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Die Fotos stammen aus den Archiven Engelhardt, edition ost und Robert Allertz

edition ost im Verlag Das Neue Berlin –
eine Marke der Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage

ISBN E-Book 978-3-360-51046-4

ISBN Print 978-3-360-01889-2

1. Auflage dieser Ausgabe 2019

© Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

www.eulenspiegel.com

Über das Buch

Engelhardt sollte der erste Verfassungsschutzpräsident der DDR werden und bekam stattdessen den Auftrag, das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit aufzulösen. Im Herbst 1989 wechselte der jüngste General des Nachrichtendienstes von Frankfurt an der Oder nach Berlin und übernahm einen Job, um den er sich nicht bemüht hatte. Nach drei Jahrzehnten spricht er hier erstmals ausführlich darüber. Und über das Innenleben des MfS einschließlich über Personen, mit denen er während des Dienstes zu tun hatte. Ein Insiderbericht ohne Scheu und falsche Rücksicht, dessen Offenheit verblüfft.

Über die Autoren

Heinz Engelhardt, geboren 1944 in Ostpreußen, Abitur im Vogtland, Angehöriger des MfS von 1962 bis 1990, Diplomjurist. Letzter Dienstgrad: Generalmajor. Im Dezember 1989 mit der Bildung eines Verfassungsschutzes der DDR, im Januar 1990 mit der Auflösung des AfNS/MfS beauftragt, danach Berater der letzten DDR-Regierung. Anschließend Umschulung zum kaufmännischen Angestellten und Tätigkeit bei einem Reiseunternehmen.

Peter Böhm, geboren 1950, war einst im Internationalen Pressezentrum in Berlin tätig und recherchiert seit Jahren zum Thema Geheimdienste. Er legte vielbeachtete Bücher über die Spione Hans-Joachim Bamler, Hans Voelkner und Horst Hesse vor. Zuletzt publizierte er den Band »Der Überzeugungstäter«, ein Gespräch mit dem letzten Chef der DDR-Aufklärung Werner Großmann.

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Die Vergangenheit ist ein anderes Land,

aber bei denen, die einmal dort gelebt haben,

hat sie ihre Spuren hinterlassen.

Eric Hobsbawm »Gefährliche Zeiten«

Inhalt

Werner Großmann: Vorwort

Aus großer Fallhöhe

Von Ostpreußen ins Vogtland

Karl-Marx-Stadt: Der Beginn einer Karriere

Kreisdienststelle Reichenbach

Auf dem Weg nach oben: Karl-Marx-Stadt

Zeremonienmeister in Honeckers Wahlkreis

Zwischenstopp auf dem Weg nach oben

Frankfurt an der Oder – der Countdown beginnt

Der Neue Tag berichtet – die West-Presse macht mobil

Das letzte Gefecht

Schlussakkord

Das Kreuz mit der Kirche

Vorwort

Die Wege von Heinz Engelhardt und mir kreuzten sich spät, obwohl wir beide bis dato unser gesamtes Berufsleben lang im Ministerium für Staatssicherheit tätig waren – ich in der Hauptverwaltung Aufklärung, Heinz Engelhardt in verschiedenen Diensteinheiten der Abwehr im Bezirk Karl-Marx-Stadt. Kurz zuvor war er zum Leiter der Bezirksverwaltung Frankfurt (Oder) berufen worden. Anlass unseres Zusammentreffens war seine Ernennung zum Generalmajor. Er war gerade einmal 43 Jahre alt, ein junges, frisches Gesicht zwischen uns altgedienten Generalen, die der kleinen Feierstunde im Ministerium in der Berliner Normannenstraße im September 1987 beiwohnten. Er war in Berlin weitgehend unbekannt, was wohl auch dazu führte, dass Minister Erich Mielke ihn mit dem zwölf Jahre älteren Kommandeur des Wachregiments »Feliks Dzierzynski« verwechselte.

Das zweite Mal begegnete mir der Name Engelhardt im Mai 1988. Die Hamburger Tageszeitung Die Welt und der Westberliner Tagesspiegel schrieben, dass der »SSD-Chef des Bezirkes Frankfurt (Oder), Generalmajor Heinz Engelhardt« gefordert habe, »der Beseitigung von Alltags-Ärgernissen noch größere Aufmerksamkeit zu widmen«. Das war ein unerhörter Vorgang in den Augen unserer Oberen: ein leitender Mitarbeiter des MfS als Kronzeuge für Alltagserschwernisse und Versorgungsmängel in DDR – und das auch noch in der Westpresse! Hans-Joachim Hertwig, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Frankfurt, wurde dafür von Erich Honecker persönlich wie ein Schulbub abgekanzelt. Dabei hatte Heinz Engelhardt nur über einen Teil seiner täglichen Arbeit in seinem Redebeitrag auf einer SED-Delegiertenkonferenz berichtet: nämlich die Stimmungen und Meinungen der Bevölkerung im Bezirk Frankfurt zu sammeln und zu analysieren. Doch diese wollte am Werderschen Markt, dem Sitz des Zentralkomitees der SED, längst keiner mehr hören.

Im November 1989 erhielten Heinz Engelhardt und ich den Auftrag der Modrow-Regierung, unter Leitung von Generalleutnant Wolfgang Schwanitz das Amt für Nationale Sicherheit als Nachfolgeinstitution des Ministeriums für Staatssicherheit (AfNS) aufzubauen. Dabei lernte ich Engelhardt, der einen DDR-Verfassungsschutz konzipieren, aufbauen und leiten sollte, als kreativen, engagierten und verlässlichen Partner kennen, dem vor allem das Schicksal seiner Genossen, der Mitarbeiter des ehemaligen MfS, am Herzen lag. Wie er in diesem Buch berichtet, wurde der neue Verfassungsschutz der DDR nicht mehr aktiv, denn die Ereignisse jener Tage zeitigten andere Ergebnisse: die Zerschlagung und den Ausverkauf der DDR. Damit blieb uns nur noch die Aufgabe, unsere Mitarbeiter und schließlich uns selbst aus dem Dienst zu entlassen.

Das war für uns beide eine nervenaufreibende, teilweise deprimierende Zeit, in der wir mit ansehen mussten, wie Tausende einstige Staatsdiener der DDR von ihrer eigenen Regierung ins soziale Abseits gedrängt und moralisch diskreditiert wurden.

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Werner Großmann und Heinz Engelhardt, 2019

Heinz Engelhardt hat diese Kampagne gegen das MfS, die vor allem in Medien und Parlamenten sowie vor den Gerichten der neuen Bundesländer um sich griff, nie akzeptiert. Er hat mit Temperament und wachem Verstand stets gefordert, die Geschichte des MfS als Geschichte der wechselseitigen Aktionen beider deutscher Staaten zu verstehen, und nicht als die Laune eines Schattenboxers, der ohne Gegenpart nach Lust und Laune agiert. In diesem Zusammenhang müssen wir, die ehemaligen Mitarbeiter des MfS, uns unserer Verantwortung stellen – nicht einem pauschal verhängten Schuldspruch. Auch das zieht sich wie ein roter Faden durch seine Wortmeldungen. Das oft herangezogene Täter-Opfer-Klischee, wie es vor allem die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen permanent strapaziert, ist für den Versuch, die Geschichte zu erklären, völlig ungeeignet. Nicht Diskriminierung, Diskreditierung und Ausgrenzung sind gefragt, sondern ein politischer Diskurs, an dem sich auch die ehemaligen Angehörigen des MfS beteiligen.

Dies ähnelte bisher und ähnelt zum Teil noch heute dem Kampf gegen Windmühlenflügel. Kein Gerücht, keine Spekulation, keine Hetze war widersinnig und infam genug, um nicht mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit der Öffentlichkeit präsentiert zu werden. Ob es die Erfindung der »Roten Hand«, einer Geheimorganisation ehemaliger Offiziere der Staatssicherheit war, die angeblich Rache für die Auflösung des MfS üben wollten, oder die infame Behauptung, die Staatssicherheit hätte bei Gefangenen mittels Röntgenstrahlung gezielt Blutkrebs erzeugt, oder der große Nazihunde-Schwindel, dem auch das Dresdner »Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung« aufsaß. Vor keiner Diffamierung schreckte man zurück.

Wenn es heute Zeichen des Umdenkens gibt, so kann man hoffen, dass die von uns schon immer geforderte offene, sachliche und kritische Geschichtsaufarbeitung nach nun fast dreißig Jahren endlich in Gang kommt.

Als einen Beitrag zu diesem Diskurs verstehe ich das Buch von Heinz Engelhardt, das im Gespräch mit dem Berliner Journalisten Peter Böhm, den ich durch unsere Zusammenarbeit kennen und schätzen gelernt habe, entstanden ist. Ich bin sicher, dass es einen wichtigen Beitrag zu einer konstruktiven Aufarbeitung der Geschichte des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und darüber hinaus leisten kann.

Werner Großmann

Generaloberst a.D.

Berlin, im Februar 2019

Aus großer Fallhöhe

In Ihren Papieren habe ich einen interessanten Brief vom September 1990 gefunden. Da gab es noch, jedenfalls formal, die DDR. Verfasser des Briefes war Georg Mascolo, damals bei Spiegel TV. Der damals knapp 26-jährige Journalist schlägt Ihnen vor, gemeinsam ein Buch zu machen über Ihre persönliche Geschichte, über die Vorwürfe gegen das MfS und über dessen Auflösung, an der Sie maßgeblich mitgewirkt haben, sowie über die Zukunft der »Ehemaligen«, wie auch Sie in vielen Briefen sich selbst und Ihre einstigen Genossen bezeichneten. Warum wurde nichts aus diesem Buchprojekt?

Bitte bedenken Sie die Stasi-Hysterie, die 1990 und auch in den folgenden Jahren herrschte. Alle Probleme der DDR – von den Kinderkrankheiten bis zu den Tagen des Altersstarrsinns – wurden dem MfS angelastet. Die Geschichte der DDR wurde losgelöst von der deutschen und der internationalen Geschichte betrachtet: von der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und seinen Folgen im Kalten Krieg, und auf die Tätigkeit unseres Ministeriums reduziert. Dazu wurde das Ganze noch dargestellt, als hätte der DDR-Nachrichtendienst außerhalb der Systemauseinandersetzung ohne reale Gegner BRD, BND und Konsorten agiert. Vergessen wurde, dass US-Präsident Truman die Eindämmung des Kommunismus nach 1945 zur Staatsdoktrin erhoben hatte. Hauptfeind der USA wurde der Kommunismus und damit die Sowjetunion. Der Spiegel begann im Februar 1990 eine Artikelserie unter dem Titel »Schild und Schwert der Partei« …

… zu der Sie in einem kurzen Interview beitrugen …

… nun, »beitragen« würde ich das nicht nennen. Ich habe dafür plädiert, dass vernünftig mit den ehemaligen Mitarbeitern der Staatssicherheit umgegangen wird und sie nicht als universelle Buhmänner der untergegangenen DDR an den Medienpranger gestellt werden. Die Spiegel-Serie verfolgte allerdings genau das Gegenteil: Das MfS und seine Mitarbeiter wurden zu den Hauptakteuren des »Unrechtsstaates« DDR gemacht. Ich wurde zwar einige Male zitiert, jedoch stets als einer, dem nicht zu trauen ist. Wenn ich erklärte, dass die Abhöranlagen des MfS außer Betrieb seien, wurde sofort hinterhergeschoben: »Doch Experten sind sicher, dass immer noch mitgehört und mitgeschnitten wird.« So etwas wurde am 12. Februar 1990 ernsthaft behauptet.

Eine differenzierte Sicht auf die Vergangenheit zu vermitteln war nicht möglich, das war erkennbar auch nicht gewünscht. Im Spiegel wurden die inhaltlichen Schwerpunkte vorgegeben, wie das Thema im Weiteren abzuhandeln sei. Dabei suggerierte man dem Leser, der Autor sei exklusiver Augenzeuge des beschriebenen Ereignisses gewesen. Hans Magnus Enzensberger meinte schon vor Jahren, der Spiegel sei gar kein Nachrichtenmagazin, sondern ein Story-Magazin. Wer Geschichten erzählt, braucht jedoch Helden, Konflikte, Motive, kurz: eine Dramaturgie. Das verführt zwangsläufig zu »kreativem Schreiben«. Wohin das führt, sehen wir ja gerade am Fall Relotius.

Ich als alter Lichtenberger fand es immer besonders »kreativ«, wenn man dem MfS unterstellte, an der Normannenstraße ein Areal von 30 Hektar okkupiert zu haben. Wer die Gegend kennt, weiß, dass es gerade mal zehn Hektar waren. Gemessen an den 68 Hektar des BND in Pullach ein Klacks!

Und wie der Zufall es will: Die neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in der Berliner Chausseestraße umfasst auch ziemlich genau zehn Hektar – allerdings nur der BND, dazu noch in bester Citylage.

Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom bemerkte, dass eine Vielzahl von Publikationen zum Thema MfS unter der Einseitigkeit leidet, den ostdeutschen Geheimdienst als Schattenboxer darzustellen, der auf einen eingebildeten Gegner eingeschlagen habe.

Da hat er durchaus recht. Mit Vorsatz oder aus Unwissenheit wird ignoriert, dass von Anfang an der Westen auch mit geheimdienstlichen Mitteln gegen die sogenannte Ostzone operiert hat. Vergessen, dass Kurt Schumacher, Vorsitzender der SPD in den Westzonen, von seiner Partei verlangte, in der Sowjetischen Besatzungszone ein weitverzweigtes Netz illegaler Organisationen zu schaffen. Diese Organisationen sollten, so Schumacher, Vertreter – illegal, versteht sich – in allen Bereichen der neu gegründeten SED, in Verwaltungen, Betrieben, Gewerkschaften und anderen Organisationen platzieren. Ziel war eine umfassende Sammlung von Nachrichten, die man den Westalliierten übergeben wollte. Am 18. September 1947 war die Central Intelligence Agency (CIA) als Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten gegründet worden – laut der 2006 veröffentlichten Selbstdarstellung: »Die CIA ist ein ziviler Geheimdienst. Im Gegensatz zu einem Nachrichtendienst, dessen Aufgabe die reine Gewinnung von geheimen Informationen ist, gehören zu den Aufgaben der CIA nicht nur Spionage, Beschaffung und Analyse von Informationen über ausländische Regierungen, Vereinigungen und Personen, um sie den verschiedenen Zweigen der amerikanischen Regierung zur Verfügung zu stellen, sondern auch Geheimoperationen im Ausland. Nicht selten bedient sich die CIA, so wie andere Geheimdienste auch, der Desinformation und illegaler Mittel, um die internationale Politik, die öffentliche Meinung und die Repräsentanten der Vereinigten Staaten zu beeinflussen.«

Ab 1950 begannen die USA die Wiederaufrüstung West-Europas. Mit dem sogenannten Marshallplan hatten die USA einen Kontrollapparat in Europa installiert, und mit der CIA einen Geheimdienst, dessen vorrangiges Ziel erklärtermaßen darin bestand, »kommunistische Elemente« – und was darunter zu verstehen war, definierten sie selbst – entschieden zu bekämpfen. Weil dadurch die »freie Welt«, heute nennt man das »nationale Sicherheitsinteressen«, bedroht wurde. Die USA handelten nie uneigennützig, weder bei den Aufbauhilfen noch beim Einsatz der »Rosinenbomber«, mit denen 1948/49 Westberlin »gerettet« wurde. Es galt stets »America first«, auch wenn es erst Jahrzehnte später ausgesprochen werden sollte.

Gerade in den ersten Jahren der Blockkonfrontation, also in den 1940er und 1950er Jahren, ging es den westlichen Diensten mitnichten nur darum, in der DDR Informationen zu sammeln. Da kam das ganze Arsenal sogenannter »verdeckter Aktionen« zum Einsatz. Im Kalten Krieg waren ihnen alle Mittel recht.

Damit ist wohl vor allem Sabotage gemeint.

Genau das ist damit gemeint.

Lösen wir uns mal aus der Abstraktion, bringen Sie Beispiele.

Am 19. September 1951 wurden am gerade fertiggestellten ersten Hochofen in Eisenhüttenstadt …

… damals noch Stalinstadt …

… damals noch Stalinstadt, Sprengkabel gefunden. Kurz vorher brannte auf dieser Baustelle die Heide. Ursache: Brandstiftung. Auch im Jahr 1951 sollte die Autobahnbrücke bei Finowfurt, ein hölzerner Notbehelf, abgebrannt werden. Dieses Vorhaben war Ergebnis einer regelrechten Vorkriegsstimmung, die zu jener Zeit in Westberliner Geheimdienstkreisen herrschte. Glücklicherweise schlug auch dieser Anschlagsplan fehl. Ein besonders infames Vorhaben war die geplante Sprengung einer Eisenbahnbrücke im Wald bei Erkner. Hier verkehrte der sogenannte »Blaue Express« zwischen Berlin und Moskau. Er wurde vornehmlich von sowjetischen Militärangehörigen und ihren Familien genutzt. Deren Tod wurde billigend in Kauf genommen. 1954 brannten im Kreis Bernau Scheunen. Auch hier handelte es sich um Brandstiftung.

Konnten denn die Terroristen – so würde man solche Leute heute wohl bezeichnen – ermittelt werden?

Ja, das konnten die Sicherheitsorgane, übrigens mit aktiver Unterstützung der Bevölkerung, letztlich aufklären und verhindern.

»Letztlich« heißt?

Für den Anschlag im Wald bei Erkner war zwar der Plan fertig und der Sprengstoff geliefert. Doch das Fluchtfahrzeug fehlte. So planten die Saboteure neu. Beim Versuch, stattdessen eine Brücke bei Stahnsdorf zu zerstören, wurden sie »letztlich« erwischt.

Waren das Einzeltäter, mit denen es die Sicherheitsorgane der DDR zu tun hatten?

Mitnichten! Der Anschlag auf den »Blauen Express« zum Beispiel wurde von der »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« (KgU) vorbereitet. Diese Terrororganisation wurde aktiv von der Organisation Gehlen, der Vorgängerorganisation des Bundesnachrichtendienstes, und von der Westberliner Dependance der CIA unterstützt. In jener KgU war auch Heinz Wiechmann aktiv, der von 1953 bis 1965 Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Westberlin war.

Obwohl sich die von der Alliierten Kommandantur lizenzierte KgU 1959, nachdem die CIA den Geldhahn zugedreht hatte, auflöste, wirft der Verein noch immer lange Schatten bis in die Gegenwart.

Ja, Rainer Hildebrandt, seinerzeit Spiritus rector der KgU und einige Jahre auch ihr Frontmann, hinterließ der Stadt Berlin und der Welt das Mauermuseum am Checkpoint Charlie. Im Mai 1992 durfte er sogar im Neuen Deutschland die Mär von seiner humanistischen Gesinnung ausbreiten, ohne dass die Redaktion Hintergrundinformationen geliefert oder mit einem Kommentar die Sache vom Kopf auf die Füße gestellt hätte.

Sehen Sie es nach, die Zeitung war auf dem Weg vom Zentralorgan zur Großen unter den Linken, da wurde oft das, was bis gestern schwarz war, plötzlich zu weiß.

Na, bevor wir nun auch noch dieses Thema anschneiden und den Eindruck ziellosen Parlierens vermitteln, will ich zum Ausgangspunkt zurückkehren: zum misslungenen Versuch, beim Rückblick auf die DDR – was gemeinhin als »Aufarbeitung« bezeichnet wird – ein objektives Bild vom Ministerium zu vermitteln und seinen Mitarbeitern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich hatte dem Organ seit 1962 angehört, war zur Wendezeit Generalmajor und damit der jüngste General im MfS gewesen und hatte dieses im Frühjahr 1990 aufgelöst. All meine Bemühungen, ein differenziertes Bild der DDR und der Tätigkeit des MfS zu vermitteln, wurden in der Folgezeit brüsk zurückgewiesen. Bei Foren, Podiumsgesprächen und öffentlichen Diskussionen, an denen ich teilnahm, schlug mir eine Propaganda entgegen, die mich an die frühen Zeiten des Kalten Krieges erinnerte. Der Missionierungseifer, mit dem das MfS in die Schmuddelecke gestellt wurde, hat viele von uns, die an einer sachlichen Diskussion interessiert waren, abgestoßen. Es ging nicht um Wahrheit, sondern um Rechthaberei, nicht um Fakten, sondern um gezielte Manipulation. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Geändert hat sich jedoch das Publikum. Inzwischen gibt es eine junge Generation, für die die deutsche Zweistaatlichkeit ein historisches Faktum ist, mit dem sie keine persönlichen Erfahrungen gemacht haben. Sie sind also frei vom Ballast der Rechtfertigung oder des Verurteilenmüssens. Und viele von dieser Generation – nicht alle, denn bei der Entpolitisierung der Gesellschaft ist man gut vorangekommen – stellen Fragen, wie das so war zwischen 1945 und 1990. Und sie stellen auch deshalb Fragen, weil sie berechtigte Zweifel an der offiziellen Darstellung der Vergangenheit haben. Was, im Westen sollen nur die Guten und im Osten die Bösen gesessen haben? Wenn die DDR im Fernsehen behandelt wird, kommt kein Film ohne »Stasi« aus.

Mascolo arbeitete, als er Ihnen das Angebot machte, im Spiegel-Verlag in Hamburg. Das galt damals als Leitmedium. Die Sicht des Spiegel wurde zur Sicht aller, zumindest in den Redaktionen. War das für Sie keine Herausforderung, es »denen« mal zu zeigen?

Das war doch ein Kampf von Don Quijote gegen Windmühlenflügel. Außerdem: Ein Buch zu schreiben schien mir in meiner aktuellen Situation unmöglich: Nachdem ich meinen ersten und bislang einzigen »Arbeitgeber« aufgelöst hatte, stand ich als dessen letzter Mann praktisch vor dem Nichts. Ich war Familienvater und hatte drei Kinder zu versorgen. Etwas anderes als »Geheimdienst« hatte ich nicht gelernt. Ich weiß: Es gab ja auch noch andere Geheimdienste. Aber ich habe dem meinigen 28 Jahre lang aus Überzeugung gedient, ich war – wie mein Freund Werner Großmann, der seine Erinnerungen als Chef der Hauptverwaltung Aufklärung auch so überschrieben hat – ein Überzeugungstäter. Und Überzeugungen wechselt man nicht wie ein Hemd, man verrät sich doch nicht selbst. Also musste ich etwas ganz anderes machen. Aber eben kein Buch.

Das Thema »Staatssicherheit« lag Ihnen sicher auf der Seele. Doch auf der anderen Seite, Sie sprachen ja bereits von der Hysterie, mit der das Thema in den Medien behandelt wurde, musste es in der Öffentlichkeit dazu herhalten, von anderen Problemen abzulenken.

Das war so. Wie ich mich um meine persönliche Perspektive sorgte, bereitete mir auch die gesellschaftliche Entwicklung einige Sorge. Als politischer Mensch, zu dem ich in der DDR erzogen worden war, beschäftigte mich zudem, was in der Sowjetunion vor sich ging. Es ließ mich nicht kalt, was beim großen Bruder geschah. Dann der Krieg am Golf, den die USA im Januar 1991 lostraten. Und innenpolitisch: die sozialen Verwerfungen im Osten aufgrund der Liquidierung der Industrie, der Abwicklung gesellschaftlicher Institutionen, die Ausgrenzung und Diskriminierung beachtlicher Kreise aus der Gesellschaft, die wachsende Kriminalität …

Aber Ihre Meinung dazu wollte man Anfang der 90er Jahre nicht hören.

Doch, es gab Menschen, die zu Recht auf eine Entschuldigung von mir, von uns gewartet haben.

Warum?

Zunächst hatten und haben wir uns – als Mitglieder der SED und Angehörige des MfS – dafür zu entschuldigen, dass wir unkritisch und in falsch verstandener Parteidisziplin die fehlerhafte Sicherheitsdoktrin der Partei- und Staatsführung mittrugen und mit umsetzten. Ein Ergebnis dieses doch letztlich verhängnisvollen Sicherheitsdenkens war ein überdimensionierter Sicherheitsapparat, der auch zur Überwachung bestimmter Teile der eigenen Bevölkerung diente. Eine zentrale Aufgabenstellung lautete »Wer ist wer?«. Auch waren wir daran beteiligt, dass soziale und ökonomische Probleme mit Mitteln des Strafrechts gelöst wurden. Unser vorrangiges Anliegen bestand zwar darin, ein realistisches Bild von den Stimmungen und Problemen der Menschen in unserem Land zu erarbeiten und zu vermitteln. Doch als diese Informationen in wachsendem Maße bei der politischen Führung immer weniger Beachtung fanden, haben wir das achselzuckend hingenommen und uns gefügt.

Gerade das wurde dem MfS von ehemaligen Spitzenfunktionären der Partei abgesprochen. Honecker selbst meinte dazu, dass er den Eindruck gehabt habe, Sie würden aus der Westpresse abschreiben, weil das, was ihm das MfS mitteilte, aus den BRD-Medien längst bekannt sei.

Ich will nicht darüber diskutieren, wer da von wem abgeschrieben hat. Fest steht eines: Auf die von uns vorgelegten Informationen und Analysen wurde immer weniger und zum Schluss gar nicht mehr reagiert, zumindest haben wir davon nichts gemerkt. Doch wir sollten uns davor hüten, die Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit auf die Überwachung der eigenen Bürger zu reduzieren, wie es immer wieder geschieht. Wir dürfen bitte nicht außer Acht lassen, dass sich die DDR während der ganzen Dauer ihrer Existenz realer Angriffe von außen zu erwehren hatte. Es war erklärtes Ziel der Bundesrepublik, die »Zone« – denn so nannten sie die DDR bis in die 60er Jahre – zu »befreien«. Heute nennt man das »regime change«, wenn man nicht genehme Regierungen wegputscht. Das Bestreben der DDR, geheimdienstliche und andere Angriffe auch mit geheimdienstlichen Mitteln abzuwehren, war nicht nur legitim, sondern auch notwendig. Nicht zu vergessen, dass das MfS auch große Anstrengungen unternahm, Nazi- und Kriegsverbrechen aufzudecken, um die Täter einer Bestrafung zuzuführen. Nicht wenig Kräfte wurden eingesetzt, um die Aktivitäten gegnerischer Dienste gegen die auf dem Territorium der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte zu unterbinden. Die DDR war bekanntlich der vorgeschobene Posten des Warschauer Vertrags, des militärischen Beistandspaktes sozialistischer Länder unter Führung der Sowjetunion. Die Staatsgrenze West der DDR war zugleich auch die Westgrenze des Bündnisses zur der NATO.

Ich will noch einmal auf die theoretische Option des Seitenwechsels nach der Auflösung des MfS zurückkommen. Pullach oder Köln waren für Sie nie eine Überlegung wert?

Nein, das kam für mich überhaupt nicht in Frage. Wie schon gesagt: Ich habe der DDR aus politischer Überzeugung gedient. Ich musste etwas Neues, etwas anderes machen.

Zwar forderte man 1989/90 auf der Straße: »Stasi in die Produktion!«, aber dort wollte niemand diese Leute haben, zumal es kaum noch Produktion gab. Es blieb meist nur Versicherungsvertreter oder Sicherheitsdienst.

Falsch, ganz falsch! Es gab für unsereinen auch andere Optionen, nicht nur diese. Aber ich spreche jetzt nur für mich. Nach dreijähriger Ausbildung legte ich 1993 vor der IHK Berlin die Prüfung zum Reiseverkehrskaufmann ab. Ich hatte nun einen »ordentlichen« bürgerlichen Beruf.

Dann nehme ich das Bild mal auf und bitte Sie, mich qualifiziert auf der Reise durch Ihr Leben zu begleiten!

Na, dann los!