»Versuchen Sie nicht, hinter meine Fassade zu schauen, denn Sie werden dort nichts finden.«

Karl Lagerfeld

»Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er in eigener Person spricht. Gib ihm eine Maske und er wird die Wahrheit sagen.«

Oscar Wilde

»Natürlichkeit ist die Schwerste aller Posen.«

Oscar Wilde

»Authenticity is like authority or charisma; if you have to tell people you have it, you probably don’t.«

Prof. Dr. Herminia Ibarra, INSEAD

»Die Echtheit einer Sache ist der Inbegriff alles vom Ursprung her an ihr Tradierbaren, von der materiellen Dauer bis zu ihrer geschichtlichen Zeugenschaft.«

Walter Benjamin

Solange es Originale gibt, solange gibt es Doubles und fast so lange auch Double-Wettbewerbe. Zum Beispiel Elvis-Presley-Contests, die es schon zu dessen Lebzeiten gab. An einem heißen Sonntagnachmittag in Las Vegas nahm Elvis selber teil – eine Idee seines Managers. Elvis erreichte einen beachtlichen vierten Platz. Aber drei Doubles schienen dem Publikum authentischer. Solche Geschichten bringen einen auf eine Idee: Es könnte in professionellen Situationen, nicht zu Hause, darauf ankommen, dass wir authentisch scheinen, und nicht darauf, dass wir es auch sind.

Dr. Stefan Wachtel ist Executive Coach für Auftritte von Spitzenmanagern und Politikern, und einer der »Leading Coaches of the World«. Vortragsredner. Der Sprechwissenschaftler ist Experte im TV – etwa bei Bundestagswahlen. Begründer des Preises »Der beste Managerauftritt«. Ständiger Kolumnist und einer der »Meinungsmacher« des Manager Magazin; dreifacher Autor im Harvard Businessmanager. Bücher bei Econ, Campus, Midas und Hanser.

Der Autor führt neben Einzelcoachings zweitägige Executive Briefings durch, zur »Kunst des Authentischen«, zu seinem »Zielsatz-Prinzip« und zum »Executive Modus«: Jeden dritten Mai-Freitag in der Villa Borghi, jeden vierten Juni-Montag in Lugano, jeden vierten November-Freitag in Frankfurt.

Stefan Wachtel lebt im Frankfurter Westend und versucht wenigstens privat nicht groß aufzufallen.

www.stefan-wachtel.de

Stefan Wachtel

DIE KUNST DES AUTHENTISCHEN

67 Wege in den richtigen Film

VORWORT ZUR TASCHENBUCHAUSGABE

Der Starpsychologe Adam Grant schrieb kürzlich in der New York Times, »Sei du selbst!« sei der schlechteste Rat, den er jemals bekam. Er hat ihn abgelehnt. Er hatte einen TED-Talk vorzubereiten, einen dieser 18-Minuten-Reden, die, wenn sie gut sind, millionenfach auf youtube angeklickt werden. Ich habe einige solcher TED-Talks mit Klienten vorbereitet; Adam hat Recht.

Wir sind offenbar »in the age of authenticity, where ›be yourself‹ is the defining advice in life, love and career.«, schreibt er weiter. Aber nicht nur wir selbst sollen wir sein, auch noch mit uns selbst zusammen so richtig eins: »Be true to yourself« ist offenbar eines der beliebtesten Imperative; er kommt gleich nach »Erweitere Deinen Horizont«. Und noch vor »Never give up«!

»Be Yourself! No matter what they say!« singt Sting als »Englishman in New York«. Ganz man selbst sein, immer offen und ehrlich, das Herz auf der Zunge. Kaum eine Sehnsucht ist größer: so ganz von innen kommen, echt sein, ganz man selbst sein. Authentisch managen, authentisch auftreten, authentisch verkaufen, spontan und aus dem Bauch, das ist gefragt. Das Authentische in all dem Unechten zu erkennen, das ist, als ob man den Heiligen Gral fände. Dagegen macht sich vollkommen unmöglich, wer sich nicht auf Ursprüngliches, Echtes, Unverbogenes berufen kann. Dass es genau das allenfalls noch im Moment der Geburt gibt, ist deprimierend. Und dass das Authentische inzwischen fast industriell hergestellt wird, lässt uns nur noch lauter nach danach rufen. »Sei Authentisch!« ist Thema jeder persönlichen Wirkung – und manche Zweifel an diesem Imperativ gleich mit. Das Authentische wird gerade heftig diskutiert, und es ist eines der am schwersten zu fassenden Phänomene. Was soll das sein? Wir sind doch immer wir selbst, wer denn sonst? Was gibt es da zu diskutieren? Offenbar doch dies und das.

Wir alle lieben Ideale, und besonders eines: Authentisch sein. Wir wollen wir selbst sein. Nur, wie geht das mit einem erfolgreichen Berufsleben zusammen? Oder auch nur mit einem guten Privatleben? Wir fragen: Wie können wir authentisch sein? Vielleicht müssen wir eher fragen: Wie schaffen wir es, dass andere sagen: Authentisch! Das vermittelt dieses Buch, das im November 2014 als Hardcover Sei nicht authentisch! erschien. Es zerstört eine Ideologie.

Vor einigen Jahren sagte mir nach einem Vortrag jemand aus dem Publikum: »Finde ich gut, wie Sie das machen, so authentisch!« Das enthielt eine ungewollte Warnung: Ganz professionell war ich damals nicht. Es war keiner der richtig guten Vorträge, er war eher assoziativ. Er hatte zu wenig Struktur und war nicht gut genug vorbereitet. Ich war an dem Tag zu sehr ich selbst. Es fehlte ein guter Plan und ich hätte den Vortrag proben sollen. Ich schien nicht nur authentisch, was kein Problem gewesen wäre, ich war es auch. Etwas fehlte und ich musste daran arbeiten, dass dieses Etwas hinzukommt. Der freundliche Satz »Sie sind so authentisch« ließ mich Verdacht schöpfen.

»Die 5 Weisen« hieß in dieser Zeit eine wöchentliche Kolumne des Handelsblatt. Mein Text 2006 mit der höchsten Resonanz hatte den Titel »Authentisch? Besser nicht!«. Offenbar war nicht nur mir unbehaglich bei der Vorstellung, immer authentisch sein zu sollen. Im Sommer 2007 hielt ich an der Universität Zürich den ersten Vortrag mit dem Titel »Authentisch – besser nicht!« Später erschien das Buch Mythos Authentizität von Rainer Niermeyer, kaum ein Jahr, nachdem wir in einem Hotel irgendwo hinter Düsseldorf zusammen saßen.

Dann 2015, ein paar Monate nach meinem Buch, kam die Leadership-Professorin Herminia Ibarra, die angehenden Managern der Business-Schule INSEAD sagt: »Be a Chameleon!«; schließlich Adam Grant, wie gesagt: »Sei nicht Du selbst!«. In Rolf Dobellis Buch 2017 lesen wir: »Ein Hund ist authentisch. Sie aber sind ein Mensch.« Und besonders der Managementberater Reinhard Sprenger hatte in mehreren Büchern vor naiver Authentizität gewarnt: Alle sagen es jetzt: Sei nicht authentisch! Jedenfalls nicht nur.

Auch in globalen Diskussionen seriöser Wissenschaft macht das Thema einige Fragezeichen, und schaffte es aus diesem Grund 2015 als Titelstory in die Harvard Business Review. »The Authenticity Paradox« war gewürzt mit der Zeile: »Feeling like a fake can be a sign of growth«. Das alles war nur der Anfang: Das Authentische ist seit den Jahren 2014 und 2015 eines der am meisten diskutierten Themen der internationalen Leadership-Literatur. Beispiel »Executive Modus«: Von purer Authentizität zu professioneller Rolle sich zu entwickeln ist das elfte von zwölf Prinzipien.

Als ich 2013 an dem Nicht-Authentisch-Buch schrieb, traf ich den Spiegel-Redakteur René Pfister, um ihm von der These zu berichten. Ich hörte nie wieder etwas von ihm. Ein paar Wochen vor Erscheinen – ein Spiegel ist schneller als jedes Buch – kam sein Artikel »Echt wahr. Warum Politiker niemals authentisch sein können.« Vielleicht gibt es doch einen Hegelschen Weltgeist: Manche Themen kommen irgendwo her, steigen auf und landen dann irgendwo.

Wer ausspricht, dass pure Authentizität mit Vorsicht zu genießen ist, hatte noch vor Kurzem sofort alle gegen sich. Ich hatte genau das getan. In der ZEIT gab es deshalb einen kleinen Shitstorm unter einer Rezension der Hardcover-Auflage »Sei nicht authentisch!« Dieser Satz ist inzwischen Gemeinplatz. Es gehört inzwischen fast zum guten Ton, Zweifel am Nur-Authentischen zu äußern.

Schließlich, »Sei Authentisch!« oder eben nicht, das berührt meinen Beruf ganz existenziell. Ich arbeite daran, Menschen mehr rhetorische Wirkung zu geben. Insofern ist dieses Buch eine praktische Rhetorik mit pointierten Beispielen – die wegen meiner Übertreibungslust nicht immer so ganz ernst gemeint sind.

Stefan Wachtel, im Juli 2018

DAS HERZ AUF DER ZUNGE

Dieses Buch handelt von uns. Und dieses Buch handelt von Menschen, denen nichts in die Wiege gelegt wurde und die doch etwas hermachen. Es sind nicht unbedingt Überflieger, aber sie gewinnen. Sie gewinnen Aufträge, Preise, Blumentöpfe. Und sie gewinnen Menschen. Weil sie mehr sind als nur authentisch. Dieses Buch handelt aber auch von Menschen, die nichts dazulernen wollen, von allerlei allzu Authentischen, die am Ende verlieren.

Eine Klarstellung: Ich sage nicht, dass Sie niemals authentisch oder spontan sein sollen. Sie müssen Werten treu sein, Sie müssen berechenbar sein, Sie müssen wissen, was Sie sich und anderen zumuten können. Ich plädiere auch nicht für freudlose, humorlose Arbeit an sich selbst und schon gar nicht für blanke Verstellung. Ich plädiere dafür, an einem guten Eindruck zu arbeiten. Das ist eine Kunst. Deshalb heißt das Taschenbuch zu meinem Nicht-Authentisch-Buch besser Die Kunst des Authentischen. Es diskutiert nicht mehr nur Auftritte von Menschen, sondern auch technische und literarische Fakes.

Wir wollen authentisch sein, das ist fein. Und, jetzt kommt es: Wir wollen authentisch scheinen. Wenn wir so richtig ehrlich sind, werden wir sagen: Das ist uns eigentlich noch wichtiger. Das Buch ist die Anleitung dazu. Es entwickelt die Strategie, sich selbst und Ihre Arbeit an sich in ein gutes Verhältnis zu setzen. Auf den folgenden Seiten biete ich Beispiele und Einsichten zu der einen Frage, die uns alle interessiert: Wie ist mein Ausdruck?

Sie werden erkennen, auf welche Weise Sie authentisch sein sollten – und auf welche Weise das nicht gelingt. Sie werden einsehen, dass die Art, wie Sie nun einmal sind, oder die Frage, ob Sie einen guten oder schlechten Tag haben, keine Rolle mehr spielen muss. Und Sie werden in der Lage sein, eine bessere Art des Auftritts zu entwickeln. Dieses Buch kann Ihre Methode verbessern, mit der Sie Eindruck machen.

Wir alle glauben, dass wir überzeugen können, wenn wir nur eins sind mit uns, wenn wir genau das tun, wozu wir »stehen können«. Wenn wir wir selbst sind, so wie wir gerade sind. Das ist ganz erstaunlich, denn unsere Alltagserfahrung erzählt uns täglich vom Gegenteil. Wo immer Menschen nur sie selbst sind und sonst nichts, geht eine Menge schief. Wenn Menschen hinzukommen, die »mehr aus sich machen«, geht vieles besser. Ihre Frage wird sein: Gehöre ich zu denen, die »über sich hinauswachsen« können – die mehr sein können? Die zum Authentischen, das sie mitbringen, etwas beimischen können, das Sie als Profi ausweist? Dieses Buch kann Ihnen dabei helfen, die Antwort auf diese Frage zu finden. Sie werden nach der Lektüre entscheiden, dass Sie zur ersten Gruppe gehören wollen.

Szene 1: Eine Frau und ein Mann wollten etwas erreichen. Sagen wir, sie wollten eine Genehmigung bekommen, ein Restaurant an einer bestimmten Stelle zu betreiben, und in ein paar Tagen würden sie ein Gespräch dazu haben, es stand viel auf dem Spiel, es konnte der entscheidende Schritt ihres Berufslebens werden. Aus ihrer Umgebung hörten die beiden: »Das macht ihr schon, ganz spontan, da geht ihr dann hin und da wisst ihr dann ja schon.« Wahrscheinlich konnten sie sich keinen Coach oder Berater leisten. Sie kamen auch nicht darauf, dass man sich vorbereiten, dass man an sich arbeiten kann – das ist durchaus verständlich. Der wichtige Termin wurde zum Fiasko, denn im Gespräch sagten sie all das, was ihnen gerade in den Sinn kam, vielleicht waren sie auch nicht passend angezogen. Sie hatten keinen guten Plan. Sie waren zu authentisch und bekamen die Genehmigung nicht, aber sie sagten sich: Das passiert uns nicht ein zweites Mal. Dies ist die wahre Geschichte von zweien, die im zweiten Anlauf eines der heute teuersten Restaurants der Schweiz führen.

Szene 2: Ein Spitzenpolitiker, er hätte das Geld für einen oder zwei Berater, dazu stehen ihm noch alle Fortbildungsmöglichkeiten seiner Partei zur Verfügung. Doch er wollte so bleiben, wie er ist. Er bereitete sich allenfalls »inhaltlich« vor, er wollte sich schließlich nicht verbiegen lassen – und scheiterte. Dieses Taschenbuch erscheint kurz nach Europas Super-Wahljahr. Allein in Deutschland ist das Problem des Authentischen gerade mit Händen zu greifen. Gleich vier Kanzlerkandidaten wollten allzu authentisch sein, und mussten verlieren: Stoiber, Steinmeier, Steinbrück – und im Wahljahr 2017 kam einer, der gleich von sich selbst sagte, er sei authentisch. In deutschen Bundestags-Wahlkämpfen hat sich diese Geschichte gleich vier mal zugetragen, und sie könnte sich vermutlich auch in Zukunft wiederholen, denn der Deutsche stammt vom Deutschen Schäferhund ab, aber darüber reden wir später.

Hinter beiden Geschichten stehen dieselben Fragen: Wer bin ich, wenn ich verkaufe, manage oder auftrete? Und interessiert das jemanden? Muss ich etwas dafür tun? Sind Topmanager, die ich im TV sehe oder auf der Betriebsversammlung höre, authentisch? Sind Politiker authentisch oder tun sie nur so? War die Kanzlerin authentisch? Und wenn nicht, warum war sie dann erfolgreich? Zweimal habe ich am Bieterkampf um die Vorbereitung des TV-Duells zur Bundeskanzler-Wahl teilgenommen. Ziel ist dort alles Mögliche, nur nicht authentische Menschen.

Die Antwort auf die Fragen kann ich schon jetzt verraten: Authentisch sind sie alle nicht. Manchmal muss man sagen: glücklicherweise. Die wichtigere Frage für Sie wird sein: Was kann ich tun, damit ich authentisch scheine? Meine Antwort lautet: das Buch lesen, Methoden lernen, Ihre Wirkung gut vorbereiten. Ich bin Mechaniker des Auftritts. Aber ich weiß auch, alle Mechanik nützt nichts ohne Haltung. Die Frage ist, warum manche Menschen im richtigen Film spielen – und manche nicht. Und vor allem, wie Sie erkennen, wenn Sie im falschen Film sind, und wie Sie da heraus kommen, in den richtigen, den »Executive Modus«.

Wenn Sie ein gutes Maß finden wollen, stehen Ihnen drei Hindernisse im Weg. Das erste ist ein Strauß von Klischees und Missverständnissen. Das zweite sind fehlende Methoden. Das dritte Hindernis sind Sie selbst. Davon handelt der letzte Teil: Wie passen Sie in den Film, in dem Sie jeden Tag spielen?

Vorher noch zwei Geschichten, die eine liegt sechzig bis siebzig Jahre zurück, die andere etwa zehn. Die erste ist in einem wunderbaren Buch beschrieben, die andere handelt von einem umstrittenen Buch.

ZWEI EXTREME

Ehrlich Nichtauthentisch

Wie das Unechte Menschenleben rettet

Als Adolfo Kaminsky seinen ersten Ausweis fälschte, in seinem späteren Labor mit dem Geruch des Holztisches, von Tinte und echter Feder, da trug er einen sehr französischen Namen ein, Julien Adolphe. Er schrieb mit der Schrift eines kleinen Standesbeamten langsam die Buchstaben auf den gerade gebastelten Karton. Nicht nur das, alles musste er sich mühsam aneignen. Er verschlang Chemiebücher, in denen die Zusammensetzung von Tinte und Klebstoff erklärt war, und dass blaue Waterman-Tinte mit Milchpulver löschbar ist.

Adolfo Kaminsky war argentinischer Jude, der in Frankreich lebte, mit einem gelben Stern auf seiner Jacke, die deutschen Besatzer verlangten das. Es war das Jahr 1943. Die Resistance gegen Hitlerdeutschland verlangte es, dass er fälschte. Und sein Gerechtigkeitsgefühl verlangte es.

Als Adolfo Kaminsky ein zweites Mal zum Fälscher wurde, unterstützte er viele hundert seiner Landsleute, die nach Palästina auswandern wollten und von den Briten abgewiesen wurden – durch fälschen. Als sich abzeichnete, dass Israel selbst in der Verfassung Menschen nach Blut und Religion trennte – das Wort »Apartheid« gab es noch nicht – blieb er selbst lieber in Paris zurück.

Die nächste Gelegenheit kam bald. Unterstützer des algerischen Freiheitskampfes brauchten seine Dienste, und wieder half das der Menschlichkeit. Die Schweizer Ausweise waren immer am Schwersten zu fälschen, wegen des besonderen Papiers, aber Adolfo schaffte schließlich auch das, durch Mullbinden, die er in die Papierherstellung einwob. Ein drittes Mal wurde er der Meisterfälscher einer ganzen Bewegung. Seinen falschen Namen, er hatte sich im Auftrag der jüdischen Freiheitsbewegung Alija Bet auch selbst einen Ausweis gemacht, behielt er gleich bei, Julien Adolphe Keller.

Schließlich war seine Aufgabe das Fälschen von Geld – der Widerstand gegen den Algerienkrieg wollte durch große Mengen Falschgeld die französische Wirtschaft destabilisieren. Kein einziger der Scheine wurde je verwendet. Als der Algerienkrieg plötzlich vorbei war, verbrannte Adolfo die Scheine – es brauchte Wochen, wegen der guten Qualität.

Adolfo Kaminsky würde heute noch arbeiten. Jeden einzelnen Ausweis würde er heute wieder fälschen, weil er mit der Herstellung von Unechtem Leben retten kann. Das ist mehr als eine hübsche Geschichte. Es ist eine Gelegenheit, klarzustellen, dass nicht nur das Authentische ehrenwert ist, sondern öfter als wir denken auch seine professionelle Weiterentwicklung.

Tellkampen als Methode

Wie das Echte verarbeitet wird

Das Gegenteil gibt es auch. Es geht um geistiges Eigentum. Schon auf der ersten Seite eines Millionenbestsellers ging einer munter ans Werk, der sein Handwerk nun wirklich versteht. Zunächst lesen Sie bitte diese Vorbemerkung von Lothar-Günther Buchheim, Die Festung, 1995, Seite 9.

»Die Ereignisse, die in diesem Buch geschildert werden,

trugen sich zwischen Frühjahr und August 1944 zu.

Sie sind authentisch.

Die Personen hingegen leben, so wie ich sie schildere,

nur in meiner Vorstellung

und haben mit tatsächlich existierenden Menschen so viel

gemein wie der Bildhauerton mit einer Skulptur

Jemand anders macht daraus dieses hier, nicht schlecht, man erkennt es nicht auf den ersten Blick, jedenfalls nicht der Suhrkamp Verlag, der sich das und weitere 900 Seiten als rechtefrei hat aufschwatzen lassen, er hatte auch kürzlich die Schnauze voll von seinem Autor. Hier die Einleitung von Uwe Tellkamp, Der Turm, 2008, Seite 4:

»Die Handlung dieses Romans ist frei erfunden.

Die Personen, wie sie geschildert werden,

leben in der Vorstellung

und haben mit tatsächlich existierenden Menschen soviel

gemeinsam wie der Bildhauerton mit einer Skulptur

Und das schon, bevor es mit dem Text so richtig los geht. Das kann man ganz putzig finden, aber vergleichen wir mal die Seiten 797 bis 827 in Der Turm, die einem ganzen anderen Werk so ähnlich sind, das einem die Spucke wegbleibt. Szenen hinter Gittern, es geht um ein literarisches Gefängnistagebuch, hat die Produktionsfirma in der Verfilmung heraus genommen; die hatten vermutlich eine Ahnung, dass das nicht gut gehen würde.

Man darf fast ein ganzes Buch nehmen, und braucht nur die Sätze herum drehen, so dass sie irgendwie anders sind. Es gab ein juristisches Geplänkel, in der der Urheberrechtsanwalt Peter Raue zum Besten gab, was er vom Urheberrecht hält. Auch wenn Plot und zahllose Details dieselben sind, ist das kein Plagiat. Aber was ist es dann?

»Tellkampen« könnte diese Methode heißen, so wie »hartzen« der Begriff ist für rumhängen mit Hartz-IV-Alimentierung – und »tebartzen« nach dem Luxus-Bischof ein Wort ist dafür, dass man sichs auf höchstem Niveau gut gehen lässt. Tellkampen, das macht beileibe nicht nur Tellkamp, aber der ist ein Großmeister in dieser Kunst: »Wenn man das, was Tellkamp als für seine Handlung Nötige eingefügt hat, heraus nimmt, bleibt nichts anderes übrig als die Ursprungsgeschichte«, sagt der Herausgeber des Literaturzeitschrift Signum im TV über diese Methode, als ein anderer Autor seine Details im Turm wiedersah. Es sind teils kunstvolle, teils peinliche Fleißarbeiten. Das Tellkampen kombiniert zwei sprachliche Taktiken: Syntagmatische Ersetzungen: Inhalte von Sätzen werden umgestellt, und paradigmatische: einzelne Wörter durch andere. So etwas scheint effizienter als selbst einen Text zu kreieren, aber macht das Spaß? Unehrlich nichtauthentisch – die Quelle wird nicht angegeben – ist das Gegenmodell zum vorherigen Kapitel.

Zu dem Fall hat der Guttenberg-Jäger Martin Heidingsfelder eine Studie begonnen, mit äuffälligen Überschneidungen von Kapitel 60, zu einem ganzen Buch. Und es gibt die Liste mit etwa 60 Zitaten. Auf meiner Webseite kann man das für einen begrenzten Zeitraum herunterladen. Da geht es auch um Qualität, darum, dass daraus »sprachlich verlotterter Scheißdreck« wurde, wie Wolfgang Herrndorf über Tellkamps Elaborat schrieb. Kein schöner Gedanke, denn das Originalwerk Delikt 220 ist von mir.

An einem Novembertag 2017 sitze ich zu einem Interview in der Berliner Redaktion des Spiegel, ein Tonbandgerät vor mir, Volker Weidermann fragt. Vorher hatte ihm Suhrkamp, nach dem Plagiat gefragt, vorgeschlagen, doch über etwas Schönes zu sprechen, und so etwas bringt einen Spiegel-Redakteur erst richtig auf die Palme. Weidermann hatte das ganze Ausmaß des Tellkampens erkannt. Ein richtig langes Interview wurde das. 105 Tage später seine E-Mail: »Die Übernahme – ausgerechnet der Stelle des Romans, in der die Dissidenz des Protagonisten, des Leiden des Protagonisten glaubhaft werden soll – dass ausgerechnet hier ein fremdes Leid – ohne es zu kennzeichnen, übernommen wird.« Aber irgendwie, schreibt er dann, sollte es trotzdem keine Story geben.

Sagt ein Mantafahrer zum anderen: »Ich hab in so nem Laden ne Bibel gefunden.« Sagt der andere: »Und, hast Du sie schon eingebaut?« Es ist nur so eine Meinung, es muss ja nicht so gewesen sein. Vor allem ist es nicht lustig.