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W. A. Hary, Art Norman

TEUFELSJÄGER 183-184: Rapsodie in Monster

„Das Urzeitmonster erwacht - und schlägt unbarmherzig zu!“


Nähere Angaben zum Autor und Herausgeber siehe Wikipedia unter Wilfried A. Hary: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Wichtiger Hinweis

Diese Serie erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Seit Band 21 wird sie hier nahtlos fortgesetzt! Jeder Band (siehe Druckausgaben hier: http://www.hary.li ) ist jederzeit nachbestellbar.

 

TEUFELSJÄGER 183-184

 

W. A. Hary und Art Norman

Rapsodie in Monster

Das Urzeitmonster erwacht - und schlägt unbarmherzig zu!“

 

Seit ich zurück bin aus dem Daedrareich, fehlen mir Teile meiner Erinnerung. Dafür habe ich Fähigkeiten, die ich vorher nie besessen habe. Ich kann mich jedenfalls nicht mehr daran erinnern.

Fähigkeiten, die ich bitter nötig habe, als der urzeitliche Dämon Doro erwacht und nicht nur nach dem Leben meiner geliebten May Harris trachtet…

 

Impressum

Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

ISSN 1614-3329

Copyright dieser Fassung 2018 by www.HARY-PRODUCTION.de

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Telefon: 06332-481150

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eMail: wah@HaryPro.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung jedweder Art nur mit schriftlicher Genehmigung von Hary-Production.

 

Coverhintergrund: Anistasius

 

Titelbild: Lothar Bauer

 

1


„Der Zander“, sagte Solster, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen, „ist ein komischer Fisch. Du musst ihm mit der Schnur Spiel geben, er muss sich austoben. Etwa eine Zigarettenlänge. Dann ziehst du ihn langsam heran.“

Ranster grinste und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Solsters Pfeife. „Und wie stellst du damit die Zeit fest?“

Solster hob die Schultern.

„Ich hab’s im Gefühl“, behauptete er.

Sie sahen die Sonne langsam tiefer sinken. Es wurde kühl. Salziger Westwind strich über ihre Gesichter.

Solster stand wie ein Denkmal, die Angelrute in der Hand, und wartete ab… eine Zigarettenlänge.

Ranster starrte auf das Wasser. Es kräuselte sich schwach im Wind.

Solster strich sich einmal kurz durch den dichten Vollbart und hüstelte. Immer noch lauerte er. Er wollte einen Zander an die Angel bekommen, und jetzt hatte er ihn wirklich. Hoffentlich spuckte der fette Brocken den Köderfisch nicht wieder aus.

Aber jetzt – musste er ihn wohl geschluckt haben. Der Zander war vorsichtig, wartete immer längere Zeit, bis er den angebotenen Köder tatsächlich verschlang.

Solster begann, bedächtig zu kurbeln. Der Widerstand wuchs.

„Er hat ihn“, murmelte er, „und ich habe ihn. Kapitaler Bursche. Herrje noch mal, mehr als kapital sogar…“

Er zog seine Beute zum Ufer und benötigte dazu alle Kraft. Ein Wunder, dass die Rute nicht brach. Aber irgendwie war das Gewicht tatsächlich erheblich zu hoch. Das war nur zu schaffen, weil der Zander sich nicht wehrte. Ganz im Gegenteil: Er schien sogar selber ein Interesse daran zu haben, aufzutauchen…

Und tatsächlich: Der Fang tauchte jetzt träge aus dem Wasser auf, streckte sich und sah herüber.

Solster hielt den Atem an.

„Der Zander“, bemerkte Ranster trocken, „ist wirklich ein komischer Fisch. Mann, wie der sein Aussehen verändern kann… Lauf, Solster, so schnell du kannst!“

Er fuhr herum und setzte sich in Bewegung.

Doch Solster stand wie erstarrt. Er konnte nicht glauben, was er sah, was er da geangelt hatte. Ein Zander jedenfalls war es nicht – bei allen Heiligen der Bretagne!

Ein riesiges, grünschuppiges Geschöpf – eine Art Unterwasser-King-Kong!

Solster kam gar nicht mehr dazu, das Wesen näher zu betrachten. Mit einem Satz war das Ungeheuer aus dem Wasser und sprang Solster brüllend an.

Der Angler schrie entsetzt auf, streckte die Arme zur Abwehr aus. Doch es war bereits zu spät.

Das Monster hatte ihn schon erreicht…

2


Ich, Mark Tate, fühlte mich, kurz gesagt, sauwohl. Und wann passierte das denn mal? Bei dem, was mir immer begegnete…

Bequem zurückgelehnt lag ich mehr als dass ich saß auf dem breiten, weich gepolsterten und niedrigen Sofa, hatte die Füße auf den niedrigen Marmortisch gelegt und links neben mir auf dem flauschigen Teppichboden ein halb gefülltes Whiskyglas stehen, das auf meine linke Hand stets eine magische Anziehungskraft ausübte.

Ah, meine rechte Hand war unterdessen damit beschäftigt, eine Strähne weichen, heute mal platinblonden und halblangen Haares um den Zeigefinger zu wickeln.

Das Haar gehörte einer geradezu verboten schönen Frau mit weicher, heller Haut und endlos langen Beinen. Sie gefielen mir ausnehmend gut, wie auch alles Übrige, das den schlanken, schönen Körper auszeichnete. Die sanften Augen unter geschwungenen Brauen, die jetzt genießerisch geschlossen waren, die zum Küssen einladenden roten Lippen…

Mein Blick wanderte wieder tiefer, erreichte den Blickfang. Ein zurzeit grünlich schimmernder, tropfenförmiger Stein hing an einer dünnen Silberkette um den Hals der noch ziemlich jung wirkenden Frau und wirkte auf ihrem Busen äußerst dekorativ.

Diese Frau trug den klingenden Namen May Harris und war, obgleich sie in luftiger Bluse und Jeans nicht gerade danach aussah, Chefin des weltumspannenden, milliardenschweren Harris-Konzerns. Und ich, Mark Tate, der damit beschäftigt war, Streicheleinheiten an ihren Luxuskörper zu verschwenden, war ihr designierter Generalbevollmächtigter – neben meiner Beschäftigung als Privatdetektiv für außerordentliche Vorkommnisse, um es einmal so zu umschreiben.

Und May war keineswegs noch so blutjung wie sie erschien. Da hatte sie sozusagen ein wenig nachgeholfen als echte weiße Hexe, die sie nun einmal war!

„Weißt du schon das Neueste?“, fragte ich leise, beinahe ehrfürchtig bemüht, die wunderschöne Stimmung nicht zu vermiesen.

May öffnete die Augen.

„Woher?“, gab sie schläfrig zurück.

Ich beugte mich halb über sie und hauchte ihr einen Kuss auf die verführerischen Lippen.

„Im Zuge der internationalen Ölkrise steigt der Harris-Konzern auch in die Energiewirtschaft ein.“

„Wie das?“, fragte sie, wenig interessiert, wie es schien.

Ich lehnte mich zurück, hob das Glas und nippte wieder an der goldbraunen Flüssigkeit.

„Einer unserer jüngsten Ableger ist nämlich in das Energiegeschäft eingestiegen. Man plant, Gezeitenkraftwerke zu bauen.“

„Was ist das denn?“, fragte sie und hob den Kopf leicht an.

Sah das nur so aus, als würde sie sich plötzlich dafür interessieren, oder tat sie nur so?

Ich hob die Schultern.

„Wie sie funktionieren sollen, weiß ich nicht genau. Zumindest nicht im Detail. Auf irgendeine Weise werden wohl die Kräfte von Ebbe und Flut ausgenutzt. Bei St. Malo an der Bretagneküste steht so ein Ding, zwar nicht das erste der Welt überhaupt, aber es soll besonders fortschrittlich sein, und nach diesem Muster will man jetzt weitere Kraftwerke entwickeln.“

„Hm“, sagte May.

Nach einer Weile fuhr sie fort:

„Da du besser informiert bist als ich, kannst du mir sicher auch sagen, ob die Harris-Verwaltung schon ihre Zustimmung gegeben hat, denn von heute auf morgen lässt sich das Vorhaben doch auch nicht verwirklichen.“

„Die Zustimmung wurde noch nicht gegeben“, antwortete ich. „Die Alternative Powers Corporation hat den Vorschlag bei der Konzern-Zentrale eingebracht, in das Gezeitenkraftwerk-Geschäft einzusteigen, und Moretti will die Entscheidung pro oder contra nicht allein fällen. Er schlägt vor, mit ein paar Leuten von der APC das Kraftwerk von St. Malo besichtigen und hätte dich als Konzernchefin gern mit dabei.“

„Aha“, murmelte sie träge. „Dabei bin ich doch so faul geworden… Du, kraule mich noch ein bisschen weiter! Die APC, seit wann haben wir denn die geschluckt?“

Ich hob eine Augenbraue.

„Das weißt du nicht mehr, Liebling? Vor kurzem erst.“

„Sorry, ich kann im Moment nicht nachdenken. Ist das alles jetzt wirklich wichtig? Und wann, bitteschön, hat es denn jemals keine internationale Ölkrise gegeben?“

Ich lachte leise und kraulte ihren Kopf weiter, so, wie sie es am liebsten hatte.

Und dann fiel es auch ihr wieder ein, was allerdings die Stimmung ziemlich störte:

Die Alternative Powers Corporation und der geplante Sprung ins Geschäft mit Gezeitenkraftwerken war ein weiterer Versuch der Vergrößerung des Konzerns. Das lief schon fast vollautomatisch ab und war für einen multinationalen Konzern von grundlegender Bedeutung, wollte er im Haifischbecken der Konzerne länger überleben.

Andererseits gab die finanzielle Unabhängigkeit May genügend Spielraum, ihrer Berufung als weißer Hexe nachzugehen. Und auch dabei waren wir ein eingespieltes Team, schon lange bevor wir angefangen hatten, uns mehr oder weniger gemeinsam um die Belange des Konzerns zu kümmern und nicht alles nur dem Vorstand zu überlassen.

Es war May anfangs schwer gefallen, sich einzumischen, und sie hatte es nur deshalb getan, weil es ganz einfach nötig geworden war. Und jetzt war alles wieder dermaßen eingespielt, dass sie nicht ständig präsent sein musste. Nicht allein deshalb hatte sie mich ja zum Generalbevollmächtigten gemacht, in Zusammenarbeit mit dem bisherigen Generalbevollmächtigten Ibrahim Moretti. So konnten wir beide Aufgaben gewissermaßen fließend wahrnehmen.

„Okay, besichtigen wir also das Gezeitenkraftwerk“, sagte sie. „Ich nehme doch an, dass auch du mitkommst?“

Ich biss zärtlich in ihr Ohrläppchen.

„Denkst du, ich lasse dich auf einer solchen Geschäftsreise allein? Allein zwischen so vielen Männern? Nichts da!“

„Eifersüchtig?“, fragte sie mit einem lustigen Funkeln in den Augen.

Ich zog sie an mich und küsste sie.

„Bei deinem Aussehen kann man doch nur eifersüchtig sein“, fuhr ich schließlich fort.

May lachte hell auf.

Und dann war das Thema Geschäft wieder abgehakt. Ich hatte damit genug gestört. Die Welt um uns herum durfte wieder versinken. Es gab nur noch uns beide und sonst nichts.

Wir genossen unsere Liebe, weil wir wussten, dass es jederzeit zu Ende gehen konnte.

Denn das Böse, das nicht nur uns vernichten wollte, lauerte überall.

*


Ranster rannte wie von Furien gehetzt davon. Er brauchte sich nicht umzusehen, um mit untrüglicher Sicherheit zu wissen, dass das Monster hinter ihm her war, das Solster vor seinen Augen regelrecht zerfetzt hatte, um einzelne Fetzen gierig in seinen Rachen zu stopfen.

Wahrscheinich hätte er Solster mit Haut und Haaren ganz und gar verschlungen, hätte es nicht auch noch Ranster gegeben…

Kaum zu glauben, dass es ein Wasserbewohner sein sollte! Aber einer von der ausgefallensten Art, der sich auch an Land hervorragend bewegen konnte und allmählich aufholte!

Ranster konnte es nicht begreifen. Er durfte nicht darüber nachdenken, wenn er nicht wahnsinnig werden wollte. Doch zum Nachdenken blieb ihm glücklicherweise sowieso keine Zeit.

Vor ihm tauchte der Buggy auf, mit dem Solster und er gekommen waren. Ransters Hand fuhr in die Tasche.

Eisiger Schreck erfasste ihn, als seine Hand leer wieder hervorkam. Der Zündschlüssel war weg!

„Nein!“, stöhnte Ranster.

Er warf sich herum, sah die grüne, geschuppte Bestie herbei sprinten, die nur annähernd menschliche Körperformen besaß.

„Tugen, hilf“, stöhnte Ranster in der Hoffnung, der Schutzheilige, der tollwütige Hunde vertrieb, möge auch diese Bestie fernhalten.

Doch offenbar hatte der Heilige Tugen heute seinen schlechten Tag, oder die Tatsache, dass die katholische Kirche ihn nicht anerkannt hatte, legte seine Fähigkeiten lahm.

Noch näher kam das Monster!

Verdammt, wäre ich doch zu Hause geblieben, schrie es in Ranster. Wäre ich doch nicht mit Solster gegangen…

Er musste es versuchen!

Er sprang in den Buggy. Das Lenkschloss war nicht eingerastet.

Ranster griff zu, riss das Lenkrad mit aller Kraft, derer er fähig war, herum. Knackend zerbarst irgendetwas; das Lenkschloss war gesprengt.

Ein Griff zu den Kabeln…

Funken sprühten auf, und da hörte Ranster das Brüllen des Ungeheuers direkt hinter sich!

Mit einem Satz schoss der Wagen nach vorn. Sekundenlang drehten die Räder mit protestierendem Kreischen durch. Dann gewann der Buggy rasch an Geschwindigkeit.

Doch das Ungeheuer konnte er nicht abhängen.

Ranster schrie entsetzt, als er es im Rückspiegel noch schneller näher kommen sah. Innerhalb kürzester Zeit hatte es den Buggy wieder eingeholt.

Doch dann blieb es plötzlich stehen!

Ranster atmete auf. Hatte das Biest die Verfolgung aufgegeben?

Im gleichen Moment setzte die Zündung aus! Der Motor erstarb.

Der Sandfloh verlor rasch an Geschwindigkeit und rollte aus.

Ransters Augen weiteten sich vor Entsetzen. Er sah den blauen Strahl, der nach dem Wagen griff und ihn weiter abbremste. Dann rollte er langsam rückwärts auf das Ungeheuer zu.

Ranster wollte aus dem Wagen springen.

Aber es gelang ihm nicht!

Er war wie gelähmt, vermochte kein Glied zu rühren. Immer näher kam er der Bestie, die jetzt den grässlichen Rachen weit aufriss.

Was war das nur für ein Ungeheuer?

Das Monster brüllte nicht mehr, grollte nur noch dumpf und in satter Zufriedenheit. Direkt vor ihm blieb der Wagen wieder stehen.

Ranster sah dem Tod ins Auge.

Kalte, wässerige Augen, ein riesiges, haifischartiges Maul mit unzähligen spitzen Pyramidenzähnen, die in der Lage waren, alles zu zerfetzen, was zwischen die mächtigen Kiefer geriet, was er ja am Beispiel von Solster drastisch erlebt hatte…

Nasenöffnungen, die durch Lider verschlossen werden konnten…

Kiemen, die jetzt eng anlagen, grüne, harte Schuppen, lange Krallenfinger - mit einer Größe von mehr als zwei Metern ragte das Wesen wie ein Titan vor Ranster auf.

War es anfangs nicht deutlich kleiner erschienen? War es inzwischen irgendwie… gewachsen? Weil es teilweise Solster gefressen hatte?

Er hatte keine Chance, wie auch Solster keine gehabt hatte, nur wollte er nicht so schnell sterben!

Er stemmte sich gegen die Lähmung, kämpfte dagegen an. Und plötzlich konnte er sich wieder bewegen!

Aber zur Flucht reichte es nicht mehr. Es war zu spät. Er wusste es, begriff es mit überdeutlicher Klarheit. Er würde sterben, hier und jetzt, konnte nicht mehr entkommen. Das Monster brauchte nur nach ihm zu greifen…

Und es griff nach ihm!

Ranster schrie entsetzt auf. Er entsann sich, wie Solster gestorben war. Seine Hand fuhr in die Tasche, fand das Feuerzeug. Mit der anderen Hand erreichte er den Tankverschluss des Buggys, während die Titanenfaust ihn auf das Wesen zu riss und die Klauen sich in seine Haut bohrten. Er schaffte es, den Verschluss doch noch in einer blitzschnellen Bewegung rechtzeitig aufzureißen.

Dann war für ihn schon fast alles vorbei. Das Monster tötete ihn, doch im Sterben noch gelang es ihm, das Feuerzeug zu entzünden und in den offenen Tankstutzen zu werfen!

Eine Flammenzunge schoss auf das Ungeheuer zu!

In einer brüllenden Explosion flog der Buggy auseinander!