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Über dieses Buch:

Frankreich im Jahr 1437: Schweren Herzens hat der Highland-Lord Nigel Murray seine Heimat verlassen – wird er in der Ferne die verbotenen Gefühle vergessen können, die er viel zu lang für die Frau seines Bruders hegte? Als er den Glauben an eigenes Glück längst aufgegeben hat, begegnet er der geheimnisvollen Gisèle DeVeau. Vom ersten Moment an ist Nigel hingerissen von ihrer Schönheit und ihrem Mut. Doch Gisèle erlaubt sich nicht, seine Gefühle zu erwidern – sie hat Schreckliches erlebt und ist auf der Flucht vor brutalen Verfolgern. Wäre sie in Schottland sicher? Während Nigel alles riskiert, um die schöne Französin auf die Burg seiner Familie zu bringen, kommen sie sich immer näher … geraten dadurch aber erst recht in tödliche Gefahr!

Über die Autorin:

Hannah Howell, geboren 1950 in Massachusetts, kann ihren amerikanischen Familienstammbaum bis in das frühe 17. Jahrhundert zurückverfolgen – liebt aber vor allem die Geschichte Englands und Schottlands; auf einer Reise dorthin lernte sie auch ihren späteren Ehemann kennen. Hannah Howell hat in ihrer schriftstellerischen Karriere über 60 Liebesromane veröffentlicht, darunter den großangelegten Zyklus über die Familie Murray, in dem sie mitreißend vom Schicksal mehrerer Generationen einer weitverzweigten schottischen Highlander-Dynastie erzählt. Hannah Howell wurde für ihr Werk mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Golden Leaf Award und dem Preis des Romantic Times Bookclub Magazine.

Bei dotbooks erschienen die folgenden Romane von Hannah Howell:

HIGHLAND HEROES: »Das Schicksal des Highlanders«; »Die Lust des Highlanders«; »Das Schwert des Highlanders«

HIGHLAND ROSES: »Die Spur des Highlanders«; »Die Sehnsucht des Highlanders«

HIGHLAND LOVERS: »Der Fürst der Highlander«; »Der ungezähmte Highlander«; »Der Held der Highlands«

HIGHLAND DREAMS: »Das Begehren des Highlanders«; »Der Stolz des Highlanders«; »Die Versuchung des Highlanders«

»Der Kuss des Schotten«

»Das Herz des Highlanders«

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eBook-Neuausgabe November 2019

Die amerikanische Originalausgabe erschein 1999 unter dem Titel »Highland Honor« bei Zebra Books/Kensington Publishing Corp., New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Die Ehre des Highlanders« bei Weltbild.

Copyright © der Originalausgabe 1999 by Hannah Howell; published by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING CORP., New York, NY, USA

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2007 Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/kiuikson, javarman, Zdenka Darula, Mark Baldwin, brickrena

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-923-7

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Hannah Howell

Die Lust des Highlanders

Roman

Aus dem Englischen von Andrea Hahn

dotbooks.

Kapitel 1

Frankreich, Frühling 1437

Ein tiefer Seufzer entfuhr Nigel Murray, als er sich schwerfällig aufsetzte. Er griff sich an den Kopf, fuhr zusammen angesichts der dicken Dreckschicht, die seine braunen Haare verfilzte, und kniff im schwachen Licht der Morgendämmerung vor Schmerz die Augen zusammen, während er sich umsah. Dann verzog er voller Selbstekel das Gesicht. Er hatte es nicht einmal bis in sein kleines Zelt geschafft, sondern war unmittelbar davor im Schlamm eingeschlafen.

»Glück gehabt, dass ich nicht im Dreck ersoffen bin«, grollte er, als er sich taumelnd auf die Beine zog und das Hämmern im Kopf sein Schwanken noch verstärkte.

Langsam drang ein ranziger Geruch in sein Bewusstsein, und mit der Erkenntnis, dass er selbst die Quelle dieses unangenehmen Geruchs war, fiel seine Selbstachtung ins Bodenlose. Nigel fluchte und machte sich auf den Weg zu dem kleinen Fluss, in dessen Nähe das Heer sein Lager aufgeschlagen hatte. Das kalte Wasser würde hinreichend dazu beitragen, den Gestank abzuschrubben und seinen Kopf freizubekommen.

Während er sich zwischen den Bäumen hindurch einen Weg bahnte, musste er sich eingestehen, dass ihm die Dinge völlig aus der Hand geglitten waren. Wenn ein Mann ausgestreckt im Schlamm zu sich kam und nicht genau wusste, wo er sich befand oder wie er dorthin gekommen war, dann war das der Moment, an dem dieser Mann einen langen, eingehenden Blick auf sich selbst werfen sollte. Mit diesem Ratschlag hatte Nigel während der sieben langen Jahre, die er inzwischen für Frankreich kämpfte, so manchen seiner Waffenbrüder bedacht, doch nun war es an der Zeit, diese Weisheit bei sich selbst anzuwenden. Er wusste, er hatte den Punkt erreicht, wo er sich entweder zu ändern hatte oder zu Tode kommen würde.

Am Fluss angekommen, machte er eine seichte Stelle ausfindig, zog sich mit einem Ruck die Stiefel aus, schnallte sein Schwert ab und ging zum Ufer. Nachdem er kurz in dem betäubend kalten Wasser untergetaucht war, legte er sich flach hinein und ruhte seinen Kopf auf der Böschung aus, die mit weichem Grass bewachsen war und sanft von Wasser umspült wurde. Er räkelte sich, die Augen geschlossen, und erlaubte der Kälte, seinen vom Wein umnebelten Kopf freizubekommen, und der Strömung, den in seinen Kleidern und an seinem Körper haftenden Gestank wegzuspülen.

Seit er nach Frankreich gekommen war, hatte er sich zunehmend an den Alkohol und an unzählige gesichtslose und namenlose Frauen verloren. Die gelegentlichen Kämpfe mit den englischen oder französischen Feinden des jeweiligen französischen Krautjunkers, der gerade für Nigels Dienste bezahlte, boten die einzige Unterbrechung in diesem schier endlosen Kreis von Zerstreuungen. Nigel wusste, dass er von Glück sagen konnte, nach sieben Jahren voll solchen Stumpfsinns noch am Leben zu sein. Er hätte vergangene Nacht mit dem Gesicht im Schlamm landen können, zu betrunken, um sich selbst vor dem Erstickungstod zu bewahren. Er hätte in das feindliche Lager stolpern und niedergestochen werden können, bevor er seinen Irrtum auch nur bemerkte. Und ebenso gut hätte ihm eine der vielen dunklen Gestalten, die ständig in der Nähe des Heeres herumlungerten, die Kehle durchschneiden und ihn ausrauben können. Er war einer seltsamen Art von Wahnsinn verfallen, die ihn auf hundert Arten das Leben hätte kosten können.

Und warum? Das war die Frage, die er sich stellen musste. Am Anfang hatte er sich dem Wein und den Frauen zugewandt, um den Schmerz in seinem Herzen zu betäuben, um den Qualen, die ihn von seinem Zuhause, von Schottland und Donncoill, weggetrieben hatten, ein Ende zu machen. Inzwischen, so vermutete er, war beides zu einer Gewohnheit geworden. Der Wein schenkte ihm eine verführerische Benommenheit und die Frauen seinem Körper vorübergehend Erleichterung. Doch das, entschied er bei sich, war nicht genug, um sein Leben aufs Spiel zu setzen. Als er Schottland verließ, hatte er seinen Brüdern versichert, nicht nach Frankreich zu gehen, um in einer Schlacht den Tod zu suchen. Und ganz gewiss wollte er auch nicht in betrunkenem Stumpfsinn enden.

Stimmen drangen an sein Ohr und lenkten ihn von seinen düsteren Gedanken und seiner unangenehmen Gewissenserforschung ab. Sobald er die Stimmen orten konnte, griff er nach seinen Stiefeln und dem Schwert und schlich sich leise an – getrieben von Neugier und dem Bedürfnis, sich von den Gedanken daran, wie tief er in den vergangenen sieben Jahren gesunken war, ablenken zu lassen.

Nigel konnte gerade noch verhindern, dass er geradewegs in das Paar hineinlief, dem er nachspürte. Es war näher, als er gedacht hatte, und befand sich auf einer Lichtung, die erst einsehbar wurde, wenn man sie schon fast betreten hatte. Rasch duckte er sich hinter eine Ansammlung niedriger Beerensträucher. Ein armseliges Versteck, aber die beiden auf der Lichtung waren so sehr in ihr Gespräch und ihr Tun vertieft, dass sie Nigel bestimmt nicht entdecken würden, solange er sich absolut still verhielt.

Den jungen Mann erkannte Nigel, auch wenn es einen Augenblick dauerte, bis er sich an seinen Namen erinnern konnte. Aber es war der kleinere Teil dieses Paares, der Nigels Aufmerksamkeit auf sich zog. Warum sprach Guy Lucette so eifrig zu einer kleinen, schwarzhaarigen Frau, die schlecht sitzende Jungenkleider trug? Ein schneller Blick auf den Haufen dicker, rabenschwarzer Haare, der am Boden lag, verriet Nigel, dass die kurzen Locken der Frau auf eine eben erst erfolgte Veränderung zurückgingen. Beim Anblick der abgeschnittenen Haarpracht durchfuhr ihn ein ungewöhnlicher Stich, und Nigel kam zu dem Schluss, dass es wohl jeder Mann bedauern würde, solch wunderschönes Haar weggeworfen zu sehen. Solches Haar war der Ruhm einer jeden Frau. Und das wiederum warf die Frage auf, warum die kleine Dame sich zu einer derart drastischen Handlung hatte hinreißen lassen. Er zwang sich, nicht mehr darüber nachzudenken und stattdessen ihrem Gespräch zuzuhören, wobei er Mühe hatte, ihrem schnellen Französisch zu folgen.

»Das ist verrückt, Gisèle«, murrte Guy, während er ihr beim Zuschnüren ihrer verschmutzten hirschledernen Beinlinge und des abgetragenen wattierten Wamses behilflich war. »Wir werden bald den Engländern in einer Schlacht gegenüberstehen. Da ist kein Platz für eine Frau.«

»DeVeaus Ländereien sind auch kein Platz für eine Frau. Insbesondere für diese Frau«, fuhr ihn die junge Lady an, als sie ihre neuen, sehr kurzen Locken mit langen, unruhigen Fingern berührte. »Allein dafür könnte ich diesen Mann umbringen.«

»Dieser Mann ist bereits tot.«

»Das hindert mich nicht daran, ihn umbringen zu wollen.«

»Warum? Er hat dir weder das Haar abgeschnitten, noch dich gebeten, es zu tun.«

»Dieser Bastard hat mich dazu getrieben, oder genauer seine Familie. Ich hatte keine Ahnung, dass die DeVeaus so überaus fruchtbar sind. Es sieht so aus, als stünde an jeder Ecke, um die ich biege, und hinter jedem Busch, an dem ich vorbeikomme, einer von ihnen.«

»Und es gibt wahrscheinlich einige DeVeaus in dem Heer, das sich hier versammelt hat«, sagte Guy leise. »Hast du das nicht bedacht, als du diesen verrückten Plan ausgeheckt hast?«

»Das habe ich«, antwortete sie, während sie an ihrem Wams zerrte und danach mit ihren kleinen Händen über die Vorderseite strich, um sicherzugehen, dass sich ihre Brüste nicht abzeichneten. »Ich habe mir auch überlegt, dass viele der DeVeaus wissen oder zumindest leicht entdecken können, dass du mein Cousin bist. Doch das tut nichts zur Sache. Kein Mensch wird auf die Idee kommen, mich unter den vielen Knappen zu suchen, die in diesem Lager herumlaufen.«

»Das mag schon sein, aber ich will trotzdem, dass du in meiner Nähe, oder noch besser, dass du so viel wie möglich in meinem Zelt bleibst, ohne dadurch Argwohn zu erwecken.« Guy studierte sorgfältig das Ergebnis ihrer beider Bemühungen, dann nickte er in stiller Genugtuung. »Wenn du von deinen Widersachern gesehen wirst, von ihnen hier entdeckt wirst, kann das deinen Tod bedeuten. Die DeVeaus haben eine hohe Prämie auf deinen hübschen kleinen Kopf ausgesetzt, und eine Menge Männer werden begierig darauf sein, sich damit die Taschen zu füllen.«

Nigel fragte sich, wie viel die DeVeaus bereit waren, für die Lady zu bezahlen, dann zuckte er die Achseln. Es tat nichts zur Sache. Er war fasziniert, und die Neugierde entzündete einen neuen Lebensfunken in seinen Adern. Zum ersten Mal seit seiner Flucht aus Schottland war er noch an etwas anderem als seiner eigenen Misere und dem Kämpfen interessiert, und er hatte seine Freude daran. Fragen türmten sich in seinem Kopf, doch es war ihm gleichgültig, wie die Antworten lauteten. Er wollte den beiden einfach nur zuhören.

Guy und die schlanke junge Frau, die er Gisèle genannt hatte, verscharrten ihr Haar und ihre Kleider in einer kleinen Grube und gingen weg. Nigel wartete mit der Verfolgung gerade so lange, bis er das aufgesammelt hatte, was sie hatten verbergen wollen, machte aus ihrem Umhang einen kleinen Sack, wickelte das Haar und die übrigen Kleider darin ein und brachte beides eilig zu seinem eigenen Zelt, bevor er sich auf den Weg zu Guys kleinem Zelt machte.

Es war sehr leicht, in die Nähe von Guys Zelt zu kommen, ohne gesehen zu werden. Der junge Ritter hatte seine beiden Waffenbrüder in dem letzten Scharmützel mit den Engländern verloren und sie bisher noch nicht ersetzt. Guy und Gisèle achteten nicht auf das, was in ihrem Rücken vor sich ging. Jemand, der das Mädchen verfolgt und seinen Aufenthaltsort entdeckt hätte, hätte sich bei ihrer Gefangennahme nicht sonderlich anstrengen müssen.

Während er auf den Eingang von Guys Zelt starrte, überlegte sich Nigel, was er als Nächstes tun sollte, fragte sich aber gleichermaßen, warum es ihn überhaupt etwas anging, wenn diese Narren niedergestochen würden, und kam zu der Überzeugung, dass alles, was ihn von dem zerstörerischen Weg abzog, den er eingeschlagen hatte, sinnvoll war. Zudem wusste er bisher nicht, ob das Paar tatsächlich etwas angestellt hatte, das ein Todesurteil verdiente. Es konnte alles ein Missverständnis sein. Seine Familie kannte die Folgen solcher Irrtümer nur zu gut. Wegen eines solchen Fehlers war eine lange währende, blutige Fehde ausgebrochen, und viele vorzügliche Männer hatten sterben müssen, bevor die ganze Wahrheit ans Tageslicht gekommen war. Zudem spürte Nigel, dass es mehr als nur Neugierde war, die ihn antrieb und ihn bei dem Gedanken an jegliches Leid, das Gisèle treffen könnte, erstarren ließ. Auch wenn er sich einzureden versuchte, dass jeder Mann mit Blut in den Adern es verabscheuen würde, ein solch hübsches Mädchen wie Gisèle leiden zu sehen, ganz besonders aufgrund eines Missverständnisses, erklärte dies nicht ganz die Heftigkeit seiner Reaktion.

»Hör mit deiner Trödelei auf, Nigel«, tadelte er sich selbst, während er fluchend vor Guys Zelt hin und her ging, weil ihm nichts Kluges einfallen wollte, um sich dem Paar zu nähern. Entweder gab es wirklich keinen einfachen Weg, oder sein Kopf war noch immer zu sehr vom Wein umnebelt, um auch nur den kleinsten Plan zu schmieden. Er beschloss, dass die direkte Annäherung die beste Art sei, und marschierte, einen Gruß schmetternd, in Guys Zelt. Belustigt registrierte Nigel die Blicke, die Cousine und Cousin ihm mit weit geöffneten Augen und offenem Mund zuwarfen. Guys Reaktion kam viel zu langsam, um sie vor dem vermeintlichen Feind zu retten, aber schließlich handelte der Jüngling doch. Nigel schmunzelte nur noch mehr, als Guy sein Schwert zog und im gleichen Augenblick Gisèle hinter sich schob. Dem jungen Mann war offensichtlich nicht bewusst, dass sein Verhalten Gisèles Weiblichkeit viel schneller verriet als jeder scharfe Blick.

»Das ist nicht notwendig«, sagte Nigel auf Englisch, wobei er inständig hoffte, dass sie seine Sprache verstanden. Sein Französisch hatte immer noch einen derart starken Akzent, dass nur wenige herauszufinden vermochten, was er eigentlich sagen wollte. Er streckte seine Hände ein Stück weit aus, um zu zeigen, dass er nicht vorhatte, seine Waffe zu ziehen.

»Nicht? Warum habt Ihr Euch dann hier hereingedrängt, wenn Ihr nichts Übles im Schilde führt?,« verlangte Guy zu wissen.

Nigel verdrängte den kurzen neidischen Stich, der ihn durchzuckte, als er sich eingestehen musste, dass Guys Englisch sehr viel besser war als sein Französisch. Er schaute zu Gisèle, die ihn hinter Guys breitem Rücken hervor genau beobachtete. Sie besaß große, wunderschöne Augen von einem so reinen Grün, wie er es bisher nur einmal gesehen hatte.

»Es ist äußerst ungewöhnlich, dass Euer Knappe nicht sein Schwert zieht und Euch zur Seite steht«, bemerkte Nigel gedehnt und mit einem weichen Lachen, als sich Guys dunkle Augen weiteten und der Jüngere leise fluchte. »Ihr schafft es, ein Mädchen wie einen Jungen aussehen zu lassen, wenigstens für die, die nur oberflächlich hinsehen, aber denkt nicht daran, sie auch als solchen zu behandeln.«

Gisèle spürte den Schauder der Angst. Ihr erster Gedanke war, dass dieser gut aussehende Schotte im Dienste der DeVeaus stand, aber zunehmend verwirrt musste sie sich eingestehen, dass in seinem verführerischen Lächeln oder seiner entspannten Haltung nichts Bedrohliches lag. Obwohl sie einen Moment brauchte, um hinter die Schönheit seiner dunklen, bernsteinfarbenen Augen zu sehen, konnte sie doch nur Heiterkeit und Neugierde dort entdecken, und dieser Blick begann sie zu ärgern. Denn weder konnte sie an ihrer schrecklichen Lage einen Grund zur Heiterkeit finden, noch wollte sie, dass sich irgendein gelangweilter Ritter einmischte, nur um sich die Langeweile zu vertreiben. Immerhin stand ihr Leben auf dem Spiel.

Trotz ihrer wachsenden Verstimmung und der unordentlichen Erscheinungsweise des Schotten war sein vornehmes Aussehen nicht zu übersehen. Er war groß und besaß eine schlanke, würdevolle Stärke, was sich dank der nassen Kleider, die an seinem kraftvollen Körper klebten, deutlich verriet. Sein Haar war noch nass und hing in langen Locken über seine breiten Schultern, stellenweise war es aber schon trocken genug, um erkennen zu lassen, dass sich die goldene Farbe seiner Augen in seinem Haar wiederfand. Lange blieb ihr Blick an seinem Gesicht hängen. Er wirkte erschöpft und hatte sich seit mehreren Tagen nicht rasiert, dennoch war er einer der bestaussehendsten Männer, die ihr jemals begegnet waren. Er hatte hohe Wangenknochen, eine lange, gerade Nase, die noch von keinem entstellenden Hieb getroffen zu sein schien, ein kräftiges Kinn und einen verführerischen Mund, der, dessen war sich Gisèle sicher, eine Menge Frauen verlockt hatte, seine sanfte Wärme zu kosten. Überrascht stellte sie fest, wie traurig sie darüber war, die ersten Spuren eines zügellosen Lebens darin zu entdecken – jene Falten, die ein Mann dem übermäßigen Genuss von zu viel Wein und zu vielen Sinnesfreuden zu verdanken hatte. Sie hatte solche Falten auf dem Gesicht ihres Mannes gesehen. Welche Sorgen konnte dieser starke, gut aussehende Mann wohl haben, dass er sich von ihnen zum Trinken verführen und in die Arme der Frauen treiben ließ?

Sein Blick traf den ihren, und Gisèle errötete verlegen. Sie hatte ihn viel zu lange und eindringlich gemustert, als dass ihre Blicke unbemerkt bleiben konnten. Hastig schaute sie beiseite. Sie brauchte einen Augenblick, um sich zu fassen und ihren Ärger über seine unpassende Heiterkeit wiederzubeleben. Als sie ihn erneut ansah, lächelte er sie an, und Gisèle hatte alle Mühe, an ihrer Verärgerung festzuhalten.

»Da ich eben erst diese Gestalt angenommen habe, müsst Ihr mir verraten, wie Ihr davon wissen könnt?«, fragte sie fordernd.

»Ich war auch unten am Fluss.«

»Merde«, murmelte sie und warf ihm erneut einen wütenden Blick zu, als er lachte. »Ihr seid also ein Spion?«

»Nein. Ich bin nur ein Mann, der gelegentlich sauber sein möchte.«

Sie beschloss, diese Spur von Frivolität zu übergehen und trat hinter Guy hervor. »Wenn Ihr mich also nicht verfolgt, warum interessiert es Euch dann, wie ich mich kleide oder was ich versuche zu sein?«

»Neugier ist eine starke Macht.«

»Und Ihr seid ein großer, starker Ritter. Bekämpft sie!«

»Gisèle«, zischte Guy, und stieß seine Cousine mit dem Ellbogen in die Seite. »Wir sollten herausfinden, was er will, bevor du deine Scharfzüngigkeit an ihm auslässt«, ermahnte er sie auf Französisch.

»Ich spreche Französisch«, murmelte Nigel in eben dieser Sprache und grinste, als Cousine und Cousin ihn anstarrten.

»Wie beängstigend«, sagte Gisèle und fluchte, als Guy sie einmal mehr anstieß.

»Ich kenne Euch, oder nicht?«, fragte Guy Nigel mit gerunzelter Stirn.

»Nur vom Sehen.« Nigel verbeugte sich leicht. »Sir Nigel Murray.«

»Sir Guy Lucette. Meine Cousine, Gisèle DeVeau. Habt Ihr vor, unser Täuschungsmanöver aufzudecken? Oder wünscht Ihr eine Entschädigung dafür, dass Ihr unser Geheimnis bewahrt?«

»Wie sehr Ihr mich doch verletzt.« Nigel war nicht beleidigt, denn er verstand, dass seine Handlungen Argwohn erregen mussten. »Ich schwöre bei der Ehre meines Clans, dass es reine Neugierde ist, die mich veranlasste, mich einzumischen.«

»Solch blinder Gehorsam gegenüber der Neugier könnte Euch leicht in den Tod führen«, erwiderte Guy, während er sein Schwert in die Scheide steckte. »Ich fürchte, sie muss diesmal unbefriedigt bleiben.«

»Muss sie das?«

»Ja«, fuhr Gisèle auf. »Das hier betrifft Euch nicht. Es geht Euch nicht im Geringsten etwas an.«

»Und Ihr habt nicht das Bedürfnis, Hilfe zu erhalten? Ein anderes Schwert, das Euren Rücken schützt?« Nigel bemerkte, dass Guy die Augenbrauen zusammenzog und offensichtlich über seine Worte nachdachte, aber Gisèle zögerte nicht.

»Dies ist eine Familienangelegenheit, Sir«, antwortete sie. »Wir benötigen keine Hilfe.«

»Nein? Ihr habt gerade erst mit Eurem Täuschungsmanöver angefangen, und doch habe ich es schon aufgedeckt.«

»Nur, weil Ihr uns nachspioniert habt.«

»Vielleicht war ich ja nicht der Einzige«, sagte er sanft, wobei er versuchte, ihr sowohl die Bedeutung seiner Entdeckung als auch seiner Anwesenheit verständlich zu machen.

Guy wurde blass, und Nigel nickte – froh dass der junge Mann verstand. Gisèles Reaktion war eine faszinierende Mischung aus Nervosität und Verärgerung. Die Vernunft sollte ihnen sagen, dass sie dringend Hilfe benötigten, aber Nigel wusste, wie viel dem vernunftgemäßen Handeln im Weg stehen konnte. Sie kannten ihn nur vom Sehen und hatten somit keinen Grund, ihm zu vertrauen. Hinzu kam der Stolz, von dem Cousin und Cousine vermutlich reichlich besaßen und der sie davon abhalten würde, sich und ihm einzugestehen, dass sie Hilfe benötigten. Nigel konnte nur hoffen, dass weder Vorsicht noch Stolz sie allzu lang gefangen nahmen.

»Ich glaube, wir hätten es bemerkt, wenn der Wald um uns herum vor Spionen gewimmelt hätte«, murrte Gisèle und verzog das Gesicht, als Guy sie schon wieder wie zur Strafe in die Seite stieß.

»Sir Murray, ich verstehe, was Ihr uns sagen wollt«, erwiderte Guy, wobei er Gisèle hastig einen wütenden Blick zuwarf, als sie anfangen wollte zu sprechen. »Wir sollten sicher sehr viel vorsichtiger sein und genauer beobachten, was hinter unserem Rücken vorgeht.«

»Aber Ihr weist meine Hilfe zurück.«

»Ich muss es tun. Dies ist nicht Ihr Problem. Es wäre unhöflich, Euch in unsere Schwierigkeiten mit hineinzuziehen.«

»Auch wenn ich bereit bin, hineingezogen zu werden?«

»Selbst dann.«

Nigel zuckte die Achseln. »Wir Ihr wünscht.«

»Wir danken Euch sehr herzlich für Eure gütige Fürsorge.«

»Wir?«, entgegnete Gisèle, doch Nigel lächelte einfach nur, und Guy überging ihren Einwurf.

»Seid trotz Eurer höflichen Zurückweisung meiner Unterstützung versichert«, sagte Nigel. »Ihr wisst, dass sie Euch weiterhin zur Verfügung steht und wo Ihr mich finden könnt, wenn Ihr Eure Meinung ändern solltet.«

Nigel verbeugte sich leicht und ging. Nur wenige Schritte von Guys Zelt entfernt blieb er stehen und schaute zurück. Flüchtig überlegte er, ob er zurückschleichen und das Zelt beobachten sollte, schüttelte dann aber den Kopf. Sie würden nun vorsichtiger sein, würden flüstern und auf ihre Worte achten und so das Mithören unmöglich machen. Er konnte nur abwarten und beten, dass sie ihn um Hilfe bitten würden, bevor die von ihnen so gefürchtete Bedrohung sie einholte.

»Das könnte ein Fehler gewesen sein«, sagte Guy leise, während er die Zelttür sicherte.

»Wir brauchen die Hilfe des Schotten nicht«, sagte Gisèle, indem sie sich auf eine kleine, mit einer Decke versehene Truhe setzte.

»Solches Vertrauen hast du in meine Fähigkeit, dich zu beschützen?« Guy ließ sich auf dem schmutzigen Boden neben einer von Steinen eingefassten Vertiefung nieder und begann Feuer zu machen.

»Du bist äußerst geschickt und als Ritter hochgeehrt.«

»Vielen Dank für diese Auszeichnung, aber meinen Ruf, so unbedeutend er ist, habe ich mir in Schlachten und im ehrenvollen Kampf erworben. Das hier ist etwas anderes. Ich bin das Einzige, was zwischen dir und einer wahrhaften Horde rachsüchtiger DeVeaus und ihren gekauften Schergen steht, von denen keiner für ehrenhaftes Verhalten bekannt ist. Ein weiteres Schwert könnte hilfreich sein.«

»Wir wissen nicht, ob er vorhat, dieses Schwert zu unserem Schutz zu gebrauchen oder um uns in die Hände unserer Feinde zu treiben. Der Schotte könnte ebenso gut einer von diesen DeVeauschen Söldnern sein.«

Guy schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«

»Du kennst diesen Mann doch aber gar nicht.«

»Das stimmt, aber ich habe auch noch nie etwas Schlechtes über ihn gehört. Wir sollten ihn nicht völlig zurückweisen.«

Gisèle fluchte innerlich und rieb mit den Händen über ihr neues kurz geschnittenes Haar. Auch sie konnte nicht glauben, dass Sir Murray ihnen Schaden zufügen würde, aber sie fürchtete, dass ihre Meinung allzu sehr von dem fein geschnittenen Gesicht und den schönen Augen dieses Mannes beeinflusst wurde. Guys Bekenntnis, das gleiche Vertrauen in ihn zu haben, linderte ihr Unbehagen nur wenig. Sie war schon viel zu lange auf der Flucht und hatte sich schon viel zu oft verstecken müssen, um einfach so zu vertrauen – nicht einmal ihren eigenen Urteilen. Einige ihrer eigenen Verwandten glaubten den Anschuldigungen, die gegen sie erhoben wurden, und hatten sich von ihr abgewandt, warum also sollte ein Fremder aus einem seltsamen Land ihr Hilfe anbieten? Und würde er sie ihr auch dann noch gewähren, wenn er erfuhr, warum die DeVeaus sie verfolgten oder wie viel sie für ihre Gefangennahme bezahlten?

»Dann werden wir ihn eben nicht völlig zurückweisen«, sagte sie schließlich, »aber niemand wird ihn blindlings als unseren Freund akzeptieren.«

»Cousine, manchmal kann man auch zu vorsichtig sein.«

»In der Tat, aber vergiss nicht, warum ich mich verberge. Es könnte sein, dass Sir Murray nicht mehr so freundlich und hilfsbereit ist, wenn er den Grund für unsere Vorsicht und unser Täuschungsmanöver erfährt.« Sie lächelte schwach. »Eine Menge Männer finden es schwierig, einer Frau zu vergeben, die ihren Ehemann getötet hat.«

»Aber du hast ihn nicht getötet.«

»Die DeVeaus glauben das aber, und auch einige von unseren eigenen Verwandten. Warum sollte mir ein Fremder also mehr Glauben schenken?« Sie nickte, als Guy die Stirn runzelte und leise fluchte. »Wir werden ihn beobachten und unsere Entscheidung in Bezug auf den Schotten mit Sorgfalt treffen.«

»Einverstanden. Ich bete nur, dass uns die DeVeaus nicht vorher finden.«

Kapitel 2

»Die wenigsten Knappen tragen solche hübschen Amulette.«

Gisèle fluchte, schob ihr mit Granaten verziertes Medaillon zurück in ihr Wams und funkelte den grinsenden Schotten an, während sie sich ihren Sack mit Holz auf die Schulter hievte. Bemüht, sein strahlendes Lächeln zu übersehen, ging sie durch den Wald zurück zu Guys Zelt. Es war eine ganze Woche vergangen, seit Sir Murray in ihr Zelt gekommen war, und seither hatte dieser Mann jede ihrer Bewegungen verfolgt. Andauernd stieß sie mit ihm zusammen, sah dieses gewinnende Lächeln an jeder Wegbiegung und war sich nicht sicher, was sie mehr ärgerte, seine Beharrlichkeit oder doch die unerschütterliche Anziehungskraft, die dieser Schurke auf sie ausübte.

»Braucht Ihr Hilfe beim Holztragen?«, fragte Nigel, mühelos mit ihr Schritt haltend.

»Non«, fuhr sie ihn an – gereizt, weil sie nicht schneller gehen konnte als er. »Habt Ihr Euch schon einmal überlegt, dass all die Aufmerksamkeit, die ihr mir zukommen lasst, bei anderen Argwohn erwecken könnte?«

»Schon, aber der Argwohn wird sich kaum darauf beziehen, dass Ihr ein Mädchen und kein Junge seid.«

»Was sollten die Leute denken, wenn nicht das?«

»Dass ich der Frauen überdrüssig bin.«

Sie zog die Augenbrauen zusammen und wurde rot, als sie den Sinn seiner Worte verstand. »Das ist widerlich.«

Nigel zuckte die Achseln. »Das ist Frankreich.«

»Seid vorsichtig, mein edler Ritter, ich bin schließlich Französin.«

»Ja, und Ihr seid der hübscheste Anblick, auf den in den sieben langen Jahren, in denen ich dieses Land durchstreife, mein Blick gefallen ist.«

Dieses überschwängliche Kompliment ließ unwillkürlich ihr Herz schneller schlagen, und Gisèle verfluchte diesen Mann insgeheim. »Habt Ihr nichts anderes, mit dem Ihr Eure Zeit und Eure Gedanken füllen könnt, als meine armseligen Probleme?«

»Im Moment nicht.«

Am Waldrand, wo sie sich noch im Schutz der Bäume befanden, wandte sich Gisèle um und schaute ihn an. Warum musste er nur so gut aussehen? Warum empfand sie überhaupt etwas für ihn? Sie war sich so sicher gewesen, dass ihr brutaler Ehemann jegliches Interesse an Männern in ihr getötet hatte, aber sie erkannte sehr wohl die Anzeichen einer gefährlichen Anziehungskraft, auch wenn es mehr als ein Jahr her war, dass sie so etwas verspürt hatte. Wo war dieser edle Ritter denn gewesen, als sie eine Tändelei, die Wärme ihres Blutes und die Umnebelung ihrer Gedanken ohne Angst hätte genießen können? Plötzlich dachte sie mit finsterem Gesichtsausdruck: Er war unterwegs, um dem Wein und den Frauen zu frönen.

»Dies ist kein Konflikt, um den Ihr Euch kümmern müsst«, sagte sie.

»Das weiß ich, aber ich habe mich dafür entschieden, einzugreifen.« Er lächelte kurz, lehnte sich gegen einen Baum und kreuzte die Arme über seiner breiten Brust. »Warum verfolgen Euch die DeVeaus?«

»Merde, Ihr seid wie ein hungriger Hund, der sich in einen Knochen verbissen hat.«

»Meine Brüder sagten immer, ich könnte ein sturer Hund sein. Mädchen, ich weiß, dass man Euch verfolgt, und ich weiß, wer es ist. Eure Maske ist für mich seit dem Augenblick, in dem Ihr sie angelegt habt, kein Geheimnis. Ich weiß auch, dass auf Euren süßen Kopf eine Prämie ausgesetzt ist. Das Einzige, was ich nicht weiß, ist warum.« Er begegnete ihrem Blick und hielt ihn fest. »Warum wollen die DeVeaus Euren Tod? Vermutlich glauben sie, Ihr habt einen ihrer Verwandten getötet. Wenn das der Wahrheit entspricht, welcher Verwandte ist es dann? Und warum sollten sie auf die Idee kommen, dass ein hübsches kleines Mädchen wie Ihr jemanden tötet?«

Er war nah an der Wahrheit, zu nah, dachte sie bei sich, gefesselt von der Wärme seiner bernsteinfarbenen Augen. Verzweifelt wünschte ein Teil von ihr, sich ihm anzuvertrauen. Aber was noch bedenklicher war: Etwas anderes in ihr wollte, dass er an ihre Unschuld glaubte.

Aus Angst, sein Blick könnte ihr die Wahrheit entreißen, zwang sie sich wegzusehen. Ihm die Wahrheit zu offenbaren würde bedeuten, ihr Leben und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch Guys aufs Spiel zu setzen. Sie konnte diese Chance einfach nicht ergreifen. Zu ihrem Ärger hatte sie zugleich Angst davor, er würde ihr nicht glauben und sich wie so viele andere gegen sie stellen. Und dies würde sie tief verletzen.

»Ich versuchte bereits, Euch deutlich zu machen ...«, begann sie, merkte aber, dass er ihr nicht mehr zuhörte und sich stattdessen straffte und gespannt zum Lager schaute. »Stimmt etwas nicht?«

»Die Angelsachsen», zischte er.

»Die wer?«

»Die Engländer.« Sie vor sich herschiebend, eilte er zum Lager zurück. »Ihr müsst zu Guys Quartier und dort bleiben.«

»Aber ich sehe nichts. Es wurde kein Alarm gegeben. Wie könnt Ihr wissen, dass die Engländer nah sind?« Sie strauchelte, wurde jedoch von ihm grob hochgezogen und vorwärtsgestoßen. »Merde, riecht Ihr sie oder was? Oder seid Ihr einfach nur verrückt?«

»Oh ja, ich kann diese Schweine riechen.«

Bevor Gisèle weiterfragen konnte, ging ein Schrei durchs Lager. Männer sprangen auf und griffen hastig nach ihren Waffen. Verblüfft sah sie Nigel hinterher, als er sie in Guys Zelt schubste und verschwand. Das erste Schwerterklirren riss sie aus ihrer Verwirrung. Sie warf ihren Sack mit Reisig zur Seite, ergriff einen von Guys Dolchen und setzte sich mit Blick auf den Zelteingang auf den schmutzigen Boden. Wenn der Kampf bis zu ihr vordringen sollte, war sie bereit, ihm zu begegnen.

Während sie dasaß, angespannt und alarmbereit, ertappte sie sich dabei, wie sie über den Schotten nachdachte, etwas, was für ihren Geschmack inzwischen viel zu oft geschah. Es war keine gute Zeit dafür, sich wegen eines Mannes Gedanken zu machen. Eine derartige Ablenkung konnte ihr leicht das Leben kosten. Sie hatte alle ihre Aufmerksamkeit auf eine Sache zu konzentrieren, eine einzige Sache: den DeVeaus zu entgehen. Herz und Verstand schienen diese Tatsache allerdings nicht beachten zu wollen. Egal, wie sehr sie sich bemühte, den Schotten mit den bernsteinfarbenen Augen aus ihren Gedanken zu verbannen, er schlich sich ständig dorthin zurück.

Nigel Murray war ein außergewöhnlich gut aussehender Mann, und nur wenige Frauen würden es schaffen, ihn zu ignorieren. Dieses Wissen trug aber kaum dazu bei, Gisèles Interesse und Gereiztheit zu mindern. Sie sollte es besser wissen, sie hatte die dunkle Seite der Männer erlebt, die schwarze Seele gesehen, die sich hinter einem schönen Gesicht verbergen konnte. Der Schotte schien diesen Makel nicht zu besitzen, aber Gisèle wusste, dass sie in solchen Dingen ihrem eigenen Urteil nicht mehr vertrauen konnte. Heftig, wenn auch vergeblich, hatte sie die Heirat mit DeVeau zurückgewiesen, weil sie all den dunklen Geschichten über diesen Mann Glauben geschenkt hatte, aber selbst sie hatte nicht die Abgründe seines unmoralischen und brutalen Wesens erkannt.

Gisèle fluchte, als sich ihr mit den Gedanken an ihren toten Ehemann zugleich die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit stürmisch aufdrängten. Es war nun fast ein Jahr her, dass sie seinen verstümmelten Körper gefunden hatte und, als ihr klar wurde, dass man ihr dafür die Schuld geben würde, um ihr Leben gerannt war. Sie waren erst seit sechs Monaten verheiratet gewesen, aber das, was ihr DeVeau angetan hatte, würde sie für ihr ganzes Leben zeichnen und das galt auch für den, wie sie es empfand, Verrat ihrer Familie. Weder vor noch nach der Hochzeit mit DeVeau war sie ihr zu Hilfe gekommen, und viele von den Familienmitgliedern hatten der Anklage der DeVeaus geglaubt und sie für die Mörderin ihres Mannes gehalten. Auch wenn sich die Einstellung ihrer Familie inzwischen zu ändern begann, war sie sich bewusst, dass man nur langsam vergessen und ihr vergeben würde.

Ein Schrei lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre gefährliche Situation. Es war der Schrei eines Sterbenden, der ihr Kälteschauer über den Rücken jagte, doch noch mehr erschreckte sie dessen Nähe. Der Kampf kam dem Zelt gefährlich nahe. Als das Klirren von Schwertern nur noch wenige Schritte entfernt zu sein schien, erhob sich Gisèle. Es schien ihr nicht länger sicher, sich im Zelt zu verstecken, vielmehr empfand Gisèle es zunehmend als Falle.

Den Dolch fest in der Hand, schob sie sich durch den Zelteingang und hielt sogleich inne. Angst und Schrecken ließen sie wie angewurzelt stehen bleiben. Guy kämpfte erbittert um sein Leben gegen zwei Männer, deren Schilder die Farben des Hauses DeVeau trugen. Sie hatten sie gefunden und waren dabei, eines der wenigen Mitglieder ihrer großen Familie, das an sie geglaubt hatte, ebenso niederzumetzeln, wie sie auch Guys Freund Charles niedergemetzelt hatten. Gisèle schauderte und wandte hastig den Blick von dem Leichnam des liebenswürdigen jungen Ritters ab.

»Verschwinde!«, brüllte Guy, während er behände einem tödlichen Schwerthieb auswich.

Gerade als Gisèle erkannt hatte, dass die DeVeaus von ihrer Anwesenheit wussten, erschien ein dritter DeVeau und näherte sich ihr langsam mit dem Schwert in der Hand. Sie hielt ihm den Dolch entgegen, wohl wissend, dass der groß gewachsene Ritter allen Grund hatte, arrogant zu grinsen. Ihre winzige Waffe und sie selbst waren keine Bedrohung für ihn.

»Wirf den Dolch hin, du blutdürstige Hure«, rief er mit einer tiefen Stimme, die kaum mehr als ein wildes Knurren war.

»Macht es das leichter für Euch, diese Ungerechtigkeit zu begehen? Non, ich glaube nicht«, erwiderte sie.

»Ungerechtigkeit? Non, das ist Gerechtigkeit. Du hast deinen Gatten ermordet, ihm seine Männlichkeit abgeschnitten und in die Kehle gestopft. Du verdienst alles, was die DeVeaus über dich verhängen.«

Und plötzlich wusste Gisèle, dass sie aufgrund der Art und Weise, wie ihr Ehemann verstümmelt worden war, unter ihren Verfolgern niemals einen Verbündeten finden würde. Der Tonfall des Ritters ließ sie unmissverständlich wissen, dass die Verstümmelung weitaus schwerer wog als der Mord selbst. Ob Sir Nigel ebenso entsetzt sein würde, seine Unterstützung zurückziehen, ja, sich vielleicht sogar den DeVeaus anschließen würde? Doch sie zwang sich, ihre Aufmerksamkeit auf etwas viel Wichtigeres zu lenken – auf ihr Überleben.

»Ich werde nicht in die Höhle der DeVeaus zurückkehren«, sagte sie, während sie versuchte, ihn zu umrunden und einen freien Fluchtweg auszumachen, ohne dabei in seine Reichweite zu gelangen.

»Oh, oui, du wirst. Tot oder lebendig.«

»Tot? Ich denke doch, dass das DeVeaussche Hundepack mich lebend haben will, um mir noch mehr von seiner Brutalität zukommen zu lassen.«

»Dies alles dauert schon so lange, dass es sie wohl nicht mehr interessiert.«

»Aber mich interessiert es. Ich würde es vorziehen, wenn dieses kleine Fräulein am Leben bleibt«, entgegnete eine von starkem Akzent gekennzeichnete Stimme auf Französisch.

Gisèles Augen weiteten sich, als sie hinter dem Angreifer Sir Nigel stehen sah, wobei sie vermutlich weniger überrascht war als der Ritter selbst, dem seine Angst deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Schnell trat sie zurück, als er herumwirbelte, um Sir Nigel entgegenzutreten. Er war viel zu langsam, um sich zu retten. Obwohl sein Tod weitaus gnädiger war als der, den er Gisèle zugedacht hatte, wurde ihr übel, als Nigel ihn niederstach. Wortlos deutete sie auf Guy, der in schwerer Bedrängnis war und die beiden Männer, die versuchten, ihn zu töten, kaum zurückhalten konnte.

Trotz ihrer Angst, einen weiteren Toten, vor allem einen toten Guy oder Nigel, sehen zu müssen, wandte sie sich um, um den Kampf zu beobachten. Sein Ausgang würde über ihren nächsten Schritt entscheiden, ein Entschluss, der möglicherweise ohne Aufschub getroffen werden musste. Sie betete zudem leidenschaftlich, dass weder Sir Nigel noch Guy zu teuer für ihre Hilfe würden bezahlen müssen.

Als Nigel seinen Gegner niederschlug, fühlte Gisèle für einen kurzen Augenblick Erleichterung, sogar Hoffnung in sich aufsteigen. Dann jedoch gelang Guys Gegner ein sehr geschickter Hieb, den Guy nicht schnell genug parieren konnte. Gemeinsam mit Guy schrie sie auf, als das Schwert seine linke Schulter traf. Nur seine hastige Drehung nach rechts verhinderte, dass die Klinge sein Herz durchbohrte. Gerade als sie ihrem Cousin zu Hilfe eilen wollte, hielt Nigel den DeVeauschen Schergen davon ab, den tödlichen Schlag auszuführen. Schnell lenkte er die Aufmerksamkeit des Mannes davon ab, Guy zu töten, hin zu dem verzweifelten Versuch, sich selbst zu retten. Es war ein kurzer Kampf, und Sir Nigel setzte dem Leben des anderen ein schnelles Ende. Gisèle hatte sich eben erst neben Guy niedergekniet, als Sir Nigel schon sein Schwert am Wams des Toten abwischte, die Waffe in die Scheide steckte und ihr zu Hilfe eilte.

»Verzeih, Cousine«, murmelte Guy mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen, während Gisèle sich abmühte, sein blutgetränktes Wams zu öffnen.

»Was denn?«, fragte sie, wobei sie mühsam das Blut und den Schmerz, den sie ihm verursacht hatte, zu übersehen versuchte.

»Mein erster Versuch, dich zu schützen, ist ziemlich daneben gegangen.«

»Non, Dummkopf, er war ausgesprochen tapfer.«

»Ist Charles tot?«

»Ich fürchte.«

»Verdammt seien die DeVeaus und ihre gesamte Nachkommenschaft. Charles war ein guter Mann, der beste aller Kameraden.«

»Ich werde mich darum kümmern, dass seine Leiche ehrenhaft behandelt wird«, sagte Nigel.

»Habt meinen aufrichtigen Dank.« Guy sah Nigel an und lächelte schwach. »Woher seid Ihr gekommen?«

»Als ich Eurem Gespräch am Fluss lauschte, hörte ich den Namen DeVeau und habe in der Zwischenzeit versucht, so viel wie möglich über diese Familie herauszufinden. Mitten im Kampfgeschehen sah ich vorhin, wie Ihr und Euer Freund in diese Richtung gerannt seid. Dann erspähte ich die Leute von DeVeau und hatte den Eindruck, dass ihr vielleicht Hilfe brauchen könntet.«

»Und er braucht jetzt noch mehr Hilfe«, warf Gisèle ein. »Alles was ich für die Versorgung dieser Wunde benötige, befindet sich im Zelt.«

Nigel hob Guy hoch und trug ihn ins Zelt. Gisèle folgte ihm, zeigte auf das Bett aus Schaffellen, das mit einer Decke belegt war, und er legte den jüngeren Mann vorsichtig darauf ab. Während Gisèle die Wunde ihres Cousins säuberte, nähte und verband, fand Nigel einen Weinschlauch, setzte sich auf eine Truhe und nahm einen herzhaften Zug.

In dem Moment, als er erkannt hatte, das Gisèle in Gefahr war, hatte ein solch drängendes Gefühl von ihm Besitz ergriffen, wie er es seit Langem nicht mehr empfunden hatte. Wie sie einem hochgewachsenen, mit einem Schwert bewaffneten Ritter nur mit großem Mut und einem kleinen Dolch gegenüberstand, entfachte seine Bewunderung und ließ ihn außerdem darauf brennen, den Mann, der sie bedrohte, niederzuschlagen. Er fand dies ebenso eigenartig wie beunruhigend, war doch viel Zeit vergangen, seit er zuletzt solche Gefühle erlebt hatte.

Während sie mit blassem und sorgenvollem Gesicht Guys Wunde versorgte, musterte Nigel sie unauffällig. Sie war klein und schlank. Unter den Kleidern, die sie trug, waren kaum Anzeichen dafür zu entdecken, dass sie eine Frau war, dennoch reagierte sein Körper auf sie – schnell und regelmäßig. Gisèle war sehr hübsch mit ihrem schmalen Gesicht, ihrer leicht zugespitzten Nase und ihren großen, lebhaften grünen Augen, das war nicht zu bestreiten. Ihre dunklen Augenbrauen waren sanft geschwungen und ließen ihre Augen noch größer erscheinen, ihre Wimpern waren lang und dicht. Sie hatte die schönsten Augen, die er seit Jahren gesehen hatte. Doch all das erklärte nicht die Gefühle, die sie in ihm wachrief. Auch wenn sie anbetungswürdig war, so war sie doch keine betörende Schönheit, die Männer dazu bringen konnte, für ein Wort von ihren vollen Lippen alles zu riskieren. Und doch zog sie ihn unwiderstehlich an.

Sich in ihre Probleme einzumischen war unklug. Die DeVeaus waren, nach allem, was er über sie in Erfahrung hatte bringen können, eine riesige Familie, reich, mächtig und brutal. Ein Mann, der seinen Verstand beisammen hatte, würde alles in seiner Macht Stehende tun, um sich von den Feinden einer solchen Familie fernzuhalten und außerdem sorgfältig darauf bedacht sein, keinen DeVeau zu seinem Feind zu machen. Stattdessen warf er sich mitten hinein, mit erhobenem Schwert, und tötete drei ihrer Gefolgsmänner. Noch immer hatte er die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, denn alle Zeugen seiner selbstlosen Tat waren tot oder würden den DeVeaus niemals etwas davon erzählen, aber er wusste, dass er das nicht fertigbringen würde. Er musste Gisèle einfach helfen, ob sie es wünschte oder nicht.

»Ihr habt beschlossen, nicht in den Kampf zurückzukehren?«, fragte Gisèle, als sie alles gesäubert hatte und das Feuer anmachen wollte.

»Als ich mich entschloss, herzukommen und Eure hübsche Haut zu retten, war diese Auseinandersetzung fast zu Ende.«

Sie sah ihn wütend an, beobachtete ihn aber zugleich äußerst genau, während er einen weiteren Schluck Wein trank. »Guy und ich haben uns gut geschlagen, obwohl ich Euch für Eure Hilfe dankbar bin.« Sie fluchte leise, als er grinste und damit verriet, dass er ihrer Behauptung genauso wenig Glauben schenkte wie sie selbst. Guy und sie hatten seiner Hilfe dringend bedurft, und irgendwie nahm sie ihm das übel.

»Es fällt Euch sehr schwer, zuzugeben, dass Ihr bis zum Hals im Dreck steckt und fast darin ertrinkt, oder?«, fragte er sie, wobei er noch immer grinste.

»Eine sehr anschauliche Ausdrucksweise«, murmelte sie. »Ich war fast zwei Jahre lang auf mich selbst gestellt und habe nur gelegentlich Unterstützung von meiner Familie bekommen. Ganz bestimmt werde ich auch weiterhin überleben.«

»Vor was immer Ihr wegrennt, Mädchen, es holt immer mehr auf. Ja, es ist so nahe, dass es einem Freund das Leben gekostet hat und fast auch Eurem Verwandten. War es das erste Mal?«

Gisèle setzte sich an das größer werdende Feuer, entriss seiner Hand den Weinschlauch und nahm selbst einen großen Schluck. »Oui, das hat es früher nicht gegeben. Es tut mir leid für Charles, sehr leid, denn er war jung und ehrenwert, ein Freund von Guy aus Kindertagen. Guy dagegen wurde durch seine Wunde zwar geschwächt, aber sie wird ihn nicht umbringen, sofern sie richtig versorgt wird.«

»Das stimmt, aber für Euch wird es eine schwierige Aufgabe werden.«

»Ich habe ein gewisses Geschick, wenn es um Krankenpflege geht.«

»Da bin ich mir sicher, so viel Geschick wie im Weglaufen. Aber wie viel Geschick glaubt Ihr zu haben, wenn Ihr beides gleichzeitig erledigen müsst?« Er lächelte mitfühlend, als sie blass wurde und ihre zarten Hände mit den langen Fingern im Schoß ineinanderschlang. »Ihr könnt nicht länger hier bleiben, Mädchen.«

»Ihr habt die Männer getötet, die mich gefunden haben.«

»Aber waren es die Einzigen, die die DeVeaus hergesandt haben? Außerdem könnten sie eine Nachricht an Eure Verfolger geschickt haben, eine Nachricht, dass sie ihre Beute gefunden haben. Es werden weitere kommen. Und Ihr müsst mir nicht erzählen, dass Ihr sonderlich gut laufen und Euch verstecken könnt, wenn Ihr einen verwundeten Mann mit Euch schleppt. Es würde Euch in Gefahr bringen, und die Wunde könnte tödlich werden.«

Gisèle schloss die Augen, sichtlich um Gelassenheit bemühte. Als sie Guy aufgesucht hatte, schien es ein so kluger Plan zu sein. Wer würde schon auf die Idee kommen, eine zarte, wohlerzogene Dame mitten in einem Heer zu suchen, oder gar vermuten, dass sie Schande riskierte, weil sie sich als Junge kleidete? Sie konnte nicht glauben, dass die DeVeaus ihre Absichten erraten hatten. Sie hatten Guy ausfindig gemacht in der Hoffnung, sie zu finden oder wenigstens von ihm zu erfahren, wo sie war.

Sir Nigel hatte recht. Bald würden die DeVeaus nicht nur erfahren, wo sie sich aufhielt, sondern, was noch schlimmer war, wissen, dass Guy ihr geholfen hatte. Sie konnte nicht länger bleiben, aber sie konnte auch Guy nicht zurücklassen. Er brauchte ihre Hilfe, und nun musste er sich ebenfalls verbergen, um der Rache zu entgehen, auf die die DeVeaus so versessen waren. Langsam öffnete sie ihre Augen und sah den Mann an, der sich ihre Schwierigkeiten aufgeladen hatte, als habe er ein Recht dazu.

»Und was glaubt Ihr, soll ich tun?«

Nigel beugte sich nach vorn und blickte ihr direkt in die Augen. »Wegrennen.«

»Ich kann Guy nicht seinen Wunden und der Gnade meiner Feinde überlassen.«

»Das weiß ich. Ihr müsst ihn zuerst an einen sicheren Ort bringen. Es muss jemanden geben, der ihm Unterschlupf gewährt, auch wenn er ihn Euch nicht gibt.«

»Unsere Cousine Maigrat. Sie lebt einen knappen Tagesritt von hier.«

»Dann bringen wir ihn dorthin.«

»Wir?«

»Ja, wir. Ich biete Euch meinen Schutz an, kleine Gisèle.«

»Warum?« Sie legte die Stirn in Falten, als er lachte, wobei seine breiten Schultern zuckten.

»Darauf habe ich keine richtige Antwort«, erwiderte er. »Ich kann Euch den Schutz anbieten, den Ihr braucht, und vielleicht auch einen sicheren Zufluchtsort. Bevor ich in Eure Schwierigkeiten hineingeraten bin, habe ich darüber nachgedacht, nach Hause zurückzukehren. Ihr könnt mit mir kommen.«

»Nach Schottland?«, flüsterte sie, schockiert über seinen Vorschlag, obwohl sie sich eingestehen musste, dass es vielleicht ein sehr guter Plan war.