Herausgeber: Globi Verlag

Illustration: Daniel Müller

Texte und Sammlung: Christine Huck

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Liebe Kinder

Liebe Leserin, lieber Leser

Wer weiss, was eine Sage ist? Richtig! Eine Sage nennen wir eine Geschichte aus früheren Zeiten, in der manche Dinge erfunden und manche wahr sind nur weiss man nicht so genau welche! Meistens ist bekannt, an welchem Ort eine Sage spielt, das heisst, wo sie herkommt. Sagen gibt es überall auf der Welt. In der Schweiz gibt es besonders viele.

In allen Regionen unseres Landes haben die Menschen sich früher Geschichten erzählt. In diesem Buch habe ich einige davon gesammelt. Du erfährst darin, wie die Menschen früher gelebt haben, was ihnen Freude machte, woran sie glaubten, wovor sie Angst hatten und wie mutig und tapfer sie oft sein mussten. Die Sagen handeln vom heldenhaften, alltäglichen Leben der Bauern und Sennen, der Spin-nerinnen, Näherinnen und Korbmacher, der Ritter und Knechte und vielen mehr. Und sie erzählen von Zeiten, in denen die Menschen noch Berufe ausüb-ten, die es schon lange nicht mehr gibt.

Sagen haben aber noch etwas Besonderes an sich: Meistens spielen darin Naturwe-sen eine wichtige Rolle. Sicher kennst du sie schon: Feen, Nixen, Drachen und Zwerge, all die Wesen, die manchmal ziemlich wunderlich aussehen, die in feuch-ten Erdgrotten, unter knorrigen Baumwurzeln, an den stillen Ufern kleiner Wei-her oder in den dunklen Tiefen von Seen und Flüssen wohnen. Naturwesen stehen Menschen und Tieren meistens hilfreich und wohlgesinnt zur Seite sie können manchmal aber auch wahre Quälgeister oder sogar böse wie der Teufel sein!

In meinem grossen Buch der Schweizer Sagen kommen Naturwesen vor, die frü-her in der Schweiz heimisch waren und die wer weiss? vielleicht sogar heute

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noch da und dort wirken. Auf den Seiten 96 bis 99 sind sie und andere Sagenge-stalten genauer beschrieben. Hast du auch schon ein Naturwesen gesehen? Dann schreib mir, ich bin sehr gespannt!

Und wenn du wissen möchtest, wo die Sagengestalten vorkommen können, kannst du auf den Seiten 6 und 7 nachschauen.

Komm nun mit auf eine wundersame Entdeckungsreise durch die Schweiz, wo uns auf Bergen und in Tälern, auf Wiesen und Alpen, an Seen und Flüssen spannende, traurige, fröhliche und zauberhafte Geschichten begegnen. Sagen, die von Men-schen und Tieren handeln, von Wildmannli und Erdwibli, von Nachtpferden und Alpgeistern sagenhafte Geschichten, die vielleicht schon deine Grosseltern gekannt haben.

Ich wünsche dir viel Spass beim Lesen und Vorlesen, bei deinem Besuch in der fantastischen Welt der Schweizer Sagen!

Dein Globi

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Der Alpsegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wallis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Vrenelis Gärtli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zürich und Glarus . . . . . . . . . . . . . . 10

Der schlaue Peterli . . . . . . . . . . . . . . . . . . Graubünden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Der starke Knecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

König Hakon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwyz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

Der Drache vom Pilatus . . . . . . . . . . . . . Luzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Das Nachtpferd Zawudschawu . . . . . . Freiburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Die Nachtspinnerin . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwyz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

Das alte Mütterchen . . . . . . . . . . . . . . . . . Appenzell Ausserrhoden . . . . . . . . 22

Das Licht der Glühwürmchen . . . . . . . Tessin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Der geheimnisvolle Wald . . . . . . . . . . . . Tessin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

Die Nixe vom Hüttnerseeli . . . . . . . . . . Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Die Feengrotte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Fenetta, das Inselfräulein . . . . . . . . . . . . Waadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Die verwunschenen Jungfrauen . . . . . . Wallis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

Die Wasserprinzessin . . . . . . . . . . . . . . . Zug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Der kleine Schweinehirt . . . . . . . . . . . . . Genf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

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Der Burgherr im Brunnen . . . . . . . . . . . St. Gallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

Adelheid und Türst . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Liebeszauber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Die kluge Marianne . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwyz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Joseli und der Grossvater . . . . . . . . . . . . Wallis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

Das goldene Krönchen . . . . . . . . . . . . . . Obwalden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

Der Hirsch von Hohenklingen . . . . . . . Schaffhausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Der Ritter vom Grimmenstein . . . . . . . Bern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Das Abenteuer von Jean-le-Corbier . . Neuenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

Hans Öfeli-Chächeli . . . . . . . . . . . . . . . . . Zug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

Die Kindlein und der Fängge . . . . . . . . Graubünden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Das Kastanienwunder . . . . . . . . . . . . . . . Tessin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

Fior di Lago . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tessin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

Das mutige Thurgauer Mädchen . . . . . hurgau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Die Teufelsbrücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

Die Edelsteine der Erdmannli . . . . . . . Solothurn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

Das Bergmannli vom Pilatus . . . . . . . . Luzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

Vom Hauri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

Die List des Turmwärters . . . . . . . . . . . . Basel-Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

Das Alphorn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

Der Appenzeller Riese . . . . . . . . . . . . . . . Appenzell Innerrhoden . . . . . . . . . 74

Das verkaufte Sonnenlicht . . . . . . . . . . . Graubünden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

Goldbethli und Harzbabi . . . . . . . . . . . . Luzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

Das kluge Wildmannli . . . . . . . . . . . . . . Graubünden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

Das fleissige Erdmannli . . . . . . . . . . . . . Graubünden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

Erdmannlis Geschenke . . . . . . . . . . . . . . Jura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

Der weisse Geissbock . . . . . . . . . . . . . . . . Luzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

Der versteinerte Ritter . . . . . . . . . . . . . . . Basel-Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

Der Schatz auf der Blumalp . . . . . . . . . . Nidwalden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

Das Wunderfläschlein . . . . . . . . . . . . . . . Herkunft unbekannt . . . . . . . . . . . . 92

Siegawyn und Ethelfrieda . . . . . . . . . . . Aargau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

Sagengestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

6

Wallis

Bern

Luzern

Freiburg

Jura

Waadt

Genf

Ob-

walden

Neuenburg

Solothurn

Basel-Stadt

Basel-

Land

Aargau

7

Zürich

Glarus

Graubünden

Schwyz

Appenzell

Ausserrhoden

Tessin

Zug

St. Gallen

Uri

Ob-

walden

Schaffhausen

Appenzell

Innerrhoden

Thurgau

Nid-

walden

Wallis

Vor langer Zeit hütete ein Walliser Sennenbub gemütlich und zufrieden seine Kühe. Weil er sehr müde war, schlief er im Heu ein. Nach einer Weile erwachte er wieder und streckte sich, um nach seinen Kühen zu sehen. Aber was war das? Seine Kühe waren fort! Nur von fern waren ihre Glocken noch zu hören. Da kam dem Bub in den Sinn, dass er vergessen hatte, am Morgen den Alp-segen zu rufen, um das Vieh vor Unheil zu schützen.

Oje, oje! Sicher hatten die heimtückischen Alpgeister die Kühe entführt! Da half nur eins: Er musste einen Bann-spruch rufen. Also rief er, so laut er konnte: «Bleschi, chu, loba, loba! Zurück, wo du sie genommen!» Dann wartete er ein Weilchen und horchte in die Ferne. Und schliesslich hörte er, wie das Läuten der Kuhglocken wieder lauter wurde, und bald sah er die ganze Kuhherde über die Weiden auf sich zukommen.

Wie froh war der Sennenbub, dass er seine Herde wieder bei sich hatte!

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Zürich und Glarus

Der Türlersee gehörte einst der stolzen Verena von Herferswil. Als sie eines Tages in Streit mit den Nachbarn geriet, wurde ihr alles weggenommen, auch ihr wunderschöner Garten. Da kam der Teufel zu ihr und sagte: «Grabe durch den Hügel zwischen dem Türlersee und Herferswil einen Tunnel! Dann über-schwemmt das Wasser des Sees das ganze Dorf und deine Nachbarn werden bestraft dafür, dass sie dir deinen Garten weggenommen haben! Nun geh und grabe! Du darfst aber kein Wort dabei reden!»

Verena begann also zu graben und kam dabei ganz schön ins Schwitzen. Als sie endlich fertig war, konnte sie nicht anders und rief: «So ist’s geschehen!»

Da wurde sie auf einmal von einem gewaltigen Sturm gepackt und geradewegs auf den Glärnisch hinaufgetragen. Und als sie dort oben stand, erstarrten die Blumen unter ihren Füssen zu Eis.

Man kann Verena heute noch sehen, in Gestalt eines Eis-blocks, wie sie, an ihren Spaten gelehnt, in ihrem Garten oben auf dem Glärnisch steht. Und seither nennt man diesen Flecken des Glärnisch «Vrenelis Gärtli».

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Graubünden

Im Dörfchen Peist im Bündnerland sa-ssen einst in einer Gaststube ein paar junge Burschen zusammen. Sie hatten es lustig, tran-ken und spielten, und es ging ziemlich ausge-lassen zu und her.

Da ging auf einmal die Türe auf und ein grün gekleideter Fremder trat herein. Er bat den Wirt um Unterkunft, setzte sich zu den Bur-schen an den Tisch und begann mit ihnen

zu lachen und zu scherzen, dass sie grosse Freude an ihm hatten. So ging das die halbe Nacht. Als alle müde waren, bot der grüne Fremde den Bur-schen an, die Rechnung zu bezahlen. Dafür müsse ihm aber der Letzte, der die Gaststube verliess, für immer mit Leib und Seele dienen.

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