Mein Dank geht an Peter Windsheimer für das Design des Titelbildes. Des Weiteren an Ariane und Michael Sauter.

Für Schäden, die durch falsches Herangehen an die Übungen an Körper, Seele und Geist entstehen könnten, übernehmen Verlag und Autor keine Haftung.

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung:

Lao-tze, geboren 604 vor der christlichen Zeitrechnung, war ein berühmter chinesischer Philosoph, oder vielmehr Theosoph, d. h. ein Erleuchteter bzw. Hermetiker, und seine Lehren führten in späteren Zeiten zur Bildung eines Religionssystems, welches heutzutage unter den besseren Klassen in China weit verbreitet ist.

Tao (ähnlich wie theos) bedeutet soviel wie „das Wort“ (Logos) oder „der Weg“; Teh: Die Wahrheit oder das Gesetz; King: „Der Himmel“ oder „das Licht“. Tao Teh King ist somit der Weg zur Erkenntnis der Wahrheit.

Ein Werk wie das Tao-Teh-King ohne einen erklärenden Kommentar wiederzugeben, würde deshalb nur wenig Wert haben, weil sich nur wenige Leser die Mühe machen würden, die einzelnen Paragraphen dem zu ihrem Verständnisse nötigen Studium zu unterziehen. Bücher wie die „Bhagavad Gita“, „Tao-Teh-King“ oder die „Bibel“ bieten hinreichenden Stoff zur Forschung und Betrachtung für das längste menschliche Leben. Die beigefügten Betrachtungen, welche die Anschauungen des Verfassers enthalten, sollen weder als vollständig noch als unfehlbar gelten, noch soll damit der Intuition des Lesenden vorgegriffen werden; trotzdem werden sie manchem denkenden Leser willkommen sein.

I.

Der Pfad, von dem man sprechen kann, ist nicht der ewige Pfad.1

Die Eigenschaft, welche man nennen kann, ist nicht seine wirkliche Eigenschaft.2

Dasjenige, was war, ehe Himmel und Erde da waren, wird das „Nichtdaseiende“ (das nichtoffenbare Sein) genannt. Das Dasein ist die Mutter aller Dinge.3

Nichtdasein und Dasein sind in allem, die Namen ausgenommen, dasselbe.4 Diese Identität scheinbarer Gegensätze bezeichne ich als den Urgrund, die große Tiefe, das offene Tor der Verwirrung.5

Kommentar zu I:

 

1. Der ewige vierpolige Pfad ist unbeschreiblich, man muss ihn selbst gehen, um ihn zu kennen. Jeder Mensch ist sich selbst der Pfad. Wenn er sich selbst in Wahrheit findet, so hat er den Pfad gefunden. Die Theorie allein ist noch keine Erfahrung und verschafft keine wahre Erkenntnis. Die Landkarte zeigt die Richtung des Weges, ist aber nicht der Weg selbst. Die geistige Erkenntnis kann nicht durch Worte beschrieben, sondern nur durch ein geistiges Erwachen erlangt werden.

2. Wenn wir der absoluten Gottheit Eigenschaften zuschreiben, so bezeichnen wir damit nur die Vorstellungen, welche wir uns von ihren Beziehungen zu uns machen. Das Absolute, die Gotteseigenschaften, ist über alles Denken und Vorstellen erhaben und kann nicht beschrieben werden. Das Unvergleichliche kann mit nichts verglichen werden, und es gibt deshalb auch keine Bezeichnungen dafür.

3. Im ewigen Sein sind alle Dinge ungesehen (geistig) enthalten. Dann folgt die Offenbarung, wodurch sie ins Dasein kommen. (Bhagavad Gita, 11, 28.)

4. Die ewige Einheit verändert sich nicht, indem die Dinge in ihr in die Erscheinung treten oder offenbar werden, und jedem offenbaren Dinge liegt die ewige nicht offenbare Einheit zu Grunde.

5. Das Absolute, Akasha, kann nicht erkannt werden, weil es zu nichts, das es erkennen könnte, in Beziehungen steht. Die Verwirrung aber entsteht dadurch, dass der beschränkte Verstand die ewige Einheit des Wesens in allem Dasein nicht erkennt. Wo kein Gegensatz ist, da ist auch keine Unterscheidung. Der Gegensatz liegt aber bloß in den Eigenschaften und nicht im Wesen selbst. Dieses alleinige Wesen wird Tao (=Akasha) genannt.

II.

Wenn die Welt von der Schönheit spricht und sagt, dass sie schön sei, so erklärt es sich von selbst, was unter „Hässlichkeit“ zu verstehen ist.

Wenn man sieht, dass das Gute gut ist, so ist auch schon das Böse erkannt. Auf dieselbe Art bedingt sich gegenseitig die Erkenntnis von Sein und Nichtsein, so wie das Schwere und das Leichte, das Ferne und das Nahe, Plus und Minus des Seelenspiegels, hoch und niedrig, schrill und dumpf, voran und hintendrein.6

Der Weise beschäftigt sich deshalb nur mit demjenigen, das ohne Vorurteil ist.7

Er lehrt ohne Worte zu machen; er wirkt ohne Anstrengung; er schafft ohne zu besitzen; er handelt ohne Rücksicht auf den Genuss des Erfolges; er macht seine Werke vollkommen, ohne sich dabei ein Verdienst zuzuschreiben, und da er nichts für sich in Anspruch nimmt, so kann er auch niemals etwas verlieren.8

Kommentar zur II:

 

6. Wer das Dasein in Wirklichkeit erkennt, der weiß auch, was das Nichtsein ist, weil er über dem Dasein erhaben sein muss, um es zu erkennen, und wer sich im Ewigen erkennt, der erkennt auch das vergängliche Dasein als das, was es in Wirklichkeit ist.

7. D. h. er sieht auf den Grund der Dinge und lässt sich nicht durch die denselben anhängenden veränderlichen Eigenschaften täuschen.

8. In einem geistig selbstbewussten und mit freiem Willen begabten Menschen ist der Geist das Wirkende und Handelnde, ein solcher Mensch handelt nicht von dem Standpunkte des Selbstwahnes, sondern als ein bewusstes und erkennendes Werkzeug des in ihm und durch seine Kraft wirkenden Geistes der Weisheit. (Bhagavad Gita, XIV.)

III.

Wenn Auszeichnungen unter den Leuten wegen ihrer Verdienste vermieden werden, so vermeidet man dadurch die Eifersucht.9

Wenn man auf seltene Dinge keinen Wert legt, so wird der Diebstahl vermieden.10

Wer nicht nach sinnlichen Dingen strebt, behält seinen Seelenfrieden.

So herrscht der Weise, indem er sein Herz von Begierden befreit und den Ansprüchen des Magens genügt. Er lässt seine Muskeln ruhen und stärkt seine Knochen; er behütet die Welt vor der Kenntnis des Bösen und erhält sie dadurch frei von Begierden, und er hindert durch Furcht diejenigen, welche diese Kenntnis des Bösen besitzen, daran, dieselbe auszuüben.11

Er handelt durch Nichthandeln und regiert dadurch alles.12

Kommentar zu III:

 

9. Wer sich nicht einbildet, besser als ein anderer zu sein, und in jedem Menschen das wahre göttliche Wesen von der Illusion der Persönlichkeit zu unterscheiden versteht, dem sind alle gleichwertig.

10. Niemand stiehlt etwas, das er selber als wertlos erachtet.

11. Da diese Lehren sich auf geistige Dinge beziehen, sollten sie auch im geistigen Sinne aufgefasst werden, wozu allerdings nicht jeder Bonze fähig ist. Der Weise lebt nicht, um zu essen, sondern er isst, um zu leben, und die Nahrung der Seele ist ihm wichtiger, als die des Körpers. Die „Knochen“ sind das Symbol der Kraft des Selbstbewusstseins. Die bösartigen Unwissenden werden durch ihre Unwissenheit vor sich selber beschützt, und diejenigen, welche die Macht haben, Böses zu tun, durch Furcht vor Strafe im Zaume gehalten.

12. Da er nicht aus persönlichem Willen handelt, so wirkt der göttliche Wille durch ihn.

IV.

Tao ist grenzenlos; seine Tiefe ist der Ursprung von allem, das ist.13

Es macht eckige Dinge rund, es schafft Ordnung aus Unordnung, es überschattet den Glanz, vor ihm ist alles gleichgültig.14

Ich weiß nicht, von wem es geboren wurde. Es ist älter als der Schöpfer-Gott.15

Kommentar zu IV:

 

13. Das Allbewusstsein ist so unendlich als der Raum. Aus der Tiefe des göttlichen Selbstbewusstseins entspringen die Gedanken und mit ihnen die Bilder, deren Verkörperung die Schöpfung ist.

14. Durch die Erkenntnis wird die ursprüngliche Harmonie hergestellt, welche durch die Nichterkenntnis verschwand. In Gott gibt es kein Ansehen der Person; es herrscht da kein anderer Glanz als sein eigener. Das Selbstbewusstsein erkennt nur sich selbst.

15. Die Ewigkeit ist ungeboren und ewig. In der Gott wird Gottheit geboren, wenn er zu schaffen beginnt. Der Schöpfer erschafft sich selbst. Indem er die Schöpfung ins Dasein ruft, wird er zum Schöpfer. Das quabbalistische Wort ruht in Gott, bis es sich auszusprechen beginnt; ebenso wie der Gedanke im Menschen ruht, bis er gedacht wird.

V.

Weder der Himmel, noch die Erde haben eine Vorliebe für dieses oder jenes. Für sie sind alle Personen nichts als Opferbilder.16

Der Weise kennt keine Auszeichnungen, er betrachtet alle Menschen als Dinge, die zu einem heiligen Zwecke da sind.17

Der Himmelsraum ist wie ein Blasebalg; obgleich er nichts Festes enthält, so fällt er doch nicht in sich selbst zusammen, und je mehr er in Bewegung gesetzt wird, um so mehr bringt er hervor.18

Der aufgeblasene Mensch ist bald erschöpft.19

Es gibt nichts besseres als die Selbstbeherrschung.20

Kommentar zu V

 

16. Die Lebenserscheinungen im Universum sind nicht Selbstzweck. Sie sind nur zum Zwecke der Erlangung der Selbsterkenntnis des Geistes vorhanden.

17. Er liebt nicht die Menschen, sondern die Menschheit in ihnen, in welcher die Gottheit offenbar werden soll.

18. Was aus der Tiefe des göttlichen Selbstbewusstseins entspringt, ist unerschöpflich und hat Gehalt.

19. Der aufgeblasene Mensch hat keinen eigenen Gehalt. Bloß angelernter Kram ist bald erschöpft.

20. Unter „Selbstbeherrschung“ ist nicht zu verstehen, dass man nur diesen oder jenen Wunsch zu beherrschen versteht, sondern wer völlige Selbstbeherrschung besitzt, ist Herr über alle seine Gedanken und über seine ganze vierpolige Natur und damit auch Herr über alles, dessen er sich bewusst ist.

VI.

Wie der Fluss im Tale, so versiegt auch der Geist nie.21

Ich nenne es die mütterliche Tiefe.

Die Bewegung der mütterlichen Tiefe nenne ich den Ursprung von Himmel und Erde.22

Es dauert ewig und bewegt sich in sich selbst.23

Kommentar zu VI:

 

21. Das wahre Geistesbewusstsein versiegt nie, ob auch der Körper schläft oder wacht.

22. Aus der unergründlichen Tiefe des göttlichen Selbstbewusstseins erhebt sich die Welt der Gedanken.

23. Es wird nicht von außen bewegt; es ist selbst das Gesetz und lebt aus eigener, ihm innewohnender Kraft. Es ist die schöpferische Kraft, welche den Mikrokosmos und Makrokosmos bewegt, die „unbefleckte Jungfrau“, welche in einem fort Gott gebiert und dazu keinen äußerlichen „Gatten“ nötig hat.

VII.

Sowohl der Himmel als auch die Erde sind von langer Dauer.24

Das, was ihnen lange Dauer verleiht, ist ihre Gleichgültigkeit für langes Leben. Dies ist der Grund ihres Bestehens.25

So ist auch der Weise, dem sein eigenes Selbst gleichgültig ist, dem ungeachtet der Größte unter den Menschen. Obgleich er nicht für sich sorgt, wird er dennoch erhalten.26

Da er der Selbstloseste ist, so ist er am meisten beschützt.27

Kommentar zu VII:

 

24. Die Zeitdauer einer Weltperiode (Kalpa) nach der Berechnung der Inder ist 4.320.000.000 Jahre.

25. Die Begierde ist wie ein verzehrendes Feuer.

26. Er lebt erhaben über sich selbst.

27. Durch die Erhabenheit über das eigene Selbst ist er auch über alles erhaben, das dieses Selbst berührt.

VIII.

Die größte Tugend ist wie Wasser.

Wasser ist für alle Dinge gut.

Es dringt leicht in die unzugänglichsten Orte ein.

Deshalb ist es wie Tao.

Es hat die Tugend, seine Stelle auszufüllen.

Es ist tauglich wie das Herz, weil es tief ist.

Es hat die Tugend des Wohlwollens, indem es sich selbst gibt.

Es ist tauglich wie die Sprache, denn es ist wahrhaftig.

Es hat die Tugend der Regierung, indem es reinigt.

Es hat die Tugend eines Dieners in seiner Geschicklichkeit.

Es ist tauglich wie die Handlung zur rechten Zeit.

Und da es nicht streitet, so hat es keine Feinde.28

Kommentar zu VIII:

 

28. Die „Tugend“ eines Dinges besteht in seiner Tauglichkeit, den Zweck zu erfüllen, für den es bestimmt ist.

IX.

Es ist ratsam, das beständige Streben nach Reichtum aufzugeben.29