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MONIKA RECH-HEIDER

AUF NACH NEULAND

Mit Schulkindern und Bulli
ein Jahr lang durch Europa

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger
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Die Rechte für die Fotografien im Innenteil und auf dem
Buchumschlag liegen bei der Autorin.

1. Auflage
© 2020 Benevento Verlag bei Benevento Publishing München – Salzburg, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:
Red Bull Media House GmbH
Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15
5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT
Gesetzt aus der Palatino, Bean Pole, Function
Umschlaggestaltung: ZeroMedia GmbH, München
Umschlagmotive: Monika Rech-Heider (Fotos), FinePic®, München
ISBN 978-3-7109-0086-0
eISBN 978-3-7109-5095-7

Für Paul, Fannie, Liv und Andi.

Jeder Tag mit euch ist ein Geschenk. Für alle, die ihr uns unterwegs in euer Leben gelassen habt: Wir danken euch. Ihr wart das weit geöffnete Eingangstor auf unserer Suche nach einem freien, offenen, selbstbestimmteren Leben. Für unsere Familien, für Oma Resi, Oma Maru, Opa und Tito, die ihr uns in eurer Liebe habt ziehen lassen.

INHALT

»Ihr seid aber mutig!« – Das Vorwort, in dem es direkt ums Ganze geht

Unser Leben am Limit – Erstes Kapitel, in dem wir durchs Leben hetzen und im Kreis laufen wie Sprinter auf der Tartanbahn

Die Welt dreht endgültig durch – Zweites Kapitel, in dem uns die Welt zu nah auf die Pelle rückt

Wenn plötzlich alles möglich erscheint – Drittes Kapitel, in dem eine Entscheidung kurzen Prozess mit unserem Gedankenwirrwarr macht

Loslassen – Viertes Kapitel, in dem ich den Tränen ihren Lauf lasse, weil ich beinahe mal wieder nur fast dabei gewesen wäre

Ohne Vorbereitung läuft das nicht – Fünftes Kapitel, in dem To-do-Listen her müssen und das Dauerthema Schulpflicht seinen Raum bekommt

Es läuft. Aber wohin? – Sechstes Kapitel, in dem wir unser Haus übergeben, aber nicht wie geplant Richtung Norwegen aufbrechen

Aufbruch! – Siebtes Kapitel, in dem unser Traum deutliche Risse bekommt

Warten aufs Womo! – Achtes Kapitel, das für die einen das Paradies, für die anderen ihr Waterloo bereithält

Neues Denken muss her! – Neuntes Kapitel, in dem wir auf das Wohnmobil pfeifen und stattdessen endlich begreifen, dass wir schon unterwegs sind

Der Tag der großen Freiheit! – Zehntes Kapitel, in dem wir die Ortsgrenzen von Limbach mit dem einzigartigen Gefühlsmix verlassen, Richtung unbekannt unterwegs zu sein

Im Rückspiegel – Elftes Kapitel, in dem wir an der weißrussischen Grenze Abschied nehmen und auf die Direttissima gen Heimat starten

Von Battenberg bis Weimar – Zwölftes Kapitel, in dem wir die Landstraßen entlangstromern und unsere Nasen überall Fährte aufnehmen

Bei Freunden – Dreizehntes Kapitel, in dem wir das erste Mal bei Fremden vor der Tür stehen. Und von Freunden Abschied nehmen

Sorry, jetzt sind wir unterwegs – Vierzehntes Kapitel, in dem wir in Tschechien einen Moment über Geld nachdenken müssen

Im Club der blauen Bänder – Fünfzehntes Kapitel, in dem wir in Budapest über Europa nachdenken

»Leben, wie wir es wollen« – Sechzehntes Kapitel, in dem wir in der ungarischen Puszta landen, bei Menschen, die ihr Leben selbst in die Hand genommen haben

Frei sein ist wunderschön – Siebzehntes Kapitel, in dem wir die Rückkehr in unser altes Leben lieber noch einmal hinauszögern

Balkanblues – Achtzehntes Kapitel, in dem wir unterwegs angeschmiert werden und schließlich am Meer landen

#realvanlife und Social-Media-Mist – Neunzehntes Kapitel, in dem ich mit mir selbst in Sachen Social Media abrechne

Zurückkommen, aber nicht heimkehren – Zwanzigstes Kapitel, in dem uns Köln so fremd ist, als kämen wir aus einer anderen Galaxie

Die Streitbarere – Einundzwanzigstes Kapitel, in dem ich einen Brief an Zenepa schreibe, die uns und unseren Kindern beigebracht hat, dass man für seine Überzeugungen einstehen muss

»Passt auf in Albanien« – Zweiundzwanzigstes Kapitel, in dem Vorwarnungen sich als gegenstandslos erweisen

Kennenlernen – Dreiundzwanzigstes Kapitel, in dem wir Gefährten finden und das erste Mal auf der Reise richtig Ferien machen

Ein Winter auf Kythera – Vierundzwanzigstes Kapitel, in dem wir das erste Mal mediterrane Winterstürme erleben, fast vom Blitz getroffen werden und griechisch-orthodoxe Weihnacht feiern

Limbach, die Zweite – Fünfundzwanzigstes Kapitel, in dem wir das Wohnmobil sanieren und wieder auf Tour gehen

Wendezeit – Sechsundzwanzigstes Kapitel, in dem es zwei Möglichkeiten gibt: aufgeben oder neu denken

Unter freiem Himmel – Siebenundzwanzigstes Kapitel, in dem wir im April 2018 in einem Dorf in Kalabrien mit der Idee des freien Lernens infiziert werden

Vertrauen und Loslassen – Achtundzwanzigstes Kapitel, in dem uns Lisa und ihre Kinder Sizilien zeigen. Und ich mich mit meinen Ängsten konfrontiere

Regentage – Neunundzwanzigstes Kapitel, in dem wir nach acht Monaten Unterwegssein Zwischenbilanz ziehen. Und merken, dass jede Menge Fragen offen sind

Nichts wie weg! – Dreißigstes Kapitel, in dem wir kurz in Köln einfahren und schnellstens wieder ausbrechen

Endlich, der Norden ruft! – Einunddreißigstes Kapitel, in dem wir uns unseren Traum erfüllen und mit uns selbst ins Reine kommen

Danke! – Zweiunddreißigstes Kapitel, in dem wir Abschied von Andis Mutter nehmen und mal wieder ein wenig mehr davon verstehen, was Liebe bedeutet

Tucholsky lässt grüßen – Dreiunddreißigstes Kapitel, das Herrn Niesmann und Herrn Tucholsky gewidmet ist

Angekommen! – Vierunddreißigstes Kapitel, in dem wir zu Hause ankommen und feststellen, dass die Reise aus uns keine anderen Menschen gemacht, wohl aber so einiges in uns zum Schwingen gebracht hat

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»IHR SEID ABER MUTIG!«

Das Vorwort, in dem es direkt ums Ganze geht

»Ihr seid aber mutig!« Ich weiß so manches Mal gar nicht, was gemeint ist, wenn dieser Satz fällt: Mutig, auf Reisen gegangen zu sein? Oder mutig, so lange stehen geblieben zu sein, so lange ausgehalten zu haben. Sagen wir einmal so: Wenn ich heute vor dem Spiegel stehe, schaut mir eine andere entgegen als vor der Reise. Eine, die aufrechter steht. Die vor dem Spiegel tanzt. Die über sich selber lacht. Eine, die weiß, dass sie das Leben führt, das sie führen will. Wie das aussieht, das Bild im Spiegel? Einfach schön, leicht, als hätte das Herz eine Drehung genommen. Hat es auch!

Vor unserer Reise reichte meine Kraft oft nur vom Aufstehen bis zum Frühstücksbrot. Danach gab ich mich geschlagen. Erschlagen und zu Brei zerquetscht von dem vielen Müssen und dem wenigen Dürfen. Von dem großen Ungleichgewicht zwischen der Idealvorstellung, wie wir unser Leben führen wollten, und der Art, wie wir es tatsächlich lebten. Wo war die Freiheit hin, die mich während meiner Studienzeit durch die Welt getrieben hatte? Wo die Freude, mit der wir in unser Familienleben gestartet waren? Was war aus der Leichtigkeit geworden, die einmal in mir war? Wo war der Sinn hin, der uns so klar vor Augen stand, als Paul, Fannie und Liv auf die Welt kamen?

Wir hatten doch alles, um glücklich und zufrieden zu sein. Wie also konnte es sein, dass wir uns so leer fühlten, kraftlos, machtlos, wie einbalsamiert und zu einem runzeligen Abbild unserer selbst mumifiziert? Wir hatten eben alles. Alles außer Zeit. Und die haben wir uns genommen!

In diesem irren Dauersprint durch den Alltag waren wir einfach nicht in der Lage, unsere wahren Schätze zu sehen, obwohl wir sie in Händen hielten. Da waren unsere Kinder, die wir liebten, da waren die Sicherheit und Freiheit, in deren Schutz wir uns entwickeln durften, da war die Unabhängigkeit, umzusetzen, was in uns steckt. Doch es fehlte an Zeit und auch an Abstand, um unsere Lebensumstände positiv zu bewerten. Und um die Dinge anzupacken und zu ändern, mit denen wir uns in diese Schieflage gebracht hatten. Um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, mussten wir erst einmal raus aus unserem Leben, uns mit vollem Karacho aus der Bahn katapultieren. Wie soll man Optimist werden, wenn man nur noch mit gesenktem Kopf durchs Leben geht.

In einem Jahr Reise durch Europa, mit Kindern und Hund, in dem so gut wie nichts geklappt hat, wie wir es geplant hatten, in dem wir viel öfter strauchelten statt fröhlich trudelten, kamen wir nicht umhin, uns selbst unter die Lupe nehmen. Und wir haben Etappe für Etappe gelernt.

Es ist seltsam, aber das Leben fühlt sich wirklich anders an, wenn man sich die Freiheit nimmt, eine Extraportion Zeit zu kosten. Leichter. Erhabener. Tiefer und verbundener. Wir haben ein Jahr gebadet in diesem unserem Leben. Und selbst die Nachwehen davon fühlen sich so an, als hätten wir einen Schluck aus einem Beutel voller Zaubertrank genommen, der einen nicht mit unendlicher Kraft oder überirdischen Fähigkeiten ausstattet, wohl aber mit einer veränderten Werteskala. »Papa, du hast auf der Reise das Lächeln gelernt«, sagte Liv, als wir uns auf dem Rückweg befanden. Ist das nicht ein großes Geschenk?

Wir haben so viel gelernt. Leben passiert nicht. Leben wird nicht von jemand anderem für einen gemacht. Man muss es gefälligst selber in die Hand nehmen. Wir haben die Freiheit, unser Leben zu gestalten. Wir haben die Freiheit, uns auf den Weg zu machen und nach unserem Glück zu suchen. Wir haben die Freiheit, Entscheidungen zu treffen und aus scheinbar unzähligen Wegen auszuwählen. Und aus dieser Freiheit – so haben wir es zumindest empfunden – erwächst eine Art Glück. Denn stimmen Sehnsüchte und Ziele mit dem täglichen Erleben auch nur annähernd überein, entsteht eine Art zufriedene Balance in einem, die einen auch nach dem Frühstück durch den Rest des Tages trägt. Die dafür sorgt, dass wir uns auf den vor uns liegenden Tag freuen und uns voller Dankbarkeit ins Leben schmeißen. Glücklichsein erfordert weit geöffnete Augen und ein noch weiteres Herz. Es ist eine Denk- und Fühlweise, die gehegt und gepflegt werden will. Man muss sich um sie kümmern, sie frei schubbern aus all dem Unrat, der sich alltäglich über uns aufstapelt. Glücklichsein ist Arbeit, Tag für Tag, es fällt den meisten nicht einfach in den Schoß.

Glück ist eine Gratwanderung. Wir können auswählen aus einer unendlichen Anzahl von Möglichkeiten, die sich vor uns auftun, und der Bereitschaft, dieses Glück auch anzunehmen und Hallo zu ihm zu sagen, wenn es uns über den Weg läuft. Glücklichsein ist ein Balanceakt, Träume zuzulassen und sie zum Leben zu erwecken und damit zufrieden zu sein, wie man lebt (das haben wir von Oma Resi gelernt). Manch einer scheitert am Zuviel an Möglichkeiten (und nicht am Zuwenig) und der Angst davor, mit einer Entscheidung überhaupt eine Richtung einzuschlagen.

Am Anfang all dieser Überlegungen, allem übergeordnet, steht jedoch unangefochten die Freiheit. Die Freiheit als Chance und Verpflichtung, zu entscheiden und dem Leben eine Richtung zu geben.

Vor unserer Reise habe ich oft vom Glücklichsein gelesen. Davon geträumt. Darüber nachgedacht. Heute begleitet es uns auf eine bescheidene, unaufdringliche Weise. Wir wissen um unser Glück. Wir nehmen das Thema Entscheidungen ernst. Unsere Selbstbestimmtheit, unsere Autonomie fordert uns, aber sie hilft uns dabei zu wachsen.

Was hat dieses Jahr Reisen mit der Familie und den Kindern nicht alles bewegt! Es hat uns aus unserem Alltag hinausgeschleudert, es hat alles infrage gestellt, unsere Perspektiven verändert – auf das Lernen, das Leben, auf Europa, auf das, was ist, und auf das, was kommt.

Wir sind nicht angekommen. Keineswegs. Nein, wir haben nur einen ersten Schritt getan. Sind einmal herausgetreten und haben uns augenzwinkernd bis kopfschüttelnd selber dabei zugesehen, wie wir gelebt haben. Wir haben uns unsere Freiheit erkämpft. Und das setzt so vieles in Bewegung! Aus ruhelosen Großstädtern sind großstädtische Ruhebewahrer geworden, aus offensiven Pessimisten verhaltene Optimisten, aus einem lockeren Familienverbund sind Vater, Mutter und Kinder geworden, die zusammenhalten wie die Kellys in ihren besten Zeiten. Fulltime gestresste Job-und-Erziehung-unter-einen-Hut-Bringer haben sich in halbwegs relaxte Freischaffende und wohlwollend begleitende Eltern verwandelt. Vom Ruhepuls 180 sind wir runter auf gemütliche achtzig Schläge pro Minute. Nicht immer, aber meistens. Die Reise hat uns gezeigt: Es liegt an uns. Ein anderes Leben ist möglich!

»Ihr seid aber mutig!« Welche Alternative hätten wir denn gehabt? Weitermachen wie bisher? Das Leben hätte uns diese Entscheidung übel genommen.

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UNSER LEBEN AM LIMIT

Erstes Kapitel, in dem wir durchs Leben hetzen und im Kreis laufen wie Sprinter auf der Tartanbahn

Wann genau hat unsere Reise eigentlich begonnen? Startete sie mit den ersten gefahrenen Kilometern in unserem wieder auf Vordermann gebrachten VW T3 am 4. Oktober 2017? Oder mit dem völlig danebengegangenen Auszug aus unserem Haus am 31. Juli desselben Jahres? Oder ging nicht alles doch viel viel früher los?

Köln, im November 2015

Es war ein nasskalter Tag. Es regnete diesen fiesen Fisselregen, wie er in unserer Stadt so oft fällt. Plus vier Grad und durch und durch nass. Farben gab es längst keine mehr, die Häuser, der Himmel, die Menschen – sie alle trugen grau. Es war ein ganz normaler Montag oder Dienstag, vielleicht auch ein anderer Wochentag. Sie ähnelten sich so sehr, dass es keine Rolle spielte. Der Asphalt der Straße war durchlöchert, die Zeit schielte mich aus seinen Fugen an. Von vielen Jahren weich gemahlene Basaltsteine waren das einzig Schöne, das zu mir durchdrang. Rechts und links parkten Autos, die morgendliche Rushhour hatte schon begonnen und auf der etwas zu engen Straße schoben sich die Fahrzeuge aneinander vorbei. Das Hupen, die Hektik und die vor Stress verzerrten Gesichter nahm ich nicht wirklich wahr in meinem Tunnel. Ich hatte meine dreijährige Tochter Liv im Anhänger vor mir, sie versuchte mir irgendetwas zu erzählen, während ich lief und mein Herz mir bis zum Hals schlug. Ich rannte regelrecht, nicht weil ich grundsätzlich an meinem Fitnesslevel interessiert gewesen wäre – das nach Schwangerschaften und im sagen wir mittleren Alter (mit Tendenz zum Fortgeschrittenenmodus) zugegebenermaßen etwas ramponiert war –, nein, ich rannte, weil ich mit Andi um sechs Uhr aufgestanden war, Paul um Punkt zehn nach sieben an der Bahn stehen musste und Fannie um fünf nach acht fertig angezogen an der Tür, damit der Nachbarsjunge Moritz nicht schon wieder auf sie warten musste; ich rannte, damit Liv nicht später als um halb neun im Kindergarten abgeliefert wurde und ich um Punkt neun den Rechner hochgefahren und das Telefon in der Hand hatte, um ein Interview zu führen, auf das ich mich noch vorbereiten musste. So, und wenn jetzt jemand denkt, da fehlen ein paar Punkte, die den Satz in leicht verdauliche Häppchen zerlegen, dem sei gesagt: Exakt so war unser Leben. Ohne Luft zu holen und mit einem Puls von 180 permanent auf dem Laufband, das uns mit sich forttrug – ohne Pause, ohne Sinn.

Nach dem ersten Auftrag, an dessen Inhalt und Sinn ich mich wirklich rein gar nicht mehr erinnere, musste die gepackte Tasche rasch ins Auto geschmissen, eine Bluse übergeworfen und das Jackett noch glatt gestrichen werden, um den nächsten Termin in Düsseldorf nicht komplett zu vermasseln. Ich hatte Texte pünktlich und zur allgemeinen Verständlichkeit auszuspucken wie der Bankautomat seine Geldscheine.

In dem Moment also, als ich mit Liv über die nasse Straße in den Kindergarten hetzte, zu sehr außer Atem, um den Worten meiner Tochter Aufmerksamkeit zu schenken, den Blick auf den Boden gerichtet und meinem Herzschlag hinterherhastend, unterbrochen nur vom kurzen E-Mail-Checken und WhatsApp verschicken, um die Termine des Tages im Blick zu behalten, fuhr ein Müllauto an uns vorbei und übergoss mich mit dem nassen Dreck der Straße – und genau in diesem Moment erhob ich mich über mich selbst und beobachtete die Szene aus der Vogelperspektive. Und ich war alles andere als versöhnt mit dem, was sich mir darbot.

Was für ein erbärmlicher Morgen. Nicht wegen des Regens und des Graus und des Drecks. Das alles ließe sich mit einer irgendwie gearteten positiven Grundhaltung noch ertragen. Nein, es war diese Geschwindigkeit, mit der ich durchs Leben hetzte. Ich lief und lief, ohne anzukommen oder wenigstens einmal Luft zu holen. Ich lief, weil ich laufen musste, um mein Tagespensum zu schaffen (und letztlich gemeinsam mit meinem Mann die Familie zu ernähren). Ich lief, weil es auch ein bisschen zur Gewohnheit geworden war. Ich lief, ich arbeitete, ich aß, ich schlief. Diese vier Tätigkeiten sind von den letzten Jahren in unserer Stadt und in unserem ganz normalen Leben in Erinnerung geblieben.

»Nun beklagt euch mal nicht«, hörte ich Freunde sagen, »das geht uns doch allen so. Das ist in unserer Gesellschaft einfach so.« – »Ohne Fleiß kein Preis«, drang es aus einer anderen Ecke zu mir ans Ohr. Irgendwie versuchte mir so ziemlich jeder beizubringen, das Leben so zu akzeptieren, wie es war. Schließlich ginge es uns ja gut. Stimmt schon. Wir waren gesund. Wir hatten tolle Kinder. Wir waren zwar nicht reich, aber wir hatten Jobs, die so ziemlich alles ermöglichten, was wir uns als Ziel setzten: ein kleines Haus in der Stadt (in dem sich immer mehr Dinge anhäuften, die keiner mehr brauchte) und in einem netten Umfeld. (Die Leute um uns herum hetzten allerdings genauso aufgedreht durchs Leben wie wir. Oder sie stressten uns, weil sie beim Straßenfegen zu einem Vormittagsplausch aufgelegt waren und wir nicht wussten, wie wir möglichst elegant wieder entkommen konnten, um weiterzuarbeiten. Wobei – von letzterer Spezies gab es in unserer direkten Umgebung genau eine Einzige. Eine Einzige, die sich die Zeit nahm, um sich ganz normalen Dingen wie einem Vormittagsplausch hinzugeben. Eigentlich schade.)

Wir hatten Freunde, die wir kaum sahen, Familie, der alle paar Wochen ein hektischer Besuch abgestattet wurde, und einen kleinen Garten, dessen Verwilderung wir eine romantische Note andichteten. Außerdem fuhren wir mindestens zweimal im Jahr in Urlaub – Hauptsache raus in die Natur. Natur. Ruhe. Ach ja.

An der Existenz unserer Kinder durften sich Jahr für Jahr andere laben. Sie waren im Kindergarten, in der Schule, in der Ganztagsbetreuung, im Sportverein, wo auch immer, Hauptsache, sie hielten uns nicht ab von unseren Jobs.

Da ist zum einen Paul, unser Erstgeborener. Den wir nach einer schweren Geburt mit anschließendem Kaiserschnitt im Arm hielten und für das größte Wunder dieses Universums hielten. Den wir im Körbchen in unser Regal gelegt hatten. Der immer strahlte und mit seinem unwiderstehlichen Blick wildfremden Menschen Süßigkeiten abschwatzte. Da war er kaum ein Jahr alt. Der auf meinem Schreibtisch groß wurde und den ich schon im Alter von einem halben Jahr mit zu Terminen in andere Städte nahm. Da wurde er dann von Freunden im Anhänger herumkutschiert, und ich erbat mir alle paar Stunden eine Pause, um den Kleinen rasch zu stillen (was ich überaus emanzipiert fand). Seine ersten Schritte machte er im Garten von Oma und Opa – ich durfte sie mir dann auf Video anschauen. Fast live. Fast so gut wie dabei gewesen. Fast.

Mittlerweile ging Paul schon auf eine Gesamtschule. Ihn sahen wir von unseren drei Kindern noch am häufigsten, weil er mittags aus der Schule nach Hause kam. Mittagessen? »Ich mach dir einen Pfannkuchen« oder »Iss’ ein Müsli, ich koche später was«. Danach saß er oft auf dem Sofa, zockte Clash Royal oder irgendein anderes Spiel (ich hatte gewiss durch ein kurzes Nicken zugestimmt), bis mein Timer mir sagte, dass er zum Handball oder zum Kickboxen musste. »Darf ich mit Philipp schwimmen gehen?« – »Du weißt doch, du hast Kickboxen.« Antwort: trübes Gesicht, ein »Ach ja« auf den Lippen. Den Schlagzeugunterricht hatten wir schon Jahre vorher aufgegeben, obwohl Paul den Rhythmus und die Musik geliebt hatte. Weil es auf der Grundschule am Ende des dritten Schuljahres hieß: »Der Paul, wenn das mit seiner Rechtschreibung nicht besser wird, dann bekommt er – Atempause – eine Vier in Deutsch im Zeugnis und dann – Sie wissen ja selber –, dann kann ich keine Empfehlung fürs Gymnasium aussprechen. Sie müssen verstehen, da gibt es Regeln, blablabla.« Und wir Trottel saßen mit Schweißperlen, Stirnrunzeln und Gedankenspiralen auf den entwürdigenden Ministühlchen im Klassenzimmer und ließen uns einlullen. »Was willst du werden?«, schimpften wir mit Paul? Ingenieur, Manager, Psychiater, Architekt, Papst, Bundeskanzler? Egal, wofür du dich entscheidest, mein Sohn, ohne Abitur landest du auf dem namenlosen Haufen der Geschichte. Dann bist du ein Nichts, ein Niemand, ein Versager. Du wirst deine Familie nicht ernähren können (bestimmt hast du später Kinder, die du ernähren willst). Ohne Rechtschreibung? Läuft gar nichts. Womöglich erkennst du nicht mal ein Akkusativobjekt, wenn es vor deiner Nase steht. Du wirst auf der Straße landen. Ohne Geld, ohne festes Einkommen. Schlimmstenfalls auch noch ohne 254-Gigabyte-Smartphone und 55-Zoll-Glotze. Was für ein Horror. Mein innerer Film lief mühelos bis ins Jahr 2050 und weit darüber hinaus.

Statt Schlagzeugunterricht also, an dem Paul wirklich Freude hatte, gab es einen Sommer lang Lies-mal-Hefte bis zum Abwinken und einen versauten Campingurlaub am Weißensee. Und es folgte eine ganze Batterie an Investitionen in Pauls Zukunft – für Extraportionen Deutsch am Nachmittag durften wir noch mal ein paar Extrarunden rennen.

Mann, waren wir Mainstream. Das ist nämlich das absolut Verrückteste an dieser Episode – wir befanden uns in allerbester Gesellschaft. Denn das hier Beschriebene ging allen so, deren Kinder nicht in allen Fächern zumindest auf eins oder eins minus standen. »Ah, die Charlotte hat nur eine zwei minus in Mathe nach Hause gebracht – hat sie vielleicht eine Dyskalkulie?« – »Der Martin hat in Englisch eine Fünf geschrieben. Also, was soll aus diesem Jungen denn mal werden?« Insgeheim war man ja ganz dankbar, dass nicht alle Lenas oder Franz’ waren, oder wie die Überflieger alle hießen. Denn sonst hätte man die eigene erbärmliche Existenz und die Zukunft der Kinder noch düsterer gesehen als nach diesem Gespräch auf den wackeligen Grundschulstühlchen – die wir selbstverständlich wohlerzogen wieder ordnungsgemäß auf die Minitischchen stellten, nachdem wir uns unsere Watschn für Pauls Grammatikkenntnisse abgeholt hatten.

Dann kam Fannie, unsere Zweitgeborene. Die, die am wenigsten Aufmerksamkeit bekam, weil bei ihr alles immer lief wie frisch geölt. Fannie, die das Privileg hatte, als einziges unserer Kinder auf natürlichem Weg auf die Welt zu kommen. Nachdem Andi bei der PDA in Ohnmacht gefallen war und ich mich bei einem Himbeermarmeladenbrötchen auf den Schlussspurt vorbereitet hatte, kam Fannie in einem furiosen Finale zu uns geprescht. Andi, wieder erwacht, konzentriert und mit bestem Blick auf das Geschehen, schrie mich an: »Die schaut mich an. Die schaut mich mit großen Augen an.« Und tatsächlich, Fannies Augen schauten, den Kopf in der Luft, den Körper noch tief in ihrer Geburt vergraben, mit offenen Augen in diese Welt! Und daran hat sich bis heute nichts geändert. In der Grundschule wackelte sie morgens fröhlich mit ihrem viel zu schweren Bambi-Schulranzen aus dem Haus und warf ihn nachmittags um vier vor der Tür auf die Straße, um Andi in die Arme zu fliegen. Dienstagnachmittags kam sie mit ihren Freundinnen schon um zwei an. »Mama, du weißt doch, heute ist Dienstag, da kommen Alma und Inga immer mit.« – »Almatag. Mist, total vergessen, macht euch in der Küche etwas zu essen, ich komme gleich.« – »Ja, Herr Müller, der Text kommt morgen ganz bestimmt.« – »Ach Uli, das Skript für das Video hatte ich dir doch schon geschickt. Ach, hatte ich nicht, ich sende es gleich noch mal. Nein, sei mir nicht böse, schau mal drüber, ich glaube, der erste Entwurf ist gar nicht so schlecht.« Fannie machte es sich derweil mit ihren Freundinnen gemütlich, die drei buken Pfannkuchen und gingen später gemeinsam zum Turnen – oft genug wollte ich sie abholen, doch irgendwie kam immer irgendein wichtiger Termin dazwischen.

Und dann war da noch Liv, unsere Nachzüglerin. Die, die uns unser Leben zurückgeschenkt hatte, nachdem wir ein Kind, kaum geboren, wieder in die Ewigkeit entlassen mussten. Und nun gaben wir Liv her, morgens möglichst früh in den Kindergarten, und wir holten sie erst wieder ab, wenn der Kindergarten endgültig schloss. Keine Minute früher. Und so manches Mal sogar noch ein paar Minuten danach. »Andi, ich muss Liv abholen, der Kindergarten macht gleich zu.« Es war dann meistens schon gegen fünf, und Liv, überhaupt nicht müde, wie es sich für ein Kind in diesem Alter gehört, war bereit für Action. »Was machen wir denn jetzt Schönes?« Ich selbst, erledigt vom Gehetze des Tages, war viel zu erschöpft, um die Frage überhaupt zur Kenntnis zu nehmen – von Programmvorschlägen gar nicht zu reden. Wie hatten wir uns auf dieses Kind gefreut, uns danach gesehnt, es in den Armen zu halten, es durchs Leben zu begleiten!

An jenem dunkelgrauen Morgen, den Dreck der Straße auf meinen Klamotten, wisperte mir meine innere Stimme etwas ein. Ach was, wispern. Ein innerer Tornado tobte, wütete, riss mit aller Gewalt meine mühsam aufgebauten Barrikaden ein: »Wie kann es sein, dass du von morgens bis abends rennst. Dass du alles Mögliche erledigst, aber nichts schaffst. Dass du deinen Kindern nicht zuhörst, deinen Mann kaum siehst, obwohl ihr in einem Haus lebt. Dass du kein Gefühl mehr zu dir selber hast. Dass dein Tag mit jedem schnellen Schritt und jeder WhatsApp, jeder E-Mail kürzer zu werden scheint, obwohl du ihn maximal ausnutzt. Dass du hier verdammt noch mal mit dem Dreck der Stadt überschüttet stehst, weil du mal wieder möglichst schnell irgendwo sein musstest, um irgendetwas extrem Wichtiges zu erledigen.

Dieser Tornado hatte sich über Jahre hinweg zusammengebraut, und er bekam täglich so reichlich Futter, dass er irgendwann begann, meine ohnehin laute eigene Stimme zu übertönen. Wir waren zu lange schon willige Handlanger dieses Monstrums namens Alltags, das wir uns selbst erschaffen hatten. Wir und all die Notwendigkeiten, in denen wir uns verstrickt hatten. Vor seinen Tentakeln gab es scheinbar kein Entkommen. Geld rein, Geld raus, Geld rein, Geld raus. Ein nimmer müder werdender Strom an Notwendigkeiten hatte uns mit sich fortgerissen.

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DIE WELT DREHT ENDGÜLTIG DURCH

Zweites Kapitel, in dem uns die Welt zu nah auf die Pelle rückt

Köln, im November 2015

Während uns unser Dasein, für das wir ja niemand anderen verantwortlich machen konnten als uns selbst, schon derart durcheinanderschleuderte, dass wir kaum Luft genug zum Atmen bekamen, schien die Welt um uns herum es gerade genauso halten zu wollen. Sie drehte völlig durch.

Krieg hatte – und hat auch heute – in unseren Köpfen gefälligst anderswo und bitte freundlicherweise in mindestens ein paar Tausend gepflegten Kilometern Abstand stattzufinden. Wir gehören zu der ersten und zweiten Generation, die das Recht für sich beanspruchen, in einen Dauerfrieden hineingeboren zu sein. Für uns ist das Leben in friedlichen, geordneten Bahnen so selbstverständlich, dass wir Krieg allenfalls als ungebetenen Störenfried in den Abendnachrichten akzeptieren. Mit den Scharmützeln, die überall auf der Welt ausgetragen werden, haben wir nicht das Geringste zu tun.

Als sich im Sommer des Jahres 2015 aber plötzlich Millionen Syrer, Iraker, Afghanen und Eritreer auf den Weg machten, in mehr oder weniger dichten, überfüllten Schlauchbooten, platt gefahrenen Lastwagen oder einfach nur zu Fuß, mit Sack und Pack und Kindern auf dem Arm, da kamen uns der Krieg und das ganze Elend plötzlich doch ein bisschen zu nah.

Für die einen war dies der Beginn einer »Willkommenskultur«, die Deutschland sich selbst wohl am wenigsten zugetraut hätte (zu verdanken den zigtausend ehrenamtlichen Helfern, die am Ende des Jahres als »Gutmenschen« den ersten Platz im Wettbewerb um das Unwort des Jahres einnahmen). Für die anderen war der Strom an Geflüchteten quer durch Europa der längst überfällige Anlass, sich in Schwarz-Rot-Gold zu hüllen und die Grenzen unseres Landes wie auch der eigenen Haustüren mit dicken Vorhängeschlössern zu sichern. Durch die Gesellschaft, durch jede Stadt und jedes Dorf, oft auch durch Familien und Freundschaften taten sich Gräben auf: Hier diejenigen, die massenweise Lebensmittel, Kleidung, Spielzeug und alles, was in unserem Leben im Überfluss vorhanden war, spendeten; dort diejenigen, die Stacheldraht und Zäune forderten, um eine schwelende Gefahr im Zaum zu halten.

Was in Deutschland Familien und Freundschaften vor eine Zerreißprobe stellte, schaffte es mühelos, Europas Selbstverständnis zu kippen: Während hier noch »Wir schaffen das« proklamiert wurde, begannen die anderen, sich von dem Nachkriegs-Friedenssicherungs-Solidaritäts-Europa zu verabschieden. Uhren vor oder zurück, das war jetzt die Frage.

Den ganzen Sommer über war bei uns der Fernseher heiß gelaufen. Bilder von staubigen Straßen, Kilometer um Kilometer voll mit Menschen und ihren Plastiktaschen, quollen aus den Nachrichtenseiten. Flüchtlingslager, Auffanglager, Notunterkünfte, Rotes-Kreuz-Zelte, Menschenmassen, die sich nicht aufhalten ließen – bis Ungarn die Balkanroute mit einem Stacheldrahtzaun abschnürte und der türkische Staatschef Erdoğan mit viel Geld zum Türsteher unseres Kontinents aufstieg. Paul, Fannie und Liv sahen all das in den Kindernachrichten. Kindgerecht aufbereitet und doch tief in ihr Bewusstsein dringend. Und da die Flüchtlingskrise längst von den Stammtischen in die Familien, an den Esstisch und in die Schulstunden gerückt war, erhielten zumindest Paul und Fannie, damals zehn und acht Jahre alt, ihre ersten Lektionen in Sachen Europa- und Flüchtlingspolitik, in Menschlichkeit und Mauerbau. Und sie bekamen ein Lehrstück darüber geboten, wie der Zusammenhalt in Europa, zusammengekleistert im Nachgang zweier Kriege, zu bröckeln begann.

Spätestens am 13. November 2015, also ungefähr zu der Zeit, als uns unser eigenes Leben um die Ohren flog, brach mit den Terroranschlägen in Paris das vollständige Chaos in Europa aus. Paul saß mit Freunden vor dem Fernseher und schaute sich das Fußballspiel Deutschland–Frankreich an, als Detonationen im Stade de France und in den Straßen und an öffentlichen Treffpunkten in verschiedenen Pariser Arrondissements 130 Menschen aus ihrem Leben rissen und Millionen Zuschauer weltweit aus ihrer Routine. Spätestens ab diesem Zeitpunkt schien ein völlig irrsinniger Wettlauf einzusetzen: Wer killt wo am meisten Menschen – möglichst effizient und vor allem möglichst medientauglich. Istanbul, Brüssel, der Terror rückte uns gefährlich auf die Pelle. Er hatte sich in kürzester Zeit den Platz erobert, den ihm seine Macher zugedacht hatten: Wir alle machten uns klein vor der Größe der Gewalt. Wir duckten uns weg, diskutierten und hofften, dass das alles ein Ende nehmen würde. Die Extremisten versauten uns nicht nur unsere Abendlaune, sie mischten uns und unsere Lebensgewohnheiten kräftig auf. Paul, damals mit zehn genau in der Phase seines Lebens, in der man das erste Mal begreift, was es mit dem Leben so wirklich auf sich hat, dass es einen Anfang gibt und auch ein Ende und dass der Tod mehr ist als das schauerlichste aller Monster aus dem Märchen, ihn traf der um uns grassierende Terror wahrscheinlich stärker als Fannie, für die Alma und Inga weit wichtiger waren als die Dinge des realen Lebens, und ganz sicher stärker als Liv, der das alles mit ihren drei Jahren noch schnurzpiepegal war. Für Paul und für uns Erwachsene drang der Terror ungemütlich nah an unsere Existenz heran. Die unmittelbaren Folgen des Pariser Attentats: Wir stellten die Nachrichten ab. Fernsehen aus, Radio aus, Internet heimlich, Zeitungen weggepackt. Wenn die Kinder in der Nähe waren, versuchten wir, ein Lächeln aufzusetzen, das sagte: »Alles ist gut, das Leben ist schön.« Wenn sie im Bett waren oder in der Schule, drehten unsere Gedanken ihre Marathonrunden. Wir hätten so gern die Welt gerettet – aber wir fanden den Schlüssel nicht.

Bad world, bad news