Titelangaben


Sigmund Freud

 


Zeitgemäßes über Krieg und Tod


 

Warum Krieg?





Francisco de Goya, Guerra (Ausschnitt, ca. 1815)







 







Sigmund Freud


Sigmund Freud wurde am 6. Mai 1856 in Freiberg (Mähren) als Sohn eines jüdischen Wollhändlers geboren.

 

1860 zog die Familie nach Wien. Dort besuchte Freud das Gymnasium und bestand 1873 seine Matura mit Auszeichnung. Er begann noch im selben Jahr an der Universität Wien Medizin zu studieren.

 

Von 1876 bis 1882 arbeitete er im physiologischen Labor von Ernst Wilhelm Ritter von Brücke und beschäftigte sich mit hirnanatomischen Untersuchungen. 1879 absolvierte er einen einjährigen Militärdienst. Freud  promovierte 1881 mit dem Thema „Über das Rückenmark niederer Fischarten“ zum Doktor der Medizin.

 

1882 bis 1885 arbeitete er am Wiener Allgemeinen Krankenhaus auf dem Gebiet der Neurophysiologie und untersuchte die pharmakologischen Effekte des Kokains. Nach seiner Habilitation (1885) forschte und lehrte Freud als Privatdozent für Neuropathologie an der Universität Wien. 1886 heiratete er, ließ sich als Arzt nieder und beschäftigte sich mit Hypnosetechnik und Problemen der Hysterie. Freud leitete zudem bis 1897 die neurologische Abteilung im Ersten Öffentlichen Kinder-Krankeninstitut.

 

1900 erschien seine Abhandlung „Die Traumdeutung“, in der er die Grundbegriffe der Psychoanalyse entwickelte. Mit dieser Behandlungsform, die vor allem auf freien Assoziationen der Patienten und der Traumdeutung beruhte, versuchte Freud, den Einfluss des Unbewussten auf den Menschen zu verstehen und seelische Krankheiten zu behandeln.

 

Ab 1. April 1902 war Freud außerordentlicher Titularprofessor und gründete im gleichen Jahr die „Psychologische Mittwoch-Gesellschaft“, aus der 1908 die berühmte „Wiener Psychoanalytische Vereinigung“ entstand, der zum Beispiel Alfred Adler, Wilhelm Stekel und Carl Gustav Jung angehörten.

 

Seine bekanntesten Werke stammen aus den 1920er Jahren: „Jenseits des Lustprinzips“ (1920), „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ (1921), „Das Ich und das Es“ (1923), „Die Zukunft einer Illusion“ (1927) und „Das Unbehagen in der Kultur“ (1930).

 

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 wurden Freuds Schriften verboten und fielen Bücherverbrennungen zum Opfer. 1935 wurde Freud zum Ehrenmitglied der British Royal Society of Medicine ernannt. 1938 wanderte er nach Großbritannien aus.

 

Sigmund Freud starb am 23. September 1939 in London.

 






„Eine sichere Verhütung der Kriege ist nur möglich, wenn ...“



„Eine sichere Verhütung der Kriege ist nur möglich, wenn sich die Menschen zur Einsetzung einer Zentralgewalt einigen, welcher der Richtspruch in allen Interessenkonflikten übertragen wird. Hier sind offenbar zwei Forderungen vereinigt, dass eine solche übergeordnete Instanz geschaffen und dass ihr die erforderliche Macht gegeben werde. Das eine allein würde nicht nützen.“

 

(Aus: Warum Krieg?)

 






 


Was Sie über diese Texte wissen sollten


In seinen Aufsätzen „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“ (1915) und „Warum Krieg?“ (1933) behandelt Sigmund Freud die Frage, wie sich die Entstehung von Kriegen erklären und ob sie sich grundsätzlich vermeiden lassen. Der historische Hintergrund beider Texte ist der Erste Weltkrieg und die späteren Bemühungen, einen erneuten Konflikt durch die Schaffung des Völkerbunds zu vermeiden. Grundlage seiner Überlegungen zum Krieg ist ein Menschenbild, das den Menschen – ebenso wie alle höher entwickelten Lebewesen – vor allem als Triebwesen definiert.

 

Nach Freuds Vorstellung sind auch spezifisch menschliche Eigenschaften wie das „Bewusstsein“, also etwa der Verstand oder das Gewissen – wenn auch auf eine äußerst komplexe Weise – letztlich aus dem Triebleben entstanden und werden ständig durch dasselbe beeinflusst. Nach Freud lässt sich also eine „Autonomie“ des Verstandes oder dessen Ableitung aus einem transzendenten Prinzip nicht – weder in erkenntnisbezogener noch in normativer Hinsicht – aufrechterhalten. Nicht die vorurteilsfreie Abwägung oder ein freier Willen, sondern das Unbewusste bestimmt letztlich die menschlichen Urteile und Handlungen.

 

Diese Dekonstruktion der besonderen Rolle des Subjektes hat Freud selbst in eine Reihe mit anderen sogenannten „Menschheitskränkungen“ gestellt, die sich nach seiner Auffassung aus einer wissenschaftlichen Welterklärung ergeben. So beschreibt er bereits in seiner Arbeit „Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse“ (1917) drei zentrale Bruchstellen, die die menschliche Selbstverliebtheit erschüttert hätten.

 

So habe zunächst Kopernikus im 16. Jahrhundert die Vorstellung zerstört, die Erde – und damit die Menschheit – stehe im Mittelpunkt des Universums. Danach habe Charles Darwin im 19. Jahrhundert durch seine Theorie über die Entwicklung der Lebewesen den Menschen untrennbar mit dem Tierreich verknüpft und schließlich hätten seine eigenen Untersuchungen gezeigt, dass sich ein Großteil der menschlichen Psyche der Kontrolle durch das Bewusstsein entziehe. Den Menschen primär als „Vernunftwesen“ zu betrachten, wird damit obsolet. Auch wenn heute im Allgemeinen der wissenschaftliche Charakter der Psychoanalyse – vor allem wegen einer mangelnden empirischen Überprüfbarkeit ihrer Annahmen – bestritten wird, haben Freuds Thesen die Grundlinien des modernen Denkens maßgeblich bestimmt. Zugleich stehen sie in engem Zusammenhang zur ideologiekritischen Tradition von Feuerbach und Marx, bei denen sich etwa die vermeintlich objektiv argumentierende Rationalität aus nichtrationalen Herrschaftsinteressen ableiten lässt.

 

Ist also jede Hoffnung auf eine universelle Vernunft, die Grundlage für den Frieden sein könnte, letztlich vergeblich? Zumindest hat die folgende Frage, die Freud in „Das Unbehagen in der Kultur“ stellt, seit nahezu 100 Jahren nichts von ihrer Aktualität eingebüßt: „Die Schicksalsfrage der Menschenart scheint mir zu sein, ob und in welchem Maße es ihrer Kulturentwicklung gelingen wird, der Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zu werden.“

 

Diese Aufgabe mit volkserzieherischen Ansätzen und einem ethischen Rigorismus zu lösen, ist nach Freud kaum möglich. Denn: „In Wirklichkeit gibt es keine ‚Ausrottung‘ des Bösen. Die psychologische – im strengeren Sinne die psychoanalytische – Untersuchung zeigt vielmehr, dass das tiefste Wesen des Menschen in Triebregungen besteht, die elementarer Natur, bei allen Menschen gleichartig sind und auf die Befriedigung gewisser ursprünglicher Bedürfnisse zielen. Diese Triebregungen sind an sich weder gut noch böse. Wir klassifizieren sie und ihre Äußerungen in solcher Weise, je nach ihrer Beziehung zu den Bedürfnissen und Anforderungen der menschlichen Gemeinschaft.“ Zudem schreibt er: „Man darf sich auch nicht darüber verwundern, dass die Lockerung aller sittlichen Beziehungen zwischen den Großindividuen der Menschheit eine Rückwirkung auf die Sittlichkeit der Einzelnen geäußert hat, denn unser Gewissen ist nicht der unbeugsame Richter, für den die Ethiker es ausgeben, es ist in seinem Ursprünge „soziale Angst“ und nichts anderes.“

 

Erst im Aufsatz „Warum Krieg?“, 1933 veröffentlicht, beschreibt er eine – wenn auch vage und schwer umsetzbare – Lösung. Bei dieser Schrift handelt es sich um einen Brief an Albert Einstein, der sich mit der Frage nach den Ursachen des Krieges im Rahmen des Völkerbundes an unterschiedliche Wissenschaftlern seiner Zeit mit der Bitte um Beantwortung gewandt hatte. Freud schreibt: „Wenn die Bereitwilligkeit zum Krieg ein Ausfluss des Destruktionstriebs ist, so liegt es nahe, gegen sie den Gegenspieler dieses Triebes, den Eros, anzurufen. Alles, was Gefühlsbindungen unter den Menschen herstellt, muss dem Krieg entgegenwirken. Diese Bindungen können von zweierlei Art sein. Erstens Beziehungen wie zu einem Liebesobjekt, wenn auch ohne sexuelle Ziele. (...) Die andere Art von Gefühlsbindung ist die durch Identifizierung. Alles, was bedeutsame Gemeinsamkeiten unter den Menschen herstellt, ruft solche Gemeingefühle, Identifizierungen, hervor. Auf ihnen ruht zum guten Teil der Aufbau der menschlichen Gesellschaft.“ Bereits sechs Jahre später zeigte sich allerdings mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges, dass genau diese gemeinschaftlichen „Identifizierungen“ nur auf der nationalen Ebene funktionieren sollten.

 

Folgt man Freuds Vorstellungen, dann ist die Beantwortung der Frage, ob es heute starke „Gefühlsbindungen“ über nationale Grenzen hinaus gibt, entscheidend für die Aufrechterhaltung eines dauerhaften Friedens – zumindest, wenn man auf die Kraft einer kulturellen Entwicklung zum Frieden setzt. Sind hier die Bindungskräfte zu gering, bleibt nur die Hoffnung auf die praktische Politik. „Eine sichere Verhütung der Kriege ist nur möglich, wenn sich die Menschen zur Einsetzung einer Zentralgewalt einigen, welcher der Richtspruch in allen Interessenkonflikten übertragen wird. Hier sind offenbar zwei Forderungen vereinigt, dass eine solche übergeordnete Instanz geschaffen und dass ihr die erforderliche Macht gegeben werde. Das eine allein würde nicht nützen.“ Doch auch diese Lösung scheint in den letzten Jahren – nicht nur in Europa, sondern weltweit –  in immer weitere Ferne gerückt zu sein.



 

Zeitgemäßes über Krieg und Tod


I. Die Enttäuschung des Krieges

 

Von dem Wirbel dieser Kriegszeit gepackt, einseitig unterrichtet, ohne Distanz von den großen Veränderungen, die sich bereits vollzogen haben oder zu vollziehen beginnen, und ohne Witterung der sich gestaltenden Zukunft, werden wir selbst irre an der Bedeutung der Eindrücke, die sich uns aufdrängen, und an dem Werte der Urteile, die wir bilden.