Burkhard Mangold
(um sein vierzigstes Lebensjahr herum)

Teilweise Erstveröffentlichung der Originalholzschnitte
aus den Jahren 1940 bis 1950

Mit dem einzigen Satz der vom Künstler colorierten
Handdrucke und den handschriftlichen Notizen dazu
sowie einige Varianten und Nebenthemen am Rande

Mit einer Einleitung von M.P. Steiner

INHALT

Vorentwurf (oben) und maßgerechter, wirklich ausgeführter Detail-Entwurf (unten) zu einem der neun von BM gestalteten Fenster in der Leonhardskirche Basel, anläßlich von deren Renovation im Jahr 1918:

EINLEITUNG ZUR VORLIEGENDEN AUSGABE

Im Jahr 1984 war zum ersten Mal die vollständige, operativ überprüfte und für gut befundene deutsche Übersetzung zweier der wichtigsten Alchemiewerke der Neuzeit vollendet worden: des Mysterium der Kathedralen von Fulcanelli, und des Kommentars zum ‹Mutus Liber› von Eugène Canseliet, Fulcanelli’s Jünger. Jedoch: Es erwies sich als ganz unmöglich, einen der dazu qualifizierten Verlage in Deutschland oder in der Schweiz dazu zu bewegen, diese Werke im Druck herauszugeben, die in allen europäischen Sprachen und sogar auf Japanisch längst existierten. An eine Herausgabe auf eigene Kosten war nicht zu denken; und so blieben die beiden Manuskripte liegen.

Im Jahr 1994 kontaktierte mich eine Familie, welche die lyrischen Gedichte ihrer Tante – einer breit begabten Anthroposophin – in Buchform herausgeben wollte und dazu meine ‹technische Unterstützung› wünschte. So entstand das Gedicht-Bändchen Hüpfender Brunnen, du jubelnder Quell von Elly Byland, damals noch im DOS-Format gesetzt und umbrochen, dann in gewohnter Offset-Technik gedruckt, wobei das farbige Frontispiz jeweils einzeln in jedes Bändchen eingehängt werden mußte. – Das waren noch Zeiten! - Damit jedoch ein Buch keine Waise ist, benötigt es eine ISBN-Nummer. Die bekommt aber nur ein Verlag. Also erhielt die bisherige ‹Firma› Antiquariat Oriflamme (gegründet 1984) das Suffix: und Edition. Das war die Geburtsstunde von Edition Oriflamme.

Weitere zehn Jahre vergingen, bis der voll-elektronische Druck nach Bedarf ins Buchwesen Einzug hielt. – Im Jahr 2004, erblickte die erste Druckausgabe von Mysterium der Kathedralen - nach 20-jähriger Warte- und Vorbereitungszeit – endlich das Licht der Buchwelt! Das Mutus Liber aber durfte ich bereits 1991 für einen Verlag in Amsterdam realisieren, sodaß auch diese Übersetzung (wenn auch unter fremdem Namen) ihre Bestimmung erreichte. Der besondere Wert dieser Ausgabe liegt in der Schönheit der Ausführung: Herrliches Papier für den Textteil, Kunstdruckpapier für die in Facsimile und Originalgröße reproduzierten Tafeln nach dem unschätzbaren Originaldruck, den die Bibliotheca Philosophica Hermetica in Amsterdam behütet und uns freundlicherweise zur Verfügung stellte. Von Rentabilität war auch da nicht die Rede.

Nun folgte in unregelmäßigen Abständen eine Reihe von Herausgaben mit dem Ziel, unterschiedlichste Marksteine aller spirituellem Traditionen auf ihrem Weg durch die Jahrhunderte den Liebhabern und Kennern in einer heute lesbaren Form anzubieten, versehen mit einigen Anmerkungen, die das Alte mit der zeitlosen Aktualität spiritueller Überlieferung verbinden sollen: Zeugnis für das immerwährende geistige Erbe geisteswissenschaftlicher Kenntnis, die unter dem Namen Gnosis bekannt ist. In den letzten 10 Jahren sind so über ein Dutzend Bücher erschienen.

Dieser Entwicklung möchten wir heute weniger aus Stolz als in Dankbarkeit gedenken. Der vorliegende Band als ‹Jubiläumsausgabe› erscheint daher im Gedenken an meinen Großvater Burkhard Mangold, den in der Stille spirituell aktiven Künstler, dem ich so viel verdanke: Die Vielfalt seiner Begabung, sein unermüdlicher Fleiß und seine ehrliche Eigenständigkeit im unbeirrbaren Bemühen um zeitgemäße Ausdrucksformen in allen klassischen Techniken findet man nur bei ganz wenigen Künstlern: Burkhard Mangold ist auch in schwierigen Zeiten geistig jung geblieben; leuchtendes Vorbild und klare Aufforderung an uns Heutige - ob aktive Künstler oder nicht – immer weiter zu gehen!

1. DAS KÜNSTLERISCHE WERK

ine vollständige Würdigung des riesigen Lebenswerks von Burkhard Mangold (10. September 1873 bis 17. Oktober 1950) ist in dieser wie in anderen monographischen Publikationen unmöglich.

Wohlbekannt sind viele der ca. 400 Plakate, die in der Zeit von 1898 bis 1948 – also während seiner ganzen eigentlichen Schaffensperiode - vorwiegend in seiner Heimatstadt Basel entstanden: Viele, ja die meisten davon sind unübertroffene Meisterwerke in der heute vergessenen Technik der Lithographie (Flachdruck auf speziell feinkörnigem, poliertem Kalkstein). Man bedenke, daß auch für ein Weltformat (92 x 128cm) für jeden Farbton eine gleich große Steinplatte von bis zu 10cm Dicke nötig war, die (in dieser Größe) nur mittels Kran bewegt, und dennoch auf mindestens einen Zehntel Millimeter genau eingerichtet werden mußte, sollten die bis zu 10 Farbtöne ganz genau übereinander liegen!

Wohlbekannt sind auch Mangolds viele wunderbare und so typische Glasmalereien in ihrem klaren, graphisch einfachen und dabei so lebendig ausdrucksvollen, damals modernen Stil, der ganz diesem einen Künstler eigen und nicht zu verkennen ist – vorallem, wo er menschliche Figuren darstellte; aber auch bei Ornamenten und Pflanzenmotiven – und besonders bei Menschenansammlungen. Noch vor wenigen Jahren waren – außer Kirchen - zahlreiche öffentliche Gebäude und Wirtshäuser in Basel stolze Besitzer solcher Meisterwerke; aber der rücksichtslosen Bauerei der letzten zwei Jahrzehnte in ihrem Erfolgs-Wahn mußten manche weichen. Auch heute sind einige vom Abbruch bedroht: Welche Privatwohnung könnte – welches ‹fortschrittliche› Bürogebäude wollte - eine mehrere Quadratmeter große bunte Scheibe beherbergen, worauf z.B. das bewegte Getriebe einer Brauerei, oder die in Blei gefaßte Romantik einer Altstadt-Gasse des 19. Jh. zu sehen sind?

Ziemlich bekannt sind Mangolds Façaden-Malereien – von Kirchen und Kapellen über Handelsund Wirtshäuser bis zur umfassenden Renovation aller Malereien in und am Basler Rathaus sowie an anderen öffentlichen Bauten - von Lugano über Basel bis München.

Weniger, ja fast unbekannt sind heute seine zum Teil hervorragenden Ölgemälde, auf denen förmlich der Entwicklungsgang des Künstlers mitverfolgt werden kann, wie er, vom Münchner Jugendstil Ende des 19. Jh. geprägt, über impressionistische und sogar Schwarz-Grau- Malerei zu seinem Reife-Stil fand, der für einige Basler Künstler der 40-er Jahre (und noch danach) typisch wurde.

Fast ganz vergessen sind hingegen Mangolds Kleinkunst-Werke: Hinreißende Miniaturen sind seine Ex Libris und Spielkarten (ABC, Baslerquartett) die Neujahrskarten und Kalender bis zu den so typischen ‹Basler-Helge› (Basler Bilderbogen), und endlich seine Buchillustrationen. Viele davon wurden in Lithographie gestaltet (manche davon nach Aquarellen); die meisten aber in Holzschnitt-Technik. Hier ließ Mangold sich - man kann sagen: durch zwei Felder beeinflussen: Einerseits durch die italienischen und deutschen Holzschnitt-Künstler des Buchdrucks des 16. Jahrhunderts; andererseits durch die bekannten Holzschnitt-Künstler des englischen Jugendstils (Beardsley u.A.).

Da sind die geschichtlichen Hauptwerke des Neuenburger Verlags Zahn (z.B. Treue und Ehre: Schweizer in fremden Kriegsdiensten, und: Schweizer eigener Kraft – Monographien berühmter Schweizer), deren Hauptstücke in z.T. doppelseitigen Lithographien nach Aquarell-Studien gestaltet wurden. - Neben illustrierten Monatsheften und weiteren Büchern stehen die Holzschnitte für Klassikerausgaben wie C.F. Meyer sowie – unter Anderem – für manche Werke seines Freundes, des damals bekannten Schweizer Autors historischer Novellen und Romane, Emanuel Stickelberger.

Themen aus der sakralen Literatur beschäftigten stets den so vielseitigen Künstler – vorallem (wie er selbst schreibt) das Thema von Christus am Ölberg und jenes der Bergpredigt, das er außer in Tempera und Öl (auf Karton und Leinwand) auch mehrmals in Wandmalerei umsetzte.

1945 erhielt er von der Schweizerischen Bibliophilen Gesellschaft den Auftrag zur Illustration einer Prachts-Herausgabe des Buches Jesus Sirach; ein Stück Buchkunst, das in Gegenwart des Künstlers gedruckt wurde und fast ausschließlich unter den Mitgliedern dieser Gesellschaft verteilt wurde. Ein zweites Projekt wurde offensichtlich nie realisiert: Das wäre eine illustrierte Ausgabe der Passion Jesu Christi, wozu Holzschnitte in den allerletzten Jahren seines Lebens entstanden. Diese blieben – nebst einem Titelblatt-Entwurf - als lose Bogen in seinem Nachlaß liegen.

Heute freuen wir uns deshalb, diese beiden ‹Chef-d’Oeuvres› aus der Hand von Burkhard Mangold außer seiner zahlreichen Nachkommenschaft auch der Öffentlichkeit vorzulegen, ergänzt um einige Studien und Probedrucke. – Ja, sogar ein Satz kolorierter, annotierter und z.T. signierter Handdrucke der Tafeln zu Jesus Sirach wird hier endlich veröffentlicht!

Burkhard Mangold hat sich über diese Arbeiten in seinen Lebenserinnerungen (hauptsächlich verfaßt in den Jahren 1935–1945) wie folgt geäußert:

Neben der Lithographie hat mich die Technik des Holzschnittes viel beschäftigt und angeregt: Basler Bilderbogen, Kalenderrückwände und Köpfe von Musikern - letztere für die Plakate des Basler Gesangvereins – und auch Exlibrisse und Neujahrskarten entstanden während fast drei Jahrzehnten in großer Menge. Wenig davon ist wirklich gut».

Angesichts des Mangels an guten Zeichnern heute widersprechen wir: Die Vielfalt und innere Konsistenz aller Techniken und Stilrichtungen des überreichen Werks von BM erscheinen uns eher wie ein letzter feuriger Höhepunkt freier, technisch reifer Ausdrucksform in der bildenden Kunst: ohne Manierismus und ohne kommerzielle Fesseln (zwei Kriterien, die direkt aneinander hängen), kurz vor dem Beginn der definitiven Dekadenz der bildenden Künste: Noch vor Ende des 20. Jh. legten sich manche Maler und Bildhauer auf eine ‹Masche› fest: Sie erlagen dem kommerziellen Erfolg beim Publikum und kristallisierten in einer Manier (Moor, Erni, Piatti). Viele ihrer Werke kommen darum wie in Fesseln und ohne innere Überzeugungskraft daher.

Mangold blieb nie stehen: Er war als Person ebenso beliebt, wie als Künstler und nahm bis zuletzt neue künstlerische Herausforderungen mit Elan an – auch auf und mit völlig unkonventionellen Materialien. Damit forderte er den Beschauer zu immer neuer Akzeptanz heraus. Dennoch war er nie erfolgssicher. - Im Gegenteil: In seinen Lebenserinnerungen ertönt immer wieder der Zweifel - das Bedauern, daß er nicht jene Perfektion erreicht habe, die ihm innerlich vorschwebte. Zur vorliegenden Arbeit am Buch Jesus Sirach schreibt er:

«Der lebhafte Text dieses Buches ruft eigentlich nicht gerade nach bildlichen Darstellungen, und ich habe mich auch beträchtlich mit dieser Sache geplagt, und weiß heute noch nicht, ob ich sie einigermaßen glücklich durchgeführt habe. Einzelnes mag gut sein – vielen anderen sieht man die Not und Mühe des Zeichners an.»

Und unter sein unerhörtes Lithographisches Werk (u.A. ca 400 Plakate!) zieht er 1944 den betrüblichen Schlußstrich: «… trotz der großen Übung und Erfahrung, die eine über 40 jährige Tätigkeit auf diesem Gebiete mir erwarb, ist doch wenig von bleibendem Wert dabei herausgekommen».

Wir sind heute freilich anderer Meinung und hoffen, daß doch in nicht allzu ferner Zeit B. Mangolds Werk, das an Fleiß, Können, Vielfalt und Wert die heute so beliebte und erfolgreiche Mittelmäßigkeit so hoch überragt, doch den Platz in der Kunstgeschichte erhalten möge, der ihm, entgegen seinen eigenen Zweifeln, wirklich zusteht. – Eine ausführliche Werkübersicht ist in Vorbereitung.

2. DIE TEXT-REZEPTION DES BUCHS JESUS SIRACH

ls Schrift für den Text von Jesus Sirach wurde eine Schrift verwendet, die mit jenerdes Originals von 1945 fast identisch ist: so ähnlich nämlich, daß sie größtenteils zeichengenau gleich verläuft wie jene. Auch der Text wurde so genau vom Original übernommen, wie es die Lesbarkeit für die heutigen Leser erlaubte: wortgenau; während jenes angibt, möglichst ähnlich der Sprache von 1513 zu sein, die noch so viel lebendiger, farbiger und markiger war, als das moderne, abgeflachte Neudeutsche. Die gegenwärtige ist quasi eine Facsimile-Ausgabe davon: Text und Tafeln stehen genau wie im Original von 1945, das am Schluß folgenden Vermerk trägt:

Die vorliegende Textform des Buches Jesus Sirach besorgte Pfr. E.E. Speck in Dussnang; sie wurde 1945 in einer Auflage von 631 Exemplaren für die Schweizerische Bibliophilengesellschaft durch die Berner Handpresse in Burgdorf von Emil Jenzer in Marathonschrift gedruckt. Die Nummern 1 bis 600 waren für die ordentlichen, die Nummern I bis XXXI für die lebenslänglichen Mitglieder bestimmt.

Den Buchschmuck hat Burkhard Mangold in Basel, der jeden Abzug des Buchs mit seinem Namenszug versah, entworfen und in Holz geschnitten. - Das für die vorliegende Neuausgabe benutzte Exemplar trägt die N° [563].

Weil der Redaktor zum Buch Sirach seine Sprache an die der Zwingli-Bibel von 1531 anpaßte, wurden eventuell christlich-pietistisch gefärbte Wendungen eingeführt, die nur im genauen Textvergleich festzustellen wären. Der Kommentar zum Text in der Buchausgabe von 1945 – unserer Vorlage – gibt hierzu einige Informationen, die im Folgenden zusammengefasst sind. Möglich auch, daß, angesichts des nicht-jüdischen Urtexts und einer textkritischen Bemerkung im Nachwort von 1945 der Name Sirach ganz einfach als der Syrier gelesen werden könnte. Auch wäre da die Frage, aus welcher originalen Sprachform der Name Jesus abgeleitet wurde, als dieses ‹Buch› in eine alte Fassung des jüdischchristlichen Kanons eingefügt (und dann wieder entfernt) wurde. Nach dem Griechischen ιησις – Heilung – wäre es der Heiland, nach einer griechisch-semitischen Mischform wäre an Der von der Natur des Feuers (iès-ous) zu denken… - Zwei Ausdrücke verdienen noch besondere Erwähnung:

Der Schalk – ein heute fast vergessener, hier aber sehr oft benutzter Ausdruck, bezeichnet grundsätzlich einen Spaßvogel. Das heutige Französische hat dafür den blagueur – sprachlich nur ein Witzbold, im Umgang auch ein unseriöser Schwätzer, und darum benachbart dem vorsätzlichen Betrüger. Eine weitere Merkwürdigkeit ist:

Auf Ss. → und → ist von den Ausländischen die Rede – das sind die Ibirw - Hebräer. Vor ihnen wird auf besagten Seiten gewarnt; - und doch lesen wir auf S. →:

«Schäme dich nicht, dich gegen den Bürger - ob Fremdling oder Gast - wohl zu verhalten…»

Dazu ist zu sagen, daß Fremdenfeindlichkeit nur aufgrund verstiegenen Nationalbewußtseins, Volks- oder Stammesbewußtseins möglich wird: Beides war im Orient der Antike kaum der Fall (Ausnahmen: Judah und Rom): Das ‹leibeigene Volk› (wovon der Text mehrfach spricht, und Sklaven meint) betrachtet sich als Eigentum eines Herrn oder einer Sippe – niemals als Volk, geschweige denn als Nation. Andererseits konnte es (wie heute bald wieder) Jedem geschehen – und war sogar die tägliche Norm -, daß man auf Nachbarn - oder wenn man auf Wanderschaft war, auf Fremde – angewiesen war: Aus dem Bewußtsein heraus, gelegentlich und andernorts auch selber ein ‹Fremder› zu sein, war es selbstverständlich, daß (abseits eigentlicher Feindschaft und Fehde) Fremdlinge ‹automatisch› auch Gäste waren. Die arabische und nomadische Kultur ist noch heute so, wo die ‹Zivilisation› sie noch nicht verdorben hat…

Wie dem auch sei: Das Nachwort von 1945 schreibt über den Ursprung des Buchs:

«Die Weisheit des Jesus Sirach ist eines der außerkanonischen Bücher des Alten Testaments. Lange Zeit war sie nur in einer griechischen, lateinischen und syrischen Übertragung bekannt. Erst 1896 gelang es, ungefähr drei Fünftel eines hebräischen Texts aufzufinden. Im Vorwort der griechischen Übersetzung erfahren wir, daß diese von einem Enkel des Verfassers, um 132 v. Chr. in Ägypten {im Ägypten der hermetisch-gnostisch-alexandrinischen Weisheits-Schule; - Anm. d. Hrsg.}angefertigt wurde. Der Verfasser… schrieb sein Buch wohl um 200 v. Chr.… Es steht nicht vereinzelt da, sondern als Glied einer eigentlichen, damals weit verbreiteten Literaturgattung….

«Zwischen die Sprüche und Spruchreihen sind öfters {späte, Israel-spezifische} Elogien eingeschoben. Ferner enthält die zweite Hälfte des 42. und das ganze 43. Kapitel einen Lobpreis der Schöpferherrlichkeit Gottes… Das 51. Kapitel ist ein Lobgesang im Psalmen-Stil, sicher ebenso von später Hand dem Buche beigefügt, denn die letzten Sprüche des 49. und 50. Kapitels stellen ganz deutlich die Schlußbemerkungen des Verfassers dar… - Im Schulwesen, das sich aufgrund der Anregungen und Anstrengungen der Reformatoren kräftig zu entwickeln begann, war das Werk Jesus Sirachs ein geschätzter Leitfaden für den Unterricht in Moral und Sitte. So mußten in Zürich die Schüler der mittleren Stufe («in der mittleren Stuben») neben dem Katechismus Heinrich Bullingers auch «das schöne Büchlein Jesu, des Sohnes Sirach» durch und durch kennen lernen…»

Der Herausgeber von 1945 schreibt, das Buch Jesus Sirach sei im Wesentlichen als eine Moral- und Sittenlehre gedacht gewesen. – Doch stammt das ‹Buch› aus einer Zeit, wo es noch weder Volksschulen noch Kirchen gab, und wo die Lehre von Anstand und guter Sitte dem einfachen Volk noch selbstverständlich, den Regierenden aber Pflicht war. Nur dem kaufmännischen Mittelstand – also den Reichen aus Handels- und Kriegsgeschäften – waren sie nicht mehr geläufig. – Wirklich nimmt der Text besonders oft auf diese Schicht Bezug. Doch auch der gewöhnliche Händler brauchte (über das Halten einer einfachen Buchhaltung hinaus) weder des Lesens noch des Schreibens kundig zu sein. Es ist daher angebracht, hinter den offenbar oberflächlich materiellen Anstandsregeln noch eine tiefergehende Schicht für die mit dem Universum damals noch eng verknüpften Menschen zu sehen, bzw. für Menschen, die täglich auf der ‹Straße der Weisheit› wandern, eine ‹höhere Oktave› zu erforschen; nämlich die geistige Lehre über Schöpfer, Schöpfung und Geschöpfe und deren universelle Bestimmung. Ihnen sind solche Hinweise auf das ewig zweigeteilte Spiel von Ursache und Wirkung so deutlich, wie sie Jenen verborgen bleiben, die sich allein um Geld und Gut kümmern. Einige Beispiele solcher Hinweise folgen hier; – am Leser wird es sein, sich zu freuen über diese subtile Mehrschichtigkeit des Texts ebenso, wie an manch diskretem Augenzwinkern des Künstlers in diese oder jene Richtung.

Vorallem zeigt sich beim Studium des Texts, daß er aus mehreren Quellen stammt:

Mehrere Stellen zeigen Anklänge zum späteren Koran. Andere, anerkannt spät eingefügten Teile liegen sichtlich auf der Linie des pharisäischen Judentums kurz vor der Zeitenwende - vorallem in den Kapiteln 17, 23, 24, 36, 37 und 51.: Sie pochen auf das mosaische Gesetz, sprechen von der Rache Gottes und betonen die Notwendigkeit, den Priestern, den Ärzten und dem Altar zu geben, was diese aufgrund ihrer Privilegien zugute haben; – zum Beispiel:

«Fürchte den Herren und ehre seine Priester, und gib ihnen den Teil, von den ersten Früchten und den Erträgnissen der Erde, wie es geboten ist: Gib ihnen die Schultern und bestimmte Opfer und Erstlinge… ». – Man beachte: Ihnen, nicht Ihm!!

Andere – man dürfte sagen: aufklärerische Teile weisen auf einen hellenischen Ursprung hin, z.B. indem sie kritisch den orientalischen Totenbrauch kommentieren, dem Toten Essbares auf den Mund zu legen, damit er nicht zu hungern braucht; - z.B. S. →:

«Die Güter, die auf einen geschlossenen Mund gelegt werden, sind gleich als wenn man Speise auf das Grab legt. Was ist das Opfer dem Götzen nütze? Denn er kann nicht essen; so kann er auch weder schmecken noch riechen…»