LICHTSCHLAG 46

© Natalia Lichtschlag Buchverlag Grevenbroich 2017

Alle Rechte vorbehalten.

Übersetzt ins Deutsche von Heidi Nijhof-Mühlemann

Lektorat: Ulrich Wille

Umschlaggestaltung: Martin Moczarski

Printed in Germany.

ISBN: 978-3-939562-76-4

Dies ist schon immer Weisheit gewesen, Öffentliches von
Privatem zu trennen, das Recht der Ehe zu achten, Städte zu
gründen, Gesetze in Holz zu ritzen.
Horaz, „Ars Poetica“, I., 396.

Mark Rutte, seit 2010 Regierungschef der Niederlande und seit 2006 Parteichef der Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD), mit dem niederländischen Original dieses Buches

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung
  2. Marxismus und Kulturmarxismus
  3. Ereignisse als Wurzeln des Kulturmarxismus
  4. Sozialer Atomismus
  5. Unermessliches Schwarzes Loch in der westlichen Zivilisation
  6. Kunst, Kultur und Kapital
  7. Wilhelm Reich
  8. Sexuelle Marktwissenschaft
  9. Sexueller Marxismus
  10. Europa: Auseinandersetzung über Selbstverleugnung und Fortschritt
  11. Ein episches Europa
  12. Todestrieb
  13. Nach dem Spaziergang durch das ,Museum der Gegenwart‘ Nachwort von Derk Jan Eppink

Vorwort von Thierry Baudet

Vor noch gar nicht so langer Zeit äußerte der britische Politiker Boris Johnson die Annahme, dass muslimische Terroristen allesamt ‚sexuell frustrierte Wichser‘ seien. Das würde ihr Verhalten erklären: ihre Aggression und ihren Drang, alles vernichten zu wollen. Diese Bemerkung passt zum allgemeinen Gefühl unserer Zeit, dass sexuelle Befreiung gut ist – und umgekehrt: Wer seine Triebe unterdrückt, wer also ‚sexuell frustriert‘ ist, kann sich nicht richtig entwickeln und es zu nichts bringen.

Wenige bestreiten, dass bei fundamentalistischen Muslimen vieles nicht in Ordnung ist. Es ist ziemlich sichtbar, dass sexuelle Frustration in diesen Kreisen endemisch ist. Aber besteht da auch ein ursächlicher Zusammenhang? Lange Zeit hätte man so etwas für absonderlich gehalten. Jahrhundertelang wurde allgemein angenommen, dass solche Frustration gerade der Anfang sei von Zivilisation, Schöpfungsdrang und Würde. Während der längsten Zeit unserer Geschichte wurde sexuelle Unterdrückung als Grundlage für eine Zivilisation angesehen. Das sehen wir schon bei Maria, die – just weil sie noch Jungfrau ist – das Kind Gottes gebären kann. Auch Jesus scheint in der Folge keine Triebe zu haben, denn gerade daraus erfolgt seine göttliche Abstammung und seine Kraft. Vernachlässigen wir unsere Keuschheit, so wie die dekadenten Kaiser des Römischen Reiches es taten, bricht alles in sich zusammen.

In vielen europäischen Mythen und Erzählungen kommen Versionen dieser Sitte vor. Faust schloss einen Pakt mit dem Teufel, um das anmutige Gretchen verführen zu können; Madame Bovary richtet sich selbst (und ihren Charles) durch ihre vielen Affären zugrunde; das Gralsschloss aus der Parzival-Sage wurde grau und unfruchtbar, weil König Amfortas sich hatte verführen lassen und so seine Pflicht versäumte. Zu gleicher Zeit hatten unsere Helden – die christlichen Heiligen und die frommen Ritter der Tafelrunde, die Heldinnen Penelope, Lucretia, Susanna und die Jungfrau Jeanne d‘Arc – allesamt ihre Triebe vollständig unter Kontrolle.

Gut war die Selbstbeherrschung; schlecht die Liederlichkeit. Diese Idee wurde erst kürzlich ins Wanken gebracht. Geht die freudianische Kulturtheorie noch aus von der Notwendigkeit des Unterdrückens für die ‚Umsetzung von Triebregungen in große kulturelle Schöpfung‘, lehrt Freuds Lehrling Wilhelm Reich etliche Jahrzehnte später, dass es das Unterdrücken vor allem ödipaler Triebe ist, das die patriarchalen Zusammenhänge instandhält und dem Aufblühen der freien, offenen Gesellschaft entgegenwirkt.

Kein Wunder, dass „Narziss und Goldmund“ – das ganze Werk von Hermann Hesse übrigens – von der neuen Generation so gerne und oft gelesen wurde. Kein Wunder, dass der arme Jake aus „The Sun Also Rises“, impotent aus dem Ersten Weltkrieg gekommen, als letztes Opfer der Alten Welt beweint wurde. Philip Larkin hatte ganz einfach recht, als er dichtete, dass „Sex im Jahr 1963 begann“ – dem Jahr, in dem „Sergeant Pepper‘s Lonely Hearts Club Band“ erschien.

In „Triebstruktur und Gesellschaft“ (1955) kritisierte Herbert Marcuse, Herold der neuen Ordnung, Sigmund Freuds Gedanken, „Zivilisation beruhe auf der andauernden Unterdrückung der menschlichen Instinkte“. Er bemängelt die Auffassung, dass „die freie Befriedigung von menschlichen Instinkten nicht vereinbar (ist) mit einer zivilisierten Gesellschaft“ und dass „Ablehnung und Aufschub die Voraussetzungen (sein sollten) für Fortschritt“. Das Projekt, das er durchführt, ist „Wiederaufnahme der Diskussion [...] Ist eine nicht repressive Zivilisation möglich?“

Marcuse glaubt, dass die Antwort bejahend sein muss – sogar, dass die einzige Zivilisation, die dieses Namens würdig ist, nicht repressiv ist. Diese Idee fand viel Beifall, was wieder einmal bestätigt wurde durch die Bemerkung von Boris Johnson. Terroristen, das müssen wohl „sexuell frustrierte Wichser“ sein. Freie Jungs und Mädchen tun anderen Menschen nichts Schlechtes an, die sind gut und lieb und bringen der Welt den Fortschritt.

II

Genau das wagt Sid Lukkassen zu bezweifeln. Nach dem Vorbild von Houellebecq meint er, dass uns der freie Liebesmarkt – eine unvermeidliche Folge der freien sexuellen Moral – letztendlich zugrunderichten wird. Wir werden unglücklich davon, weil wir atomisieren, vereinsamen und „mutterseelenallein in einem Pflegeheim“ unser Ende finden, wie er auf den letzten rabenschwarzen Seiten von „Abendland und Identität“ schreibt. Zudem, und darum geht es Lukkassen eigentlich, wird dies unsere Kultur schwächen, wir denken nur noch an das Heute – nicht an die Zukunft – und lassen uns, teils geopolitisch, teils demographisch, überwuchern durch andere, weniger hedonistische Kulturen.

Das Buch regt an durch die weitherzige Gelehrtheit des Autors. Gleichzeitig geht „Abendland und Identität“ aus von Unterstellungen, die man als Leser(in) guten Gewissens bezweifeln kann. Gibt es wirklich eine so weitgehende sexuelle Befreiung? Oder sehen wir einfach nur wieder aufkommende Tugendhaftigkeit? Wie würde man heutzutage auf Jan Wolkers‘ „Turks Fruit“ reagieren? Während ich dies schreibe, erreicht mich die Nachricht, dass Schüler nach der Sportstunde nur noch mit Unterhose an duschen wollen. Der durchschnittliche Niederländer hat zeit seines Lebens nicht mehr als sechs, höchstens sieben, Bettpartner. Oder ist es gerade genau das, was der Autor bezweckt – dass wir in einer Scheinwelt totaler Freiheit leben, während der größte Teil der Bevölkerung diese Vergnügungen entbehrt?

Und wie steht es mit der Vereinsamung und Atomisierung? Ein bekannter konservativer Philosoph sagte einmal zu mir, dass er zugeben musste, dass Menschen ‚bei weitem nicht so unglücklich seien‘, wie er es ‚gerne gesehen hätte‘.

III

Houellebecq beschreibt eine wichtige menschliche Gemütsregung – Einsamkeit, Verdrießlichkeit –, gibt aber damit nicht unbedingt die Wirklichkeit wieder. Und ist die Ursache der Problematik der einsamen Senioren nicht einfach demographisch? Nie zuvor gab es verhältnismäßig so viele alte Leute. Es ist eine beträchtliche Herausforderung, für all diese Leute zu sorgen, aber tun wir es wirklich so schlecht?

Zum Schluss eine dritte Frage: Ist unsere Kultur, unsere Zivilisation, im großen und ganzen wirklich in solch schlechtem Zustand, wie Lukkassen suggeriert? Ist es fünf vor zwölf, ist die Rede von einem kollektiven ‚Todestrieb‘? Oder könnte man im Gespräch über die Menschenrechte, das doch weltweit geführt wird, eine Art säkulares Christentum wiederfinden? Ist anstelle von Expansion durch Eroberung in der Vergangenheit gegenwärtig die Rede von spiritueller oder ethischer Hegemonie in der westlichen Welt? Und kommt die Menschheit dadurch nur ganz langsam – auf Höhen und durch tiefe Täler – einander näher? Sehen wir innerhalb unserer Landesgrenzen nicht immer mehr Vorbilder gelungener Integration – von Ahmed Aboutaleb über Humberto Tan bis Nasrdin Dchar?

Durch seine Titelwahl folgt Lukkassen der Tradition Oswald Spenglers und anderer, namentlich deutsch-romantischer Kulturpessimisten. Das waren Kinder des Gymnasiums des 19. Jahrhunderts, wo Latein mit extremem Enthusiasmus studiert wurde, wobei infolgedessen viel Nachdruck auf das Römische Reich gelegt wurde. Der Niedergang der antiken Zivilisation war diesen Menschen nicht nur sehr vertraut – er wurde als Schicksal erfahren. Sie identifizierten sich mit Cicero und wollten ihr eigenes, großartiges Ende voraussagen.

Dementsprechend übertrieben sie das Drama vom „Untergang“ von Rom so sehr – statt eines historischen Tatsachenberichts wurde es ein Epos, eine Tragödie (worin sie selbst die Heldenrolle spielten). Man negierte das Byzantinische Reich, das nach dem Untergang von Rom doch noch 1.000 Jahre lang weiter bestand; und man wollte von den Unterschieden zwischen damals und heute nichts wahrhaben – so ist in „Der Untergang des Abendlandes“ mit keinem Wort die Rede von den Vereinigten Staaten von Amerika, einer westlichen Macht, die gerade am Anfang des 20. Jahrhunderts aufstrebte und immer noch eine beeindruckende Vitalität aufweist.

Die Tradition von „abendländischen Untergangspropheten“ hat beträchtliche Schwächen; gleichzeitig ist es zweifellos berechtigt, anzunehmen, dass unsere Zivilisation andauernd bedroht und herausgefordert wird. Jahrzehntelang war unser wichtigster Gegner der Kommunismus – und kaum ist er bezwungen, taucht schon wieder ein neuer auf: der imperialistische Islam. Macht unsere Promiskuität uns verwundbar? Liegt es an der sexuellen Befreiung (insofern sie sich je durchgesetzt hat), dass wir immer wieder in die Enge getrieben werden? Oder ist die persönliche und sexuelle Freiheit des Westens gerade unsere einmalige Stärke – das, was uns letztendlich am attraktivsten, vitalsten und lebensfähigsten macht? Wo liegt das Gleichgewicht zwischen Vergeistigung und Liederlichkeit, bei welchen Verhältnissen finden wir das Maximale?

Diese Art von Fragen beschäftigten mich, nachdem ich „Abendland und Identität“ gelesen hatte – und ich betrachte die Fähigkeit des Autors, Zweifel zu säen, als eine bedeutende Eigenschaft. Was genau hat alles mit allem zu schaffen? Worum genau geht es? Welches Element welcher Entwicklung ist problematisch wofür? Mit seiner breit gefächerten, kulturphilosophischen Reichweite des Geistes lädt Lukkassen ein zu einer Partie intellektuellen Freistilringens auf hohem Niveau.1

Thierry Baudet, geboren 1983 in Heemstede, ist Jurist und Historiker, Autor und Kommentator. Er promovierte 2012 an der Juristischen Fakultät der Universität Leiden mit einer Dissertation über Souveränität. Er war Kolumnist für das „NRC Handelsblad“ und publizierte acht Bücher, unter anderem „Conservatieve Vooruitgang“ („Konservativer Fortschritt“), „Aanval op de Natiestaat“ („Angriff auf den Nationalstaat“), „Oikofobie“ und den Roman „Voorwaardelijke Liefde“ („Bedingte Liebe“).

1 Einführung

Jeder gute Philosoph ist das schlechte Gewissen der Zeit, in der er lebt. Die Träume der 68er-Generation brachten nicht, was viele sich davon erhofft hatten. Die sogenannte „Befreiung“ verwandelt sich in eine Vernichtung – eine Vernichtung von Werten, Sitten, Tugenden und Erbe. Die kulturellen und sozialökonomischen Symptome davon sind sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa weit verbreitet, werden aber kaum benannt, gerade weil sie den größten Schaden bei Leuten zutagetreten lassen, die nur wenig Bildung genossen haben.

Dieses Buch aber handelt nicht von der Erhebung der Unterklasse dank höher Gebildeten. Auch das ist der kulturmarxistische2 Lack, der die kulturelle Fäulnis bedeckt, die seit 1968 um sich greift. Verschiedene Intellektuelle sind sich inzwischen darüber einig. Man denke an Michel Houellebecq, Roger Scruton, Christopher Caldwell und Theodore Dalrymple. Sogar schwarze Intellektuelle teilen diesen Befund. Als da wären Dambisa Moyo, Ben Carson und Thomas Sowell, wie auch der Politiker Allen West. Durchbrüche entstehen erst, wenn andere Fragen gestellt werden. Dieses Buch handelt vom Weiterwuchern der christlichen Schuldkultur über den Kulturmarxismus, und davon, wie die Wechselwirkung zwischen Kulturmarxismus und Sexualität sich ins Gegenteil verwandelt. Nämlich eine ungleiche und atomisierte, auseinanderfallende Gesellschaft. Dieses Buch trägt dazu bei, einen eventuellen Durchbruch zu bewirken, indem es innerhalb der Strömung der Kulturkritik ein anderes Paradigma anbietet.

Mit dem folgenden Text versuche ich, eine gesellschaftliche Diskussion über ein großes Tabu zu entfesseln: die wachsende sexuelle Ungleichheit in der westeuropäischen Gesellschaft. Eine Ungleichheit, die durch politische und kulturelle Strukturen verstärkt wird. Diese Strukturen werden legitimiert, indem man dazu aufruft, die Schwächeren zu beschützen. Auch das Kritisieren derjenigen, die als Schwächere gelten, wie auch die guten Absichten ihrer Verteidiger, ist nämlich tabu. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass das, was Sie lesen, alle Antworten enthält auf die Fragen, die bis heute nicht oder kaum gestellt wurden – wohl aber, dass die Fragen deutlicher hervortreten. Die politische Philosophie hat seit ihrer Entstehung kaum Rechenschaft abgelegt über die Macht, die von der Sexualität ausgeht; das beruht darauf, dass man Macht auf eine Stufe stellte mit Wirtschaft und Staatspolitik. In diesem Buch werde ich diese Lücke füllen.

Die Nachwehen von 68

Die Generation 68 erlöste uns von Verpflichtungen, Rollen und persönlichen Vorbildern. Zwei politische Strömungen, die zusammenhängen mit diesem Umbruch, sind Libertinismus und Sozialismus. Beide haben zur Folge, dass quantitative, nicht qualitative Strukturen die Wesensart einer Gesellschaft bestimmen. Um dauerhaft bestehen zu können, braucht eine Gesellschaft einen gemeinsamen Zielpunkt, und dieser kann nicht Launen der Massen oder dem persönlichen Geschmack des Individuums entspringen. Ob man es nun von links oder von rechts betrachtet: Seit 68 ist der Konsumismus im Aufschwung, gerichtet auf die sofortige Befriedigung von Bedürfnissen; er richtet sich auf das, was gerade „hip“ ist und kultiviert Verführung, Ablenkung und Gruppenzwang. Oft ist die Befriedigung von kurzer Dauer. Der Konsumismus flüchtet vor den größeren Fragen und Aufgaben in Zerstreuung und Genuss. Er tauscht die darüberliegende Rationalität gegen Impulse des Individuums, und die genügen nicht als Pfeiler einer Zivilisation. Kurz und gut, Konsumismus ist zu schwach als Stütze einer Zivilisation – das werde ich näher erklären im Kapitel „Kunst, Kultur und Kapital“.

Im westeuropäischen Staat bleibt wenig übrig, womit man sich, neben dem subjektiv bevorzugten Konsumieren, als Individuum identifizieren kann. Ich spreche über ein Gefühl von Unbestimmtheit, dem Gefühl, an sein Schicksal ausgeliefert zu sein. Man geht durchs Leben, ohne für irgendetwas Bedeutendes einen Beitrag liefern zu können, ohne für die eigenen Talente Anerkennung zu verspüren. Man ist nicht zuallererst Bürger, sondern Konsument. In Westeuropa werden Menschen in Staaten mit viel Freiheit, Toleranz und Gleichheit geboren. Doch reicht das unbestimmte Gefühl – ein gefühlter Mangel an Begeisterung und Verankerung – wie auch die Zwanglosigkeit und Apathie, die hier herrschen, anscheinend aus, um eine Minderheit von jungen Leuten aufzuwiegeln, einen religiösen Krieg gegen den Westen zu führen.3

Nach den Gemeinderatswahlen von 2014 stellte Geert Wilders seinem Publikum folgende Frage: „Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner?“ Dieser Aufruf verschleiert – obwohl wir die unverhältnismäßigen Zahlen über Kriminalität unter Ausländern oder Niederländern ausländischer Herkunft absolut nicht negieren dürfen – ein schwerwiegenderes, unterschwelliges Problem: das Verbleichen und Losmachen des Ankers westlicher Werte. Ich selber weigere mich, eine sterbende Zivilisation einfach so hinzunehmen. Letztlich sind nur vier Fragen wichtig: „Wie leben und wofür leben? Wie sterben und wofür sterben?“ Wie Friedrich Nietzsche schon feststellte, bedeutet ein gutes Leben führen auch, zum richtigen Zeitpunkt sterben, was an erster Stelle voraussetzt, dass man auch in der richtigen Epoche geboren wurde.4

Unterdessen kann kaum noch im Rahmen unserer Gesellschaft das Leben, der Luxus und die Würde aufs Spiel gesetzt werden für eine Sache, die die Bequemlichkeit des Privatlebens übersteigt und die Zukunft von Volk und Vaterland berührt. Das Leben kann über seine zeitbegrenzte, subjektive, vergängliche Dimension hinaussteigen, indem es dienstbar gemacht wird für etwas, das noch großartiger und wertvoller ist als das Selbst und dessen Leben: Ein Mensch erfährt auf diese Weise Stolz und Erfüllung, indem ihm die Chance geboten wird, sich würdig zu betätigen. Zur Zeit haben wir viel, was man vom Leben erwarten darf. Es fehlt uns aber eine würdige Sache, für die man das Leben aufs Spiel setzen möchte. Obwohl wir unsere Ambitionen noch austoben können in extremen Sportarten, Fußballigen und den politischen Spielchen innerhalb des Geschäftslebens, scheint es hier eher darum zu gehen, dass unsere Urtriebe in gute, besser gesagt unsittliche, Bahnen geleitet werden, um den Schaden für die Außenwelt in Grenzen zu halten. Der postmoderne Mann ist abgerichtet, domestiziert.

Auf die oben genannten Fragen bekommt der Europäer keine Antworten – die wesentlichen Werte seiner Zivilisation verflüchtigen sich. Neue Zeiten verlangen neue Fragen und neue Antworten. Doch gleichzeitig stehen Europäer in ihrem eigenen Land Gruppen gegenüber, die sehr wohl spirituelle Anker und Zusammenhalt untereinander kennen. Das wird als bedrohlich empfunden. Aber es ist gerade die 68er-„Pro-Immigrations“-Welle gewesen, die die westlichen Traditionen auf die Schippe nahm, so dass dem Individuum auf der Suche nach Genuss nichts mehr im Wege stehen konnte.

Wenn wir ehrlich sein wollen, hat die 68er-Strömung die westliche intellektuelle Landschaft seit 50 Jahren dominiert, ohne eine zusammenhängende Antwort von „rechts“, das heißt, abgesehen von dem Hinweis auf den auf Erfahrung beruhenden Erfolg der freien Marktwirtschaft. Jetzt, da einer Bank nach der anderen durch den Staat oder die EU finanziell aus der Klemme geholfen werden muss, stößt sogar dieser Erfolg an seine Grenzen.

Dieses Unvermögen, darauf eine zusammenhängende Antwort zu finden, kommt unter anderem daher, dass Liberale, Konservative und Nationalisten sich auf im Westen besonders tief verankerte religiöse Ansichten stützen, die mit dem Fortschritt von Wissenschaft und Technik überholt wurden. Obwohl meine Analyse der „progressiven Klasse“ von 68 sicher wider den Strich geht, kann ich mein Werk doch nicht eindeutig als „konservativ“ bezeichnen. Meine Analyse zeigt nämlich auf, wie typisch konservative Ansichten wie der religiöse Begriff der Seele und die viktorianische Auffassung von Romantik und des Anknüpfens von Beziehungen zu den Problemen beitragen. Durch Christentum, Kolonialismus und Sozialismus entwickelte Europa nämlich eine Besessenheit von Opfern – der weiße heterosexuelle Mann ist der Bösewicht der Geschichte. Im Christentum liegt, mehr als bei anderen Religionen, der Nachdruck auf Demut, Mitleid und der eigenen Sündhaftigkeit. Dies erklärt, wie Feminismus und militanter Antirassismus in den 60er Jahren so einfach Wurzel fassen konnten.

Dies alles setze ich unter den Nenner „Kulturmarxismus“ – eine Bewegung, die sich hingezogen fühlt zu allem, das schwach und wehrlos scheint; der Schutz von Minderheiten befriedigt ein intensives geistiges Bedürfnis. Hingegen wirkt alles, was Kraft und Autorität ausstrahlt, abschreckend auf Kulturmarxisten.

In den ersten Kapiteln erkläre ich, wie der Kulturmarxismus in den 60er Jahren zur dominanten Strömung in Westeuropa wird. Einerseits werden seit der „fröhlichen Revolution“ allerlei Formen von abweichender Sexualität allgemein akzeptiert, andererseits unterstützen seit 2014 immer mehr politische Parteien und Bewegungen die Forderung, das Mindestalter für Prostitution in den Niederlanden und Deutschland auf 21 Jahre zu erhöhen. Während Europa es skandalös findet, dass Russland Aufklärung über Homosexualität erschwert, zieht sich die freigekämpfte Heterosexualität im „liberalen“ Westen wieder zurück in die Tabusphäre. Männer dürfen wohl als 18-Jährige selbst bestimmen, sich als Soldat feindlichen Kriegern in Afghanistan zu stellen, Frauen in diesem Alter dürfen aber nicht für sich selbst entscheiden, ob sie ihren Körper für Geld zur Verfügung stellen. Das rührt daher, dass das viktorianische Bild von der zerbrechlichen, reinen, verletzlichen Frau trotz der sexuellen Revolution allgemein gültig geblieben ist.

Der Feminismus und das viktorianische, romantisierte Bild von Beziehungen bestimmen die herrschende Kultur. Dabei wird das Gefühl zum Prüfstein der Wahrheit verklärt: Emotionen werden überbewertet beim Benennen von Tatsachen, und Konsequenzen müssen Vorstellungen weichen. Ob es nun um Multikulturalismus, Frauenrechte oder Umweltaktivismus geht: „Progressive“ Vorstellungen gelten als über alle Kritik erhaben, und es ist eine Kultur politischer Korrektheit entstanden, die nachteilig ist für die intellektuelle Maskulinität. Eine Kultur, die ich durchbrechen will.

Sexualität als neue Scheidelinie

Meiner Meinung nach hat etwas begonnen, das der französische Autor Houellebecq eine „metaphysische Umwälzung“ nennt. Damit meine ich eine Umwälzung in unserer Gesellschaft, die zu vergleichen ist mit den Wellen, die durch Marx oder Freud ausgelöst wurden. Von jeher begründete Ideologien wie Liberalismus und Sozialismus haben ihre Wurzeln in der Aufklärung und beziehen sich auf Besitz und die Verteilung der Produktionsmittel. Die Technik jedoch machte im vergangenen Jahrhundert ein allgemeines Wohlstandswachstum möglich, wodurch Unterschiede im Wohlstand beträchtlich nivelliert wurden. Früher telefonierte man bei den Nachbarn, heutzutage hat jedes Kind ein Handy. Besitz wurde indessen weniger wichtig als Kriterium für narzisstische Differenzierung oder Quelle individueller Statusunterschiede. Die Produktionsmittel – und die Frage, ob diese privater oder kollektiver Besitz sein sollen – waren traditionell die Scheidelinie zwischen den gesellschaftlichen Klassen. Besitz bestimmte zum großen Teil das Ansehen eines jeden in der Gesellschaft. Ob man reich oder arm war, bestimmte hauptsächlich das persönliche Wohlbefinden und wie man sich profilierte.

Die Scheidelinien zwischen Kasten und Klassen werden unscharf. In den westlichen Ländern bestimmen nicht länger Glaube (katholisch gegenüber protestantisch) oder soziale Klasse (Proletarier gegenüber Bürgertum) das Verhältnis untereinander, sondern die Profilierung des Individuums – besonders sein sexueller Marktwert. Wenn Kinder in der Schule ausgeschlossen oder gehänselt werden, hat das nicht so sehr mit der Kirche zu tun oder der sozialen Klasse, zu der sie gehören. Mehr denn je geht es um die Eigenschaften des Individuums, und dann namentlich um dessen Attraktivität im weitesten Sinn des Wortes. In „The Culture of Narcissism“ (1979) beschreibt der amerikanische Historiker Christopher Lasch, wie die Verherrlichung des Individuums seit der Säkularisierung um sich greift: von plastischer Chirurgie bis zu Obsessionen mit „Health Food“ und Fitness. So wie Traditionen wegfallen, wird der Mensch im Westen in einen darwinistischen Kampf verwickelt, bei dem es um Schönheit, Jugend und Gesundheit geht.

Wie man als Teenager die eigene Attraktivität erfährt, bestimmt größtenteils den eigenen Lebensweg. Je populärer man ist, je zufriedener man mit der eigenen Sexualität ist, mit desto mehr Selbstvertrauen wird man später wagen, sich in Situationen zu begeben, die einem nicht vertraut sind. Man wird mehr Erfüllung aus dem Leben holen und müheloser neue Herausforderungen angehen. Je höher der sexuelle Marktwert des Individuums, desto größer der Kreis in Frage kommender Partner. Während die großen politischen Fragen das Verteilen von Wohlstand betreffen, hat die sexuelle Seite des Lebens mindestens soviel Einfluss auf das Lebensglück. Obwohl der sexuelle Marktwert des Individuums bestimmend ist für die Art, wie es sein Leben erfährt, wird dies durch die Gesellschaft fortwährend geleugnet, es ist einfach tabu.

Weil die Produktionsmittel eine kleinere Rolle spielen, kehren wir eigentlich zum tierischen Stadium des Urmenschen zurück, in dem Fortpflanzung das Privileg der Attraktivsten ist. Es ist wieder ein Wettstreit, wobei diejenigen, die nicht zur Elite gehören – oder die nicht forsch oder schön genug sind –, schon während ihrer Jugendjahre lernen, eine unterwürfige oder abwartende Haltung einzunehmen gegenüber der Gruppe. Die Philosophen, Laboranten und Ingenieure, auf deren Genialität und Erfindergeist die westliche Zivilisation beruht, degradieren wir in unserem Selbstbild zu Bücherwürmern, Nerds oder langweiligen Intellektuellen. Die in der Renaissance verankerte europäische Maskulinität wird verdrängt durch amerikanischen (Macho-) Gangsta-Rap und eine (feminine) Boy-Band-Maskulinität.

Europäische Maskulinität

Daraus ergibt sich, dass nur noch Minderheiten Maskulinität besitzen dürfen. Man denke an das aufdringliche Machogehabe, das wir in den Rap-Clips sehen. Der durchschnittliche Europäer bekommt die viktorianische/christliche Botschaft mit auf den Lebensweg, dass er Mädchen sachte und mit Respekt behandeln muss, in der Praxis aber gibt sich die Feminität hin an die aggressive Maskulinität, die durch Flirtcoaches auch schon mal als „Alphamännchengehabe“ bezeichnet wird. Inzwischen wird die europäische Maskulinität – die tatsächlich die Weltmeere bezwang, die Erde geographisch fixierte, indem sie Karten zeichnete, und die der Vater der heutigen Naturwissenschaften war – systematisch degeneriert. Wenn ich an die europäische Maskulinität denke, dann denke ich an den stilvoll gekleideten Aristokraten, der fest entschlossen auf die wild schäumenden Wellen starrt. Die europäische Maskulinität ist nicht nur tatkräftig und rationell, sondern auch erfindungsreich, intellektuell und kunstsinnig. Die europäische Maskulinität wird jedoch durch das Multikulti-Denken als Bösewicht der Geschichte auf die Seite geschoben.

Karl Marx hatte unrecht: Nicht der Besitz der Produktionsmittel, sondern der Besitz der sexuellen Selektionsmacht ist die treibende Kraft der Zivilisation. In Europa liegt die Macht einseitig bei der Frau; die Frau träumt davon, erobert zu werden, wünscht aber, in ihrem Tempo erforscht zu werden. Es ist der Mann, der den Annäherungsversuch macht, die Frau ist es, die abweist oder das Licht auf Grün schaltet. Wer diese Dynamik nicht akzeptiert, überschreitet Grenzen. Die sexuelle Selektionsmacht bestimmt, welche Elemente in die Zukunft übertragen werden sollen. Übertragen Sie diese Begriffe auf die heutige Zeit, und Sie können den Charakter der nächsten Generation voraussagen. Auf der Straße gelten als das Höchste an Anziehungskraft der „Justin Bieber pretty boy‘‘ und der „50 Cent gangstah thug“.

Das unbestimmte Gefühl führte zusammen mit dem Untergraben der europäischen Maskulinität zu abnehmenden Geburtenraten. Der Mann verlor seinen Status als Oberhaupt der Familie; seine Identität als Handwerker wurde zu temporärer Arbeit entwürdigt. Er fühlt sich überflüssig und hält es deshalb nicht für nötig, eine Familie zu gründen. Überalterung und Verjüngung nehmen zu, wodurch Demographen von einem „sterbenden Europa“ sprechen.

Liberalismus und Sozialismus haben ihren Ursprung in der Aufklärung. Die Auffassungen über die Aufklärung waren damals sehr radikal, sind gegenwärtig aber „Mainstream“ geworden; ob es sich nun um Atheismus, Trennung von Kirche und Staat, Freihandel oder Demokratie handelt. Auf dem Gebiet von Sexualität und Beziehungen haben sich aber die christlichviktorianischen Ideen gehalten; obwohl die Leute weniger danach leben, man denke an die vielen Scheidungen und alleinerziehenden Eltern, leben sie im Bewusstsein immer noch weiter. Die Verlockung der kosmopolitischen, erkämpften Sexualität ist gleichzeitig nicht ohne Folgen für Dinge wie Loyalität, Anhänglichkeit und Bindung – namentlich für die Familie aus der Unterklasse hat das Folgen. In den Vereinigten Staaten erhalten 23 Prozent der schwarzen Kinder von ledigen Müttern keine nennenswerte Bildung.5 Oft fehlt ein Vater, der als Vorbild auftreten kann. Dazu kommt noch die Hip-Hop-Kultur, die das Opfersein, das Abgewiesenwerden durch die Gesellschaft verherrlicht, das Abdriften von Jugendlichen ist die Folge davon.

In den Niederlanden der kulturellen Säulen begrenzten Klasse, Wohlstand, Religion und Ruf der Familie die Anzahl der möglichen Sexpartner. Obwohl die materielle Konkurrenz durch Staatsregulierung nicht mehr so groß ist, ist gerade auf sexuellem Gebiet ein enorm harter Konkurrenzkampf entstanden. Infolgedessen haben manche ein abwechslungsreiches Sexualleben mit vielen exotischen Partnern. Andere haben kaum Sex, leben aber in einer bis zum Gehtnichtmehr sexualisierten Gesellschaft (man denke allein an Reklame). Die sexuelle Selektionsmacht scheint tatsächlich nicht reguliert. Eine Tatsache, die durch Platon, Montesquieu und gegenwärtig Houellebecq als Achillesferse der freien Gesellschaft gedeutet wird.

Sexualität wird eine wichtige Trennungslinie werden in den Konflikten des 21. Jahrhunderts – Konflikte, die oft weltweit auftreten werden. Der durchschnittliche Wärmetechniker oder Lastwagenfahrer kann nämlich den stets größer werdenden Ansprüchen immer besser ausgebildeter Frauen immer weniger gerecht werden. Er sucht also seine Zuflucht bei Rendezvous mit Frauen aus traditionellen, nicht-westlichen Kulturen. Feministinnen sehen dies als bedrohlich an, weil es die Alleinherrschaft der sexuellen Selektionsmacht durchbricht.

Der Kampf um die sexuelle Selektionsmacht wird unter der Flagge der machbaren Gesellschaft geführt. Nachdem die „Progressiven“ erst die sexuelle Befreiung bejubelt hatten, entfesselten sie in der Folge, im Namen der Schwächeren und der Wehrlosen, einen intensiven Krieg gegen die Prostitution.6 Der Philosoph Bart Croughs bemerkte zum Beispiel, dass bei männlichen Sextouristen immer wieder spottend die Aufmerksamkeit auf den Leibesumfang, die Glatze und das fortgeschrittene Alter gelenkt wurde, während weibliche Sextouristen von dieser Behandlung verschont blieben.7 Dazu verwies er auf eine Reportage über weiblichen Sextourismus in „Vrij Nederland“, derzufolge westliche über 60-jährige Frauen nach Gambia abreisten, um sich, mit Hilfe einer gut gefüllten Geldbörse, einen jungen afrikanischen Mann zu angeln. Im Vergleich dazu wurden Männer, die in Länder wie Thailand oder auf die Philippinen reisten, um eine Ehefrau zu suchen, des öfteren in dieselbe Kategorie eingeordnet wie Frauenschänder und Pädophile.

Meine Arbeitshypothesen lauten folgendermaßen:

  1. Die Tatsache, dass immer mehr westliche Männer ihr Glück bei Frauen aus traditionellen Kulturen suchen, kann erklärt werden durch den langfristigen Einfluss des Kulturmarxismus auf die Mann-Frau-Beziehungen in der westlichen Kultur.
  2. Die Tatsache, dass die europäische Kultur so anfällig ist für Kulturmarxismus – die Obsession bezüglich Minderheiten, Opferstatus und Schuldgefühlen –, lässt sich aus dem Wesen des Christentums erklären.

Die Folge von Punkt zwei ist eine Hierarchie von Opfern. Wer am bemitleidenswertesten ist, ist der Heiligste. Die weiße Frau musste von den 68ern freigekämpft werden, denn sie war das Opfer des weißen Mannes und dessen Patriarchats. Aber wenn die Interessen der europäischen Frau in Konflikt geraten mit denen des Nordafrikaners, der sie auf der Straße als „blonde Hure“ beschimpft, werden die Interessen des Nordafrikaners höher bewertet, denn der Nordafrikaner ist bedauernswerter: Er werde auf dem westlichen Arbeitsmarkt benachteiligt. Das CBS (Zentrales Büro für Statistik) dokumentierte seit 1974 in den Festnahmedokumenten und seit 1983 in den Kriminalstatistiken keine ethnische Herkunft mehr. Solche Tatsachen nannte man beim CBS „laakbare entiteiten“ („verwerfliche Gegenstände“).

Der surinamische Forscher Ruben Gowricharn versuchte dieses Tabu zu durchbrechen mit seinem Buch „Tegen beter weten in“ (1992, „Wider besseres Wissen“). Aus einem Land stammend, wo sich niemand an kulturellen Unterschieden stört, stellte Gowricharn fest, dass in den Niederlanden die Kultur der untersuchten Gruppe nie und nimmer als möglicher Mitverursacher von Zurückgebliebenheit genannt werden durfte. Die Betreffenden waren doch schon „entmutigt, diskriminiert, gehindert durch die Behörden, negativ beeinflusst durch ihre soziale Umgebung, krank, zu alt, oder versuchten durch Schummeln/ Betrügen die weitere Beschädigung ihres Selbstwertgefühls durch lang andauernde Arbeitslosigkeit zu verhindern“.8 Erst in den 90er Jahren wurden die Richtlinien des CBS angepasst.

Bezeichnend ist die noch nicht so lange zurückliegende Weigerung des Sozialen und Kulturellen Planbüros, die Kriminalitätsziffern von Leuten ausländischer Herkunft einzubeziehen bei einer Forschung über die Arbeitslosigkeit innerhalb dieser Gruppe.9 Die Publikation des ersten Berichts über Aktivitäten von marokkanischen Jugendbanden in der Innenstadt von Amsterdam, geschrieben 1988 durch einen städtischen Untersuchungsbeamten, wurde durch den damaligen Bürgermeister van Thijn kategorisch verhindert. Dem Untersuchungsbeamten wurde ein Sprechverbot auferlegt, und er bekam mehrere Telefonate, in denen er als „Janmaat-maatje“, also als Rassist beschimpft wurde. Ein anderes Beispiel betrifft zwei Lesben, die zurechtgewiesen wurden, weil sie sich in einem Supermarkt küssten; später entschuldigte die Leitung des Supermarktes sich. Bei einer Umfrage in einer Zeitung urteilte die Mehrheit der Befragten, dass homosexuelle Menschen sich im allgemeinen schnell gekränkt fühlen.10 Der französische Experte Pierre Rosanvallon stellte fest, dass sich als Opfer fühlen eine immer größere Rolle spielt beim Ansprechen von Wählern. Dazu bemerkt er, dass sich dies schlecht verträgt mit dem Entwickeln eines positiven politischen Staatsbürgersinns – eher werden als Unrecht erfahrene Gefühle verstärkt.11

Im Februar 2014 schrieb die siebenjährige Charlotte Benjamin, möglicherweise angeregt durch ihre Eltern, einen Brief an den Spielzeughersteller Lego. Das Mädchen beklagte sich, dass die Mädchen in der Lego-Welt vor allem zum Einkaufsbummel gingen und daheim herumsaßen, während die Männer als Lebensretter auftraten. Im Oktober 2013 erweckte ein Katalog von Bart Smit, worin junge Mädchen mit Haushaltsartikeln wie Bügeleisen und Staubsauger spielten, unter feministischen Niederländern eine vergleichbare Volkswut. In noch kommenden Kapiteln weise ich nach, dass die westliche Zivilisation auf eine Situation zusteuert, in der Männer nicht mehr bereit sind, die Kohlen für Frauen aus dem Feuer zu holen. Um Missverständnisse zu vermeiden, betone ich an dieser Stelle schon mal, dass der Prozess, der die Feminisierung der westlichen Kultur beschreibt, zwar mit dem sozial-politischen Feminismus zusammenhängt, aber keine direkte Folge davon ist. Feminisierung bedeutet an erster Stelle das Scheitern des Gleichgewichts zwischen maskulinen und femininen Werten, Tugenden und Eigenschaften innerhalb einer Kultur. Das Verschwinden dieses Gleichgewichts in Europa hat mehrere Ursachen, die ich in den Kapiteln in diesem Buch erläutere.

Eine europäische Bewegung

Man kann in Frage stellen, ob die bis jetzt ausgeklügelten philosophischen Theorien und politischen Systeme eine Wende bewirken können. Vor allem, weil das politische Denken an und für sich schon besessen ist von Opferkomplexen, moralischer Empörung und der daraus entstehenden passiven Aggression. Die Lösung liegt weniger in der Politik als in der Kultur. Denn wo immer die Politik keinen Standpunkt gegenüber der Kultur einnimmt, lässt man eine fremde Kultur die eigene Politik übernehmen und bestimmen. Was wir brauchen, ist eine europäische Bewegung, eine ihrer selbst bewusste Elite. Wir brauchen kein Parteiprogramm, sondern eine Philosophie. Sind Parteiprogramme dazu da, um schön zu tun, wenn Wahlen im Anzug sind, führt ein Philosoph einen intellektuellen Krieg, der fortdauert, bis die Wahrheit zutage tritt.

Diese Bewegung wird sich in Westeuropa nur langsam durchsetzen; ironischerweise wird sie vor allem in Osteuropa ihren Anstoß finden. Möglicherweise wird sich der Eiserne Vorhang im Nachhinein als versteckter Segen erweisen. Die kommunistische Abgeschiedenheit sorgte nämlich dafür, dass der Kulturmarxismus, und damit die antiwestliche „Weg mit uns“-Mentalität in Osteuropa kaum durchdrang.12 Das Endziel ist das Wiederfinden des europäischen Selbstwertgefühls und das Ausgleichen der Gegensätzlichkeit in gegenseitiger Abhängigkeit der Geschlechter.

2 Marxismus und Kulturmarxismus

Der Marxismus ist sowohl ein ökonomisches als auch ein philosophisches System; er ist ein (durchtriebener) Versuch, politische Macht zu erlangen im Namen der Schwachen und Verworfenen. In diesem Kapitel erläutere ich die Transformation des Marxismus zum Kulturmarxismus. Der Marxismus ist als ökonomisches Projekt fehlgeschlagen, es gelang ihm aber, zu überleben, indem er sich zusätzlich auf Kulturanalysen konzentrierte. So verschmolz der Marxismus mit der höheren westlichen Kultur und legte so die Basis für die heutige politische Korrektheit und die Beherrschung der öffentlichen Meinung.

Nach Marx‘ Lehre ging es um den ökonomischen Kampf um die Produktionsmittel, den Kampf zwischen der Arbeiterklasse und dem Bürgertum. Ethische, kulturelle und philosophische Fragen – wie etwa die Frage nach dem guten Leben – spielten für Marx eine untergeordnete Rolle. Denn wes Brot man isst, des Lied man singt. Erst kommt das Fressen, und dann die Moral. Dieses Axiom, bekannt als die Basis-Überbau-Theorie, ist ein Grundsatz des Marxismus. Die Basis umfasst die Produktionsverhältnisse, der Überbau ist die Fortsetzung davon. All die großartigen Gedanken, die nach Meinung der Humanisten sowohl die Zivilisation tragen als auch den Fortschritt vorantreiben – von ästhetischer Schönheit bis zu moralischer Gerechtigkeit –, sind für Marx Nebenerscheinungen der Ökonomie. Dadurch ist der Marxismus antihumanistisch. Der Marxismus kennt keine Gedankenfreiheit oder einen unabhängigen Geist. Jeder Versuch, zu einer objektiven Wahrheitsfindung zu kommen, ist von vorneherein eine Äußerung von Klassenbewusstsein.

Seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts bezogen die marxistischen Denker ihre Theorien immer seltener auf ökonomische und politische Fragen. Der Marxismus hörte auf, über das maßgebliche Thema zu schreiben: die Ökonomie (aufzufassen als Markt- und Produktionsverhältnisse). Der Marxismus richtete sich akademisch immer mehr auf Kultur und die Analyse und Destruktion von künstlerischen Darstellungen. Was erst nur ein Nebenprodukt von Produktionsverhältnissen sein sollte, wurde zum Hauptziel umgetauft, und in dieser Umwandlung tritt der parasitäre Charakter des Marxismus zutage.

Eine Ausnahme bei diesem thematischen Übergang war der Italiener Antonio Gramsci, der letzte marxistische Denker, der versuchte, den Klassenkampf in seinen Werken noch mit aus Beobachtung und Experiment gewonnenen Tatsachen zu begründen. Im Gegensatz zu den übrigen westlichen Marxisten war er der Auffassung, dass die Lebensfähigkeit der Oberschicht ein politisches Problem war, das theoretische Behandlung verdiente. Im Gegensatz zu Russland beruhte der Kapitalismus in Europa auf der Einwilligung der Masse. Dadurch konnte das Volk ohne Zwang unter Kontrolle gehalten werden, wodurch keine Revolte entstand. Gramsci untersuchte die ökonomischen und kulturellen Ursachen dieser Zustimmung im Verhältnis zur Erhaltung und Untergrabung der sozialen Ordnung. Er kam zum Schluss, dass in Europa die Macht über die Arbeit über mitfühlende Strukturen ausgeübt wurde. Wir kennen das als das „Rheinland-Modell“, bei dem Arbeitgeber und Obrigkeit sich gemeinsam der Arbeiter annehmen, wobei es Gelegenheit gibt für Besprechungen und Verhandlungen. Eine Revolution nach dem Vorbild der Bolschewisten würde in Europa nicht stattfinden können (so misslang die Revolution, die in den Niederlanden vom Sozialdemokraten Troelstra ausgerufen wurde, sie bewirkte gerade königstreue Demonstrationen als Gegenreaktion).

Gramsci begriff, dass die Verbreitung des Marxismus eine langwierige Angelegenheit werden würde mit langem Anlauf und vorgeschobenen Posten. In Europa hätte der Kampf durch geheime Vereinigungen innerhalb von Organisationen geführt werden müssen, durch Gewerkschafter, Journalisten, Lehrer und Akademiker – die berüchtigte „fünfte Kolonne“. Um den Kapitalismus zu Fall zu bringen, mussten die Kultur, die Traditionen und Quellen geistigen und seelischen Halts untergraben werden. Nicht nur die ökonomischen Produktionsmittel, sondern auch die Macht der Medien und das Beherrschen der Meinungsbildung wurden zum Kampf eingesetzt. Man sprach vom „langen Marsch durch die Institutionen“, ein Ausdruck, der auf Mao Tsetung verweist, der mit seiner kommunistischen Armee einen langen Umweg machen musste, bevor er in China die Macht ergreifen konnte. In Amerika wurde diese Fackel durch Saul Alinsky weitergetragen, der sich an die rebellische Generation wandte. In „Rules for Radicals“ (1971) erläuterte er Agitationstechniken, mit denen man gängige Werte und Traditionen mittels Beeinflussung der Medien zerstört.

Die marxistischen Voraussagen vom Klassenkampf wurden außerdem geschwächt durch den wachsenden Wohlstand der 50er und 60er Jahre. Statt dies empirisch zu untersuchen, passten Denker wie Adorno und Horkheimer den Marxismus an die entstandene Situation an. Sie gaben das marxistische Forschungsprogramm nicht auf, verlegten aber die Kampflinie von der Ökonomie zur Kultur. So entstand der Kulturmarxismus.

Die kapitalistische Unterdrückung wurde nicht länger als Gegensatz zwischen Arm und Reich angesehen, sondern als Unterdrückung des Menschen selbst. Das will sagen: eine Unterdrückung der Natur des Menschen und seiner Triebe. Die Vernachlässigung des Themas Ökonomie bereitete den Weg dafür, andere Denker zur marxistischen Theorie hinzuführen, Denker wie Sigmund Freud. Der Mensch hatte ein natürliches Potential erotischer Triebe gekannt – der Kapitalismus hatte diese gute und natürliche Kraft unterdrückt, um den Menschen produktiver zu machen. Hinfort wurde der Sturz des Kapitalismus als eine psychologische Befreiung präsentiert. Institutionen wie die Familie und der Mann als Familienoberhaupt und Alleinverdiener mussten untergraben werden. So entstand das, was Adorno und Horkheimer als „Kritische Theorie“ bezeichneten. Viele Theorien, die heutzutage an Universitäten gelehrt werden, haben ihren Ursprung in dieser Kritischen Theorie, dem metaphysischen Umsturz der 68er-Generation. Man denke an ein Fach wie Genderstudien. Dabei haben etliche Forscher sich zum Ziel gesetzt, die Gegensätze zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit der traditionellen westlichen Überlieferungen aufzuheben.

Das Ziel der Kritischen Theorie ist die Zerstörung von Kulturgut. Oder das Zurückdrängen von seit jeher geltenden Wahrheiten zugunsten des Relativismus, auf dass dem Menschen im Westen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Auch der Multikulturalismus – also der Import nichtwestlicher und sogar antiwestlicher Kulturen – ist Teil dieser Agenda. So wird der westliche Mensch in einen freien Fall manövriert, einen das Leben müßig beschauenden Taumel, um von einem Nullpunkt aus fortzuschreiten. Auf diese Art und Weise versuchen Kulturmarxisten, den westlichen Bürger empfänglich zu machen für die machbare Gesellschaft. In diesem Modell ist der Mensch eine tabula rasa, ein unbeschriebenes Blatt in einer nicht repressiven Gesellschaft, in der das Potential der Triebe freie Bahn erlangt.

Diese Überlegung finden wir im Grunde genommen noch vor Marx schon bei Rousseau: die Klage über die durch Technik und Triebbeherrschung verlorengegangene, natürliche und unangetastete Reinheit. Rousseau hoffte, dass die Französische Revolution diese Reinheit wiederherstellen konnte. Für Marx hatte der Aufstand der Arbeiterklasse diese Bedeutung.

Wie Rousseau richteten die Kulturmarxisten ihre Giftpfeile gegen die Aufklärung. Die Aufklärung identifizierte die Natur mit der Ratio; die Natur kennt jedoch auch brutale und grausame Elemente. Diese Elemente rächten sich über den Faschismus – nach den Kulturmarxisten hervorgegangen aus der rationalen westlichen Gesellschaft, wie auch die Guillotine, der Holocaust und die Atombombe hervorgingen aus dem westlichen Rationalismus. Nicht nur war die Aufklärung an und für sich faschistisch, auch die Quellen der Inspiration für die Aufklärung waren falsch: das griechische und römische Altertum. Die ältesten Erzählungen von Homer, wobei der Held Odysseus sich am Schiffsmast festbinden ließ, um den Gesang der Sirenen hören zu können, waren nach Adorno und Horkheimer schon Äußerungen von Beherrschungsrationalismus.

Der Kulturmarxismus von Adorno und Horkheimer wird auch als „die Frankfurter Schule“ bezeichnet. Ihre Kritische Theorie ist offenbar nichts anderes als ein geistiger Krieg gegen die westliche Zivilisation, die westliche Geschichte und den westlichen Rationalismus.

Lautete das marxistische Credo „Jeder arbeitet nach seinem Können und empfängt nach seinen Bedürfnissen“, lautet das Credo des Kulturmarxismus: „Jedes Mitglied der Gesellschaft ist von gleichem Wert für die Gesellschaft.“ Als theoretischer Ausgangspunkt ist dieses Credo heilig. Wenn wir die praktischen Auswirkungen betrachten, sehen wir jedoch, dass die einen erfolgreiche Unternehmen gründen, andere nicht. Was lehrt uns dieser Vergleich zwischen Theorie und Praxis? Er lehrt uns, dass, obwohl alle Menschen gleichermaßen nach Komfort verlangen, die Bereitschaft, Risiken auf sich zu nehmen, nicht jedermanns Sache ist. Deshalb ist der Kulturmarxismus so eng verbunden mit dem Wohlfahrtsstaat. Der politische Aufruf, fortwährend zu nivellieren, kann den gewünschten Wohlstand auf diese Weise erreichbar machen für die weniger Produktiven.

Auch international ist dieses Prinzip der Nivellierung die treibende Kraft des Kulturmarxismus. Es beginnt immer damit, dass eine bestimmte Minderheitsgruppe sich in der Opferrolle präsentiert und anschließend den weißen westlichen Mann als Täter und Unterdrücker bezeichnet, so dass Schadensersatzforderungen eingeklagt werden können. Wie im Fall der karibischen Inseln, die 2013 von Ländern wie den Niederlanden und Frankreich Vergütungen forderten für den Sklavenhandel, der Jahrhunderte zuvor stattgefunden hatte. Der Kulturmarxismus rührt so an den wunden Punkt der europäischen Kultur, was diese Opferrolle betrifft. Den Kulturmarxismus kann man denn auch nicht ohne seine Wurzeln im Christentum betrachten, einer Religion, bei der der Nachdruck auf Sünde, Selbstbezichtigung, Fügsamkeit und Demut liegt. Dadurch konnten in den 60er Jahren, unter dem Deckmantel der „positiven Diskriminierung“, militanter Antirassismus und Feminismus so tiefe Wurzeln schlagen.

Ein treffendes Bild der Macht des Kulturmarxismus auf die öffentliche Meinung bietet ein Artikel, den der Europarlamentarier Derk Jan Eppink im März 2012 schrieb. Nicht, weil der Artikel den Kulturmarxismus rühmen würde, sondern im Gegenteil, weil er den Feminismus kritisiert: „Der Feminismus vernichtete die ‚Feminität‘, das Recht auf das Weibliche, das Wesen der Frau. Die modebewusste Frau, die sich danach kleidete, wurde als kleinbürgerlich und noch Schlimmeres verhöhnt. Frauen mussten sich kleiden und betragen wie Männer, sie waren ja gleichartig. [...] Militanter Feminismus blieb vor allem beschränkt auf eine amerikanische, nordwesteuropäische (protestantische) Erscheinung. Frauen aus Südeuropa ließen sich ihre Weiblichkeit nicht wegnehmen. Frauen aus Osteuropa betrachteten Feminismus als Verlängerung des Sozialismus. Als die Mauer fiel, bekamen sie freie Bahn für Fraulichkeit.“13 Diese aufrichtige Kritik konnten die Freidenker von 68 jedoch nicht ertragen, weshalb Eppinks kritische Artikel heimlich, still und leise verschwanden. Dies zeigt auf, dass es sich hier um Kritik handelt, die man nicht beantworten, aber auch nicht negieren kann.

Ob es nun um Klimawandel, Frauenstudien, Kunst und Kultur, Immigration oder Entwicklungspolitik geht: Auch wenn sich die Darstellung ändert, kehrt der Gegensatz zwischen Tätern und Opfern immer wieder. Es sind die Verteidiger des guten Zwecks gegenüber der kapitalistischen Klasse, in der Zwischenzeit ausgedehnt auf den westlichen Menschen im Allgemeinen und den weißen europäischen Mann im Besonderen. In verschiedenen Bereichen wird auf diese Weise auf eine neue sittliche Ordnung hingearbeitet, die nicht mehr erlaubt, zu sagen, was man denkt. Meinungsfreiheit wird zur Freiheit der erlaubten Meinung.