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Über dieses Buch:

Für den Fotografen Ian Jarrett ist es Liebe auf den ersten Blick: Durch die Linse seiner Kamera erblickt er zum ersten Mal die enigmatisch schöne Marian Esguard, wie sie auf den verschneiten Wiener Domplatz tritt. Die beiden verbringen eine Woche voller Vertrautheit und tiefer Empfindung. Doch als Ian schweren Herzens nach London zurückkehrt, häufen sich die mysteriösen Ereignisse: Alle seine Fotografien der Reise sind schwarz – und als sich Marian endlich bei ihm meldet, sagt sie ihm nur, dass sie sich nie wiedersehen können. Wie besessen beginnt Ian, nach ihr zu suchen … aber was er herausfindet, verändert alles, an das er je geglaubt hat!

Über den Autor:

Robert William Goddard, geboren 1954 in Fareham, ist ein vielfach preisgekrönter britischer Schriftsteller. Nach einem Geschichtsstudium in Cambridge begann Goddard zunächst als Journalist zu arbeiten, bevor er sich ausschließlich dem Schreiben von Spannungsromanen widmete. Robert Goddard wurde 2019 für sein Lebenswerk mit dem renommierten Preis der Crime Writer's Association geehrt. Er lebt mit seiner Frau in Cornwall.

Robert Goddard veröffentlichte bei dotbooks auch die folgenden Kriminalromane: »Im Netz der Lügen«, »Der Preis des Verrats«, »Eine tödliche Sünde«, »Ein dunkler Schatten«, »Denn ewig währt die Schuld«, »Das Geheimnis von Trennor Manor«, »Und Friede den Toten«, »Das Geheimnis der Lady Paxton« und »Das Haus der dunklen Träume«.

Robert Goddard veröffentlichte bei dotbooks weiterhin die historischen Kriminalromane: »Die Sünden unserer Väter«, »Die Schatten der Toten«, »Jäger und Gejagte«, »Die Klage der Toten« und »Der Kartograf von London«.

Robert Goddard veröffentlichte außerdem bei dotbooks seine drei Kriminalromane mit dem Ermittler Harry Barnett: »Dunkles Blut«, »Dunkles Sonne« und »Dunkle Erinnerung«.

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eBook-Neuausgabe Januar 2020

Dieses Buch erschien bereits 1999 unter dem Titel »Gefangen im Licht« bei C. Bertelsmann Verlag, München

Copyright © der englischen Originalausgabe 1998 by by Robert and Vaunda Goddard

Die englische Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel »Caught in the Light« bei Bantam Press, London.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 C. Bertelsmann Verlag, München

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Adobe Stock/Alex Anton

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-099-4

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Robert Goddard

Ein dunkler Schatten

Roman

Aus dem Englischen von Elke vom Scheidt

dotbooks.

Erster Teil
KOMPOSITION

1. Kapitel

Ich hielt mich in Wien auf, um Photos zu machen. Das war damals fast immer der Grund, warum ich mich irgendwo aufhielt. Photos waren mehr als mein Lebensunterhalt, sie waren auch Teil meines Lebensinhalts. Die Art, wie Licht auf eine Oberfläche fiel, regte immer meine Phantasie an. Daß ein einziges Bild, ein einziger Schnappschuß das Wesentliche eines Augenblicks und eines Ortes, einer Stadt, eines Krieges, eines menschlichen Wesens einfangen konnte, war tief in meinem Bewußtsein verankert. Irgendwann würde ich auf den Auslöser drücken und das vollkommene Photo schießen. Diese Chance bestand immer, solange ich einen Film in der Kamera hatte. Einen Film beenden, einen neuen einlegen und mit offenen Augen durch die Welt gehen – das war mein Motto. Schon seit langem. Einmal war ich der Sache schon ziemlich nahe gekommen, in Kuwait gegen Ende des Golfkriegs, als eine seltsame Fügung des Schicksals die dicke Rauchwolke aus einer brennenden Ölquelle zu dem Bild machte, um das sich Zeitungen und Zeitschriften auf der ganzen Welt rissen. Kurzer Ruhm aufgrund eines noch kürzeren Augenblicks. Im Grunde bloß Glück. Aber es heißt ja, daß jeder seines Glückes Schmied ist – im Guten wie im Schlechten.

Nach dem Golfkrieg arbeitete ich nur noch freiberuflich, was ein schlauer Schachzug sein sollte und vermutlich auch geklappt hätte, wenn nicht das Leben jenseits des Objektivs einige Male schiefgelaufen wäre. Die Mitte der neunziger Jahre brachte nicht ganz den von mir erwarteten Erfolg, nachdem mein Bild vom Wahnsinn am Golf es bis auf die Titelseite von Time geschafft hatte. Deswegen befand ich mich in Wien und nicht in Bosnien oder Zaire oder an einem anderen, auch nur im mindesten nachrichtenträchtigen Ort. Ich machte Photos. Und ich wurde dafür bezahlt. Was sich für mich gar nicht schlecht anhörte.

Der Auftrag war eigentlich Zufall. Ich hatte die Londoner Aufnahmen für einen Hochglanz-Bildband mit dem Titel Vier Städte in vier Jahreszeiten – London, Paris, Rom, Wien angefertigt, eine europäische Gemeinschaftsproduktion, die mir saftige Spesen einbrachte und die Gelegenheit gab, stimmungsvolle Photos meiner Heimatstadt im Frühling, Sommer, Herbst und Winter zu schießen. Aus meinem ganz persönlichen Blickwinkel hatte ich Narzissen im Hyde Park, den sommerlichen Hitzedunst und die Abgase von Piccadilly, naßgeregnete Herbstblätter am Berkeley Square und eine schneegefleckte Dachlandschaft im Stadtteil WC1 aufgenommen. Ich hatte mich auch damit abgefunden, daß die besten und wahrhaftigsten Bilder, die ich lieferte, abgelehnt werden würden. Es handelte sich schließlich bloß um einen Bildband. Er sollte bei niemandem Vorurteile wecken und die Leute auch nicht dazu bringen, richtig hinzusehen. Und ich war nicht Bill Brandt. Genausowenig, wie mein französischer Kollege Henri-Cartier-Bresson war.

Kurz nach einem meiner Arbeit entgegenkommenden Wintereinbruch über Weihnachten und Neujahr lieferte ich meine London-im-Winter-Filme ab und erfuhr, daß Rudi Schüssner den Job in Wien aus Gründen hingeschmissen hatte, die mir keiner glaubte mitteilen zu müssen. Statt jemanden Neuen anzuheuern, boten sie mir seinen Job ab. Anscheinend hatten den Österreichern die Arbeiten gefallen, die sie von mir gesehen hatten. Außerdem war ich verfügbar, der französische und der italienische Kollege hingegen nicht. Und ich war froh über die Reise. Zu Hause lief es, gelinde ausgedrückt, nicht gerade großartig. Eine Woche im verschneiten Wien mußte man mir erst gar nicht als Kompliment für mein künstlerisches Können schmackhaft machen. Und außerdem war Der dritte Mann schon immer einer meiner Lieblingsfilme gewesen.

Sie brachten mich im Hotel Europa am Neuen Markt unter, auf halbem Weg zwischen Stephansdom und Staatsoper, also im Herzen der Altstadt. Das letzte Mal war ich vor unserer Heirat mit Faith für ein langes Wochenende in Wien gewesen: eine hochsommerliche Touristentour zu so ungefähr jedem sehenswerten Schloß und Museum. Es war heiß und hektisch und nicht allzu denkwürdig gewesen. Ich hatte nicht einmal viele Photos mit nach Hause gebracht. Aber allein, im kalten Januar, würde es anders werden. Ich wußte das in dem Moment, als ich aus dem Flughafenbus stieg und ganz bewußt das graurosa Licht des Himmels über den schneebedeckten Dächern der Stadt wahrnahm. Es würde mir hier gefallen. Und ich würde ein paar tolle Bilder machen.

Am ersten Tag fuhr ich mit den Trambahnen auf der Ringstraße umher und stieg ein und aus, wie es mir gefiel, um die Stimmungen der Stadt auf mich wirken zu lassen. Das Wetter war kalt und frostig. Ich hatte mir ganz bewußt nicht Schüssners Arbeiten über den Herbst angesehen. Dies sollte mein Wien werden, nicht seines. Und ich würde mich dieser Stadt ausliefern. Ich brauchte nur zu warten. Ein Photo ist ein Augenblick. Also wartete ich den rechten Moment ab und schaute mich so lange um, bis ich klar sehen konnte. Und dann war ich bereit.

Am nächsten Morgen war ich bereits auf den Beinen, als es hell wurde. Leichter Schneefall in der Nacht bedeutete, daß der Stephansplatz jungfräulich weiß und menschenleer sein würde. Ich hatte mir noch nicht überlegt, wie ich den Dom als Ganzes auf ein einziges Bild bringen könnte. Sein Turm ragte wie ein Giraffenhals in den silbriggrauen Himmel, aber auf Straßenniveau war er ein massiger Korpus mitten in der Stadt. Vermutlich konnte ich mir eine Totale aus dem Kopf schlagen. Ich würde mich mit Teilansichten zufriedengeben müssen. Doch bei diesem Wetter und um diese Tageszeit würde der Dom etwas Magisches ausstrahlen.

Die Photographie hatte schon immer etwas Magisches an sich gehabt, ganz besonders aber für die viktorianischen Pioniere dieses Metiers. Man steht wie Fox Talbot in einem verdunkelten Raum und sieht zu, wie sich ein leeres Blatt Papier in ein Photo verwandelt. Und selbst wenn man weiß, wie das funktioniert, behält dieser Vorgang doch immer etwas Geheimnisvolles Dieses Gefühl verliert man nie.

Vielleicht ist dies der Grund, warum das, was an diesem Morgen auf dem Stephansplatz geschah, mich nicht überraschte. Ich hatte die Hasselblad dabei, aber ich benutzte kein Stativ, obwohl ich das aus technischen Gründen eigentlich hätte tun sollen. Ich verwende immer möglichst wenig Zubehör, weil ich der Meinung bin, daß man zum Photographieren nur gute Augen und eine anständige Kamera braucht. Und dazu natürlich noch Spontaneität, die verlorengeht, wenn man sich mit dem Aufstellen des Stativs abmühen muß. Ich schlenderte einfach auf dem Platz herum und suchte den richtigen Blickwinkel, eine Möglichkeit, die Größe des Bauwerks und gleichzeitig die Atmosphäre der Szene einzufangen. Ich hielt mich auf der nördlichen Seite, wo es ein wenig Schutz vor dem Wind gab, und machte eine ganz ordentliche Aufnahme von dem Schnee, der schräg gegen die dunkle Flanke der Kathedrale geweht wurde. Doch das hätte Schüssner auch gekonnt. Ich suchte nach etwas Markanterem, etwas, das meine eigene Handschrift tragen sollte.

Ich fand es nicht. Es fand mich. Mit dem Auge am Sucher ließ ich die Kamera über das unscharfe Spiegelbild der Westfront des Doms in der Glasfassade des Haas-Hauses und dann langsam abwärts und nach hinten wandern, bis die Biegung der Kärntnerstraße eine leere weiße Fläche jenseits des schwarzen Bugs der mittelalterlichen Mauerstreben war und in der Ferne ein Ladenschild glänzte wie eine goldene Schneeflocke. Gerade als ich den Schwenk beenden wollte, kam von der südlichen Seite des Doms her eine Gestalt in Sicht – ein roter Mantel, der zum Schutz gegen die Kälte bis obenhin zugeknöpft war –, und es bot sich mir ein Bild, für das jeder Photograph sterben würde. Ich drückte auf den Auslöser und dankte dem Himmel.

Die Gestalt war eine Frau, die Stiefel, Mantel, Handschuhe, Schal und einen pelzbesetzten Hut trug. Ich rechnete damit, daß sie mit gesenktem Kopf über den Platz eilen würde. Doch statt dessen blieb sie stehen, drehte sich um und sah mich an, als ich die Kamera senkte. Dann kam sie auf mich zu. Während sie sich näherte, sah ich, daß sie die Stirn runzelte. Sie schien beinahe wütend zu sein, ihre dunklen Augen suchten meinen Blick und forderten mich heraus. Ich erkannte ein blasses Gesicht mit hohen Wangenknochen, eingerahmt von dem weichen schwarzen Rand des Hutes, und Augen, die sehen konnten, was sie sehen mußten – und wohl auch durch alles hindurchsehen konnten, was ihnen im Weg stand.

»Haben Sie eben ein Photo von mir gemacht?« fragte sie. Die Stimme sprach akzentfrei Englisch und war überraschend tief.

»Sie waren auf dem Photo, das ich aufgenommen habe«, antwortete ich. »Das ist nicht ganz dasselbe.«

»Für mich schon.«

»Gibt es da ein Problem?«

»Ich lasse mich nicht gern photographieren.« Ihre Nase war breit und flach, fast so, als wäre sie einmal gebrochen gewesen. Irgendwie machte sie das noch auffälliger. Das und die Kampflust in ihren Augen, die für mich mit Kamerascheu nicht zu erklären war. »Vor allem nicht von jemandem, den ich nicht kenne.«

»Das muß schwierig für Sie sein. Ich schätze, Sie bekommen eine Menge Anfragen.«

»Sehr komisch«, sagte sie und musterte mich von oben bis unten. »Ich dachte, in Wien wäre ich von Londoner Klugscheißern sicher.«

»Im Januar, in der Morgendämmerung.« Ich sah mich auf dem Platz um und nickte. »Sie hatten gute Chancen.«

Einen Moment herrschte Schweigen. Das einzige Geräusch war das des um die Kathedrale wehenden Windes, der den Tragriemen meiner Kamera gegen meinen Mantelkragen schlagen ließ. Sie hätte in diesem Moment gehen sollen; oder ich hätte gehen sollen. Aber keiner von uns bewegte sich. Absurdität wurde zur Faszination, und ich merkte, daß ich keine Ahnung hatte, wie das enden würde.

»Es wird ein tolles Bild«, sagte ich sachlich.

»Wieso glauben Sie das?«

»Ich bin Profi, vertrauen Sie mir.«

»Habe ich denn eine Wahl?«

»Was das Bild betrifft? Eigentlich nicht. Aber ein Frühstück? Also, das ist eine andere Sache. Sie können mit Ihrem Mann frühstücken, wenn Sie ins Hotel zurückgehen. Oder mit mir im Café Griensteidl. Das ist am Michaelerplatz. Vielleicht kennen Sie es.«

»Besser als Sie mich kennen, das steht fest.«

»Sie sagten, daß es Ihnen nicht gefällt, von einem Fremden photographiert zu werden. Und dann wäre ich ja kein Fremder, oder? Nicht mehr, meine ich.«

»Was ist mit Ihrer Frau? Werden Sie nicht erwartet?«

»Sie hat mich auf diese Reise nicht begleitet.«

»Und mein Mann ist nicht bei mir. So kann ich sicher sein, daß ich allein frühstücke.«

»Dann viel Vergnügen.«

»Werde ich haben, danke.« Und damit machte sie auf dem Absatz kehrt und eilte über den Platz.

Ich sah ihr nach, bis sie in der Straße neben dem Haas-Haus verschwand. Als sie außer Sicht war, fragte ich mich, warum zum Teufel ich mich eigentlich so verhalten hatte. Obwohl sie es nicht wissen konnte, war das tatsächlich überhaupt nicht meine Art. Einen Augenblick lang hatte ich mir sehr gewünscht, daß unsere Begegnung sich nicht bloß auf eine Gestalt in Rot im Hintergrund eines Photos beschränken würde. Und dieser Wunsch war unerklärlich intensiv gewesen. Das war nicht bloß beunruhigend, es war geradezu unheimlich. Als wüßte ich nicht, was wirklich in meinem Kopf vor sich ging.

Ich versuchte diese Empfindung abzuschütteln, als ich die Kärntnerstraße entlang zum Opernhaus ging und auf gut Glück ein paar durch den Schneefall unscharfe Aufnahmen des massiven Baus aus verschiedenen Blickwinkeln machte. Aber jetzt fror ich und war eigenartig entmutigt. Ich lief noch bis zum Heldenplatz und nahm ein paar perspektivische Bilder von seiner verschneiten Weite auf. Dann gab ich auf und zog mich ins Griensteidl zurück.

Und da war sie und wartete auf mich. Sie saß an einem Tisch ziemlich weit hinten im Café, so versteckt, daß ich sie erst entdeckte, als ich mir eine Zeitung vom Gestell holen wollte und dabei am nahen Garderobenständer ihren Mantel und Hut erkannte. Daraufhin schaute ich mich um und sah sie, wie sie mich ganz ruhig von einem entlegenen Tisch aus beobachtete.

»Sie kannten das Café also«, sagte ich, als ich an ihren Tisch trat.

»Ich kenne weniger, als ich vorgebe.« Die Wut war aus ihren Augen verschwunden, aber ihre Intensität war ungemindert. Ihr Haar war kurz, fachmännisch zu irgendeinem modischen Bob geschnitten, und ein Verlobungsring funkelte neben dem Ehering an ihrer linken Hand, als sie sie nach der Kaffeetasse ausstreckte. »Wie Sie, glaube ich.«

»Warum habe ich das Gefühl, daß Sie in vielerlei Hinsicht sind wie ich?«

»Ich weiß nicht. Aber ich weiß, was Sie meinen.«

»Es tut mir leid, wenn ich ... wenn ich vorhin irgend etwas Dummes gesagt habe.«

»Warum sollte Ihnen das leid tun? Wenn Sie höflicher gewesen wären, wäre ich jetzt vielleicht nicht hier.«

»Normalerweise bin ich das, wissen Sie. Höflich.«

»Versprechen Sie, daß Sie es nicht sein werden ... bei mir.«

»In Ordnung. Das ist einfach.«

»Nein, ist es nicht. Höflich bedeutet unehrlich. Unhöflich bedeutet ehrlich. Und ehrlich zu sein ist nicht einfach.«

Ich bestellte beim Kellner Kaffee und ein Croissant. Die Unsicherheit war jetzt köstlich. Aber worüber würden wir reden?

»Ich heiße Marian Esguard.«

»Esguard? Das ist ungewöhnlich.«

»Mein Mann ist ein ungewöhnlicher Mensch.«

»Mir kommt er ein bißchen unvorsichtig vor.«

»Sie kennen ihn nicht. Und das ist gut. Das ist sogar fabelhaft. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so viel mit jemandem geredet habe, der ihn nicht kennt.«

»Sollen wir es dabei bewenden lassen?«

»Ja.« Zum erstenmal lächelte sie schwach. Ihre Augen nahmen einen warmen Glanz an. Einen kurzen Augenblick erahnte ich den Überschwang und die Freude, derer sie fähig war.

»Wer sind Sie?«

»Ian Jarrett.«

»Photograph.«

»Richtig. Wegen des Winterlichts hier.«

»Und Sie fragen sich, weswegen ich hier bin.«

»Nein. Es sei denn, Sie möchten, daß ich mich das frage.«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen unhöflich sein.«

»Aber wie unhöflich? Das ist die Frage.«

»Die Frage müssen Sie beantworten, nicht ich.«

»Sie können mir wenigstens sagen, was Sie herführt.«

»Ich weiß nicht genau. Langeweile. Verzweiflung. Das Bedürfnis fortzugehen. Das Bedürfnis nachzudenken.«

Mein Frühstück kam. Sie sah zu, wie ich meinen Kaffee trank. Dann griff sie über den Tisch, brach ein Stück von meinem Croissant ab und aß es langsam.

»Hungrig?«

»Anscheinend.«

»Dann nehmen Sie das ganze.«

»Das kann man nie, meiner Erfahrung nach.«

»Nach meiner auch nicht.«

»Aber es gibt immer neue Erfahrungen.«

»Richtig.«

»Sagen Sie mir, Ian, was ist das Schlimmste, was Sie je getan haben?«

»Einmal habe ich jemanden getötet.« Als ich mich selbst sagen hörte, was ich sonst nie freiwillig preisgab, war ich offenbar schockierter als sie. »Ich habe vor fünf Jahren, als ich spät nachts nach Hause fuhr, jemanden angefahren, der zu Fuß unterwegs war.«

»Ein Unfall?«

»O ja. Und ich war außerdem nüchtern. Aber ich habe die Person trotzdem getötet.«

»Natürlich.« Sie nickte. »Für den Betroffenen macht es keinen Unterschied, nicht? Die Tatsache, daß Sie es nicht tun wollten.«

»Sie reden, als würden Sie das Gefühl kennen.«

»Ich kenne es. Als Kind habe ich eine Schulfreundin dazu angestiftet, einen zugefrorenen Kanal zu betreten. Das Eis brach. Sie fiel ins Wasser und ertrank. Ein Unfall. Aber sie blieb tot.«

»Das muß schlimmer gewesen sein. Ich kannte den Menschen, den ich angefahren habe, wenigstens nicht.«

»Ich habe nie jemandem erzählt, daß ich sie ermutigt hatte, das zu tun. Keiner Menschenseele. Bis jetzt.«

»Und warum haben Sie es mir erzählt?«

»Weil ...« Sie zögerte, suchte anscheinend auf meinem Gesicht nach einer Art von Bestätigung. »Weil ich möchte, daß wir alles tun, was wir möchten. Und nichts, was wir nicht möchten.«

»Sind Sie sicher?«

»Ja. Bin ich.« Sie sah mich direkt und unverwandt an. »Und Sie?«

»Alles und nichts?«

»Genau.«

»Was immer das bedeutet?«

»Was immer.«

Das war der letzte Moment, in dem ich alles mit einem Lachen hätte abtun können. Aber dann verging der Augenblick. Und ich tat nichts weiter, als langsam zustimmend zu nicken und die Offenheit ihres Blicks zu erwidern.

»Bleiben Sie lange in Wien?«

»Lange genug.«

Sie lächelte, breiter als zuvor. »Dann sind wir schon zu zweit.«

»Ich dachte, ich könnte heute morgen vielleicht nach Schönbrunn fahren. Warum kommen Sie nicht mit?«

»Das sollte ich nicht tun. Aus vielerlei Gründen.«

»Aber Sie werden es doch tun?«

»Oh, ich denke schon. Sie nicht?«

»Ich bin nicht sicher, daß ich weiß, was mich erwartet.«

»Ich auch nicht.« Sie leerte ihre Tasse und stellte sie mit übertriebener Sorgfalt auf die Untertasse zurück. »Ist das nicht der Grund, warum wir gehen?«

Ich weiß nicht, warum ich an Schönbrunn dachte. Ich hatte eigentlich gar nicht die Absicht gehabt, an diesem Vormittag hinzugehen. Aber es war weit vom Zentrum entfernt und würde an einem eiskalten Wintertag wie diesem mit ziemlicher Sicherheit wenig Menschen anlocken. Wir beide brauchten Zeit, bevor wir den nächsten Schritt taten.

Und es war ruhig. Das Schloß schwebte wie ein großer gelber Geist in seinem schneebedeckten Park, so weit von dem Staub und Touristenlärm entfernt, die ich in Erinnerung hatte, daß mein Besuch mit Faith in der Zukunft hätte liegen können statt in der Vergangenheit.

»Es heißt, Franz Joseph hätte lieber hier residiert als in der Hofburg«, sagte ich, während wir langsam hinter dem Schloß durch die verschneiten Gärten zum Neptunbrunnen und den Gloriette-Kolonnaden auf dem Hügel dahinter spazierten. »Er brachte seine Mätresse in einer nahe gelegenen Villa unter.«

»Offensichtlich kennen Sie Wien besser als ich«, sagte Marian. »Wer ist Franz Joseph?«

»Sie müssen von ihm gehört haben. Der berühmte österreichische Kaiser. Der alte Knabe mit dem Walroßbart und der Brust voller Orden.«

»Da kann ich Ihnen nicht folgen. Aber ich bin kein Historiker.«

»Ich auch nicht.«

»Nein, Sie sind Photograph. Sollten Sie nicht Aufnahmen machen?«

»Später. Im Augenblick kann ich mich anscheinend nicht konzentrieren.«

»Warum nicht?«

»Was glauben Sie?«

»Sie müssen allein sein. Oder?«

»Vielleicht. Aber ich mag nicht.«

»Tut mir leid, wenn ich Sie von Ihrer Arbeit ablenke.«

»Es tut Ihnen nicht leid.«

Wir blieben am eingefrorenen Neptunbrunnen stehen und wandten uns einander zu, um uns anzusehen. Bis zu diesem Augenblick hatten wir uns noch nicht einmal berührt.

»Was geht da vor?« murmelte Marian.

»Etwas, was mir noch nie passiert ist.«

»Mir auch nicht.«

Wir waren jetzt atemlos, erwartungsvoll, aber ängstlich. Dann küßten wir uns: ihre Lippen auf meinen, ihre Zunge, ihre Nase und Wange, das Schmetterlingsflattern ihrer Wimpern, die Wärme ihres Atems, das Leder ihres Handschuhs kühl an meinem Hals.

Sie löste sich von mir und starrte mich an, als sei sie furchtbar erschrocken; dann ging sie den Weg entlang, der um den Brunnen herum und zu der Tannenlichtung dahinter führte. Sie drehte sich um und sah, daß ich ihr folgte, beinahe rannte.

Ich holte sie ein, als sie zwischen die Bäume hinter dem nächsten von Neptuns Tritonen trat. Wir küßten uns wieder.

Schnee war von den Zweigen ringsum auf ihr Gesicht gefallen, als sie sich rückwärts gegen die Brüstung lehnte – nachgebend oder sich noch immer wehrend, das war nicht zu erkennen. Aber es war auch unmöglich, damit aufzuhören.

»Laß uns in mein Hotel zurückgehen«, flüsterte Marian. »Jetzt gleich.«

»Wo wohnst du?«

»Im Imperial.«

»Das beste, heißt es.«

»Komm und finde es heraus.«

»Erzähl mir irgend was«, sagte sie und starrte in meine Augen, während das Taxi uns rasch wieder in die Stadt zurückbrachte. »Irgend was.«

»Mir fällt nichts ein.«

»Erzähl mir von deiner Arbeit.«

»Ich mache bloß Bilder.«

»Gibt es einen Photographen, den du besonders bewunderst?«

»Keinen lebenden.«

»Dann einen toten?«

»Roger Fenton vielleicht.«

»Warum?«

»Er war der allererste Kriegsphotograph. Auf der Krim. Er mußte erst alles aus den Anfängen entwickeln, aber es gelang ihm trotzdem, fast so etwas wie eine Kunst zu schaffen. Und seine Landschaften ... Aber das willst du doch nicht hören.«

»Ich will auch nicht denken. Rede weiter. War er erfolgreich, dieser Fenton?«

»Sehr.«

»Gesund, reich und weise?«

»Schwer zu sagen. Er war der berühmteste Photograph seiner Generation. Aber er gab auf, als er noch ein relativ junger Mann war. Verkaufte seine Ausrüstung und seine Negative. Steckte auf.«

»Warum?«

»Das weiß keiner.«

»Aber du hast eine Theorie?«

»Nur meine bescheidene Idee.«

»Sprich weiter.«

»Ich glaube, ihm wurde klar, daß er seine beste Zeit schon hinter sich hatte. Daß es von da an nur noch abwärts gehen konnte. Deshalb hörte er auf.«

»Das muß eine Menge Mut erfordert haben.«

»Oder Verzweiflung.«

»Oder Versuchung«, erwiderte sie.

»Was hätte ihn in Versuchung führen sollen?«

»Das Unbekannte« Sie verschränkte ihre Finger mit meinen. »Der Ort, zu dem man am liebsten gehen will. Trotz aller Risiken, die damit verbunden sind.«

Marian bewohnte eine Suite im ersten Stock des Hotels: zwei opulent möblierte Zimmer, deren hohe, mit dicken Vorhängen versehene Fenster auf die Straße hinausgingen. Die Tür fiel hinter uns ins Schloß, und sie betätigte einen Schalter, um die Jalousien herunterzulassen, die das graue Winterlicht filterten und dämpften. Die schwüle Atmosphäre von Leidenschaft – nackte Haut und gebrochene Tabus – war fast greifbar.

»Das muß teuer sein«, sagte ich.

Sie zuckte mit den Achseln. »Mein Mann bezahlt. Er hat es gern, wenn ich sein Geld ausgebe.«

»Werden wir nicht auch bezahlen – am Ende?«

»Vielleicht. Aber zuerst ...«

»Ja?«

»Können wir haben, wofür wir bezahlen werden. Und dafür sorgen, daß es seinen Preis wert ist.«

Sie zog Mantel und Handschuhe aus. Wir küßten uns langsam und ohne Hast, da wir wußten, daß wir nicht aufhören würden. Das Wahnwitzige an dieser Situation war Teil der Lust. Ich kannte sie nicht, und sie kannte mich nicht. Aber nichts sollte zurückgehalten werden. Schon spürte ich, daß es besser sein würde als alles, was je zuvor gewesen war; ihr Verlangen und meines paßten so vollkommen zusammen wie die hautengen Lederhandschuhe und ihre Finger, von denen sie sie gerade gezogen hatte.

Und es kam nahe an Vollkommenheit heran, so nahe, wie ich mir nur hätte erträumen können. Der Morgen ging in den Nachmittag über, während wir uns einander hingaben, zuerst mit unbeholfenem Eifer, dann in subtilen Variationen eines Themas, das immer den gleichen genußvollen Abschluß hatte. Wir gaben viel preis und entdeckten viel, sowohl psychisch als auch physisch. Wozu wir fähig waren. Was wir niemandem hätten eingestehen können außer Fremden, die wir füreinander gerade aufhörten zu sein. Jeder Höhepunkt fand und überschritt eine neue Grenze. Am Ende hatten wir alle Hemmungen überwunden. Es blieb nur noch erschöpfte Zärtlichkeit übrig.

»Das kann man nicht photographieren, Ian, oder?« sagte sie, als wir auf dem Bett lagen, noch aufgewühlt von all den Dingen, die wir getan hatten. »Das kann man mit keinem Bild festhalten.«

»Das würde ich auch nicht wollen.«

»Und was willst du?«

»Das hast du bereits herausgefunden.«

»Sag's mir trotzdem.«

»Ich will dich.«

»Nun, jetzt hast du mich bekommen.«

»Aber ich kann dich nicht behalten.«

»Das ist doch ein Glück für dich, oder? Du kannst mich vögeln und dann vergessen. Die meisten Männer würden dich beneiden.«

»Ich bin nicht die meisten Männer.«

»Das habe ich gemerkt.«

»Und im Vergessen bin ich nicht sehr gut.«

»Nun ja ... irgendeine Schwäche mußt du haben, nehme ich an.«

Ich wollte nicht lachen. »Was ist deine?«

»Merkwürdigerweise ...« Sie lächelte. »Dies gleiche.«

Es war nicht das erste Mal, daß ich meiner Frau untreu war. Nicht einmal das zweite Mal. Aber trotzdem hatte ich so etwas noch nie erlebt. Die Intensität des Erlebnisses war verwirrend. Schon lautete die Frage nicht mehr, ob es wiederholbar war, sondern, ob ich auch nur den Gedanken ertragen konnte, es würde nicht wiederholbar sein.

In dieser Nacht blieb ich im Imperial; ich kehrte nur kurz ins Europa zurück, um Kleider zum Wechseln zu holen. Wir aßen im luxuriösen Restaurant des Hotels zu Abend. Marian trug ein schwarzes Kleid, das aussah, als habe es ein Topdesigner für sie entworfen, aber keinen Schmuck und sehr wenig Make-up. Vor meinem inneren Auge sah ich immer wieder, was nur ein paar Stunden zuvor geschehen war.

»Was werden wir machen, Ian? Ich meine nicht heute abend.

Ich meine ...«

»Am Ende.«

»Ja.«

»Ich weiß nicht. Du hast einen Ehemann. Ich habe eine Ehefrau. Und eine Tochter.«

»Die hast du vorher nicht erwähnt.«

»Sie ist vierzehn. Es ist nicht so, als ob ...«

»Ich habe keine Kinder.«

»Marian, die Wahrheit ist, daß wir kaum angefangen haben, uns zu kennen.«

»Aber du hast es schon gemerkt, oder?«

»Was?«

»Daß das, was wir erlebt haben, das ist, was zählt.«

»Ich weiß, daß ich so noch nie gefühlt habe. Noch nie so schnell so viel empfunden habe.«

»Ich auch nicht.«

»Was ist das?«

»Eine Chance von eins zu einer Million.«

»Dann sollten wir das Beste daraus machen.«

»Und zur Hölle mit den Konsequenzen?«

»Im Moment scheinen die Konsequenzen unwichtig.«

»Befreiend, nicht wahr?«

»Es könnte zur Gewohnheit werden.«

»Ja. Ich weiß genau, was du meinst. Eine Gewohnheit, die man nicht ablegen kann.«

»Für den Augenblick will ich das nicht mal versuchen.«

Lange bevor wir genug gegessen und getrunken hatten, um unseren Hunger zu stillen, gingen wir in ihre Suite zurück. Das Zimmermädchen hatte die verspiegelten Schiebetüren zwischen den beiden Räumen geschlossen. Wir beobachteten uns darin, während ich den Reißverschluß ihres Kleides öffnete, die dünnen Seidenschichten von ihrem Körper schälte und sie im Lampenlicht auf den dicken Teppich zog. Daß wir uns noch immer mit der gleichen Dringlichkeit liebten, beunruhigte mich jetzt. Schon stand fest, daß mein Leben sich verändert hatte. Aber in welche Richtung? Wie Marian vorhergesagt hatte, ohne es wissen zu können, war die Versuchung, das herauszufinden, unwiderstehlich. Aber auch erschreckend.

Wir fielen ins Bett und in tiefen Schlaf. Ich erwachte daraus, als hätte ich nur für ein paar Minuten die Augen geschlossen, obwohl inzwischen früher Morgen sein mußte. Marian schlief noch, murmelte aber vor sich hin, atmete schwer und warf den Kopf auf dem Kissen hin und her, als versuche sie, ein schweres Gewicht loszuwerden.

»Das werd' ich dich nicht tun lassen, Jos«, hörte ich sie sagen. »Ich werd' dich nicht lassen.« Ein Moment Schweigen, dann, mit lauterer Stimme: »Du kannst mich nicht aufhalten. Ich werde dir zeigen, was ...« Plötzlich war sie wach. Sie fuhr im Bett hoch, hustend und keuchend und die Arme ausstreckend. »Oh ... O Gott ...«

»Beruhige dich«, sagte ich. »Du mußt einen Alptraum gehabt haben.«

»Ist schon vorbei.« Sie fiel ins Kissen zurück und atmete tief durch. »Gott, es tut mir leid. Ich weiß nicht ... was passiert ist.«

»Du hast im Schlaf geredet. Ist Jos dein Mann?«

»Ich habe ihn beim Namen genannt?«

»Ja, hast du.«

»Das zeigt bloß.., von manchen Leuten kommt man ... nicht so leicht los, wie man denkt. Ja, Jos ist mein Mann. Ich bin sicher, er würde gerührt sein, wenn er wüßte, daß er in meinen Gedanken vorkommt.«

»Hast du Angst vor ihm?«

»Warum sollte ich?«

»Es hörte sich an, als ob ...«

»Er bedeutet mir nichts. Gar nichts. Und er weiß es. Es gibt keinen Grund, warum ich Angst vor ihm haben sollte.«

»Aber du hast von ihm geträumt.«

»Eine Art automatischer Schuldmechanismus, denke ich.«

»Bei mir scheint er nicht funktioniert zu haben.«

»Das kommt noch. Und wenn es soweit ist, werde ich von dir vermutlich bloß noch eine Staubwolke sehen.«

»Du irrst dich.«

»Ach ja?« Im Dunkeln hatte sie die Arme nach mir ausgestreckt und neckte mich jetzt mit Worten und Händen.

»Beweise es.«

»Das kann ich nicht. Noch nicht. Aber ich werde es tun.«

»Gut. Vorerst will ich dir glauben. Aber inzwischen kannst du etwas gegen mein Problem mit den Schuldgefühlen tun.«

»Was?«

»Lenk mich davon ab.« Sie zog mich näher zu sich heran. »Auf jede Art, die dir gefällt.«

Früh am nächsten Morgen, während Marian im Bad war, verließ ich das Hotel und ging auf die andere Straßenseite und ins Café Schwarzenberg, um heißen schwarzen Kaffee zu trinken und mir darüber klarzuwerden, was geschehen war und was noch geschehen würde. Ihr Mann bedeutete ihr nichts, hatte sie gesagt. Aber stimmte das? Und, wichtiger noch, bedeutete sie auch ihm nichts? Ich hatte Angst in ihrer Stimme gehört, sosehr sie das auch leugnete. Und ich war für ihn jetzt eine Bedrohung, ob er das wußte oder nicht. Auf was ließ ich mich da ein?

Dann war da noch Faith. Unsere Ehe war irgendwie leer, seit sie durch den Unfall auf meine Affäre mit Nicole gestoßen war. Ich hatte noch immer den Verdacht, daß sie sie nur Amys wegen aufrechterhalten hatte. Aber Amy war jetzt nicht mehr zu Hause, sondern im Internat. Und das war weitgehend Faiths Entscheidung gewesen, eine Entscheidung, die möglicherweise einer Trennung den Weg ebnen sollte. Aber zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl, nicht meiner, und gewiß nicht, um mir die Dinge leichter zu machen. Wenn ich versuchte, aus dieser Sache hier mehr als eine Affäre für fünf Nächte zu machen, würden Faith und ich zur Kenntnis nehmen müssen, daß wir uns nicht mehr liebten. Und das würde schwer werden.

Aber ich würde am Ende meiner Woche in Wien auch Marian nicht so einfach verlassen. Wir waren erst vierundzwanzig Stunden zusammen, doch schon konnte ich den Gedanken, von ihr getrennt zu sein, nicht ertragen. Eine Chance von eins zu einer Million, hatte sie gesagt. Und sie hatte recht gehabt. Es war eine Chance, die ich mir bei aller Nüchternheit nicht würde entgehen lassen.

»Heute muß ich ein paar Photos schießen«, sagte ich beim Frühstück, als ich wieder bei ihr im Hotel war. »Der Verleger will, daß der Job nächste Woche erledigt ist.«

»Dann solltest du dich besser an die Arbeit machen.«

»Kommst du mit?«

»Ich würde gern. Aber denk dran, was in Schönbrunn passiert ist. Nicht viele Photos.«

»Ich muß da noch einmal hin.«

»Warum mietest du keinen Wagen? Dann hätten wir mehr Zeit ... für andere Dinge.«

»Das läßt mein Budget nicht zu.«

»Aber meins.«

»Tatsächlich gibt es noch ein Problem.« Ich hatte es geahnt, eines nach dem anderen würden wir unsere Geheimnisse offenlegen müssen. »Erinnerst du dich an den Unfall, von dem ich dir erzählt habe? Die Frau, die ich getötet habe?«

»Du hast nie gesagt, daß es eine Frau war.«

»Nein? Nun ja, es war eine Frau. Und ich ... ich fahre seither nicht mehr Auto.«

»Du hast deinen Führerschein verloren?«

»Nein, nein. Es war nicht meine Schuld. Zumindest nicht offiziell, obwohl ich mich oft gefragt habe ... Ich habe den Mut verloren, wenn du die Wahrheit wissen willst. Der Gedanke, wie leicht so etwas passieren kann, wollte mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen.«

»Macht es dir was aus, wenn du darüber redest?«

»Nicht mehr. Aber wie ich dir letzte Nacht schon sagte, im Vergessen bin ich nicht sehr gut.«

»Manche Dinge muß man vergessen.« Sie streckte die Hand aus und berührte sanft meine Wange. »Sieht so aus, als bräuchtest du einen Chauffeur. Kann ich mich um den Job bewerben?«

»Die Bezahlung ist lausig, die Arbeitszeiten sind unmenschlich, und der Boß wird nicht in der Lage sein, die Finger von dir zu lassen.«

»Dann nehme ich ihn.«

Etwas Besseres hätte ich mir gar nicht wünschen können. Marian mietete einen schicken Mercedes und fuhr mich in die entferntesten Winkel der Stadt. Wir hatten klarstes Winterwetter, und alles schien zu schön, um wahr zu sein. Ich machte ein paar Aufnahmen, von denen ich erwartete, daß sie gut werden würden – und Marian und ich ... Nun ja, was taten wir? Uns verlieben? Süchtig nacheinander werden? Uns ganz dem Einklang von Geist und Körper hingeben? Ich habe keine Worte dafür. Aber ich weiß, wie ich es empfand: als die zum ersten und einzigen Mal erlebte wahre Liebe.

»Du hast gar nicht versucht, mich noch mal zu photographieren«, stachelte sie mich an, als wir die verschneiten Grabreihen auf dem Wiener Zentralfriedhof erkundeten; die Woche war schon halb um, und immer schneller näherte sie sich ihrem Ende – und unserer Krise. »Wieso eigentlich?«

»Wie ich mich erinnere, hast du deine Meinung zu diesem Thema sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.«

Schmollend antwortete sie: »Aber das war, bevor wir uns richtig kannten.«

»Ich würde dich gern photographieren, Marian. Es würde mir gefallen, wenn du es möchtest.«

»Du redest, als ob das wirklich eine Rolle spielte.«

»Ich bin Photograph. Es muß eine Rolle spielen.«

»Warum?«

»Photographen – die besten – fangen die Realität von Dingen ein. Und von Menschen.«

»Wie lange gibt es sie schon?«

»Photos? Oh, hundertfünfzig Jahre oder so.«

»Wer war die erste Person, die photographiert wurde?«

»Ich bin nicht sicher. Fox Talbots Frau. Oder eine seiner Bediensteten in Lacock. Andererseits könnte es sein, daß Daguerre ...«

»Lacock Abbey, in der Nähe von Chippenham?«

»Ja. Kennst du das?«

»Ich bin einmal dort gewesen. Ich ... ich kann mich nicht mehr an viel erinnern.«

»Um achtzehnhundertdreißig erfand William Fox Talbot in Lacock die Photographie. In dem Haus gibt es ein Museum, das diesem Thema gewidmet ist.«

»Auf mich kann es keinen großen Eindruck gemacht haben, fürchte ich. Tut mir leid.«

»Das macht doch nichts.«

»Aber ich werde es gutmachen.« Ausgelassen rannte sie vor mir her, drehte sich dann um und lächelte mich an. »Mach hier ein Photo von mir.«

»Wieso der plötzliche Sinneswandel?«

»Weil die Hälfte der Leute auf diesem Friedhof gestorben sein muß, bevor die Photographie erfunden wurde. Aber sie waren genauso real wie du und ich. Vielleicht sogar realer.«

»Wieso realer?« Ich hob die Kamera ans Auge und trat zur Seite, erweiterte den Blickwinkel, um die kahlen Bäume und düsteren Grabsteine hinter Marian in ihrem blutroten Mantel einzufangen.

Sie grinste mich herausfordernd an. »Für mich bist du real genug.«

»Ich bin so glücklich, daß alles auch nur ein Traum sein könnte.«

»Nein, du träumst nicht.« Ihr Lächeln machte das Bild perfekt. Es sah so echt aus, wirkte gleichzeitig aber unpassend inmitten all der Toten Wiens. »Und jetzt haben wir den Beweis.« In diesem Augenblick drückte ich auf den Auslöser und empfand ein leichtes Triumphgefühl, weil sie mir das gestattet hatte. »Danke, Marian.«

»Wofür?«

»Dafür, daß ich deine Realität einfangen durfte.«

»Oh, das hattest du schon vorher getan.« Sie lächelte noch immer, mehr als zuvor. »Wußtest du das nicht?«

An unserem letzten gemeinsamen Tag in Wien gingen wir zum Donaupark. Von der Spitze des Donauturms aus, dessen Geländer mit Eis überzogen war, machte ich ein paar eindrucksvolle Aufnahmen von den UNO-Gebäuden und ein Erinnerungen weckendes Bild vom Turm des Stephansdoms, der mir jetzt so fern erschien wie unsere erste Begegnung an jenem Morgen. Ferner jedenfalls als unsere Trennung.

Beim Mittagessen im Drehrestaurant des Turms, während Wien langsam unter uns vorbeizog, warteten wir darauf, daß der andere das Wort ergriff. Am Ende sagte ich ebenso zu mir selbst wie zu ihr: »Ich komme nicht darum herum, morgen abzureisen.«

»Ich weiß.«

»Ich wünschte ...«

»Auch das weiß ich.«

»Und wann fährst du?«

»Ich habe für Freitag einen Flug gebucht.«

»Und dann ... können wir uns treffen?«

»Da gibt es ein Problem, Ian.«

»Dein Mann.«

»Jos würde nicht ...« Sie schaute aus dem Fenster auf den schneebleichen Horizont und bemühte sich, ihre Gedanken und Worte zu ordnen. »Meist läßt er mich machen, was ich will. Diese Reise zum Beispiel. Aber ... es gibt Grenzen.«

»Und ich überschreite sie.«

Sie sah wieder zu mir auf. »In England würdest du das tun. Er hätte das Gefühl, daß ich ihn zum Narren mache. Was vermutlich auch stimmte. Und das würde ihn sehr aufbringen. Was keine gute Idee wäre. Überhaupt keine gute Idee. Glaub mir, ich weiß das. Aus bitterer Erfahrung.«

»Mußt du es ihm denn sagen?«

»Schau mich an, Ian. Was siehst du?«

»Eine schöne Frau.«

»Wenn das stimmt, dann liegt es an dir. Ich bräuchte Jos gar nicht zu sagen, daß ich eine Affäre habe. Er würde es auf den ersten Blick sehen.«

»Ich werde dich nicht aufgeben.«

»Ich glaube, das wirst du müssen. Es sei denn ...«

»Was?«

»Es geht um alles oder nichts, wenn ich das richtig sehe.«

»Dazu bin ich bereit.«

»Wirklich? Was würde deine Frau sagen? Und deine Tochter?«

»Was immer sie wollen. Es würde für mich keinen Unterschied machen. Ich habe in meinem Leben einige Fehler begangen, aber das wäre keiner. Geh mit mir fort, Marian. Wir machen einen sauberen Schnitt. Einen neuen Anfang. Zusammen.«

»Können wir das wirklich?«

»Ich glaube, wir haben keine andere Wahl.«

»Du hast natürlich recht.« Sie griff über den Tisch, um nach meiner Hand zu fassen. »Wir haben keine. Ich wußte es die ganze Zeit.«

»Warum hast du es dann nicht gesagt?«

Sie lächelte. »Weil ich es zuerst von dir hören wollte, nehme ich an.«

Wir gingen zurück ins Imperial und liebten uns leidenschaftlich. Wir waren wie zwei Ertrinkende, die sich aneinander klammerten. Die Gefühle wurden von Mal zu Mal intensiver, bis sie uns an Orte führten, von denen ich nicht geglaubt hätte, daß sie existierten. Hinterher ließ sie sich von mir photographieren, nackt auf dem Bett liegend. Auch die Photos waren ein Beweis unserer schonungslosen Offenheit. Was sie bedeuteten, ließ sich nie mehr leugnen.

»Um welche Zeit fliegst du?« fragte sie, als die Dämmerung hereinbrach.

»Um eins.«

»Ich fahre dich zum Flughafen.«

»Nein. Laß uns hier Abschied nehmen. Auf die bestmögliche Art. Laß mich diese Erinnerung im Kopf behalten.«

»Wann wirst du es deiner Frau sagen?«

»Sofort.«

»Bist du sicher?«

»O ja. Ich bin sicher.«

»Ich auch. Es ist erstaunlich, nicht? Ich liebe dich, Ian. Ist dir das klar?«

»Mir ist klar, daß ich dich liebe.«

»Ich wünschte, ich könnte mit dir zurückfliegen.«

»Warum tust du es nicht?«

»Weil Jos bis Freitag auf Geschäftsreise ist. Vorher kann ich es ihm nicht sagen. Und ich möchte lieber hier warten als in seinem Haus.«

»Ist es nicht auch dein Haus?«

»Nicht wirklich. Die Esguards wohnen seit Generationen dort. Und ich war nie eine von ihnen. Nicht da, wo es zählt, im Blut. Es wäre vielleicht anders gekommen, wenn ich einen Sohn und Erben geboren hätte, aber ...«

»Du brauchst mir nicht zu sagen, warum es dazu nie gekommen ist, Marian. Es sei denn, du möchtest es.«

»Ich möchte es, aber ich werde es nicht tun. Je weniger wir gegenseitig über unsere Ehen wissen, desto besser. Freitag abend werden sie Geschichte sein.«

»Noch drei Tage. Klingt ganz schön lange.«

»Gerade lang genug« – hier rollte sie sich auf die Seite und streckte die Hand nach mir aus –, »um dich zu Höchstleistungen anzuspornen.«

»Darauf hast du mein Wort.«

»In der Zwischenzeit kannst du mich hier anrufen und mir sagen, was mich erwartet.«

»Wo werden wir uns treffen?«

»Weißt du, du hast etwas irritierend Praktisches.« Sie ließ mich los und seufzte. »Das muß an deinem Beruf als Photograph liegen. Belichtungszeiten. Helligkeit. Brennpunkte. All diese Details.«

»Nun, da wir schon von Photographie reden: Du hast erwähnt, daß du in Lacock warst. Könntest du am Freitag abend dort hinkommen?«

»Nach Lacock? Natürlich. Warum?«

»Im Dorf gibt es einen wunderbaren alten Gasthof. Er heißt Sign of the Angel. Du kennst solche Häuser: Eichenbalken, knarrende Dielenbretter, Holzfeuer, antike Möbel und hübsche, gemütliche Zimmer.«

»Hört sich toll an. Vor allem die gemütlichen Zimmer.«

»Ich werde das gemütlichste reservieren, das sie haben.«

»Dann kannst du mir die Abtei zeigen. Und mir all das Zeug über Fox Talbot erzählen, das mir anscheinend entgangen ist.«

»Das wird nicht gehen, fürchte ich. Um diese Jahreszeit wird die Abtei geschlossen sein.«

»Macht nichts. Es wird andere Gelegenheiten geben.«

»Jede Menge, hoffe ich.«

Sie küßte mich leicht auf die Wange und legte ihren Kopf an meine Schulter. »So viele wie du willst, Ian. Von Freitag an.«

An diesem Abend gingen wir nur ins Café Schwarzenberg, wo wir lange bei Wein und Kaffee und unseren vagen Zukunftsplänen saßen. Doch das, was uns in England erwartete, schien zu kompliziert, es richtig zu begreifen, solange wir noch eine Nacht in Wien genießen konnten. Wir hatten beschlossen, uns in Lacock zu treffen, nachdem wir definitiv mit unserer Vergangenheit gebrochen hatten, und zu mehr waren wir in diesem Augenblick nicht fähig.

»Erzähl mir, wie es dazu kam, daß Fox Talbot die Photographie erfand«, sagte Marian, als wir unseren letzten Kaffee getrunken hatten. »Ich muß solche Dinge doch wissen, wenn ich in Zukunft mit einer Autorität auf diesem Gebiet leben werde.«

»Das bin ich ganz bestimmt nicht. Und es ist eine lange Geschichte.«

»Erzähl mir die Kurzfassung.«

»Ist das dein Ernst?«

»Ja, ich möchte es gern wissen.«

»Na gut. Hast du je von einer Camera lucida gehört? Das war ein bei Amateurkünstlern des vorigen Jahrhunderts beliebtes Zeichengerät. Im Grunde eine andere Version der Camera obscura. Ich nehme an, daß du auch davon noch nie etwas gehört hast.«

Sie schmollte. »Doch, habe ich. Außerdem kann ich genug Latein, um dir zu folgen. Camera lucida: heller Raum. Camera obscura: dunkler Raum. Richtig?«

»Ich bin beeindruckt. Jedenfalls funktioniert es folgendermaßen. Du streichst eine Wand eines verdunkelten Raums weiß an und bohrst ein Loch in die gegenüberliegende Wand. Bei entsprechendem Licht fällt dann ein umgekehrtes Licht der Szene außerhalb des Raums auf die weiße Wand. Wenn du eine Linse in das Loch steckst, kannst du das Bild umdrehen und scharf einstellen. Wenn du in dem Raum Spiegel installierst, kannst du das Bild auf ein Blatt Papier werfen und nachzeichnen. Wenn du den Raum auf das Format eines Kartons verkleinerst, hast du ein tragbares Zeichengerät. Das ist die Camera obscura. Gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts war ihr Gebrauch weit verbreitet.«

»Du weißt ja bestens Bescheid, oder?«

»Du hast mich gefragt.«

Sie lächelte. »Weiter.«

»In Ordnung. Die Camera lucida hingegen besteht aus einem kleinen Prisma, das auf ein ausziehbares Gestell montiert war. Man plazierte es auf sein Zeichenbrett, stellte den Winkel ein und sah in dem Prisma das Spiegelbild der Szene, die man vor sich hatte. Dann rückte man mit dem Auge gerade weit genug an den Rand des Prismas, um das Bild der Szene und das Blatt Papier darunter verschmelzen zu lassen, scheinbar auf dem Papier, und zeichnete einfach das nach, was man sah. Das wurde Ende des achtzehnten Jahrhunderts von einem Mann namens Wollaston erfunden.«

»Aber von der Photographie sind wir noch immer weit entfernt.«

»Nicht wirklich. Es dauerte nur ein paar Jahrzehnte, bis jemand auf die Idee kam. Warum sollte man nicht versuchen, die mit diesen Geräten erzeugten Bilder festzuhalten? William Fox Talbot, ein Gutsherr und Amateurwissenschaftler aus Wiltshire, verbrachte im Herbst 1833 seine Flitterwochen in Oberitalien und versuchte erfolglos, den Zeichnungen seiner Frau mit Hilfe seiner Camera lucida Konkurrenz zu machen. Als er wieder in Lacock war, fing er mit Experimenten an, bei denen seine geringe Begabung im Zeichnen überhaupt keine Rolle mehr spielen sollte. Die lichtempfindlichen Eigenschaften von Silbernitrat waren ihm gut bekannt. Er behandelte also ein Blatt Papier mit einer Salzlösung von dem Zeug und steckte es in die Camera obscura. Das Ergebnis war ein photographisches Negativ – hell stand für dunkel, weil Licht das Silberchlorid schwärzte. Aber wenn das Papier durchsichtig war, konnte man es erneut dem Licht aussetzen und so auf einem anderen, darunterliegenden Blatt ein Positiv erzeugen – der Schlüssel zur photographischen Reproduktion.«

»Und das war alles?«