American Hero

American Hero

Larry Beinhart

Übersetzt von Jürgen Bürger und Peter Torberg

Westend Verlag GmbH

Für meine Kinder James Irving und Anna Genevieve Beinhart, die das Glück haben, wie ich in einem reichen, sicheren und bedeutenden Land geboren zu sein. Hoffen wir, dass es so bleibt. Und für Gillian Farrell, meine Frau und ihre Mutter – ein außergewöhnlicher Mensch.

Danksagung

Mein Dank gilt der Bücherei von Woodstock und deren Bibliothekaren – vor allem Judy Fischetti – die mir den größten Teil der Bücher, Filme und Videos besorgt haben, die bei der Arbeit an diesem Buch immens hilfreich waren.

Die meisten Informationen beziehen wir aus stereotypen, plakativen Zeitungsartikeln und Schlagzeilen. Wann immer wir etwas besser verstehen wollen oder müssen und ein wenig ernsthafter erfassen wollen, stellen unsere Bibliotheken die ergiebigste Quelle dar. Oft genug sind sie auch unsere einzige. Und für die Allgemeinheit die einzig erschwingliche. Sie verdienen unsere Unterstützung.

Mein Dank gilt ebenfalls Lieutenant Colonel Ky L. Thompson (United States Marine Corps i. R.). der so freundlich war, das Manuskript zu lesen und meine krassesten Fehler in Bezug auf die Marines zu korrigieren.

Inhalt

Einführung

Vorwort zur Neuausgabe 2020

Vorwort zur Ausgabe 2003

AMERICAN HERO

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Propaganda

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Verschwörung

Endnoten

Dies ist ein Roman. Viele Personen des öffentlichen Lebens tauchen im Text auf. Ihre Aussagen und Handlungen, so wie sie hier dargestellt werden, entspringen der Vorstellungskraft des Autors, mit Ausnahme jener Fälle, die sich durch allgemein zugängliche Unterlagen belegen lassen.

Manche Menschen finden, Dichtung und Wahrheit seien heute schwerer auseinanderzuhalten als früher. Sie könnten unterstreichen, was in der Einleitung zu »The Heroes of Desert Storm« der Fernsehgesellschaft ABC gesagt wurde: »Dieser Film basiert auf wahren Geschichten und verbindet Dokumentaraufnahmen mit Spielszenen, an denen Schauspieler und tatsächlich Beteiligte mitwirken. Um Realismus zu erzielen, wird zwischen beiden Elementen nicht unterschieden.«

Larry Beinhart

Der Leser wird vielleicht überrascht sein, dass der Roman Fußnoten enthält. Diese Fußnoten enthalten zusätzliche Erläuterungen, Hintergrundinformationen, Quellenangaben und Reflexionen und sind ein wesentlicher Bestandteil des Romans. Nicht zuletzt diese Anmerkungen zeigen, dass »American Hero« nicht nur ein spannender Thriller ist, sondern auch ein Buch über die Rolle der Medien in der Politik, über Hollywood und den Golfkrieg.

Vorwort zur Neuausgabe 2020

Die Wahrheit zu sagen ist harte Arbeit.

Und wird schlecht bezahlt.

Und oft will sie niemand wissen.


Sich Geschichten auszudenken macht großen Spaß, Geschichten zu erzählen, vergnügt die Wirklichkeit zu zerdeppern und aus den Scherben Geschichten zu basteln, die besser sind als die Wirklichkeit, auch.

Mit so was kann man Geld verdienen.

Nicht nur für sich. So was hilft auch, die Geschichten zu präsentieren und zu verkaufen.


Wag the Dog, ursprünglich American Hero, war eine erfundene Geschichte über die erfundene Geschichte, mit der der erste Golfkrieg präsentiert und verkauft wurde.

Rückblickend werden zwei Dinge immer deutlicher.

Einerseits wurde die Sache außergewöhnlich gut umgesetzt. Ein Land war überfallen und besetzt worden. Das war ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht, und so der Auslöser für einen legalen Krieg – vom Weltsicherheitsrat bestätigt –, um die Unverletzlichkeit nationaler Grenzen deutlich zu machen. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten verjagten die irakischen Streitkräfte aus Kuwait. Bis zu diesem Punkt bewegte man sich im rechtlich abgesicherten Rahmen. Die Ordnung wurde wiederhergestellt. Die Kampfhandlungen ruhten.

Der Krieg wurde präsentiert (und darum geht es in diesem Buch) als Der Zweite Weltkrieg – Zwei – Die Miniserie. Mit Saddam Hussein als Hitler. Die Geschichte implizierte logischerweise, dass sie mit Saddams Tod enden sollte, sein Land war befreit und zu einer den Westen liebenden Demokratie geworden.

Allerdings war die einzige nennenswerte Kritik an dem Krieg die, dass er nicht genauso endete wie die Erzählung.

Der tatsächliche Erfolg des realen Krieges wurde nicht einfach nur vergessen; es war, als hätte es ihn nie gegeben.


Dann kam der Film Wag the Dog, an die Clinton-Ära entsprechend angepasst.

Bei allen Unterschieden zeigten beide, Buch wie Film, wie Wahrheit manipuliert wird. Besser machte das gar nichts.

Als dann der Zweite Golfkrieg kam, waren die Lügner noch dreister. Die Hüter der staatlichen Ordnung waren zu Dienstpersonal mutiert. Das Publikum war leichtgläubiger geworden.

Die Wirklichkeit schlug zurück. Die Vorstellungen davon, wie die Sache auszugehen hatte, führten zum Zusammenbruch und den Bürgerkriegen im Irak, dem Aufstieg des Islamischen Staats, den syrischen Bürgerkriegen und dem endlosen Krieg in Afghanistan.

Aus der Phantasie-Wirtschaft entstanden die Weltfinanzkrise von 2008 und die Große Rezession.

Wir – die wunderbare Öffentlichkeit – waren aufgewacht. Wir konnten mit Recht erwarten, dass dasselbe für die Hüter der staatlichen Ordnung gilt.


An dieser Stelle möchte ich eine Anekdote erzählen.

Vor etwa zehn Jahren war ich zu einem Dinner eingeladen. Dort geriet ich mit einem angenehmen Menschen, den ich kennenlernte, als wir beide in der Küche aushalfen, in eine recht heftige, aber freundliche, politische Diskussion. Später raunte mir jemand zu, dass er ein namhafter Richter an einem Bundesgericht sei. Er sagte: »Sie sind bestimmt einer von den Leuten, die meinen, John Yoo dürfe nicht an der Universität Berkeley lehren.«

Hier möchte ich Ihnen Das Urteil von Nürnberg (1961) ans Herz legen, einen bis heute großartigen Film über die Kriegsverbrecherprozesse. Er ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, weil die dort Angeklagten nicht zur obersten Führungsebene gehörten, keine Leute wie Adolf Eichmann und auch nicht an Massenhinrichtungen beteiligt. Es waren Richter. Hoch angesehene Menschen, die das geltende Recht ihres Landes anwendeten.

Yoo gehörte von 2001-2003 dem Justizministerium unter George W. Bush an. Während dieser Zeit verfasste er Memoranden, mit denen die Anwendung von Folter gerechtfertigt wurde. Folter ist ein Kriegsverbrechen. Er vertrat die Theorie, dass der Präsident in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der Streitkräfte über den Gesetzen, Verträgen, ja sogar über den ihm durch die Verfassung gesetzten Grenzen steht. Folglich stünde jeder, der seine Befehle ausführt, ebenfalls über dem Recht. Damit war »Ich habe nur Befehle ausgeführt« wieder als gültige Rechtfertigung installiert. Was gleichzeitig die Nürnberger Prinzipien zunichtemacht. Yoo plädierte dafür, den Grundsatz »Vor dem Gesetz sind alle gleich« durch ein dreistufiges System zu ersetzen: der Präsident und seine Apparatschiks an der Spitze; wir, die breite, ihnen unterworfene Masse und schließlich, ganz unten, diejenigen, die nach Guantanamo, Abu Ghraib und in verschiedene Black Sites geschickt werden.

Meine Antwort an meinen neuen Freund, den Richter, lautete: »Nein. Ich denke, dass Yoo lehren soll« – ich halte sehr viel von Redefreiheit – »aber ich denke ebenfalls, er sollte wegen Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden.«

Was natürlich nie geschah.

Ende September 2018 las ich in der New York Times einen Gastkommentar: Hütet euch vor einem Amtsenthebungsverfahren gegen Trump. Das könnte dem Amt des Präsidenten Schaden zufügen. Verfasser war John Yoo. Ausgewiesen wurde er als »Jura-Professor an der University of California, Berkeley, Gastdozent am American Enterprise Institute und Gaststipendiat an der Hoover Institution.« Dass er nach den Grundsätzen der Nürnberger Prozesse wegen Kriegsverbrechen hätte verurteilt werden müssen, blieb ebenso unerwähnt, wie dass er der Verfasser der Folter-Memos war.

Das meine ich, wenn ich vom Versagen der Hüter der staatlichen Ordnung spreche.


Es ist kein Geheimnis, dass diese Hüter uns im Stich gelassen haben. Dass die New York Times geholfen hat, uns den Zweiten Golfkrieg zu verkaufen. Dass keiner, der uns in Bushs Kriege gelockt beziehungsweise diese geführt hat, für ihre Fehler und das ungeheure Leid büßen musste, das sie verursacht haben. Dass buchstäblich niemand an der Wall Street für die Betrügereien und Verbrechen zur Verantwortung gezogen wurde, die uns die Katastrophe von 2008 beschert haben. Dass niemand belangt wird, wenn Wells Fargo tausendfach betrügt. Selbst wenn es immer wieder passiert. Dass die Wirtschaftswissenschaften versagt haben, und wir nun eine Austeritätspolitik in Großbritannien erleben, die Banken retten und auf die Menschen in Griechenland einen Scheiß geben; den Schwachsinn der Reaganomics-Trickle-down-Theorie verbunden mit dumpfbackigem Trump-Geheul, während die Ungleichheit in den USA immer größer wird.

Wir leben in einer Welt mit zu wenig Wahrheit und zu vieler institutionalisierter Lügen.

Das wiederum hat den Weg bereitet für Donald Trump, Boris Johnson, Viktor Orban und ihresgleichen. Wenn sie lügen, an wen wenden sich die Menschen, wenn sie Wahrheit wollen?

Der große Feind der Lügen ist die Wirklichkeit. Sie schlägt zu, sie beißt, sie bricht aus, sie vernichtet. Sie ist leider der schmerzhafteste Weg, zur Wahrheit vorzustoßen. Können wir Hüter finden, die uns zur Wahrheit führen, bevor es weh tut?

Bis dahin hat dieses Buch eine Menge Spaß zu bieten.

Vorwort zur Ausgabe 2003

Zehn Jahre später.

Bei Wag the Dog geht es um Realität als Fiktion.

Zuerst gab es einen Krieg.

Ich habe ihn im Fernsehen verfolgt. Ich sagte zu jemandem: »Das sieht ja aus wie ein Fernsehfilm.« Ich bekam nicht die Reaktion, die ich wollte, entweder ein prustendes Lachen oder ein plötzlicher Lichtblitz der Erkenntnis. Man dachte wohl, ich fände, der Film sähe aus wie eine Mini-Serie oder der Sender behandelte ihn, als wäre er einer.

Aber das meinte ich nicht. Ich meinte vielmehr, dass er für ein Publikum geschrieben und gespielt wurde, für uns, die Wähler in der vermeintlichen Demokratie von Amerika.

Um diesen Gedankengang zu erklären, habe ich dieses Buch geschrieben. Der ursprüngliche Titel lautete American Hero.

Darin wird ein Filmregisseur, einer wie Spielberg oder Lucas oder ein x-beliebiger anderer, engagiert, um den Krieg zu inszenieren, den wir als Operation Desert Storm erlebt haben. Ich behaupte nicht, dass meine Geschichte der Wahrheit entspricht. Es ist jedoch eine Fiktionalisierung der Wahrheit. Und obwohl es eine erstklassige Verschwörungsgeschichte ist – wenn man sich hinsetzt und sie vergleicht mit der Vortäuschung, die die Netzwerke als Realität präsentieren, wird man sich für diejenige entscheiden, die offiziell als Fiktion gilt.

Das ist meine Behauptung. Ich lade Sie ein, sich ein eigenes Urteil zu bilden, denn genau darum geht es bei der ganzen Geschichte.

Und dann gab es den Film.

Ich werde immer gefragt, ob mir als Autor des Romans der Film gefallen hat. Ich fand den Film super. Er ist hervorragend.

Als nächste Frage kommt dann, ob der Film das Buch wiedergibt. Die Antwort lautet, ja, der Film ist exakt wie das Buch, sie haben nur die Figuren und den Plot geändert.

Im Buch geht es um einen realen Präsidenten, George Bush, den Ersten, und einen realen Krieg, den ersten Golfkrieg, mit realen Bomben, viel Blut und toten Menschen.

Im Film geht es um einen frei erfundenen Präsidenten – von dem wir lediglich wissen, dass er eine Affäre mit einem jungen Mädchen hat, was genügt, damit jeder sofort an Bill Clinton denkt – und um einen frei erfundenen Krieg – keine Bomben, keine Kugeln, keine Leichen – nur Presseverlautbarungen und inszenierte Videoclips. Einschließlich Titelsong und Fanartikel.

Hätte der Film versucht, sich eng ans Buch zu halten, er wäre vermutlich gescheitert. Man hat filmische Entscheidungen getroffen. Eine meiner Lieblingsstellen ist die, wo Willie Nelson die Titelmusik für den Krieg komponiert; das ist eine perfekte Satire auf das damals allgegenwärtige Video zu We Are the World. Das war vollkommenes Kino, geht weit hinaus über die Möglichkeiten von Literatur.

Der Roman dagegen trifft Buch-Entscheidungen. Zum Beispiel die Fußnoten.

Zufällig liebe ich Fußnoten. In ihnen steht oft das Zeug, das nicht in ein Buch passt, der Autor aber so interessant fand, dass er es nicht einfach unter den Tisch fallen lassen wollte. Außerdem erfährt man durch sie, woher eine Information stammt. Was außerordentlich wichtig ist, um die Qualität einer Information zu beurteilen. In diesem speziellen Buch verdeutlichen die Fußnoten, wie die Erschaffung von Wirklichkeit bewerkstelligt wird, was im Grunde identisch ist mit dem Inhalt des Titelsongs von Willie Nelson.

Der Film hatte erheblich mehr Zuschauer als das Buch Leser. So ist das mit Filmen. Wag the Dog wurde international zum Inbegriff für gefakte Kriege, nur inszeniert, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Zweifellos hat er den Zynismus gesteigert und so ein höheres Bewusstsein dafür geschaffen, dass reale Ereignisse um ihrer politischen Wirkung willen erdacht und inszeniert werden.

Hat das unsere Medien wachgerüttelt und dafür gesorgt, dass ihre Fragen und Einschätzungen schärfer und pointierter werden? Hat es unsere Führer beschämt? Zögern sie jetzt, bevor sie erkennbar unwahre Behauptungen und durch nichts zu untermauernde Beschuldigungen aussprechen? Ist das Niveau unseres nationalen Diskurses gestiegen?

Die Antwort auf alle drei Fragen ist ein eindeutiges »Nein!«

In den zehn Jahren seit Erscheinen des Buchs und den sieben Jahren seit der Premiere des Films sind die Leicht- und die Gutgläubigkeit der Medien nur noch größer geworden. Der aktuelle Präsident George Bush der Jüngere bzw. der Kleinere nannte die 9/11-Terroristen »Feiglinge«. Bill Maher sagte in einer Sendung mit dem Titel Politically Incorrect: »Marschflugkörper aus 2.000 Meilen Entfernung abzuschießen ist feige. In dem Flugzeug zu bleiben, während man es in das Hochhaus krachen lässt – egal, wie man dazu steht, aber eines ist es ganz sicher nicht: Feige.« Maher wurde gefeuert, die Sendung abgesetzt. Zumindest ein Teil der Medien hätte sich empören müssen, nicht unbedingt, um Maher zu verteidigen und ihm seinen Job zurückzuholen, sondern in Verteidigung der Wahrheit, die ausgesprochen werden muss. Leider ist das nicht geschehen.

Dieses Schweigen hat allen Beteiligten ganz klar signalisiert, dass andere, viel gefährlichere Fiktionen nicht in Frage gestellt werden: »Sie hassen uns wegen unserer Freiheiten«, Saddam Hussein hatte Verbindungen zu den 9/11-Terroristen, er besaß Massenvernichtungswaffen und wenn wir abwarteten, könnte »ein Atompilz« der »finale Beweis« werden, um nur einige zu nennen. Und dass es nie und nimmer eine ernsthafte Diskussion darüber geben würde, wie ein Krieg gegen den Terror aussehen oder worin er bestehen sollte.

Zum ersten Mal seit fast zehn Jahren habe ich das Buch wieder in die Hand genommen und gelesen, um dieses Vorwort zu schreiben. Einerseits freue ich mich, dass es immer noch aktuell ist. Andererseits war ich entsetzt und ertappte mich bei der Frage, ob jemand aus der Regierung Bush es wohl gelesen und als konkrete Handlungsanleitung benutzt hat.

Bei der Arbeit am Drehbuch für GK I überlegt der Regisseur im Roman:

… erklärt dem Terrorismus den Krieg. Nicht wie bei diesem Krieg-den-Drogen-Quatsch. Richtiger Krieg, wir marschieren ein und radieren ganze Städte aus. Die Taktik der verbrannten Erde. Wenn sie sich in Libyen verstecken wollen, marschieren wir in Libyen ein. Syrien. Wo immer sie versuchen, sich zu verstecken! …

Bush, wütend und trauernd, führt die Nation – die Nationen, Plural – des Westens in einen Heiligen Kreuzzug gegen den Terrorismus. …

Die Terroristen wären Moslems. Die reaktionären Kräfte des Aberglaubens und der Unterdrückung des Ostens gegen den rationalen, moralischen, nach vorn schauenden Westen. Das sprach den atavistischen Hass an. Christen gegen Moslems! Voilà – Titel des Projektes: Die Kreuzzüge.

Zuerst war das Buch.

Dann gab es einen Krieg.

Der Krieg gegen den Terror, den Sie heute im Fernsehen sehen, macht Fiktion zur Realität.

AMERICAN HERO

Kapitel 1

Er hielt sich für einen zweiten Machiavelli. Für einen politischen Theoretiker. Den Meisterintriganten. Für den cleversten und skrupellosesten Mann des Reiches.

Und um ein Reich handelte es sich zweifellos, in vielerlei Hinsicht um das größte Reich, das die Welt je gesehen hatte, auch wenn es sich in politischen Kreisen nicht gehörte, dies auszusprechen. Auf jeden Fall übertraf es kleinere Reiche wie das der Borgias oder den Einflussbereich der Medicis und aller dieser italienischen Stadtstaaten so sehr, als würde man einen Elefanten mit einer Ameise vergleichen wollen. Dieses Reich konnte – ganz gleich was die politisch korrekte Ausdrucksweise gerade war – tatsächlich nur mit Rom verglichen werden, als Rom der Inbegriff des Reiches war.

Und er war der Königsmacher. Der König trug vielleicht keine Krone, aber er war der Erste im Lande. Armeen unterstanden seinem Kommando, er konnte Milliarden ausgeben, und er besaß die Macht, Reichtümer zu schaffen und Leben zu zerstören. Der Träumer auf dem Bett war der Mann, der den König beriet. Was tatsächlich mehr war, als der Meister Niccolò Machiavelli1 je erreicht hatte.

Obwohl er delirierte – Folge der tödlichen Krankheit, der starken Medikamente, die ebenso wirkungsvoll wie einschläfernd waren, und der Angst, schließlich stand der Tod bevor, und der Träumer wusste das – enthielten seine Gedanken nichts Unwahres. Sie waren vielleicht ein wenig zu bunt, eine kostümierte Version der Wirklichkeit, aber sie waren dennoch fundiert, zutreffend, real. Er hätte dieselben Gedanken zu Hause haben können, gesund, bei einem uramerikanischen Nationalfeiertagsbarbecue – Hühnchen und Ribs und Wassermelone, Whiskey und gut gekühltem Bier, umgeben von seiner Familie, Freunden, Speichelleckern, Günstlingen, Lobbyisten, Intriganten, Gefolgsleuten, Nachahmern, Möchtegerns, den Milliardären und Händlern der Macht – und er hätte jedes Recht dazu gehabt.

»Er schläft«, sagte die Krankenschwester leise. Sie war nicht hübsch, aber sie war sehr sauber, und sie war weiß. »Vielleicht wacht er bald auf.«

Der Besucher sah sie fragend an.

»Sie können hier warten«, sagte die Krankenschwester und deutete auf einen Stuhl neben dem Bett. »Wenn Sie möchten«, fügte sie schüchtern hinzu. Man befand sich in keinem öffentlichen Krankenhaus mit all seinen Besuchszeiten und Regeln, wo die Ärzte und selbst die kleinen Krankenschwestern den Patienten, deren Familien, Freunden oder regelmäßigen Besuchern vorschrieben, was sie wann zu tun und zu lassen hatten, und erwarteten, dass man ihnen gehorchte.

»Hat er nach mir gefragt?«, wollte der Besucher wissen.

»Ja«, sagte sie. »Er sagte, es sei wichtig. Sehr wichtig. Aber«, fügte sie schnell hinzu, »mehr hat er nicht gesagt«, so als wollte sie dem Besucher versichern, dass sie nicht mehr wusste, als sie wissen sollte.

Der Besucher überlegte. Er war ein sehr, sehr beschäftigter Mann. Sehr beschäftigt. So ziemlich der Beschäftigteste im Imperium. Also. Der Mann, der hier im Sterben lag, war ein Freund gewesen. Ein Kollege. Teil des Gewinnerteams. Der Besucher beschloss, dass er wohl zehn Minuten erübrigen konnte. Wenn der Träumer aufwachte und redete, dann hatte die Mission ihr Ziel erreicht. Wenn nicht, dann hatte er seine Pflicht getan und konnte guten Gewissens gehen.

Der Patient hieß Lee Atwater.2 Ein Hirntumor würde sein Leben beenden.

Dies war eine so perfide Ironie des Lebens, dass selbst seine Feinde es geschmacklos fanden, darüber Witze zu reißen.3 Und seine Feinde hassten ihn zutiefst. Er hatte auf brillante und vernichtende Weise mit Unterstellungen, Halbwahrheiten und politischen Verzerrungen gearbeitet, um aus den Widerwärtigkeiten der amerikanischen Gesellschaft Kapital zu schlagen, vor allen Dingen dem Rassismus.4 Rassismus war immer wirkungsvoll, aber auch gefährlich und erforderte daher das Fingerspitzengefühl eines Fachmanns. Wenn der Sterbende meinte, er allein habe George Bush 1988 zum Präsidenten gemacht, so sprach das nicht für übermäßiges Geltungsbedürfnis. Bevor Atwater seine Kampagne startete, hatte Bush in den Umfragen achtzehn Punkte zurückgelegen. Bevor Atwater jenes Medienereignis inszeniert und den Fernsehjournalisten Dan Rather so zu einem Angriff auf den damaligen Vizepräsidenten verleitet hatte, dass Bush zurückschlagen konnte, hatte George als Schlappschwanz gegolten. Ein Mann, der keinen verständlichen Satz zustande bekam, wenn er ihn nicht irgendwo ablesen konnte, ein Mann, der mit der Iran-Contra-Affäre belastet war, und so weiter und so fort, jede Menge Probleme. Mit diesem verkrüppelten Pony, mit diesem lahmen – wenn auch reinrassigen – Gaul hatte Atwater das größte Rennen der Welt gewonnen.

Die Sekunden tickten vorüber. Graue Wolken hingen vorm Fenster. Beerdigungswetter. dachte der Besucher. Noch war keine Minute vergangen, und schon war er ungeduldig. Es war dumm von ihm gewesen, sein Funktelefon nicht mit ins Krankenzimmer zu nehmen. Verdammt, es war dumm von ihm gewesen, nicht sein Telefon, ein paar Berater und ein tragbares Faxgerät mitzubringen. Wenn irgendjemand verstanden hätte, wie kostbar Zeit für einen sehr, sehr beschäftigten Mann ist, dann Lee.

Atwater hing weiter seinen Gedanken nach, träumte weiter von dem Mann, den er zum König gemacht hatte und der nach seinem Tod allein zurechtkommen musste. Obwohl Bush Präsident war und Atwater nur Berater – und noch dazu dem Tode nahe – , obwohl Bush in die Geschichte eingehen würde, während Lee froh sein konnte, wenn er mehr als eine Fußnote wurde; und obwohl Bush die Macht in Händen hielt, während Atwater nur Vorschläge machen konnte, wie sie eingesetzt werden sollte, eine Stimme von vielen in einem kakophonen Chor, hegte Atwater George gegenüber immer noch recht gönnerhafte Gefühle. Das ist normal bei politischen Beratern. Nicht anders empfinden Anwälte gegenüber ihren Mandanten. Ärzte gegenüber Patienten, Agenten gegenüber Klienten. Sie halten den Klienten für ein Produkt, das nicht in der Lage ist, selber für sich zu sorgen; das dirigiert, instruiert, umsorgt und beschützt werden muss. Wenn der Klient tut, wie ihm geheißen, dann ist er erfolgreich, kommt voran, überlebt. Wenn nicht, dann bringt er alles durcheinander, schadet sich selbst, macht dem Betreuer mehr Arbeit, ganz gleich, welchen Titel der Betreuer trägt.

Hundert verschiedene Variationen dieser Story gingen Atwater durch den Kopf, ja zum Teil rasten sie. Ein ganzes Sammelsurium von Bildern. Er war Merlin, samt Zauberstab, Mut und Umhang, für den Präsidentschafts-Artus. Cus d’Amato für Mike Tyson. Brian Epstein für die Beatles. Olivia für den Kaiser Tiberius. Seine Mission war es, den König nicht nur auf den Thron gehoben zu haben, sondern ihn auch zu beschützen – ja. selbst aus dem Grab heraus noch. Wie ein Schutzengel. Ein überirdisches Wesen. Ein Geist, der auch aus dem Grab noch Einfluss nimmt. Eine Hand, die ein Flammenschwert hält, wie der Erzengel Gabriel, und vom Himmel herunterstößt … Darin lag eine gewisse Form von Unsterblichkeit. Wenn er das tun konnte, dann war er der Durchtriebenste von allen, raffinierter noch als der Tod.

Genug, dachte der Mann auf dem Stuhl am Fenster. Ich habe meine Pflicht getan. Knapp drei Minuten waren vergangen. Er stand auf und wollte gehen.

Atwater hatte sich weder bewegt noch gesprochen. Seine Botschaft war noch immer unter Müdigkeit und Morphin vergraben. Sein Besucher stand am Bett und betrachtete den verfallenen Körper und den verbundenen Kopf. Die Kreatur, die dort lag, war einst voller übersprudelnder Vitalität gewesen, clever, tyrannisch, mit scharfem Blick und noch schärferer Zunge. Jetzt war sie von Mattheit erfüllt, die Leere hatte eingesetzt. Atwaters Hand unter dem Laken schien geballt.

Der Besucher wusste nicht, was er sagen sollte. Zu diesem Etwas, das weder sprach noch etwas sah, fielen ihm keine Worte ein. Er war nicht der Typ, der zu Menschen im Koma spricht und dann in dieser fürs Fernsehen erfundenen Redeweise sagt: »Doch, doch, er (oder sie) kann mich hören. Ich weiß es.« Egal, wozu Lee ihn herbestellt haben mochte, es musste warten. Auf die Zweite Welt, auf Himmel oder Hölle oder Washington, D. C. im Sommer, wohin auch immer tote Politiker in diesem Jahrtausend kommen mochten. Er nickte und wandte sich zum Gehen.

In Atwater erwachte der Merlin. Wie durch Zauberei durchquerte er die betäubten und schlafenden Sinne – oder vielleicht öffnete er die Passage zwischen Gefühl und Verstand. Atwater begriff, dass sein Gast da war. »Jim«, flüsterte er. »Jim.«

Die Hand auf dem Türknauf, blieb James Baker, Außenminister, stehen. Er drehte sich um. Atwater hatte die Augen immer noch geschlossen, aber er atmete tiefer, und seine Hand schien sich zu bewegen.

»Lee?«

»Aah«, ein Stöhnen, ein Grunzen, eine Aufforderung. Baker trat wieder ans Bett. Atwater schlug plötzlich die Augen auf. Der alte Falke sah ihn an. Voller List und Selbstbewusstsein. »Hör zu«, sagte er. »George …«

»George was …«

Baker hatte das Gefühl, er könne Atwaters Gedanken sehen, die sich wie Uhrwerke hinter dessen Augen drehten und ineinandergriffen. und was er zu denken schien, war: Ich brauch kein Blatt vor den Mund nehmen. Baker kann es nicht im Büro gegen mich verwenden, weil ich tot sein werde, bevor er dazu kommt – ätsch! »George«, sagte Atwater über den Präsidenten, »ist ein Schlappschwanz. Ehrgeizig, intrigant, rachsüchtig, aber trotzdem … Und er wird es vermasseln, Jim. Wenn es dazu kommt …«

»Was meinst du mit vermasseln?«

»Ich meine die Umfragen«, sagte Atwater, als sei Bakers Frage überflüssig, als gäbe es nichts anderes. »Und wenn er nichts unternimmt, auch die Wiederwahl.« Schwer vorstellbar, dass man nach Reagan, noch mal Reagan und dann Bush/Quayle, die die Opposition zermalmt hatten, die Wiederwahl nicht gewinnen würde.

»Mach dir keine Sorgen«, wiegelte Jim ab. »Wir werden uns darum kümmern. Lee.«

»Das ist mein Job. Meine Mission.« Eine Hand griff nach Baker, packte seinen Ärmel und zog ihn näher. Atwaters Atem war schlecht. Faulig stinkend. Himmelherrgott, dachte Baker, warum putzen die ihm nicht die Zähne oder lassen ihn mit Mundwasser gurgeln oder so. »Ich habe einen Plan«, sagte Atwater. Die andere Hand, die nähere, schob sich unter der Decke hervor, wo sie erkennbar geballt gewesen war. Sie hielt einen zerknitterten Umschlag. »Wenn Georgie es versaut, dann machst du den auf. Das ist eine todsichere Sache, damit gewinnt ihr hundertprozentig die Wahlen.«

»Hey, danke«, meinte Baker diplomatisch. »Ich werd’s George sagen. Er wird gerührt sein. In deinem Zustand – und du denkst an ihn.«

»Scheiß drauf«, sagte Atwater. »Mir geht es um Sieg. Denk dran, Baker. Es gibt nur zwei Dinge – Siegen und Sterben.« Er kicherte. »Zeig’s ihm jetzt noch nicht. Schau es dir nicht an. Warte …«

»Worauf?«

»Bis du in Schwierigkeiten steckst und es brauchst.«

»Ist das eine Art Zaubermünze, wie in einem Märchen oder so?«, fragte Baker.

»So ähnlich«, sagte Atwater.

»Warum darf ich es mir jetzt nicht anschauen?«

»Weil du« – Atwater holte tief Luft – »es für verrückt halten wirst. Und es wird dich erschrecken. Gleichzeitig ist die Sache aber so vernünftig und logisch, dass du gar nicht widerstehen kannst und es viel zu früh ausprobieren wirst …«

»Und dann?«

»Dann funktioniert es vielleicht nicht mehr.«

»Wie bei der Gans, die goldene Eier legt, oder den drei Wünschen der guten Fee?«

»Genau so mächtig«, sagte Atwater, der nicht ganz bei Verstand schien. Er drückte Baker den Umschlag in die Hand. Baker hatte nicht die leiseste Ahnung, worum es sich handeln konnte. »Das ist wunderbar. Der Präsident wird begeistert sein. Wenn euch erst klargeworden ist, dass es nicht verrückt ist. Ganz im Gegenteil.«