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Nr. 3048

 

Die Fäden, die die Welt bedeuten

 

Menschen suchen die Zerozone – im Schauspiel der Guunpai verwischen Wahn und Wirklichkeit

 

Kai Hirdt

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

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17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine sogenannte Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher seines Raumschiffes RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Weil er mehr über die aktuelle Situation wissen will, ist Rhodan mit der RAS TSCHUBAI in das sogenannte Galaxien-Geviert aufgebrochen. Dort haben die Mächte des Chaos, repräsentiert durch die Kandidatin Phaatom und ihr Hilfsvolk, die Phersunen, die aufseiten der Ordnungsmächte stehende Superintelligenz VECU ausgeschaltet und ihr Reich zertrümmert. Und genau dort existiert ein Zugang in die Zerozone, wo Rhodan sich Aufschluss über den Verbleib der Erde erhofft. Er sieht dabei auch DIE FÄDEN, DIE DIE WELT BEDEUTEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Donn Yaradua – Der Metabolist versucht seine Qualitäten als Einsatzleiter zu beweisen.

Iwán/Iwa Mulholland – Das psionische Multitalent fordert sein Geburtsrecht ein.

Jashol Zhaushun – Der phersunische Kommandant fürchtet den Advokaten.

Ebdowakrot – Der junge Mime hat ein Faible für neue und für sehr alte Stoffe.

1.

 

Beinahe acht Uhr morgens Bordzeit; in Donn Yaraduas Quartier war es fast völlig dunkel. Er lag seit einer Weile wach, hatte sich aber bisher nicht überwinden können, aufzustehen.

Im Traum und nun auch in Gedanken war er wieder in Lahossd und in der Eisfestung bei Gmilat gewesen. Er hatte die APPU angreifen sehen. Hatte die Havarie der Stadt erlebt. Wie das Raumschiff ohne Warnung auf die Eisburg gefeuert hatte. Feuer. Rauchsäulen. Chaos. Schreie. Stadt. Burg. Tod.

Mit schweißnasser Stirn und rasendem Herzen war er hochgeschreckt, doch der üble, wirre Traum aus Versatzstücken der Realität hatte sich nicht abschütteln lassen. Yaradua hatte ihn durch die schmale Furt aus dem Land des Schlafes ins wache Leben geschleppt. Vor seinem geistigen Auge vollführten die Bilder seines Versagens einen endlosen Totentanz: Und immer wieder Synn Phertosh und sein unscheinbar aussehendes Raumschiff, wie es zum Todesboten wurde.

Tote unter der unbeteiligten Bevölkerung? Bestimmt.

Wie viele?

Er würde es nicht erfahren. Er würde nie wissen, wie viele Wesen in Lahossd gestorben waren.

Aber von den jüngsten Toden wusste er:

Siad Tan, die oxtornische Kosmopsychologin, direkt vor Yaraduas Augen von Phertosh ermordet.

Die cairanischen Index-Bewahrer, gestorben von eigener Hand, weil Yaradua sie nicht vor Phertosh hatte schützen können.

Sie hatten sich auf ihn verlassen. Sie waren tot.

Ein Rascheln und ein Schnalzen ertönte. Yaradua drehte den Kopf, sodass er Phylax' schwarze Silhouette sehen konnte. Der Okrill wälzte sich in unruhigem Schlaf, ein Schatten in der Ecke des Zimmers, das nun sein provisorisches Heim war. Nur drei der acht Beine waren zu erkennen. Die Spitze der neun Meter langen Zunge schoss in unvorhersehbaren Abständen aus dem Maul heraus, eine Armeslänge, selten mehr. Dann schnellte sie zurück und verursachte das Geräusch, das Yaradua wahrgenommen hatte.

Phylax war eine ständige lebende, atmende Erinnerung an sein Versagen. Yaradua hätte gut darauf verzichten können, den Okrill bei sich zu haben. Doch nur er konnte das Tier beruhigen, seit dessen Herrin gestorben war.

Donn Yaradua hatte zunächst versucht, Phylax auf der zoologischen Abteilung der RAS TSCHUBAI unterzubringen. Das jedoch hatte mit einem zerstörten Labor und einem verletzten Großtierspezialisten geendet. Den Wissenschaftlern fielen nur zwei Möglichkeiten ein, der Lage Herr zu werden: Phylax in ein künstliches Koma zu legen oder bis zur Rückkehr in die Milchstraße mittels eines Suspensionsalkovens im Tiefschlag zu lassen.

Beides ließ Yaradua nicht zu. Er wusste um die enge Bindung zwischen Okrills und den Oxtornern, die miteinander durch Bande der Treue verbunden waren, die selbst die zwischen terranischen Hunden und ihren Herrchen übertrafen. Mit Siad Tans Tod hatte Phylax seinen Fixstern und Leuchtturm verloren, den Mittelpunkt seiner Existenz. Das Tier wusste nicht, wie es seine Trauer und Verzweiflung beherrschen sollte. Es schlafen zu legen oder vorübergehend aufzulösen, würde seine Qual nicht beenden, sondern nur in die Zukunft hinausschieben.

Hinzu kam: Yaradua wusste aus eigener Erfahrung, dass das Bewusstsein während der Suspension träumte, ohne Körper, ohne stoffliches Gehirn. Es würde mindestens einige Monate, womöglich Jahre dauern, bis die RAS in die Milchstraße zurückkehrte. Er wollte, nein, er konnte Phylax nicht zu einem Jahre währenden Albtraum verurteilen.

Eine kurze Tonfolge verkündete den Eingang einer Nachricht – gedämpft, dennoch laut genug, um Phylax aus dem Schlaf zu reißen. Ansatzlos und panisch sprang der Okrill das einzige Ziel an, das er erkennen konnte: Yaradua. Der kämpfte den gegen den Impuls, vor Angst aufzubrüllen, als das gut einen Meter lange und zweihundert Kilogramm schwere Tier auf einmal über ihm stand: vier Beine rechts, vier Beine links seines Körpers, der krötenhafte Kopf nur Zentimeter vor Yaraduas Nase.

Phylax hechelte wie in Todesangst – ein Gefühl, das Yaradua teilte: Die Zunge des Okrills war stark genug, um ihm beim Hervorschnellen den Hals samt Genick zu zerquetschen. Überdies konnte das Tier damit tödliche Stromschläge verteilen.

Yaradua lag reglos da, wagte nicht einmal zu atmen. Meine verdammte Gutmütigkeit, dachte er bitter. Keine gute Tat bleibt ungestraft.

Keine besonders produktive Überlegung, aber Selbstvorwürfe waren besser als Panik. Zumindest war es ein bewusster, gesteuerter Gedanke. Darauf konnte man aufbauen. Immerhin hatte Yaradua das Tier aus einem guten Grund zu sich genommen: Als Metabolist konnte er mit seiner Paragabe auf den Stoffwechsel anderer Lebewesen einwirken und deren Hormonhaushalt beeinflussen. So konnte er in begrenztem Ausmaß ihre körperlichen Empfindungen und sogar ihre Gefühle steuern.

Er dachte sich in Phylax hinein, spürte den fremdartigen Körper ... die Stresshormone, die in viel zu hoher Konzentration in der Blutbahn des Okrills schwammen ... das rasende Herz ...

Yaradua zwang sich, langsam zu atmen, mäßigte zunächst seinen eigenen Herzschlag. Er nahm diese Ruhe, nutzte sie, übertrug sie auf den Okrill.

Es wirkte.

Yaradua regte die Ausschüttung eines Hormons an, das Wohlbefinden und Sicherheit signalisierte.

Phylax' Atemfrequenz reduzierte sich. Der Mund öffnete sich zwar, die gefährliche Zunge zischelte hervor. Doch sie wickelte sich weder um Yaraduas Hals, noch röstete sie ihn mit einem Stromschlag, der Stahl hätte schmelzen können. Phylax hatte seine Panikattacke überwunden und schlabberte hingebungsvoll das Gesicht seines Gastgebers ab.

Yaradua zog den Mund schief, die Lippen fest aufeinandergepresst. Mit aller Kraft gelang es ihm, Phylax auf die Seite und aus dem Bett zu kippen.

Mit dem Ärmel wischte er sich etwa einen Drittelliter Okrillspeichel von den Wangen, dann las er die Nachricht, die das ganze Desaster ausgelöst hatte.

Sein Puls zog wieder an: Perry Rhodan hatte ihn zu sich bestellt.

 

*

 

Donn Yaradua sammelte sich, bevor er die Tür öffnete. Zwei Tage lag der Angriff auf das Eisnest zurück. Seitdem hatte er Rhodan zwar mehrmals kurz gesehen, aber nicht ausführlich gesprochen. Er wusste genau, was kommen musste. Sie hatten den Tatsachen ins Auge zu blicken und darüber zu sprechen.

Yaradua trug die Verantwortung für den Tod der ihm Anvertrauten.

Alles, wofür er so hart gearbeitet hatte, schwand dahin. Er hatte lange gebraucht, um seine seltsame Fähigkeit zu akzeptieren, und mindestens doppelt so lange, bis er das unter Beweis gestellt hatte. Seine Gabe war Lichtjahre entfernt von anderen Psifähigkeiten, die auf den ersten Blick bereits sinnvoll waren. Es hatte gedauert, bis er seine eigenen Gaben wertschätzte: Sie waren feine, beinahe chirurgische Instrumente für den geplanten Einsatz, während die populären Gaben wie Telekinese und Telepathie im Grunde plakative und plumpe Problemlöser waren. Er hatte sich als Person und seine Fähigkeiten als Mutant in riskanten Einsätzen erprobt. Er hatte Anerkennung dafür bekommen – und ein Kommando.

Und wie hatte es geendet? Siad Tan erschossen, drei der fünf Index-Bewahrer nur noch kopflose Körper.

Er schämte sich für sein Versagen.

Was mochte Rhodan nun von ihm halten? Er war immerhin Faryes Großvater, und seine Meinung war ihr wichtig.

Er atmete tief durch und bediente das Signalfeld neben der Tür. Mit leisem Surren fuhr sie auf und gab den Blick auf Rhodan frei. Der unsterbliche Terraner starrte mit höchster Konzentration auf schnell wechselnde Datenholos. Er blickte auf, erst zu Yaradua, dann zu Phylax. Mit einer Geste ließ er die Holos erlöschen und bat sie herein.

Rhodan betrachtete das Tier mit mildem Erstaunen. »Ich habe noch nie davon gehört, dass ein Okrill jemanden als Partner akzeptiert, der nicht von Oxtorne stammt.«

»Ich mogele«, gestand Yaradua freimütig. »Ich beeinflusse ihn, damit er seinen Schmerz über Tans Verlust aushält.«

»Ich verstehe.« Rhodan sah Phylax mitleidig an. »Die letzte Operation war ... Hmm. ›Ein voller Erfolg‹ wäre gelogen.«

Yaradua nickte. Wenigstens kam Rhodan direkt zur Sache.

»Es tut mir leid«, sagte Rhodan. »Wenn ich könnte, würde ich es ungeschehen machen.«

»Ich weiß, dass ich versagt habe ... Du hättest mir niemals ...« Damit hatte Yaradua nicht gerechnet.

»Unsinn!« Rhodan erklärte sich. »Gry, Iwán/Iwa und ich hatten schon vor euch mit Synn Phertosh zu tun. Ich habe ihn als hochgefährlich und unberechenbar eingeschätzt. Und doch habe ich euch nicht ausreichend gewarnt. Ich hätte voraussehen müssen, dass er eure Spur entdeckt, und euch warnen müssen. Bitte verzeih mir.«

Ihre Blicke begegneten sich kurz. »Bitte verzeih mir, wenn du es kannst«, präzisierte Rhodan.

»Ich ...« Yaradua ließ das Wort in der Luft hängen. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte.

Rhodan bot ihm einen Platz an. Er setzte sich und tätschelte Phylax' Schnauze. Fest zuzuschlagen, wie er es oft bei Tan gesehen hatte, traute er sich noch nicht.

»Die Mission hat uns einen hohen Preis gekostet«, sagte Rhodan, »aber im Leben gibt es keine Garantien für ein Happy End. Aber du musst auch das Positive sehen: Wir kennen nun den Zugang zur Zerozone: Khaiguna.«

Yaradua schwieg. Rechtfertigte ein übergeordnetes Ziel jedes Opfer?

Rhodan sprach weiter. »Wir haben ein neues Ziel bei unserer Suche nach Terra. Wir kommen ganz gut voran. Unsere Grau-Späher sind im Dauereinsatz und warnen uns bei den Orientierungsstopps vor Vektormaterie auf unserem Kurs. Das klappt inzwischen erstaunlich gut. Wir werden Khaiguna voraussichtlich im Laufe dieses Tages erreichen. Bis dahin möchte ich etwas mehr über diese Welt wissen.«

Yaradua zuckte zusammen. Er ahnte, was Rhodan wollte. Er würde sich den überlebenden Opfern seiner Inkompetenz stellen müssen.

»Die Einzigen, die uns etwas darüber verraten können, sind die beiden überlebenden Index-Bewahrer«, fuhr Rhodan fort. »Leider sind sie nicht besonders auskunftsfreudig, zumindest wenn ich sie befrage. Ich hoffe, dass sie dir gegenüber etwas offener sind. Schließlich habt ihr zusammen ums Überleben gekämpft, und du hast sie gerettet.«

Yaradua lachte bitter. Index-Bewahrer konnten nur zu fünft auf den Index der VECU zugreifen und sich dessen Wissen nutzbar machen. Vor drei Tagen hatte es noch ganz genau fünf Index-Bewahrer in der Galaxis Ancaisin gegeben. Mit Yaraduas Hilfe hatten sie zusammengeführt werden können – und dann waren drei gestorben, hatten sich eher selbst getötet, als in die Hände der Phersunen zu fallen. Die verbleibenden zwei waren machtlos. Ungeahnte Reichtümer lagen hinter einer Tür mit fünf Schlössern, und er hatte drei der Schlüssel zerstört.

»Ich weiß, was du denkst«, behauptete Rhodan. »Und vielleicht hast du recht. Zumindest Wavalo Galparudse wirkt tatsächlich ziemlich niedergeschlagen. Und Bru Shaupaard ...« Seine Lippen zeigten ein gequältes Lächeln. »Das ist wieder eine andere Geschichte. Aber versuchen müssen wir es trotzdem. Um unsere verschollene Heimat zu finden, müssen wir in die Zerozone, und dazu müssen wir wissen, wo genau auf Khaiguna der Eingang dazu liegt, wie er aussieht und wie wir ihn benutzen können. Dazu brauche ich dich. Bist du dabei?«

Yaradua schätzte es, dass Rhodan diesen eindeutigen und unmissverständlichen Befehl als Frage formuliert hatte. Selbstverständlich war er dabei. Was denn sonst?

 

*

 

Bevor sie Wavalo Galparudse besuchten, holten sie Iwán/Iwa Mulholland ab.

Es öffnete die Kabinentür ausgehfertig, als hätte es sie erwartet. Was durchaus stimmen mochte: Wahrscheinlich hatte Rhodan ihren Besuch angekündigt.

Mit leichter Missbilligung beäugte Yaradua Iwáns/Iwas Kleidung. Statt der üblichen bequemen Bordkombination trug es ein modisches Arrangement, wie es vor Jahrhunderten vielleicht als stilsicher durchgegangen wäre, und selbst das nur an einer weitaus größeren und kräftigeren Person. Mulholland trug einen etwas schlackernden schwarzen Anzug, dessen Ärmel in roten Rüschen endeten. Dazu ein rotes Hemd mit Rüschenkragen und weiche, kniehohe Stiefel. Sein weißblondes Haar war halblang geschnitten und lag in Wellen am Kopf an. Das verstärkte die Blässe seines Teints, aus dem sehr blaue Augen und sehr rote Lippen wie Farbflecke hervorstachen.

Für Yaradua sah der junge Mensch, den Rhodan aus Synn Phertoshs Gefangenschaft befreit hatte, eher männlich aus, zumindest im Augenblick. Das konnte sich aber jederzeit ändern, wie er inzwischen wusste. Iwán/Iwa war ein Hermaphrodit, sowohl Mann als auch Frau. Männer nahmen meist seine männliche Seite stärker wahr und sprachen ihn mit Iwán an. Frauen sahen eher die Iwa in ihm.

Mulholland selbst war es gleich: Beides war richtig, erfasste es aber nicht vollständig. An Bord hatte es sich daher eingebürgert, von es zu sprechen. Iwán/Iwa war das durchaus lieb, da es sich darin besser als ganzes Wesen getroffen sah als mit einer klar männlichen oder weiblichen Bezeichnung.

Yaradua fühlte sich in Iwáns/Iwas Nähe stets ein wenig unwohl. Das hatte aber weder mit seiner Geschlechtlichkeit noch seinem Kleidungsgeschmack zu tun, sondern absurderweise damit, dass Mulholland ebenso ein Mutant war wie Yaradua.

Im Gegensatz zu Yaradua verfügte es aber über zwei Fähigkeiten, die beide offenkundig nützlich waren: Zum einen war es Telepath, konnte also die Gedanken von Lebewesen in seiner Nähe lesen. Zum anderen beherrschte es etwas, das es Wehgehen nannte. In der Milchstraße war dieses Talent als Schmerzensteleportation bekannt. Dabei versetzte der Teleporter sich nicht in Nullzeit an einen anderen Ort, sondern durchquerte zu Fuß eine öde Steinwüste. Diese wurde von Iwán/Iwa als Zerozone bezeichnet.

Und an einer Biegung dort – was immer das sein mochte – hatte es angeblich einen Schatten der verschollenen Erde wahrgenommen. Das klang alles mysteriös und blieb es auch, denn mehr hatte Mulholland bisher dazu nicht sagen können.

Seit dieser Nachricht suchten die Terraner einen Zugang zur Zerozone, um sie zu erforschen. Denn weder Iwán/Iwa noch Gucky konnten viel darüber verraten: Außerhalb der Zerozone vergingen stets exakt zwei Minuten und neun Sekunden, ehe der Mutant sie wieder verließ, auch wenn er dort subjektiv sehr viel mehr Zeit zugebracht hatte. Und bis auf den Teleporter selbst waren alle anderen dort für gewöhnlich bewusstlos. Von daher gab es also bestenfalls subjektive Eindrücke zu berichten. Also musste die Besatzung der RAS TSCHUBAI einen anderen und dauerhaften Weg in die Zerozone finden.

An dieser Stelle kamen die beiden Cairaner Shaupaard und Galparudse ins Spiel. Sie hatten verraten, dass dieser Zugang sich auf der Welt Khaiguna befinden sollte.

Nun also wollte Rhodan mehr darüber erfahren. Yaradua als Vertrauensperson sollte das Gespräch mit den beiden führen. Und sie mit seiner Gabe so weit beeinflussen, dass sie ihre Mentalstabilisierung fallen ließen. Gelang dies, würde Iwán/Iwa belauschen können, was die Cairaner nur dachten, den Terranern jedoch nicht mitteilten.

Zu dritt brachen sie auf.

2.

 

Ebdowakrot schaukelte im Wind. Er hing kopfunter am Fels, alle vier Beine in seinen Faden eingehakt, die beiden Arme lässig in den Nacken gelegt.

Tief unter ihm zog sich das Friyental hin. Die Friye selbst war nicht zu sehen, sie verschwand vollständig unter dem Metronetz Druukna. Dessen Fäden spannten sich von Berghang zu Berghang, viele Dutzend Schichten übereinander, sodass der Flusslauf nicht einmal zu erahnen war. Doch Ebdowakrot wusste, wie es unter der tiefsten Schicht aussah. Sie hatten oft dort kampiert, denn Druukna war eines der wenigen Netze, in dem ihre Compagnie noch einigermaßen gern gesehen war.

Ebdowakrot baumelte an der höchsten Nadel des Palmewa-Bergkamms. Er fragte sich, wie die eindeutig nicht natürlichen Formationen entstanden sein mochten – wieso gab es auf dem Bergrücken eine ganze Reihe Säulen, die sich noch weiter in den Himmel hoben?

Zweifellos gab es eine geologische Erklärung, aber Ebdowakrot war etwas ganz anderem auf der Spur. Die Steine inspirierten ihn zu einem Stück. Für ihn waren es die Zahnstocher des Riesen Temmerwell. Der hatte sie zurückgelassen, als er das Netz Druukna mit allen Guunpai darin hatte fressen wollen. Ein ausgesprochen pfiffiger Guunpai namens Palefo jedoch hatte ihm das ausreden können, indem er dem Riesen die Vorteile pflanzlich-mineralischer Ernährung nahegebracht hatte – ein neuer Trend in den fortschrittlicheren Netzen wie Hebpat und Tekuul.

Temmerwell ließ sich begeistern, leckte tagelang die Flechten von den Berghängen und erfreute sich daran, wie gut sie seine Innereien reinigten. Nur den Hunger stillten sie nicht. Als er begriff, dass Palefo ihn hereingelegt hatte, war er schon zu schwach gewesen, um Druukna noch zu verspeisen. Er war gestürzt, und über ihm war das Palmewa-Gebirge gewachsen, aus dem nur seine Zahnstocher noch herausragten.

Es war sicher nicht Ebdowakrots bestes Werk, aber auch nicht schlecht dafür, dass er es kopfunter ersonnen hatte. Im etwas rückständigen Druukna wäre ein solches Stück bestimmt ein Renner gewesen, und einen Renner hätte ihre kleine Compagnie gut gebrauchen können.

»Was machst du da?«, ertönte Milfoks Stimme.

Ebdowakrot schloss das mittlere Auge und verdrehte die beiden äußeren. Er ahnte, was sein Ziehvater von ihm wollte. Ihm stand kein privates, sondern ein dienstliches Gespräch bevor. Eines, in dem von vornherein ausgeschlossen war, dass Milfok als Direktor der Compagnie irgendwelche Fehler gemacht hatte.

»Du sollst deine Zeilen memorieren, bevor wir in Druukna sind!«, meckerte sein Ziehvater. »In Pagwat haben deine Fehler uns das halbe Publikum gekostet!«

»Falsch«, widersprach Ebdowakrot. Er spulte seinen Faden ab, bis sein Kopf auf Milfoks Augenhöhe hing. »Das Publikum rennt oder pennt permanent, weil's unsere Neuigkeiten meist schon Wochen kennt.«

»Lass das!«, sagte Milfok.

»Lass was?«, fragte Ebdowakrot unschuldig.

»Das Reimen.«

»Du reimst auch.«

»Tu ich nicht!«

»Doch. ›Lass‹ und ›das‹. Reimt sich das oder was? Eigentlich schon. Sogar recht krass. Nicht sehr dezent, das Ornament!«

»Letzte Warnung – sprich vernünftig mit mir! Heb dir das Reimen für die Bühne auf!«

Ebdowakrot spitzte kaum merklich den Rüsselmund und sparte sich weitere Widerrede. Der Direktor hatte ihm soeben die Erlaubnis gegeben, auf der Bühne zu reimen. Zweifellos nur im Wortlaut der Aufregung – gemeint hatte Milfok, dass Ebdowakrot dessen holprige Verse aufsagen sollte, die dröge Dramatisierung wochenalter Ereignisse aus anderen Netzen.

Der alte Direktor wollte nicht wahrhaben, dass die Arbeit der Compagnien sich ändern musste. Nachrichten wurden nicht mehr von Schauspieltruppen zwischen den Netzen weitergetragen. Radiowellen waren schneller und präziser, und seit einiger Zeit gab es sogar Apparate, die nicht nur Töne, sondern auch Bilder übertrugen.

Das Schauspiel musste sich ändern, wenn es gegen diese Konkurrenz bestehen wollte. Ihre Kunst bot so viel mehr Möglichkeiten! Wenn man sie denn nur hätte ausloten wollen ...

Ebdowakrot ließ die Lippen flattern, während er sich zu Boden ließ.

Auf nach Druukna! Einem weiteren Flop entgegen.

3.

 

Iwán/Iwa Mulholland schüttelte den Kopf. Wavalo Galparudse ließ ihn nicht in seine Gedankenwelt eindringen – nicht tief genug jedenfalls, um bewusste Gedanken zu verstehen. Die Gefühlswelt des Cairaners hingegen stand ihm offen, wenn Yaradua den gequälten Gesichtsausdruck richtig deutete: Mulholland erlebte aus erster Hand mit, unter welchen Qualen der cairanische Index-Bewahrer litt.

Yaradua selbst konnte das nur mit dem Verstand erfassen. Er kannte die Körperchemie der Cairaner inzwischen ausreichend gut, um die Botenstoffe in Galparudses Körper zu deuten. Es fehlten fast sämtliche Hormone, deren Vorkommen mit Freude oder Lebenslust korrelierte. Stattdessen war der Blutstrom überschwemmt mit Stoffen, die Niedergeschlagenheit und Mattigkeit auslösten.

Kein Wunder: Es war Lebensaufgabe der Index-Bewahrer, den Zugang zum Wissen der VECU zu bewachen. Um den Index nutzbar zu machen, mussten sich mindestens fünf von ihnen zusammenfinden. Seit dem Selbstmord der drei gefangen genommenen Index-Bewahrer lebten angeblich in ganz Ancaisin nur noch zwei. Falls das wirklich zutraf, war das Wissen genauso verloren wie Galparudses Lebenssinn. In der Folge solcher Gedanken litt der Cairaner an einer Depression, gegen die Yaraduas eigene Erschütterung sich harmlos ausnahm.

Yaradua konnte ihn nicht heilen, aber zumindest kurzfristig Linderung verschaffen. Er stimulierte die Ausschüttung belebender chemischer Verbindungen. Zwar war an der goldgetupften Miene der Cairaners mit den beinah starren Hornlippen nicht abzulesen, ob es funktionierte. Aber Iwán/Iwa entspannte sich ein wenig und warf Yaradua einen dankbaren Blick zu.

Allein: Es nützte nichts – nicht bei dem Ziel zumindest, etwas über den Weg in die Zerozone zu erfahren. Vorher war Galparudse kaum in der Lage gewesen, seinen Gästen zu antworten. Nun wurde er vergleichsweise redselig. Er erklärte in ausschweifenden Worten, dass er nicht das Geringste darüber wusste, wie der Zugang aussähe, wo er sich befände oder wie er funktionierte.

Iwán/Iwa nickte unauffällig. Die Mentalstabilisierung war geöffnet. Es konnte sich davon überzeugen, dass Galparudse die Wahrheit sprach. Rhodan bedankte sich höflich für das Gespräch und empfahl sich. Yaradua und Iwán/Iwa folgten ihm, Phylax im Schlepptau.