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Die Autorin Wiebke Kalläne aus Oelde studierte an der Universität Bielefeld und der Pädagogischen Hochschule in Wien. Nach dem I. Staatsexamen in Biologie und Deutsch folgte eine Ausbildung zur Redakteurin und anschließend schloss sie die Ausbildung zur Lehrerin mit dem II. Staatsexamen ab. Heute ist sie Lehrerin in einer Schule in Lippstadt. Ihre ersten Veröffentlichungen waren die Kurzgeschichte »Der letzte Walzer« in der Literaturzeitschrift »Konzepte« sowie Artikel in biologischen Fachzeitschriften. Mit dem Thema der Malerei beschäftigt sie sich privat.

WIEBKE KALLÄNE

Apfelgelb

Die
heimliche Liebe
des Malers

ROMAN

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1. Dirk Hennig:

Der Schatz im Aasee. Die ganze Wahrheit

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2004

ISBN 978-3-932927-23-2

2. Almuth Herbst:

Wintersaat. Historischer Roman aus dem Münsterland

Münster: Solibro Verlag 4. Aufl. 2018

ISBN 978-3-96079-027-3

eISBN 978-3-96079-028-0 (eBook)

3. Wiebke Kalläne:

Apfelgelb. Die heimliche Liebe des Malers

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2019

ISBN 978-3-96079-067-9

eISBN 978-3-96079-068-6 (eBook)

ISBN 978-3-96079-068-6

1. Auflage 2019 / Originalausgabe

© SOLIBRO® Verlag, Münster 2019

Alle Rechte vorbehalten.

Covergestaltung: Cornelia Niere, München

Covergemälde: »Briefleserin am offenen

Fenster«, Jan Vermeer, 1657

www.solibro.de

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Man darf Menschen nicht wie ein Gemälde (…)
nach dem ersten Eindruck beurteilen, die haben
ein Inneres, ein Herz, das ergründet sein will
.

Jean de la Bruyère

Für die wichtigsten Menschen in meinem Leben – meine Familie.

Inhalt

Prolog

Delft Oktober 1657

Jarik de Boer

Maria ver Meer

Griet van Dijck

Sander van Aelst

Delft November 1657

Apfelgelb

Rike

Delft Dezember 1657

Piet de Boer

Hendrick van Buyten

Schnee und Eis

Weihnachten

Catharina ver Meer

Die Hochzeit

Kalte Kamine

Delft März 1658

Griet van Buyten

Delft August, 1669

Maria ver Meer

Jarik de Boer

Epilog

Zur Entstehungsgeschichte des Romans

Prolog

»Es ist alles vernichtet, Jarik.«

Rauch versperrt dem alten Mann die Sicht. Jarik zieht seinen Mantel enger um seinen schlanken Körper. Der Wind rauscht in den Kronen der Bäume und vertreibt den Rauch kraftvoll. Langsam, als böte er die letzte Kraft seines Körpers auf, hebt Jarik den Blick. Seine Augen wirken glanzlos, als wären auch sie von einer Schicht Ruß bedeckt. Er blinzelt, doch die Trübung seines Blicks bleibt bestehen. Was er sieht, versetzt ihm einen Stich in sein Herz. Jetzt wird es endgültig brechen, denkt er müde und stemmt sich auf den Stock aus Eiche. Sein Mantel flattert im Wind. Er kommt sich schwach und verletzlich vor, während er den verbrannten Hof betrachtet.

Das Feuer hat ihn komplett zerstört. Nur noch die Grundmauern stehen karg da, wie das Gerippe eines Menschen. Das Strohdach und die Holzgiebel waren ideales Futter für die hungrigen Flammen, die sich von der Küche ausgebreitet hatten. So rasend schnell, als hätten sie sich jahrelang auf diesen einen Moment der Unachtsamkeit ihrer Bewohner vorbereitet.

Jarik macht Lienke keinen Vorwurf für ihre Dummheit. Dass seiner Dienerin das Feuer für das Abendbrot nicht bewachen konnte, war seine Schuld. Er hatte von ihr verlangt, zusätzlich zu den Linsen, die es geben sollte, eine Pastete vom Bäcker zu holen und seinem Gast und ihm aufzutischen. Als sie ihm entsetzt mitgeteilt hatte, dass sie das Feuer nicht unbeaufsichtigt lassen könne, hatte er sie wütend fortgescheucht. Das arme Ding würde sich bis an sein Lebensende Vorwürfe machen, doch das spielt für ihn keine Rolle mehr. Er hat sie besser behandelt, als manch anderer.

Seine Beine zittern. Mühsam stützt Jarik sein Gewicht auf den Stock, den er seit einigen Jahren als Gehhilfe nutzen muss. Die kalte, mit Rauch gefüllte Luft umgibt ihn und seinen treuen Freund aus Kindertagen. Sander sitzt rußverschmiert wenige Meter von ihm entfernt. Nur sein helles Hemd durchdringt die geschwärzte Abendluft. Jarik sieht an sich hinunter. Auch sein dunkelroter Mantel ist schwarz besprenkelt. In seinen Augen schmerzen verkohlte Reste des Feuers. Er spürt den Ruß in seiner Nase und seinem Mund. Angewidert spuckt er auf die Steine vor ihm. Da erblickt er sie in der Dunkelheit.

Bevor er spricht, atmet er geräuschvoll und tief, als wäre es sein letzter Atemzug.

»Nicht alles, mijn vriend…« Jariks Stimme versagt. Mühsam humpelt er, gestützt auf seinen Stock, zu einer Holzkiste. Sein Blick wird von ihr angesogen und verklärt sich noch mehr. Langsam und träge rüttelt er an dem Schloss und öffnet die Truhe mit Hilfe von Sander, der sich an Jariks Seite gestellt hat.

Für einen Moment sind beide Männer still. Jarik hält den Atem an, während er in die Truhe blickt. Sander stützt seinen Freund, der in die Knie geht und mit zitternden Händen Stoff um Stoff zur Seite schlägt.

»Was für ein Wunder«, sagt Sander und fasst vor Freude Jariks Schulter. Sie ist knochig und kühl. Und plötzlich, während die Männer fassungslos in die Truhe schauen, beginnt die Schulter erst zaghaft, dann immer stärker zu zittern.

Jarik de Boer spürt, dass seine Kräfte ihn vollends zu verlassen drohen. Sein Oberkörper scheint zu schwer für seine Beine zu sein. Ein unendlich starkes Gefühl zieht ihn kopfüber in die Truhe. Farben verschwimmen vor seinen Augen. Er sieht nicht nur das dunkle Holz der Truhe, sondern ein sattes Rot und das allzu bekannte – strahlende – Gelb. Die Farben fließen ineinander, vermischen sich und trennen sich wieder. Eine Spirale unendlich vieler Farben breitet sich vor seinen verrußten Augen aus, während er zusammenbricht. Am Ende erwartet ihn ein sattes Gelb. Apfelgelb. Appel geel.

Und plötzlich ist er wieder jung, sitzt am Rand des Kanals, betrachtet blühende Maiglöckchen, Vergissmeinnicht und Veilchen. Sein Rücken drückt sich gegen einen Stamm eines starken, gefurchten Apfelbaums. Er spürt die Kraft der Natur, die im Stamm pulsiert und sich auf seine Haut überträgt. Als er den Kopf in den Nacken legt, um die Sonne durch das Blätterdach funkeln zu sehen, erblickt er die Farbe zum ersten Mal wirklich. Das satte Apfelgelb strahlt nur so mit dem Licht der Sonne um die Wette. Er vermag nicht zu sagen, welche Farbe für ihn schöner anzusehen ist. Schließlich entscheidet er sich für das Greifbare, Irdische – den Apfel. Bevor er genüsslich in das liebliche Obst beißt, betrachtet er die Farbe genauer und beschließt, seinem meester diese Farbe für das nächste Bild zu empfehlen.

Während Jarik fällt, fällt er nicht in eine Dunkelheit, sondern in das leuchtende Gelb seiner Erinnerung. Glücklich ergibt er sich dem Gefühl. Ja, fast ist es ihm angenehm, wie ein Farbtropfen auf eine gespannte Leinwand zu fallen.

Sein Leben ist fast vorbei und dennoch ist er sich im Fallen sicher, wieder am Anfang zu stehen.

Delft

Oktober 1657

Jarik de Boer

Auf dem Delfter Marktplatz war es laut, dreckig und es stank nach Tieren, Kot, Urin und verdorbenem Fleisch. Die Fensterläden des Stadthuis seitlich der schlanken Nieuwe Kirk waren zum Teil verschlossen, um sich vor dem Lärm und dem Trubel draußen zu schützen. Weißgraue Wolken zogen träge über den spitzen Kirchturm, der nach einem Blitzeinschlag 1536 fast vollständig wieder hergestellt worden war.

Seit ein paar Wochen hockte Jarik de Boer jeden Tag zwischen Gemüsehändlern, Viehbauern und Marktschreiern, um sich seine täglichen Schillinge zu verdienen. Er lebte von der Hand in den Mund. Das, was er besaß, konnte man an einer Hand abzählen: einen Schemel, einen Krug, einen Mantel und etwas Kohle sowie zusammengeklebtes und dadurch festeres Papier. Das Wertvollste für ihn war die Kohle. Damit zeichnete er auf dem Markt Abbilder von Menschen, die es von ihm verlangten. Meistens waren es Huren. Diese konnten sich keine gemalten Bilder leisten, schienen aber dennoch so auf ihre Schönheit bedacht zu sein, dass sie sich über die schnell dahin gekritzelten Skizzen freuten. Er verkaufte die Entwürfe für drei bis fünf Schilling. Es reichte, um sich abends mit ein paar Bierkrügen den Magen und die Seele zu wärmen. Danach schlief es sich leichter unter freiem Himmel. Manchmal hatte er Glück und die eine oder andere Wirtsfrau hatte Mitleid mit ihm und gedachte ihm einen Platz in der Speisekammer oder in einem der leerstehenden Zimmer zu. Doch nicht jede Frau in Delft war so herzensgut. Oft wurde er aus Gassen verjagt, wenn er sich erschöpft gegen eine Häusermauer lehnte, um die Augen für einige Sekunde zu schließen und an seine Heimat zu denken. Dann leerte sich über seinem Kopf ein Nachttopf, ein Diener schlug ihn mit einem Holzscheit oder die Pferde einer Kutsche trampelten ihn fast zu Tode.

So erbarmungslos und brutal hatte er sich die große Handelsstadt Delft nicht vorgestellt. Als er den Hof, auf dem er aufgewachsen war, verließ, um sein Glück zu machen, hatte er große Erwartungen an die angeblich aufblühende Stadt gehabt. Wie gern würde er nun wieder im warmen Heu schlafen und morgens die Schweine füttern. Doch er wusste, dass er nicht zurückkommen konnte. Noch nicht. Mit der Aufzucht von Schweinen verdiente sein Vater nicht mehr genug. Außerdem wurde die Arbeit immer härter. Und sich selbst als Schweinebauer bis an sein Lebensende, das hatte er sich noch nie vorstellen können. Seine Hände waren zart und feingliedrig. Nicht so plump und groß wie die seines Vaters.

»Jarik ist für etwas Größeres geschaffen«, sagte seine Mutter oft, wenn sie seine Hände betrachtete, zuhörte, wie er von der Malerei sprach oder bei Zeichnungen die Konturen mit seinen langen Fingern nachzog. Sie waren wie lange, menschliche Pinsel, dafür geschaffen, Linien zu ziehen, sie zu verbinden und wie von Geisterhand Figuren, Tiere und Landschaften zu erschaffen. Gerne schaute sie ihm beim Malen über die Schulter, begeisterte sich bereits für einfache Schweine-Zeichnungen, die Jarik abends im Stall im Licht des Mondes angefertigt hatte. Vor seinem Vater musste er die Kohle verstecken.

»Die Malerei ist eine brotlose Kunst. Wie soll er damit eine Familie ernähren?«, brummte sein Vater eines Abends. Er tunkte ein Stück Brot in einen Humpen Bier und biss herzhaft hinein. Während das Bier seine Mundwinkel herabrann und er genüsslich schmatzte, wusste Jarik, dass er keine Gemeinsamkeit mit seinem Vater teilte.

Dessen Unzufriedenheit über den Wunsch seines Sohnes belastete das Verhältnis zunehmend. Jarik konnte ihm auf dem Hof nichts mehr Recht machen. Weder das Füttern der Schweine, noch die Reparaturen des Hofes gelangen ihm zu dessen Zufriedenheit. Während Jarik gedankenverloren das Profil des Gemüsehändlers auf seiner Rechten auf einem Stück Papier festhielt, stand er wieder, wie vor ein paar Wochen, mit einer Schaufel im Schweinestall, um ihn auszumisten. Es war bereits später Nachmittag und sein Rücken schmerzte von der anstrengenden Arbeit im Stall. Die Schweine stanken erbärmlich und obwohl er jeden Tag mit ihnen zu tun hatte, glaubte er inzwischen, dass er sich nie an den Geruch gewöhnen würde. Er rümpfte die Nase, während er die mit Kot verklumpte Erde zur Seite schaffte. Die Schweine quiekten aufgeregt. Sie waren seine Anwesenheit nicht gewohnt. Sie respektierten seinen Vater, aber nicht ihn. Er war ein Störenfried, der sie nicht verstand.

In diesem Moment stürmte sein Vater in den Stall. Sein Gesicht war wutverzerrt.

»Was tust du hier?«, schrie er aufgebracht. »Siehst du nicht, dass die Schweine trächtig sind. Du bringst sie zu sehr auf, indem du in ihrer Gegenwart ausmistet und sie umherscheuchst!«

Die Wut und Verachtung in seinem Gesicht blieb vor seinen Augen hängen. Jarik ließ die Schaufel fallen und stürzte aus dem Stall. Er hatte keine Worte für seinen Vater übrig. Zu sehr verletzte ihn dessen Enttäuschung. Er wusste natürlich selbst, dass er ihm keine große Hilfe war. Sein Vater übernahm die doppelte Arbeit, indem er seine abschließend noch korrigierte. Als er in die Dunkelheit hinausstürzte und sich müde und erschöpft am Rand des Blumenbeets seiner Mutter niederließ, wusste er, dass es für ihn hier keine Zukunft geben würde. Er ging lange nicht ins Haus zurück, sondern wartete, bis er seinen Vater schlafend glaubte.

Dann schlich er in den Giebel, wo er schlief, kramte seine wenigen Habseligkeiten zusammen, band sie in einem Beutel zusammen und warf ihn sich über den Rücken. Ein letztes Mal sah er sich in der spärlich beleuchteten leeren Kammer um, sich sicher, dass er sie nicht vermissen würde, bevor er die knarzende Leiter vorsichtig hinab in die Küche stieg. Er nahm sich einen Laib Brot, einen kleinen Krug, den er mit Wasser füllen konnte und etwas Käse für die Reise mit. Anstatt Abschiedsworten legte Jarik ein Porträt seiner Eltern, das er vor wenigen Tagen heimlich im Garten angefertigt hatte, auf den Tisch. Er hoffte, dass vor allem seine Mutter ihm eines Tages verzeihen könne.

Als er sich zur Tür wandte, spürte er eine Bewegung seitlich hinter ihm im Türrahmen. Tieftraurige Augen blickten ihn aus der Dunkelheit an. Er wandte seinen Blick nur kurz um, um ein letztes Mal in ihr Gesicht zu blicken. Sie faltete ihre Hände wie zum Gebet und nickte ihm zu. Sie hatte gewusst, dass es einmal so kommen würde. Und nun war der Tag da.

Jarik drehte seiner Mutter den Rücken zu und verließ sein Elternhaus. Der Hof schien leer und fremd in der Dunkelheit der Nacht. Die Schweine quiekten verängstigt. Er straffte seine Schultern und sah in den Himmel voller Sterne. Er hoffte, einer von ihnen würde ihm den Weg zeigen.

»Was treibst du da, jongen

Ein fauliger Geruch stieg Jarik in die Nase. Der Gemüsehändler stand direkt hinter ihm. Schnell rollte er die Zeichnung ein und stand ruckartig auf. Der Gemüsehändler war breitschultrig, aber klein. Er konnte es mit ihm aufnehmen, falls es nötig werden sollte. Viele Menschen reagierten wütend, wenn Jarik sie ohne Vorwarnung zeichnete. Sie kannten ihr Spiegelbild nicht und die Unwissenheit gegenüber ihrer eigenen Person verängstigte sie. Sie kam ihnen fremd vor, wie ein Dämon, der auf Papier gebracht wurde.

»Ich habe Sie gezeichnet«, sagte Jarik mit fester Stimme und sah dem Gemüsehändler in die blutunterlaufenen, leeren Augen. Um sie herum waren unzählige Falten, in denen sich Dreck angesammelt hatte, sodass er aussah, als wäre er von der Erde selbst porträtiert worden. Seine Lippen waren farblos, fast grau und hoben sich kaum von seinem massigen Gesicht ab. Das einzig Wunderbare waren seine Haare. Sie waren so dunkel wie Pflaumenholz und hatten eine einzigartige Farbmischung, die im Sonnenlicht schimmerte, als hätte sich Harz über die Holzmaserung ergossen. Leider konnte Jarik diese Farbgebung mit Hilfe seiner Kohle nicht einfangen. Er konnte lediglich das Spiel von Licht und Schatten darstellen, indem er unterschiedlich stark mit dem verkohlten, schwarzen Holz, das ihm noch blieb, aufdrückte. Ein erbärmliches Abbild im Vergleich zum Original. So wenig kannte er bisher von der Kunst der Malerei, dass er manchmal zu verzweifeln drohte. Seine Hoffnung, ein richtiger Maler zu werden, war in den endlosen Wochen im Trubel des Delfter Marktes fast erloschen. Eine tiefgraue Wolke erreichte den Platz und tauchte die Menschenansammlung in einen bedrohlichen Schatten.

»Mich?«

Die Augen des Händlers verengten sich, sodass sie aussahen wie kleine Erbsen, eingedrückt in ein helles Brot mit dunklen Krusten. Jarik spürte, dass der Fremde überlegte, was nun zu tun sei. In seinem Gesicht zeichnete sich zuerst Ungläubigkeit, dann Furcht und schließlich Neugier ab.

»Zeig es mir«, befahl er mit lauter Stimme und zog damit die Aufmerksamkeit seiner Kunden auf sich. Es dauerte nicht lange und eine laute, stinkende Menschenmenge umgab die beiden während ihres Gesprächs. Jarik seufzte, rollte zögernd das Papier auseinander und drehte es in die Richtung des Händlers. In dessen grobe, dreckige Hände wollte er es nicht geben. Trotz aller Mängel an Farben und Kenntnissen war er zufrieden mit seinem Werk.

Die Menge drängte sich hinter dem Händler zusammen, um einen Blick auf das Papier zu werfen. Einige flüsterten, andere kicherten. Äpfel und Kartoffeln rollten über den Boden, während die Menge sich zusammendrängte.

Jarik wartete stumm auf die Reaktion des Händlers. Dieser brummte vor sich hin. Betrachtete das Bild mit seinen kleinen Augen, befühlte, wie zur Bestätigung, sein dickes Wams, hob seine Hände und warf, als würde er sie zum ersten Mal betrachten, einen prüfenden Blick auf sie.

Auf der Zeichnung griff er gerade nach ein paar Kartoffeln, die er prüfend vor seinen Augen wog und auf die Sackwaage legte. Diese liebevolle Geste war in der Skizze von Jarik eingefangen worden. Ein intimer Moment, der von vielen Außenstehenden nicht wahrgenommen wurde. Doch der Gemüsehändler, dessen Blick auf der Zeichnung mit weichen Konturen auf die Kartoffel fiel und dessen Haar im Sonnenlicht schimmerte, veränderte plötzlich seine Gesichtszüge. Ungläubig schaute er Jarik an. Er spürte, dass dieser junge Zeichner im Moment größter Unruhe in sein Inneres geblickt hatte.

Dann, als merkte er, dass ihn mehrere Dutzend Augenpaare neugierig anstarrten, verfinsterte sich sein Gesicht.

»Was hast du mit der Zeichnung vor, jongen? Was willst du von mir?« Zorn überschattete sein Gesicht und es wurde so dunkel wie Roggenbrot.

»Ich … bin Maler. Ich zeichne zum Vergnügen«, stotterte Jarik. Er war unsicher, wie die nächsten Reaktionen des Händlers ausfallen würden. Kurz hatte er damit gerechnet, Wohlwollen von ihm zu erhalten. Doch nun war er sich sicher, dass der Händler es auf eine Auseinandersetzung anlegte. Auch dieser Mann konnte mit der Intimität gegenüber seiner eigenen Person nicht umgehen.

Das Publikum spürte, dass der Zeichner gleich eine Tracht Prügel einstecken würde und begann unruhig zu werden. Frauen drängten sich in die erste Reihe, um besser sehen zu können. Andere winkten Bekannte herbei. Ein verwahrloster Bursche schrie mit schriller Stimme: »Verpass ihm eine Tracht Prügel!«

»Zum Vergnügen … ha! Wolltest mich ausspionieren, was? Wer hat dich geschickt?«

Der Händler schien Gefallen daran zu finden, dem Maler gleich seine Faust ins Gesicht zu rammen. Immer lauter schrie er seine Worte heraus, besprühte Jarik mit stinkender, dunkler Spucke und bäumte sich auf wie ein wilder Eber.

»Niemand«, entgegnete Jarik und versuchte dem wilden Blick standzuhalten.

»Niemand, ha! Niemand belügt Helge de Ruijter. Dafür wirst du bezahlen, jongen.« Er holte mit seiner riesigen Pranke aus und stieß dabei den Apfelkorb, der hinter ihm auf dem Ladentisch stand um. Ein Dutzend Äpfel kullerten um seine Füße. Jarik nutzte den Moment, um die Zeichnung in seinen Gürtel zu schieben. Er hielt schützend die Hände davor. Er wollte nicht der Erste sein, der schlug, das könnte für ihn böse enden, da er nicht wusste, welche Beziehungen der Gemüsehändler in Delft hatte. Dem Händler würde man sicher eher glauben, als einem jungen Fremden, der keine Ausbildung und keine Kontakte in Delft hatte.

»Halt!« Die Stimme durchschnitt die Luft und den Lärm des Marktplatzes so klar, als würde ein Apfel in zwei Teile geteilt werden und das Messer hart auf dem Holzbrett darunter auftreffen.

Jarik wagte nicht, den Blick von dem finster blickenden Händler zu wenden, dessen Faust in der Luft schwebte. Die Menge drehte sich neugierig um, reckte die Köpfe in die Höhe, um denjenigen zu entdecken, der ihnen das Spektakel verdorben hatte.