisten in den Schatten.

Dennoch war der Deutsche Klub nach dem »Anschluss« von der Auflösung bedroht, da er keine reguläre NS-Parteiorganisation war. Das letztlich vergebliche Ringen um den Fortbestand des Vereins steht im Zentrum des sechsten Kapitels. Konnte das langjährige Vorstandsmitglied Seyß-Inquart gemeinsam mit weiteren einflussreichen Fürsprechern im Jahr 1938 eine Schließung noch abwenden, so setzte sich im Laufe des Jahres 1939 Reichskommissar Josef Bürckel mit seiner Absicht durch, den Verein streichen zu lassen. Ein Grund dafür waren zum einen die nicht immer der Parteilinie entsprechenden Ideen, die von den Austro-Nazis formuliert wurden. Zum anderen hatte der Verein dank der vielen Klubmitglieder in Leitungspositionen eine Machtstellung erreicht, die ihm sogar die Bezeichnung »Nebenregierung« eintrug. Ende 1939 wurde der Deutsche Klub aufgelöst, was noch ein Nachspiel hatte, für das sogar Adolf Hitler eingeschaltet wurde. An den weiteren NS-Karrieren vieler Klubmitglieder änderte diese Schließung aber wenig bis nichts.

Wie bedeutend der Verein bei der nationalsozialistischen Unterwanderung und Machtübernahme war, zeigte sich indirekt am Umgang mit führenden Klubmitgliedern in der Zeit ab dem Kriegsende 1945, die in Kapitel sieben im Zentrum steht. Etliche von ihnen standen auf den Kriegsverbrecherlisten, und in Berichten über NS-Prozesse vor dem Volksgericht wurde der Deutsche Klub unter anderem als »Sammelplatz der Hochverräter« oder als »Zentrale der Naziagitation« bezeichnet. Dennoch kamen die meisten der ehemaligen Klubmitglieder – so sie überhaupt belangt wurden – mit relativ glimpflichen Strafen davon.

1957 feierte der Klub seine Wiedererstehung, wenn auch unter einem etwas anderen Namen, wie im abschließenden Kapitel gezeigt wird. Obwohl das 1945 beschlossene und 1947 novellierte Verbotsgesetz sowie der Staatsvertrag 1955 vorsahen, »alle Spuren des Nazismus« aus dem österreichischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben zu entfernen, wurde die Gründung des »Neuen Klubs« als Nachfolgeverein des Deutschen Klubs von der Vereinsbehörde gestattet. Die drei Gründerväter des Neuen Klubs waren mit Erich Führer, Franz Hueber und Karl Anton Rohan drei Mitglieder des alten Klubs und exponierte Ex-Nationalsozialisten. Entsprechend wurde der neue Verein mit Sitz in Wien und seiner Dependance in Salzburg schnell wieder zum Treffpunkt der intellektuellen »Ehemaligen«. Gewisse ideologische Kontinuitäten halten sich im – politisch freilich bedeutungslos gewordenen – Neuen Klub bis in die jüngere Gegenwart.

1Zur ausführlichen Darstellung der Ereignisse am 11. März 1938 vgl. zuletzt Jelinek (2017), S. 238–272.

2Vgl. Mitteilungen des Deutschen Klubs (im Folgenden: MDK), März 1938, S. 3.

3Für die folgenden Schilderungen und Zitate: »Die Befreiungstage in unseren Klubräumen«, MDK, März 1938, S. 2f.

4Gemeint war vermutlich der Deutsche Kurzwellensender, das Auslandsrundfunkprogramm des »Dritten Reiches«.

5Vgl. Botz (2018), S. 61.

6Vgl. Lebenslauf Rudolf Pfeiffer, ÖStA/AdR, Gauakt Rudolf Pfeiffer (50.597), Blatt 14.

7Ebd.

8Für eine detaillierte Schilderung vgl. Botz ([2008] 2018), S. 61–79.

9MDK, März 1938, S. 1.

10»Die Befreiungstage in unseren Klubräumen«, MDK, März 1938, S. 3.

11»Glückwunschschreiben des Deutschen Klubs an Arthur Seyß-Inquart vom 12. März 1938«, MDK, März 1938, S. 2.

12Rosar (1971).

13Ardelt (1972) bzw. Mende (1984). In einigen Darstellungen wurde der Deutsche Klub immer wieder – wenn auch nur beiläufig – erwähnt, wie etwa in Wandruszka (1954), Ramhardter (1973) oder Heer (1981).

14Stimmer (1997).

15Vgl. u. a. Budka und Jurman (2013 und 2017), Erker (2018), Huber (2017), Staudigl-Ciechowicz (2017), Taschwer (2015a und 2018).

16Erker, Huber und Taschwer (2017).

17Wandruszka (1954).

18Vgl. dazu die klassische Darstellung von Friedrich Heer (1968).

19»Herbert Haupt: ›Der ÖVP Paroli bieten‹«, Profil, 4. Juli 2018, www.profil.at/shortlist/oesterreich/herbert-haupt-oevp-paroli-10181667.

KAPITEL 1

Ein Verein im Geiste Georg Schönerers
(1908 bis 1918)

Die Gründungsgeschichte des Deutschen Klubs führt über 110 Jahre zurück an den Beginn des 20. Jahrhunderts und damit in eine völlig andere Zeit: Österreich war Teil der Habsburgermonarchie und Wien eine Weltmetropole. Gegründet wurde der Verein 1908, und das vermutlich wichtigste Ereignis dieses Jahres war in Wien das sechzigste Thronjubiläum von Kaiser Franz Joseph I., das in der Berichterstattung alles andere überstrahlte. Keine mediale Aufmerksamkeit fand hingegen eine andere Begebenheit: Anfang Februar zog ein junger Oberösterreicher nach Wien, dessen Mutter kurz zuvor gestorben war und der sich einige Monate zuvor erfolglos für ein Kunststudium an der Allgemeinen Malerschule der Wiener Kunstakademie beworben hatte. Verloren die damaligen Zeitungen über die Übersiedlung des 18-jährigen Adolf Hitler nach Wien natürlich kein Wort, so wurde über die Gründung des Deutschen Klubs wenige Tage später sehr wohl berichtet, wenn auch nicht allzu groß.

Am ausführlichsten war ein Artikel in der Neuen Freien Presse, wo mehr als eine Woche nach der konstituierenden Sitzung, die am 21. Februar 1908 stattfand, über eine »für das geistige und gesellschaftliche Leben Wiens bemerkenswerte Gründung« berichtet wurde.20 Der neue »nichtpolitische Verein Deutscher Klub« sei auf Anregung der beiden großen Altherrenverbände, der Vereinigung alter österreichischer Burschenschafter und des Kyffhäuserverbandes der wehrhaften Vereine Deutscher Studenten, ins Leben gerufen worden. Ziel des Vereins sei es, »für die gegenwärtig vollkommen zersplitterten nationalen Kreise Wiens« einen geselligen und geistigen Mittelpunkt zu bilden, wie der erste Vereinsobmann Richard Riedl verlauten ließ, der Mitglied der Wiener akademischen Burschenschaft Albia und Sekretär der Handelskammer war.

Lassen sich Gründungsdatum und Gründungsobmann des Deutschen Klubs in aller Kürze nennen, ist es für die politischen und gesellschaftlichen Kontexte der Vereinsgründung nötig, etwas weiter auszuholen. Wien befand sich in diesen Jahren in einer gewaltigen demografischen Umbruchsphase. Von 1880 bis 1910 hatte die Stadt ihre Einwohnerzahl beinahe verdoppelt und war zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit ihren etwas mehr als zwei Millionen Menschen die sechstgrößte Stadt der Welt. Dieses dramatische Wachstum erklärt sich zum einen aus der Eingemeindung der Vororte und von Floridsdorf rund um das Jahr 1900. Zum anderen waren jährlich bis zu 30.000 Menschen zugezogen, was zu sozialen Problemen führte: Während im Gründungsjahr des Deutschen Klubs die Operette in Wien mit zahlreichen Uraufführungen boomte und Gustav Klimt sein berühmtes Gemälde Der Kuss begann, zeigte sich hinter dieser glänzenden Fassade der Wiener Moderne, die von der innerstädtischen Bourgeoisie getragen war, ein ganz anderes Bild: Insbesondere die Bewohner und Bewohnerinnen der Außenbezirke wurden von sozialen Krisen gebeutelt, von Wohnungselend und Hunger.

Besonders stark nahm rund um die Jahrhundertwende der Anteil der jüdischen und tschechischen Bevölkerung in Wien zu. Lebten 1870 rund 40.000 konfessionelle Juden und Jüdinnen in Wien, was einem Anteil von 6,6 Prozent entsprach, so waren es laut Volkszählung 1910 bereits rund 175.000 Menschen, die sich zum Judentum bekannten – ein Anteil von knapp neun Prozent. Der Aufstieg von Juden ins Bürgertum und deren hoher Anteil unter den reichsten Wienern nach der Jahrhundertwende hatten die antisemitischen und antiliberalen Ressentiments insbesondere in der Reichshauptstadt rund um 1900 befördert. Laut den Auswertungen des Wirtschaftshistorikers Roman Sandgruber waren 1910 von den 929 Millionären Wiens 535 jüdischer Herkunft, also 57,6 Prozent. Sie verfügten über 66,1 Prozent der Einkommen über 100.000 Kronen.21 Nicht nur der christlichsoziale Politiker Karl Lueger, von 1897 bis 1910 Bürgermeister der Stadt Wien, wusste die Vorurteile gegenüber der jüdischen Bevölkerung zu schüren, um daraus erfolgreich politisches Kapital zu schlagen.

Noch sehr viel höher als der Anteil der jüdischen Bevölkerung war der Anteil der Menschen, die aus Böhmen zugewandert waren. Zwar gaben bei der Volkszählung im Jahr 1910 nur rund 100.000 Personen an, Tschechisch als Umgangssprache zu verwenden. Doch deren tatsächliche Zahl wurde auf fast 500.000 geschätzt. Damit war Wien noch vor Prag die Stadt mit den meisten tschechischen Bewohnern und Bewohnerinnen. Das kam um 1900 auch in einem damals beliebten Vers zum Ausdruck, dessen erste Hälfte einer populären Polka von Johann Strauß Sohn entlehnt war: »’S gibt nur a Kaiserstadt, / ’s gibt nur a Wien, / die Wiener san draußen / die Böhm, die san drin.« Insbesondere jene Zugewanderten, die als »Ziegelbehm« bei der Errichtung der Ringstraße und weiteren Bauprojekten unter Bürgermeister Lueger tätig waren, sahen sich einem besonders starken Assimilationsdruck ausgesetzt und sprachen in zweiter und dritter Generation oft nur noch Deutsch.22

Diese demografischen Entwicklungen in Wien verstärkten neben den antisemitischen Ressentiments aber auch nationalistische Spannungen, die aufgrund der fortschreitenden Emanzipation der nicht deutschen Nationalitäten der Monarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Luft lagen. Die verstärkten Bemühungen um nationale Selbstbestimmung führten zu Gegenreaktionen der nationalistischen deutschsprachigen Eliten: Es kam bereits Ende der 1870er-Jahre zur Gründung der Deutschnationalen Bewegung, von deutschnationalen Burschenschaften und anderen Vereinen, die für eine Stärkung des deutschen Charakters der Monarchie eintraten. Die Deutschnationale Bewegung gab 1882 in ihrem Linzer Programm, das auf Georg Schönerer und die späteren Sozialdemokraten Victor Adler und Engelbert Pernerstorfer zurückging, die Parole »nicht liberal, nicht klerikal, sondern national« aus. Im Laufe der 1880er-Jahre wandte sich ihr Anführer Schönerer immer mehr von sozialreformerischen Ideen ab und immer vehementer gegen das Judentum. Schönerers radikaler Antisemitismus wurde dabei – anders als jener seiner katholischen Widersacher – nicht religiös, sondern rassistisch begründet: »Die Religion ist einerlei / im Blute liegt die Schweinerei« war einer der antisemitischen Wahlsprüche der Bewegung, ein anderer: »Ohne Juda, ohne Rom / wird gebaut Germaniens Dom«.

Als die radikale antisemitische Hetze in Taten umschlug, führte das zu einem Knick in Schönerers politischer Karriere: Gemeinsam mit Gesinnungsgenossen überfiel er 1888 die Redaktion des Neuen Wiener Tagblatts, das vom jüdischen Verleger Moritz Szeps herausgegeben wurde, dem Vater der berühmten Salonière und Journalistin Berta Zuckerkandl. Dieser erste Akt des rechten antisemitischen Terrors in Österreich trug Schönerer eine Verurteilung ein: Er verlor seinen Adelstitel und für fünf Jahre sein Abgeordnetenmandat.

In den 1890er-Jahren feierte er ein politisches Comeback, das er nicht zuletzt der sogenannten Badeni-Krise im Jahr 1897 verdankte, die der aus Galizien stammende Ministerpräsident Kasimir Felix Badeni durch seine Sprachenverordnung verursacht hatte. Die neuen Bestimmungen sahen im Wesentlichen eine zweisprachige Amtsführung in Böhmen und Mähren vor – und zwar auch in jenen Gebieten, wo mehrheitlich Deutsch gesprochen wurde. Dieser Vorstoß führte prompt zu heftigsten Demonstrationen und Ausschreitungen, die an den Hochschulen besonders dramatische Formen annahmen und eine veritable Staatskrise in der k. u. k. Monarchie auslösten. Im Parlament wurden die Proteste von Vertretern der deutschnationalen Parteien angeführt, die sich um Georg Schönerer zur sogenannten Alldeutschen Vereinigung zusammengeschlossen hatten, der auf diese Weise für einige Jahre wieder die Führungsrolle in der deutsch-nationalen Bewegung übernehmen konnte. Im Laufe der Auseinandersetzungen tat sich noch eine weitere Frontlinie auf: die zwischen den deutschnationalen und den katholischen Kräften. Da die österreichische Katholische Volkspartei und etliche tschechische Geistliche Badenis Verordnung unterstützten, forderten Schönerer und seine Gesinnungsgenossen zum Austritt aus der katholischen Kirche auf, was zur sogenannten »Los-von-Rom-Bewegung« führte.

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Zeitgenössische Karikatur, die Georg Schönerer im Kreise seiner Jünger zeigt. Der Anführer der Deutschnationalen und seine Anhänger galten als dem Alkohol zugeneigt und waren berüchtigt für ihre Umgangsformen.

Viele Angehörige und Sympathisanten der Alldeutschen Bewegung waren – wie Schönerer selbst – Mitglieder deutschnationaler Burschenschaften, die mit dem wachsenden Anteil von jüdischen Studierenden und Lehrkräften an den Hochschulen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ihre deutschliberalen Positionen einem immer prononcierteren Nationalismus und vor allem Antisemitismus opferten. Zu ersten Ausschreitungen dieser Art kam es im Jahr 1875 nach Äußerungen des renommierten Chirurgen Theodor Billroth, der von einer unüberwindbaren »Kluft zwischen rein deutschem und rein jüdischem Blut« sprach und damit erstmals einem biologistisch begründeten Antisemitismus das Wort redete. Der aus Deutschland stammende und deutschnational eingestellte Mediziner polemisierte vor allem gegen die zugewanderten jüdischen Medizinstudenten aus den östlichen Kronländern der Monarchie und forderte ganz allgemein einen Numerus clausus für jüdische Studierende. Unterstützung erhielt er von deutschnationalen Studierenden und Burschenschaften, die für gewaltsame Übergriffe sorgten.23 In den nächsten Jahren etablierte sich nicht nur die Bezeichnung »Antisemitismus« als Sammelbegriff für Judenhass in Wort und Tat. Parallel dazu begannen deutschnationale Burschenschaften, Juden aus rassistischen Gründen von der Mitgliedschaft auszuschließen.

Den Anfang machte 1878 die Wiener Burschenschaft Libertas, die als erste österreichische studentische Korporation den Arierparagrafen in ihren Statuten verankerte. Etliche weitere schlagende deutschnationale Burschenschaften wie etwa die Albia Wien, der Klubgründer Richard Riedl angehörte, folgten bis zum Sommer 1883. Auf diese Weise wurde die Bezeichnung »Burschenschaft« zunächst auf Wiener Boden, bald aber für ganz Österreich der Inbegriff einer deutsch-völkischen, also nationalen und antisemitischen Korporation.24 Als Reaktion kam es umgekehrt zur Gründung von jüdischen Studentenverbindungen wie etwa der Kadimah. Der Antisemitismus der Burschenschaften wurde dadurch noch verstärkt und fand 1896 im sogenannten Waidhofener Prinzip seinen formellen Niederschlag: Burschenschaften, aber auch wehrhafte Vereine und andere deutsch-völkische Verbindungen, die sich zu diesem Beschluss bekannten, betrachteten Juden als nicht satisfaktionsfähig und schlossen sie von der Austragung von Duellen mit dem Säbel aus.

In dieser Zeit gehörten die von Korporationsmitgliedern verursachten Krawalle auf universitärem Boden – an der Universität Wien insbesondere im Arkadenhof – bereits zum Hochschulalltag. Wie es dabei zuging, schilderte der Schriftsteller Stefan Zweig, der von 1899 bis 1904 an der Universität Wien studierte, in seinem Erinnerungsbuch »Die Welt von gestern«:

»Was für den Nationalsozialismus die SA-Männer leisteten, […] besorgten für die Deutschnationalen die Corpsstudenten, die unter dem Schutz der akademischen Immunität einen Prügelterror ohnegleichen etablierten und bei jeder politischen Aktion auf Ruf und Pfiff militärisch organisiert aufmarschierten. Zu sogenannten ›Burschenschaften‹ gruppiert, zerschmissenen Gesichts, versoffen und brutal, beherrschten sie die Aula, weil sie nicht wie die andern bloß Bänder und Mützen trugen, sondern mit harten, schweren Stöcken bewehrt waren; unablässig provozierend, hieben sie bald auf die slawischen, bald auf die jüdischen, die katholischen, die italienischen Studenten ein und trieben die Wehrlosen aus der Universität. Bei jedem ›Bummel‹ (so hieß jener Samstag der Studentenparade) floß Blut.«25

Die Gewalt der deutschnationalen Korporierten um das Jahr 1900 richtete sich also nicht nur gegen jüdische, sondern auch gegen »nicht deutsche« Studierende sowie katholische Couleurstudenten, ganz im Sinne der »Los-von-Rom-Bewegung«. Der Konflikt zwischen den Katholiken und den areligiösen Deutschnationalen wurde als »Akademischer Kulturkampf« bekannt und erlebte in Österreich Anfang 1908 mit der sogenannten Wahrmund-Affäre ihren Höhepunkt: Der an der Universität Innsbruck tätige Jurist Ludwig Wahrmund hatte sich Anfang 1908 für eine Zurückdrängung des katholischen Einflusses an den Hochschulen ausgesprochen, was zu heftigen Auseinandersetzungen an mehreren Universitäten und zur Versetzung Wahrmunds führte.

Abgesehen von den ideologischen Differenzen zwischen den um Vormacht streitenden katholischen und deutschnationalen Verbindungen gab es den von Stefan Zweig angesprochenen Unterschied im Gebrauch von Waffen, der bis heute andauert: Während »vollwertige« Mitglieder der deutschnationalen schlagenden Studentenverbindungen Mensuren fechten müssen, die mit Schnittwunden im Gesicht enden können, sind solche martialischen Prüfungen bei katholisch Korporierten tabu. Anfang des 20. Jahrhunderts herrschte in dieser Frage auch zwischen den beiden großen Verbänden der deutsch-völkischen Korporationen eine tiefe Meinungsverschiedenheit: Während die im Verband alter Burschenschafter Österreichs zusammengeschlossenen Korporationen Fechtkämpfe zwischen zwei männlichen Mitgliedern mit scharfen Waffen vorsahen und an dieser Tradition bis heute festhalten, wurden und werden solche Mensuren von den wehrhaften, aber nicht schlagenden Vereinen des Kyffhäuserverbands abgelehnt – und damit sind wir wieder zurück bei der Gründungsgeschichte des Deutschen Klubs.

Denn um diese beiden deutschnationalen studentischen Dachorganisationen in Österreich trotz dieser Meinungsverschiedenheit wieder zu einen, begann man auf Vermittlung des neutralen Burschenschafters Adolf Kofend mit Verhandlungen. Kofend war Mitglied der Teutonia Prag (heute: Teutonia Prag zu Würzburg), die mit der Albia Wien und der Arminia Graz seit 1887 das sogenannte Schwarz-Rot-Goldene Kartell bildet. Ende 1907 einigte man sich darauf, einen »nationalen Verein« zu gründen, der Deutscher Klub heißen und als neutraler Boden dienen sollte. Dieser Name hatte bereits einige Tradition. So war auch schon ein deutschnationaler Verein in Linz genannt worden, der seine Blütezeit in den 1880er-Jahren hatte. Der neue Deutsche Klub in Wien ging weit über eine reine Dachorganisation zweier Verbände deutschnationaler Studentenverbindungen hinaus: Er sollte »einen Sammelpunkt aller übrigen deutschnationalen Männer Wiens bilden«, wie es in einem Zeitungsbericht noch vor der offiziellen Gründung hieß.26

Zwar repräsentierte der Deutsche Klub offiziell keine politische Partei und war zumindest laut Statut kein politischer Verein. De facto aber gehörten ihm Mitglieder aller deutschnationalen Parteien an, die dadurch in ihrem Zusammenhalt gestärkt werden sollten, so der Zeitungsartikel weiter: »Nach zwei Fronten sich abgrenzend – einerseits gegen die Christlichsozialen, andererseits gegen die Liberalen und Sozialdemokraten – soll er im politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und geselligen Leben Wiens das Organ bilden, das die Deutschnationalen vereint.«27 Das Verhältnis des Deutschen Klubs zum parteipolitisch zersplitterten deutschnationalen Lager und dessen parlamentarischen Vertretern war also keines der Konkurrenz, wie der Historiker Lothar Höbelt fälschlich behauptete.28 Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Verein eine Art einigende außerparlamentarische Plattform darstellte, die von Beginn an meist den radikaleren Positionen im deutschnationalen Spektrum zuneigte.

Die Satzungen des Deutschen Klubs mussten dem damaligen Vereinsgesetz Genüge tun und verschleierten daher die politischen Absichten des Vereins. So hieß es unter Paragraf 1 etwas vage: »Der ›Deutsche Klub‹ ist ein nicht-politischer Verein und hat seinen Sitz in Wien. Sein Zweck ist die Pflege des deutschen Volkstums und die Schaffung eines gesellschaftlichen und geistigen Mittelpunktes für seine Mitglieder.«2930